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Lahme Flügel

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Lahme Flügel
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Carola van Daxx

Lahme Flügel

Engel Karlchen hat Burn-Out (XXL Leseprobe)

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Karlchen sanus in corpore sana

Simmel-Salabim!

Vor Psychofritzen wird gewarnt

NOCH GANZ KURZ

Die Fortsetzung von „Heiße Fleischwurst mit Kakao“ erzählt, wie es mit den beiden BEST-AGERN Lina Siebenborn, der bodenständigen Kaffeehausbesitzerin aus Oberhessen, und dem übersensiblen Künstlertyp Jan Johannsen weitergeht… Ob das zweite Glück des unterschiedlichen Paares tatsächlich von Dauer sein kann? Es sieht fast so aus, bis eines Tages die schöne Sophie in Schotten auftaucht – und Lina in die Ferien fährt. Allerdings alleine…

ÜBER MICH

Impressum neobooks

Karlchen sanus in corpore sana

Ich hatte es mir ja gleich gedacht: Einladung zum himmlischen Amtsarzt – das konnte nichts Gutes bedeuten. Naja, was soll ich sagen? Dreifacher Flügelvorfall, da bleibt einem kaum etwas anderes übrig als sich krankzumelden – und was konnte ich schon dafür, dass die Genesung bei mir eben ein bisschen länger dauerte?

Ein ausgesprochen hartnäckiger Fall, würde ich sagen.

„Wen haben wir denn da?“, fragte Amtsarztengel Dr. Fried-Bert Flügelleicht und zog seine prima funktionierenden Flügel hoch – was ungefähr dem Augenbrauenhochziehen auf der Erde entspricht. Also echt abwertend. So fing das Ganze schon einmal an. Eine unangenehme Sache… Die ganze Situation.

„Karl-Heinrich Moser, mein eigentlicher Name, Eintrittsjahrgang Anno Domini 1757, seit 1947 im gehobenen Dienst tätig, seitdem Fried-Karl Heinrich Moser“, piepste ich kleinlaut.

Ich weiß auch nicht, warum ich in gewissen Situationen immer so unterwürfig bin. Dabei hätte ich das eigentlich überhaupt nicht nötig. Nicht mal ein bisschen. Schließlich war ich kein „Niemand“ im Himmel.

„Aha! Das berühmte Engelchen Karlchen also…“, raunte der Chefarztengel. „Hm. Seit 1757 schon für die Firma im Einsatz, Respekt, Respekt – und in den letzten Jahrzehnten vorwiegend für die Prominenz aus Showbiz und Politik tätig! Da kommt so einiges zusammen an Lichtmeilen auf dem Flügeltacho, nicht wahr?“

„Könnte man so sehen“, erwiderte ich noch immer kleinlaut, was mich noch mehr ärgerte. Und dann hatte er mich gleich auch noch mit meinem Spitznamen angesprochen, Karlchen. Ts, ts, ts.

Dabei hatte ich doch gar nichts zu befürchten – außer einer läppischen Krankmeldungsverlängerung, im schlimmsten Fall. So nahm ich zu diesem Zeitpunkt noch gutgläubig an.

Und nach einer Flügelleistung von mehreren Trilliarden Lichtflugmeilen war so etwas wie eine längere Krankmeldung schon mal im Bereich des Möglichen. Glaubte ich. Zu diesem Zeitpunkt, wie gesagt.

„SO WHAT, KARLCHEN?“, fragte ich mich insgeheim. Diesen Ausspruch hatte ich mir mal von einem schottischen Schützling abgeguckt – der fragte das in seinem merkwürdigen Slang (der noch schlimmer klang als schlecht gespielter Dudelsack) bei jeder peinlichen Gelegenheit… Und glauben Sie mir, es gab viele peinliche Gelegenheiten in seinem Leben. Da kam die Sache mit dem „So what?“ mehr als ausreichend zur Anwendung.

Aber seit meiner letzten großen Beförderung kam ich aus Deutschland ja nicht mehr raus.

„Und nun haben Sie sich zusätzlich zu dem dreifachen Flügelvorfall auch noch eine dicke Flügellähmung eingehandelt? Wie haben Sie denn das bloß angestellt?“, wollte Dr. Flügelleicht wissen.

„Wenn ich das nur wüsste…“, hatte ich wieder unterwürfig gestammelt. Irgendwas in meiner psychosozialen Entwicklung muss wohl schiefgelaufen sein, dass ich bei Obrigkeiten immer das große Flattern bekam.

