Seewölfe Paket 8

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„Senor, Sie haben selbst verboten, Licht anzuzünden“, erwiderte Bixio, der jetzt näherschritt. „Daran haben wir uns auch gehalten. Wir sind überhaupt froh, aus dem Vordeck entwischt zu sein. Dort wird hart gekämpft, dort sind schon gut zwei Dutzend unserer Leute zusammengeschlagen worden.“

„Was?“ Do Velho atmete schwerer und rang um Fassung. „Berichte mir sofort, was vorgefallen ist.“

Das war schnell geschehen. Bixio und Raoul wußten sehr anschaulich darzustellen, wie die Seewölfe das Vordeck gestürmt hatten. In einem günstigen Augenblick waren sie, der Fockmastgast und der Kombüsengehilfe, mit drei anderen Decksleuten nach achtern entwischt. Da sie sich ganz am Ende des nach oben drängenden Menschenpulks befunden hatten, schien der Gegner ihre Flucht nicht wahrgenommen zu haben.

„Das ist die größte Schande, die mir je widerfahren ist“, keuchte Lucio do Velho. „Sind diese Hurensöhne etwa auch im Begriff, das Achterkastell zu vereinnahmen?“

„Ich glaube ja, Senor“, entgegnete Raoul. „Wir haben es gehört, konnten aber nicht sehen, was an Oberdeck vorging.“

„Es hat keinen Sinn, jetzt zum Vorschiff zu laufen“, sagte der Kommandant. „Wir würden dort auf verlorenem Posten kämpfen. Es ist auch für uns nicht ratsam, durch die Luke des unteren Batteriedecks auf das Hauptdeck zu klettern. Man würde uns rechtzeitig bemerken und niederknüppeln. Nein. Wir müssen vielmehr die Hütte um jeden Preis verteidigen, den Gegner niederstrecken und den Hunden, die im Vordeck wüten, in den Rücken fallen.“

Er drehte sich um und hastete zum Niedergang zurück. Ignazio und die fünf Decksleute schlossen sich ihm an.

Im Achterkastell hatten sie gerade wieder den Mittelgang erreicht, da wurde vorn das Schott aufgerissen, das auf die Kuhl hinausführte. Die Gestalt, die do Velho in seinen schlimmsten Träumen heimsuchte und verfolgte, erschien in der rechteckigen Öffnung. Sie füllte sie mit ihren breiten Schultern völlig aus.

Lobo del Mar, nun zu uns, dachte do Velho voll glühendem Haß.

Er blieb stehen. In seinem Rücken verharrten Ignazio, Bixio, Raoul und die drei anderen. Sie verhielten sich mucksmäuschenstill, denn instinktiv begriffen sie, daß der Kommandant die Finsternis im Gang ausnutzen und den Todfeind auf diese Art überrumpeln wollte.

9.

Der Seewolf zügelte seinen Drang, sofort in den Gang des Achterkastells zu stürzen und mit gezücktem Cutlass bis zum Schott von do Velhos Kammer zu stürmen. Bislang hatten sich weder do Velho noch sein Bootsmann Ignazio gezeigt. Aber war es denn möglich, daß sie soviel Zeit brauchten, um sich zu bewaffnen und auf der Bildfläche zu erscheinen?

Nein. Sie wollen dir eine Falle stellen, dachte Hasard.

Er behielt den Cutlass in der rechten Hand, zog mit der linken Hand jedoch seine doppelläufige sächsische Reiterpistole aus dem Waffengurt. Er spannte einen Hahn, duckte sich und rief: „In Deckung, Freunde!“

Er ließ sich fallen, riß gleichzeitig die Pistole hoch und feuerte einen Schuß in die Decke des Ganges ab. Der kurze Feuerblitz genügte, um ihn davon zu überzeugen, daß er keiner Täuschung erlegen war.

Dumpf tönte das Krachen der Pistole durch das Achterdeck. Im Aufzucken des gelblichen Lichtes erhaschte Hasard einen Blick auf zwei Gestalten. Zwar trachteten do Velho und seine Mitstreiter noch, sich gedankenschnell in den Quergang zurückzuziehen. Sie hatten ja allen Grund zu der Annahme, daß der Seewolf direkt auf sie feuern würde.

Aber es gelang nur Bixio, Raoul und den drei anderen Decksleuten, sich noch rechtzeitig in Deckung zu bringen.

Do Velho und sein Bootsmann ließen sich fallen. Der Kommandant hob seine Pistole gegen den Erzfeind und drückte ab. Wieder donnerte ein Schuß, aber die Kugel traf weder Hasard noch einen der anderen Männer der „Isabella“.

