Münster - Was nicht im Stadtführer steht

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Die Preußen-Hasser.

Katholen, Revoluzzer & die »Ems- republik«: Wie Münster sich vor 90 Jahren fast zum Freistaat erklärt hätte ...



Interessiert hat Deutschland in den letzten Wochen die Politik in Bayern verfolgt – gespannt, aber auch mit einer gewissen Distanz. Bayern gehört zwar irgendwie zur Bundesrepublik dazu, aber in der Wahrnehmung sind »die da unten in Bayern« doch ein anderer Staat, so ähnlich wie das gefühlte Verhältnis der Wessis zur früheren DDR. Die Bayern sehen das aus ihrer Perspektive genauso: Sie verschanzen ihre Folklore hinter dem »Weißwurscht-Äquator« und granteln, wenn sich die Berliner Regierung und andere Preußen in die Angelegenheiten ihres souveränen Freistaates einmischen. In dieser künstlichen Schutzsphäre hegen die Bayern ihre katholisch-konservative Kultur, die in dieser Laborsituation prächtig gedeiht. Kein Wunder, dass auch in anderen Regionen konservative Katholiken neidisch auf das Freitstaatmodell schauen. So dachte auch die schwarzchristliche Zentrumspartei im Münsterland und plante darum die Gründung eines eigenen Staates – die »Emsrepublik«! Aber der Reihe nach ...



Lange ist es her, da gehörte Westfalen zu Preußen. Das konnte nicht gutgehen: Hier die gemütlichen stockkatholischen Münsterländer (so schwarz, dass beim Niesen Ruß rauskommt, sagte man) – dort die preußischen liberalen Protestanten. Dauerknatsch verursachte vor allem die Frage, wer in der Schulerziehung das Sagen hat: Die Kirche (wie der Bischof meinte) oder der Staat (worauf Berlin pochte)? Der preußische Kanzler Bismarck ließ es auf eine Kraftprobe mit Westfalens Katholiken ankommen, die in Steinwürfen frommer Kirchenbesucher auf preußische Polizisten eskalierte. Letzten Endes gewann Münsters Bischof. Seit diesem Kapitel vom »Kulturkampf« blieb das Verhältnis zwischen Kirchenvolk und Reichsregierung dauerhaft gereizt.



Nach dem Ersten Weltkrieg flammte dieser Streit wieder auf. Auslöser war die Übernahme der deutschen Regierung durch die linken Sozialdemokraten. Diese zogen, kaum im Amt, auch schon ein Bündel liberaler Reformen aus der Schublade, die vor allem die Gleichberechtigung der Frauen sowie die Schulpolitik betrafen. Und dann zogen auch noch kommunistische Revolutionsräte durch Berlins Straßen! Den westfälischen Klerikern begannen die Soutanen zu flattern: Schlimm genug, dass die Berliner Regierung aus Protestanten bestand – nun kamen sie auch noch mit roten Revoluzzer-Ideen an! Für die Münsteraner Papsttreuen doppelt ketzerisch!



Doch der Herrgott schien einen Ausweg zu weisen! In Köln hatten sich katholische Regionalpatrioten öffentlich dafür ausgesprochen, das Rheinland aus Deutschland auszugliedern und zu einer eigenständigen Republik zu erheben. Die Nachricht schlug in Münster – und vor allem im Dom – wie eine Bombe ein! Der »Münstersche Anzeiger« brachte das Thema am 25. November 1918 unter der Überschrift »Los von Berlin!« auf der Titelseite und rief die Leser auf, sich »Anarchie und kommunistische Experimente der Diktatur Berlins nicht länger gefallen (zu) lassen!« Weiter argumentierte der Artikel, die Münsterländer gehörten seit jeher zum selben Volksstamm wie die Rheinländer, während sie mit den eher slawischen Berlinern kaum verwandt seien. Darum wäre es nur natürlich, wenn sich einem rheinischen Freistaat auch die Westfalen anschließen dürften. Der Ruf war unüberhörbar: Nehmt uns mit!



