Seewölfe Paket 8

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

5.

Mondlicht glänzte auf dem Wasser wie flüssiges Silber.

Der Wind hatte um ein paar Strich gedreht, wehte jetzt genau von Westen und trieb die „Isabella“ auch ohne Marssegel zügig vorwärts. Ferris Tucker, der hünenhafte rothaarige Schiffszimmermann, arbeitete zusammen mit Big Old Shane und Smoky im Schiffsinneren, um eine neue Fockmarsrah zuzurichten. Morgen wollte er sie aufriggen, wenn sie die gefährlichen spanischen Küstengewässer hinter sich gelassen hatten.

Luke Morgan hatte Wache im Großmars. Auf der Kuhl hockten Dan O’Flynn, Bill und der weißhaarige Segelmacher Will Thorne mit den Zwillingen zusammen und erklärten den gebannt lauschenden Jungen in einem Gemisch aus englischen Brocken und Zeichensprache, was es mit den Wassergeusen auf sich hatte. Hasard betrachtete nachdenklich die glänzenden Augen und angespannten Gesichter seiner Söhne. Ihre leichtsinnige Eskapade im Sturm war durchaus nicht vergessen worden. Dan O’Flynn, der Onkel der beiden, mußte ihnen eine sehr nachdrückliche Predigt gehalten haben. Der Kutscher wußte von einer tadellos aufgeklarten Kombüse zu berichten, was ihm eine echte Hilfe gewesen war, da die gesamte Crew auf diese Weise nach den Strapazen des Sturms und des Gefechts viel schneller zu der wohlverdienten heißen Mahlzeit kam, und Hasard hatte es dabei belassen.

Die beiden Jungen lernten schnell.

Vielleicht lag es daran, daß sie unter Gauklern und Artisten gelebt hatten – ein freies, ungebundenes Leben, das dennoch die Notwendigkeit strikter Disziplin kannte. Hasard machte sich klar, daß er im Grunde immer noch sehr wenig von seinen Söhnen wußte. Es mußten abenteuerliche Umstände gewesen sein, die sie aus dem Palast des syrischen Scheichs zu der Gauklertruppe verschlagen, die sie schließlich bis nach Tanger geführt hatten.

Luke Morgans Stimme aus dem Großmars unterbrach seine Gedanken.

„Land ho! Klippen Steuerbord voraus!“

Der Seewolf enterte ein Stück in die Besanwanten und zog das Spektiv auseinander.

Tatsächlich hoben sich Steuerbord voraus im silbern überglänzten Wasser ein paar schwarze Buckel ab. Eine winzige, vermutlich unbewohnte Insel mit ein paar vorgelagerten Klippen. Hasard wollte das Spektiv absetzen – da entdeckte er die weißen Flecken auf den dunklen Felsen und erkannte ein paar Sekunden später, daß es sich um zerfetzte Segel handelte.

„Deck!“ rief Luke Morgan. „Da liegt ein Wrack, eine Fleute, glaube ich. Muß beim Sturm auf die Klippen geschleudert worden sein.“

Hasard runzelte die Stirn.

Eine Fleute – das war ein holländisches Schiff. Hatte Jan Joerdans nicht davon gesprochen, daß er sich auf jener Insel mit einer Fleute treffen wollte, der „Anneke Bouts“? Der Seewolf zögerte einen Moment, dann ließ er den Kieker sinken.

„Abfallen!“ befahl er. „Wir gehen etwas näher heran. Gei auf Blinde und Großsegel! Blacky – ab auf die Back, Tiefe loten!“

Unter Fock und Besan pirschte sich die „Isabella“ näher an die gefährlichen Untiefen heran.

Minuten später war das Bild der Verwüstung auf den Klippen deutlich zu erkennen. Und im Mondlicht konnten die Seewölfe sogar den Namenszug auf einem Teil des zerfetzten Bugs entziffern.

„Anneke Bouts“!

Die Fleute des Geusenkapitäns Willem Meerens. Hasard kniff die Augen zusammen, und neben ihm bestätigte Ben Brightons ruhige Stimme, was auch der Seewolf im selben Moment entdeckt hatte.

„Die sind nicht nur auf die Klippe gebrummt. Da muß hinterher noch jemand systematisch das Wrack in Fetzen geschossen haben.“

„Und hat vermutlich die Überlebenden gefangengenommen“, sagte Hasard grimmig. „Trotzdem sollten wir nachsehen, ob sich noch jemand auf der Insel herumtreibt.“ Er straffte die Schultern und warf das Haar zurück. „Fier weg Fock und Besan! Klar bei Jolle! Fallen Anker!“

Fünf Minuten später schwoite die „Isabella“ um die Trosse.

