Ich wollte nie Kaiserin werden

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18. Juni 1859

Das Versorgen der verwundeten Soldaten ist nicht so schlimm, wie ich dachte. Es ist schon seltsam, um meine Kinder durfte ich mich nie kümmern, um fremde Menschen schon. Ich zeige Sophie, dass ich es kann. Helfen und Trösten. Diese armen Menschen brauchen so viel Trost. Viele sind sehr schwer verwundet, haben starke Schmerzen und sterben hier im Lazarett, manche in meinen Armen. Oft rede ich ihnen gut zu, dass sie in die rettende Amputation einzuwilligen. Viele sterben dennoch und ich tröste weinende Mütter und Väter, Töchter und Söhne, Ehefrauen, die Witwen werden, Kinder, die keinen Vater mehr haben, Eltern, die ihren Sohn verlieren.

Manchmal kann ich ihre Schreie nicht mehr hören, nicht mehr zusehen, wie ein Bein amputiert wird, dann reite ich einfach weg. Nur Holmes begleitet mich, er reitet so gut, dass ich von ihm noch etwas lernen kann. Sophie findet das natürlich anstößig, ich alleine in der Begleitung eines Mannes

09. Juli 1859

Natürlich hat Sophie alles dem Franzl gepetzt. Dass ich wie eine Wahnsinnige reite, die ganze Nacht wach bin und rauche, fast gar nichts esse, den Teegesellschaften und Diners, die Sophie gibt, fernbleibe. Unmöglich! Muss sich mein armer Franzl nun auch noch um mich sorgen? Er hat doch genügend eigene Sorgen. Erst Magenta und dann Solferino. Die entscheidende Schlacht fand am 24. Juni 1859 bei Solferino statt, wo unsere Truppen erneut eine schmerzhafte Niederlage erlitten. Österreich muss die Lombardei abtreten, auch die Nebenlinien der Habsburger in der Toskana, Modena und Parma verlieren ihre Besitzungen. Damit ist der Weg frei für die Errichtung des Königreichs Italien unter dem Haus Savoyen. Die Verluste von Solferino waren wie auch die von Magenta entsetzlich. Rund 6.000 Toten und 30.000 Verwundete auf beiden Seiten. Die blutigste Schlacht seit Waterloo 1815.

Franz tut mir so leid, er ist jung und militärisch unerfahren. Ich vermisse ihn, aber er wird nicht derselbe sein wie vor dem Krieg.

Habe ich ihn doch beschworen, mich mitzunehmen in das Hauptquartier. Doch da hätten Frauen keinen Platz und er müsste seinen Truppen ein gutes Vorbild sein.

14. Juli 1859

„Bald kommt der Papa heim“, sage ich zu Gisela, die mich mit großen Augen ansieht. „Dann ist alles gut. Komm wir gehen spazieren.“ Ich ziehe ungeduldig an Giselas Hand. Gestern hat der Kaiser mit Napoleon, dem Erzschuft, einen Waffenstilltand geschlossen.

Sie schüttelt trotzig den Kopf. „Omama, will Omama!“

Ich atme tief durch und mir ist danach, eine Zigarette zu rauchen. Ich lasse Giselas Hand los und nicke der Kinderfrau zu. „Geben Sie das Kind der Erzherzogin. Ich gehe an die frische Luft.“

Ich fühle mich rastlos und gedemütigt. Diese böse alte Frau. Franzl wird ob der vielen Toten und Verletzten keine Hilfe sein, sondern meine Stärke brauchen.

Ich werde dem nicht gewachsen sein.

15. Juli 1859

„Du siehst müde und blass aus, Franz“, sage ich leise. „Lass mich dir helfen.“

Er lacht bitter auf. „Das kannst du nicht, Elisabeth, du kannst dir nicht einmal selber helfen. Du musst mehr essen. Hör auf mit dieser dämlichen Eier - und Früchte Diät. Ich will nicht, dass du noch dünner wirst. Schlafe in der Nacht, denn die ist zum Schlafen da und nicht zum Lesen. Und reite nicht so heftig aus, schon gar nicht alleine mit Holmes, das kann ich dir nicht erlauben!“

„Ich will es aber“, schreit es in mir. „50 Zentimeter Taille. Meine Schönheit ist mein größter Triumph! Und ich will mit Holmes ausreiten, er ist der beste Reiter, besser als Grünne!“

Ich wache auf.

