Zu zweit auf See

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Den Weg finden

Auf einer »Hanseboot« hatte ich den Bootsbauer und Knotenspezialisten Egmont Friedl kennengelernt, der sich gerade in den USA ein Schiff gekauft hatte. Nach einem Sommer in der Chesapeake Bay überlegte er nun, das Schiff nach Europa zu segeln, und suchte noch einen Mitsegler. Klar, dass ich da nicht lange überlegen musste. Also flogen wir Anfang Juni 2009 in die USA und übernahmen das Schiff in Deltaville, Virginia. Wir rüsteten die GAVDOS x aus, verproviantierten uns und machten dann noch einen Abstecher nach New York, um ein letztes amerikanisches Steak zu essen.

Der Weg über den Nordatlantik hatte es dann in sich. Wir segelten, wie laut Handbuch empfohlen, auf 40° Nord, waren aber immer zu weit nördlich und bekamen auf der nördlichen Seite der Tiefs immer Gegenwinde ab. Zwei Stürme wetterten wir mit dem schweren und breiten, aber nur 32 Fuß langen Colin-Archer-Nachbau ab. In einem Sturm drehten wir einen Tag lang bei und erlebten einen Knock-down in einer großen Welle. Der Mast lag flach auf dem Wasser und es ging viel kaputt. Doch nach drei Wochen erreichten wir die Azoren bei herrlichem Wetter.

Ich hatte geglaubt, ich hätte während der Überfahrt Gelegenheit, mir darüber klar zu werden, wohin mein Leben gehen sollte. Doch die ganze Überfahrt drückten mich Sorgen, die sogar Magenschmerzen verursachten. Einmal natürlich das Wetter, das rauer als erwartet war, dann vor allem auch Sorgen um meine Freundin Cati.

Diese hatte ich erst vor einem halben Jahr kennengelernt und wusste früh: »Die gehört zu mir.« Gesegelt war Cati noch nie richtig, aber meine Geschichten von fernen Inseln und dem blauen Ozean gefielen ihr, und wir hatten begonnen, gemeinsame Reisepläne zu schmieden.

Als ich Deutschland verließ, erzählte sie mir noch, dass sie sich gerade ständig komisch fühle, schwindelig, und ab und zu beim Fahrradfahren sogar mit dem Fuß vom Pedal abrutsche. »Du musst dringend zum Arzt«, sagte ich ihr. Doch dann ging mein Flieger, und ich war bereits in den USA, als sie sich endlich durchchecken ließ. Der Arzt schickte sie relativ schnell in eine Spezialklinik und dort ins MRT. Es waren einige helle Stellen in ihrem Gehirn zu sehen. Worum es sich dabei handelte, konnte man nicht sagen. Irgendwelche Entzündungen. Möglicherweise Multiple Sklerose? Diese Vermutung kam schnell, denn ihre Mutter hat diese Krankheit, und bei Familienmitgliedern ist die Chance, ebenfalls daran zu erkranken, zumindest minimal erhöht. Es tat mir weh, sie per Skype im Krankenhaus liegen zu sehen und zu erfahren, welche unangenehmen Untersuchungen sie über sich ergehen lassen musste. Dann kam die freudige Nachricht: »Der Arzt sagt, dass es ganz sicher keine MS ist«, verkündete sie. »Wahrscheinlich war es nur ein Zeckenbiss.« Eine Woche später, eine halbe Stunde, bevor wir in New York ablegten, dann die Korrektur: »Es ist doch MS.«

Während Cati relativ gelassen war, da sie die Krankheit seit vielen Jahren von ihrer Mutter kannte, brach für mich erst mal eine Welt zusammen. Ich dachte viel an sie und schrieb ihr täglich Mails. Und es zerriss mir das Herz, dass ich nicht bei ihr sein und sie im Krankenhaus besuchen konnte. Als ich vier Wochen später dann in Hannover landete, war ihr von dem Elend nichts anzusehen. Sie war etwas dünner geworden, aber lustig und munter wie immer.

