Ohne Freiheit ist Führung nur ein F-Wort

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VERANTWORTUNG: DAS ZEUG ZUM ENTSCHEIDER

Führung kann Gegensätze vereinen. Laut dem Führungscoach Klaus Eidenschink liegt darin sogar ihr Wesen: Freiheit (Möglichkeiten) und Zwang (Entscheidungen) sind keine Gegensätze. Vielmehr bedingen sie einander. Er sagt: „Die Art und Weise, wie Menschen sich in diesem paradoxen Feld bewegen, kann man Führung nennen.“ „Deshalb“, so Eidenschink weiter, „braucht es Menschen, die demütig genug sind, Dinge mitzutragen, die sie falsch finden und selbst anders gemacht hätten. Es braucht Menschen, die, wenn sich die Schattenseiten einer bestimmten Entscheidung zeigen, nicht an der Entscheidung zweifeln oder Schuldige suchen. Und es braucht Menschen, die beziehungserhaltend in einer Welt voller Brüche und Gegensätze streiten können.“1

Ich glaube, dass diese Beschreibung eines nicht heroischen, sondern integrativen und empathischen, aber auch entscheidungsfreudigen und reibungsfreudigen Leaders auf eine Haltung hinausläuft, die all diese Widersprüche zu integrieren in der Lage ist: Verantwortung. Sie hebt den gefühlten Widerspruch zwischen Freiheit und Führung auf.

Ohne Verantwortung ist Freiheit nicht zu haben. Ohne Verantwortung fehlt die Vertrauensbasis. Darauf aber beruht ein freiheitlicher Führungsstil. Wenn die Verantwortung fehlt, dann kann alles Bisherige als Ausrede missbraucht werden, wenn etwas schiefgeht. Nach dem Motto: Je mehr Entscheidungen andere treffen, desto weniger Verantwortung trägt die Führung.

Ist ja wunderbar – dann sind wir als Leader aus dem Schneider, oder?

Deshalb ist Verantwortung in jedem freien System so wichtig. Wenn wir Verantwortung spüren, sind wir natürlich nicht aus dem Schneider. Ob die Führungskraft oder der Mitarbeiter, den wir zum Entscheider ermächtigen, seine Rolle verantwortungsvoll ausüben wird, hängt davon ab, welches Beispiel wir ihm vorsetzen.

Wenn wir Entscheidungsstärke vorleben, bekommen wir handlungsfähige Mitarbeiter. Wenn wir nicht mit gutem Beispiel vorangehen, weiß auch der beste Mitarbeiter nicht, woran er sich orientieren soll. Sie brauchen nicht acht Leute, um zu entscheiden, wo Norden ist, aber einen brauchen Sie schon. Wie der Steuermann im Kanu sollte er vorn sitzen. Damit alle anderen sich an ihm orientieren können, während sie ihren Job machen. Nicht oben, um aus dem Hinterhalt diffuse Ängste zu streuen.

Vor einiger Zeit habe ich eine Episode erlebt, die mich betroffen gemacht hat – weil ich sozusagen die Bühne dafür geliefert habe. Im Umfeld des FIFA-Kongresses in Zürich im Mai 2015 wurde Sepp Blatter zunächst in seinem Amt als FIFA-Präsident bestätigt, um dann unter dem Druck der Öffentlichkeit doch zurückzutreten. Bei diesem Anlass entstanden viele Bilder, die danach durch die Weltpresse gingen. Der Grund: Der Kongress fand unmittelbar nach einer Reihe von Verhaftungen in den Reihen der FIFA-Funktionäre statt – wegen Korruptionsvorwürfen. Was mich an diesen Bildern bedrückt hat: Einige davon entstanden in meinem Hotel im Vorfeld der Wahl. Blatters einziger Konkurrent, Prince Ali of Jordan, hielt seine Rede in unserem großen Saal, dem Kameha Dome. Als wir die Veranstaltung geplant hatten, war die Korruptionsbombe noch nicht geplatzt. Wir waren auf dieses Theater nicht vorbereitet. Und es war wirklich ein Theater, das sich an diesem Tag abspielte: Die Presse zertrümmerte uns buchstäblich die Lobby, um irgendjemanden vor die Kamera zu kriegen. Oben im Saal mussten wir eine Pressekonferenz von ungeahntem Ausmaß improvisieren und gleichzeitig unten die Meute im Zaum halten. Es war also ohnehin schon keiner meiner schöneren Tage als Grand-Hotelier.

