Für Herzlichkeit gibt's keine App

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DIE FÜNF-SEKUNDEN-REGEL DER KUNDENBEGEISTERUNG

Bei meiner kurzen Begegnung mit Bill Clinton hat es bei mir „klick“ gemacht. Diese fünf Sekunden sind sozusagen der Gründungsmythos der Haltung, die ich Service-Excellence nenne. Ich möchte, dass Menschen sich so fühlen, wie ich mich in diesem Moment gefühlt habe. Ich möchte, dass sie genauso begeistert von der Marke sind, wie ich es an jenem Abend war. Ich wünsche mir, dass sie ebenso bewegt sind, wenn ich oder meine Mitarbeiter mit ihnen sprechen. Wir können nicht alle Bill Clinton sein – aber wir alle können Kunden begeistern. Wir können ihnen dieses Gefühl der Zuwendung geben, indem wir ihnen offenherzige Neugier entgegenbringen. Das ist der Funke, der bei den wahren Kundenbegeisterern überspringt: die Erfahrung der persönlichen Wertschätzung durch das Unternehmen, die Magie des Moments.

Aus der Begegnung mit Bill Clinton habe ich meine Fünf-Sekunden-Regel entwickelt:


Eine Lieblingsmarke kann in fünf Sekunden entstehen. Jede Begegnung mit einem Menschen hat das Potenzial, einer dieser besonderen Momente zu werden, in denen die Marke sein Leben berührt und sich einprägt, es vielleicht sogar für immer verändert. Fünf magische Sekunden für Sie und Ihren Kunden: Wenn Sie jeden Kundenkontakt als Chance auf einen solchen Moment betrachten, als Chance, diesen Menschen zu begeistern, ist der Anfang für etwas Großes gemacht. Service-Excellence ist eine Haltung, und der Kunde spürt sie in diesem Moment.

•Ein Lächeln – eine Fünf-Sekunden-Regel.

•Jede Kommunikation mit einem Kunden – eine Fünf-Sekunden-Regel.

•Jede Chance, mit einem Neukunden in Kontakt zu treten – eine Fünf-Sekunden-Regel.

•Jede Frage – eine Fünf-Sekunden-Regel.

•Jede Kundenbeschwerde – eine Fünf-Sekunden-Regel.

Die Fünf-Sekunden-Regel bedeutet, genau das zu tun, was Bill Clinton seinerzeit für uns getan hat: empathisch sein und aufmerksam bleiben. Fünf Sekunden Kundenbegeisterung heißt hier und jetzt da zu sein, den Moment bewusst zu erleben, sich voll und ganz auf diese Magie einzulassen, den Menschen zu sehen und zu achten.

Dieser Hinweis ist mir wichtig: Es geht nicht um die Zeitspanne. Die Fünf-Sekunden-Regel ist kein neurolinguistischer Manipulationszauber, der das Gehirn des Kunden vernebeln soll. Manchmal reichen drei Sekunden, manchmal braucht es zehn. Die Fünf-Sekunden-Regel steht nicht für eine Transaktion mit der Stoppuhr – wie bei der Discounter-Kassiererin, die für jeden Kunden nur eine Minute brauchen darf –, nicht für Dauer oder Breite oder Auftragsvolumen. Sie steht für die Tiefe der Begegnung, die aus einer Transaktion Service macht. Es geht mir um Achtsamkeit, die sich tatsächlich schon in kürzester Zeit vermitteln lässt. Wenn wir in diesen fünf Sekunden einen bleibenden Eindruck hinterlassen, dann werden wir zur Lieblingsmarke.

Und wie oft ist Service ganz anders?