Bereits im April hatte ich ein kleines Segelboot gekauft, denn ich wollte meiner neuen Freundin unbedingt das Segeln beibringen, hatte aber kein Boot. Also hatte ich mich schlaugemacht, was eine Charter über Ostern kosten würde. »Gut 650 €? Das ist viel für ein Wochenende.« Eines Morgens hatte ich dann aber zufällig eine alte Hurley 22 bei eBay entdeckt. Die Auktion sollte in acht Stunden enden und das Höchstgebot lag bei 650 €. »Für den Preis könnte ich also sogar ein Boot kaufen!« Verlockend. Ich schaute aufs Konto: 1.300 € übrig. Also bot ich 1.300 €.

Abends waren wir zum Essen eingeladen, und ich hatte das Gebot längst vergessen. Da bimmelte mein Handy. »Herzlichen Glückwunsch«, schrieb mir eBay per SMS. »Sie haben ›Hurley 22 Segelboot‹ für 1.290 € ersteigert!« Unfassbar. Plötzlich hatten wir ein Boot.

Eine Woche später fuhren wir nach Fehmarn, um es zu begutachten. Länge: 6,60 Meter. Baujahr: 1968. Gewicht: 2,2 Tonnen! Cati fand es riesig groß, und ich war ebenfalls von dem vorhandenen Platz überrascht. Doch in der Kajüte gab es einiges zu tun, und irgendwas stank gewaltig. Die Teppiche und Wände waren verschimmelt, das Schott hatte Wasser gezogen, die Bordwände waren zerschrammt. Also kaufte ich im Bootsladen nebenan Essigreiniger, einen Eimer, zwei Töpfe Farbe, Rollen, Antifouling, Schleifpapier und Klebeband. Während Cati in der Kajüte mit Atemschutzmaske und Putzlappen eine erste Beziehung zum Schiff herstellte, ging ich mit Schleifpapier einmal 6,60 Meter bis zum Bug und 6,60 Meter bis zum Heck schleifend an der Bordwand entlang. Dann noch mal mit der Farbrolle und blauer Farbe. Am nächsten Tag strichen wir Antifouling und hatten nach zwei Tagen Arbeit ein tolles Anfängerschiff für die erste Saison.

Nach meiner Rückkehr aus den USA wollte Cati nun unbedingt mit mir segeln gehen. Sie hatte in meiner Abwesenheit im Krankenhaus einige Segelbücher gelesen und wollte unheimlich gern eine Nachtfahrt erleben. »Das klang alles so romantisch. Das rauschende Wasser, die Sterne, das Leuchten im Kielwasser …«, schwärmte sie. Also führte uns schon die dritte Ausfahrt über Nacht hinüber nach Dänemark. Bis dahin waren wir mangels Wind fast nur motort.

Mit der letzten Brückenöffnung verließen wir die Schlei und setzten Segel. Doch der Wind war viel stärker als angesagt. Etwa 5 Beaufort wehten aus Osten, und das Schiff preschte hoch am Wind nach Søby auf Ærø. Wir hatten uns ausgemalt, dass einer ja schlafen und einer segeln könne – aber Cati hatte so große Angst, dass ich nicht mal kurz aufs Vorschiff gehen konnte, um Segel zu wechseln. Dabei war der Mast kaum mehr als einen Meter vom Cockpit entfernt. Das Boot entpuppte sich als sehr frühe Version des Wavepiercer-Konzepts: Statt über die Wellen zu schweben, tauchte der schwere Langkieler immer brachial mitten durch sie durch. Viel Wasser ging über Deck und gelangte ins Cockpit. Und wir hatten kein Ölzeug dabei. Dazu gab es noch andere Probleme: »Öhm, ich müsste mal«, sagte Cati nach etwa der Hälfte der Überfahrt. »Dann musst du wohl auf den Eimer gehen«, erklärte ich ihr. Aber das war für sie bei dem Plexiglassteckschott keine Option. Also kniff sie zusammen und hielt an.

