Ich wollte nie Kaiserin werden

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Kapitel 4 – Auf Reisen

03. September 1856

„Ist es nicht wunderschön hier?“ Franz hält meine Hand in der seinen und lächelt mich an. Ich lächle zurück.

„Ja, es ist wunderschön, diese reine Luft, so reine Luft haben wir nicht mal daheim in Bayern. Mein Papa hat immer gesagt: Öffne deine Lungen und fülle sie, bis sie platzen. Spüre das Leben, mein Kind. Atme es ein und genieß es. Lass es auf keinen Fall wieder los. Ich verstehe jetzt, was er damit gemeint hat, lass uns wandern gehen, Franzl“, sage ich und atme tief durch. Jetzt, in diesem Moment, ist die Hofburg, meine Kerkerburg, die mir die Luft zum Atmen nimmt, weit weg, ganz weit weg.

„Ja, das machen wir, die Berge hier in Tirol sind formidabel, fast viertausend Meter sind sie hoch.“

„Sie sehen wunderschön aus, ich habe ganz vergessen, wie schön die Berge sind. Meine Kopfschmerzen sind wie weggeblasen und auch du, lieber Franzl, bist viel weniger angespannt. Du bist wieder der junge Mann, in den ich mich in Bad Ischl verliebt habe. Komm lass uns den Großglockner besteigen.“

Wir küssen uns zärtlich und es fühlt sich wunderbar an. Es ist mir völlig gleichgültig, was meine Hofdamen denken. Die sind nämlich der Meinung, dass eine Frau im Tal wartet, wenn der Mann den Großglockner, den höchsten Berg Österreichs, besteigt.

Pustekuchen. Jetzt müssen sie mit uns hochsteigen. Sonne, frische Luft und körperliche Ertüchtigung haben noch niemandem geschadet.

Wien ist weit für uns beide, die Hofburg ist weit weg, Tante Sophie ist weit weg.

Ach, ist das Leben herrlich! Ich wünschte es könne immer so bleiben und strahle Franz breit an.

04. September 1856

Gestern kam ein böser, rachsüchtiger Brief von Tante Sophie. Franz Joseph hat sich aber fest entschlossen, nicht zu antworten und die Spione und Höflinge zum Teufel zu schicken. Wir sind hier für uns und die Bergbauern lauschen nicht an den Türen.

Wir haben uns die stillen Tage in den Bergen auch redlich verdient. Der offizielle Besuch in der Steiermark und in Kärnten war ein voller Erfolg. Die Menschen sind sehr nett, haben uns mit offenen Armen empfangen und uns zugejubelt. Ich höre diesen einfachen Menschen so gerne zu, ich spüre, wenn sie traurig sind und ich möchte ihnen so gerne helfen.

Die Prügelstrafe ist abgeschafft worden und eine Reihe politischer Gefangener freigekommen. Sehr gut, aber es muss noch mehr passieren. Die Bauernkinder brauchen die gleiche Schulbildung wie die Kinder aus der Stadt. Auch ihnen muss der Zugang zu einer Universität offenstehen.

Die Menschen hier auf dem Land mögen und respektieren mich. Für sie bin ich nicht das dumme Mädchen, das nur Kinder bekommen und zu politischen Themen den Mund halten soll.

Ich glaube auch, dass ich einen gewissen Einfluss auf den Kaiser habe, ihn weicher und milder, gar liberaler mache.

„An was denkst du gerade“, reißt mich Franz aus meinen Gedanken.

„An nichts Besonderes“, schwindle ich „Ist es nicht herrlich, spazieren zu gehen. Wir haben eine gemeinsame Leidenschaft, die Natur, ist das nicht wunderbar?“

Franz nickt und zieht mich mit sich fort.