Und dann sagte Blatter in meinem Hotel: „Ich weiß, dass viele mich verantwortlich machen. Ich kann aber nicht jeden die ganze Zeit überwachen. Wenn Menschen das Falsche tun wollen, dann wissen sie es auch zu verbergen.“

Dieser letzte Satz hat mich betroffen gemacht. In diesem Satz geht es um Leadership, oder vielmehr: darum, wie man es nicht macht. Denn das ist der Punkt, an dem Sepp Blatter sich meiner Meinung nach als Leader aus der Affäre zieht. Wenn Menschen das Falsche tun und damit durchkommen, dann stimmt der Rahmen nicht. Dann herrscht in diesem Verein nicht Freiheit, nicht Leadership, sondern das Monkey Business. Und den Rahmen zu setzen, ist immer noch Sache des Leaders. Er grenzt die Entscheidungsbefugnisse ein, er sucht die Leute aus, er geht mit seinem Beispiel voran. Wenn Blatter der Leader ist, der er zu sein behauptet – und die Bilanzen der FIFA sprechen dafür –, dann wird es in seinem Unternehmen nicht anders gewesen sein. Und deshalb kann er sich nicht aus der Verantwortung ziehen.


DIE ERBEN DER ALPHATIERE

Die Führungskultur vieler Leader der Old Economy zeichnet sich durch einen ausgeprägten, hegemonialen Machtanspruch aus. Eine solche Idee von Führung unterstützt allerdings ein Klima der Unehrlichkeit und Mauschelei. Das war schon immer eine richtig schlechte Idee, nur kam es früher nicht so leicht ans Licht. Heute ist das Risiko ungleich größer, weil die Transparenz stündlich wächst: Durch die Digitalisierung und das massiv gestiegene Bedürfnis an Transparenz, das sie mit sich bringt, bleibt heute nichts mehr auf Dauer geheim.

Dennoch ist in der Riege der Top-Manager der Typ Alphatier immer noch dominant. Böse Zungen könnten jetzt behaupten: Was dabei rauskommt, sehen wir an Volkswagen und der Deutschen Bank. Oder eben auch am Modell FIFA.

Ja, das unternehmerische Risiko dieser Art zu führen ist heute gigantisch. Ich glaube allerdings, dass es nicht so einfach ist. Meiner Meinung nach ist nicht der Autoritätsanspruch der Alphatiere das Problem, sondern der schleichende Realitätsverlust der Führung innerhalb einer solchen Hegemonie. Ein autoritärer Chef, der am Puls der Mitarbeiter und der Kunden ist, kann Wunder vollbringen – Steve Jobs ist dafür das beste Beispiel. Der Nachteil eines solchen Modells liegt darin, dass eben alles an dieser einen Figur hängt. Ist sie nicht mehr da, steht das Unternehmen vor einem großen Problem.


Bei Apple deutet sich inzwischen ein Rebound an: Die über viele Jahre aufgebauten Erwartungen schlagen jetzt als Enttäuschung auf das Unternehmen zurück. Dabei ist noch gar nichts anderes passiert, als dass Apple mal nicht mehr Umsatz gemacht hat als im Jahr zuvor. Bei Volkswagen und der Deutschen Bank ist die Enttäuschung sogar bereits in einen Vertrauensverlust umgeschlagen, der kaum noch auszugleichen sein wird – denn hier wurden nicht nur Erwartungen enttäuscht, sondern Loyalität.

Chefs, die mit Bezug zur Basis und vor allem zum Kunden entscheiden, dürfen Fehler machen. Autoritäre Halbgötter in Nadelstreifen – nicht. Eine massive Fehlentscheidung kann reichen, und die Ära ist zu Ende. Denn ein Anspruch auf alleinige Macht geht immer mit einer Erwartungshaltung der Unfehlbarkeit einher. Wie ich eingangs schon betont habe: Alphatiere wollen alles entscheiden und müssen das dann auch. Auf Gedeih und Verderb.

