Seewölfe Paket 8

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Auf den brennenden spanischen Galeonen hatte das Feuer die Pulverkammern erreicht. Die Schiffe flogen auseinander, regnende Trümmer verdunkelten den Himmel, dann war nur noch das Klatschen zu hören, mit dem Planken, Spieren und Spanten ins Wasser prasselten.

Die überlebenden Spanier hatten es noch geschafft, eine unbeschädigte Pinasse abzufieren.

Auch auf der rasch absackenden „San Cristobal“ arbeiteten Männer in fieberhafter Hast an den Booten. Die Seewölfe ließen sie gewähren. Sollten sich die Überlebenden an die nahe Küste retten. Sie würden auf Rache sinnen und alles tun, um die Scharte auszuwetzen, aber es war nun einmal Hasards Sache nicht, über Wehrlose herzufallen, die keine Chance mehr hatten.

Sein Blick wanderte zu der holländischen Galeone hinüber, die ihnen geholfen hatte.

Er sah den großen, hageren Mann auf dem Achterkastell, der grüßend die Hand hob. Er sah auch den runden, in der Sonne funkelnden Gegenstand auf der Brust des Mannes, eine Art Münze an einer dünnen Kette, und jetzt wußte er plötzlich, mit wem er es zu tun hatte.

3.

Die beiden Galeonen, die der Katastrophe entkommen waren, segelten in Dwarslinie nach Norden und hatten sich einander auf Rufweite genähert, was nicht bedeutete, daß sich die beiden Schiffsführer etwa mündlich verständigten. Ein Capitan seiner Allerkatholischsten Majestät schrie nicht. Das besorgten der Bootsmann auf der „Ysobel“ und der stimmgewaltige Profos der „Princesa Anna“.

„Ich schlage vor, zurück nach Portugalete zu laufen und Verstärkung abzuwarten“, ließ der Capitan der „Ysobel“ wissen.

Der Capitan der „Princesa Anna“ runzelte heftig die Stirn.

„Warum das?“ knurrte er auf spanisch.

„Warum das?“ gab der Profos getreulich weiter.

Weil man sich um die Überlebenden der drei versenkten Galeonen kümmern müsse, wurde geantwortet. Außerdem gelte es, Meldung zu erstatten und dafür zu sorgen, daß die dreckigen Engländer und die holländischen Bastarde verfolgt und in Fetzen geschossen würden. Und dann sei es ja auch nicht unbedingt nötig, ein Risiko einzugehen.

Der Capitan der „Princesa Anna“ zog verächtlich die Mundwinkel herab.

Feigling, dachte er.

Die „Ysobel“ hatte zuerst abgedreht. Das lag zwar nur daran, daß die Mannschaft etwas schneller an den Brassen gewesen war und der Rudergänger besser reagierte, doch darüber legte sich der Capitan der „Princesa Anna“ im Moment keine Rechenschaft ab.

„Wir haben einen Auftrag“, erklärte er mit Würde. „Wir müssen uns beeilen, wenn wir noch rechtzeitig eintreffen wollen. Eine Chance, wie sie uns dieser holländische Bastard verschaffte, als er unter der Folter redete, erhalten wir so schnell nicht wieder.“

Das sah auch der Capitan der „Ysobel“ ein.

Vor allem, da er sich inzwischen ausgerechnet hatte, daß sie nicht die einzigen Jäger waren und daß sie noch vor dem Ziel mit Verstärkung durch einen Verband rechnen konnten, der von Gijón aus unterwegs war. Unter diesen Umständen ließ sich der Verlust der drei Galeonen verschmerzen. Mochten die Überlebenden selber sehen, wie sie die rettende Küste erreichten.

Der Capitan der „Ysobel“ signalisierte sein Einverständnis.

Wenige Minuten später ließ sich die „Princesa Anna“ etwas zurückfallen, und die beiden Schiffe folgten in Kiellinie ihrem Kurs nach Norden.

Heiß brannte die Sonne auf die Klippen vor dem kahlen, nur mit hartem gelbem Gras und etwas Dornengestrüpp bewachsenen Eiland.

