Ich bin Isabella

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Ich bin Isabella
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Carina Zinkeisen

Ich bin Isabella

Eine unmögliche Liebe am Hofe Maria Theresias

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Nachwort der Autorin

Impressum neobooks

Kapitel 1

Wien, 27. November 2017 - 15 Uhr

Elodie schlang ihre Beine übereinander und sank noch etwas tiefer in die Couch. Ohne ihren Kaffee und das Schokotörtchen in Augenschein zu nehmen, betrachtete sie das Bild, das ihr aus dem Spiegel, der an der Wand im Rücken hinter ihrer Freundin Vanessa, die ihr gegenüber saß, entgegensah. Es war ihr eigenes Spiegelbild. Sie sah aus wie alle anderen Frauen hier im Starbucks, zumindest hoffte sie das. Leggins, Sneaker, bunte Tunika. Optisch unterschied sie sich nicht von den anderen, die sie aus dem Augenwinkel wahrnahm. Optisch nicht, äußerlich nicht, denn innerlich, innerlich war sie ganz anders. Ganz anders, auch wenn sie dieses anderssein nicht greifen konnte. Ihr ganzes Leben über nicht.

Ihr Handy fiepte einmal auf und riss Elodie aus ihren Gedanken.

„Willst du nicht rangehen?“

Elodie schüttelte den Kopf. „Ist wahrscheinlich meine Maman oder Viktor wegen der Hochzeit. Im Moment wird mir das alles zu viel.“ Sie biss sich auf die Lippen und stach ihre Gabel in das Schokotörtchen, Vanessa betrachtend, die das ihre schon aufgegessen hatte. Vanessa liebte Starbucks. Furchtbare Industrieware würde Maman sagen und Viktor und alle anderen und auch Elodie ging viel lieber ins Cafe Sacher, aber sie liebte Vanessa und konnte ihr den Starbucks nicht ausreden.

„Das kann ich verstehen“, hörte sie Vanessa mit vollem Mund murmeln. „Ich kann es eh nicht verstehen, wieso du mit 25 heiraten musst. Du bist nicht schwanger oder sonst was und du hast noch alles vor dir. Da sich gleich für immer und ewig nen Typen ans Bein binden.“

„Viktor ist kein Typ, er ist eine gute Partie“, sagte Elodie leise.

„Sagt wer? Oh Mann, Elly!“ Elodies Herz stach unvermittelt, als sie ihren Spitznamen aus Kindheitstagen aus Vanessas Mund hörte. „Ach, ja, ich weiß die hochverehrte Gräfin von Sternberg, deine liebe Maman und die ebenfalls hochverehrte Gräfin von Arnstetten, die Schwiegermutter in Spe. Was du und Viktor für ihr Leben wollen, ist denen doch egal.“

„Viktor liebt mich und ich ihn“, hörte sich Elodie fast tonlos flüstern und wusste, dass es eine Lüge war. Der letzte Teil des Satzes war eine Lüge. Eine Lüge, die wehtat und Elodie fast den Atem raubte. Widerwillig und wütend schob sie sich eine Gabel des Schokokuchens in den Mund.

„Die Sachertorte aus dem Sacher ist wirklich tausendmal besser, das nächste Mal gehen wir dort hin“, sagte sie und betrachtete ihre Freundin, die ihr gegenübersaß und auf ihrem Handy tippte, nachdenklich. Ihre zarte Figur, der helle Teint, die blonden Haare. Irgendwie war es Elodie, als würde sie Vanessa das erste Mal betrachten, das erste Mal und dieses erste Mal raubte ihr den Atem.

„Was neues von Greta“, fragte Elodie und bemühte sich ihre Stimme neutral klingen zu lassen.

„Jep, hat sich gut eingelebt in England. Das Studium klingt ganz gut. Englische Geschichte ist sehr interessant. Bin schon gespannt, was sie erzählt. Ob Elizabeth Maria Theresia toppen kann und so.“

„Vermisst du sie?“, fragte Elodie immer noch mit diesem komischen Gefühl in ihrem Herzen.

„Ja, ja und nein. Lief ja nicht mehr so zwischen uns. Aber ja, ich lieb sie, ja, manche Dinge an ihr, jedenfalls.“

Wien, 27. November 2017 – 19 Uhr

Elodie hatte es sich mit ihrem Laptop auf ihrem Sofa gemütlich gemacht.