Sie kennen das Gefühl, wenn Menschen bei Empfängen oder Events mit Ihnen sprechen und dabei ständig an Ihnen vorbei über Ihre Schulter schauen. Sie tun das, weil sie nach jemandem Ausschau halten, der vielleicht noch wichtiger ist als Sie. Oder wenn Ihrem Gesprächspartner sein Handy wichtiger ist als das Gespräch mit Ihnen. An der Hotelrezeption ist das manchmal genauso, wenn die SEMO-Rezeptionistin mit dem Bildschirm redet statt mit Ihnen. Wenn der SEMO-Arzt genervt auf Ihre Fragen reagiert, weil er mit einem Bein schon aus der Tür und unterwegs zum nächsten Patienten ist – time is money. Wenn der SEMO-Kellner Sie warten lässt, weil Sie dieses Mal nur einen Kaffee trinken und andere Gäste wichtiger sind. Wenn Sie am Info-Tresen erst einmal gefragt werden, ob Sie denn Clubmitglied seien, und der weitere Service von Ihrer Antwort abhängt. Das fühlt sich nicht gut an, oder? Einfach achtlos. Täglich verpassen Unternehmen in Deutschland Millionen von Chancen, weil sie die Chance nicht sehen, der sie gerade ins Auge blicken. Täglich werden Unternehmen nicht zu Lieblingsmarken, weil sie das günstigste aller Investments nicht ernst nehmen: die Fünf-Sekunden-Regel.


Fünf Sekunden Achtsamkeit – das ist nicht teuer, das ist nicht aufwendig, aber es macht so einen großen Unterschied. Fünf Sekunden Herzlichkeit, volle Aufmerksamkeit, volle Zuwendung. Und zwar, und das ist ganz wichtig, bei jeder Begegnung mit dem Kunden. Immer, ausnahmslos. Weil jede Begegnung zählt.

Es geht immer um alles. Denn eine Lieblingsmarke kann in fünf Sekunden entstehen – und sie kann auch in fünf Sekunden zerstört werden.


DIE HARTE WÄHRUNG VERTRAUEN

Vielleicht fragen Sie sich: Ist die Fünf-Sekunden-Regel, die eine tatsächliche Begegnung erfordert, im Zeitalter der Digitalisierung noch zeitgemäß? Ich glaube: mehr als je zuvor. In Zeiten der physischen Entfremdung zwischen Marken und Menschen erfüllen wir unseren Kunden mit der Fünf-Sekunden-Regel eine Sehnsucht. Sind wir doch ehrlich: Digital können wir einen persönlichen Kontakt letztlich immer nur simulieren. Hinter der Marke, die online so liebevoll daherkommt, kann auch eine ganz andere Wahrheit stecken – eine knallharte, turbokapitalistische Geldmaschine zum Beispiel, die sich herzlich wenig für die Bedürfnisse ihrer Kunden interessiert. Im Werbeclip bei YouTube stolpert vielleicht ein süßer Welpe über eine Wiese. Aber in der Fabrik in Fernost arbeiten möglicherweise Menschen unter prekären Bedingungen.


Was wissen wir denn wirklich über manche der Hipster, denen wir online Geld überweisen für Produkte, die wir nie zuvor in der Hand gehalten haben? Was wissen wir darüber, wie es ihren Mitarbeitern geht, welche Menschen und welche Ziele wirklich hinter der Marke stecken? In der digitalen Wirtschaft ist Vertrauen eine harte Währung. Das schnelle Geld kann ein Unternehmen vielleicht auch ohne eine glaubwürdige Reputation machen. Kurzfristig. Doch ein Unternehmen, das gekommen ist, um zu bleiben, hat keine andere Wahl, als sich zu zeigen. Eine Marke, die nach loyalen Kunden strebt, kann gar nicht anders, als den Menschen in die Augen zu schauen. Denn, und das ist wiederum ein Vorteil der Digitalisierung, Transparenz ist heute das A und O bei der Vertrauensbildung. Wenn mit einem Unternehmen etwas nicht stimmt, werden die Kunden es früher oder später erfahren. Selbst wenn es sich nur um ein haltloses Gerücht handelt, muss jeder Zweifel ausgeräumt werden. Und auch das geht am besten von Mensch zu Mensch, bei der persönlichen Begegnung.