Keiner von uns beiden verschwendet einen Gedanken an Tante Sophie. Sophie, die erzürnt ist, dass die Mädchen nicht mehr in ihrer Nähe untergebracht sind. Sie hat gar gedroht, die Hofburg zu verlassen und ihre Stellung bei Hofe aufzugeben (herrlich!), wenn wir nicht augenblicklich nach Hause kommen und unser Leben weiter unverantwortlicherweise beim Bergwandern aufs Spiel setzen. Wir sollen die Kinder in ihre Obhut zurückbringen.

18. September 1856

Zurück in Wien!

Meine Töchter sind bei mir und Franz untergebracht. Der Kaiser hat noch einmal einen sehr direkten Brief an seine Mama geschrieben, dass ich eine selbstlose Gattin und Mama bin und sie mich mit Nachsicht behandeln soll. Zudem hat er ihr auch klar gemacht, dass es für uns ein Unding ist, lange Wege auf uns zu nehmen, um unsere eigenen Kinder zu sehen und dann dort wildfremde Menschen vorzufinden.

Ich werde im November nach Italien fahren. Ich freue mich ganz besonders auf das Meer. Ich war noch nie am Meer. Ich werde reisen und glücklich sein. Die kleine Sophie nehmen wir mit, gottseidank nicht die große. Die große ist natürlich dagegen, dass die Kleine mitfährt, weil sie zart ist, sich viel erbricht und oft kränkelt. Ich denke, der Winter im Süden tut ihr gut, das Klima soll dort sehr milde sein. Und auch mir wird es gut gehen. Sobald ich die Hofburg verlasse, habe ich keinen Husten und kein Kopfweh mehr.

21. November 1856

„Blau“, sagte Sophie und strahlte mich an. Das Meer ist blau, ein wunderschönes, leuchtendes Blau, viel schöner als das dunkle Wasser des Starnberger Sees. Die Adria gefällt mir viel besser, ich habe noch nie so etwas schöneres gesehen, nicht einmal in den Bergen. Ich würde gern hier ein Haus haben, weg aus Wien ziehen. So ganz utopisch ist das eigentlich gar nicht, da Italien zur Monarchie gehört.

Ich schaute von den dalmatinischen Bergen hinunter auf das Meer, ein herrlicher Anblick, die Hafenstadt Triest breitete sich zu unseren Füßen aus.

„Ja, blau“, sagte ich zu Sophie und strich über ihren Kopf, „das Meer ist blau, es ist wirklich ein Traum.“

Die Stimmung in Italien ist allerdings feindlich. Man hat versucht, uns schon gestern in Triest umzubringen. Wir wollten auf das Meer rausfahren, worauf ich mich sehr gefreut hatte. Kurz bevor das Schiff anlegte, war jedoch eine, zwischen zwei Schiffsmasten aufgehängte, Kaiserkrone aus Kristall auf das Deck gestürzt und in tausend Splitter zersplittert, sodass wir nicht fahren konnten. Ich dachte zuerst an einen Schuss und riss die kleine Sophie aus den Armen der Gräfin Esterházy, so sehr hatte ich mich erschrocken. Es wurde zwar gottseidank niemand verletzt, es war aber wahrscheinlich ein Attentat, uns hat man versucht zu beruhigen und die Ursache des Unglücks auf den Bora, den Wind, der aufgekommen war, zu schieben, was wir nicht recht glauben konnten. Während des Empfangs im Triester Rathaus brach auch noch ein Feuer aus.

Es war wie Grünne mir sagte: Ablehnung und Hass, unser Leben in Gefahr und wir müssen den Mut und die Entschlossenheit der Dynastie unter Beweis stellen.

Die Italiener können uns, ihre Besatzer, genauso wenig leiden wie die Ungarn und wollen nicht mehr zu Österreich gehören. Sie wollen ihre Freiheit haben, was ich verstehen kann.

24. November 1856

Wir sind heute in Venedig angekommen!