Hasard rollte sich von der rechten Seite des Ganges nach links. Die Kugel strich um eine Handspanne über den Platz weg, an dem er eben noch gelegen hatte, raste weiter und pfiff ins Freie, aber Dan, der Profos und Batuti standen längst nicht mehr vor dem Schott, sondern waren nach den Seiten hin ausgewichen. Sie befanden sich in Sicherheit. Die Kugel pfiff durchs offene Schott an ihnen vorbei und bohrte sich, ohne Schaden anzurichten, in den Großmast der „Candia“.

Hasard erhob sich, ehe Ignazio den nächsten Schuß abgeben konnte. Do Velho hatte seine leergeschossene Radschloßpistole mit einer Verwünschung in den Gang geschleudert und packte seinen Degen. Der bullige Bootsmann wollte mit seiner Steinschloßpistole auf den Seewolf anlegen, doch der Kommandant stand ihm dabei im Weg.

Bevor Bixio, Raoul oder einer der drei anderen eingreifen konnten, war Hasard mit drei Sätzen bei ihnen. Er ging aufs Ganze. Sein Cutlass säbelte wie das scharfe Werkzeug eines Schnitters durch den engen Gang, klirrte gegen do Velhos Degen und trieb den Mann, für den dieser harte Angriff doch etwas zu wild und zu schnell ausfiel, tiefer in den Gang.

Ignazio glaubte, seine Chance sei gekommen. Der Kommandant und der Seewolf tänztelten an ihm vorbei, er konnte sie jetzt beide recht gut erkennen, weil seine Augen sich an das Dunkel gewöhnt hatten. Ignazio zielte auf Philip Hasard Killigrews Rücken.

Jetzt oder nie, dachte er, besser, diesen Hund zu töten, denn wir werden es ja doch nie schaffen, ihn lebend bis vor den König zu schaffen, wie der Comandante es ursprünglich vorgehabt hat. Aber ein ohrenbetäubendes Gebrüll war plötzlich hinter ihm.

„Arwenack!“ schrien diese Korsaren, „Arwenack“ mit unvorstellbarer Lautstärke. Eine ganze Kompanie schien das Achterkastell zu stürmen, und doch waren es nur drei.

Dan, Ed und Batuti hatten sich keinen anderen Rat gewußt. Sie hatten gesehen, wie Ignazio sich zu Hasard umgewandt hatte, und versuchten jetzt, den Mann aus Porto durch ihr Geschrei zu irritieren.

Es funktionierte. Ignazio wußte zwar nicht, was dieses „Arwenack“ zu bedeuten hatte, daß es in einer Gegend, die Cornwall hieß, ein Kastell dieses Namens gab und daraus der Kampfruf der Seewölfe entstanden war, aber er fuhr zu den drei Seewölfen herum.

Dan O’Flynn hatte seine Pistole gezückt. Er feuerte über Ignazios Kopf hinweg. Der Mann aus Porto duckte sich, legte auf den jungen Mann an und drückte ebenfalls ab, aber mit unglaublicher Gewandtheit hatte sich der Gegner plötzlich aus dem Schußfeld befördert, Carberry und Batuti warfen sich zu Boden, es war das Klügste, was sie tun konnten, denn besser war es, die Planken zu küssen, als eine heiße Eisenkugel zwischen die Rippen zu empfangen.

Auch diese Kugel traf also nicht, und der portugiesische Bootsmann war es jetzt, der seine Pistole mit einem lästerlichen Fluch in den Gang warf. Er wünschte sich, Dan O’Flynn damit zu treffen, aber dieser Wunsch ging nicht in Erfüllung. Dan hatte bereits den Quergang erreicht und focht mit seinem Entermesser gegen Bixio, Raoul und die drei anderen Decksmänner an.

Batuti rappelte sich wieder auf und wollte auf Ignazio losgehen, aber da schob sich Edwin Carberrys breites Kreuz in Batutis Blickfeld. Wutschnaubend knallte der Profos die Klinge seines Schiffshauers auf Ignazios Säbel. Batuti rückte nach links und unterstützte Dan O’Flynn im Kampf gegen die übrigen fünf Portugiesen.

Hasard gab sich keine Blöße und ließ do Velho keine Chance, in dem nun beginnenden Duell die Initiative zu übernehmen. Do Velho war in die Defensive getrieben worden, er konnte sich bei aller Fechtkunst keinen Vorteil verschaffen.