Friso Eyck, der flachshaarige holländische Steuermann, kniete am Boden und hatte seinen Arm unter den Kopf des sterbenden Kapitäns geschoben. Mit brennenden Augen starrte er in das fahle, schweißbedeckte Gesicht. Meerens’ Lippen zuckten. Der Steuermann mußte sich tief über ihn beugen, um das heisere Flüstern zu verstehen.

„Marius – du mußt – Marius warnen – ein Boot – ist wenigstens – ein Boot heil geblieben?“

„Die Pinasse.“ Friso Eyck konnte nicht verhindern, daß seine Stimme zitterte. „Wir werden versuchen, van Helder rechtzeitig zu erreichen, das schwöre ich.“

„Gut, Friso – gut – ich dank …“

Mitten im Wort versagte die Stimme.

Kapitän Meerens’ Glieder erschlafften, sein Kopf fiel zur Seite, und über die weit offenen Augen schob sich der stumpfe Schleier des Todes.

Sacht ließ ihn der blonde Steuermann zu Boden gleiten.

„Fahre wohl, Kapitän“, flüsterte er erstickt. „Gott sei deiner Seele …“

„Friso!“

Ein heiserer Aufschrei. Eyck fuhr herum, sprang auf die Füße, sein Blick zuckte zum Wrack der Fleute, die in zwei Teile zerbrochen zwischen den Klippen hing. Aufgeregt winkten die Männer herüber, und während Friso Eyck über die Klippen turnte, sah er bereits, was die Leute alarmiert hatte.

Schiffe!

Spanische Schiffe, wie ihm ein Blick durch das Spektiv zeigte. Von Süden her segelten sie rasch auf. Friso Eyck knirschte in ohnmächtiger Wut mit den Zähnen.

Er wußte, es blieb keine Zeit mehr, sich zu verstecken und den Spaniern vorzuspielen, daß das Wrack verlassen sei. Sie hatten sie gesehen. Stolz und unangreifbar rauschten sie heran, in Kiellinie gestaffelt, und wenig später wurden rasselnd die Stückpforten geöffnet.

Friso Eyck fuhr sich mit der Hand über das flachsblonde Haar.

Einen Augenblick schwankte er vor Erschöpfung, drohten Trauer und Bitternis ihn zu überwältigen. Dann wurde ihm bewußt, daß er jetzt, nach dem Tod des Kapitäns, der ranghöchste Offizier und damit der Kommandant der „Anneke Bouts“ war und die Männer auf seine Entscheidung warteten. Entscheidung! Als ob es noch etwas zu entscheiden gäbe! Sie waren ihren Gegnern hilflos ausgeliefert, sie konnten nur noch versuchen, ihre Haut so teuer wie möglich zu verkaufen.

„Volle Deckung!“ befahl der Steuermann heiser. „Taucht zwischen den Klippen dahinten unter! Sobald die Dons einen Fuß an Land setzen, bereiten wir ihnen einen heißen Empfang!“

„Verdammt! Wir hätten eine Kanone in Stellung bringen sollen oder …“

„Hätten, hätten! In Deckung jetzt!“

Hastig turnten die Männer über die Felsen. Friso Eyck dachte daran, daß es wirklich gut gewesen wäre, sich auf einen Angriff vorzubereiten. Aber da waren Bewußtlose und Verletzte zu bergen gewesen, Wunden zu verbinden, gebrochene Knochen zu schienen – und vielleicht war Kapitän Meerens einfach nicht mehr in der Lage gewesen, an so viele Dinge gleichzeitig zu denken, vielleicht hatte er sich zu sehr an den Gedanken gekrallt, daß sie Marius van Helder warnen mußten, dessen Kurier in die Hände der Spanier gefallen war und unter der Folter geredet hatte.

Friso Eyck duckte sich tief in eine Mulde zwischen den Klippen, als die erste Breitseite donnerte und in das Wrack der „Anneke Bouts“ schlug.

Hilflos mußten die Holländer mit ansehen, wie die Fleute systematisch in Fetzen geschossen wurde. Eyck sah die Trümmer der Pinasse fliegen. Die restlichen Boote waren schon vorher auf den Klippen zerschellt. Von der „Anneke Bouts“ würde nichts übrigbleiben, aus dem man noch einen schwimmfähigen Untersatz bauen konnte, ganz davon abgesehen, daß überhaupt keine Chance bestand, die beiden Galeonen zu überholen.