Die Fünf-Sekunden-Regel ist mehr als eine Verkaufsmaßnahme. Diese persönliche Verbindung zwischen Unternehmen und Kunde ist die Grundlage für persönlichen Service.


ANSPRUCH UND WIRKLICHKEIT

Schlechten Service gibt es natürlich nicht erst seit der Digitalisierung. Im Gegenteil: Die Digitalisierung fordert gerade die etablierten Marken heraus, sich durch besseren Service abzusetzen. Damit hat sie schon manchen Platzhirsch zum Service getragen, der zuvor nicht viel davon wissen wollte. Schlechten Service gab es schon immer – weil es schon immer einen Unterschied zwischen Anspruch (Werbung) und Wirklichkeit (Kundenbetreuung) gab. Und natürlich auch, weil es schon immer SEMOs gab.

Einer davon, und ein ganz besonderes Prachtexemplar noch dazu, hat mir als Jugendlichem einmal das Leben schwer gemacht. Bis heute genießt seine Marke kein großes Ansehen meinerseits. Es geht immer um alles, bei jeder Begegnung? Der Service-Mitarbeiter, von dem ich Ihnen jetzt berichte, hatte davon noch nichts gehört. Ein SEMO, wie er im Buche steht. Die Geschichte spielt in meiner Lieblingsstadt Köln, in der ich damals lebte.

Für mich geht damals ein Traum in Erfüllung. Ich leiste mir den ersten großen Luxus meines Lebens: mein erstes Auto. Es ist ein Ford. Und ja, für mich trotzdem Luxus. Es ist nämlich nicht irgendein Ford, sondern ein weißer Ford Escort XR3i. Außer denjenigen, die selbst einmal so einen hatten, können nur Manta-Fahrer verstehen, was das bedeutet. Ich bin damals 19 und stolz wie Oskar. Ich habe ihn von meinem sauer Ersparten gekauft, mit 150 000 Kilometern auf der Uhr.

Es kommt, wie es kommen muss: Ein paar Wochen später bleibe ich bereits mit meinem Ford liegen. Und zwar nicht irgendwo, sondern auf der Inneren Kanalstraße in Köln. Das ist eine von wenigen sechsspurigen Straßen in einer deutschen Innenstadt. Alle fahren da lang. Jeder, der gerade in Köln unterwegs ist. Also auch: meine Kumpels damals. Als Jugendlicher in Köln auf der „Kanalstraße“ mit dem Auto liegenbleiben ist ungefähr so, als würde ein Hollywood-Star mit seinem Lamborghini den Sunset Boulevard entlangfahren, die Ellenbogen lässig aus dem offenen Fenster gelehnt – und dann genau vor dem Hardrock-Café an der roten Ampel auf einen Kleinwagen auffahren.

 

Der Sunset Boulevard ist für mich damals noch unerreichbar – auf der Inneren Kanalstraße liegenbleiben ist eine Schmach ohnegleichen. Noch größere Sorgen als um mein „neues“ Auto mache ich mir deshalb darüber, dass mich jemand sehen könnte, bevor die Karre sicher hinter einem Werkstatttor verstaut ist. Aber natürlich macht Murphys Gesetz auch vor mir nicht halt. Gerade bin ich ausgestiegen und habe die Motorhaube aufgemacht – der Motor qualmt, die Kiste sieht aus wie ein Wrack –, da fährt auch schon eine Wagenladung meiner „Freunde“ vorbei – in einem Manta! Sie hupen und grölen: „Ford, besser ankommen!“ Das war damals und noch für viele weitere Jahre der Werbeslogan von Ford. Nie war er unpassender – für mich. Nie war er passender – für die Manta-Fahrer.