So konnte er nichts dagegen unternehmen, daß der Seewolf ihn bis zur Kammer ganz achtern im Kastell drängte. Do Velho hatte genug damit zu tun, jede Parade abzuwehren, die auf ihn zuwirbelte. Es war erstaunlich, wie gut der Seewolf sich im Dunkeln zurechtfand. Er brachte Lucio do Velho mehrfach in lebensgefährliche Situationen. Links und rechts surrte der Cutlass an do Velho vorbei, mal drohte er ihm in die rechte Schulter zu hacken, mal seinen Kopf zu treffen, mal seine Brust. Der Portugiese indes vermochte keinen einzigen Ausfall aufzubauen.

Er hatte keinen Zweifel daran, daß der Seewolf ihn jetzt töten wollte. Aus war es mit der Nachsicht Killigrews, er war schon seinerzeit in der Walfisch-Bucht zu sanft mit dem Erzfeind umgesprungen. Die Situation ähnelte jenem Kampf vor der Küste des Buschmann-Landes, aber der Ausgang schien diesmal kompromißlos zu sein.

Damals! Carberry, Blacky und die zwölf anderen Männer der „Isabella“ hatten sich aus der Gewalt der Buschmänner befreien können, nachdem do Velho und Ignazio, die durch eine List Hasard überwältigt und als Geisel genommen hatten, den „überflüssigen Ballast“ einfach ausgesetzt hatten. Damals – als die „Santa Monica“ unter dem Kommando der Meuterer die „Isabella“ in der Bucht zu beschießen begonnen hatte, hatten Carberry und sein Trupp ihr Schiff schwimmend erreicht, es von achtern geentert und Lucio do Velho und den Mann aus Porto in einem Blitzangriff besiegt.

Von zwei Seiten hatten sie sich ins Ruderhaus geworfen. Der Profos hatte mit einem von den Buschmännern erbeuteten Messer zugestochen, ehe do Velho sich den Schnapphahn-Revolverstutzen hatten greifen können.

Batuti und Pete Ballie hatten sich im selben Moment Ignazio vorgenommen. Pete hatte dem Bootsmann den Radschloß-Drehling entrissen, und der Gambia-Mann hatte mit seinen mächtigen Fäusten auf Ignazio eingedroschen, bis dieser zusammengesunken war.

Danach hatten die Seewölfe beide Portugiesen zur Backbordseite getragen, sie über das Schanzkleid gehievt und außenbords befördert.

Anschließend hatten Hasard und seine Männer die Meuterer von der „Santa Monica“ in einem erbarmungslosen Gefecht besiegt. Brennend war die „Santa Monica“ in der Walfisch-Bucht zurückgeblieben, während die „Isabella VIII.“ mit neuem Kurs in See gegangen war.

 

„Senor“, sagte Hasard, während er seinen Gegner mit Cutlass-Hieben durch die nur angelehnt stehende Tür in die Kapitänskammer des Viermasters trieb. „Ich bin seinerzeit zu glimpflich mit Ihnen umgesprungen. Ich hätte mich vergewissern sollen, daß es wirklich aus mit Ihnen war, dann hätten wir uns nie wiedergesehen.“

„Ich habe dir die Pest an den Leib gewünscht“, zischte do Velho. Er wich zurück, stand vor dem Pult nahe der Bleiglasfensterfront in der Heckwand und verteidigte sich schwitzend. „Warum bist du nicht daran krepiert?“

„Nie krank gewesen“, sagte Hasard höhnisch. „Je mehr Sie mich verfluchen, desto wohler fühle ich mich.“

In der Kapitänskammer war es wegen der Fenster nicht ganz so dunkel wie auf dem Gang. Nachdem Hasards Augen sich auf die Finsternis eingestellt hatten, nahm er diesen feinen Unterschied jetzt deutlich wahr. Ganz düster war die Nacht nie, etwas konnte man immer noch sehen, und so sah Hasard jetzt in einem matten Schimmer, der durch die Fenster eindrang, die Züge von do Velhos Gesicht.

Verändert hatte er sich kaum, der stolze Comandante. Mittelgroß war seine Gestalt und ein bißchen untersetzt, seit ihrer letzten Begegnung hatte er weder zu- noch abgenommen. Sein volles dunkles Haar hatte sich immer noch nicht gelichtet, daher konnte do Velho nach wie vor darauf verzichten, eine Perücke zu tragen, wie es seinem hohen Dienstgrad angemessen gewesen wäre. In seinem breitflächigen Gesicht mit den ebenmäßigen, ausgeprägten Zügen mischten sich Haß und ein Anflug von Verzweiflung.

„Immer noch der große Mime?“ fragte Hasard.