Vermisst du Viktor? Immer noch klang ihr Vanessas Frage im Ohr. Sie hatte ja gesagt, aber das war auch wieder eine Lüge gewesen, genauso wie das mit der Liebe. Sie liebte ihn nicht, denn dann würde sie ihn vermissen, jetzt wo er 2 Wochen in Chicago war mit seiner Firma. Sie würde ihn vermissen und ihn jeden Tag mindestens 10 mal anrufen oder whatsappen und an ihn denken und nachts von ihm träumen, aber nichts von dem war der Fall. Nichts von dem und sie war sogar froh, dass er weg war, dass sie Zeit hatte. In ihrer eigenen Wohnung sein dufte, auf ihrem eigenen alten angewetzten Sofa sitzen dufte, Kaffee aus ihrer uralten Tasse trinkend, die ihr Vanessa damals in Paris gekauft hatte. Auf einem Flohmarkt, angeblich aus einem Teeservice Marie Antoinettes stammend. Elodie betrachtete die Tasse, klein, zierlich, pink, hübsch gemustert und spürte wieder das warme leicht schmerzhafte und doch so wunderbare Gefühl von heute nachmittag.

Sie stellte die Tasse beiseite und gab ohne nachzudenken Worte bei Google ein. Worte, die sie schon lange bewegten, aber die sie sich noch nie zu denken, geschweige denn zu tippen getraut hatte.

„Gibt oder gab es lesbische Prinzesseinen“, stand da und Elodie drückte den Atem anhaltend auf Enter.

Sie landete prompt auf einer Seite, die sich „frauenverliebt nannte und von einer Frau geführt wurde, die sich Lina Kaiser nannte. „Ich muss Vanessa nach dieser Lina Kaiser fragen. Immerhin studiert Vanessa ja auch Geschichte“, dachte Elodie und scrollte sich durch den Text.

Christina von Schweden (1626 bis 1689), von der hatte Vanessa schon einmal erzählt mit dem Vermerk, dass diese ziemlich durchgeknallt gewesen sein soll, auf ihre Krone gepfiffen hätte und in einer Art Künstlerkolonie in Rom gelebt hätte. Spannend dachte Elodie, aber nicht die, die ich suche.

Die nächste, Queen Anne von England (1675 bis 1714), fand Elodie ziemlich langweilig, sodass sie fast schon geneigt war, den Laptop zu schließen und die Sache auf sich beruhen zu lassen, als ihr Blick über Marie Antoinette (1755 bis 1793), die sie sehr hübsch fand nach unten glitt und es war Elodie als würde sie sich selbst ansehen.

Isabella von Parma, Prinzessin von Bourbon – Parma (1741 bis 1763) stand unter der kleinen Miniaturansicht, die aussah wie Elodie selber nur im Gewand des 18 Jahrhunderts und mit einer silbernen Perücke über ihrem dunklen langen Haar. „Du siehst aus wie ich“, flüsterte Elodie, während sie las, was Lina Kaiser über jene Isabella geschrieben hatte.

„Warum hast du diesen dämlichen Joseph geheiratet, wenn du doch Marie geliebt hast?° Marie Christine, seine Schwester. Warum, ich weiß warum, aber ich versteh es nicht“, sagte Elodie mit schniefender Nase und tränenden Augen. Marie Christine, irgendetwas an dieser Marie kam ihr vertraut vor, fast bekannt.

Ihr Handy fiepte erneut.

Zwei Nachrichten

Viktor. Ein Selfie aus Chicago mit einem Herz Emoji und einem ich vermisse dich.

Maman, die sie an Sonntag und den Brunch erinnerte. Im Anhang ein Link „historische Hochzeitskleider“.

Elodie wollte das Handy schon beiseite legen, als es ein drittes Mal fiepte. Vanessa.

„Neues von Greta, kommt nächste Woche zurück. Will mit uns ihr Diplom feiern. Lokation folgt.“

Greta, dachte Elodie wütend und knüllte ihr Kissen. Ich will nicht, dass Greta zurück kommt. Ich will das nicht, ich will….

Achtlos glitten das Handy und der Laptop nach unten neben das Sofa und Elodie kuschelte sich leise weinend in ihre Lieblingsdecke.

