Für Herzlichkeit gibt's keine App

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa


WAS STEHT BEI IHNEN AUF DEM SPIEL?

Was wollen die Kunden von heute und morgen wirklich? Wo stehen wir im Wettbewerb mit der neuen digitalen Konkurrenz? Wie können wir (noch) besser werden? Was werden wir morgen tun, um Kunden zu begeistern? Warum fallen Unternehmen so oft hinter die Kundenerwartungen zurück? Wozu werden wir in einer digitalen Welt fähig sein? Wer sind wir als Führungskräfte und Mitarbeiter, und wenn ja, wie viele?

Fragen über Fragen – und Service ist die Antwort. Egal, was in Ihrem Unternehmen gerade ansteht: Die Antwort ist immer Service. Ob sie vom Silicon Valley bedroht werden, ob Sie mit unzufriedenen Kunden zu kämpfen haben, ob der Umsatz schwächelt oder ob Sie einfach nur die Besten in Ihrer Branche werden wollen: Mit Service kriegen Sie jede Ihrer Herausforderungen in den Griff.


Einem aber gefällt diese Antwort nicht. Und diesen Zeitgenossen möchte ich Ihnen vorstellen, bevor es losgeht, denn er wird Sie durch dieses Buch begleiten. Und seinen besten Kumpel zerren wir auch gleich hinter den Kulissen hervor, denn der eine kann ohne den anderen nicht existieren: der SEMO und der COMO.


Exkurs in die freie Wildbahn: SEMO und COMO – zwei gegen den Kunden

SEMO, der Service Monkey

Gestatten: Das ist SEMO, der Service Monkey. SEMO ist die personifizierte Service-Wüste. Wo er auftaucht, sind wütende Kunden nicht weit. Denn SEMO ist der Wutbürger unter den Dienstleistern: Er ist vor allem anti. Anti Innovation. Anti Empathie. Anti Sonderwünsche. Anti Digitalisierung. Anti Herzlichkeit. Anti Kundenbegeisterung. Anti Freude. Anti alles, worauf man sich persönlich einlassen muss. Für SEMO ist der Kunde eine Bedrohung und die Wünsche des Kunden sind Stolpersteine auf dem Weg in den frühen Feierabend. Er will nicht nachdenken. SEMO steht total auf Prozesse, auf AGB, auf Fristen und auf Kundenabwehrmaßnahmen. „Nein, das geht nicht!“ ist sein Lieblingssatz. Einen Punkt auf der Liste abhaken, das macht SEMO glücklich.

Aber wenn ein Kunde einen Sonderwunsch hat oder gar individuelle Betreuung erwartet, will SEMO weg. Nicht aus Bösartigkeit, sondern aus Hilflosigkeit. SEMO ist eindeutig ein Fluchttier. In einem Satz: SEMO ist der Mitarbeiter, der lieber erst mal den Chef fragt. Es sei denn, er kriegt es selbst hin, den Kunden effektiv zu verprellen.

Mehr muss ich Ihnen über SEMO nicht erzählen. Sie haben längst ein Bild davon, wen ich meine. Denn selbst, wenn es in Ihrem Unternehmen keine SEMOs geben sollte (und ich muss Ihnen leider sagen: Das ist nicht sehr wahrscheinlich), kennen Sie unzählige SEMOs aus leidvoller Erfahrung als Kunde.

Und SEMO ist in seiner Mission, Kunden zu verprellen, nicht allein. SEMO hat einen Bruder im Geiste – und die beiden treten fast immer gemeinsam auf. Denn SEMO ist ein enger Verwandter von COMO, dem Corporate Monkey – dem Protagonisten meines Buches Ohne Freiheit ist Führung nur ein F-Wort. Um ihn geht es hier nicht, doch auch ihm werden Sie in diesem Buch zwangsläufig hin und wieder begegnen – insbesondere in Kapitel 5, wo es um die Wirkung von Führung auf Service-Excellence geht. Denn wo es SEMOs gibt, sind die COMOs nicht weit. Deshalb gestatten Sie mir, Ihnen auch COMO kurz vorzustellen.


