Tasuta

Lahme Flügel

Tekst
Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Wollten die mich jetzt loswerden, oder was? Den letzten mir verbliebenen Mut nahm ich also zusammen: „Was wollen Sie denn damit ungefähr aussagen, werter Herr Amtsarzt?“



Es war ein letzter Versuch von mir, aber Anschleimen war wohl auch von vornherein zum Scheitern verurteilt.



„Sanatorium! Das will ich damit sagen. Ganz einfach! Sie brauchen eine längere Auszeit, ganz ohne Prominenz, Politiker, Verpflichtungen oder ständige Erdenbesuche. Ihre Krankenakte ist ja mittlerweile ein richtig dicker Wälzer, ich sage nur Flügelvorfälle en masse, hier ein Verdacht auf Flügelrheuma, da die chronische Flügelerschöpfung, außerdem noch Flygromyalgie im fortgeschrittenen Stadium, vegetative Federerschöpfung, Flügelneuropathie und depressive Flügelverstimmungen – und das Ganze zum wiederholten Male! Die Aufzählungen von Fällen schweren Flügelkaters am geheiligten Sonntag will ich an der Stelle mal gar nicht gesondert erwähnen… Sie haben unseligerweise auch noch einen übermäßigen Hang zum Federweißer, wie passend.“



Nein, daran wollte ich jetzt keinesfalls erinnert werden. Aber dass die Sache mit dem Federweißer überhaupt in meiner Krankenakte stand? Mal nebenbei bemerkt: den gibt es im Regelfall nur einmal im Jahr – und das auch nur für einen begrenzten Zeitraum! Mein Hausarztengel hatte meine Akte wirklich fast so akribisch wie eine Akasha-Chronik geführt.



Ich sag’s ja immer:

Gelernt ist gelernt!




Dr. Flügelleicht schaute betroffen und legte seine Stirn erneut in extratiefe Falten. Er kam dann zu seiner Finaldiagnose: „Also, ich sehe das Ganze ganzheitlich, wie Sie ja wissen. Die Bibel sagt dazu: „Kein Reichtum übertrifft den Reichtum der Gesundheit, kein Gut ein heiteres Gemüt“, Körper und Geist, sehen Sie, Herr Fried-Karl Moser. Beides muss im Einklang sein.“



Ich verstand noch immer nicht, worauf er eigentlich hinaus wollte. Entsprechend ungläubig muss ich geguckt haben, was ihn wohl zu seinem Endschlag ermutigte: „Also, um die Sache mal auf den Punkt zu bringen: Unterm Strich steht für mich fest, Sie haben ein dickes, fettes Burn-Out, Engel Karlchen!“






***






Was blieb mir also anderes übrig, als meinen Vertretungsengel, Herrn Fried-Erwin Noch-Schneller, zu aktivieren und – wohlgemerkt nur unter Protest, aber was sollte ich machen – für die Rehabilitationsmaßnahme zu packen? Es ging immerhin für unbestimmte Zeit ins renommierte

Sanatorium St. Angelius

, da musste sich jemand anderer um meine Schützlinge kümmern, auch wenn mir das nicht sonderlich zusagte. Unentbehrlichkeitssyndrom ersten Grades, tippte ich. Keine Ahnung, ob das auch in meinen Unterlagen stand…



Von St. Angelius hatte ich bislang nur gehört, dort gewesen bin ich noch nie. Und als ich so am Packen war, wurde mir auch klar, dass ich nicht einmal jemanden kannte, der schon mal das vermeintliche Vergnügen hatte. Und dann fiel mir auch ein, warum das so war. Dort kamen nur die ganz schweren Fälle hin…



Na, herzlichen Glückwunsch!



Und ich hatte dafür auch noch einen All-Inclusive-Aufenthalt mit OPEN END gewonnen.




Mir war langsam aber sicher auch klar, was dahinter steckte:



Die Genossen von der SEP, der

Sozialdemokratischen Engel Partei

, hatten das Rentenalter raufgesetzt. Eigentlich wäre ich nämlich nach meinem Eintrittsjahr 1757 regulär schon 2007 – also nach 250 vollen Dienstjahren – in Rente gegangen. Mein Tacho zeigte ja auch mehrere Trilliarden Flugmeilen an, da hat man sich ja wohl den Ruhestand im Siebten Himmel auch redlich verdient…



Aber jetzt hatten Sie mit allen Mitteln durchgeboxt, dass auch wir vom gehobenen Dienst noch zwanzig Jahre länger fliegen mussten. Und das, obwohl wir durch den ganzen Stress, den uns die sogenannten Prominenten und Politiker immer aufhalsen, wirklich mehr als genug belastet sind. Vom zeitlichen Druck der durch die veränderten Lebensweisen der Erdmenschen entstanden ist, will ich hier noch gar nicht reden. Feierabend ist ja nach Einführung von Handys und Smartphones das reinste Fremdwort geworden. Und das nicht nur auf der Erde!