20. Juli 1859

Franz steht am Fenster.

Er ist furchtbar blass, ein Schatten seiner selbst, nichts erinnert mehr an den verliebten Franzl von Bad Ischl. Dieser Franzl ist irgendwo zwischen Magenta und Solferino gestorben und an seine Stelle ist ein besiegter General getreten. Seine Züge sind hart und verbittert geworden, sein Gesichtsausdruck mürrisch, tiefe Falten lassen ihn viel älter als seine 29 Jahre wirken.

Grimmig und verdrossen guckt er mich jetzt an.

„Du meinst, Maximilian hätte es anders gemacht? Ist es das, was du sagen willst, Elisabeth?“ Wie im Traum nennt er mich nicht Sisi, sondern Elisabeth. Wie im Traum klingt er gereizt.

„Du musst das Volk verstehen“, sage ich leise und trete neben ihn. „Es hat für den Krieg bitter geblutet und verlangt Rechenschaft. Die Menschen machen dich für die Niederlage verantwortlich, das würden sie bei Maxi auch so machen.“

„Ach ja und was würde Maxi anders machen?“ Franz Josephs Stimme klingt schneidend kalt.

Sich nicht in Laxenburg verkriechen und keinen Schritt vor die Tür gehen, denke ich bitter.

„Franz, sei mir nicht böse, du bist ein sehr konservativer Mensch und die Welt ändert sich. Mit der verklärten Allmacht des Kaisers ist es nun wohl endgültig vorbei, genau wie der Absolutismus. Und es reicht, so leid es mir tut, nicht aus, andere für deine Fehler bluten zu lassen. Das Volk besänftigst du damit nicht, wenn Kempen gehen muss. Das ist nur ein Anfang, du bist halt in militärischen Dingen unerfahren, das wäre anderen auch passiert.“

Franz hatte den Mund geöffnet, um zu protestieren und schloss ihn schnell wieder.

Ich atmete tief durch, ehe ich von neuem zu sprechen ansetzte. „Ich bin nicht mehr das naive Landmädel von damals, schon lange nicht mehr. Ich interessiere mich sehr für Politik. Vieles liegt im Argen und wir müssen handeln, sofort handeln. Wir müssen dem Staat eine Verfassung geben. Wir müssen zu Reformen bereit sein. Die Ansichten deiner Mutter sind überholt und haben uns das ganze Schlamassel eingebrockt.“

Franz zieht seine Stirn kraus.

„Meine Armee hat versagt, der Finanzminister hat sich umgebracht, weil er sich ungerecht der Unterschlagung beschuldigt fühlte, Onkel Ferdinand, dem ich meine Krone verdanke, behauptet, dass man nicht den Herrscher hätte wechseln müssen, um Schlachten und Provinzen zu verlieren. Weißt du, wie ich mich fühle? Und dann fällst auch du mir in den Rücken. Lass mich in Ruhe“, faucht er mich an und lässt mich stehen.

10. August 1859

Franzl steht am Fenster, wieder einmal.

Die Lippen fest zusammengepresst. In Ungarn flackert die Revolte wieder auf und es gab einen Mordanschlag auf Franz und Sophie, ein Diener sollte sie töten.

Warum wehrst du dich immer noch gegen die Verfassung, hast du denn nichts gelernt, will ich ihn anschreien, tue es aber nicht.

Er tut mir leid. Wenigstens hat Franzl einige der Minister, die für das Desaster verantwortlich sind, entlassen.

Ganz besonders freut mich die Entlassung von Baron Bach, der ein Erzfeind der Ungarn ist. Sophies Zeit ist endgültig vorbei.

Auch Grünne musste gehen, was mir persönlich leidtut, er bleibt aber mein Freund, denn er ist, wie wir alle wissen, ein Prügelknabe für den Kaiser, der als väterlicher Freund und engster politischer Vertrauter für Franz die Schuld auf sich nimmt und den Kopf hinhält. Auf Druck der öffentlichen Meinung musste der Kaiser Grünne als Generaladjutanten und Leiter der Militärkanzlei entlassen, allerdings wie es sich geziemt mit großen Gunstbeweisen. Grünne ist nun nur noch der Oberstallmeister.