»Noch fünf Seemeilen, dann sind wir im Hafen«, sagte ich gegen 1 Uhr morgens und ergänzte: »Etwa eine Stunde.« Doch so sicher war ich mir nicht. Ich konnte nicht von der Pinne weg, und meine Navigation war sehr grob. Ich hatte gegen 23 Uhr schnell einen Wegpunkt ins GPS getickert, um dann eilig wieder nach oben zu kommen. Ich hoffte inständig, dass es die richtigen Koordinaten waren. Doch als wir dann bis auf eine halbe Seemeile an den Wegpunkt heran waren und noch keine Uferbeleuchtung sahen, wurde ich skeptisch und ging noch einmal zur Karte unter Deck. »Upps, hab mich vertan. Ab jetzt noch eine Stunde«, erklärte ich kleinlaut.

Als wir dann um 4 Uhr morgens in den Hafen von Søby einliefen, konnte es Cati nicht mehr aushalten. Ungefähr zehn Meter vor der Box sprang sie auf, eilte unter Deck und setzte sich auf den Eimer, während ich die Leinen festmachte.

Die Kajüte war ein einziges Chaos. Dazu schien die Vorschiffsluke zu lecken. Alle Polster waren klitschnass, und eigentlich war mir klar, dass Cati nach diesem Erlebnis nie wieder auf ein Boot steigen würde. Doch als sie sich in der Koje, die ich zwischenzeitlich gegen die Nässe mit Mülltüten abgedeckt hatte, auf die andere Seite drehte, murmelte sie müde, aber zufrieden: »Das haben wir geschafft. Schlimmer gehts ja eigentlich nicht mehr. Dann kann es morgen nur besser werden.«

Mit Cati hatte ich also ein tolles Mädchen gefunden, das alle Segelabenteuer mitmachen würde. Aber eigentlich war das für mich gerade ein etwas blödes Timing, denn im Grunde war ich seit Winter 2008/09 dabei, ein neues Einhandabenteuer vorzubereiten und Unterstützer für eine eigene Nonstop-Reise zu finden. Ich machte mir große Hoffnungen, denn ich hatte ja bereits eine erfolgreiche große Reise hinter mir und darüber ein Buch geschrieben, das sich blendend verkaufte. Dazu war die Summe, verglichen mit einer großen Hochseeregatta wie der Vendée Globe, überschaubar. Statt mehreren Millionen war ich nur auf der Suche nach einem Schiff. Der Einsatz lag also etwa bei 100.000 €, die durch den anschließenden Bootsverkauf in etwa wieder reinkommen würden.

Also schrieb ich Briefe und verschickte Infomappen mit Zitaten diverser bekannter Segler über mich, mit denen ich Kontakt hatte. Es musste doch zumindest jemanden geben, der mir Geld für ein Schiff leihen und den Wertverlust ausgleichen würde. Die Reisekosten könnte ich vermutlich selbst aufbringen. Vor allem beim größten Arbeitgeber meiner Heimatstadt Wolfsburg hatte ich große Hoffnung, schlug vor, das Schiff BLUE MOTION zu nennen und mit Volkswagen eine tolle Werbekampagne für weite Reisen mit wenig Kraftstoffeinsatz zu machen. Doch ich bekam nur Textbausteinantworten zurück, dass man sich entschieden hätte, nur Golf- und Reitveranstaltungen zu sponsern.