Außerdem drehen die Erdmenschen da unten immer öfter komplett durch.



Auch das müssen wir Engel erst einmal verkraften…



Nun wollten sie mich also mit aller Gewalt wieder flügelfit machen, damit ich die restlichen Jahre noch ordnungsgemäß Beiträge in die Rentenkasse zahlen konnte. Deshalb auch der ganze Aufwand mit dem Sanatorium.



Früher gab’s das ja gar nicht. Da hieß es: einfacher Flügelvorfall, ab in den vorgezogenen Ruhestand! Aus die Maus!



Doch jetzt war alles anders, denn es muss ja immer alles geändert werden, angeblich zum Besseren…






***







Ich hatte alles gepackt, was auf der Liste, die ich vom Amtsarzt bekommen hatte, stand: genügend Unterwäsche für mindestens 3 Monate, Kleidung für drinnen und draußen, lockere Gymnastikanzüge (mindestens 2), Badekleidung, große und kleine Handtücher in einwandfreiem Zustand, Badeschuhe, festes Schuhwerk, Nachtwäsche, Flügelschoner für kalte und warme Witterung und natürlich alle Papiere. Vom Eintrittsbeginn bis dato, alles, was in der Personalakte stand. Nur die Krankenakte wurde vorab per Kurier ins Sanatorium geschickt.




Innerlich war ich schon auf 180, aber es gab kein Entkommen. Wo hätte ich auch hingehen sollen? Im Himmel war alles streng geregelt – und zum Junior persönlich oder dem obersten Verwaltungschef wäre ich mit so einer vergleichsweise läppischen Sache nicht vorgelassen worden. Da hätten schon genügend Himmelshunde für gesorgt, dass dieses Vorhaben im Keim erstickt worden wäre. Die

Open-Door-Policy

 war hier in weiten Kreisen noch ein absolutes Fremdwort.



Aber ich sag’s ja immer: Wenn sie sich hier oben mal was Vernünftiges bei den Erdmenschen abschauen könnten, dann gucken sie bestimmt gerade weg! Und gerade diejenigen, die gewissen Pöstchen ergattert haben, sind im Weggucken ganz groß.



Je nachdem, wie es ihnen gerade passt, lautet dann das Motto:

Alles soll am besten so bleiben, wie es immer war.



Nur bei mir, da würde jetzt einiges wohl ganz, ganz anders werden. Zwangsläufig!






***






An einem verregneten Montag, auch im Himmel gibt es neben Goldregen, Silberschnee und Diamanthagel mal mieses Wetter genau wie auf der Erde, war es dann soweit. Ich nahm den Zug zweiter Klasse, wie es die FlügelGesundheitsKasse FGK angeordnet hatte. Das entsprach zwar nicht meinem üblichen Status, ich erwähnte ja schon, dass ich im gehobenen Dienst eher „Alles vom Feinsten“ gewohnt war, aber so waren nun mal die Vorschriften.



Eine Basta-Politik allererster Güte!




Ziemlich angesäuert betrat ich also das Abteil, was keinen besonders gepflegten Eindruck machte: beschmierte Wände, blinde Fensterscheiben, überwiegend zerfetzte Sitze – und nach Jasmin oder Rosen duftete es auch nicht gerade. Wahrscheinlich sollte ich auch noch froh und dankbar darüber sein, dass der Zug Richtung Sanatorium wenigstens pünktlich war. Naja.



Ich hatte mir fest vorgenommen, nicht allzu negativ an die Sache heranzugehen, denn ich musste so schnell wie möglich wieder flügelfit werden. Meine Schützlinge brauchten doch meine Dienste.