Eine bezaubernde Stadt mit herrlichen Bauwerken und weiten, lichtdurchfluteten Plätzen und das Meer fließt durch die Stadt hindurch. Überall ist das herrlich blaue Meer und Sophie ruft die ganze Zeit begeistert „blau“. Leider sind die Menschen sehr unfreundlich und ich sehe keine lächelnden Gesichter. Sie hassen uns und zeigen es uns deutlich. Wir sind auf einer Galeere in die Stadt eingefahren, es wäre schön gewesen, wenn nicht am weiten Markusplatz bei San Marco die schweigende Masse gewesen wäre. Kein einziges „Evviva“, nur vereinzelte, verzweifelte Hochrufe der österreichischen Soldaten, die „Hoch“ und „Hurra“ riefen. Der venezianische Adel war erst gar nicht erschienen, sondern blieb auf seinen Landsitzen. Eine zum Zerreißen gespannte Stimmung, es riecht förmlich nach Krieg.

Und dennoch konnten Sophie und ich unsere Blicke nicht vom Meer losreißen. Das wunderbar blaue Meer. Ich hätte so gerne hier ein Haus. Es wäre so leicht, diese Stadt zu lieben, bis zum Wahnsinn zu lieben.

Nur von meinen Hofdamen begleitet werde ich die Stadt zu Fuß erkunden. Die Venezianer werden meine Schönheit und meinen Charme rühmen.

30. November 1856

Gestern haben wir einen Empfang im Dogenpalast gegeben. Die vornehmen Familien waren fast alle nicht da und haben uns gezeigt, wie sehr sie uns hassen. Ich spürte den Eiseshauch, viele Logen blieben leer, kaum jemand grüßte.

02. Dezember 1856

Der Kaiser ist zur Tat geschritten. Die Venezianer geben sich nicht mit einem freundlichen Lächeln und einem Festakt zufrieden. Franz hat heute das beschlagnahmte Vermögen der im Exil lebenden Italiener wieder frei gegeben, den gedemütigten italienischen Adel rehabilitiert und das Allerwichtigste, den politischen Gefangenen eine Generalamnestie erlassen.

03. Dezember 1856

Heute haben wir beim Spazierengehen einen armen, alten Mann getroffen, der Franz Joseph angesprochen und ihm erzählt hat, dass ihm seine Offizierspension gestrichen worden sei, weil er an der Revolution von 1848 teilgenommen hat. Franz wollte schon weitergehen und hat ihm nur kurz angebunden mitgeteilt, dass er seinen Bittbrief im Palais abgeben soll. Mir aber tat der alte Mann, der so verzweifelt aussah und schon einmal vergebens im Palais vorgesprochen hatte, leid und ich habe auf meinen Franzl eingeredet. „Gib ihm doch einen deiner Handschuhe, dann werden wir Befehl geben, dessen Besitzer hereinzulassen.“ Am Nachmittag ist der Mann dann in unseren Palais gekommen und Franzl hat ihm die Offizierspension zugesichert. Ich bin so stolz auf meinen Kaiser.

Und das beste: Sophie wird sich totärgern! Einem Revolutionär Geld zu geben, undenkbar in ihren Augen!

15. Dezember 1856

Ich fühle mich nicht gut. Ich spüre einen starken Drang, mich zu bewegen, aber das geht nicht, weil der kleinste Spaziergang einen Menschenauflauf auslösen würde.

 

Nachts stehe ich oft auf, ganz leise, um Franz und die kleine Sophie nicht zu wecken, stehe am Fenster und schaue raus, male mir aus, was die anderen Reisenden machen würden. Was ich auch tun wollen würde, wenn ich reisen könnte, wie ich wollte. Was ich mir anschauen wollen würde.

15. Januar 1857

Wir haben Weihnachten in Venedig verbracht, Sophie hat mit den Kerzen am Weihnachtsbaum um die Wette gestrahlt, der direkt aus dem botanischen Garten in Wien kam. Es war ein richtig schönes Fest und der Weckbecker und selbst die Esterházy waren guter Laune.

