Geliebte Fillu

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Geliebte Fillu
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Carina Zinkeisen

Geliebte Fillu

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Elisabeth Unterforsthuber betrachtete ihre Enkelin, die ihr im Zug gegenübersaß. Marlene hielt das Buch so fest in ihren Händen, als wäre es ein wahrer Schatz.

Teil 1 Wien

Kapitel 1

Kapitel 2

Teil 2 Berlin

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Teil 3 Frankfurt

Kapitel 8

Kapitel 9

Teil 4 London

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Teil 5 Zürich

Kapitel 13

Impressum neobooks

Elisabeth Unterforsthuber betrachtete ihre Enkelin, die ihr im Zug gegenübersaß. Marlene hielt das Buch so fest in ihren Händen, als wäre es ein wahrer Schatz.

„Danke, dass du mit mir in die Schweiz gefahren bist, Lenchen“, sagte sie leise. „Es war mir einfach wichtig, sie nach all den Jahren noch einmal zu sehen und sei es nur ihr Grab, aber ich sehe, du hast auch Freude, so wie du das Buch hältst. Du hältst es so fest wie einen Schatz.“

„Für mich ist es auch einer. Das Tagebuch der berühmten Marie Fillunger. Ich fass es immer noch nicht, dass die Eugenie mir das einfach so geschenkt hat. Einfach so, aber sie weiß, dass ich, wenn ich die Matura hab nach Interlaken zurückkehre und Klavierstunden bei ihr nehme, mein Gott, sie sieht in mir eine Künstlerin, eine echte Künstlerin. Ich kann bei der Tochter von der großen Clara Schumann Klavier studieren und wohnen, kannst du dir das vorstellen, Oma Liesl?“ Marlene hörte sich so aufgeregt an, dass Elisabeth schmunzeln musste.

„Bevor du nach Interlaken zurück kehrst zur Eugenie, musst du mir aus Maries Tagebuch vorlesen, obwohl ich befürchte, dass ich nur eine kleine unbedeutende Rolle habe und auch nicht besonders gut weg komme, aber ich hab die Marie gekannt, als sie noch das Mitzerl aus Wien war und ich das Liesl, ihre beste Freundin.

Teil 1 Wien

Kapitel 1

Es ist ein lauer Sommerabend und ich sitze mit einem Glas gespritzten Wein im Biergarten. Die Ellen habe ich im März dieses Jahres mit Bravour gesungen und Johannes Brahms, der seit letztem Jahr hier in Wien in der Karlsgasse wohnt, damit endgültig zu meinem Mentor gemacht. Er will sich um meine Karriere als Sängerin kümmern und mir mit Rat und Tat zur Seite stehen, wofür ich ihm sehr dankbar bin.

Ich nippe an meinem Wein und lächle versonnen vor mich hin. Ich bin dem Herrn Brahms dankbar und ich bin glücklich.

Ich bin nicht alleine.

Mir gegenüber sitzt Liesl.

Liesl ist kein bisserl musikalisch, aber seit Ewigkeiten meine beste Freundin. Sie ist adrett und blond, ein bisserl rund, hübsch und damit so ziemlich das Gegenteil von mir. Ihr kann ich alles anvertrauen, auch meine geheimsten Gedanken und sie steht mir näher als meine zwei Schwestern und fünf Brüder.

Liesl lächelt mich breit an und ich kann förmlich die Limonade riechen, die an ihrem linken Mundwinkel klebt. Mein Herz klopft und ich habe ganz plötzlich das Bedürfnis sie zu küssen. Stattdessen und um mein klopfendes Herz ein wenig zu besänftigen, greife ich ihre Hand, die auf dem Tisch neben ihrem Limonadenglas liegt. Darauf wartend von mir berührt zu werden, so seltsam dies auch klingen mag. Mein Herz klopft immer noch ganz fürchterlich und ich bin froh, dass sie es ist, die das angespannte Schweigen zwischen uns bricht.