COMO, der Corporate Monkey

COMOs sind Führungskräfte mit großen Ambitionen und wenig Engagement. Diese beiden Attribute verwechseln wir gern: Dass jemand ambitioniert ist, heißt ja noch nicht, dass er sich wirklich reinhängen wird. COMOs klettern nur aus einem Grund die Karrierepalme nach oben: Sie sind scharf auf die Kokosnuss, ihren eigenen geldwerten Vorteil. Das Unternehmen ist ihnen egal.

Die COMOs sind die Speerspitze des Monkey Business, wo Freiheit ein Schimpfwort ist. Diese Führungskräfte gibt es in jedem Unternehmen. Auf allen Ebenen sind sie anzutreffen. Von ganz unten in der Hierarchie bis hinauf in den Vorstand. Das sind die Führungskräfte, die sich pudelwohl fühlen im Zwangskorsett der Abhängigkeiten. Sie tragen den richtigen Anzug. Sie hangeln sich mehr oder weniger elegant die Karriereleiter hoch. Sie küssen im Vorbeigehen die richtigen Hintern. Sie scheinen immer den richtigen Riecher zu haben, um es noch einen Schritt weiter nach oben zu bringen. Aber eigentlich ist alles, was sie tun und sagen, irrelevant.

Was sie tun, das nennen sie Führung. Sie jagen alle der gleichen Kokosnuss hinterher. Und diese Kokosnuss, die nennen sie dann auch noch Erfolg. Corporate Monkeys machen Führung durchschnittlich – und durchschnittliche Führung macht Corporate Monkeys.

Dieser Spezies fehlt das, was Führung erst ihren Sinn gibt: der Wille zur Freiheit.

SEMO und COMO: Zwei wie Pech und Schwefel

COMO hat in diesem Buch nur ein Gastspiel. Doch ihn zu kennen ist wichtig, um zu verstehen, wo die SEMOs herkommen. Im staubtrockenen, bürokratiefreundlichen Klima der Abhängigkeit, das die COMOs geschaffen haben, gedeiht die Spezies famos, die Ihnen auf den folgenden Seiten immer wieder begegnen wird: SEMO. Denn COMOs züchten SEMOs. Sie brauchen sie dort, wo ihr gemeinsamer Feind auftritt: an den Schnittstellen des Unternehmens mit dem Kunden. Also: im Service.

COMO braucht SEMO, damit der ihm den Kunden vom Leib hält, mit seinen sich ständig wandelnden Bedürfnissen und Sonderwünschen. Denn die Veränderungen in der Lebenswelt der Kunden sind der Grund für den Wandel in unseren Unternehmen. Und wenn es etwas gibt, das COMO gar nicht leiden kann, dann, etwas verändern zu müssen am bequemen System, das er sich eingerichtet hat. SEMO ist COMOs Wachhund – abgerichtet, um den Kunden zu verbellen. Und SEMO fühlt sich wohl in dieser Rolle. Denn während COMO das Unternehmen egal ist, ist SEMO vor allem der Kunde egal. Er verbellt ihn mit Freude – das ist nämlich einfacher, als auf ihn einzugehen. SEMO, der Wachhund, ist das personifizierte Wartezimmer oder vielmehr: die besonders unfreundliche Sprechstundenhilfe in diesem Wartezimmer. Das Gesicht zur Faust geballt, den Kunden mit gefletschten Zähnen fixiert, macht er brav seinen Job – indem er seinen Job eben nicht macht.

Duo infernale

Deshalb verstehen sich SEMO und COMO so gut: Der eine profitiert von dem System der Abhängigkeiten, das der andere eingerichtet hat. Das System von Weisung und Kontrolle, in dem man immer nur abarbeiten muss und nie nachdenken. COMOs machen alles, nur nicht führen. Und SEMOs machen alles, nur nicht Service.

SEMO und COMO sind zwei wie Pech und Schwefel. Wie Dick und Doof, Starsky und Hutch oder Erkan und Stefan. Wir dürfen über sie lachen, denn Lachen ist der beste Weg zur Erkenntnis. Nur eines dürfen wir dabei nicht vergessen: Der Kunde hat bei diesen beiden rein gar nichts zu lachen. Und es ist an uns, daran etwas zu ändern.