Heute sind wir in Mailand angekommen. Die Polizei hat die Landbevölkerung in die Stadt getrieben, damit sie uns mit Ovationen begrüßen. Dennoch haben die meisten geschwiegen wie ja auch schon in Venedig.

Am Abend waren wir in der Scala. Hier gab es einen Affront, da die Aristokraten Mailands ihre Dienstboten in feine Kleider gesteckt und diese statt ihrer selbst in die Oper geschickt haben. Darüber hinaus stimmten sämtliche Besucher beim Eintreten des Kaiserpaares Verdis Gefangenenchor an, um uns dazu zu bewegen, gekränkt die Oper zu verlassen. Irgendwie ist es mir gelungen, den Kaiser zu besänftigen, indem ich dem Chor applaudiert habe. Wir sind bis zum Ende der Vorstellung geblieben und ich habe mir mit großem Vergnügen Tante Sophies Gesicht ausgemalt.

Die Musik war aber auch zu herrlich!

20. Januar 1857

Franz Joseph hat General Radetzky, den Gouverneur und militärischen Oberbefehlshaber von Lombardo – Venetien, all seiner Ämter enthoben. Dies war auch an der Zeit, der Name Radetzky steht in ganz Oberitalien als Synonym für Unterdrückung. Er wird von Erzherzog Maximilian von Österreich, dem Bruder des Kaisers, abgelöst. Dies begrüße ich sehr, da Maxi sehr viel liberaler als der Kaiser ist. Maxi ist auch irre klug, er spricht acht Sprachen, liebt Literatur und schreibt melancholische Gedichte wie Heinrich Heine, mein liebster Schriftsteller.

Er reiste gestern an und wir verstehen uns prächtig. Er ist viel lockerer und umgänglicher als sein Bruder. Allerdings taucht der Name seiner Verlobten, Charlotte von Belgien, viel zu häufig in den Gesprächen auf, was mich merkwürdigerweise eifersüchtig macht.

25. Januar 1857

Maximilian ist jetzt Vizekönig und Gouverneur von Lombardo – Venetien. Ob das genügt, ich weiß es nicht. Die Italiener wollen uns nicht liberaler und humaner wie Maxi es zweifelslos ist, sie wollen, dass wir verschwinden. Aber das würde der Kaiser nie tun.

Vielleicht kann man trotzdem ein kleines Evviva hören, denn Max ist als Generalgouverneur von Mailand gewiss beliebter als Radetzky, der sehr hart zu den Italienern war.

„Mama“, sagt Sophie und zupft an mir herum. Lachend versteckt sie ihr kleines Gesicht in meinem Rocksaum. Sie ist nicht mehr so blass wie in Wien, bricht nicht mehr dauernd und hustet weniger. Ach möge der Schatten des Kränkelns, der auf ihr liegt, von ihr weichen.

17. März 1857

Wir sind wieder in Wien. Die kleine Gisela hat mich gar nicht erkannt und keine Miene verzogen. Gar Angst hatte sie angeblich vor mir. Das Werk der Erzherzogin. Paula Bellegarde meint jedoch, dies sei bei so kleinen Kindern durchaus normal, was ich aber nicht glaube. Sophie war ja auch erzürnt, dass wir Sophie nach Italien mitnahmen. Angeblich behaupten böse Zungen, dass der Kaiser die Kleine nur mitnahm, um sich vor möglichen Attentätern zu schützen. Welch Unsinn! Von nun an werde ich meine Kinder auf die Reisen mitnehmen. Sophie ging es im Süden gut. Kein einziges Mal war sie kränkelnd.