Hasard ließ zusätzlich einen Heckanker ausbringen, damit Wind und Strömung das Schiff hier in der Nähe der Klippen nicht herumdrücken konnten. Schnell und exakt wurde das Beiboot abgefiert. Der Seewolf wandte sich Ben Brighton zu.

„Laß vorsichtshalber eine Bugdrehbasse bemannen. Aber keine übereilten Aktionen. Wenn es hier noch Überlebende gibt, kann man es ihnen nicht verübeln, wenn sie erst mal nervös reagieren.“

„Aye, aye, Sir.“

„Dann los! Sten, Matt, Carberry, Blacky und Smoky!“

Die Angesprochenen enterten über die Jakobsleiter ab. Hasard folgte ihnen und schwang sich auf die Ducht der kleinen Jolle. Neben ihm schob Matt Davies die stählerne Hakenprothese um den Riemen, die ihm die rechte Hand ersetzte. Und sie ersetzte sie ihm sehr gut: Es gab keine seemännische Arbeit, die Matt mit dieser Prothese nicht bewältigen konnte, und vor einem Kampf pflegte er mit Liebe und Sorgfalt den Stahlhaken zu schleifen, bis er zu einer wahrhaft mörderischen Waffe wurde.

Das Wasser plätscherte.

Zu Carberrys gedämpftem „Hol weg!“ legten sich die Männer in die Riemen, im Bug kauerte der blonde Schwede Stenmark und lotete, damit sich die Jolle nicht an einem Felsen den Bauch aufschlitzte. Die Klippen rückten näher. Überall lagen Trümmer verstreut. In der Mulde zwischen zwei mächtigen rundgewaschenen Blöcken entdeckte Hasard die Reste verkohlten Treibholzes, über denen die Luft leicht flimmerte.

Vor nicht allzu langer Zeit hatte dort noch ein Feuer gebrannt.

Also gab es Überlebende. Jetzt waren sie in volle Deckung gegangen – kein Wunder nach dem, was ihnen geschehen war. Vorbeisegelnde Galeonen mußten das Wrack und die Klippen mit einem mörderischen Feuerhagel eingedeckt haben. Hasard fragte sich, warum die Spanier nicht versucht hatten, die überlebenden Geusen gefangenzunehmen, doch er kam nicht dazu, lange darüber nachzudenken.

Jäh sah er eine Bewegung zwischen den Klippen.

Grelle Feuerblumen flammten in der Dunkelheit auf, und im nächsten Moment zitterte die Luft vom Krachen der Musketen und Arkebusen.

Drei weitere Galeonen waren zu der „Ysobel“ und der „Princesa Anna“ gestoßen.

Die „Maria de Navarra“ hatte die Führung übernommen. Capitan Juan Mendez stand an der Schmuckbalustrade des Achterkastells, hatte das Spektiv an die Augen gehoben und spähte nach Norden.

„Caramba!“ knirschte er. „Das ist nicht die ‚Oranje‘, zum Teufel!“

„Wieso nicht, Capitan?“ fragte der muskulöse, im Denken etwas schwerfällige Steuermann.

„Die ‚Oranje‘ ist ein Viermaster. Die da vorn führen nur drei Masten.“

„Caramba!“ schloß sich der Steuermann der Meinung seines Kapitäns an.

Juan Mendez’ Augen verengten sich zu schmalen, wutglänzenden Schlitzen.

Enttäuschung ließ seine Zähne aufeinanderknirschen. Er hatte sich in Gedanken schon den Orden an die Brust geheftet, den man ihm zweifellos verleihen würde, wenn es ihm gelang, Marius van Helder gefangenzunehmen. Die verdammten Geusen, diese Bastarde, die die Bezeichnung „Bettler“ wie einen Ehrennamen trugen, planten etwas. Und vor allem stellten die Wassergeusen immer noch einen Machtfaktor dar, der sich Allessandro Farneses ehrgeizigen Eroberungsplänen in den Weg stellte. Marius van Helder gehörte zu den führenden Köpfen der niederländischen Rebellen und Ketzer. Er wußte über alles Bescheid. In den Folterkammern der Festung von Bilbao würde er über kurz oder lang sein Wissen preisgeben, das stand für Juan Mendez so fest wie der Felsen von Gibraltar.

Nur, daß das Schiff dort voraus eben nicht die „Oranje“ war, sondern irgendein verdammter Dreimaster.