Obwohl, das war ja momentan auch nicht möglich – lahme Flügel…

„Wie jetzt, Herr Fried-Karl Moser? Sie können’s sich also nicht mal erklären, warum Sie flügellahm und derart geschädigt sind?“

Jetzt wurde der Tonfall schon schärfer, was mich noch mehr verunsicherte. Meine Güte, der Typ hieß zwar „Flügelleicht“, war aber eher „beinhart“…

Ich kam mir jedenfalls schon vor wie beim vorgezogenen Jüngsten Gericht. Obwohl ich mir ziemlich sicher war, dass der Boss selbst nie so einen unangemessenen Tonfall mir gegenüber haben würde. Im Gegenteil, er war eigentlich (fast) immer milde und sanft – und wenn er mal wirklich verstimmt war, was relativ selten vorkam, dann musste aber richtig was danebengegangen sein. War bei mir aber nie der Fall gewesen, ich wusste das nur vom Hörensagen, was die Leut‘ halt so erzählen im weiten, weiten Himmelsreich… Gesehen hatte ich ihn ja auch noch nie.

Das kann man nur im Siebten Himmel – und bis dahin war ich noch nicht vorgedrungen.

„Nun ja“, versuchte ich weiter zu erklären, „es war so: Erst habe ich mich ziemlich verausgabt, weil ich diesen Guttenberg von seiner Doktorarbeit abhalten wollte, dann kam noch die Sache mit dem Wulff dazu, der hat aber auch nicht auf mich gehört – und die beiden habe ich dann an einen Kollegen abgetreten, wegen unüberwindbarer Differenzen, das ging einfach nicht mehr so weiter. Aber den Rest hat mir der Tebartz gegeben! Tebartz-van Elst, das dürfte Ihnen doch ein Begriff sein…“

„Ja, den Fall Tebartz kennt man hier oben sehr wohl. Ich bin mir gewiss, früher oder später werden wir ihn noch besser kennenlernen – irgendwann kommen sie ja alle mal her… Aber jetzt erzählen Sie erst einmal weiter.“

„Also, wo war ich stehen geblieben? Genau, Guttenberg, Wulff und zum Schluss der Tebartz – DAS WAR ZU VIEL! Tauber ging’s ja wohl nicht mehr. Nächtelang habe ich auf ihn eingeredet, eine kleinere Badewanne würde es doch auch tun. Aber da ging ja gar nichts mehr, eine totale Diskussionsblockade. Beratungsresistenz dritten Grades, mindestens! Und dann ging auch bei mir plötzlich nichts mehr. Auf einmal haben meine treuen Helfer, sprich meine Flügel, nicht mehr mitgemacht. Morgens nach dem Aufstehen, ich wollte gerade losfliegen, da war der Antrieb weg. Komplett!“

„So so.“ Er guckte, als hätte ich ihm gerade die aus Himmlisch-Irland importierte Butter vom Brot geklaut – wahrscheinlich war er persönlich beleidigt, weil ich krankgeschrieben war.

„Ja, genau so war’s.“

Ich wollte mich von diesem Typen nicht ins Bockshorn jagen lassen. Und da mir meine Flügel sowieso gerade nicht zittern konnten, fühlte ich mich schon ein bisschen mutiger.

„Ist denn vom Kollegen Hausarztengel schon alles untersucht worden?“, hatte er dann investigativ nachgefragt.

„Selbstverständlich, und zwar gründlichst: Flügelröntgen, Blutabnahme, Ganzengels-Check-up, Antriebsfedern ausgetauscht, Herzöl gewechselt und so weiter, das ganze Programm – aber das Problem läge tiefer, hat er gesagt, der Dr. Federweich.“

Er brummelte irgendwas vor sich hin. Am Ende verstand ich nur: „Das sehe ich auch so.“

Aber was genau sollte ich wirklich darunter verstehen?

Und dann guckte er total finster aus der Wäsche und legte seine ohnehin faltige Stirn noch tiefer in Falten. Richtige Zornesfalten waren das. Auf der Erde lassen sie sich sowas jetzt immer schon im Anfangsstadium wegspritzen und machen danach Urlaub am schönen Bodensee. Aber den Tipp würde ich diesem finsteren Engelsgesellen jetzt extra nicht geben. Dem nicht!

Diesem Möchtegern-Fried-Bert…

Ich war gespannt, was der noch so alles auf Lager hatte.

„Und Sie sind jetzt schon sechs Wochen krankgeschrieben, Herr Moser?“

Ich fragte mich, wozu er die ganzen Unterlagen vor sich liegen hatte. Mein Hausarzt Dr. Fried-Friedrich Federweich (ich weiß, das hört sich merkwürdig an, aber jeder, der es im Himmel zu etwas gebracht hat, bekommt den Vorsatz „Fried“ vor seinen Vornamen) hat doch alles im Detail aufgelistet. Ist halt blöd, wenn man vorher schon so ein „Fried“ im Namen trägt. Aber doppelt gemoppelt hält ja bekanntlich besser.