Franz sitzt immerfort über seinen Akten. Und ich soll den verhassten Cercle wieder aufnehmen. In den Augen dieser hochnäsigen Adelsleute, die fast alle miteinander verwandt sind, bin ich eine dumme Göre aus Bayern, deren Ahnentafel es weder mit dem österreichischen noch mit dem böhmischen Hochadel mithalten kann. Sie verachten mich und lästern wahrscheinlich hinter meinem Rücken über mich und geben mir Schimpfnamen.

18. März 1857

Heute ist etwas Entsetzliches passiert!

In meinen Privatgemächern lag ein sehr altes Buch mit vergilbten Blättern auf meinem Schreibtisch.

Auf französisch stand da zu lesen: „Der Krone, Erben zu schenken, ist das Lebenswerk einer Königin. Der Herrscher, der seiner Frau antwortete: Wir haben Euch erwählt, damit Ihr uns Söhne schenkt und keine Ratschläge, war allen anderen ein gutes Beispiel. Das nämlich ist das Schicksal und die natürliche Bestimmung der Königinnen. Wenn sie sich nicht daranhalten, werden sie zur Wurzel allen Übels. Wie Katharina von Medici und Anna von Österreich. Wenn eine Königin schon das Glück hat, einem Staat Prinzen zu schenken, so sollten sie dafür ihren ganzen Ehrgeiz einsetzen und sich unter keinen Umständen in die Regierungsgeschäfte einmischen, denn diese sind nun einmal keine Angelegenheiten für eine Frau. Eine Fürstin, die keine Söhne zur Welt bringt, ist eine Fremde im eigenen Land, eine äußerst gefährliche Fremde sogar.“

Ratschläge für die Königin Marie Antoinette, ausgedacht und niedergeschrieben von jemanden, der sein Land und seine Herrscher liebt.

Sie wollen mich verletzen und mir Angst machen, für sie bin ich niemand, solange ich keinen Sohn zur Welt gebracht habe. Ich muss unbedingt einen Sohn bekommen. Ich frag mich auch, wer diesen schrecklichen Text auf meinen Sekretär gelegt hat, wer mich so sehr hasst? Gewiss Sophie oder Erzherzog Albert, denn die zürnen mir, dass der Kaiser durch mich milder und liberaler wurde und Radetzky abgesetzt hat.

Und dennoch:

Ich muss meine Pflichten tun!

Dem Kaiser einen Erben schenken!

Ansonsten bin ich für den Kaiser eine Last!

Angeblich soll Maria Theresias Vater, Kaiser Karl VI., seiner Frau Elisabeth Christine nach dem Leben getrachtet haben, weil sie nur Mädchen zur Welt brachte. Interessanterweise starb er aber vor ihr, eventuell an einer Vergiftung mit Knollenblätterpilzen.

Auch die erste junge Gemahlin Kaiser Leopolds I, soll eines nicht ganz natürlichen Todes gestorben sein.

Napoleon hat seine heiß und innig geliebte Josephine verbannt, weil sie ihm keine Kinder schenkte. Und Josephine soll wie ich wunderschön gewesen sein.

Mir graut!

Ich brauch dringend einen Sohn!

28. April 1857

Wir fahren nach Ungarn, ich freue mich wahnsinnig auf diese Reise.

Ungarn, mein Herzensland.

Wie gerne kehre ich Wien den Rücken zu, es kommt einer Befreiung gleich.

Natürlich steht es auch in Ungarn nicht zum Besten. Das Land ist besetzt, unterdrückt, unzufrieden und es hasst die Österreicher aus tiefster Seele. Dennoch, oder vielleicht gerade deswegen, liebe ich dieses Land wie kein zweites und nichts, aber auch gar nichts, kann mich davon abhalten, vor allem da Tante Sophie Ungarn hasst wie die Pest.

Die Ratgeber des Kaisers haben in Italien gemerkt, wie gut ich auf rebellische Untertanen wirke.