Als die Yacht Wilfried Erdmann 2008 zum 40. Jubiläum seiner ersten Weltumsegelung bat, einmal aufzuschreiben, was sich in den 40 Jahren alles verändert hatte, schlug er vor, stattdessen einen Tag mit mir segeln zu gehen und sich mit mir über den Unterschied unserer Generationen zu unterhalten. Dabei fiel ihm der Name PATHFINDER meines damaligen Bootes auf. Dieser gefiel ihm. »Der Name passt«, schrieb er, »denn der junge Mann versucht, seinen Weg zu finden.«

Doch welcher Weg würde das sein? Einhand? Oder zu zweit? Das wusste ich immer noch nicht. Jetzt war ich jung, gesund und kräftig. Motiviert. Voller Hunger auf die See. Nonstop würde sich jetzt zu diesem Lebenszeitpunkt anbieten. Keine Kinder, keine Familie, keine Karriere im Job. Aber wie lang würde Cati noch so gesund sein, mit der schrecklichen Diagnose? Denn auch eine Reise mit ihr zusammen wäre unheimlich schön. Das alles mit ihr zusammen zu erleben. Ein ganz anderes Segeln als nonstop allein. Und vielleicht wäre so eine Reise auch genau das Richtige für sie, nach all den Jahren im Jurastudium, als Belohnung für all den Stress. Stressig würde das auch werden, das war klar. Aber selbst gewählter, »positiver« Stress.

 

Doch dann kam im Sommer 2012 ihr Erstes Staatsexamen und änderte alles. Der Stress machte Catis Gesundheit sehr zu schaffen. Doch sie hielt durch und schaffte jede Klausur, obwohl ihr während der letzten Klausur zunehmend schwindelig wurde. Am nächsten Morgen bekam sie die Quittung für all den Stress, den MS-Patienten tunlichst vermeiden sollten. Sie fiel im Bad um und konnte nichts mehr. Nicht reden, nicht sich bewegen, gar nichts. Der Krankenwagen kam und holte sie ab. Es dauerte Monate, bis sie sich wieder erholt hatte. Immer wieder fehlten ihr ganze Sequenzen ihres Lebens, die das Hirn einfach gelöscht hatte. Auch mitten im Gehen verlor das Gehirn zeitweise die Kontrolle über den Körper, sie stolperte und humpelte, bewegte sich in Zeitlupe. Dann war die Kontrolle plötzlich wieder da, so als wäre nichts gewesen.

Die Folgen des Examens machten mir Angst. Und dann war sie auch noch ganz knapp durchgefallen.

Schon beim monatelangen Lernen für den nächsten Versuch wurde klar, dass dieses Mal noch mehr Druck auf ihr lag, und ich legte ihr nahe, das Studium abzubrechen. »Abbrechen? Nach so vielen Jahren? Dann bin ich 25 und habe nur Abitur!« Das konnte und wollte sie nicht. Doch die Gesundheit war wichtiger, und so entschloss auch sie sich im Mai 2013 nach einiger Bedenkzeit, abzubrechen. Danach fiel sie in ein Loch, aus dem sie erst durch einige Praktika langsam wieder herausfand.

Damit fiel auch für mich eine Entscheidung: Erst möchte ich mit Cati auf Reisen gehen. Wenn jetzt die Zeit ist, zusammen zu segeln, dann segeln wir jetzt zusammen. Also setzte ich eine neue Website auf, was für mich der bislang größte Schritt meines Lebens war. Denn dadurch ging ich nicht nur eine feste öffentliche Bindung, sondern auch eine Verpflichtung ein. Ich hatte Cati zugeredet, das Studium aufzugeben, nun war ich auch für sie verantwortlich. Die alte Website hieß www.allein-auf-see.de, die neue folgerichtig www.zu-zweit-auf-see.de.

Das Boot für unsere gemeinsame Langfahrt hatten wir zufällig gerade gekauft: eine 42 Jahre alte Contest 33, die ich 2012 als OLGA in Holland gekauft und MAVERICK TOO getauft hatte. Das Schiff war optisch gar nicht so schlecht in Schuss. Doch unter Lack und Gelcoat verborgen saßen etliche Osmosenester, die ich glücklicherweise bereits vor dem Kauf gefunden hatte. So konnte ich den Preis enorm drücken. Nach dem Kauf im Januar fuhren wir alle paar Wochen nach Holland, schliefen bei Eis an Deck in der Kajüte, gewärmt von einem Heizlüfter, und begannen, das Schiff für die Überführung nach Deutschland vorzubereiten und erste Inventuren zu machen. Die Überführung durch die Staandemast-Route war toll. Mit mir an Bord waren meine Eltern, während Cati in Kiel fleißig für ihr erstes Staatsexamen lernte.