Er führte dem Portugiesen eine Finte vor, auf die dieser prompt hereinfiel. Hasard parierte, zerbrach do Velhos Attacke und scheuchte ihn von dem Pult fort, näher auf die Bleiglasfenster zu. „Sehen Sie, ich verstehe mich auch aufs Schauspielern, Senor“, fuhr der Seewolf fort. „Aber, ganz unter uns, die Furcht in Ihren Augen scheint echt zu sein.“

„Nimm den Mund nicht zu voll“, warnte do Velho. Er schwitzte immer stärker, und seinen Degenhieben begann es an Vehemenz und, Kraft zu mangeln. Wie lange konnte er sich noch halten?

„Senor“, sagte Hasard mit unüberhörbarem Spott. „Ich muß sagen, man hat Ihr Schiff hübsch wiederhergerichtet, nachdem wir uns in der Felsenbucht beschossen haben. Neue Fenster haben Sie einsetzen lassen, damit es in Ihrer Kammer nicht zieht. Das ganze Achterkastell haben Sie reparieren lassen, und sicherlich ist auch die Heckgalerie wieder instandgesetzt. Erstaunlich, wie schnell Ihre Männer das fertiggebracht haben. Aber Sie haben sie zu sehr gefordert. Sie sind müde. Deshalb haben wir euch im Handumdrehen entern können. Senor Comandante – es tut mir leid, aber ich muß Ihr schönes Schiff erneut ramponieren.“

Er führte einen halbkreisförmigen Schlag über do Velhos Kopf weg. Aufstöhnend duckte sich do Velho. Die Klinge des Cutlass’ traf die Fenster. Sie zerbrachen klirrend, und es hagelte Scherben. Wind und Regen strichen in die Kammer. Do Velho stieß seinen Degen auf Hasards Unterleib zu, aber Hasard war auf der Hut. Er tänzelte zurück, blieb stehen, entging dem gemeinen Ausfall und hieb nun seinerseits wieder auf den Gegner ein.

Do Velho wich wieder zurück und kam der Tür nahe, die auf die Heckgalerie hinausführte.

„Wie haben Sie im Land der Buschmänner Ihre Haut gerettet?“ wollte Hasard wissen. „Verraten Sie es mir, Amigo, ich brenne darauf, die Zusammenhänge zu erfahren.“

„Dein Profos hätte besser mit dem Messer zustechen sollen“, stieß do Velho hervor. „Ich war nur am Arm und an der linken Schulter verletzt, ich kam durch. Ignazio schleppte mich bis zum Ufer, als ihr uns ins Wasser warft. Wir krochen an Land.“

„Aber die Buschmänner …“

„Im Laufe der Nacht erschienen nur zwei, offenbar Späher.“

„Der Stamm war durch das Auftreten meiner Männer eingeschüchtert“, gab der Seewolf zurück. „Die Wilden wagten es ja nicht, dem Profos und den dreizehn anderen zu folgen, so nachhaltig war der Eindruck, den sie von der Befreiungsaktion meiner Männer hatten.“

Do Velho wehrte sich mit verbissenem Eifer, konnte aber nichts dagegen tun, daß der Seewolf ihn bis unter den Rahmen der achteren Tür dirigierte.

„Wir überwältigten diese beiden Wilden, wenn du es genau wissen willst!“ rief er Hasard zu.

„Ignazio tat es. Sie waren dazu nicht in der Lage!“

„Also gut – er tat es!“

„Er hat Ihnen mehrfach das Leben gerettet“, sagte Hasard. „Sie müssen ihm ewig dankbar sein.“

„Ja!“ schrie der Kommandant. „Mein Gott, ja! Wir erbeuteten die Waffen der Buschmänner, pirschten am Ufer entlang und konnten später, als Ignazio mich notdürftig verarztet hatte, zur ‚Santa Monica‘ schwimmen. Die brannte inzwischen nicht mehr. Wie wir aufgeentert sind, wie wir die letzte Handvoll Meuterer erledigt haben, weiß ich selbst nicht mehr genau – aber wir schafften es.“

„Und weiter?“

„Ignazio reparierte das Ruder und stellte in zäher Arbeit das Schiff so weit wieder her, daß wir die Bucht verlassen konnten. Am Ufer standen die Buschmänner und drohten zu uns herüber. Sie führten die wildesten Tänze auf, aber sie hatten keine Boote, mit denen sie zu uns gelangen konnten.“

„Euer Glück, Amigo“, erwiderte Hasard. „Aber Sie wollen mir doch wohl nicht erzählen, daß Sie mit der lädierten ‚Santa Monica‘ die Heimreise nach Portugal bewältigt haben.“