Ich erinnere mich so gerne am Janos Majlath und meine letzten Tage in Possi. Wie er von seiner schönen Heimat geschwärmt hat und ich mir ganz fest vorgenommen habe, diesem wunderbaren Land zu helfen. Jetzt kann ich es einlösen und Herr Majlath wäre stolz auf dich. Ich lerne eifrig ungarisch und hoffe, es besser zu lernen als italienisch und tschechisch. Die Italiener waren nämlich gar nicht zufrieden mit meiner Sprache. Hoffentlich werden es die Ungarn sein. Ich darf sie nicht enttäuschen.

Seit Janos Majlath habe ich keine echten Ungarn mehr gesehen. Die Ungarn am Wiener Hof sind mir zu angepasst und durch den Umgang am Hof verdorben. Ich kann sie nicht als echte Madjaren akzeptieren.

Wir nehmen beide Mädchen mit. Tante Sophie war nicht begeistert, da Gisela noch so klein ist, hat aber dann zugestimmt, weil Dr. Seeburger, unser Leibarzt, mitfährt. Und mit Sophie ging in Italien ohnehin alles recht gut.

Allerdings hat sie mich damit natürlich gezankt, weil ich die Kinder mitnehme, da Sophie immer noch zahnt und gerade erst krank war.

Wir haben aber Dr. Seeburger dabei.

Es kann uns nichts passieren.

04. Mai 1857

Wir sind mit dem Schiff über Preßburg nach Budapest gefahren. Budapest ist wunderschön. Es besteht aus zwei ganz verschiedenen Städten, Buda und Pest. Buda ist eine barocke Stadt und liegt auf den Hügeln, hier ist auch der Königspalast. Wir wohnen aber auf dem linken Donauufer in Pest. Hier gibt es viele verwinkelte Sträßchen mit herrlichen Ausblicken, die sich in der weiten Ferne verlieren. Zwischen den beiden Städten gibt es prachtvolle Brücken.

Ich fühle mich ganz anders als in der Hofburg, wie befreit bin ich und ich liebe die Nationaltracht der Ungarn. Sie steht mir sehr gut und ich will den Ungarn gefallen. Der ungarische Adel gefällt mir sehr gut, viel besser als die Wiener Aristokratie, sie sind so stolz und selbstbewusst.

Der erste Empfang war jedoch wie in Italien frostig. Es waren nur unsere schwarzgelben Habsburger Fahnen erlaubt, so waren keine bunten ungarischen Wimpel zu sehen. Mich scheinen sie jedoch interessant zu finden, da ich schön bin und sie wissen, dass ich mich mit Sophie nicht so gut verstehe. Deswegen nehmen sie an, dass ich zu Ungarn eine andere Haltung haben werde und irren sie sich nicht.

Die Oper „Erzsebet“, was mein Name auf Ungarisch ist, war sehr unterhaltsam und mir gefielen die Kostüme der Herren und die Juwelen der Damen.

05. Mai 1857

Die Ungarn lieben mich. Sie wollen die Wiedereinführung der ungarischen Verfassung und hoffen, dass ich ihnen helfen kann. Außerdem loben sie meinen Eifer, ungarisch zu lernen. Ich spreche es noch nicht sehr lange, aber mir gefällt die Sprache, es ist eine so schöne Melodie, wie singen, nur noch schöner. Ich muss mich gar nicht einmal anstrengen, es zu lernen.

Beim Hofball sah ich den ungarischen Tänzen zu und tanzte dann selbst die Quadrille, einmal mit Erzherzog Wilhelm und einmal mit Graf Nikolaus Esterhazy, der auch ein guter Reiter sein soll.

Die Ungarn finden auch meine Reitkünste toll, wenn ich neben dem Kaiser hoch zu Pferd einer militärischen Revue beiwohne oder Paraden abnehme.

Erfolg auf ganzer Linie! Ich erobere ihre Herzen im Sturm!

Soll der alte Crenneville doch der Tante gegenüber über meine Reitkünste lästern!