Besser ankommen? So viel verlange ich gar nicht – einfach ankommen würde mir schon reichen! In mir brodelt es: Die Herrschaften von Ford haben jetzt einiges wiedergutzumachen. Mit rauchendem Kopf – vor Wut und wegen der erbarmungslosen Hitze über dem Asphalt an diesem glühend heißen Sommertag – mache ich mich auf die Suche nach einer Telefonzelle. Handys gibt es damals nämlich noch nicht. Gott sei Dank. Sonst wäre in diesem Moment wahrscheinlich schon ein Video von mir vor meinem rauchenden Wrack auf Facebook – geschossen aus einem vorbeifahrenden Manta.

Als ich nach einem gefühlten Marathon am Straßenrand endlich eine Telefonzelle ausfindig gemacht habe, rufe ich beim Ford-Fachbetrieb in Köln-Nippes an. Es klingelt neunmal. Als wäre ich zu diesem Zeitpunkt nicht schon genug ins Schwitzen geraten. Dann geht endlich ein ganz besonders „netter“ Ford-Service-Mitarbeiter ran. Ein „richtiger Kundenversteher“. In Wirklichkeit habe ich es mit einem Kölschen SEMO zu tun.

Ein Gespräch mit einem SEMO, auf den man geradezu angewiesen ist wie ich in diesem Moment, ist schwierig genug. Ein Gespräch mit einem Kölschen SEMO – auf Kölsch – ist ungefähr so angenehm wie ein Glas Kölsch, das eine Stunde lang in der Sonne stand. Damit Sie auch als Nicht-Kölner überhaupt folgen können, übersetze ich das Kauderwelsch nachfolgend für Sie – indem ich auf Service-Deutsch ergänze, was der SEMO im Blaumann mir eigentlich sagen will. Denn wir gehen ja mal davon aus, dass Ford meine Lieblingsmarke bleiben will, in dieser Vertrauenskrise.

Das neunte Klingeln, ein Knacken in der Leitung, und dann brüllt er in mein Ohr, als hätte mein sterbender Motor gerade noch eine Fehlzündung produziert: „Focht, wat is?“ Das soll bestimmt heißen: „Willkommen beim Ford-Kundenservice Köln-Nippes, was darf ich für Sie tun?“

„Ich bin mit meinem Ford Escort auf der Inneren Kanalstraße liegen geblieben …“

„Un wat kann isch daför?“ Was er eigentlich sagen möchte, ist: „Ihr Missgeschick mit einem unserer Qualitätsfahrzeuge tut mir aufrichtig leid. Bitte erklären Sie mir doch, was passiert ist.“

„Ah, der Motor ist einfach ausgegangen …“

„Dat hätt die Djrexkarre add ens!“ Er meint bestimmt: „Dieses Problem ist unserem technischen Kundendienst bekannt. Je älter das Auto, umso häufiger passiert das leider.“


„Aha … und was soll ich jetzt machen?“

„Da kütt ener eruss!“ Übersetzung: „Ich schicke Ihnen sofort einen Abschleppwagen, der das Auto zu uns in die Werkstatt bringt, und entschuldige mich für die Umstände, die Sie hatten.“

„Dankeschön.“

„Joot! Tschö!“ Sagen möchte er sicher: „Es war mir ein Vergnügen, Ihnen helfen zu dürfen. Ich hoffe, Sie beehren uns bald wieder und empfehlen Ford weiter.“

Was glauben Sie, wie oft ich Ford und insbesondere den Fachbetrieb in Köln-Nippes seitdem weiterempfohlen habe? Genau. Kein einziges Mal. Und genau das ist der Handlungsimpuls, den ein Unternehmen mit Kundenbegeisterung setzen könnte – wenn es denn verstanden hätte, dass Kundenservice kein lästiges Anhängsel des Geschäftsmodells ist, sondern der eigentliche Dreh- und Angelpunkt jedes Kaufvertrags. Der Warenwert ist nämlich nichts im Vergleich zur emotionalen Bindung an die Marke, die der Kunde mit dem Kaufvertrag eingeht.