Zum Herbst 2012 ging MAVERICK TOO in Neuhaus an der Oste an Land. Nach zwei Jahren in einer Einzimmerwohnung in Hamburg hatte ich mir dort nämlich im Sommer ein riesengroßes altes Haus gekauft. Zu einem Preis, zu dem man in Hamburg höchstens eine Garage erwerben könnte. Ich hatte jeden Monat 570 € Miete für 40 Quadratmeter in Wandsbek gezahlt und zahlte nun monatlich dieselbe Summe an die Bank zurück. In 14 Jahren sollte das Haus mit seinen 200 Quadratmetern Wohnfläche abbezahlt sein. Und dazu eröffnete es mir bootsbautechnisch ganz neue Möglichkeiten, denn meine neue Werkstatt, die ans Haus angeschlossene Schmiedehalle, maß zehn mal sechs Meter und hatte dreieinhalb Meter hohe Decken. Nur das Tor war 15 Zentimeter zu schmal, sonst hätte sogar MAVERICK TOO hineingepasst. Zu allem Überfluss lag das Haus genau am Deich, auf dessen anderer Seite sich ein privater Bootssteg mit zehn Metern Länge befand. Ein perfekter Wohnort für jeden Segler.

DIE SEGELNDEGROSSBAUSTELLE

Von Johannes

Kaum liegen wir in Cuxhaven, verwandelt sich MAVERICK TOO wieder in einen Bausatz. Die To-do-Liste ist immer noch ellenlang. Aber wir sind optimistisch, denn zumindest haben wir den Absprung geschafft und sind unterwegs. Alle Bauarbeiten, die jetzt noch zu erledigen sind, haben den Charme des Unterwegs-Erledigens.

Als Erstes mache ich mich daran, den Kühlschrank und die Wassertanks anzuschließen. Das dauert den ganzen Tag. Die Stromleitungen liegen zwar schon irgendwo in der Gegend, müssen aber noch um den Motor herumgezogen werden. Ebenso die Wasserschläuche. Die neuen Plastiktanks sind bereits fest verschraubt, aber die Schläuche noch nicht mit der Pumpe verbunden. Cati bringt derweil Ordnung in unsere vier Quadratmeter Salon und organisiert unsere Kleiderschränke. Während sie zu Hause eine Art begehbaren Kleiderschrank hatte – eigentlich mehr eine Abstellkammer mit Regal darin, weil im Zehn-Quadratmeter-WG-Zimmer kein Platz für einen Schrank war –, muss sie jetzt mit einem einzigen Schapp zurechtkommen. Ich auch. Aber ich habe meines etwas weiter achtern gewählt. Da ist der Rumpf breiter und die Schapps sind tiefer …

Weil uns das Kamerateam am Tag vor der Abfahrt so viel Zeit gekostet hat, kam kurz vor der Abfahrt noch mal Hektik auf. MAVERICK TOO war morgens noch voller Kram von den Bauarbeiten, und im Haus lag noch Ausrüstung, die mitmusste. Also packten zwei Leute an Bord die überflüssigen Dinge in Kisten, während parallel zwei andere Helfer die Ausrüstung aus dem Haus zum Schiff brachten. Dabei landeten aber einige wichtige Ausrüstungsstücke wieder im Haus, während andere erneut an Bord kamen. Deshalb setzt sich Cati am zweiten Reisetag in Cuxhaven noch mal in die Bahn nach Oberndorf, um das Auto und diverse Ausrüstungsgegenstände zu holen.