Doch die Kölner kamen nicht zu Potte: Ein gewisser Konrad Adenauer bremste die rheinische Begeisterung durch skeptische Kritik (und nahm damit seinen dreißig Jahre späteren Kanzlerslogan »Keine Experimente« vorweg). Die Münsterländer suchten also neue Gründungspartner: Ein Leserbriefschreiber schlug vor, sich stattdessen mit Hannover und Minden zu einem neuen Staat Niedersachsen zu verbinden (Begründung: Die Ruhrindustrie erdrücke die Landwirtschaft und im Übrigen seien die Rheinländer eigentlich ethnisch fremde Franken ...). Der »Münstersche Anzeiger« brachte eine weitere Option ins Spiel: »Sollen Bürger, Bauern und Kirche in Münster, Coesfeld, Warendorf, Ahaus und Meppen weiter unter dem Berliner Terror dastehen? Sollten wir uns nicht darauf besinnen, dass das Land zu beiden Seiten der Ems einmal eine blühende Geschichte hatte? Sollten wir uns nicht dem ostelbischen Großstadtpöbel entziehen und unsere Bestimmung selbst in die Hand nehmen? Sollte nicht in Münster und nördlich längs der holländischen Grenze eine Emsrepublik entstehen?« Das »befreundete Holland«, so visionierte der Redakteur weiter, sollte »dieser Gründung seinen Schutz leihen«.








Westfälische Mentalität braucht einen eigenen Staat! So hätte er ausgesehen – mit Münster als Hauptstadt. Wer braucht da noch einen Livcom Award?



Die Idee wurde begeistert gefeiert und als Slogan das Motto »Unterm Krummstab ist gut wohnen!« präsentiert. Zentrumspartei und DNVP gründeten in Münster ein gemeinsames »Aktionskomitee«. Auf den Sitzungen wurde den Separationsbestrebungen an Rhein und Ems »lebhaftes Interesse entgegengebracht« und diskutiert, wie man den Holländern das Projekt als »westdeutschen Pufferstaat« schmackhaft machen könne. Ein paar kleinliche Spießer meldeten zwar Bedenken an, ob die Region zwischen Münster und Oldenburg denn für einen Staat groß genug sei und wohl wirtschaftlich bestehen könne, doch die in große Fahrt gekommenen Fans der Münster-Nation veröffentlichten schon mal eine Resolution mit einer unverhohlenen Drohung in Richtung Berlin: »Sollte die Regierung nicht in kürzester Zeit die Herbeiführung geordneter Zustände erwirken, wird die Volksbewegung zur Gründung einer westlichen Republik als deutschem Bundesstaat führen!«



Ein praktisches Kriterium der Eingemeindung hatte man auch schon gefunden: »Die niederdeutsche Sprache« sollte »das gemeinsame Band« der neuen Emsländer sein. Die Amtssprache wäre somit Plattdeutsch gewesen. Vielleicht hätte es zweisprachige Verkehrsschilder gegeben: Mönster/Münster. Der Bischof wäre als Kirchenoberhaupt seines eigenen Ministaates sogar zum Westfalen-Papst aufgestiegen!



Doch dieser Traum zerplatzte jäh schon wenige Tage später: Am 12. Dezember 1919 bekamen die Zentrumspolitiker auf einer Sitzung in Hamm plötzlich Angst vor der eigenen Courage. Dazu trug der Dortmunder Verleger Lambert Lensing (!) bei, der eine Ablehnung der westfälischen Industrie signalisierte. Als den Delegierten zudem klar wurde, dass eine Ablehnung der Staatsgründung durch die Berliner Nationalversammlung ein Spiel mit dem Bürgerkrieg bedeutete, wurde das abenteuerliche Unternehmen kurzerhand auf unbestimmte Zeit vertagt – und schnell von der Geschichte vergessen.