Elodie saß auf ihrem Sofa. Es war kurz vor Mitternacht und sie wusste nicht, ob sie wachte oder träumte. Ihr war, als ob sie jemand beobachtete. Dunkle Augen, ein ovales Gesicht, ihr eigenes Gesicht.

„Wer bist du?“, fragte sie leise, obwohl sie die Antwort kannte.

„Ich bin Isabella“, sagte die junge Frau in ihrem wunderschönen silbernen Prokatkleid. „Ich bin aber auch du und ich erzähle dir jetzt meine Geschichte, deine Geschichte, unsere Geschichte. Aber ich warne dich, sie wird dir nicht gefallen, gar nicht gefallen, also sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.“

 

Elodie fielen die Augen zu vor lauter Erschöpfung.

Kapitel 2

Parma, 08. Juni 1760

Ich bin Isabella, eigentlich nur Isabella. Meinen vollständigen Namen kann sich kein Mensch merken, denn vollständig heiße ich Isabella Maria Luisa Antonietta Ferdinanda Giuseppina Saveria Dominica Giovanna von Bourbon-Parma.

Für meine Mama bin ich einfach nur Isabella, oder ihr Himmelsmädchen. So hat sie mich immer genannt, wenn wir alleine waren. Sie war meine liebste Freundin auf dieser Welt, meine allerliebste Freundin. Sie war gerade einmal vierzehn Jahre alt gewesen, als sie mich am 31. Dezember 1741 im Palast Buen Retiro in Madrid als ihr erstes Kind zur Welt brachte. Mit 12 Jahren war sie als älteste der Töchter Ludwig XV und dessen Lieblingstochter an den spanischen Hof gezogen, weil sie mit meinem Papa verheiratet worden war. Mein Vater ist nämlich der spanische Infant Philipp, der später Herzog von Bourbon Parma wurde. Weswegen ich als spanische Prinzessin jetzt auch in Parma lebe und Italien als meine Heimat ansehen darf.

Nicht einmal meine Mama, die im Himmel auf mich wartet, darf wissen, dass ich jetzt mitten in der Nacht auf dem Balkon meines Zimmers auf dem Fußboden sitze und mir die Sterne ansehe.

Ein Himmelskind bin ich, sagt Mama immer, aber das ist nicht gut, denn Himmelskinder sind unglücklich und man darf sie nicht einsperren, man darf sie niemals einsperren. Niemals. Und ich werde mein Lebtag eingesperrt bleiben. In meinem Kindheitsschloss in Madrid, in dem ich vor bald neunzehn Jahren geboren wurde. In dem Schloss meiner Mama in Versailles, obwohl mich dort alle von Herzen lieb haben, vor allen mein Großvater König Ludwig XV von Frankreich, dessen Lieblingsenkelin ich bin. Hier in Parma und auch in Wien, an dessen Hof ich heiraten soll. In allen Schlössern und Burgen dieser Welt werde ich eine Gefangene sein.

Immer.

Mein ganzes Leben lang.

Gottseidank wird es ein kurzes Leben sein.

Gottseidank.

Auch hier in Parma und in Wien werden sie keine Rücksicht darauf nehmen, dass ich ein Himmelskind bin und man Himmelskinder nicht einsperren darf. Ich werde von Mauern und Zwängen umgeben sein und meinem zukünftigen Mann eine treue Ehefrau und eine Mutter seiner Kinder sein müssen. Und ich werde unglücklich sein, todunglücklich. So unglücklich wie meine Mama ihr ganzes Leben war mit meinem Papa, den sie nie geliebt hat, obwohl er ein gutaussehender Mann ist, und wie meine Großmama in Frankreich. Mein Großpapa war nämlich nicht gerade tugendhaft und sein Schloss in Versailles ein zutiefst unmoralischer Ort. Was musste meine arme Großmama leiden an seiner Seite, dahingewelkt neben Madame de Pompadour, der Lieblingsmätresse meines Großvaters. Ähnlich wie ich ist meine Großmama sehr fromm und ich hab sie von Herzen lieb. Wahrscheinlich habe ich von meiner Mama und meiner Großmama den Hang zur Schwermut geerbt und dass ich mich oft danach sehne zu sterben. Das ist sicher nicht normal für ein so junges Mädchen wie mich. Gar nicht normal und ich sorge mich deswegen sehr. Ich habe Angst, schwermütig zu werden, depressiv oder verrückt. Zu versagen auf ganzer Linie als Ehefrau von Joseph, dem Sohn von Maria Theresia von Österreich, den ich demnächst heiraten werde, heiraten muss. Zu versagen dabei, seine Kinder, die Thronerben auf die Welt zu bringen. Am liebsten würde ich ins Kloster gehen, aber da ist mein Vater sehr dagegen. Mein Platz ist an der Seite eines zukünftigen Kaisers und nicht als Äbtissin, was ich bevorzugen würde.