Am Nachmittag des dritten Reisetages besucht uns Catis Vater. Er war am Abfahrtstag verhindert, kommt nun aber extra aus Bad Bentheim angefahren, um uns noch Tschüss zu sagen. Cati ist aufgeregt, denn er ist unser erster Gast an Bord. Wir finden ein italienisches Restaurant in der Innenstadt und genießen einen letzten Abend zusammen bei Pizza und Bier. Morgen wollen wir losfahren.

Den Autoschlüssel hinterlegen wir bei der Hafenmeisterin, denn meine Eltern wollen am Wochenende kommen, um das Auto abzuholen. Sie werden überrascht sein, da wir MAVERICK TOO noch einmal etwas ausgemistet haben. Vor allem viele unhandliche Sachen. Polsterauflagen für den Salontisch? Viel zu sperrig. Das zweite Solarpanel findet bei aller Fantasie keinen guten Platz, weder an Deck noch am Geräteträger. Sogar das Sitzkissen für den Kartentisch geht aus Platzgründen von Bord, denn wir haben ja zwei Freebags und ein Kapokkissen. Dann sind wir startklar. Drei Tage nach der Abfahrt segeln wir endlich in internationale Gewässer.

PANIK AM ABEND

Von Cati

Schon seit einigen Tagen kommt der Wind aus Osten. Das ist eher ungewöhnlich für die Deutsche Bucht um Cuxhaven, in der eher Westwinde vorherrschen. Für einen Schlag direkt nach England sind diese Wetterbedingungen allerdings perfekt, denn so kommt der Wind von hinten und verspricht eine angenehme und schnelle Reise. Ein weiterer Grund, der uns zur Weiterfahrt drängt.

Wegen der guten Windverhältnisse wollen wir direkt nach England segeln. Lieber Meilen machen und raus aus dem Herbstwetter. Lieber schnell zum Atlantik und die Karibik genießen.

Nach einem letzten, schnellen Frühstück auf deutschem Boden verabschieden wir uns von meinem Vater, und dann geht es los. Bei der Ausfahrt erwischt uns noch die Webcam vom Hafen, und nur wenige Minuten später bekommen wir von einem Freund ein Bild davon aufs Handy geschickt. Etwas pixelig zwar, aber trotzdem sieht die MAVERICK TOO wild und entschlossen aus mit den vielen Flaggen, die noch an unserem Achterstag hängen.

Wild und entschlossen – das sind wir auch. Johannes zieht kurz nach der Hafenausfahrt das Groß hoch und setzt danach die Genua. Schon rauschen wir unter Autopilot Richtung England. Die Elbströmung tut noch ihr Übriges: 8,5 Knoten zeigt unsere Logge konstant an. »Wir sind tatsächlich unterwegs! Ist das nicht komisch?«, frage ich Johannes. Glauben können wir das beide noch nicht so richtig.

Etwas angespannt sitzen wir im Cockpit. Nach zwei Jahren in der Halle und den diversen Veränderungen am Boot wissen wir noch gar nicht, was unser Schiff überhaupt abkann. Vieles ist anders. Der Mast länger, die Segel größer … Aber es herrschen Traumbedingungen. Sonnenschein und Rückenwind. Die MAVERICK TOO wird vorangetrieben, und die berüchtigte »Mordsee« macht uns die Eingewöhnung an die Wellenbewegungen leicht.

Irgendwie kommt es uns aber seltsam vor, einfach nur dazusitzen und nichts zu tun. Die Minuten kriechen förmlich. Gerade in den letzten Wochen ist uns der Vorbereitungsstress fast über den Kopf gewachsen. Wir waren ständig unter Strom. Deshalb überlegen wir uns erst mal, was wir essen könnten, um die Zeit zu überbrücken. Und was man danach snacken könnte.