Der Schocker kommt zum Schluss: Wir sind alle ein bisschen SEMO. So wie wir in der Führung auch alle ein bisschen COMO sind. Ich nehme mich dabei nicht aus. Auch ich habe Service von SEMOs gelernt, und Führung von COMOs. Auch ich habe einen langen Weg hinter mir. Auch ich kämpfe immer wieder mal gegen den SEMO und gegen den COMO in mir. Ich weiß, dass es nicht leicht ist, sich aus dem alten System Weisung und Kontrolle zu verabschieden. Und ich weiß auch, dass es nicht leicht ist, anspruchsvolle Kunden zu begeistern. Gerade deshalb habe ich dieses Buch geschrieben: Es ist eine Therapiemaßnahme im Umgang mit dem ewigen SEMO in mir. Und ich wünsche mir, dass es Ihnen denselben Dienst erweist.

Nun wissen wir, mit wem wir es zu tun haben: Zwei schlitzohrige Halunken sind es, die den Unterschied zwischen Kundenbeschwerde und Kundenbegeisterung machen.

Kundenbegeisterung entsteht durch exzellenten Service. SEMOs machen alles, nur keinen exzellenten Service. Und die COMOs haben den SEMOs mit ihrer schlechten Führung ein Biotop geschaffen.

Es wäre einfach, SEMO anzuklagen, zu verurteilen und zu vertreiben. Und COMO am besten gleich mit. Doch so einfach ist es nicht, denn: Ein bisschen SEMO steckt ja in jedem von uns. Bei dem einen mehr, bei dem anderen weniger.

Wir sind die, die den Wandel gestalten. Wir sind die, die eine Wahl haben: verändern oder verweigern. Wir sind SEMO. Wenn wir unseren Kunden exzellenten Service bieten und unsere Unternehmen erfolgreich in die Zukunft führen wollen, gibt es nur eine Lösung: SEMO aus der Gefangenschaft befreien, sein Wachhund-Dasein beenden und ihn dabei unterstützen, endlich seine wahre Bestimmung zu erfüllen: als Kundenbegeisterer.

Wenn dieses Buch nur ein Ziel hat, dann dieses: aus SEMO eine echte, herzliche Service-Persönlichkeit zu machen. Machen wir aus SEMO einen Gastgeber, einen Service-Enthusiasten, einen Herzlichkeitsexperten! Machen wir SEMO handlungsfähig!

Damit bleibt eigentlich nur noch eine Frage offen: Wie stellen wir das an? Wie geht exzellenter Service? Und ich bin froh, dass Sie fragen, denn wir reden immer viel zu viel über das Was und viel zu wenig über das Wie. Das ist ein weiteres Prinzip, von dem Sie in diesem Buch nicht zum letzten Mal gelesen haben.

 

Ab hier geht es um die Frage nach dem Wie. Und für die Antwort auf diese Frage brauche ich mehr als ein Wort. Ich versuche es mal auf 250 Seiten. Wenn Sie danach immer noch nicht genug haben – und das hoffe ich sehr –, lassen Sie uns weiterreden. Kontaktieren Sie mich gern unter www.carsten-k-rath.de. Wenn Sie mögen und auf dem Laufenden bleiben wollen, lesen Sie meinen Blog und folgen Sie mir gern auch auf meinen Social-Media-Kanälen. Schreiben Sie mir und nutzen Sie die Gelegenheit, meine Beiträge zu kommentieren. Die offene Diskussion macht uns alle nicht nur schlauer, sondern auch besser. Denn Service bleibt nicht stehen, weil der Mensch mit seinen Bedürfnissen sich immer weiterentwickelt. Entweder entwickeln wir uns mit oder wir bleiben zurück.

Es geht immer um alles!