Den Himmel sehend und die funkelnden Sterne betrachtend, greife ich zu meiner Violine, die die ganze Zeit still neben mir gelegen und mir Gesellschaft geleistet hat und fange leise an zu spielen. Die Musik trägt mich in Gedanken in eine andere Welt.

In eine ganz andere Welt. In eine Welt, in der ich einfach Isabella sein darf, nächtens auf dem Balkon Violine spielend, den Himmel ansehend, die Sterne zählend. Eine Isabella, die keinen Mann heiraten muss, den sie kaum kennt und nicht liebt. Eine Isabella, die gar nicht heiraten muss. Eine Isabella, die an der Universität Literatur und Philosophie studieren kann oder Musik oder Malerei oder gar Mathematik, was mich sehr interessiert. Obwohl dies ist utopisch. Wir schreiben nun einmal das Jahr 1760 und Frauen dürfen nicht studieren, aber der Träumerin in mir sind solche Grenzen gleichgültig. Ich würde gerne auf ein Leben mit Krone verzichten wie Christina von Schweden es getan hat. Es heißt, dass sie das aus Liebe zu ihrer Hofdame Ebba Sparre getan hat, was viele Menschen widernatürlich finden, ich aber sehr anziehend, überaus anziehend. Christina hat sich also geweigert eine arrangierte Ehe einzugehen, auf den Thron verzichtet, ihrem Heimatland Schweden den Rücken gekehrt und sich in Rom ganz der Kunst gewidmet, aber diesen Mut habe ich leider nicht. Ich bin keine Christina von Schweden, ich bin Isabella von Parma und Isabella von Parma hat diesen Mut nicht. Leider, denn ich bewundere Christina von Schweden, ich bewundere sie und beneide sie, was meine Beichtväter auch über sie erzählen mögen.

Ich blicke zum Himmel hoch zu meiner Mama und frage mich, ob sie weiß, wie unglücklich ich bin, wie traurig, wie wehmütig. Sie weiß das ganz bestimmt, Mamas wissen sowas immer, auch, wenn sie, von den Blattern dahingerafft, tot sind und im Himmel wohnen. Seit Mamas Tod im letzten Winter, als sie plötzlich in Versailles bei dem lieben Großpapa an den Blattern starb, bin ich noch wehmütiger und trauriger als ohnehin und grüble so viel, dass mein Papa davon entnervt ist. Am liebsten würde ich den Schleier nehmen und ins Kloster gehen, aber da ist er strikt dagegen. Ich muss heiraten. Aus, amen, basta.

Ob Mama weiß, wie sehr es mir vor der Hochzeit graut? Wie sehr es mich ekelt und schüttelt, auch nur daran zu denken, mit einem Mann ins Bett zu gehen. Mit ihm den Akt zu vollziehen, diesen fürchterlichen, grauenvollen Akt. Ich weiß, dass meine Mama sich immer davor gefürchtet hat, wenn Papa wieder zu ihr ins Bett wollte, wenn er seine ehelichen Pflichten eingefordert hat. Er ist weiß Gott kein Unmensch und kein hässlicher Mann, aber sie musste sich immer zum ehelichen Verkehr zwingen, was ihr nur selten gelang.

„Ich erstarre jedes Mal zu Eis, wenn ich in seinen Armen liege.“

Ganz leise hat sie das zu ihrer Hofdame gesagt, nicht für Kinderohren bestimmt und ganz gewiss nicht für Kinderohren, die hinter einer Tür versteckt waren. Ich wusste damals nicht, was sie mit diesen Worten gemeint hat.

Jetzt weiß ich es und ich habe Angst.