„Du wirst fortgehen, Mitzerl, gell, mit dem Brahms, ich meine natürlich mit dem Herrn Brahms oder wegen dem Herrn Brahms“, sagt sie schlicht, kommt ein wenig ins Stottern und wischt sich mit der Serviette die klebrige Limonade von ihrem linken Mundwinkel weg, was mein Herzklopfen verstärkt. Ich drücke ihre Hand ganz fest und nicke ernst.

„Herr Brahms nimmt meine Karriere seit der Ellen fest in seine Hand. Er ist der Meinung, dass ich eine große Sängerin werden kann, zu Hause auf allen Konzertbühnen dieser Welt. Er hat mir empfohlen, dass ich nach Berlin gehe zur Hochschule der Musik, um meiner Stimme den letzten Schliff zu geben.“

Ich breche ab und versuche ein Lächeln, was mir nicht so recht gelingen mag, denn mein Gesicht fühlt sich ganz steif an. Liesl erwidert meinen Händedruck und lächelt nicht mehr ganz so breit.

„Das brauchst du nicht, deine Stimme ist absolut wundervoll und du wirst mich vergessen, wenn du in Berlin bist oder bei dem Ehepaar von Herzogenberg in Leipzig konzertieren wirst und ganz besonders, wenn du bei der Clara und der Eugenie sein wirst.“

„Clara“, frage ich etwas dümmlich, Liesls Hand loslassend. „Brahms Clara, Clara Schumann“, frage ich und unterdrücke ein Lachen, das in meiner Kehle aufsteigt. Meine Liesl ist in mich verschossen und eifersüchtig auf Clara Schumann und ganz besonders auf deren jüngste Tochter Eugenie.

Meine Liesl liebt mich.

Ich nippe an meinem Wein, lächle vor mich hin und denke daran, wie alles begonnen hat, mit mir als Sängerin, dem Brahms und auch irgendwie mit der Clara und der Eugenie, die ich bald kennenlernen werde, was meinem Liesl, ja so sehr missfällt und sie mich so missmutig anschaut über ihr Almdudler Glas hinweg.

Wie alles begonnen hat am 27. November 1872 hier in Wien.

Kapitel 2

Ich müsste aufgeregt sein, bin es aber nicht. Kein bisserl, wie man bei uns in Wien zu sagen pflegt. Kein bisserl, die Musik wird mich tragen, so wie sie mich immer getragen hat, meine Stimme, meine Altstimme, wenn ich spreche, mein herrlicher Sopran, wenn ich singe. Meine

Stimme hat mich immer getragen, sie wird sie es auch jetzt tun, da bin ich mir sicher, absolut sicher. Und sie wird sich nicht dadurch verzagen lassen, dass sie von Johannes Brahms gehört werden wird. Johannes Brahms, der nur auf meine Stimme achten wird, wenn ich heute am 27. November 1872 in Wien, meiner Geburtsstadt, die Uraufführung seiner Lieder und Gesänge Opus 63 singen werde, Gesangsschülerin, 22 Jahre jung.

Er wird nicht darauf achten, dass ich unscheinbar bin, klein und dunkelhaarig und ziemlich winzige Hände und Füße habe. Ich bin nicht hübsch im landläufigen Sinne, aber das wird Johannes Brahms nicht stören. Er wird nur auf meine Stimme achten und er wird meine Stimme lieben. Ich denke an die Olga in Offenbachs Großherzogin von Gerolstein, die ich schon vor vier Jahren am Theater an der Wien gesungen habe. Ich war eine gute Olga gewesen, eine sehr gute. Das haben mir damals alle versichert.

Ottilie Ebner, meine Gesangslehrerin, in deren Chor in Wien ich singe und die mit Brahms befreundet ist, wird stolz auf mich sein und auch Mathilde. Mathilde Marchesi war früher Ottilies Lehrerin und sie ist mein absolutes Vorbild. Wie froh war ich, dass ich ihre Gesangsschülerin am Konservatorium werden durfte. So gut wie sie möchte ich auch singen können, auf allen Konzertbühnen dieser Welt zu Hause sein. Wie herrlich!