Mendez fuhr sich ungeschickt mit der Hand durchs Gesicht und biß auf das gezwirbelte Ende seines Schnurrbarts, als er erneut die Zähne zusammenpreßte. Er fluchte – lästerlich und sehr leise. Letzteres, weil sich Fluchen für einen Capitan Seiner Allerkatholischsten Majestät natürlich nicht gehörte.

Zehn Minuten später vergaß er das Fluchen und grinste breit.

Da nämlich meldete der Ausguck im Großmars eine Beobachtung, die schlagartig die gute Laune wiederherstellte.

Das Schiff, das sie genau voraus gesichtet hatten, war die „Oranje“. Ihr Besanmast fehlte. Er bestand nur noch aus einem zersplitterten Stumpf – ein Mißgeschick, das ihr vermutlich bei dem knüppelharten Sturm zugestoßen war.

Marius van Helder mußte nicht nur gegen eine erdrückende Übermacht kämpfen, er mußte auch noch mit einem Schiff ins Gefecht gehen, das keine Höhe mehr laufen konnte.

Capitan Mendez lächelte.

Es war ein Lächeln von so bösem Triumph, daß selbst sein dickfelliger Steuermann unbehaglich die Schultern rollte.

Im Beiboot der „Isabella“ reagierten die Rudergasten schneller, als Hasard ein Kommando hätte geben können.

Die Backbordriemen flogen hoch. Die Steuerbordriemen wurden einmal mit voller Kraft durchgezogen – und die Jolle drehte mit fast elegantem Schwung aus der Gefahrenzone.

Kugeln klatschten wirkungslos ins Wasser.

„Pullt, ihr Affenärsche!“ zischte Edwin Carberry durch die Zähne. „Pullt, oder der Teufel holt euch lotweise, ihr lahmen Rübenschweine, ihr vom Klabautermann mit einer triefäugigen Gewitterziege gezeugten Salzheringe, ihr von einem räudigen Esel im Linksgalopp …“

„Na, na, na“, sagte Hasard, während das Boot in die Deckung einer Klippe glitt.

Der Profos kriegte rote Ohren, als ihm bewußt wurde, daß er seinen mitpullenden Kapitän soeben als Affenarsch, Rübenschwein und Nachkommen eines wenig ehrenwerten Großelternpaars bezeichnet hatte. Hasard grinste flüchtig, aber er wurde sofort wieder ernst.

Die Schüsse waren verstummt.

Zwischen den Klippen herrschte jetzt verstohlene Bewegung. Wenn die Männer dort drüben geschickt ihre Position wechselten, konnten sie die Jolle leicht in Fetzen schießen, also wurde es Zeit, das Mißverständnis aufzuklären.

 

Hasard richtete sich auf und legte die Hände als Schalltrichter an den Mund.

„Kapitän Meerens!“ rief er. „Lassen Sie das Feuer einstellen! Wir sind Freunde!“

Stille.

Zwei, drei Sekunden lang – dann erläuterte eine Stimme, die rauh vor Verbitterung und Wut klang.

„Den Teufel werden wir! Kapitän Meerens ist tot, und die Geusen haben hier keine Freunde.“

„Ich bin Philip Hasard Killigrew …“

„Und ich bin Friso Eyck, du heuchlerischer Bastard! Ich habe schon mehr Spanier gefressen, als du Haare auf dem Kopf hast! Ich habe gegen den blutigen Alba und gegen Requesens gekämpft, ich war dabei, als wir euch bei Leyden zu Paaren trieben und …“

„Mann, redet der kariert“, murmelte Stenmark.

„Wir sind Engländer!“ rief Hasard. „Wir haben heute mittag drei spanische Galeonen versenkt und in Cadiz ein paar Galeeren zerschossen, aber bestimmt nicht Leyden belagert.“ Ein amüsiertes Lächeln zuckte um seine Mundwinkel. „Außerdem soll ich euch einen Gruß von Jan Joerdans ausrichten. Er erwartet euch und Marius van Helder auf einer Insel südwestlich von hier.“

Diesmal dauerte das Schweigen länger.

Stimmen flüsterten durcheinander. Dann meldete sich wieder der Mann mit dem Namen Friso Eyck.

„Wenn du wirklich Engländer bist, dann komm an Land! Allein und ohne Waffen!“

Carberry schnaufte. „Der hat wohl Kakerlaken im Hirn, der …“

„Einverstanden!“ rief Hasard. „Ich komme!“

Carberry öffnete den Mund und klappte ihn wieder zu, als er einen Blick aus den eisblauen Augen des Seewolfs auffing. Statt zu protestieren, dirigierte der Profos das Boot etwas näher an die Landzunge, und Hasard konnte trockenen Fußes auf die Klippen hinüberspringen.