Ich höre auf zu spielen und lege die Violine neben mich auf den Boden. Meine Augen sind voller Tränen und brennen ganz fürchterlich. Ich schaue hoch zu den Sternen zu meiner Mama. Ob sie weiß, dass ich mich noch nie nach einem Mann gesehnt habe, noch nie und es auch nie tun werde? Niemals, ganz gewiss niemals. Nicht in der gleichen Art, wie ich mich nach einer Frau sehne. Nicht in der gleichen Art, ganz gewiss nicht.

Ich konnte meiner Mama eigentlich alles sagen, nur das mit den Frauen konnte ich ihr nie sagen. Ich schäme mich so schrecklich dafür, denn es ist furchtbar unnormal und sündhaft, sich zu wünschen, mit einer Frau im Bett zu liegen und mit ihr die Dinge zu tun, die man mit einem Mann tun soll. Ganz furchtbar, absolut sündhaft und ganz gewiss nicht von Gott geplant und gewollt. Ganz gewiss nicht.

Unbeholfen wische ich mir mit beiden Händen die Tränen aus den Augen, so heftig, dass sie noch mehr brennen und noch mehr schmerzen. Und ich heiße den Schmerz willkommen. Ich heiße ihn willkommen und versuche zu lächeln.

Ich, Isabella von Bourbon - Parma, Isabella, einfach nur Isabella, liebe Frauen.

Ich liebe Frauen.

Habe sie schon immer geliebt.

Das wird sich auch nicht ändern, wenn ich mit einem Mann verheiratet bin, ganz sicher nicht.

Ganz sicher nicht.

Ich wische mir die Tränen aus den Augen und lächele grimmig.

Wenn es einen Grund gibt, Wien nicht ganz fürchterlich zu finden und mich sogar ein wenig auf Wien zu freuen, dann ist es ganz gewiss nicht Joseph, mein zukünftiger Ehemann, sondern Marie Christine, seine Schwester. Ich drücke ihren Brief, der neben meiner Violine gelegen hat, eng an meine Brust, nicht verhindernd, dass meine Tränen den Brief durchweichen. Ich sehe auf ihr selbst gemaltes Miniaturportrait, dass sie einem ihrer Briefe beigefügt hat. Sie ist so schön, diese Marie Christine, so unendlich schön und ich bin dabei, mich in sie zu verlieben. In ihre zarte Figur, ihren hellen Teint, ihre blonden Haare, einfach alles an ihr ist wunderschön. Darüber hinaus ist sie wie ich auch sehr gebildet, spielt wie ich ausgezeichnet Violine und Cello und malt allerliebst, eine Beschäftigung, mit der ich mir auch gerne die Zeit vertreibe. Und sie liebt die Musik Vivaldis, schreibt sie. Ich finde Vivaldi auch absolut wunderbar und spiele seine Stücke gerne auf meiner Violine, die ich meisterhaft beherrsche oder auch auf der Geige. Wir werden sicher die Gelegenheit haben, zusammen zu musizieren wie ich es hier bei Hofe mit meinem Vater praktiziere.

Ich werde mich in Marie Christine verlieben, dessen bin ich mir sicher.

In sie und nicht in ihren Bruder.

Ich kann nicht anders, ich kann nicht anders.

Ich liebe Joseph nicht, ich werde ihn nie lieben. Niemals.

Ich kann ihn gar nicht lieben.

Denn ich liebe Marie Christine, seine Schwester.

Ich liebe sie und das macht mir Angst.

Große Angst

Denn es ist eine Sünde.

eine große Sünde

eine Todsünde

Padua, 8.Oktober 1760

Ich blicke in die Ferne. Seit jener Nacht auf dem Balkon, in der ich den Sternen weinend und Violine spielend mein Herz ausgeschüttet habe, sind Tage und Wochen vergangen. Morgen werde ich mit einer prachtvollen silbernen Kutsche nach Österreich gebracht werden und meiner Heimat, Italien Adieu sagen.