Ich atme tief ein und aus und fange an zu singen, versunken in meine ganz eigene Welt.

Ich atme tief ein und noch tiefer aus.

Beim Singen bin ich so in meine eigene Welt vertieft, dass ich immer einige Momente benötige, um wieder in der Gegenwart anzukommen. Mathilde und Ottilie kann ich schemenhaft erkennen. Ihre Stimmen dringen an mein Ohr und ich bemühe mich, ihnen zu lauschen, noch den Klang meiner eigenen Stimme im Ohr habend.

„Mitzerl, pardon, Marie!“

Ottilie hört sich aufgeregt an, meinen Kosenamen aus Kindertagen verwendend, was mir ein Lächeln entlockt, mich daran erinnernd, wie sie mir vor so vielen Jahren die ersten Gesangsstunden gegeben hat. Sogar bei uns gewohnt hat sie damals als Freundin meiner Mama.

„Du hast wundervoll gesungen, Marie, der Herr Brahms will gleich mit dir sprechen. Er war beeindruckt von deiner Leistung, das hat er mir gesagt, absolut beeindruckt!“

 

Jetzt bin ich doch ein bisserl aufgeregt, ein klein bisserl, nicke mit zusammengepressten Lippen und trotzig vorgerecktem Kinn, die Hände im Schoß knetend. Meine Hände zittern ein wenig und ich bin froh über das Kneten, denn dann sieht der Brahms das peinliche Zittern nicht und mir ist ein wenig wohler.

Er steht vor mir.

Johannes Brahms, 39 Jahre alt, in der Blüte seines Lebens stehend. Ein musikalisches Genie, dessen Leben mir durchaus geläufig ist und dessen Werke ich kenne und schätze und heute auch gesungen habe. Er soll ein galanter Liebhaber sein. Mir spuken die Gerüchte über seine Liaison mit Clara Schumann durch den Kopf und ich versuche mich auf seine Stimme zu konzentrieren statt auf seine Lippen, die sanft einen Kuss auf meine ausgestreckte Hand hauchen.

„Sie waren großartig, mein liebes Fräulein Fillunger“, sagt er und lächelt mich liebenswürdig an. „Ich bin beeindruckt von Ihrer Leistung, ein so junges Mädchen, noch in der Gesangsausbildung…“

Er stockt und knetet nun selber ein wenig nervös seine Hände, so als wäre er die galante Plauderei mit jungen Damen nicht wirklich gewohnt oder würde mit diesem Ungewohnten kokettieren.

„Ich werde im März des nächsten Jahres eine Symphonie von Haydn hier in Wien dirigieren und ich werde meine Bearbeitung des Schubert Liedes Ellens 2. Gesang für Sopran Solo aufführen, mit Frauenchor, vier Hörnen und zwei Fagotten. Nachdem ich heute Ihre Stimme gehört habe, möchte ich, dass Sie das Solo singen, Marie.“

Er nennt mich Marie und ich glaube mein Herz setzt aus. Nicht weil ich den Herrn Brahms attraktiv finde oder gar begehre, aber das, was er eben zu mir gesagt hat, bedeutet die Welt für mich.

Ich werde eine Sängerin, eine gute Sängerin, eine sehr gute. Ich werde zu Hause sein, auf allen Bühnen dieser Welt! Ich werde Karriere machen!

Teil 2 Berlin

Kapitel 3

Ich bin ziemlich aufgeregt, jetzt doch!

In Leipzig, als ich bei Heinrich und Elisabeth von Herzogenberg, die Freunde von Brahms sind und wirklich reizende Menschen, im Hause gewohnt habe und am 1. Dezember 1974 in dem Euterpe Konzert in Leipzig vier Lieder von Brahms gesungen habe, war ich die Ruhe selbst gewesen. Vor allem Elisabeth, die von allen Lisl genannt wird und nur drei Jahre älter ist, als ich, war wirklich zauberhaft und ließ mein Herz höher schlagen.