Jeder hat ein konkretes Bild vor Augen, wenn er das Wort „Service“ hört. Sie bestimmt auch. Der eine denkt an den livrierten Pagen, der ihm vor dem Hotel das Gepäck abnimmt. Ein anderer denkt an die freundliche Flugbegleiterin, die ihm eine Decke bringt – weil sie gemerkt hat, dass ihm kalt ist. Wieder ein anderer denkt an die Verkäuferin, die aus Kulanz den Pullover zurücknimmt, obwohl die Umtauschfrist schon vorbei ist. Das alles nennen wir Service.

Erkennen Sie das Muster? Eigentlich ist das mit dem Service ganz einfach.


Völlig egal, was das ist. Und das, was Ihr Kunde will – das ist das, was Sie brauchen. Das Wesen des Service ist das Prinzip radikaler Kundenorientierung. Wir verhelfen dem Kunden zu einem schönen Leben – la dolce vita –, und sei es auch nur in diesem einen Augenblick. Und wenn er uns damit identifiziert, dann ist der Zustand der Kundenbegeisterung erreicht, nach dem wir alle streben.

Ich habe von einem früheren Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika gelernt, wie man mit Service-Excellence identifiziert und zur Lieblingsmarke wird. Der Name meines Service-Helden Nr. 1 lautet: Bill Clinton.

Das mag Sie ein wenig überraschen. Bill Clinton ist ja für vieles bekannt. Jüngst etwa dafür, dass er im fortgeschrittenen Alter, viele Jahre nach dem Ende seiner eigenen Amtszeit als Staatsoberhaupt, um ein Haar auch noch First Gentleman der USA geworden wäre. Neben seinen Errungenschaften als Präsident ist auch das eine oder andere Skandälchen in der öffentlichen Erinnerung hängengeblieben.


Für seine Service-Expertise hingegen ist William Jefferson „Bill“ Clinton eigentlich nicht bekannt. Wenn Sie mich fragen: eine Wissenslücke im allgemeinen Narrativ. Der Mann ist ein Menschenbegeisterungsgenie. Ich habe es am eigenen Leib erlebt, und ich zehre noch heute davon. Meine Begegnung mit Bill Clinton hat meine Philosophie der Service-Excellence geprägt wie keine andere.

Das Ziel von exzellentem Service ist es, Kunden zu Fans fürs Leben zu machen. Manche von uns – ich zum Beispiel – verbringen Jahrzehnte damit, die Geheimnisse der Service-Excellence zu ergründen. Wir widmen unser Leben dem Service und kämpfen jahrein, jahraus um die Gunst unserer Kunden.

Wissen Sie, wie lange Bill Clinton gebraucht hat, um mich zu einem Fan fürs Leben zu machen? Fünf Sekunden.


EIN ABEND DER EXZELLENZ

Als ich Bill Clinton treffe, ist er gerade Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Und ich kann Ihnen sagen: Ich habe lange auf diesen Moment hingearbeitet, wenn auch aus anderen Gründen als Monica Lewinsky. Drei Jahre lang, um genau zu sein. Ich selbst habe zu diesem Zeitpunkt schon prägende Jahre und mehrere Führungspositionen in der Grand-Hotellerie hinter mir. Vor allem habe ich von einigen SEMOs erster Güte gelernt, wie es nicht geht. Einigen davon werden Sie in diesem Buch noch begegnen. Aber mein Ziel habe ich deshalb nicht aus den Augen verloren: Ich will eines der ganz großen Hotels dieser Welt verantwortlich mitgestalten. Seit meinem ersten Engagement in einem Grand-Hotel, als Rezeptionist im Kempinski-Hotel Gravenbruch bei Frankfurt am Main, habe ich diesen Traum gehegt.