Tage und Wochen, in denen ich tagein tagaus die Rolle spiele, die sie mir zugedacht haben. Ich muss an eine Marionette denken und fast lächeln bei dem Gedanken an die Marionette, denn meine Mama hat sich am spanischen Königshof gefühlt als wäre sie eine und ich vermisse meine Mama immer noch unendlich. Mein Papa hingegen ist mir immer fremd geblieben, ebenso meine Geschwister. Ferdinand und Marie Louise sind so viel jünger als ich. Ich war zehn Jahre ein Einzelkind gewesen, weswegen ich meiner Mama auch so nahe stand wie niemanden sonst auf dieser Welt. Es tut mir also nicht leid, meinen Vater und meinen Bruder und meine Schwester verlassen zu müssen, denn ich hänge nicht an ihnen. Die Ehe meiner Eltern war stets durch Kälte und gegenseitige Abneigung geprägt gewesen und von meiner Mutter hatte man am spanischen Königshof stets erwartet, ihr Pflichten zu erfüllen und meinem Vater, Thronerben zu schenken. Wie es ihr ging, war allen gleichgültig. Genauso gleichgültig wie ich meinem Vater bin, der mich nun verheiraten wird nach Österreich der Dynastie wegen, denn der österreichische Hof wünscht sich eine Verbindung zu Frankreich und König Ludwig XV ist ja mein Großvater.

Ich beiße mir auf die Lippen, denn wenn ich ganz ehrlich zu mir bin, war es nicht mein Vater, der mich nach Österreich verheiraten wollte, sondern meine Mutter und mein französischer Großvater. Um die Verbindung der Häuser Bourbon und Habsburg auf ein stabileres Fundament zu stellen, schlug mein Großvater, der ein Bourbone ist, eine Verbindung zwischen dem österreichischen Thronerben und mir vor. Man sagt, dass auch seine Mätresse, Madame Pompadour, die ich aufrichtig hasse für das, was sie meiner armen Großmama antut, ihre Finger im Spiel hatte und diese Verbindung mit dem Grafen Kaunitz, der einst als Botschafter am Königshof in Versailles weilte und nun Hof und Staatskanzler am Hofe Maria Theresias ist, geschmiedet hat. Die Pompadour hat leider einen immensen Einfluss auf meinen Großpapa, ist sie doch viele Jahre, fast 17 an der Zahl, jünger als meine Großmama und weitaus weniger fromm, was mein Großpapa leider sehr anziehend zu finden scheint. In der Sache mit Kaunitz und dem Wiener Hofe setzte sie in der Tat ihre und Österreichs Interessen beim König durch. Österreich will nämlich den Verlust Schlesiens im Krieg gegen das Preußen Friedrich II ausgleichen und Frankreich vom Erbfeind vieler Schlachten in Italien, im Burgund, Flandern und in den Pyrenäen zum Verbündeten machen, eine Art Umkehr der Alliancen wie man zu sagen pflegt. Österreich sagte sich dabei von seinem langjährigen Bündnispartner England los, der eine Alliance mit dem aufstrebenden Preußen Friedrich I eingegangen war. Ich bin der Spielball, ein menschlicher Spielball und ich hasse die Kaiserin dafür, die Kaiserin, Joseph, Kaunitz und ganz besonders die Pompadour, diese furchtbare intrigante Person. Und auch meinen lieben Großpapa, den ich sonst sehr lieb habe. Aber er ist dieser furchtbaren Pompadour verfallen, mit seiner ganzen Seele ist er ihr verfallen, ihr und ihrer jugendlichen Schönheit und ihrem lasterhaft verdorbenen Wesen. Wahrscheinlich kann auch die Kaiserin die Pompadour nicht leiden, da sie sehr fromm sein soll und die sittenlose Maitressenwirtschaft am Versailler Hof nicht gut heißt. Sie heißt mit der Zusammenarbeit mit der Pompadour deren Unzucht gut. Immerhin ist die Pompadour eine Bürgerliche, kam als Madame Poisson zur Welt und hat ihren Grafentitel nur ihren Aktivitäten im königlichen Bett meines Großvaters zu verdanken, diese impertinente Person! Wie ich sie verachte und hasse. Sie ist an allem schuld!!

 