Elisabeth von Herzogenberg, mein zweites Lisl nach meinem ersten daheim in Wien, ist nun mal nicht Clara Schumann und ich bin froh, dass Clara mit ihrer ältesten Tochter Marie für einige Monate nach Kiel gereist ist wegen dem Klima des Meeres und ärztlicher Behandlung. Clara wirkt auf mich irgendwie ein wenig furchteinflößend. Dennoch ist es mir wichtig, zu Beginn des Wintersemesters 1874/75 ihr meine Aufwartung in Form eines Antrittsbesuches zu machen. Die Wohnung, die Clara mit ihrer ältesten Tochter Marie und der jüngsten Tochter Eugenie bewohnt, befindet sich in Berlin im Tiergarten.

Und jetzt sitze ich eben dieser Eugenie gegenüber, die genau wie ich in Berlin Musik studiert, allerdings nicht Gesang wie ich, sondern Klavier wie ihre Mutter. Und ich verstehe, was Liesl gemeint hat, mein fröhliches, hübsches, blondes, ein wenig pummeliges und etwas unbedarftes Liesl droht auf der Stelle zu verblassen und ganz weit in die Vergangenheit zu rücken.

Dabei ist Eugenie gar nicht einmal hübsch und auch nicht besonders fröhlich, aber es ist etwas in ihr, was mich rührt, zutiefst rührt.

Ich lasse den Kaffeelöffel durch meine Tasse gleiten, um meine Gedanken zu sortieren.

Eugenie lächelt mich zaghaft an.

„Meine Mutter und meine Schwester reisten nach Kiel zum Meer zur Kur und ärztlichen Behandlung.“ Ich bin froh, dass sie das Wort ergreift und lächle zurück. „Ich bin nicht gerne von meiner Mutter getrennt, schon gar nicht mehrere Monate lang. Jetzt wo ich sie endlich an meiner Seite habe, statt im Pensionat zu sein. So bin ich froh, dass ich Ihre Gesellschaft habe, liebe Marie. Ich habe im Gefühl, dass wir uns schnell näher kommen werden und du mir eine liebe Freundin wirst, ich meine Sie…“

Eugenie bricht ab und sieht mich unsicher über den Tisch hinweg an, ihre Hände auf dem Tisch zittern ein wenig.

Mein Herz fängt an zu klopfen. Ich spüre den Drang, ihre Hand ergreifen zu wollen, wie ich es einst bei Liesl tat. Es fühlt sich richtig an, ich tue es aber nicht, da es noch zu früh wäre und Eugenie verunsichern würde und mich auch, wenn ich ehrlich bin. Stattdessen lächle ich sie an und rühre meinen Kaffee um.

„Wollen wir nicht du sagen, das macht man so bei uns in Wien und ich fühle mich noch ein wenig fremd in der Ferne. Sie, ich meine du kannst mir Berlin zeigen und wie man bei Euch im Norden lebt. Bis jetzt kenne ich keine Menschen aus dem preußischen Norden. Nur den Brahms, den natürlich, den kenn ich.“

Ich breche ab und beiße mir auf die Lippen. Was bin ich nur ein Schaf! Muss ausgerechnet den Brahms erwähnen. Wahrscheinlich hasst Eugenie ihn. War er doch angeblich der Geliebte ihrer Mutter und mitverantwortlich, dass ihr Vater Robert, der einst auch ein gefeierter Musiker gewesen war, in die Nervenheilanstalt kam und starb, als Eugenie ein kleines Mädchen war. Ich kenne dieses Gerede und fühle mich schuldig.

Eugenie schluckt schwer, zuckt dann aber mit den Schultern. „Ist lange her das Ganze. Außerdem ist er Mutters bester Freund und unterstützt die ganze Familie nach Kräften. Und er ist ein begnadeter Musiker, der Onkel Johannes, so nenne ich ihn. Ich bin froh, dass du da bist, hier bei mir. Du wirst mir zeigen, was es heißt zu leben, Fillu.“

„Fillu“, gebe ich erstaunt zurück, ihre Worte im Geist sortierend.