Sollen sie mich doch die Königin der Amazonen nennen!

Ich finde es wunderbar!

08. Mai 1857

Franz Joseph hat eine Amnestie erlassen. Auch Rebellen wie Gyula Andrassy dürfen nach Ungarn zurückkehren. Die Ungarn halten aber an ihrem Wunsch einer Verfassung fest, was Franz ablehnt, denn wenn dieses Beispiel Schule macht, dann wollen alle anderen Nationen, die zum österreichischen Großreich gehören, auch eine solche Verfassung haben. Ich kann mir vorstellen, dass es selbst in Österreich liberale Gegenstimmen zu der Politik des Kaisers gibt.

23. Mai 1857

Wir sind in der Puszta.

Die beiden Mädchen sind mit Dr. Seeburger in Ofen geblieben, da beide nicht ganz gesund sind. Gisela hatte Fieber und Durchfall und steckte Sophie an, die ärger dran war als Gisela, da sie zarter ist als ihre robuste kleine Schwester. Seeburger meint, bei beiden Mädchen wäre es das Zahnen und wir sollten uns keine Sorgen machen, Durchfall und auch Fieber wären beim Zahnen nichts Ungewöhnliches, selbst dann, wenn dieses in einem nächtlichen Fieberwahn münden würde. Aber Sophie weinte und schrie man in einem fort, dass es einem schier das Herz zerriss und ich dauernd an ihrem Bettchen blieb und sie pflegte. Der Kaiser ging jedoch in den Wäldern rund um Budapest jagen, da er meine Fürsorge übertrieben fand, er erlegte 72 Reiher und Kormorane. Diese armen Tiere, ich sitze an Sophiens Bett und er amüsiert sich auf diese scheußliche Art und Weise.

Dr. Seeburger meinte immer noch, dass es nur das Zahnen ist, was Sophie plagt und Franz meint, dass wir die verschobene Reise antreten müssen, weil alles für unseren Empfang vorbereitet sei. Ich hoffe der Seeburger und der Kaiser wissen, was sie tun. Da es ein wenig besser mit Sophie wurde, sind wir dann also doch gefahren.

 

25. Mai 1857

Die Puszta ist herrlich, genau wie es mir Janos Majlath erzählt hat. Eine unendlich weite Ebene. Eine Welt, die meinen Träumen entspricht. Ich habe meine Freude an den farbenprächtigen Nationalkostümen und den herrlichen Pferden. Reiten, Reiten, Reiten soweit die Sehnsucht trägt, ohne anzuhalten, das möchte ich. Natürlich begeistere ich die Ungarn zu Pferd. Diese schönen rassigen Tiere begeistern mich sehr viel mehr als die Volksfeste. Grünne hatte so recht, als er von diesen edlen Tieren schwärmte. Sie sind wunderbar. Einfach wunderbar.

Und dennoch denke ich immer an die kleine Sophie, schon ich fand in der Schwangerschaft das medizinsche Talent von Seeburger, Sophies altem Stiefellecker, nicht gut.

Der Kaiser vertraut ihm freilich. „Komm, Sisi, du kannst die Reise nicht absagen, die Leute warten auf dich und haben extra ein Programm zusammengestellt. Die Mädchen sind doch bei unserem guten Hofrat Seeburger in den besten Händen“, waren seine Worte gewesen. „Die Gisela hat er doch auch wieder gesund gemacht.“

„Dein Wort in Gottes Ohr“, hatte ich bang geflüstert. „Gisela ist ja auch ein stämmiger, robuster Säugling, der fast nie kränkelt.“

29. Mai 1857

Ich halte das Telegramm, das gestern in Debrecen eintraf, in der Hand festumklammert.