Als Gegenmodell zu den Hegemonialherrschern gelten Leader wie der CEO von BMW, Harald Krüger, der als empathischer Chef bezeichnet wird: einer, der zuhören kann, der ein Ohr für die Belegschaft und die Bedürfnisse der Menschen hat. Die Eigenschaften, die ihn auszeichnen, entsprechen denen, die von den Automanagern der Zukunft gefordert werden. Und nicht nur von ihnen. Die Autoindustrie steht, wie praktisch alle Branchen, vor geradezu revolutionären Herausforderungen, die sich natürlich direkt darauf auswirken, was Führung in Zukunft leisten muss: Mit Google, Apple und letztlich auch Tesla stehen neue, oft sogar branchenfremde Herausforderer vor der Tür. Die Digitalisierung krempelt das Geschäftsfeld komplett um – plötzlich gehören Autos zu einem neuen, viel größeren Markt, der Mobilität heißt und mit rasender Geschwindigkeit digitalisiert wird.

Entscheidungen müssen getroffen werden, in der Autobranche und anderswo. Und diese Entscheidungen, die auf die neue Welt gerichtet sind, können nicht mit den Kompetenzen der alten Welt getroffen werden. In der Autobranche, so das Ergebnis einer Befragung unter den weltweit führenden Executives, kommt es zukünftig auf drei Fähigkeiten an: strategische Wendigkeit, die Schaffung einer Innovationskultur und der adäquate Umgang mit permanenter Unsicherheit. Alles Aufgaben, die der Führungskultur der Corporate Monkeys im Kern widersprechen. Sie wollen nicht wendig sein, sondern verharren; nicht erneuern, sondern bewahren; nicht Unsicherheit begrüßen, sondern Sicherheit verwalten.

Und wie lässt sich die Abkehr von diesen Mustern in der Führung abbilden? Wie flößt man einem Unternehmen Wendigkeit, Innovation und Flexibilität ein? Durch die Fähigkeit, andere zu inspirieren und sich in andere Kulturen und Denkmuster einzufühlen, sagen zwei Drittel der befragten Top-Manager.


An diesem Punkt kommen wir einer Antwort auf die Frage näher, woran man vielleicht doch einen guten Leader erkennen kann. Einen, der nicht nur die richtigen Entscheidungen trifft, sondern als Vorbild für Entscheidungsfreude steht. Jim Collins hat für sein Buch From Good to Great ermittelt, wodurch sich die Lenker von Unternehmen, die langfristig überdurchschnittlich wachsen, auszeichnen. Das Ergebnis der Langzeituntersuchung offenbarte zwei zentrale Eigenschaften erfolgreicher Leader:

 

•persönliche Bescheidenheit

•professioneller Wille

Beides sind Attribute, die ein Corporate Monkey vermissen lässt. Er hat zwar sehr wohl einen starken Willen, aber der ist auf eigennützige Motive gerichtet, nämlich die Kokosnuss. Und Bescheidenheit ist bei macht- und statusorientierten Mitläufern generell Fehlanzeige.

Die Forderung nach empathischen Leadern ist auch eine Konsequenz einer Arbeitswelt, die sich im Wandel befindet. Die klassischen Alphatiere mit ihrem Anspruch, alles und jeden zu kontrollieren, werden es in einer zunehmend durchdigitalisierten und agilen Arbeitswelt schwer haben. Heute fließen viel mehr Informationen als früher. Allein durch vermeintliches Exklusivwissen kann ich mich heute als Führungskraft nicht mehr profilieren. Mein Sohn David braucht schon als Teenager oft nur fünf Minuten, um Dinge über jemanden in Erfahrung zu bringen, nach denen ich früher manchmal monatelang forschen musste. Mit ihrem Anspruch auf Exklusivwissen können die Alphatiere heute nur noch selten punkten. Und sie geraten auch deshalb in Bedrängnis, weil die Märkte sich nicht mehr über Jahre hinweg durch langfristiges Taktieren manipulieren lassen. Mit der Zugänglichkeit von Daten werden auch die Unternehmen transparenter – und damit ihre Kultur. Der Fall VW zeigt, was dabei ans Licht kommen kann.

Viel schwerer wiegt jedoch die Feststellung, die Eberhard Hübbe für Capital formuliert hat: „Viele Alphatier-Führungskräfte haben auf ihrem Weg durch die Instanzen den inhaltlichen Gestaltungswillen verloren.“2 Stattdessen sind sie mit dem eigenen Machterhalt beschäftigt. Wer sich permanent intern absichern muss, kann nicht nach außen produktiv sein. Das eine schließt das andere aus.