Eycks Ohren dröhnten, als der Kanonendonner verstummte.

Vorsichtig spähte der Steuermann über die Felsen und wartete darauf, daß Rahen ausschwingen und Boote aufs Wasser klatschen würden. Aber die Männer der „Ysobel“ und „Princesa Anna“ zeigten keine Anstalten, an Land zu gehen. Sie schienen keinen Wert auf Gefangene zu legen – und Friso Eyck wußte genau wie die anderen, was das bedeutete.

„Die Dreckskerle wissen genau, daß wir hier langsam an Hunger und Durst krepieren“, knurrte einer der Fockgasten bitter.

„Na und?“ murmelte der Bootsmann. „Würdest du lieber in einer spanischen Folterkammer sterben?“

Schweigen.

Friso Eyck zog die Schultern hoch, als friere er. Seine blauen Augen brannten, während er den davonziehenden Galeonen nachstarrte.

„Bei Gott, ja“, sagte er mit einer Stimme, die kaum zu verstehen war. „Selbst die Folter kann nicht schlimmer sein, als hier zu sitzen und zu wissen, daß sich die halbe Armada auf die ‚Oranje‘ stürzen wird und wir nichts dagegen tun können.“

Der Vorhang aus Perlenschnüren klirrte.

Drei Männer betraten die Schenke, blieben abwartend stehen und ließen die Augen aufmerksam in die Runde gleiten. Jetzt, am Nachmittag, hielten sich in der „Linterna Roja“ nur zwei schläfrige Betrunkene auf, die den Neuankömmlingen kaum einen Blick widmeten. Lediglich das Mädchen hinter dem niedrigen Schanktisch zuckte zusammen. Miranda Lleones war die siebzehnjährige Tochter des Wirts – und sie würde die Schenke in Zukunft allein führen müssen, wenn sie nicht verhungern wollte.

Mit einer fahrigen Geste strich sie sich das volle schwarze Haar zurück. Ihre Ohrringe klirrten leise.

„Buenos dias, Señores“, flüsterte sie. „Vino?“

„Ja, Wein …“

Die Gäste traten an den Schanktisch. Alle drei trugen die runden Tellermützen der Basken, einfache Kniehosen und dunkle, staubige Umhänge. Das Mädchen blickte in das hagere, zerfurchte Gesicht des kleinsten der Männer. Er war mager, aber breit in den Schultern, von einer sehnigen Zähigkeit, die seiner nicht gerade hünenhaften Gestalt die Ausstrahlung von Kraft gab und sich als granitene Härte in den schwarzen, tiefliegenden Augen spiegelte. Das Mädchen schluckte, griff nach einem Weinkrug und begann, die Becher zu füllen.

„Mein Vater“, murmelte sie, fast ohne die Lippen zu bewegen. „Sie haben ihn verhaftet.“

„Ich weiß, Muchacha“, sagte der kleine Mann ebenso leise. Für einen Moment wurde der Ausdruck seiner Augen fast weich, dann preßten sich die spröden Lippen zusammen. „Sie morden unsere Väter, unsere Brüder, unsere Söhne. Gian wurde gefangen …“

 

„Gian?“ Mirandas Kopf ruckte hoch.

„Still!“ zischte der kleine Mann. Ein Funkeln zuckte in seinen Augen auf und erlosch wieder. „Ja, Gian“, sagte er mit einer Stimme, die vibrierte von der Anstrengung, Schmerz und Wut zu unterdrücken. „Sie haben ihn in die Feste von Portugalete geworfen, schwer verletzt, wie er war. Dort ist auch dein Vater. Dort wird man sie foltern, bis sie tot sind. Oder bis sie Weib und Kind, Vater und Bruder verraten.“

„Mein Vater nicht“, flüsterte Miranda erregt.

„Nein, dein Vater nicht. Und mein Bruder nicht. Und Guzo und Dario auch nicht. Aber sollen wir sie sterben lassen?“

Das Mädchen schluckte.

„Du hast einen Plan, El Vasco?“ flüsterte sie.

„Ja. Und ich brauche deine Hilfe, Muchacha mia. Hör zu …“

Selbst sein Flüstern klang kalt wie Eis, als er erläuterte, was er vorhatte. Miranda wurde bleich. Mit großen, flackernden Augen sah sie von einem zum anderen.