„Ich nenne dich so, nicht Marie und auch nicht so, wie man eine Marie bei euch in Österreich als Kosename nennen würde. Du bist meine Marie, und die nenne ich Fillu, da meine älteste Schwester auch Marie heißt und ich beide Marien voneinander unterscheiden möchte. Als ob es einer Unterscheidung bedarf.“

Sie lacht herzlich und greift meine Hand.

„Deine österreichische Heiterkeit wird uns norddeutschen Menschen gut tun. Mir gut tun, meiner Schwester und meiner Mutter, der ganz besonders.“

Ich nicke lächelnd und erwider ihren Händedruck, die Berührung ihrer Haut aufsaugend.

„Magst du mir dein Klavier zeigen? Und etwas für mich spielen“, frage ich sachte.

Eugenie spielt ein Stück ihrer Mutter für mich. Sie ist gut, sehr gut sogar, aber ich kann ihre Nervosität fast greifen. Sie tut mir so leid, wie mir noch nie jemand leid getan hat. Das zweitjüngste von acht Kindern, die Liaison ihrer Mutter mit Brahms, die Nervenheilanstalt, in die ihr Vater kam. Sein früher Tod, als Eugenie fünf Jahre alt war. Das frühe abgeschoben werden zu Verwandten und in Pensionate, wenn die Mutter konzertierte und dabei die Welt bereiste. Was auch bedeutete, keine wirkliche Mutter zu haben. Was bin ich froh um meine unbeschwerte Kindheit und Jugend und auch um mein unbekümmertes Liesl.

Ich trete zu Eugenie neben das Klavier und fahre mit meiner Hand über ihre linke Schläfe und Wange, voller Angst, dass sie ihr Gesicht von mir wegdreht und mich von sich stößt und voller Hoffnung, dass genau dieses nicht passiert. Ich spüre die Wärme ihrer Wange in meiner Hand. Sie scheint förmlich zu glühen und mein Herz klopft heftig gegen meine Brust.

„Ich werde nie so gut spielen wie meine Mama oder auch mein Papa und der Papa von meiner Mama und ich werde nie konzertieren, ich bin viel zu aufgeregt dazu, Fillu“, murmelt sie leise vor sich hin und ich streiche vorsichtig von ihrer Wange hinab bis zu ihrem Schlüsselbein.

„Das ist mir egal, Eugenie, ich lieb dich so wie du bist, so und nicht anders.“ Abrupt drehe ich sie zu mir her und küsse sie. Ich spüre ein Verlangen und Begehren, das ich immer geleugnet hatte und ich fühle, daß es Eugenie ähnlich geht. Ich spüre ihre Zunge an meiner und kann nur mit Mühe ein Stöhnen unterdrücken.

Ich küsse sie und muss ganz plötzlich an Clara Schumann denken, Eugenies Mama und die beste Pianistin und Komponistin, die ich kenne, die man kennt. Einst ein Wunderkind und jetzt eine gefeierte Pianistin. Konzertiert auf allen Bühnen dieser Welt, neben der Marchesi mein absolutes Vorbild in der Welt der Musik. Sie wird meine Musik schätzen, überaus schätzen so wie Brahms es tat. Sie wird die Musikerin Marie Fillunger mögen, mit dem Menschen Marie Fillunger wird sie sich schwer tun. Sehr schwer tun, da bin ich mir ziemlich sicher, leider. Absolut sicher, denn ich kann Menschen sehr gut einschätzen und irre mich sehr selten. Fast nie irre ich mich.

Die nächste Zeit vergeht wie im Fluge.