Ist auch besser. Eine Weiterverfolgung hätte womöglich zu einem endlosen Separatisten-Terror nach Art der IRA oder ETA geführt. Stellt Euch das mal vor: »... Und hier die Nachrichten aus dem Münsterland: Bei einem Bombenanschlag in Ostbevern explodierte heute früh ein Trecker. Zu dem Attentat bekannte sich ein »Kommando Schwester Euthymia« der katholischen Untergrundbewegung Freies Emsland ...« Na, da haben wir aber nochmal Glück gehabt!



(Erschienen 2008)



Anmerkung:



Auf diese bizarre Story stieß ich zufällig durch wenige magere Zeilen in einem Münster-Buch. Seltsamerweise fand ich nirgends eine ausführliche Schilderung, obwohl schon die wenigen Andeutungen eine tolle Realsatire versprachen. Erst im Stadtarchiv entdeckte ich eine Diplomarbeit aus den 1970ern über die Emsrepublik und mit Hilfe der genauen Daten auch die alten Zeitungsartikel. Die Vorstellung eines westfälischen Freistaates erscheint paradiesisch: Vielleicht hätten wir heute keinen Euro und wären nicht mal in der EU ... hach, man wird ja wohl noch träumen dürfen ...





Geisterstunde.

Gespenster, Spuk & fauler Zauber – Gruselgeschichten aus dem Münsterland.



Wir leben im Informationszeitalter; und Information ist an sich das Gegenteil von Aberglaube (auch wenn »Verbraucherinformation« oft was Gruseliges ist ...). Glauben heißt schließlich nicht wissen. Trotzdem geistern etliche Gespenster durch unsere moderne Medienwelt: Das »Gespenst des Krieges«, das »Gespenst der Arbeitslosigkeit« oder »das Gespenst der Globalisierung«. Auch die »Geister der Vergangenheit« werden von Zeitungen beschworen, etwa »das Gespenst des Kommunismus«. Die aufgeklärte FAZ nannte das Internet sogar »ein Geisterreich«. Mit diesem modernen Gespenster-Phänomen befasst sich die Literaturforscherin Frau Prof. Dr. Martina Wagner-Egelhaaf, die im vergangenen Jahr sogar einen Kongress zum Thema Mediengespenster in Münster organisierte. Ihre These: »Wir sprechen immer dann von Gespenstern, wenn große, problematische, schwer erklärbare Phänomene zu beschreiben sind; wenn sich komplexe, abstrakte Zusammenhänge nicht klar darstellen.« Schattenhafte Erscheinungen spuken durch den Blätterwald: Laut Prof. Dr. Wagner-Egelhaaf sind selbst Fakten, Fakten, Fakten manchmal nur Schauermärchen: »Fakten entstehen nicht nur durch reale Vorkommnisse, sondern weil alle Welt von etwas redet, weil etwas herbeigeredet wird.« Während also heute die Gespenster hauptsächlich in den Köpfen spuken – etwa wenn die Medien unablässig das Gespenst der Konjunkturkrise beschwören und herbeizitieren – ging es in früheren Zeiten wesentlich handfester zu.



Wer alte Quellen studiert, dem fährt der Schrecken in die Glieder: das Münsterland ist randvoll mit Spuk und unheimlicher Zauberei! Schon die gute alte Annette wusste ja: »Schaurig ist’s, übers Moor zu gehen!« Und das aus gutem Grund: Im Venner Moor, in der Wiedau zwischen Steinfurt und Borghorst sowie im Naherholungsgebiet Davert tummeln sich untote Unholde in Massen, etwa der Ritter Meinhövel. Der hatte nämlich selbst an hohen katholischen Feiertagen das Saufen nicht seingelassen und muss deshalb bis zum Sanktnimmerleinstag durch das Münsterland randalieren. Sein Kollege, Ritter Dietrich von Schönebeck, erschreckt bis heute Badende am KaÜ, wenn er durch die Emswälder spukt. Er soll 1284 seinen Burgkaplan erstochen haben, weil dieser sonntags die Messe nicht ausfallen lassen wollte, damit Schönebeck am Wochenende seinem Jäger-Hobby nachgehen konnte. Dafür gab’s zusätzlich zum weltlichen Strafmaß auch noch »ewiges ruheloses Umherirren.«