Klar, das Was wurde bei dieser Interaktion erfüllt. Der Abschleppwagen kam. Irgendwann. In der Zwischenzeit hätte ich auf der Motorhaube zwar ein ganzes Spanferkel durchgrillen und noch drei weitere Polohemden durchschwitzen können, aber er kam. Die „Djrexkarre“ wurde repariert, und nach einigen Tagen konnte ich wieder Mantas jagen gehen. Aber das Wie bei dieser Interaktion ließ doch einige Wünsche offen. Und die Moral von der Geschicht’?


Deshalb muss SEMO umdenken. Das ist ein ganz wichtiger Faktor bei Service-Excellence: Beim Was einer Interaktion mit seiner Marke – also: beim Prozess – kann der Kunde schon mal einen Fehler verzeihen. Ein Auto bleibt eben mal liegen. Das ist keine Freude, aber damit rechnet man – zumindest, wenn man Ford fährt. Wenn das Unternehmen dann aber beim Wie versagt, zum Beispiel als Retter in der Not wie an jenem Tag auf der „Kanalstraße“, dann ist die Beziehung zerrüttet. Und dann ist sie nur sehr schwer wieder zu kitten.

Fehler beim Was sind okay – Fehlverhalten beim Wie aber nie.

Warren Buffet hat dasselbe Prinzip so beschrieben: „Es braucht 20 Jahre, um einen Ruf aufzubauen, und nur fünf Minuten, um ihn zu ruinieren.“ Ich behaupte: Fünf Sekunden reichen auch.

Besser ankommen: Wenn ich meinen Kunden einen emotionalen Anspruch verkaufe, dann bin ich daran gebunden. Wenn die Wirklichkeit ihm nicht gerecht wird, nützt mir auf Dauer der beste Slogan nichts. Denn der echte Wert meiner Marke entsteht nicht auf Werbeplakaten, nicht in Online-Adds und auch nicht an der Börse, sondern im Herzen meiner Kunden.

Der wahre Wert einer Marke wird in Service gemessen.


SERVICE AUF AMERIKANISCH

Gehen wir vom schönen Köln aus noch ein paar Tausend Kilometer weiter nach Westen – nach Naples in Florida. Naples am Golf von Mexiko gelegen und mit traumhaftem Klima gesegnet ist fast genauso schön wie Köln, und vor allem ist die Sprache viel einfacher. Hier machen die Schönen und Reichen Urlaub – und alle, die es sich leisten können, einmal im Jahr oder einmal im Leben so zu tun, als würden sie dazugehören. Der weibliche Durchschnittsgast ist Mitte 20, blond und nur noch teilweise im originalen Bauzustand. Der männliche Durchschnittsgast ist Mitte 80, steinreich und nur noch teilweise bewegungsfähig. Sie wissen, was ich meine.

Für den Service spielt das natürlich keine Rolle: Der ist wertfrei. Service, das merke ich schon nach kürzester Zeit in Naples, ist in den USA eine unanfechtbare Konstante. Nicht lächeln ist keine Option.


Spätestens seit der Präsidentschaft von Donald Trump fragen wir Europäer uns vielleicht, ob Amerika wirklich das Land der Träume ist, für das wir es immer gehalten haben. Doch in Bezug auf Service ist das durchschnittliche amerikanische Unternehmen dem deutschen noch immer einen Schritt voraus. In den USA – und ganz besonders in Florida – wird Service als das betrachtet, was er ist: der eigentliche Wert einer Marke. Amerikaner sehen Service nicht als lästiges Anhängsel eines Geschäftsmodells, sondern als Selbstverständlichkeit. Dort müssen Sie gar nicht erst versuchen, eine Marke zu etablieren, wenn der Business-Plan keine glasklare Service-Philosophie vorsieht. Nicht weil das Finanzamt das voraussetzen würde oder die Bank, die Ihnen Ihre Gründung finanziert, sondern weil die Kunden es voraussetzen.