Und Mitte der 90er ist es dann endlich so weit. Mich erreicht der Ruf von Kempinski, als erster Hotelmanager das Kempinski-Hotel Adlon in Berlin mit zu eröffnen. Das legendäre Adlon, am 24. Oktober 1907 vom Kunstschreinermeister Lorenz Adlon eröffnet: Tummelplatz der gesamten Elite der Weimarer Republik, Treffpunkt der Politiker und Künstler, die Deutschland geprägt haben. Auch die internationalen Stars gingen im alten Adlon ein und aus: Charlie Chaplin, Marlene Dietrich, Lawrence von Arabien, die Rockefellers, die Rothschilds. Kaiser Wilhelm II. zog die elektrisch beheizten Räumlichkeiten im Winter oft sogar seinem eigenen Stadtschloss vor. Und dann: 52 Jahre Stille, nachdem das Hotel 1945 bis auf einen Seitenflügel ausgebrannt war, der von der DDR noch eine Zeit lang als Ausbildungsheim genutzt und 1984 schließlich auch abgerissen wurde.

Doch das Adlon lebte weiter im Herzen der geteilten und dann wiedervereinigten Hauptstadt. Und in einem Mammutakt, der international seinesgleichen sucht, wird es von 1995 bis 1997 an gleicher Stelle am Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor neu errichtet – und ich darf als erster Hotelmanager des neuen Adlon Teil der Wiedergeburt dieser Legende sein. Drei Jahre lang dreht sich mein Leben nur um zwei Dinge: meinen Sohn David, der in dieser Zeit in Berlin geboren wird, und die weitaus schwierigere Geburt, die Eröffnung des Adlon. Doch auch sie gelingt. Am 23. August 1997 findet mit Pauken und Trompeten die Wiedereröffnung dieses historischen Hauses durch Bundespräsident Roman Herzog statt. Das Hotel Adlon ist das einzige Gebäude der Welt, das von zwei verschiedenen Staatsoberhäuptern in zwei verschiedenen Epochen eröffnet wurde: von einem Kaiser und von einem Bundespräsidenten. Ein verrückter Tag am Ende dreier verrückter Jahre.1

Nur ein paar Monate nach der Eröffnung kommt der große Moment: Bill Clinton kommt nach Berlin und wohnt bei uns im Adlon. Erstmals dürfen wir auch das Staatsbankett ausrichten. Der Bundespräsident persönlich segnet die Gästeliste ab. Wir erwarten schillernde Figuren: Bundeskanzler Helmut Kohl, Bundesratspräsident Gerhard Schröder und viel Prominenz aus Politik, Medien, Kunst und Sport. Und ja, Monica Lewinsky ist auch dabei bei diesem Staatsbesuch in Berlin. Dieser Abend übertrifft alles, was ich bisher erlebt und gesehen habe – nicht nur als gesellschaftliches Event, sondern auch als Service-Ereignis. Dutzende Vollprofis und Hunderte von Berufsjahren, geballt in einem einzigen Dinner: ein Fest für jeden Service-Enthusiasten, ein Abend für die Ewigkeit.

Doch das Spannendste, der wirklich prägende Moment, kommt für mich erst danach. Nachdem das Bankett vorbei ist, tritt plötzlich der Protokollchef von Bill Clinton an mich heran und sagt: „Herr Rath, bitte rufen Sie Ihre Abteilungsleiter zusammen und stellen sich allesamt vor dem Ballsaal auf!“

Wenn man das von der rechten Hand des Präsidenten gesagt bekommt, dann fackelt man natürlich nicht lange. Dann ruft man seine Leute zusammen und stellt sich fein säuberlich in einer Reihe auf. Und da stehen wir Vollprofis aufgeregt wie Grundschüler vor der Zeugnisübergabe. Wir haben keine Ahnung, was kommt. Wir tuscheln und scharren mit den Füßen: Was ist hier los?



FÜNF SEKUNDEN MIT BILL CLINTON

Bis wir plötzlich still werden: Die Tür des Ballsaals öffnet sich. Unsere Köpfe drehen sich synchron, die Hälse gereckt wie Teenager in einer Peepshow. Einige Sekunden vergehen, und dann kommt ein silberner Schopf auf Maßanzug zum Vorschein: Bill Clinton, der mächtigste Mann der Welt, kommt mit festem Schritt aus dem Ballsaal und geht auf das Ende der Reihe zu. Das andere Ende der Reihe. Erst einmal kann ich nichts anderes tun als beobachten und lauschen. Was soll das Ganze? Was tut er da?