 



Wem in der Davert eine schwarze Kutsche mit vier schwarzen Pferden im Höllentempo die Vorfahrt nimmt, kann sich sicher sein, dass darin der verfluchte Renteimeister Schenkewald von Schloß Nordkirchen durch die Heide rast ... Die meisten Untoten wurden übrigens wegen relativ kleiner Geschäftsbetrügereien (Schneider mit zu kurzen Ellenmaßen, Händler mit zu leichten Gewichten etc.) zur ewigen Verdammnis und Wiedergängerei verflucht. Wenn das heute z. B. bei Handwerkern, Autowerkstätten oder der Deutschen Bahn auch noch gilt, müssen die Untoten im Venner Moor aber ganz schön zusammenrücken!



In den Baumbergen bei Schapdetten trifft man (bei Vollmond) evtl. auf zwei Mörderseelen, die dort um 1700 wegen folgenden Verbrechens hingerichtet wurden: In dem Lokal »Adams Hoek« beobachteten sie ein altes Mütterlein, das beim Bezahlen auffällig lange in ihrem Geldbeutel kramte und murmelte: »Tausend, tausend, aber keinen einzigen Pfennig.« Um die vermuteten tausend Taler zu erbeuten, folgten sie der alten Dame durch die Baumberge und schlugen sie in der Nähe von Tilbeck tot. In dem Geldbeutel fanden sie tausend – Nägel! In der Hohen Ward bei Hiltrup kann man – gerade jetzt zu Ostern – mehr Glück haben, als diese beiden groben Gesellen: Dort liegt nämlich laut Legende der riesige Goldschatz eines Sachsenkönigs in der Erde versteckt (B54 Richtung Süden, hinterm Kanal links. In der Nähe der Parkplätze liegt beim alten Zollhaus ein Platz, der von mehreren Hügeln umgeben ist – da liegt der Schatz). Immer am Karfreitag (aber nur in mondloser Nacht!) will der tote König aus seinem Grab heraus und macht dabei oft stundenlang Lärm. Die Anwohner der Bauernschaft bestätigen, dass man in manchen Nächten Geschrei, Gejammer und Gehämmer hört. (Ob der König dann raus, oder ein betrunkener Schatzsucher herein will ist allerdings ungewiss ...).



Ob man’s glaubt oder nicht: selbst der heilige Ludgerus, der die wotansgläubigen Münsteraner missionierte, hat nach seinem Tod anno 809 herumgespukt: Nachdem er in Billerbeck gestorben war, wurde er in Münster beerdigt. So gut scheint es ihm aber hier gar nicht gefallen zu haben: Laut Legende hat er seinen Sarg selbst wieder ausgebuddelt und gerufen: »Hier will ich nicht begraben sein!« (Das hat wohl schon so mancher über Münster gesagt ...). In Verden gab er schließlich Ruhe und blieb liegen. Bei all diesen Spukgeschichten ist es keine Hexerei, dass der Gespensterglauben in Westfalen tief verwurzelt ist: Als Anfang der 90er Jahre am Guten Hirten eine Neubausiedlung entstand, sträubten sich die Anwohner mit Klauen und Zähnen gegen die Absicht der Stadtverwaltung, eine Ringstraße nach dem letzten Opfer des Hexenwahns in Münster zu benennen. Man wolle auf keinen Fall, so die Kläger, »in einer Straße wohnen, die nach einer Hexe benannt ist!« Obwohl die Stadt den Straßennamen trotz des Widerstandes durchsetzte, ist bis heute kein Fall bekannt, in dem bei den Anwohnern plötzlich die Milch sauer wurde, das Vieh verendete oder die Kinder gestorben sind.