Führungskräfte, die den Unternehmenserfolg vor den eigenen stellen und mit einem inhaltlichen Anspruch an ihre Arbeit herangehen, legen ihren Schwerpunkt auf inhaltliche Substanz. Sie strecken sich nach der Marktführerschaft, nicht nach der persönlichen Kokosnuss. Deshalb sind sie in der Lage, andere zu überzeugen, mitzunehmen – zu inspirieren.

Und diese Haltung wirkt sich direkt darauf aus, wie diese Leader führen. Eine Führungskraft, die durch fachliche Substanz zu überzeugen weiß, hat es nicht nötig, hegemonial durchzuregieren. Sie kann stattdessen auf Begeisterung und freiwillige Gefolgschaft für ihre inhaltliche Linie setzen. Sie kann darauf vertrauen, dass die Mitarbeiter ihre Entscheidungen mittragen – und ihrerseits die richtigen Entscheidungen treffen.

Mit anderen Worten: Sie muss nicht mit Druck regieren und ihren Führungsstil auf Anweisung und Gehorsam gründen. Stattdessen kann sie Führung als motivierte Gruppendynamik verstehen – den sprichwörtlichen „gleichen Strang“, an dem alle ziehen. Nur eine Gefolgschaft auf der Sachebene sorgt für Unabhängigkeit auf der Beziehungsebene.


Nur eine Beziehung, in der Unabhängigkeit herrscht, ist eine belastbare Beziehung, die auch Fehler und Kontroversen zulässt. Ein solches Verständnis von Führung erzeugt Glaubwürdigkeit. Und nur eine glaubwürdige Führungskraft kann glaubwürdige Entscheidungen treffen.

In Phasen dramatischen Wandels ist das vielleicht die wichtigste Eigenschaft, die ein Leader mitbringen muss. Die Digitalisierung stellt praktisch alle Geschäftsfelder vor Herausforderungen, die Agilität und vor allem großen unternehmerischen Mut erfordern. Ein Leader wie Harald Krüger kann die dramatischen Veränderungen, die die Digitalisierung und die Umwälzungen in der Mobilitätsbranche erforderlich machen, glaubwürdig vertreten. Sein Plan für die Zukunftsfähigkeit des Traditionsunternehmens BMW beinhaltet nicht weniger als eine vollständige Transformation des Autoherstellers in einen digitalisierten Mobilitätskonzern, der sein Kerngeschäft weit über den Verkauf von Autos hinaus erweitert. Weil „Freude am Fahren“ als Claim nicht mehr ausreicht bei denen, die mit Internet und Smartphone aufgewachsen sind – sie stellen ganz andere Anforderungen an Mobilität.

Solche Umwälzungen sind mit Corporate Monkeys nicht zu machen. Sie werden den alten Gaul reiten, bis er zusammenbricht. Nach mir die Sintflut. Die Erben der Alphatiere sind bereit, Opfer zu bringen und sich in den Dienst eines höheren Ziels zu stellen. Solche Leader können die Notwendigkeit einer derartigen Umwälzung glaubwürdig kommunizieren. Deshalb traut man ihnen auch die Digitalisierung zu. Und den alten Bestandswahrern nicht. Bei den großen Entscheidungen der Zukunft scheinen die empathischen Leader die Nase vorn zu haben. Weil sie frei entscheiden – auf der Basis der sachlichen Substanz. Nicht unfrei im Sinne der eigenen Machtinteressen.

Harald Krüger etwa ist Ingenieur – er begann seine Karriere als Trainee im Bereich „Technische Planung/Produktion“. Und als Personalvorstand bei BMW erteilte er den Corporate Monkeys eine klare Absage: Er wolle „intrinsisch motivierte Mitarbeiter und keine Leute, denen man ständig eine Karotte vor die Nase halten muss, damit sie sich bewegen“, wurde er von der FAZ zitiert.3

Freiheit ist also keineswegs das Gegenteil von Verantwortung. Vielmehr bedingen sich beide gegenseitig. Die Erben der Alphatiere haben das bereits verstanden: Auch sie gehen als starke Männer voran. Aber nicht im Sinne eines Herrschers, der den Ton angibt, sondern im Sinne eines Vorbilds in der Sache.