„Aber – die Geusen sind unsere Freunde“, stieß sie hervor. „El Vasco, du kannst doch nicht wirklich …“

„Que va! Willst du, daß sie deinem Vater die Daumenschrauben anlegen?“

„Nein!“ stöhnte Miranda auf. „Nein! Der Herr stehe ihm bei!“

„Der Herr wird ihn nicht vor den Folterknechten bewahren. Er könnte seinem Schöpfer danken, wenn sie ihn nur auf dem Marktplatz von Bilbao hinrichten würden, aber das werden sie nicht. Willst du ihn retten, Miranda, oder sind dir ein paar verdammte Geusen mehr wert als der eigene Vater?“

Das Mädchen senkte den Kopf. Tränen standen in ihren schönen schwarzen Augen.

„Ja“, flüsterte sie. „Ja – ich will ihn retten, El Vasco …“

4.

„Hool weg! – Hoool weg …“

Ferris Tuckers Stimme schallte über das Wasser. Die Rudergasten, die das Beiboot der „Isabella“ zur „Hoek van Holland“ hinüberpullten, zogen die Riemen gleichmäßig und kräftig durchs Wasser. In ihren Gesichtern spiegelten sich deutlich Spannung und Neugier.

Philip Hasard Killigrew saß im Heck des Bootes.

Er fand, daß er dem Kapitän der holländischen Galeone Dank schuldete. Erstens stand noch lange nicht fest, was passiert wäre, wenn die Spanier die „Isabella“ tatsächlich in die Zange genommen hätten, zweitens hatten die Holländer nicht wissen können, welch ungeheuer wirkungsvolle Waffen die Brandsätze waren. Für die „Hoek van Holland“ war es ein tollkühnes Unterfangen gewesen, einem fremden, beschädigten Schiff im verzweifelten Kampf gegen eine erdrückende Übermacht beizustehen.

Hasards Blick glitt über die Männer, die sich am Steuerbordschanzkleid der Galeone drängten.

Harte, verwegene Männer, von Wind und Wetter gebräunt, von der salzigen See zurechtgeschliffen. An dünnen Ketten hingen Münzen um ihren Hals, einige frei auf der Brust, andere unter Jacken und Hemden verborgen. Aber sie alle trugen ihn, jenen legendären „Geusenpfennig“ mit dem Bildnis Philipps des Zweiten auf der Vorderseite und dem Bettelsack auf der Rückseite, dem Abzeichen ihres Freiheitskampfes.

Geusen, Bettler – so hatten die Spanier die holländischen Edelleute genannt, die sich dem Terror nicht beugen wollten.

Geusen nannten sie sich jetzt selbst. Und deshalb lag ein makabrer Doppelsinn in der Aufschrift der Münze: „En tout fidelles au roy – Jusques a porter la besace. Stets treu dem König — bis zum Tragen des Bettelsacks“.

Zu Lande bekämpfte der Geusenbund immer noch zäh und beharrlich die spanische Herrschaft.

Und die Schiffe der Wassergeusen verunsicherten sogar die spanischen Küsten: Vagabunden zur See, die sich keinem Joch beugten, die für ihre Freiheit und ihr Vaterland kämpften, genau wie es die Seewölfe taten. Sie waren aus dem gleichen Holz geschnitzt, die Männer der „Isabella“ und der „Hoek van Holland“. Und das war ein hartes, ein verdammt hartes Holz, an dem sich die Spanier schon mehr als einmal die Zähne ausgebissen hatten.

Hasard enterte als erster auf und schwang sich über das Schanzkleid.

Der Kapitän der „Hoek van Holland“ erwartete ihn an der Jakobsleiter. Ein großer, hagerer Mann, nicht so breitschultrig und stämmig wie die meisten anderen Holländer, die die Seewölfe kannten. Braunes, dichtes Haar kräuselte sich um den schmalen Kopf. Aus dem kühnen Gesicht mit der scharf gebogenen Nase blickten hellwache Augen. Aufmerksam sah er den Seewolf an, dann streckte er lächelnd die Hand aus.