Als ich gerade einmal neun Jahre alt war im Jahr 1750 stellte meine Mama daher von Großpapa und Madame Pompadour angestiftet, Überlegungen an, mich mit Joseph, dem gleichaltrigen Sohn Maria Theresias zu verheiraten. Sie hat meine Hochzeit mit Joseph als ihr Lebenswerk betrachtet, wie manche ihrer Hofdamen böswillig behaupteten und so war es auch, denn im letzten Herbst gab es für sie kaum ein anderes Thema für sie als meine Hochzeit. Ich war davon so entnervt, dass ich mir vorgenommen habe meine Tochter nicht dem Schicksal der Ehe auszusetzen, aber ich weiß, dass das nicht geht. Es ist in unserer Bestimmung als Frauen als junge Mädchen zu heiraten und wir werden auch unsere Töchter als junge Mädchen verheiraten, ob sie wollen oder nicht. Selbst wenn wir gelitten haben wie meine Mutter als vierzehnjährige. Wir fügen unseren Töchtern das gleiche Schicksal zu, wie unsere Mütter es uns zugefügt haben. Und ich kann froh sein, dass ich bald neunzehn Jahre alt werde und nicht vierzehn bin wie meine Mutter damals, als sie mich gebar am für sie fernen und steifen spanischen Hof. Und ich kann froh sein, dass ich früh sterben werde und meine Töchter nicht verheiraten muss.

Ich blicke durch mein Fenster in die Ferne und sehe die Kathedrale von Padua. Sie ist ein herrlicher Bau und normalerweise habe ich einen Blick für schöne Bauwerke und genieße es sehr, mir diese anzusehen. Heute allerdings fällt es mir schwer, das schöne zu sehen und nicht einmal ein so herrlicher Renaissancebau wie diese Kathedrale wärmen mein kaltes Herz, das furchtbar weh tut. Hier in dieser Kirche wurde ich nämlich gestern getraut per procturatonem, wie man so schön sagt, ohne meinen Gatten. Joseph ist in Wien geblieben und wurde von Fürst Liechtenstein vertreten. Es gibt kein Zurück mehr für mich. So sehr ich mir das auch wünsche, mich danach sehne. Es gibt kein Zurück. Ich werde Josephs Frau werden.

All dieser Pomp und das ganze Zeremonielle widern mich an und zerren an meinen Nerven. Von meinem Großpapa aus Frankreich habe ich eine komplette Aussteuer aus dem teuersten Leinen und Seide, alles mit kostbarsten Spitzen verziert, erhalten, von Großmama drei wunderschöne Mäntel aus herrlich, weichem, dunklen Samt. Das alles ist lieb gemeint und wunderbar und ich habe mich gerade in Versailles immer sehr wohl gefühlt, viel mehr als hier in Italien. Ich muss aber immer an die armen Menschen denken, die in den Kriegen und Schlachten ihr Leben verloren haben, verlieren und noch verlieren werden und welche Armut überall herrscht und wie viele hungrige Kindermägen man satt bekommen könnte mit all dem Geld, dass diese Sachen gekostet haben.

Wohlerzogen ertrag ich all das mit großer Geduld und lasse mir nicht anmerken, wie es tief in mir drinnen aussieht. Das will eh niemand wissen und meine Mama ist tot. Ich kann nur sagen, dass das Schicksal einer großen Fürstentochter das unglücklichste ist. Worauf hat die Tochter eines großen Fürsten zu warten? Doch nur auf eine arrangierte Ehe und Kinder zu bekommen. Mehr nicht. Mehr nicht und das reicht mir nicht, hat mir noch nie gereicht, noch nie. Wird mir auch nie reichen. Niemals!

Diese Gedanken habe ich gestern auch meinem Tagebuch anvertraut. Ich bin wirklich zu nichts anderem geboren als dem Plunder von Ehre und Etikette ausgesetzt zu sein. Eine Fürstentochter wird zu nichts anderem geboren, als dem Wollen der Staatsmacht ausgeliefert zu sein. Eine Fürstentochter hat ihren freien Willen aufzuopfern und der Dynastie möglichst viele Söhne und Töchter zu gebären. Ich habe zu heiraten und Kinder zu bekommen. Den Thronerben, am besten viele Söhne. Die Dynastie bewahren. Basta. Alles andere interessiert nicht und ich kann mit niemandem darüber reden. Und dabei erwarten alle von mir natürlich auch noch, dass ich dankbar und glücklich bin, denn ich bin die Schwiegertochter von Maria Theresa und werde einmal die Frau des Kaisers von Österreich werden. Kaiserin des heiligen römischen Reiches deutscher Nation, wie mir mein Vater vor Stolz berstend immer wieder einbläut.

Jetzt weiß nur mein Tagebuch davon, aber vielleicht werde ich eines Tages über diese Gedanken einen Aufsatz schreiben, so wichtig sind sie mir.

Denn alle denken, ich hätte das Glückslos gezogen.

Jede Adelstochter Europas beneidet mich und ich?