Der größte Vorteil des empathischen Leaderships: Einem solchen Leader folgen die Menschen freiwillig, ohne Zwang. Sie würden ihn sogar wählen, wenn sie es könnten.



SIND WIR DER FREIHEIT GEWACHSEN?

Bei den Berliner Philharmonikern – unbestritten eines der besten Orchester auf dem Planeten – geht die Entscheidungsmacht der Belegschaft besonders weit. Die Berliner sind das einzige Spitzenorchester weltweit, das sogar seinen Chefdirigenten selbst wählt. Stanley Dodds, Violinist und Medienvorstand des Orchesters, begründet die weitreichenden Mitspracherechte mit dem Selbstverständnis der Musiker als unabhängiges Orchester. Denn genauso ist das Ensemble einmal entstanden: als Ausgründung von Musikern einer anderen Kapelle, die die schlechten Bedingungen nicht mehr hinnehmen wollten. „Dieser ‚Geist der Gründung‘, die Selbstbestimmung, wird von Generation zu Generation als Orchesterkultur weitergegeben. Ich empfinde mich als Mitglied in diesem Orchester mit seinen Selbstbestimmungsrechten in einer beneidenswerten Position. […] Ich habe es noch nicht erlebt, dass jemand, der es bis hierher geschafft hat, zu einer gleichwertigen Position in ein anderes Orchester wechselt. […] Wir genießen eine Verantwortung, die von der Gemeinschaft getragen wird. Das ist etwas ganz Besonderes und kein Selbstläufer, von allein läuft gar nichts. Aber es ist eine positive Arbeit, die belohnt wird“, sagt Stanley Dodds.4

An Dodds’ Argumentation werden gleich mehrere Gründe deutlich, warum ein Höchstmaß an Entscheidungsfreiheit auf jeder Ebene einem Unternehmen guttut. Zum einen stärkt sie die Selbstverantwortung, also die Identifikation mit dem Erfolg – und dem Misserfolg – des Unternehmens. Ein Mitarbeiter, der einen echten Beitrag leisten kann und darf, sieht sich auch in der Verantwortung zu liefern. Die Mission des Unternehmens wird zu seiner Mission. Diese Herausforderung empfinden Mitarbeiter als grundsätzlich positiv, wie Dodds hier auch betont – denn sie stärkt ebenjenes Gefühl der „Mitunternehmerschaft“.

Zum anderen erzeugt die Freiheit, eigenverantwortlich Entscheidungen zu treffen, eine höhere Bindung als andere Anreize wie Geld oder Urlaubstage. Dodds bezeichnet sich selbst als beneidenswert und berichtet von seiner Beobachtung, dass kein Musiker das Orchester freiwillig verlässt – es sei denn, er wird zu seinem eigenen Chef. Die Unabhängigkeit, die die Philharmoniker genießen, ist also nur noch von tatsächlicher Unternehmerschaft zu übertreffen. Ist das nicht die Bindung, die sich Arbeitgeber wünschen? Die Bindung an den Leader selbst – in diesem Fall den Dirigenten – beschreibt der Musiker so: „Ich denke, dass wir uns unserer Verantwortung etwas mehr bewusst sind, als wenn wir jemanden vorgesetzt bekommen hätten. Das ist wie in jeder anderen menschlichen Beziehung auch. Wie wenn sich zwei Menschen füreinander entschieden haben: Man möchte miteinander auskommen.“5

Ein oft geäußerter Einwand gegen zu viel Selbst- und Mitbestimmung im Unternehmen ist das Vorurteil, der Chef verliere in einem solchen Klima an Autorität. Dieser Punkt hat auch mich anfangs zögern lassen, meinen Mitarbeitern und Führungskräften umfassende Handlungsspielräume zu geben: Was, wenn sie die Freiheit so interpretieren, dass Direktiven und meine eigenen – einsamen – Entscheidungen nicht mehr ernst genommen werden? Hat ein Chef in einem Unternehmen, das auf Unabhängigkeit setzt, weniger Autorität? Meine Sorge hat sich mit der Zeit in Luft aufgelöst, und Stanley Dodds bringt auf den Punkt, warum: „Ganz im Gegenteil: Er hat mehr. Er ist wahrlich der Chefdirigent, gerade weil wir ihn wählen.“6