„Nein. Die ‚Candia‘ war inzwischen wieder repariert worden und lief auf der Suche nach meinem Verband die False-Bucht am Kap der Guten Hoffnung an. Dort traf sie auf die Karavellen ‚San Julio‘ und ‚Libertad‘, und die Besatzung meines Flaggschiffes erfuhr von den Kapitänen de Hernandez und Santillan, was sich ereignet hatte. Sie lief sofort wieder aus und fahndete nach dem Verbleib der ‚Santa Monica‘ und der ‚Isabella‘, eurem Teufelsschiff. Fast schoß man uns zusammen, als wir uns begegneten – meine Besatzung nahm ja an, es noch mit den Meuterern unter Fernando Sartez zu tun zu haben. Aber ich war inzwischen wieder leidlich genesen und konnte mich verständlich machen. Wir waren gerettet, gingen an Bord der ‚Candia‘ und ließen die ‚Santa Monica‘ an der afrikanischen Küste zurück.“

„So war das also“, sagte der Seewolf. Er focht ununterbrochen weiter, und Lucio do Velhos Abwehr zerbrach an seinen mit Wucht und Können geführten Cutlasshieben. Rückwärts taumelte der Kommandant auf die Heckgalerie seines Schiffes hinaus.

Do Velho stellte zu seinem Entsetzen fest, daß die hölzerne Plattform unter ihrem Gewicht zu schwanken begann. Offenbar hatten die Männer der „Candia“ bei der Instandsetzung dieses Teils des Schiffes doch nicht die nötige Sorgfalt walten lassen.

Hasard schlug den Cutlass unter do Velhos Degen. Do Velho hielt dem Waffendruck unter mörderischem Kraftaufwand stand. Mit gegeneinandergepreßten Waffen standen sie sich gegenüber. Hasard drängte seinen Erzfeind bis an die Balustrade, die unter der Belastung bedrohlich zu ächzen begann.

10.

„Du dreimal verfluchter Sohn einer verwanzten Hafenhure“, sagte Carberry zu Ignazio. Er sagte es auf englisch, weil ihm auf spanisch eine wichtige Vokabel gefehlt hätte, er konnte sich nicht daran erinnern, jedenfalls nicht im Eifer des Gefechts. Dem Mann aus Porto, der des Englischen nicht mächtig war, entging also dieser wichtige Profos-Ausspruch. Aber es sollte nicht der einzige Verlust bleiben. Ignazio war stark, aber er konnte auf die Dauer nicht der Kraft eines Edwin Carberry trotzen – zumal der Profos fast schon wieder zu flüstern begonnen hatte. In diesem Zustand äußerster Wut war Ed dazu imstande, ein ganzes Segelschiff in Alleinarbeit in seine Bestandteile zu zerlegen.

Ja, der Profos war „auf der Palme“. Er hatte genug von Ignazio, genug von do Velho und seiner „Candia“ und wollte dem Konflikt ein Ende setzen.

Noch zweimal krachte der Profos-Schiffshauer gegen Ignazios Säbel, dann war es soweit: Beim letzten gewaltigen Streich zersprang die Klinge des edlen portugiesischen Säbels, auf den der Bootsmann so stolz gewesen war. Ignazio starrte fassungslos auf den Klingenstumpf, den er mit dem Griff und Handkorb der Waffe noch in der Faust hielt. Dann wollte er doch noch mit diesem Stumpf zustoßen, doch Carberry war schneller. Er rammte dem Mann aus Porto die Faust unters Kinn, ganz genau auf den richtigen Punkt. Ignazio hatte das Gefühl, aus den Stiefeln gehoben und durch die Decke katapultiert zu werden, sein Geist entschwebte in bodenlose, alles zudekkende Finsternis.

Carberry sah noch zu, wie Ignazio schlaff an der Gangwand zu Boden sank, dann wandte er sich zu den anderen Kämpfenden um und unterstützte Dan O’Flynn und Batuti gegen die fünf portugiesischen Decksleute. Genauer: Es waren nur noch vier, denn einen hatten Dan und Batuti mittlerweile auf die Planken geschickt.

„Ihr Rübenschweine und Kakerlakenfresser!“ brüllte Carberry die Portugiesen an. Jawohl, er konnte schon wieder brüllen. Bixio, Raoul und die anderen beiden Kerle wichen unwillkürlich einen Schritt zurück – und das nutzten Batuti und O’Flynn sofort aus. Sie schoben sich vor und fochten. Der Profos wurde auch wieder mit seinem Schiffshauer aktiv. Die Gegner verloren gänzlich an Boden und konnten sich jetzt überhaupt nicht mehr halten.