Ich denke daran, wie liebevoll ich ihm eine bessere Zukunft gewünscht habe und ihm gesagt habe, dass ich mich nicht damit anfreunden kann, jemand anderen an seinem Platz zu sehen und wie dankbar ich ihm für unsere Freundschaft bin.

„Gottseidank haben wir Sie noch nicht ganz verloren und Sie bleiben mein liebster Gefährte zu Pferd“, habe ich ihm heimlich ins Ohr geflüstert und ihn zum Lächeln gebracht.

Franz hat kam noch ein liebes Wort für mich, in Italien schickte er Briefe mit Liebesschwüren und hier straft er mich mit Eiseskälte und berät sich nur mit seiner Mutter und das stundenlang.

Dabei ist ihre Zeit nun wirklich endgültig vorbei!

Er will das als treuer Sohn natürlich nicht wahrhaben!

25. September 1859

Sommer in Ischl ermüdend!

Am 12. September trat der Kaiser wieder bei einer Militärparade auf, nachdem er sich mehr als zwei Monate in Laxenburg verkrochen hatte. Wir fuhren im geschlossenen Wagen zum Prater, Franz sprach kein einziges Wort und sah streng und ernst aus. Uns hallte eisiges, feindseliges Schweigen entgegen wie damals in Italien.

Dann ging es nach Ischl – gemeinsam mit Max und Charlotte. Die beiden Brüder sind verfeindet und Charlotte redete nur von ihrer hohen Geburt, vom Schloss Miramar oder scheuchte alle rum. Eine furchtbare Person, dass Sophie das nicht merkt? Ich flüchtete mich zum Lesen auf mein Zimmer in der Kaiservilla.

Jetzt stürze ins Ballleben. Der Clou an den Bällen ist, dass nur die jungen Paare, nicht aber die Mütter der Mädchen wie sonst üblich eingeladen sind. Also hat auch Sophie auf den Bällen nichts verloren.

Und ich turne bei schlechtem Wetter in der Hofburg an den Ringen und Seilen, die ich mir anbringen lassen habe. Das passt Sophie natürlich auch nicht.

Dauernd mäkelt sie an mir, ich soll dem Kaiser eine bessere Ehefrau sein und den Kindern eine bessere Mutter. Ersteres gehst sie nichts an und das andere hat sie kaputt gemacht, indem sie mir die Kinder entfremdet hat. Gisela heult, wenn sie mich sieht und zu Rudi lassen sie mich nicht. Wahrscheinlich hat sie Angst, ich würde ihn verzärteln und er wird dann wegen mir kein guter Kaiser werden. Wahrscheinlich ärgert sie sich, dass sie ihre Zustimmung zu unserer Ehe gegeben hat.

 

25. April 1860

Die Bälle haben mich irgendwann ermüdet und ich kam mir wie eine aufgezogene Puppe vor.

Ich werde Mama besuchen, es ist nicht dasselbe, wenn sie herkommt und Papa kommt ohnehin nie zu Besuch, da es ihm vor Sophie, der Hofburg und dem Wiener Klimbim graut, was ich ihm nicht verdenken kann.

Marie fehlt mir wahnsinnig. Jeden Tag kann ihre neapolitanische Festung zusammenbrechen. Zudem ist ihr schwachsinniger Gatte nun König, denn sein Vater, Ferdinand II. starb letzten Mai.

Als sie damals bei mir war, was haben wir gelacht? Wie jung haben wir uns gefühlt? Geraucht haben wir mitten in der Nacht und wir wollten jeden Moment festhalten und dass nie Morgen wird.

10. Mai 1860

Garibaldi zieht mit tausend Mann gen Neapel und will ganz Sizilien vom Königreich losreißen und aller Welt zeigen, auf welch tönernen Füßen das bourbonische Königreich beider Sizilien steht. Ich sorge und ängstige mich und versuche zum Kaiser vorzudringen, der mir immer noch gebrochen und voller Apathie erscheint und so recht kein offenes Ohr für meine Anliegen hat.

10. Juni 1860

Vor wenigen Tagen ist Palermo gefallen. Marie ist in Lebensgefahr. Ihre verzweifelten Briefe häufen sich.

„Du schickst keine Truppen zu Marie nach Italien?“ Fassungslos starre ich Franz an. Ich bin wie gelähmt vor Trauer und voller Wut.