Er warf Carberry den Radschloß-Drehling und die sächsische Reiterpistole zu, ließ aber den Degen in der Scheide. Mit wenigen Schritten erreichte er einen scharfen Gesteinsgrat, glitt auf der anderen Seite die Schräge hinunter und turnte noch ein paar Schritte über Geröll und Schiffstrümmer, um zu zeigen, daß er tatsächlich allein war.

„Hier herüber!“ forderte eine Stimme hinter einem hochragenden Felsblock.

Hasard ging achselzuckend weiter. Er umrundete die Klippe, blieb am Rand einer flachen Steinplatte stehen, und dort erwartete ihn ein halbes Dutzend Männer mit schußbereiten Musketen und Arkebusen.

Zwei trugen blutige Kopfverbände, einer hatte offenbar den Arm gebrochen. Voll kampffähig waren nur noch drei – und deren Gesichter verrieten die verzweifelte Entschlossenheit, sich notfalls bis zum letzten Blutstropfen zu wehren.

Sie starrten auf den großen, schwarzhaarigen Mann mit den eisblauen Augen und der Narbe im braungebrannten, verwegenen Gesicht.

„Friso!“ zischte einer der Verletzten.

Der breitschultrige, flachshaarige Bursche, den der Seewolf für den Anführer hielt, wandte sich halb um. Der Mann mit dem Kopfverband redete rasch und erregt auf holländisch. Vorhin, wurde Hasard bewußt, hatten die Geusen auf englisch geantwortet, obwohl sie die Männer im Boot doch angeblich für Spanier hielten. Als der flachshaarige Friso Eyck wieder das Wort ergriff, benutzte er die gleiche Sprache.

„Er glaubt, dich zu kennen“, sagte er langsam. „Er meint, daß auf dich alles zutrifft, was man sich über El Lobo del Mar, den Seewolf, erzählt.“

„Stimmt“, sagte Hasard trocken.

„Dann bist du …“

„Philip Hasard Killigrew, Kapitän der ‚Isabella VIII.‘. Es ist keine zwei Stunden her, daß ich mit Jan Joerdans auf England und die Freiheit der Niederlande getrunken habe. Er wartet auf die ‚Anneke Bouts‘. Aber wie ich sehe, wird er vergeblich warten.“

„Wir sind im Sturm gescheitert“, sagte der Blonde durch die Zähne. „Kapitän Meerens ist tot.“

„Sie haben das Kommando übernommen?“

„Ja …“ Friso Eyck biß sich auf die Lippen. „Ich – ich glaube Ihnen. Tut mir leid, daß wir auf euch geschossen haben.“

„Wir hatten ohnehin nicht erwartet, daß ihr in der Stimmung sein würdet, irgend jemanden mit offenen Armen zu empfangen. Ich lasse ein Boot herüberkommen, das euch aufnimmt.“

Der blonde Holländer nickte nur.

Eine Viertelstunde später enterte er mit seinen wenigen Männern die Jakobsleiter an der Steuerbordseite der „Isabella“ hoch. Während der Überfahrt hatten sie verwirrt und verbissen gewirkt, hatten geschwiegen, weil sie wohl noch Zeit brauchten, den Schock der Ereignisse zu überwinden. Jetzt, als sie sich auf die Kuhl schwangen, wo fast die vollzählige Crew versammelt war, malte sich Verwunderung in den Gesichtern der Geusen, und Hasard lächelte in sich hinein.

Es war ja auch kein ganz alltägliches Bild, das sich den Fremden bot.

Nicht nur, daß die „Isabella“ mit dem schlanken Rumpf und den überlangen Masten an sich schon ein ungewöhnliches Schiff war. Da schaukelten auch noch zwei siebenjährige Jungs auf den Webleinen des Steuerbordhauptwants, seemännisch gekleidet und mit kleinen Entermessern an den Gürteln. Da hockte neben ihnen ein leibhaftiger Schimpanse und keckerte, als wolle er gegen den ungewohnten Umtrieb protestieren. Und hoch oben aus den Toppen löste sich ein bunter Schatten, entpuppte sich als prächtiger Ara-Papagei und ließ sich auf der breiten Schulter des Profos nieder.

„An die Brassen und Fallen!“ kreischte Sir John. „Hopp-hopp, ihr Rübenschweine! Gebt den Dons Zunder. Hopp-hopp!“

Friso Eyck grinste.