Nach Steuerbord tobte der Kampf, aber dort hatten die Männer der „Candia“ das Achterkastell nur notdürftig ausgebessert, nachdem es von Ferris Tuckers Flaschenbombe aufgefetzt worden war. Aus einigen hastig zusammengezimmerten Planken und großen Stücken Persenning bestand da die Außenhaut.

Batuti hieb Bixio den Säbel aus der Hand, riß die freie Faust hoch und setzte sie dem Burschen in einem Haken gegen die Brust. Bixio torkelte rückwärts, krachte mit dem Rükken gegen die provisorische Verkleidung der Hütte, und die ganze Konstruktion gab nach. Bixio konnte sich nicht halten, obwohl er verzweifelt mit den Armen ruderte. Er stürzte aus der Poop der „Candia“ in die See, und zwar genau in den Zwischenraum, der zwischen der „Isabella“ und dem Viermaster geblieben war. Zwar dümpelten beide Schiffe jetzt fest vertäut ohne Fahrt in den Fluten, aber ihre sich zum Heck hin verjüngenden Achterschiffe ließen eben noch jenen Spalt offen, der Bixio zur Falle wurde.

„Ho!“ rief Carberry. „Grüß dich, alte Lady!“ Er unterlief Raouls Dekkung, drehte sich halb und rammte dem Mann den Ellbogen in den Leib. Raoul bewegte sich ebenfalls rückwärts, auf die Bordwand der „Isabella“ zu, verlor das Gleichgewicht und folgte Bixio. Der Klatscher, mit dem er im Wasser landete, war deutlich zu hören.

Die beiden anderen Portugiesen hatten genug, sie wandten sich ab und ergriffen die Flucht. So schnell sie konnten, turnten sie den Niedergang zum unteren Batteriedeck hinunter. Ihre Schritte polterten auf den Planken.

„Ihnen nach!“ brüllte der Profos. „Laßt sie nicht entwischen!“ Er war noch vor Batuti und Dan am Niedergang, raste ihn hinunter, fiel fast, fing sich aber wieder und stürmte quer über das düstere Batteriedeck.

Er prallte ungefähr auf der Mitte des Decks mit einem Mann zusammen, stieß einen fürchterlichen Fluch aus und riß seinen Schiffshauer hoch, um diesem Kerl den Rest zu geben.

„He“, ertönte in diesem Augenblick eine wohlbekannte Stimme. „Bist du denn wahnsinnig, Ed?“

Carberry tastete nach dem Sprecher und stellte fest, daß dieser mit dem Kerl identisch war, der ihn angerempelt hatte. Carberry zupfte an dem mächtigen Bart herum, der diesem Menschen im Gesicht wucherte, und jetzt bekam er ein paar Flüche zu hören, die er noch nicht in sein Repertoire aufgenommen hatte.

„Mann, hör auf, mir am Bart zu zerren!“ brüllte es in seinen Ohren.

„Bist du’s, Shane?“

„Ja, zum Teufel.“

„Wo sind die beiden Portugiesen?“

„Portugiesen? Ich habe mitgekriegt, daß zwei Kerle durch eine Stückpforte gestiegen und in den Teich gejumpt sind. Vielleicht waren sie das.“

„Ganz sicher sogar“, frohlockte der Profos. „Und wie sieht es im Vordeck aus?“

„Wir haben die Gentlemen allesamt schlafen geschickt — bis auf die natürlich, die getürmt sind. Wir haben auch die Offiziere außer Gefecht gesetzt, denn die haben im Vordeck gepennt, weil das halbe Achterdeck im Moment nicht bewohnbar ist.“

„Es wird auch nie mehr bewohnt werden“, sagte Dan O’Flynn. „Los, wir sehen nach, ob der Seewolf mit do Velho fertiggeworden ist.“

Die Balustrade der Heckgalerie gab nach. Do Velho stieß einen keuchenden Laut des Entsetzens aus, versuchte noch, das Ringen mit dem Seewolf für sich zu entscheiden und Hasard mit dem Degen im Gesicht zu verletzen, aber Hasard wußte auch diesem letzten Stoß zu entgehen.

 

Die Balustrade brach. Do Velho konnte die Balance nicht halten, er stürzte von der hölzernen Plattform und nahm Stücke des gedrechselten Geländers mit. Sein heiserer Aufschrei ging in dem Geräusch unter, mit dem er in der See landete.