»Jetzt steuere ich mal«, verkünde ich. »Irgendwann muss ich das Segeln ja lernen, und wir sind jetzt immerhin schon zwei Stunden unterwegs!« Johannes grinst und koppelt den Autopiloten aus. In den vergangenen Jahren habe ich zwar öfter mal ein Schiff gesteuert, aber nie einen richtigen Segel-Grundkurs gemacht – und in den zwei Jahren in der Werft und fehlender Praxis ohnehin die Hälfte des einst Erlernten wieder vergessen. Direkt merke ich am Ruderdruck auf das Steuerrad, wie der Wind in die Segel drückt. »Wenn die Segel killen, dann in die andere Richtung aussteuern«, erinnert mich Johannes. »Wenn sie flattern, meinst du, oder?«, frage ich unsicher nach. Eigentlich habe ich keine Ahnung, was ich da genau mache. Klappt aber irgendwie. »Das ist ja wie Fahrschule«, sage ich bemüht vergnügt – und meine eigentlich dieses komische Gefühl, das mich schon in der ersten Autofahrstunde beschlichen hatte. »Das reicht jetzt erst mal für den ersten Eindruck«, verkünde ich deshalb verunsichert nach einer Dreiviertelstunde.

Nach einigen Stunden läuft die MAVERICK TOO ständig aus dem Ruder. Die Wellen haben sich mittlerweile etwas höher aufgebaut. Das reicht schon, dass unser Radautopilot es nicht mehr schafft, sie auszusteuern und den Kurs zu halten. »Ich setz mal die Monitor in Gang«, sagt Johannes und beugt sich über das Heck nach außen, um das Ruder unserer Windsteueranlage abzulassen. Aber es gelingt ihm nicht, das Ruder ins Wasser zu drücken und einzuklicken. Das Kielwasser drückt es immer wieder hoch und sein Arm ist zu kurz. Der Bootshaken, mit dem wir eine Verlängerung hätten, liegt ordentlich im Regal in der Schmiede. Irgendwann gelingt es doch. »Wir kaufen in England einen neuen«, meint Johannes. »In zwei Tagen sind wir ja da.«

Als es dämmert, will Johannes ein Reff einbinden. In der Nacht hat er immer gern etwas weniger Segelfläche, damit er nicht im Dunkeln auf dem Vorschiff rumturnen muss, falls mehr Wind aufkommt. Denn MAVERICK TOO ist nicht vom Cockpit aus zu reffen, sondern die Leinen werden direkt am Mast bedient.

»Ich gehe jetzt nach vorne und reffe«, ruft mir Johannes zu. »Du fährst einfach in die Richtung, aus der der Wind kommt. Das siehst du ja gut am Windanzeiger.« In dem Moment, in dem meine Hände das Steuer berühren, wird mir ganz anders. Die Wellen scheinen plötzlich aus allen Richtungen zu kommen. Völlig orientierungslos suche ich die Lichter eines Frachters, der doch eben noch vor uns war. »Was machst du denn da?«, ruft Johannes von vorne. »Ich weiß nicht!«, brülle ich zurück und spüre Panik in mir aufsteigen. »Ich weiß nicht, was ich machen soll! Das Schiff dreht sich nicht weiter! Ich hab das Ruder doch schon ganz eingeschlagen!« Und plötzlich bekomme ich Angst. Nicht vor den Wellen, jedoch vor meiner Courage, einfach auf ein Boot zu steigen, ohne es überhaupt segeln zu können. Und vor der Verantwortung für Johannes, mich und unser Boot, die ich gerade in den Händen halte und mit der ich nichts anzufangen weiß. Ob das jetzt jede Nacht so wird in den nächsten zwei Jahren? Bin ich dem überhaupt gewachsen? Hilflos laufen mir die Tränen über das Gesicht.