Er konnte nicht anders. Ein Papagei, der auf englisch gegen die Spanier wetterte, das war wohl der schlagendste Beweis dafür, daß sich die Überlebenden der „Anneke Bouts“ hier unter Freunden befanden.

Hasard ließ eine Ration Rum ausgeben und wies den Kutscher an, sich um die Verletzten zu kümmern.

Wenig später saßen sie in der Kapitänskammer zusammen: der Seewolf, Ben Brighton und Big Old Shane, die beiden O’Flynns, Friso Eyck und ein langer, schweigsamer Seeländer mit Namen Johan Barend. Hasard wußte inzwischen genauer, was der Fleute zugestoßen war. In knappen Worten berichtete er von seinem eigenen Zusammentreffen mit Jan Joerdans, der die „Anneke Bouts“ und die „Oranje“ auf der Insel erwartete. Bei der Erwähnung der „Oranje“ verhärtete sich Friso Eycks Gesicht, und seine Zähne knirschten aufeinander.

„Marius van Helder wurde verraten“, sagte er heiser. „Wir hatten zufällig davon erfahren und wollten ihn warnen. Die ‚Oranje‘ muß in der Nähe sein. Und das wußten auch die Spanier, deshalb begnügten sie sich damit, uns auch noch die Pinasse und die letzten heilen Planken in Fetzen zu schießen.“

„Zwei spanische Galeonen? ‚Princesa Anna‘ und ‚Ysobel‘?“

„Inzwischen werden es mehr sein“, sagte Eyck erbittert. „Auf Marius van Helder sind die Spanier fast genauso wütend wie auf El Lobo del Mar.“

„Und die ‚Oranje‘ kommt von Norden?“

„Sie wollte von der Bretagne quer durch den Golf segeln. Aber der Sturm dürfte sie nach Osten verschlagen haben, genau wie uns.“

„Dann werden wir ihr ohnehin begegnen“, stellte Ben Brighton fest. „Und den verdammten Spaniern ebenfalls! Überholen können wir den Verband nicht, aber …“

Er schwieg abrupt.

Auch die anderen hoben ruckartig die Köpfe. Fern, aber deutlich rollte Kanonendonner über die See, und Friso Eyck wurde bleich bis in die Lippen.

„Die ‚Oranje‘!“ flüsterte er. „Van Helder ist verloren!“

6.

Wie Raubvögel stießen die fünf spanischen Galeonen auf ihre Beute zu.

Die „Oranje“ hatte jeden Fetzen Tuch gesetzt, aber ohne Besan konnte sie nicht hoch genug an den Wind gehen, um die tödliche Umklammerung zu sprengen und die Gegner aus der Luvposition zu nehmen. Aus demselben Grund gab es auch keine Chance zum Ausweichen. Die „Oranje“ hätte sich schon platt vor den Wind legen müssen – und der Wind wehte von Westen, so daß die Flucht sehr schnell vor der französischen Küste zu Ende gewesen wäre.

Marius van Helder blieb nur eine Wahl: sich zu stellen und kämpfend unterzugehen.

Er ließ anluven: ein schwerfälliges Manöver, aber es würde ihm später gestatten, blitzschnell nach Süden abzufallen, wo nur zwei Gegner heranrauschten. Die Culverinen und Drehbassen der „Oranje“ waren feuerbereit, die Männer verharrten in grimmiger Spannung. Van Helder stand auf dem Achterkastell, die Hände so hart um die Schmuckbalustrade gelegt, daß die Knöchel hervortraten. Seine Augen hatten die Farbe von grauem Granit, und in seinem versteinerten Gesicht zuckte kein Muskel.

Die „Ysobel“ eröffnete das Gefecht.

Etwas zu früh – die Kugel, die heranjaulte, klatschte wirkungslos ins Wasser. Van Helder wartete. Er hatte nicht viel auszuteilen, aber er wollte seine Haut so teuer wie möglich verkaufen.

„Bugdrehbassen Feuer!“ befahl er Sekunden später.

Die Drehbassen in ihren Gabellafetten wummerten.

Kugeln schlugen in Blinde und Bugspriet der heranrauschenden „Ysobel“. Jetzt war sie fast auf gleicher Höhe mit der „Oranje“ – und blitzartig ließ Marius van Helder abfallen.

Die Breitseite der „Ysobel“ richtete keinen Schaden an. Schwerfällig ging die „Oranje“ wieder an den Wind, aber der Capitan der „Ysobel“ reagierte noch schwerfälliger, weil er die Überraschung nicht so schnell verdauen konnte.

„Steuerbordkanonen Feuer!“ rief Marius van Helder.