Etwas außerhalb von Münster ist man dem Unwesen von Geistern dagegen auf die Spur gekommen! Vor einiger Zeit bot ein »Schamane« den Mietern eines Spätbarock-Herrensitzes am Rand der Baumberge seinen Service als Geisterjäger an. Der Mann aus der Mongolei stellte sich als kompetenter Partner in Geisterjagd seit drei Generationen vor. Er befand sich auf einer »Tournee« durch Deutschland und wurde von einer deutschen »Agentin« betreut, über die man die Dienste buchen konnte. Der Schamane nahm zunächst das ganze Schloss professionell in Augenschein. Dabei erklärte er (als Tipp für Do-It-Yourself-Geisterjäger), dass es wichtig ist, von oben nach unten vorzugehen, denn das Ziel ist es, die Geister in den Boden zu treiben. Hierbei wurde der Schamane an verschiedenen Stellen fündig, z. B. entdeckte er in einem Sanitärraum (für nicht-professionelle Menschen unsichtbar) eine schwarzgekleidete, kauernde Gestalt. Nach der Expertise konnten die Mieter der betroffenen Wohnungen sich dazu entschließen, den Auftrag zur gründlichen Beseitigung der ungebetenen Mitbewohner zu erteilen – für einen angemessenen Meister-Stundenlohn. Dazu zog der Schamane zunächst seine »Arbeitskleidung« an: ein farbenprächtiges Gewand mit vielen Glöckchen und Schellen. Dann zwang er die ätherischen Untermieter durch eine wüste Radau-Zeremonie mit Gesang, Tanz und Musik zur Räumung. Die Aktion war in der Mietergemeinschaft nicht unumstritten: Einige meinten, in einem so alten Gebäude sei es plausibel, dass die Materie (sprich Mauern) auf Dauer Informationen (»Geister«) speichere und von Zeit zu Zeit »gereinigt« werden müsse. Die Skeptiker hielten den Schamanen dagegen für einen parasitären Scharlatan. Immerhin sorgte es für einen gewissen Schauer, als sich herausstellte, dass das WC mit der »knieenden schwarzen Frau« in früheren Zeiten die Schloss-Kapelle war ... »Seltsam, aber so steht es geschrieben.« (Bastei-Gespenster-Comics)



(Erschienen 2003)



Anmerkung:



Wozu ein Lexikon des Aberglaubens vom Flohmarkt doch noch verwertet werden kann ... am besten finde ich die Geschichte mit der Geisterkutsche, die durch die Davert kurvt. Ich stelle sie mir in etwa so vor, wie die Kutsche im Film »Nosferatu« von 1927 oder die Wagen der Geisterbahn auf dem Send. Der Garantieschein des Geisterjägers für das Schloss Stapel ist inzwischen abgelaufen und müsste dringend mal erneuert werden.



Ganz Abergläubische sind übrigens überzeugt, dass Münster auf keinen grünen Zweig mehr kommt, seit man aus dem heidnischen Opfergrab am Domplatz das Pferdeskelett entfernt und ins Museum gebracht hat.





Tot am Emsstrand.

Auf Lauheide der Bronzezeit.



Warendorf ist heute ja nun nicht gerade eine pulsierende Metropole. Aber früher war hier richtig was los! Damit meinen wir nicht die 80er oder 70er Jahre, sondern die Bronzezeit. Vor etwa 3.000 Jahren war Warendorf total hip. Jahrtausende vor Christus war das Emsgebiet ein Verkehrszentrum – und Boomtown Warendorf mittendrin!



Davon ist sogar noch was übrig: Das größte zusammenhängende Gräberfeld der Bronzezeit in Nordeuropa. Sozusagen ein Friedhof Lauheide der Frühzeit. Die Münsteranerin Dr. Barbara Rüschoff-Thale hat die Ausgrabungen dokumentiert und dabei erstaunliche Erkenntnisse gewonnen.