Jedenfalls hatte mein Hausarzt alles fein säuberlich dokumentiert. Und dokutechnisch war auf ihn Verlass, denn er war früher mal Protokollant in einem der Akasha-Tower gewesen und hat dort mehrere Erdmenschen-Leben von der Geburtssekunde bis zur Todesstunde in Echtzeit mit protokolliert. Das ist eine mordsmäßige Fleißarbeit. Und Urlaub für die himmlischen Mitarbeiter ist da nicht vorgesehen, von Schlaf ganz zu schweigen. Vonwegen geregelte Arbeitszeiten oder Tarifurlaub…

Ja, es ist schon komisch, wenn man auf der anderen Seite ankommt – nix da mit „Ruhe in Frieden“, im Jenseits geht der Stress doch erst richtig los! Dagegen kann man auf der Erde echt locker machen, was man will. Aber durch diese harte Schule muss jeder mal gehen, der hier in den oberen Gefilden was werden will.

Und ich weiß, wovon ich spreche, schließlich habe auch ich einmal als fleißiger Protokollant in einem der Tower, wo die ewigen Akasha-Chroniken verwaltet werden, angefangen.

In diesen Aufzeichnungen wird übrigens alles festgehalten, was auf der Erde und im Himmel passiert – jeder Atemzug, jede Bewegung, jede Bemerkung, nichts bleibt im Verborgenen, kein noch so kleiner Gedanke, den man gedankenlos gedacht hat.

 

The heavenly brothers are watching you…

Es lebe das lückenlose Protokoll!

Das Protokollieren ist normalerweise die erste Stufe auf dem Weg zum gehobenen Engelsdienst, aber manche von den mittlerweile über sieben Milliarden Mitarbeitern im Protokollwesen schaffen es nur schwerlich aus den unzähligen Mega-Towern heraus. Da muss man zäh sein, sehr zäh.

Die Akasha City ist für Erdmenschen überhaupt nicht vorstellbar – dagegen ist Manhattan ein überschaubares Kleinstädtchen mit ein paar netten Hochhäusern. Hier oben sind die Dimensionen halt ein bisschen anders als auf der guten alten, gemütlichen Erde…

Wer Glück hat und als geeignet erscheint, wird eines Tages abgezogen und kann seine Laufbahn auf der Karriereleiter antreten: Lehrengel, Geselle, vielleicht macht er noch seinen Meister, und wenn er sich da bewährt hat, könnte er sogar in den gehobenen Dienst einberufen werden – dann ist man so eine Art James Bond unter den Himmelsbediensteten, man ist also unterwegs im Namen der Majestäten.

Nicht zu vergessen, man bekommt noch ein eigenes Apartmenthaus im vornehmen „Gabriel-Distrikt“, das ist ein schickes Viertel in einer Top-Lage, von einem Stararchitekten entworfen und 1a-gepflegt. Dazu ein wirklich sattes Gehalt und die Garantie für den Eintritt in den Siebten Himmel direkt nach Erreichen des Rentenalters. Der himmlische Lottogewinn schlechthin!

Aber der Weg dahin ist weit und steinig, deshalb bleiben viele auf der Strecke und tippen sich über die Jahrhunderte die Finger wund. Der Job in den Towern ist aber krisensicher, das darf man nicht vergessen. Und der Bedarf an Protokollanten wächst stetig, es kommt auch zu wenig Nachwuchs nach.

Tja, die Überbevölkerung, die macht der Firma schon schwer zu schaffen. Im wahrsten Sinne des Wortes…

„Herr Fried-Karl Moser, wie war das mit der Krankschreibung also nochmal? Sechs Wochen waren das schon?“, holte mich der Amtsarzt aus meinen Überlegungen. Ich zuckte zusammen.

„Sechs Wochen, das müsste wohl korrekt sein.“

Dann folgte eine lange Kunstpause. Auch wenn von Kunst in Zusammenhang mit dem strengen Amtsarzt nicht die Rede sein konnte.

„Ich denke, wir werden nicht drum herumkommen“, tat er kurz darauf betroffen und versuchte dabei ein noch wichtigeres Gesicht als vorher zu machen. Und ich Dummerchen fiel auch noch glatt darauf herein. Mir wurde himmelangst und bange. Und das mitten im Himmel selbst, das muss man sich mal vorstellen!