Hasard riß seinen Cutlass zu sich heran und tat einen Schritt zurück. Trotzdem mußte er auf der wippenden Plattform noch darum kämpfen, dem portugiesischen Kommandanten nicht zu folgen. Er bewegte die Arme nach hinten, drohte auszugleiten, hatte sich dann aber doch genügend in der Gewalt, um die Schwelle der Tür zur Kapitänskammer zu erreichen.

In diesem Moment stürzten auch seine Männer in den Raum. „Hol’s der Teufel, Hasard“, stieß Big Old Shane hervor. „Wo in aller Welt steckt denn do Velho?“

„Der sieht sich gerade sein Schiff von hinten an“, erklärte Hasard seelenruhig. „Und wie es den Anschein hat, ist die Lage im Vordeck auch entschieden, oder?“

„Ja. Die ‚Candia‘ ist unser“, versetzte der Profos stolz.

Der Seewolf schaute sich um. „Ich lege keinen Wert darauf, dieses Schiff als Prise zu nehmen. Wir sind zu wenige, um es bemannen zu können, außerdem erfordert es viel zuviel Aufwand, das Schiff instandzusetzen.“

„Wir versenken es?“ fragte Dan O’Flynn.

„Ja. Laßt die beiden Beiboote zu Wasser. Wir packen die Bewußtlosen und Verletzten hinein. Die Portugiesen, die in der See schwimmen, werden sich ebenfalls an Bord der Jollen retten. Es wird ein bißchen eng werden für die mehr als vierzig Mann, aber das ist nicht unser Problem.“

„Sir, soll ich vor die Tür zur Pulverkammer der ‚Candia‘ eine von Al Conroys und Ferris Tuckers neu hergestellten Höllenflaschen legen?“ erkundigte sich Carberry grinsend. „Die mit der besonders langen Lunte vielleicht?“

„Ja. Ich schätze, die genügt. Wir können wirklich Material sparen. Wir haben keine Munition vergeudet und brauchen auch die Brandsätze nicht zu opfern. Ehrlich gesagt wären sie mir auch zu schade für den Lumpen do Velho.“

„Fangen wir an“, sagte Carberry. „Wir haben keine Zeit zu verlieren. Verfrachten wir die Dons in die Boote. Sir, ich stelle hiermit den feierlichen Antrag, als letzter die ‚Candia‘ verlassen zu dürfen.“

„Abgelehnt, Ed“, antwortete der Seewolf. „Ich will selbst die Lunte der Flaschenbombe zünden. Das lasse ich mir nicht nehmen.“

„Aye, Sir.“

„Und noch etwas. Wir geben jedem Boot der Portugiesen ein kleines Abschiedsgeschenk mit.“

„Was?“ entrüstete sich der Profos. „Was wollen wir denen denn noch in den Rachen schmeißen – außer einem netten Feuerchen, das ihnen den Hintern wärmt?“

„Zwei Flaschen mit portugiesischem Landwein“, erwiderte Hasard.

Da konnten sich die Männer nicht mehr halten – sie prusteten los. Nur Carberry verzog keine Miene.

„Möchte wissen, was es da zu lachen gibt“, sagte er. „Sollen sich die Rübenschweine von Portugiesen doch besaufen – Befehl ist Befehl.“

Keine zehn Minuten später waren die Vorbereitungen getroffen. Die Beiboote entfernten sich von der „Candia“ und der „Isabella“. Hasard hatte den entwaffneten Portugiesen, die jetzt wieder bei Bewußtsein waren, angedroht, daß sie mit dem Viermaster in die Luft flögen, wenn sie sich nicht schleunigst entfernten.

So pullten die Männer der „Candia“ und lasen nach und nach die Kameraden auf, die es vorgezogen hatten, in die See zu springen, um den Schauplatz des für sie so schimpflichen Geschehens zu verlassen. Lucio do Velho enterte als einer der letzten in die eine Jolle. Er kauerte sich zwischen die dicht an dicht auf den Duchten hockenden Männer. Eisige Stille umgab ihn.

Hasard hatte auf der „Candia“ die Flaschenbombe mit der langen Lunte direkt in der Pulverkammer placiert. Die Tür des Raumes hatte er aufgebrochen. Jetzt, als Old O’Flynn ihm das Zeichen gab, daß die Leinen gelöst wären, zündete der Seewolf die Zündschnur, vergewisserte sich noch, daß sie nicht wieder erlöschen konnte – und lief an Oberdeck. Er hastete über die Kuhl, sprang auf das Schanzkleid der Steuerbordseite und sprang zu seinem Schiff hinüber, das sich langsam von dem Viermaster entfernte.