Das Emsufer bei Bronzezeit-Warendorf war eine chillige Dünenlandschaft. Sogar Bernstein konnte man am Emsstrand finden, hinterlassen von den Gletschern der letzten Eiszeit. Der Klauenberg, immerhin für Westfalen stolze 70 Meter hoch, bot Schutz vor Wind. Kiefern und Birken wuchsen hier (Eichen gab’s damals nur in Süddeutschland). In der Bauernschaft Neuwarendorf, hundert Meter von der Ems, fanden die Hominiden den idealen Campingplatz.



3.000 Jahre später, Anfang des 20. Jahrhunderts, fing man hier an, Sand für Kalksandsteine zu fördern. Dabei stießen die Arbeiter immer wieder auf Scherben, Knochen und sonstiges »Gedöns«. Lange wurde das lästige Zeugs, das im Sandsieb hängenblieb, einfach weggeschmissen. Erst nach dem II. Weltkrieg interessierten sich Archäologen für die Funde. Mitte der Siebziger finanzierte die Uni Groningen eine ausgedehnte Untersuchung des Areals. Auf einem Gebiet von 500 Metern Länge und 300 Metern Breite fand man 341 frühzeitliche Gräber mit den Resten verbrannter Leichen. Die Niederländer entwickelten ein Verfahren, um das Alter verkohlter Knochen bestimmen zu können. So wurde ermittelt, dass in Neuwarendorf vom 3. Jahrtausend bis 100 v. Chr. Tote beerdigt wurden.



Der älteste Westfalentourist war allerdings schon vor über hunderttausend Jahren hier: Ein Neandertaler. Bis 1997 lag er sechs Meter tief im Torf, bevor ihn ein Hobbyforscher fand. Der Höhlenmensch war etwa Mitte Zwanzig, als er am Kottruper See aus den Latschen kippte. Allgemein war das Klima im Münsterland noch kälter damals, es war ja erst kurz nach der Eiszeit. Da holt man sich schon mal was weg. Befund: Geschwür am Kopf und Knochenentzündung. Bei dem Neandertaler wurden ein Faustkeil, ein Steinmesser und ein Schaber gefunden. Operation gelungen, Patient tot – wurde er Opfer steinzeitlichen Ärztepfuschs? Die Forscher meinen übrigens, der Neandertaler habe keinen Beitrag zum heutigen menschlichen Genpool geleistet. Wenn ich mir die Physiognomie von Volker Pispers ansehe, wäre ich mir da nicht so sicher ...



Da war es in der Bronze- und frühen Eisenzeit erheblich gemütlicher. Darum wurde vor allem gerne gegrillt. Im Münsterland tummelten sich Mammuts, Wollnashörner, Moschusochsen, Wildpferde, Rentiere und Riesenhirsche, wie man an den Resten der Barbecue-Plätze ablesen kann. Mjam. Sogar Löwenknochen fand man in der Asche!



Doch soviel Gegrilltes soll ja überhaupt nicht gesund sein. 1997 fand eine Warendorferin beim Baden im Baggersee einen jungen Mann, dem es gar nicht gut ging. Obwohl der etwa 30-jährige stattliche 1,80 m groß war, diagnostizierten ihm die Mediziner eine Schwächung des Knochenbaus durch falsche Ernährung in seiner Kindheit vor dreitausend Jahren (»Ngg, iss nicht so viele Mammut-Burger!« Das kommt davon!).



Aus den abgeriebenen Zähnen des Neandertalers schlossen die Forscher weiter, dass er großem Stress ausgesetzt gewesen sei und oft mit den Kiefern geknirscht habe. Vielleicht war der gestresste Steinzeitmanager ja Parkplatzwächter auf dem Großfriedhof Neuwarendorf: Auf der zehn Meter breiten (!) Durchgangsstraße wurden zahlreiche Radspuren nachgewiesen, es muss also ein ziemlicher An- und Abfahrtsverkehr geherrscht haben.