„Da unten ist ein junges Mädchen in Todesangst, das zufällig meine Schwester ist“, schreie ich Franz wutentbrannt an.

„Elisabeth“, er nennt mich erneut Elisabeth „du musst verstehen, wir können wegen der Niederlage im Sardinischen Krieg keine militärische Hilfe leisten und ihr nicht helfen. Unsere finanziellen und politischen Verhältnisse sind im Moment elend. Es tut mir sehr leid.“

Er macht einen Schritt auf mich zu.

„Sehr leid? Sie ist meine Schwester, Lass mich bitte, ich will alleine sein!“

Ziellos laufe ich durch den Schlosspark. Wie sehr sich der Kaiser verändert hat. Gottseidank kann ich mich zerstreuen, denn ich, die die Wiener Hof - und Tanzgesellschaft immer als geistlos verachtet habe, werde nun selber Bälle organisieren.

13. Juni 1860

Meine Brüder waren heute bei mir in Laxenburg und wir berieten wegen Marie, kamen aber zu keinem Resultat. Ihr Mann regiert nicht, sondern verwaltet nur, denkt gar, man könnte die verfahrene Situation durch pures Beten retten und meine bayerische Familie ist in heller Aufregung.

10. Juli 1860

Ich bin in Possi und Marie fehlt mir hier ganz besonders. Die Stimmung ist getrübt und wir sind gram vor Sorge. Seitdem Garibaldi auf Viktor Emmanuels Befehl die Grenze beider Sizilien überschritten hat und auf Neapel zugeschritten ist, haben wir nichts mehr von Marie gehört. Neapel ist dem Kaiser genauso fern und gleichgültig wie das chinesische Reich.

Mama und Papa schelten mich wegen des Essens und finden mich abgemagert, was mich reizbar macht. Meine Figur ist allein meine Sache.

Zudem habe ich einen quälenden Husten.

Papas Allüren treiben mich in den Wahnsinn. Erst war es amüsant, dass er meine Hofdamen provozierte, aber jetzt habe ich genug. Ihm mag es Freude machen, uns derbe Späße zu spielen, ich jedoch finde es unangenehm und mir tut Mama leid, die das alles mit ansehen muss. Vor allem, weil ich auf Franzens Anraten die kleine Gisela mitgenommen habe, die fast so pikiert wie ihre Großmutter wirkt mit ihren vier Jahren. Irgendwie kann ich mit diesem Kind wenig anfangen.

12. Juli 1860

Arme Mama, wie unendlich weh müssen dir Papas Liebeleien und Amouren tun, denke ich, sage aber nichts und halte Mamas Hand fest in der meinen. Viel zu lang habe ich mich von seinem Charme und seiner Fröhlichkeit blenden lassen und war gar ein Papakind. Die arme Mama sitzt treusorgend zu Hause, auf Papa wartend und er betrügt sie aufs schändlichste, unterhält in der Tat eine fremde Familie, bei der er sich vielleicht sogar mehr blicken lässt und involviert ist als bei uns.

„Es tut mir so leid, Mama“, sage ich leise und drücke ihre Hand.

„Ach, Kindchen, sei froh über den Kaiser“, schnieft Mama, „er mag ein wenig trist sein, aber er liebt dich und er betrügt dich nicht.“

Trist ist er, denke ich und streiche Mamas Hand. Alle Welt fordert seine Abdankung und wünscht sich Maxi an seiner Statt.

Aber er liebt mich und betrügt mich nicht.

Obwohl ich weiß nicht so recht?

Gerüchte machen die Runde. Sophie macht mir ohnehin schon seit geraumer Zeit Vorwürfe, ich würde Franz Joseph nicht genügend Muße und Freude für sein schweres Amt schenken und ein junger, gesunder Mann wie der Kaiser würde Mittel und Wege finden, sich zu zerstreuen und die freie Auswahl an den schönsten Versuchungen in Wien haben. Er würde wegen mir sein Junggesellenleben wieder aufnehmen und Liebschaften anfangen, weil ich nicht für ihn da sei. Und ich wäre schuld, wenn er mich betrügt, denn er würde den Verkehr brauchen.