„Willkommen auf der ‚Hoek van Holland‘, Kapitän“, sagte er in akzentfreiem Englisch. „Man nennt mich Jan Joerdans. Ich gratuliere Ihnen und Ihren Männern zu der hervorragenden Aktion. Ohne Ihr Eingreifen wäre es uns kaum gelungen, die ‚San Cristobal‘ zu versenken.“

„Und der Himmel allein weiß, wie es uns ohne Ihre Hilfe ergangen wäre. Mein Name ist Philip Hasard Killigrew. Wir schulden Ihnen Dank, Kapitän Joerdans.“

„Schuldet man einander Dank, wenn man die eigenen Feinde bekämpft? Kein Meergeuse wird je einen Spanier ungeschoren lassen …“ Er stockte, und die klugen braunen Augen verengten sich. „Philip Hasard Killigrew? Ihr seid der Seewolf?“

„So nennt man mich, ja …“

„Dann ist es uns eine doppelte Ehre, Sie und Ihre Männer begrüßen zu können. El Lobo del Mar, den die Spanier wie den Teufel fürchten! Kommen Sie, geben Sie uns die Ehre, einen Becher mit uns zu leeren. Dies ist mein Steuermann, Pieter Ameland. Dies hier Marten Routs, Rogier van de Kerkhove …“

Die Männer schüttelten sich die Hände, machten sich miteinander bekannt. Hier gab es kein Mißtrauen und keine Vorbehalte. Die Seewölfe spürten, daß sie unter Freunden waren, und die Männer mit den glänzenden Abzeichen an der Brust traten ihnen mit der gleichen selbstverständlichen Herzlichkeit entgegen.

Fast eine Stunde blieben Hasard und seine Männer an Bord der „Hoek van Holland“.

Sie sprachen über ihre Ziele, über das Cadiz-Unternehmen, das offenbar alle Aussichten hatte, zur Legende zu werden, über die Frage, ob und wann die spanische Armada England angreifen würde. Jan Joerdans und Philip Hasard Killigrew waren sich einig darüber, daß das Husarenstück auf der Reede von Cadiz die ehrgeizigen Pläne Philipps II. wohl um eine ganze Weile verschieben würde. Nachdenklich blickte der Holländer in sein Glas, in dem dunkelroter andalusischer Wein funkelte.

„Vielleicht ist die Zeit jetzt günstig“, sagte er leise. „Der feige Mord an Wilhelm von Oranien hat die Niederlande gelähmt. Antwerpen ist gefallen, Allessandro Farnese drängt schon lange darauf, die aufständischen Nordprovinzen zurückzuerobern. Jetzt hat sich gezeigt, daß Spanien verwundbar ist. Und es waren schon einmal die Wassergeusen, die den Freiheitskampf entschieden haben.“

Hasard hatte aufmerksam zugehört. Langsam führte er das Glas an die Lippen und nahm einen Schluck.

„Und jetzt?“ fragte er. „Planen die Wassergeusen einen neuen Schlag gegen Spanien?“

Ein schnelles Lächeln huschte über Jan Joerdans’ Gesicht. „Die Wassergeusen haben nie aufgehört, diesen großen Schlag zu planen. Heute sind wir Vagabunden zur See, aber morgen kann sich das schon ändern. Westlich von hier liegt eine Insel, die zu klein und unbedeutend ist, um von den Spaniern angelaufen zu werden. Aber es gibt dort eine Bucht, die ein ausgezeichnetes Versteck bietet. Schon morgen werden wir uns dort mit der ‚Oranje‘ und der ‚Anneke Bouts‘ treffen. Marius van Helder hat immer noch einen Namen, bei dessen Klang das Herz jedes Niederländers höher schlägt. Vielleicht können wir die spanischen Schiffe aus den südlichen Häfen treiben. Vielleicht bedarf es nur dieses Funkens, und wir werden Allessandro Farnese aus dem Land jagen.“

Hasards Augen funkelten. „Wir wünschen euch Glück, Kapitän Joerdans!“

„Ah! Trinken wir darauf! Auf Englands Sieg und die Freiheit der Niederlande!“

Klirrend stießen die Becher aneinander.

Auf der Kuhl nahmen die übrigen Männer die Worte auf, sprangen auf die Füße und schwenkten mit blitzenden Augen gefüllte Mucks und Rumflaschen.