Auch wenn ich zugeben musste, dass ich wirklich manchmal von deren Harthörigkeit ziemlich genervt war. Und nicht selten schimpfte ich über sie „

Erdmännchen, nichts als sture Erdmännchen

!“



Trotzdem, mit der niederschmetternden Diagnose „Burn-Out“ wollte ich nichts zu tun haben, ein dreifacher Flügelvorfall mit Lähmungserscheinungen war mir gerade schon genug. Wer braucht dazu noch so einen überflüssigen und neumodischen Psychokram? Kein einziger Engel…



Und ich schon gleich gar nicht!




Als ich mich auf den reservierten Platz setzte und die mehrstündige Fahrt vom Gabriel-Distrikt, in dem ich beheimatet war, zum Sanatorium, was zwar auch auf Ebene 6, aber in einer Art Neutralbereich lag und für Engel aus allen Himmeln zugänglich war, antrat, schwirrten die Gedanken ungezügelt los. Ein einziges Karussell.



Ach, übrigens: Wenn Sie jetzt denken, ich hätte den Himmel Nummer 7 vergessen, dann irren Sie: Im Siebten Himmel angekommen, muss niemand mehr zur Kur oder in die Reha, wie man da neuerdings zu sagt, denn auf Ebene 7 sind Krankheiten und andere Wehwehchen für immer abgehakt…



Und zwar ein für alle Mal!




Draußen prasselte der Regen an die Scheiben des Zuges, und in mir prasselte auch so einiges los. Und als ich da so an meine Schützlinge, allen voran die

Kanzlerin

 persönlich dachte, wurde ich schon wieder ganz nervös. Es war nämlich so, dass ich vom Sanatorium aus nichts – aber auch gar nichts mehr – arbeiten durfte. Nicht mal einen kleinen Traumtermin konnte ich wahrnehmen. Dabei sind die Traumtermine, also die in unregelmäßigen Abständen stattfindenden Besuche meiner Schützlinge in ihren Träumen, ein fester Bestandteil meiner Stellenbeschreibung und extrem wichtig. Dafür muss man auch gar nicht fliegen können, das geht – wie gesagt – ganz einfach und ohne größeren Aufwand während man träumt. Man muss eben nur die Technik beherrschen, aber dafür hat man ja Engel gelernt.



Doch es half nichts: Es war grundsätzlich untersagt, während der Reha irgendetwas zu arbeiten.



Voll die Bevormundung, wie ich fand… Ging ja gut los!



Dabei hätte ich gerne ein paar Termine wahrgenommen, die mich körperlich nicht so fordern würden – und ein bisschen Kontrolle hier und da konnte doch sicher nicht schaden. Immerhin hatte ich die Verantwortung für meine Schützlinge. Und im Grunde war ich nicht ganz sicher, ob mein Vertretungsengel, Herr Noch-Schneller, mit meinen Erdmenschen, allesamt keine Schmalspurprominenten, sondern im Prinzip die

Creme de la Creme

, überhaupt fertig werden würde.

 



Wenn ich nur an

Robert O. White

, den Schlagersänger, der einfach keine Töne mehr trifft, denke. Eigentlich hieß er ja Robert-Otto Weiß, aber es sollte eben international klingen, deshalb hatte er eines Tages begonnen, das „R“ zu rollen und seinen achtwöchigen Schüleraustausch im Lebenslauf als „Ich-bin-in-Kaliforniern-aufgewachsen…“ zu tarnen. Hach, es ist alles so nervend. Noch ein Beispiel:

Till Nuschler

, der Action-Held, den ich persönlich nur noch den „Hasenjäger“ nenne, weil er alle paar Monate mit einem neuen blonden Häschen aufkreuzt, sie zur Frau seines Lebens erklärt, nur um dann kurz darauf festzustellen, dass er sich diesmal doch ein kleines bisschen getäuscht hat und die Nächste bestimmt die vorerst Allerletzte in seiner Hasensammlung sein würde. Und jedes Mal sagt er: „Die ist es aber jetzt wirklich – für immer und ewig…“



Und dann noch

Vroni Pérez

, also eigentlich heißt sie ja Veronika Sedelhuber, aber die musste sich ja unbedingt auf ihre Wechseljahrstage noch scheiden lassen und diesen Stierkämpfer aus Andalusien heiraten, diesen Pepe Pérez!



Dem Boss sei Dank, dass ich mich um Leute aus dem EU-Ausland nicht auch noch kümmern muss… Früher war ich ja international tätig, aber heute reichen mir die Deutschen schon. Da ist man als Engel gestraft genug…



Richtig genervt hat in den letzten Jahren immer wieder

Athina Hauptmann

, ein vorgealtertes Model – kein Wunder, di