Franzens Bruder Ludwig Viktor, der den Frauen abhold ist und seine Ohren an sämtlichen Wänden des Palastes hat, fragte mich eines kalten Wintertages ungeniert, ob ich in letzter Zeit die Gräfin Potocka gesehen hätte. Eine hübsche blonde Hofdame, die auf ihren Besitztümern in Böhmen lebte, früher aber ein gerngesehener Gast im Palast war, eine Passion, die sie nun wieder aufnahm und strahlendschön sämtliche Faschingsbälle durchtanzte, gerufen vom Kaiser persönlich, den ich Wochen lang kaum zu Gesicht bekam.

Auch die Esterházy, die alte Plaudertasche, machte solche widerwärtigen Andeutungen.

„Der Kaiser ist ein junger gesunder Mann, er sieht blendend aus, wer kann es ihm verübeln. Schon vor seiner Hochzeit erlagen die Wiener Damen reihenweise seinem Charme und wenn die Kaiserin ihr Schlafzimmer zusperrt, muss er woanders auf seine Kosten kommen. Deswegen hat er doch die junge polnische Gräfin zur Jagd nach Reichenau geladen. Die Blonde mit den schönen, grünen Augen. Ihr frisches Wesen und ihre Künste zu Pferd sind schon sehr einnehmend “, sagte die Esterházy zu meiner Kammerfrau, die hohl lachte.

Ich habe dem Geschwätz damals nichts beigemessen, weil es die furchtbar geschwätzige Esterházy und der ätzende Ludwig Viktor waren, die mich beide anscheinend nicht leiden können.

Der Kaiser betrügt mich nicht!

Es kann nicht wahr sein!

Es kann einfach nicht wahr sein!

Ich habe mich ihm entzogen, wenn er mit mir schlafen wollte, obwohl mir dieser Akt immer noch unangenehm und fremd ist. Franz mit seinen erregt leuchtenden Augen und dem heftigen Atem. Franz der so schwer auf mir liegt. Es tut immer noch weh, meine Scheide fühlt sich immer noch trocken an und wund. Franz hatte es nie geschafft, in mir Begehren und Sehnsucht zu wecken.

Ich bin vor dem Kaiser geflohen, der mir Vorhaltungen über meine vergnügungssüchtigen Bälle und mein Nächtedurchtanzen macht und der mich betrügt. Meine Frühjahrsbälle für Alleinstehende im März, junge Damen, junge Herren, ohne die Argusaugen der gestrengen Mütter, Walzerklänge von Strauß, das pure Vergnügen, wie du mir, so ich dir.

Mich, die vollkommene Schönheit!

Die gertenschlanke, die so eisern Diät hält, um perfekt zu sein.

Die perfekte Reiterin!

Alle Welt redet jetzt über die Ehekrise und meine schlechte Gesundheit, meine Sperenzchen und all das. Der Kaiser kommt besser weg als seine überspannte, empfindsame, hysterische Frau, die ihm das Leben schwer macht, wo er doch so sehr unter dem bitter verlorenen Krieg leidet.

Um den Schein zu wahren, muss ich im August an des Kaisers Geburtstag nach Wien zurück.

Nur, um den Schein zu wahren.

Nur deswegen.

Kapitel 6 – Ehekrise

10. Oktober 1860

Mir ist übel. Ich kann nicht mehr.

Mein Franzl ist nicht mehr mein Franzl.

Ich hasse ihn. Denkt er gar nicht an mich? Ich huste in einem fort wie eine Wahninnige, bin innerlich zerbrochen und wie tot. Das Ganze mache ich schon seit letztem Winter mit und habe stets gute Miene zum bösen Spiel gemacht, ich naives Dummchen. Mir haben die Menschen die Bälle übelgenommen, dem Kaiser die Amouren nicht.

Mir nehmen die Menschen meine angeblichen Lauen übel, meine Weigerung, mehr zu essen, meine Rastlosigkeit, mein Reiten, Spazierengehen und Turnen bis zur völligen Erschöpfung, dem Kaiser seine Amouren nicht.

Verkehrte Welt, ungerechte Welt!

Undankbarkeit ist der Welten Lohn!

„Majestät sehen bezaubernd aus.“ Meine Frisierdame hält mir den Spiegel hin, damit ich mich betrachten kann.

Ich sehe wunderschön aus.

Wie es in mir aussieht, sieht niemand, wie sehr mein Herz schmerzt, meine Knöchel und Knie vor Wasser überquellen und schrecklich weh tun.