Können die Amerikaner Service besser als wir? Auf keinen Fall – ein mechanisches Lächeln macht noch keine Herzlichkeit. Nehmen amerikanische Unternehmen Service ernster als deutsche? Im Großen und Ganzen: ja. Und das ist ein Wettbewerbsvorteil, den ich Donald Trump einfach nicht gönne.

Ich habe zwei Jahre lang in Naples gelebt – lange vor Trump, Gott sei Dank. In dieser Zeit habe ich für Ritz-Carlton ein Hotel am Golf von Mexiko geführt und ein weiteres, das Ritz-Carlton Golf-Resort am selben Ort, aufgebaut und eröffnet. Hoteleröffnungen sind immer Wahnsinnstaten. Da folgt eine Beinahe-Katastrophe auf die andere, bis am Ende alles gut wird. Wenn Sie sich schon immer gefragt haben, was „Stirb langsam“ bedeutet – eröffnen Sie ein Grand-Hotel, dann wissen Sie es.

Deshalb suche ich mir für meine spärliche Freizeit in Florida ein Hobby, das mich auf andere Gedanken bringt. Was meinen Sie wohl: Welches Hobby wird sich ein Typ wie ich aussuchen – am Strand von Florida, am Golf von Mexiko, unter der Sonne von Naples? Genau: Rosenzüchten natürlich! Mit Anfang 30 werde ich zu einem leidenschaftlichen Rosenzüchter. Warum bis zur Rente warten? Falls Sie sich das fragen: Nein, das Klima ist nicht ideal. In Naples hat es im Sommer gern mal 45 Grad, und die meiste Zeit ist es staubtrocken. Wenn es nicht gerade monsunartig regnet und alles weggespült wird, was im Garten wächst. Na und? Surfen kann doch jeder.

Zunächst läuft es auch richtig gut mit mir und den Rosen. Wochenlang gieße, dünge und beschneide ich sie. Voller Liebe und Hingabe. Manchmal streichle ich sie sogar, wenn niemand zusieht. Und ich rede mit ihnen.

Nach drei Monaten merke ich plötzlich, dass die schönste meiner Rosen schwächelt. Sie welkt mir einfach unter den Händen weg. Dabei hat der Verkäufer mir versprochen, das sei eine ganz robuste Pflanze! Das kann ich mir nicht gefallen lassen. So nicht, nicht mit mir! Ich buddle meine Liebste aus und bringe sie zurück in den Laden, um sie umzutauschen. Einen Kassenbon habe ich zwar nicht mehr, und den genauen Preis habe ich auch vergessen, aber hier geht es ums Prinzip!


Im Markt angekommen kümmert sich auch gleich ein Mitarbeiter der „Guest-Relations-Abteilung“ um mich. Können Sie sich so eine Abteilung in einem deutschen Gartencenter vorstellen? Ich nicht. Um beim Anblick dieses Tresens und angesichts der umwerfenden Freundlichkeit des Mitarbeiters, auf den ich dort treffe, noch wütend auszusehen, muss ich mir richtig Mühe geben.

Es wird nicht leichter, während ich mit ihm spreche. Denn dieser Mitarbeiter ist das Gegenbild von SEMO. Er ist der Inbegriff der Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft. Und ich bin völlig irritiert. In Deutschland hätte ich mich das hier nicht mal nie getraut. Wie muss das denn aussehen? Da kommt ein staubbedeckter Typ in Shorts mit einer toten Rose in der Hand in den Laden gestolpert und führt sich auf, als hätte die Pflanze ihm die Hand abgebissen? Wenn Sie das schon ein bisschen albern finden, warten Sie mal ab – es wird noch besser.