„Segel setzen!“ schrie Carberry. „Bewegt euch, ihr faulen Brüder! Wir gehen auf Kurs Südwesten und sehen zu, daß wir Abstand von dem Kahn der Dons gewinnen.“

Hasard trat zu Ben Brighton, Shane, Ferris und den anderen, die sich auf dem achteren Teil der Kuhl versammelt hatten.

„Wir werden jetzt ungestört kreuzen können“, sagte er. „Ich glaube nicht, daß die beiden anderen Schiffe des Verbandes uns noch folgen.“

Als knapp eine Kabellänge zwischen der „Isabella“ und dem Flaggschiff do Velhos lag, erfolgte die Explosion. Dröhnend stieg fast der ganze Schiffsleib unter Feuer- und Rauchentwicklung aus den Fluten, wurde zerrissen und in alle Himmelsrichtungen zerstreut. Das Donnern der Detonation rollte über See und glitt über die „Isabella“ und die beiden Boote der sinkenden „Candia“ weg.

Do Velho sah eine bauchige Korbflasche in Ignazios Händen. „Was ist das?“ fragte er kaum hörbar.

„Landwein, Senor“, erwiderte der Bootsmann. „Es scheint ein guter Tropfen zu sein, wir haben die Flasche soeben im Boot entdeckt. Sie scheint zufällig unter die Duchten geraten zu sein.“

„Her damit“, sagte der Kommandant. „Ich brauche dringend einen Schluck Wein, sonst werde ich wahnsinnig.“ Er nahm die Flasche aus Ignazios Händen entgegen, hob sie an die Lippen und trank. Er trank gierig, um zu vergessen.

Die Männer der „Santa Angela“ hatten die Schüsse in der Nacht vernommen. Daraufhin hatten sie der „Sao Joao“ Lichtsignale gegeben. Galardes gelang es, seine Galeone näher an die Karavelle heranzusteuern. Wenig später, als die Kapitäne sich von Bord zu Bord die Frage gestellt hatten, was es mit den Schüssen wohl auf sich haben konnte, gewahrten sie einen Feuerblitz im Südwesten.

Sie hatten nun keinen Zweifel mehr, daß die Explosion von der „Candia“ oder der „Isabella“ herrührte. Aber wer war in die Luft geflogen, wer war der Sieger, wer der Verlierer?

Die ganze Nacht über suchten sie nach ihrem Flaggschiff, fanden es aber nicht. Erst in den späten Morgenstunden des neuen Tages stießen die „Santa Angela“ und die „Sao Joao“ auf die beiden Beiboote der „Candia“, die weit nach Westen abgetrieben waren.

Die vier Dutzend Männer auf den Duchten schienen tot zu sein. Sie regten sich nicht mehr. Als Galardes, Monforte und der Kapitän der „Santa Angela“ sie jedoch an Bord der Schiffe geholt hatten, stellten sie zu ihrer Überraschung fest, daß die Herzen dieser Männer noch schlugen und die komplette Besatzung der „Candia“ überdies auffallend nach Wein roch.

Alvaro Monforte beugte sich über den Kommandanten Lucio do Velho, als dieser am Nachmittag in einer Koje der Kapitänskammer der „Sao Joao“ in die Wirklichkeit zurückkehrte.

„Sie“, hauchte do Velho. „Woher kommen Sie denn, Monforte?“

„Aus dem Jenseits. Die Opfer des Untergangs der ‚Sao Sirio‘ lassen grüßen, Comandante.“

„Allmächtiger …“

„Gott, wie Sie nach Wein stinken, Comandante. Das ist der Gipfel Ihrer Verantwortungslosigkeit.“

„Was reden Sie denn da?“ flüsterte do Velho verwirrt.

„Wir kehren zur Küste zurück, Comandante“, sagte Monforte, ohne auf die Frage einzugehen. „Dort warten in einer Stadt, deren Name jetzt nichts zur Sache tut, mein erster Offizier, mein Decksältester sowie zwei andere Männer der ‚Sao Sirio‘ auf uns. Sie haben eine vierköpfige Bande dem Richter ausgeliefert, und sie werden sich freuen, mit mir zusammen einen weiteren Halunken anzuprangern und dafür zu sorgen, daß er degradiert wird.“

„Aber der Seewolf …“

„Den kriegen wir nicht mehr, Senor. Keiner von uns. Der segelt geradewegs in seine Heimat England zurück. Und, unter uns gesagt, ich finde auch, er hat es verdient, dort wohlbehalten anzukommen …“