Mir dröhnen immer noch Franzens Worte im Ohr. „Es tut mir so leid, Sisi, du musst mir glauben, bitte verzeih mir.“ Immer wieder, seit einem Jahr, in einem fort, die gleiche Leier.

Ich will nicht mehr, ich kann nicht mehr, du hast mich verraten.

Beschützen wolltest du mich, verraten hast du mich.

Ich hasse dich!

28. Oktober 1860

Dr. Skoda von der Wiener Universität, den der unfähige Dr. Seeburger, dessen Hustensaft vollkommen wirkungslos geblieben war, hinzugezogen hat, rät mir, in den Süden zu reisen, um den entsetzlichen Husten, der einer Schwindsucht gleicht, loszuwerden und, um mein Leben zu retten. Ich hätte überreizte Nerven und eine Affektion der Lunge.

Eine Reise, wie wundervoll. Ich will das Meer wieder sehen. Am liebsten hätte ich eine Insel für mich allein, ganz weit weg. Die Adria, die der Kaiser vorschlägt, ist mir zu nah. Ebenso Meran oder Arco am Gardasee. Viel zu nah. Er würde mich besuchen wollen und ich will nichts mehr von ihm wissen.

Zumindest nicht in naher Zukunft.

30. Oktober 1860

Es geht nach Madeira. Mir ist gelungen, dass die entsetzliche Gräfin Esterházy nicht mitfährt. Es wird eine wundervolle Reise werden.

Madeira muss wunderbar sein. Fern im Weltmeer gelegen, ewiger Frühling. Maxi war ja erst von einer Brasilienreise und einem längeren Aufenthalt auf Madeira, was zu Portugal gehört, zurückgekehrt und hatte uns allen von seinen Eindrücken vorgeschwärmt. Eine bezaubernde, fremdartige Pflanzenvielfalt wird mich erwarten. Vielleicht gibt es dort auch wie in Brasilien Orchideen. Was habe ich Maxi um diese wunderbare Reise nach Brasilien beneidet und auch die arme Leopoldine, eine Habsburgerin, die einst Kaiserin von Brasilien war und mit 29 Jahren starb. Vielleicht sterbe ich ja auch bald und dann am liebsten fern von Wien. Der Kaiser präferiert nach wie vor einen Kurort innerhalb der Monarchie wie Meran, aber ich will ja von der Monarchie und dem Kaiser nichts wissen im Moment.

„Was ist doch der arme Kaiser mit mir gestraft, ich, die es vorziehe den armen Mann und die Kinder ein halbes Jahr alleine zu lassen“, tuscheln sie über mich. „Und die noch dazu, statt der Esterházy die junge Mathilde Windischgrätz mitnimmt, die in Solferino ihren Mann verloren und auch ein kleines Kind hat. Ihre plötzliche Abreise kommt einer Flucht gleich, einer Flucht vor dem Kaiser.“

Und dass ich mich um meine Sommertoilette kümmere. Soll ich etwa auf Madeira im dicken Pelzmantel herumlaufen und mich zu Tode schwitzen?

Komische Leute!

25. November 1860

Ich fahre mit einem Schiff, der „Victoria and Albert“, eine Leihgabe der britischen Königin.

Es stürmt und das ist wundervoll, denn alle meine Hofdamen liegen seekrank und elend unter Deck und ich habe das ganze Schiff für mich allein.

 

Ich erinnere mich daran, wie Franz mich zum Abschied drückte.

„Werde bitte bald gesund. Iss mehr und schreib mir“, flehte er mich an. „Ich vermisse dich jetzt schon!“

Ich halte mich an der Reling fest und atme tief durch, der Wind zerzaust mein Haar und ich fühle mich unendlich frei. Das Meer ist mein Element, ich habe mich in Triest nicht getäuscht. Selbst das raue, aufgewühlte Wintermeer, durch das sich das Schiff quält, gefällt mir.

Jeden Tag ein neues Ziel, niemals ankommen, immer weiter wie die Möwen am Himmel, unendlich frei.

„Freiheit für die Kaiserin“, brülle ich laut gegen den Sturm an und muss lachen.

Eigentlich schade, dass ich die Esterházy zuhause gelassen habe. Ich würde gerne sehen, wie ihr Gesicht zwischen aschgrau und giftgrün changiert. Das große Speien. Der Wind würde ihr Gift und Galle mitten ins Gesicht zurück klatschen.