Entrüstet stelle ich dem Mitarbeiter den vertrockneten Strauch auf den „Guest-Relations-Counter“. So hieß der Tresen dort, hinter dem bei uns in Deutschland wohl eher ein grimmiger SEMO stehen würde, der sich eher verhält wie ein Türsteher. Der freundliche Mitarbeiter schaut mich zunächst verblüfft an, doch er schaltet schnell auf Service-Excellence. Als ich ihm mein Leid klage – „Die schönste von allen, dahin, dahin! Dabei haben Sie doch gesagt, sie würde steinalt werden!“ –, trauert er hemmungslos mit mir. Er betrachtet sie eingehend, wie ein Pathologe einen Verstorbenen im Beisein der Hinterbliebenen, und zeigt sich angemessen betrübt über das Ableben der Geliebten. Auch die Rolle des Trauerbegleiters spielt er perfekt: „Es tut mir so leid, Sir. Ich weiß nicht, wie es dazu kommen konnte. Bitte entschuldigen Sie vielmals.“ Und dann gibt er mir ohne jede Diskussion die von mir geschätzte Summe zurück. Ohne Kaufbeleg! Für eine verwelkte Pflanze, die ich vor drei Monaten gekauft habe! Zum Abschied entschuldigt er sich noch einmal: „I am so sorry, Sir!“

Sie können sich vorstellen: Meine Laune bessert sich schlagartig. Ich bin zufrieden mit diesem Service und verlasse beschwingten Schrittes den Laden. Erst draußen auf dem Parkplatz fällt mir ein, dass ich das Geld ja auch gleich in eine neue Rose reinvestieren könnte. Also mache ich auf dem Absatz kehrt und gehe zurück in den Laden.

 

Doch irgendwie kann ich die Pflanzenabteilung nicht finden. Also frage ich einen Angestellten nach dem Weg, der meine Orientierungs-losigkeit bemerkt und sich sofort meiner annimmt. Und das ist seine Antwort: „Es tut mir leid, Sir, wir sind ein Einrichtungshaus. Wir führen zwar Übertöpfe, aber keine Pflanzen. Wenn sie eine Rose kaufen möchten, empfehle ich Ihnen das Gartencenter direkt nebenan.“

Da fällt es mir wie Schuppen von den Augen: Das hier ist gar nicht das Gartencenter, wo ich meine Rose vor drei Monaten gekauft habe. Hier, im Einrichtungshaus, gibt es keine Rosen, überhaupt keine Pflanzen und auch niemanden, der mir mein Geld zurückgeben oder sich auch nur mit dem staubbedeckten, durchgeknallten Deutschen mit seiner Rose auseinandersetzen müsste – theoretisch. Und doch ist genau das passiert. Denn hier gibt es etwas anderes: einen „Guest-Relations-Counter“, dessen Mitarbeiter ihren Auftrag am Kunden verdammt ernst nehmen.

Das ist Service-Excellence. Wenn Sie die alberne Vorstellung überwunden haben, was für ein Bild ich dort abgegeben haben muss, stellen Sie sich das mal vor: Das ist so, als ob Sie bei Mediamarkt einen Fernseher kaufen und dann bei Defekt von OBI Ihr Geld zurückbekommen würden.

Dieser Mitarbeiter hat die 5-Sekunden-Regel genutzt, um mich zu begeistern. Er hat mich absolut ernst genommen, obwohl er mich wahrscheinlich für grenzdebil gehalten hat. Er hat alles getan, um mich zufriedenzustellen, obwohl er mich wahrscheinlich dreist fand. Und er hat keine Sekunde gezögert, mehr zu tun, als er hätte tun müssen. Viel, viel mehr.

Weil er musste? Nein, weil er konnte. Weil offensichtlich keine Regel, keine Budgetgrenze und keine Denkbarriere das verhinderte. Weil er offensichtlich in seinem Job über genau die Freiheiten verfügte, die es brauchte, um mich zu begeistern. Und das ist ihm gelungen.

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