Und was er tut, haut mich um: Er geht tatsächlich zu jedem einzelnen unserer Abteilungsleiter und bedankt sich. Bill Clinton bedankt sich persönlich bei jeder einzelnen unserer Führungskräfte. Zu unserem Küchenchef Charly sagt er: „Vielen Dank für das fantastische Essen, ein wahrer Hochgenuss.“ Unseren Oberkellner lobt er: „Ihr Service ist exzellent, Ihre Aufmerksamkeit und Herzlichkeit sind außergewöhnlich.“

Ich stehe als Manager ganz hinten am Ende der Reihe und hoffe natürlich, dass die Zeit des Präsidenten auch für mich noch ausreichen wird. Die Sekunden vergehen, denn der Staatsgast hat für jeden von uns einige persönliche Worte übrig – als hätte er diesen Auftritt genauso geplant und durchdacht wie jede andere Begegnung, jede politische Unterredung bei diesem Staatsbesuch.

Und dann ist es endlich so weit. Bill Clinton steht vor mir. Mit seiner rechten Hand gibt er mir einen festen Händedruck. Seine linke Hand legt er jovial auf meine Schulter. Und dann schaut er mir fest in die Augen und sagt: „Carsten – great job. You run a fabulous hotel. Thank you very much!“

Sie können sich vorstellen: Ich bin einfach nur sprachlos. Zu diesem Zeitpunkt habe ich zwar bereits viele Jahre als Hotelmanager auf dem Buckel. Ich bin unzähligen Prominenten begegnet und habe etliche Staatsgäste beherbergt. Doch das hier ist anders, das hier ist persönlich. Denn Bill Clinton macht es persönlich. Der mächtigste Mann der Welt kennt meinen Namen! Der Mann, der sonst über den Fortgang des Weltgeschehens entscheidet, nimmt sich Zeit dafür, sich bei uns und bei mir zu bedanken. Carsten, der ehemalige Terrassenkellner aus dem Rheinland, ist in diesem Moment wichtiger für Bill Clinton als jedes Protokoll, jeder VIP und jeder Staatsgast. Sogar wichtiger als Monica Lewinsky.

Danach gehe ich total euphorisiert zu meinem Chefkoch Karl-Heinz und sage: „Charly, stell dir vor! Bill Clinton kennt meinen Namen! Der mächtigste Mann der Welt hat gerade fünf Minuten nur mit mir geredet!“ Und Charly antwortet: „Carsten, ich war dabei. Es waren eher … fünf Sekunden!“


DER PRÄSIDENT, DIE SERVICE-MARKE

Das war meine Begegnung mit Bill Clinton. Nicht die einzige im Zuge dieses Staatsbesuchs, aber die entscheidende. Lassen Sie mich Ihnen erklären, warum sie für mich so prägend war. Warum macht Bill Clinton das, was meinen Sie? Warum nimmt er sich Zeit für das Personal des Hotels, in dem er zu Gast ist, obwohl ein paar Schritte weiter die politische Elite der Bundesrepublik versammelt ist und auf ihn verzichten muss? Macht er das, weil ihm mit diesen Staatsgästen im Ballsaal langweilig ist? Oder weil er ein so außergewöhnlich netter Mensch ist?

Nein – Bill Clinton macht das, weil er als Präsident eine Marke ist. Er weiß: Über ihn wird berichtet. Er weiß, was er tut, spricht sich herum. Er weiß in diesem Moment ganz genau: Irgendwann wird einer auf einer Bühne stehen und über diesen Moment sprechen. Irgendwann wird einer ein Buch schreiben und diese Szene beschreiben, und er will als guter Präsident in Erinnerung bleiben. Und wie Sie sehen, tue ich ihm den Gefallen. Warum? Weil seine Haltung mich vollkommen überzeugt hat. Service-Excellence pur – vorgelebt vom Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika. In fünf Sekunden.

Und jetzt frage ich Sie: Wollen Sie nicht auch, dass die Menschen so über Ihr Unternehmen sprechen? Wollen Sie nicht auch zur Lieblingsmarke werden anstatt zu einem … Donald Trump?