Ich muss noch mehr lachen!

Ich bin glücklich!

10. Dezember 1860

Wir sind in Madeira angekommen. Es ist wundervoll. Portugal ist weit weg und ich kann das Protokoll getrost vergessen. Meine gemietete Villa liegt auf einem Felsvorsprung und so kann ich das Meer sehen. Ich habe einen tropischen Zaubergarten.

Hier wachsen herrliche Lianen und gelbe und lilafarbene Glockenblumen, Palmen und Lorbeere. Mein Haus ist wirklich schön mit einer von Säulen getragenen Veranda, an der sich jene Lianen hochranken und einem von Blüten überrankten Pavillon, der am äußersten Rand der Felsen steht, der senkrecht ins Meer hinabzustürzen droht. Von meinen Fenstern habe ich freie Sicht auf das Meer und überall duftet es betörend nach Blumen. Es ist in der Tat herrlich und ich vergesse meine Krankheit, meine Sorgen, meine Nöte. Ich vergesse Sophie, den Kaiser und die Monarchie.

Als wir mit dem Schiff ankamen und die hohen schwarzen Basaltklippen vom Kap Garajao passiert haben, bot sich uns auf einmal der malerische Anblick von Funchal, das terrassenförmig zu den Füßen und am Hange eines bis in die Wolken ragenden Berges liegt. Ganz oben grüßten aus Pinien- und Kastanienwäldern die weißen Türme der Wallfahrtskirche Nostra Senhora del Monte, was so viel heißt wie Unsere Frau des Berges. Der ganze Ort war zusammengelaufen, um mich zu begrüßen, was mich ernst stimmte, aber es gab viele Hochrufe ob meiner Schönheit.

19. Dezember 1860

Ich sterbe vor Ödnis. Die Menschen hier sind nicht schön anzusehen und Funchal ist furchtbar schmutzig.

Bald ist Weihnachten. Gestern kam eine große Tanne aus dem Laxenburger Hof gemeinsam mit einem Liebesbrief des Kaisers und heute eine Drehorgel, die Verdis La Traviata spielt, diese Oper wurde im selben Jahr uraufgeführt, in dem der Kaiser und ich uns verlobt haben. Bald acht Jahre her ist das.

Gestern habe ich an meinen Freund Grünne geschrieben. Das hier wäre etwas für ihn, er würde es kaum zwei Wochen aushalten. Die Luft ist gut, aber es bedarf ja mehr, um zu genesen. Am liebsten würde ich ans Kap fahren, nach Brasilien oder nach Afrika. Hier ist es so fad. Wahrscheinlich lachen sie in Wien über mich, weil ich unbedingt wegwollte und mir hier fad ist. Allerdings bringt mir der Graf Mittrowsky herrliche Seetiere mit, die er für mich trocknet. Ich werde meinen Schwager Ludwig Viktor, dem ich in meinem letzten Brief ein getrocknetes Seepferd geschickt habe, bitten, dieses in Gold in derselben Größe für den Grafen als Geschenk nachahmen zu lassen. Er wird sich gewiss freuen und ich habe mir einen großen Hund aus Irland kommen lassen, den Shadow, einen Airedaleterrier. Den kann ich wenigstens mitnehme, da meine kleinen Vögel hier den Transport nach Wien kaum überstehen würden und ich sie leider schweren Herzens hierlassen muss, damit sie nicht sterben.

25. Dezember 1860

Gestern bin ich 23 Jahre alt geworden, ich fühle mich immer noch sehr schwach, huste fürchterlich und habe keinen Appetit. Mir graut regelrecht vor dem Essen und ich empfinde den Geruch und den Anblick von Essen als widerwärtig.

Deswegen habe ich es untersagt, dass meine Hofdamen in meiner Gegenwart essen.

29. Dezember 1860

Ich gehe spazieren, das Einzige, was mir Freude macht. Mein Gefolge stöhnt schon, ich jedoch könnte ewig spazieren gehen, so rastlos bin. Die Ärzte raten mir zur Ruhe und schelten mich ob meiner Rastlosigkeit.

Manchmal bleibe ich tagelang auf meinem Zimmer, dann aber renne ich mit den Hunden um die Wette oder mache eine Ausfahrt mit dem Ponywagen.