Eugenie, oder wie ich sie zärtlich nenne, Genchen, zeigt mir Berlin und den Palais Raczinsky, in dem die neugegründete Hochschule für Musik untergebracht ist. Eugenie studiert hier seit dem Jahr 1869 Klavier und muss einiges nachholen, da sie oft gefehlt hat, weil sie ihre Mutter auf Konzertreisen begleitet hat. Immer wieder erzählt sie mir von der Reise nach England mit Mutter und Schwester. Sie ist mir eine treue Gefährtin und erleichtert mir das Eingewöhnen im fernen und fremden Berlin. Ich verliebe mich jeden Tag ein wenig mehr in sie, werbe um sie und genieße es, dass mein Werben angenommen wird. Ihr Klavierspiel ist von einer Zartheit und doch kraftvoll und sie spielt mit feinstem Verständnis. Was selbst ihre Mutter zugeben muß und Clara ist sonst nicht so sehr voll des Lobes, sondern eher streng und drückend überlegen. Was sie wohl dazu sagen würde, daß ich mich an den Küssen mit ihrer Tochter durstig und satt getrunken habe? Ich mag gar nicht daran denken. Nicht jetzt.

Ich verziehe den Mund und nehme einen großen Schluck Limonade zu mir. Verliebt schaue ich mein Genchen an, die das gleiche tut und ihr Glas hebt. Mich breit anlächelt, ganz verliebt und mein Herz klopft wie verrückt.

Es ist soweit, ich sitze Clara Schumann gegenüber, Eugenies Mama, die von der Kur am Meer zurückgekehrt ist.

Eugenie wirkt in ihrer Gegenwart ein wenig wie ein verschrecktes Kaninchen und auch mir ist mulmig zumute. Clara, die gefeierte Konzertpianistin, Komponistin, aber auch ganz einfach, eine Frau und eine Mutter. Genau wie die meine, das muss ich mir vor Augen führen und tief durchatmen. Tief ein und ausatmen. Ganz ruhig.

„Liebes Fräulein Fillunger, Brahms hat mir viel von Ihnen erzählt. Eine großartige Ellen haben Sie gesungen in Wien, versicherte mir Johannes nach der Aufführung. Auch die Herzogenbergs in Leipzig waren voll des Lobes, wie sie mir schrieben, die treuen Freunde. Das Lisl ist ja selber so hochbegabt in der Musik.“

Clara Schumann seufzt und denkt wohl an das Leipzig ihrer Kindheit, während Eugenie mich verstohlen mustert. Wahrscheinlich sorgt sie sich wegen Lisl und denkt, dass ich Lisl anziehend finde. Ich schüttel unmerklich den Kopf und lächle Eugenie verstohlen an, daran denkend, sie auch mit der Lisl aus Leipzig bekannt zu machen.

Clara lächelt mich an und reißt mich aus meinen Gedanken. „Und jetzt bekommen Sie den letzten Schliff hier zusammen mit meiner Tochter in unserem Berlin an der musikalischen Universität, eine Schülerin Ottilie Ebners und der Marchesi, Marie…“

„Fillu, ich nenne sie Fillu“, sagt Eugenie ganz plötzlich und sieht ihre Mutter unsicher an „damit keine Verwechslungen mit unserer Marie zustande kommen. Nenn du sie doch auch so. Das wäre mir eine Freude.“

„Fillu“, sagt Clara Schumann betont und sehr leise und hört sich dabei so an, als müsse sie es sich lange überlegen, mich so zu nennen.

„Fillu, vielleicht wollen Sie mich am Klavier begleiten. Brahms bat mich, Ihnen Arrangements zu vermitteln und auch, daß ich Sie bei meinen Konzerten beteilige. Ich möchte wirklich gerne hören, wie Sie sich in Natur anhören. Eugenie schrieb an mich nach Kiel, wie herrlich Ihr Sopran sei. Sie war richtig schwärmerisch. Allein Ihre wunderbare Altstimme verspricht Großartiges.“

Sie lächelt mich aufmunternd an und ich lächle breit zurück, einen kurzen Blick mit Eugenie austauschend, die mich stolz anschaut. Und auch ich bin stolz und ein klein wenig aufgeregt.

 

Was für eine Gelegenheit, was für eine Chance!

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