 

»Gib einfach mehr Gas, Cati!«, ruft Johannes. »Dafür haben wir den Motor doch extra angemacht. Ich beeil mich!« Gas geben. So einfach. Warum habe ich nicht daran gedacht? Augenblicklich schäme ich mich. »Ist doch alles halb so schlimm«, versucht Johannes mich zu beruhigen. Und als würde das noch nicht reichen, wird mir plötzlich auch noch übel, und ich muss mich übergeben. Flau im Bauch, dabei war es bislang bei unseren Segelversuchen geblieben. Schuldgefühle und Sorge zwingen mich jetzt aber in die Knie und verlangen nach unserem schwarzen Eimer. Einmal in dieser Spirale drin, vegetiere ich irgendwann nur noch auf unserer Salonkoje dahin und tue mir selbst ziemlich leid.

Johannes ist plötzlich wieder Einhandsegler. Obwohl er mir versichert, dass ihm das gar nichts ausmacht, fühle ich mich deshalb noch mieser. Nicht nur, dass ich ihm gar keine Hilfe bin, ich belaste ihn noch durch meine Seekrankheit. Irgendwie hatte ich mir das anders vorgestellt.

Auch am nächsten Tag sind die Wetterverhältnisse optimal. Meine Seekrankheit hat sich so weit gebessert, dass wir nicht nur den fehlenden Schlaf nachholen können. Wir sind auch zuversichtlich, dass wir nachts sogar abwechselnd Wache gehen können. Johannes ist abends noch fit, weshalb er die erste Runde übernehmen will.

Als ich gerade weggedöst bin, höre ich plötzlich ein lautes »KLÄNG!«. »Cati, komm schnell! Ich glaube, wir haben gerade einen Wantenspanner verloren.« Schlagartig bin ich hellwach und stürze den Niedergang hoch. »Wir müssen die Genua wegnehmen«, ruft Johannes mir zu. »Es darf kein Druck mehr auf dem Mast sein!«

Vor unserer Abfahrt aus Cuxhaven hatte Johannes alle Wanten noch mal nachgestellt und meinem Vater Splinte und Tape in die Hand gedrückt, damit er sie sichern kann. Keiner von uns beiden hatte allerdings an die oberen Zwischenwanten zwischen dem ersten und dem zweiten Salingspaar gedacht. Alle Wanten hatten wir beim Maststellen vor ein paar Wochen nicht gesichert, weil wir sie vor der Abfahrt ja ohnehin noch mal nachstellen wollten. Und bis auf die Zwischenwanten haben wir das ja auch gemacht …

In der Dunkelheit können wir den Wantenspanner nicht finden, der scheinbar über Bord gegangen ist. Das Zwischenwant baumelt in der Luft und dengelt bei jeder Welle gegen den Mast. Der Wind hatte zum Abend abgenommen, weshalb wir das Groß ohnehin schon weggenommen hatten, damit es in der Dunkelheit nicht zu sehr schlägt, und den Motor angemacht. Die Genua ist in Windeseile eingerollt.

Johannes sagt kaum mehr was, und an seinen ständigen Blicken in den Mast merke ich, dass er sich Vorwürfe macht. »Das ist ein richtig, richtig dummer Fehler!«, platzt es irgendwann aus ihm heraus. »Unter anderen Bedingungen hätte uns das den Mast kosten können.«

Mit einem Blick in die Seekarte legt Johannes unser Ziel neu fest. »England können wir knicken«, erklärt er. »Wir haben gerade Texel querab, aber da finden wir bestimmt keinen Ersatz für den Wantenspanner. Der hat ein spezielles Feingewinde.« Mit dem Motor gut zu erreichen ist allerdings IJmuiden in den Niederlanden. Dort gibt es eine sehr große Marina, und wir hoffen, dort fußläufig vielleicht ein passendes Teil zu finden. Oder es dort zumindest bestellen zu können.

Also verlassen wir im spitzen Winkel unseren Kurs und drehen nach IJmuiden ab, das wir nach 14 Stunden durch absolute Flaute motorend erreichen. Dort finden wir in einem Segler-Dorado tatsächlich einen passenden Wantenspanner, nachdem Johannes erst mal probiert hate, ob nicht der Spanner von der Seereling passt … und auch diesen direkt im Hafenbecken versenkt hat.