Ich weiß ohnehin nicht, ob ich zurück nach Wien will. Sophie wird alles daransetzen, mir die Kinder entfremden, für sie bin ich eine Rabenmutter, die ohne ihre Kinder Weihnachten feiert. Wahrscheinlich hat sie recht, jede Bäuerin wäre besser als ich. Für meine Kinder bin ich eine Fremde, eine vage Erinnerung, die in ihren Gedanken herumspukt, eine Erinnerung daran, dass sie einmal eine Mutter hatten. Ob sie mich noch erkennen? Damit sie mich nicht ganz vergessen, schicke ich ihnen Briefe, in denen ich ihnen sage, wie lieb ich sie habe und viele hübsche Geschenke.

Morgen werde ich ihnen Fotographien von mir schicken. Ich bin ganz begeistert von dieser neuen Technologie und suche immer die beten Fotographien. Meine Kinder sollen sehen, was sie für eine schöne Mama haben.

15. Januar 1861

Ich glaube, ich gehöre zu den Menschen, die nirgendwo auf dieser Welt so richtig glücklich sind. Immerfort reisen will ich, da wäre ich halbwegs glücklich. Gerade träume ich von Ungarn, meinem Paradies.

„Ich will ungarisch sprechen“, sage ich zu Imre Hunyady, der mir gegenübersitzt.

„Das werden Sie, Majestät. Sie sind schon ganz gut. Und Sie werden auch ganz sicher eines Tages wieder nach Ungarn fahren.“ Imre lächelt mich an.

Er sieht sehr gut aus, findet mich schön und charmant und macht mir den Hof, liest mir auf meinen Spaziergängen vor und betet mich an. Das tut irgendwie gut, nachdem der Kaiser anscheinend andere Frauen mir vorzieht.

20. Januar 1861

Imre ist nach Wien abgerufen worden. Der Kaiser ist wohl eifersüchtig. Mir eine Liebelei zu unterstellen.

Wie empörend!

27. Januar 1861

Gestern kam ein böser Brief von Franz. Er wird, wie mir scheint, ganz wahnsinnig vor Eifersucht. Beschimpft Heinrich Heine, dessen Werke ich verehre, mit abscheulichen Worten. Einen kleinen jüdischen Revoluzzer hat er ihn genannt. Eigentlich sind solch empörend hässlichen Worte nicht typisch für ihn. Wie tief muss er gesunken sein?

Auf einen Toten eifersüchtig zu sein, wie lächerlich! Und Antisemitismus passt auch nicht recht zu ihm! Er ist konservativ, aber kein Antisemit.

31. Januar 1861

Gestern ist Imre abgereist. Ich darf seine Hand nicht halten und ihn nicht einen Freund nennen, ihn nicht anlächeln. Aber der Kaiser darf mich mit polnischen Gräfinnen betrügen und das war im Gegensatz zu mir garantiert nicht platonisch und harmlos. Ungerecht ist das!

Wenigstens durfte seine Schwester Lily bei mir bleiben. Sie ist jung und charmant, genauso schön wie ihr Bruder und wir verstehen uns prächtig. Zudem habe ich Karoline Lemberg bei mir, die eine Schönheit ist, die reizende Lily und Mathilde Windischgrätz. Allessamt sind sie hübsch, lieb und fröhlich.

Ich umgebe mich eben gerne mit schönen Menschen, egal ob Mann oder Frau, sie müssen nur schön sein, der Rest ist mir gleichgültig.

17. Februar 1861

Gestern kam wieder ein Brief des Kaisers an. Ich musste herzlich lachen, denn er hat mit „Dein Kleiner“ unterzeichnet.

27. Februar 1861

Heute kam ein Telegramm von Franz an. Unterschrieben mit „Dein armes kleines Männchen“, ich habe mich ausgeschüttet vor Lachen. Mein Gott, Franz, bist du tief gesunken. Willst du mich etwa so zurückgewinnen? Die Mühe kannst du dir sparen.

15. März 1861

Franzens Briefe sind allesamt langweilig und nichtssagend, er schreibt nichts über die politische Situation in Österreich und über die Lage in Italien, dabei weiß er doch, wie sehr ich mich um Marie sorge. Auch von meiner Familie erfahre ich so gut wie nichts über das Schicksal der armen Marie. Alles, was wir wissen, ist, dass ihre Festung Gaeta von den Rebellen belagert ist.

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