Donnernd entluden sich die schweren Geschütze. Zwölf siebzehnpfündige Eisenkugeln zerfetzten die Bordwand der „Ysobel“ in Höhe der Wasserlinie. An Deck herrschte Zustand. Kein Zweifel, daß die Galeone binnen Minuten in die Tiefe fahren würde, aber die „Oranje“ konnte auch das nicht mehr retten.

Die sinkende „Ysobel“ behinderte die beiden in ihrem Kielwasser segelnden Galeonen und gab den Geusen eine Galgenfrist, um die Steuerbordgeschütze wieder zu laden. An Backbord schoben sich die „Princesa Anna“ und die „Maria de Navarra“ heran. Immer noch hämmerten die Bugdrehbassen der „Oranje“, um den Gegnern mit dem gehackten Blei die Takelage zu zerfetzen. Aber die Spanier revanchierten sich, die Blinde der „Oranje“ ging in Fetzen – und jetzt lag die „Maria de Navarra“ genau querab.

„Backbordkanonen Feuer!“

Ein ohrenbetäubender Krach, als sich zwei Breitseiten gleichzeitig entluden.

Der „Maria de Navarra“ wurde das Vorkastell zertrümmert, der Fockmast neigte sich knirschend und krachte mitsamt dem Rigg auf das Schanzkleid. Aber auch die „Oranje“ hatte es erwischt. Sie schüttelte sich, dröhnte und vibrierte in ihren Verbänden – und fast augenblicklich konnte van Helder das unheimliche Gurgeln und Ziehen aus dem Schiffsbauch hören.

„Wassereinbruch mittschiffs!“ schrie eine Stimme.

„Wasser im Vorschiff!“ tönte es gellend von der Back.

„Steuerbordkanonen Feuer!“

Marius van Helders Stimme klirrte wie brechender Stahl.

Es war sinnlos, die Männer noch an die Pumpen zu scheuchen. Die „Oranje“ hatte den Todesstoß erhalten, daran ließ sich nichts mehr ändern. Aber zwischen sie und die rasch absackende „Ysobel“ hatte sich eine der spanischen Galeonen geschoben – und die empfing jetzt noch eine volle Breitseite.

Die Kugeln zerfetzten nur das Rigg, da die „Oranje“ nach Backbord krängte. Van Helder kniff die Augen zusammen. Die „Maria de Navarra“ war aus dem Kurs gelaufen. Jetzt geriet sie bedrohlich nah an den zerschossenen Viermaster heran, und der Capitan fuchtelte wild mit den Armen, weil er ahnte, was dieser rasende Teufel von einem Geusenkapitän als nächstes tun würde.

Da kam es auch schon.

„Abfallen!“ rief Marius van Helder. „Wir gehen längsseits und entern!“

Geschrei brandete auf.

Ein wildes, triumphierendes Geschrei, das sich mit dem Klirren der Waffen und dem Knirschen der umschlagenden Rahen mischte. Die „Oranje“ fiel ab, wie eine Woge stürzten Männer mit Beilen, Entermessern und Handspaken ans Backbordschanzkleid. Sie wußten, daß sie keine Chance hatten. Aber sie würden entern und kämpfen, dort drüben auf der „Maria de Navarra“ die Hölle loslassen und die Spanier noch einmal das Fürchten lehren.

Marius van Helder war der erste, der auf die Kuhl der feindlichen Galeone setzte.

Wie eine Sturzflut folgten ihm die anderen – verzweifelte Männer, die nichts mehr zu verlieren hatten. Ein mörderischer Kampf entbrannte, ein Kampf, den die Geusen mit dem wilden, bedenkenlosen Mut der Todgeweihten führten, doch es dauerte nur wenige Minuten, bis die restlichen Spanier ihren bedrängten Landsleuten zur Hilfe eilten.

 

Von zwei Seiten flogen Enterhaken.

Die Kuhl, die die Geusen im ersten Ansturm fast leergefegt hatten, wurde überrannt. Schreie gellten, Männer brachen zusammen.

Marius van Helder schlug verbissen um sich und stürzte sich ins dickste Getümmel. Er wollte nicht lebend in die Hände seiner Gegner fallen, aber er hätte sich schon in seinen eigenen Degen stürzen müssen, da die Spanier ihn unter allen Umständen lebend haben wollten.

Das Ende kam, als er einen riesigen Krummsäbel mit der Parierstange des Degens abfing und gleichzeitig von einer Spake getroffen wurde, die ihm das Handgelenk brach.

Er taumelte.