Ich, ich würde gerne das Los einer Bürgerlichen teilen. Ohne Zwang und ohne Ehr und dafür aber frei, aber das darf ich bloß niemandem sagen. Nicht einmal wollen. Ich kenne den Mann, den ich heiraten soll, doch nicht einmal, ich kenn auch das Land nicht, in das ich ziehen soll, die Kultur, die Sprache, all das ist mir neu. Ich weiß doch nicht einmal, ob sie mich an dem Kaiserhof in Wien mit offenen Armen empfangen oder ob sie auf mich eifersüchtig sind und neidisch. Vielleicht spüren sie, dass ich Frauen bevorzuge und verachten mich dafür. Das macht mir Angst, genau wie die Vorstellung das Bett mit diesem Joseph zu teilen, Mit diesem Joseph, den ich gar nicht kenne. Nur ein Bild, er sieht gut aus, wirklich gut, aber ich empfinde gar nichts für ihn, ganz im Gegensatz zu Marie Christine, seiner Schwester. Mir wird allein bei dem Gedanken übel, dass er zu mir ins Bett steigt und die Ehe mit mir vollziehen will, vollziehen muss, bis er den Erben bekommt. Möglichst viele Erben, denn Mädchen zählen leider nicht und Kinder sterben oft schon in sehr jungen Jahren. Ich werde immer wieder das Bett mit ihm teilen müssen, ob ich will oder nicht. Mir graut davor, ich habe Angst, große Angst.

Ich beneide aus tiefstem Herzen die bäuerlichen Mädchen, die heiraten können, wen sie wollen oder lieben – oder es auch bleiben lassen. Ich beneide auch die Nonnen in den Klöstern, die ganz speziell. Ich will gar nicht heiraten, aber mich fragt niemand, was ich will. Mir graut vor der Heirat. Mir graut und mich schaudert es.

Doch das stimmt nicht ganz, dass ich mit niemandem reden kann, denke ich, lächle leicht und schlage den Kasten meiner Violine auf. Ich greife den Brief von Marie Christine, lass ihn durch meine Hände gleiten und fühle ihn mit meinen Fingern. Ganz sachte, ganz zärtlich streiche ich über ihn.

Marie Christine denke ich und ein Lächeln huscht über mein trauriges Gesicht. Ich greife zu meiner Feder, setzte mich an meinen Schreibtisch, tauche die Feder in Tinte und lasse sie sachte über das Papier gleiten. Ganz sachte und auf mein klopfendes Herz hörend, das wie verrückt gegen meine Brust pocht und mein kaltes Herz erwärmt. Ich schreibe und schreibe und von ganz allein fließen meine Worte. Ich lege die Feder zur Seite und lese mir immer wieder meine letzten Worte durch.

„Adieu meine liebe Schwester, ich lege mich jetzt hin und ende wie stets nicht ohne Sie fest zu umarmen. Ich liebe Sie und bin in Wahrheit Ihre getreue Schwester Isabella Marie Louise.“

Ihre Schwester, denke ich fast grimmig, wohl kaum nur ihre Schwester.

Aber das darf ich nicht denken und nicht wollen.

Schon gar nicht wollen.

Denn, es ist eine Sünde.

Eine Todsünde

Ich blicke aus dem Fenster und ordne meine Schreibsachen. Morgen werde ich in meiner von acht Schimmeln gezogenen Prunkkarosse der Braut durch Oberitalien, Kärnten, die Steiermark und das südliche Niederösterreich nach Wien reisen.

Wien, 10 Januar 1761

Ich bin in Wien. Ich bin verheiratet und man schreibt bereits das Jahr 1761, genauer gesagt den Monat Januar.

Ich muss mich noch an den österreichischen Winter gewöhnen. Es ist furchtbar kalt und mein Herz ist zu Eis erstarrt, genau wie der Schnee in der Hofburg und im Schloss Schönbrunn vor sich hin frostet. Joseph hat nichts an sich, um mich für ihn zu erwärmen, aber er bemerkt das gar nicht. Ich spiele ihm die glücklich verliebte Ehefrau vor und er glaubt mir. Ähnlich wie mein Vater bei meiner Mutter spürt auch er nicht, dass ich in seinen Armen und seiner Gegenwart zu Eis werde und furchtbar fröstele. So wie meine Mutter damals bei meinem Vater.