„Gisela wohlauf, Sophie sehr krank, aufs äußerste besorgt!“

Bitte lieber Gott, lass es nicht so schlimm sein! Vor wenigen Tagen waren Sophie und Gisela doch noch gesund genug, dass wir fahren konnten und sie in Ofen zurückließen. Sie kämpft um ihr Leben, kein Zahnen, sie hat Typhus. Dieser alte unfähige Trottel! Die Rückreise nach Budapest im Zug war ein langer, zäher Horror.

„Sophie“, rufe ich außer Atem, an ihr Bettchen stürzend. „Sophie! Sie ist ganz heiß!“

„Sie ist sehr fieberig, Majestät“, sagt Herr Dr. Seeburger leise. „Ihr Befinden bietet zu äußerster Besorgnis Anlass. Es sieht gar nicht gut aus. Sie kann nichts mehr bei sich behalten und hustet Blut. Es hat sich leider auch blutiger Durchfall einbestellt.“

„Es war doch nur ein einfacher Durchfall haben Sie gesagt, ein einfacher Durchfall vom Zahnen, kein Anlass zur Sorge, das ist der Typhus, der verdammte Typhus“, schreie ich wie von Sinnen und schlage Franzens Hand weg.

„Es tut mir leid, Majestät, die junge Erzherzogin ist delirant, aber sie hat“, Dr. Seeburger stockt ein wenig „immer wieder nach Ihnen gerufen, Mama blau, waren ihre Worte.“

Mir steigen die Tränen in die Augen. Die einzigen Worte, die Sophie spricht. Die Worte, die ich ihr in Venedig beigebracht habe.

Ich schlucke schwer.

Schwer schluckend und mit den Tränen kämpfend setze ich mich an Sophies Bett und schließe sie in die Arme. Stunden um Stunden sitze ich, mein fieberndes Kind im Arm haltend, um sein Leben bangend, während Franz unruhig auf und abläuft, niederkniet und verzweifelt um Sophiens Genesung betet. Ihr Atem geht röchelnd und ihr Blick ist glasig. Es gibt keine Rettung mehr, selbst wenn Dr. Seeburger die noch so oft behaupten mag. Mit ihm habe ich kein Wort mehr gewechselt. Er ist schuld an allem. Er hätte erkennen müssen, wie krank Sophie wirklich ist.

Es ist alles seine Schuld!

Ich hasse ihn!

Aber auch ich bin schuld, wenn Sophie stirbt. Hätte ich nur auf die Erzherzogin gehört und die Kinder in der Hofburg gelassen. Den Typhus hätten sie dort nicht bekommen. Wahrscheinlich haben sie sich diesen schon auf der langen Dampferfahrt eingefangen, als die giftigen Dämpfe des Flusses zu ihnen waberten.

„Blau“, sage ich immer wieder und streiche Sophie über den Kopf, versuche ihr immer wieder Brei einzuflößen, alles vergeblich. Draußen ist es schon dunkel.

„Blau, Mama, blau“, sagt Sophie mit dünner, ermatteter Stimme und wird auf einmal ganz ruhig in meinen Armen.

„Sie schläft, Franzl, sie schläft“, flüstere ich unter Tränen, die bittere Wahrheit ahnend.

Franzl schüttelt mit zusammengebissenem Mund den Kopf und fährt mir unbeholfen über die Haare.

„Sie ist tot, Sisi“, sagt er schlicht.

„Majestät, sie ist tot“, wiederholt Seeburger überflüssigerweise die Worte des Kaisers. „Sie atmet nicht mehr. Geben Sie mir bitte die kleine Erzherzogin.“

Ich drücke tränenüberströmt der Kleinen ihre Äuglein zu und reiche ihm widerwillig mein Kind.

Ich hasse ihn!

„Unsere Kleine ist nun ein Engel im Himmel. Nach langem Kampf ist sie ruhig um halb 10 Uhr verschieden“, wird der Kaiser an diesem Abend an seine Mutter telegraphieren.

Wir sind vernichtet!

Vernichtet und trostlos bin ich!

Absolut trostlos!