„Auf Englands Sieg! Auf die Freiheit der Niederlande!“

Es dämmerte bereits, als die Seewölfe die „Hoek van Holland“ wieder verließen.

Die „Isabella“ segelte nordwärts davon. Hasard stand auf dem Achterkastell, blickte über das dunkle Wasser und warf einen letzten Blick auf das stolze Geusenschiff, das hoch am Wind nach Westen rauschte.

Er konnte nicht ahnen, wie schnell er Jan Joerdans, den Geusenkapitän, und die „Hoek van Holland“ wiedersehen würde.

Um dieselbe Zeit lag der Viermaster „Oranje“ beigedreht in der Dünung.

Fieberhaft arbeiteten die Männer an Deck – Männer, die ebenfalls den Geusenpfennig um den Hals trugen. Der Sturm hatte sie den achteren Mast gekostet, um den der Schiffszimmermann ohnehin seit einem Treffer beim letzten Gefecht im Kanal voller Mißtrauen herumgeschlichen war. Und dann hatte der Mast, als er außenbords ging und in die tückischen Kreuzseen geriet, das Vorschiff leckgeschlagen. Das Leck war bereits abgedichtet. Aber die Mannschaft mußte einen neuen Mast aufriggen, denn ohne Besan war selbst die stolze „Oranje“ flügellahm.

Marius van Helder stand an der Schmuckbalustrade des Achterkastells und starrte nach Süden.

Sein braunes, kantiges Gesicht wirkte wie aus Stein gemeißelt. Das helle Haar war von Sonne, Salzwasser und Wind weiß gebleicht wie das eines alten Mannes. Van Helder hatte den ganzen langen, harten und ruhmreichen Freiheitskampf mitgemacht. Zwei seiner Brüder waren von Herzog Albas berüchtigtem „Blutrat“ zum Tode verurteilt worden. Vergeblich hatte er mit einer Gruppe tollkühner Verschwörer den Grafen Hoorn zu befreien versucht, war zweimal gefangengenommen und gefoltert worden und nur knapp entkommen. Im Bunde mit Wilhelm von Oranien und den Wassergeusen hatte er Holland, Zeeland und Utrecht von Albas Tyrannei befreit und sich unter den letzten Unbeugsamen befunden, die sich Allessandro Farneses Rückeroberung der Südprovinzen widersetzten – und im Laufe der Zeit war Marius van Helder zu einer fast legendären Gestalt geworden.

Jetzt war er unterwegs, um sich mit jenen Vagabunden zur See zu treffen, die Spanien dreist an seinen eigenen Küsten heimsuchten.

Jan Joerdans mit der „Hoek van Holland“.

Die „Anneke Bouts“ unter Willem Meerens.

Ein verlorener Haufen, ohne Chance gegen den übermächtigen Gegner. Und doch – hatte sich nicht oft genug gezeigt, daß auch wenige entschlossene Männer eine Menge in Bewegung bringen konnten?

Marius van Helder fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn.

Ein versonnenes Lächeln kerbte sich um seine Lippen. In Gedanken segelte er an der Spitze der Wassergeusen durch die grauen Wogen der Nordsee, sah die spanischen Galeonen in den holländischen Häfen brennen, hörte die wilden Geusenlieder, die die Helden des Freiheitskampfes besangen.

„Schiff ho! Schiff genau voraus!“

Die Stimme aus dem Großmars wirkte wie ein Peitschenhieb und riß van Helder jäh aus seinen Gedanken.

Spanier!

Eine der Kriegsgaleonen, von denen er längst schon ahnte, daß sie ihn jagten.

Eine?

Es war ein ganzer Verband, der von Süden heransegelte. Ein Verband, der wußte, was er wollte, der das Wild kannte, das er jagte. Mit einem schmerzlichen Lächeln dachte Marius van Helder an den Mann, der das Wagnis eingegangen war, auf einer spanischen Galeone als Kurier nach Bilbao zu segeln.

Mit einem tiefen Atemzug straffte der Geusenkapitän die Schultern.

„Klar Schiff zum Gefecht!“ hallte seine Stimme über die Decks.

Dabei ahnte er bereits, daß die „Oranje“ am Ende ihrer Reise angelangt war.