Urgewalten rissen ihm den Degen aus den Fingern, er fiel vornüber. Ein wilder Aufschrei entrang sich seiner Kehle, als die gebrochene Hand unter seinem eigenen Körper begraben wurde, und für einen Augenblick hüllte der Schmerz ihn ein wie eine feurige Lohe.

Dann fühlte er nur noch einen harten Schlag an der Schläfe, und sein Bewußtsein versank in einem Strudel wohltuender, empfindungsloser Schwärze.

Die „Isabella“ erschien zu spät.

Längst war der Kanonendonner verstummt, bevor sie auch nur eine Mastspitze von den kämpfenden Schiffen sichteten. Als sie den Schauplatz des Gefechts erreichten, trieben nur noch ein paar Trümmer in der grauen Dünung des Atlantik.

Friso Eyck und seine Mannen standen mit versteinerten Gesichtern am Schanzkleid und starrten über das Wasser.

Hasard konnte sich vorstellen, wie ihnen zumute war. Der Crew ging es genauso, selbst die sonst immer munteren Zwillinge spürten die lastende Stille und drängten sich unbehaglich aneinander. Die „Oranje“ war in die Tiefe gefahren, daran gab es keinen Zweifel. Aber der Gefechtslärm hatte den Seewölfen verraten, daß sie sich lange und zäh zur Wehr gesetzt hatte. Zwischen den anderen Trümmern tanzte ein großes hölzernes Kreuz auf den Wellen – Zeichen dafür, daß die spanischen Galeonen zumindest nicht heil aus dem Kampf hervorgegangen waren.

Friso Eyck fuhr sich mit der Hand über die Augen.

Ruckartig wandte er sich ab – und im selben Moment klang Bills helle Stimme aus dem Großmars.

„Deck! Verwundeter Mann querab Steuerbord!“

Mit drei Schritten stand Hasard am Schanzkleid des Achterkastells.

Sein Blick suchte die graue, bewegte Wasserfläche ab, dann entdeckte auch er den blondhaarigen Mann, der jetzt mit einer matten Bewegung zu ihnen herüberwinkte. Er hatte sich auf ein zerfetztes Querschott gezogen. Blut lief von der Schulter her an seinem Arm herunter, ein Schnitt klaffte an seiner Stirn. Aber die Verletzungen konnten nicht allzu schwer sein, denn er brachte es noch fertig, sich auf dem schwankenden Schott hochzustemmen und den gesunden Arm zu schwenken.

„Es ist Henk!“ schrie einer der Geusen. „Henk Bakker!“

„Klar bei Jolle!“ befahl Hasard knapp. „Backbrassen, die Fahrt aus dem Schiff!“

Das Boot wurde ausgeschwenkt und abgefiert. Hasard wollte nicht riskieren, den Mann über die Jakobsleiter aufzunehmen: Er war verletzt, und in der Dünung konnte es nur zu leicht passieren, daß er sich den Kopf an der Bordwand einschlug. Friso Eyck enterte selbst ab, zusammen mit Stenmark und dem rothaarigen Ferris Tucker, und Minuten später hatten sie den Verletzten geborgen.

Der hünenhafte Schiffszimmermann grinste matt, als er den Mann an Deck hievte. Der Holländer war zusammengebrochen und hatte das Bewußtsein verloren: die unausweichliche Reaktion auf alles, was hinter ihm lag. Aber er kam rasch wieder zu sich, stemmte sich taumelnd hoch und starrte aus flakkernden Augen die Männer an, die ihn umstanden.

An dem flachshaarigen Steuermann der „Anneke Bouts“ blieb sein Blick hängen.

„Friso?“ murmelte er. „Friso Eyck?“

„Ja, Henk. Wir sind unter Freunden, Engländern. Dies ist das Schiff Philip Hasard Killigrews, des Seewolfs.“

„Aber – eure ‚Anneke‘ – Meerens …“

„Kapitän Meerens ist tot. Wir liefen im Sturm auf ein Riff, und die Engländer halfen uns. Was ist geschehen, Henk? Was ist mit van Helder?“

Einen Moment schien der Blick des Verwundeten durch alles hindurchzugehen. Seine Lippen zuckten, die Kiefermuskeln traten wie Stränge hervor.

„Fünf spanische Galeonen“, stieß er hervor. „Und wir hatten im Sturm den Besanmast verloren. Einen der Dons konnten wir auf Tiefe schicken, und die anderen wissen jetzt auch, wer die Meergeusen sind.“ Er biß die Zähne zusammen und sog scharf die Luft ein. „Es waren zu viele. Die ‚Oranje‘ sank. Einen der Spanier haben wir noch geentert. Ich schwöre dir, Friso, da sind die Fetzen geflogen. Marius hat allein sechs oder sieben von den Kerlen niedergeschlagen, bevor er gefangengenommen wurde.“

„Er ist gefangen? Er lebt?“ Scharf und atemlos stieß der blonde Steuermann die Frage hervor, und in seine Augen trat jäh ein Hoffnungsschimmer.