Natürlich ist es in den meisten Unternehmen nicht realistisch, dass die Mitarbeiter ihren Chef selbst wählen – darum geht es mir auch gar nicht. Es geht um den Grundgedanken: Nicht irgendein Status soll hier verteilt werden, keine Hierarchien abgeschafft und an keiner Autorität gerüttelt werden. Es geht einzig und allein um eine Verteilung operativer Befugnisse im Sinne des Ergebnisses oder vielmehr: des Kunden. Wenn der Chef sich durch verantwortungsvolle Führung sozusagen „demokratisch“ legitimiert und die Mitarbeiter grundsätzlich auf dem gleichen Kurs sind, also freiwillig bei der gemeinsamen Mission mitgehen, dann fühlen sie sich auch stärker verpflichtet, dem gemeinsamen Anspruch gerecht zu werden.

Das ist das Prinzip Verantwortung. Und die lässt sich durchaus verteilen, indem die operative Entscheidungsmacht verteilt wird. Dafür müssen wir keine neuen Titel erfinden oder Verwirrung stiften, indem wir so tun, als ob wir irgendwelche Hierarchien abschaffen. Die Hierarchien sind nicht das Problem. Der verantwortungslose Umgang damit ist es, der die Führungskultur in manchen Unternehmen in gefühlte Unterdrückung umschlagen lässt. Natürlich lässt sich Entscheidungsmacht auch missbrauchen. Die Corporate Monkeys werden die Entscheidungsmacht wollen, aber ohne die Verantwortung. Sie werden die Macht in ihrem eigenen Sinne ausnutzen, anstatt im Sinne einer Mission, die sie mit ihren Mitarbeitern teilen. Und manche von ihnen werden dabei das Maß verlieren.

Und genau deshalb ist es gut und wichtig, dass es auch in einem Unternehmen, das auf das Prinzip Freiheit setzt, immer noch Autorität gibt und ein gewisses Maß an Hierarchien. Nicht weil die Mitarbeiter nicht mit Freiheit umgehen könnten, sondern weil es in jedem Unternehmen Corporate Monkeys gibt.

Freiheit ist etwas Maßloses. Im Guten wie im Schlechten. Sie braucht die Verantwortung als Leitplanke. Sie braucht den Leader und die Führungskräfte, die Entscheidungsfreiheit, Handlungsfreiheit und Umsetzungsstärke vorleben – und Fehlverhalten sanktionieren, wenn es nötig ist.

Das ist ein Grund, warum ich in meinen Unternehmen streng trenne zwischen Fehlern und Fehlverhalten: Fehlverhalten lässt auf einen persönlich motivierten Missbrauch von Freiheiten schließen. Wenn ich bei Mitarbeitern – oder Führungskräften – systematisches Fehlverhalten beobachte, schlägt mein Radar Corporate-Monkey-Alarm.

Fehler dagegen gehören zum Lernprozess dazu. Sie sind eine Voraussetzung für Innovation. Etwas, womit wir arbeiten können – vielleicht sogar der beste Lernansatz, den es gibt. Manche der erfolgreichsten neuen Leader sind genau damit groß geworden. Etwa PayPal-Gründer Max Levchin, der sagt: „Das erste Unternehmen, das ich gegründet habe, ist mit einem großen Knall gescheitert. Das zweite Unternehmen ist ein bisschen weniger schlimm gescheitert, […] das dritte Unternehmen ist auch anständig gescheitert, aber das war irgendwie okay. Ich habe mich rasch erholt, und das vierte Unternehmen überlebte bereits. […] Nummer fünf war dann PayPal.“7

 

Zu Fehlern stehen und aus Fehlverhalten Konsequenzen ziehen: Auch daran erkennen wir die starken Leader. Manchmal sind sie noch im Abgang eine Inspiration.


Um verantwortlich entscheiden zu lernen, gibt es nur einen Weg: Ihre Führungskräfte und Mitarbeiter müssen entscheiden dürfen. Und den Mut dazu können sie am besten lernen – von ihrem Vorgesetzten. Nur der Leader kann Entscheidungsstärke vorleben, und nur er kann auch die Verantwortung vorleben.

Ein Chef, der souverän Entscheidungen trifft, der ins Risiko geht und unternehmerischen Mut vorlebt, ist die beste Inspiration für alle anderen. Denn das ist motivierend. Aber nicht, wenn ein anderer die Entscheidung besser treffen kann. Das ist einfach nur demotivierend.

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