Neulich in der Bronzezeit:



Ngg Schmidt ärgert sich über den Warendorfer im Einbaum vor ihm.



Kein Wunder, dass die Bestatter der Frühzeit gut zu tun hatten: Gestorben wurde immer und in jedem Alter. Unter den 341 Toten sind vom Säugling bis zum über 60jährigen Johannes Heesters der Bronzezeit alle Altersklassen vertreten. Am häufigsten erwischte es die Menschen zwischen 30 und 40 Jahren.



Bei der Gestaltung der Grabanlagen wurde viel Wert auf Individualität gelegt (Die Friedhofsordnung wurde erst 3.000 Jahre später erfunden ...). Über 128 verschiedene Grabtypen machten die Archäologen aus, z. B. das Längsgrab mit Baumsarg in rustikaler Weide und mit schlüssellochförmiger Einhegung. Der Klassiker war allerdings das Urnengrab mit kreisrundem Holzzaun. Frauen liegen mit dem Kopf nach Osten; die Männer Richtung Westen.



Auch bei den Grabbeigaben zählte Exklusivität. Waffen für den Herrn, Schmuck und Haushaltswaren für die Dame. Bei den Töpferwaren war Importware aus England besonders schick. Englisches Design war auch bei Messern sehr gefragt. Daneben finden sich Leder, Muscheln, Geweihe und Gefäße aller Art, deren Formgebung an die Ergebnisse von VHS-Töpferkursen erinnert.



Manche haben gedengelte Dolche und Lanzen, andere Rasiermesser, weitere Nadeln und Nägel für die Reise ins Jenseits eingesteckt. Doch einen Gegenstand trugen alle: die Pinzette. Die Pinzette war sozusagen das Handy der Bronzezeit, ohne das kein Homo Sapiens aus der Höhle ging. Warum das so war, weiß niemand. Vielleicht, weil sich die Urmenschen ständig die Kiefernnadeln in die Füße traten? Oder aufgrund einer psychologisch geschickten, prähistorischen Werbekampagne (»Ngg-Pinzetten – für mehr Paarung und Fleisch im Leben!«)? Auch Feuerzeuge, bestehend aus verschiedenen Feuersteinen, trugen einige Tote in Futteralen am Gürtel. Die Anmachtour »Haste mal Feuer« funktionierte also schon in der Bronzezeit! Die wichtigste Grabbeigabe war jedoch Brot. In allen Särgen und Urnen findet sich Sauerteigbrot aus Weizenmehl. Pumpernickel ist also wohl eine Erfindung der Neuzeit.



Nicht nur Menschen, sondern auch Haus- oder besser Höhlentiere wurden pietätvoll bestattet: Zwischen den Toten wurde auch ein Hundegrab mit Spielzeug für den Bronzezeit-Bello entdeckt.



Schon unter den ersten Bestattungsunternehmern scheint es Schlitzohren gegeben zu haben: Im Holz einiger Baumsärge wurden 3.000 Jahre alte Holzwürmer nachgewiesen.



Und noch ein Problem plagte die frühzeitliche Friedhofsverwaltung: Einige Gräber sind bereits zu ihrer Zeit verwüstet worden. Grabräuber? Leichenschändung? Oder jugendlicher Vandalismus? (»Diese Hools von heute! In der Eiszeit hat’s das nicht gegeben!«) Die Forscher glauben an vorsätzliche Grabräuberei, weil offenbar gezielt die großen Waffengräber angegraben wurden.

 



Wer noch mehr über die Neuwarendorfer der Bronzezeit wissen will, kann ja mal ein bisschen im Kottruper See gründeln: Die Überreste von 13 Toten aus der Grabanlage werden bis heute gesucht.



(Erschienen 2009)



Anmerkung:



Manche Geschichten, die sich lustig lesen, sind richtig ha

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