„Ja, er lebt, das weiß ich genau. Er und sechs oder sieben andere. Ich war ein Stück ins Steuerbordhauptwant geklettert, um da einen Don herunterzuholen, der Marius von oben in den Nacken springen wollte, aber Marius nutzte es nichts mehr. Die letzten von uns gingen mit fliegenden Fahnen unter. Ich war als einziger noch bei Bewußtsein, und sie hatten mich nicht bemerkt. Da bin ich außenbords gesprungen …“

Er verstummte abrupt.

Ein langes Schweigen folgte seinen Worten. Friso Eyck hatte die Hände geballt, und in seinen blauen Augen brannte ein wildes Feuer.

„Wir holen ihn heraus“, flüsterte er. „Wir werden Marius van Helder befreien. Jan Joerdans ist noch da. Wir haben noch die ‚Hoek van Holland‘ …“

„Und wie willst du sie erreichen? Schwimmend?“

„Auf dem abgerissenen Schott, wenn es sein muß! Ich schwöre dir …“

„Ich schlage vor, daß Sie die Planken der ‚Isabella‘ vorziehen“, sagte Hasard trocken. „Die ist nämlich schneller als das Schott. Und viel Zeit wird Ihnen nicht bleiben.“

Friso Eyck wandte sich um. Seine hellen Augen brannten.

„Das – wollen Sie wirklich für uns tun?“ fragte er leise.

„Ja“, sagte Hasard nur. „Wir schulden den Geusen etwas.“

Dabei wanderte sein Blick nach Süden, wo er weit hinter der Kimm die spanische Küste wußte.

In ein paar Stunden konnten sie die Insel erreichen, wo Jan Joerdans mit der „Hoek van Holland“ wartete. Aber der Seewolf ahnte bereits, daß die Sache damit noch nicht vorbei sein würde.

Feuer flackerten auf der unübersichtlichen, wild zerklüfteten Hochfläche in den Kantabrischen Bergen.

Zikaden schrillten, Wind strich durch das niedrige Gestrüpp und die Kronen der Korkeichen. In einer Mulde zwischen den Felsen drängte sich ein Dutzend Zelte, und in einiger Entfernung waren die raschelnden Schritte von Wachtposten zu hören, die sich ablösten.

Hier in seinem versteckten, unzugänglichen Felsennest fühlte sich El Vasco völlig sicher.

Der baskische Rebellenführer kauerte am Feuer, hob ab und zu den Weinschlauch und ließ einen dünnen Strahl der roten, funkelnden Flüssigkeit in seine Kehle rinnen. Neben ihm hockte ein graubärtiger alter Mann auf den Fersen, dessen Gesicht wie aus dunkler Baumrinde geschnitzt wirkte. Ein junger Bursche zupfte gedankenverloren an den Saiten einer baskischen Soinua, doch das war eher Ausdruck nervöser Spannung und bestimmt nicht der Fröhlichkeit.

„Ein guter Plan“, sagte der Alte in seinem Eskuara-Dialekt. „Aber ein Plan voller Verrat. Machst du nicht deine Feinde stark, El Vasco?“

Das Saiteninstrument gab einen schrillen Ton von sich. Der Junge hob ruckartig den Kopf.

„Was scheren uns die Geusen? Kümmern sie sich um uns? Haben sie nicht immer nur genommen? Vorräte und Ausrüstung und unser Schweigen?“

Der Alte schüttelte den Kopf. „Sie kämpfen gegen die Spanier wie wir! Sie trauen uns. Es ist Verrat.“

„Nicht, wenn wir den Handel nur zum Schein abschließen“, sagte El Vasco langsam. „Ich lasse meinen Bruder nicht in den Händen Uvaldes, dieses blutigen Henkers. Entscheidet euch! Wir haben nicht viel Zeit, denn was immer passiert, wird bald geschehen. Es heißt, daß mehr als ein Dutzend Kriegsgaleonen die Anführer der Meergeusen jagen. Sie werden in der Zapato-Bucht Schutz suchen, wenn ihnen der Weg aus dem Golf verlegt wird. Und dann werden sie über kurz oder lang in der ‚Linterna Roja‘ auftauchen. Wir haben nur diese eine Chance.“