Vagos, Mongols und Outlaws

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Ich schaute auf meine Faust. Die Knöchel waren blutverschmiert. Unter Rhinos Achseln hatten sich große Schweißflecken gebildet. Auf der Stirn entdeckte ich dicke Perlen. Er keuchte. Aufgeputscht durch den Kampf, rannte er zu Glatze und wartete nur darauf, dass der wieder erwachte und der Fight weitergehen konnte. Doch sein Opfer war angezählt. Rhino hockte sich neben den Mann, fühlte seinen Puls, und dann – als ekelte es ihn, dass Glatze noch atmete – trat er ihm erbarmungslos in die Rippen.

Mit rasendem Herzen rannte ich aufs Klo. Bislang hatte noch niemand die Cops verständigt. Die Bar sah mittlerweile wie ein Schlachtfeld aus. Ich stand über einem Urinal, zitternd, den Kopf gegen die kühlen Fliesen gepresst. Dann öffnete sich die Tür. Psycho. Er grinste mich an, ging zur Pissrinne, zog sich den Reisverschluss runter und erleichterte sich. Das Kabel in der Unterhose störte mich beim Pinkeln.

Psycho boxte in die Luft, drehte sich zu mir um und meinte anerkennend: „Gute Arbeit, schnelle Faust!“


„Ich weiß, was du für ein Spiel abziehst.“ Joannas Stimme hatte einen brüchigen Unterton angenommen. Mein Schädel brummte noch von der Schlägerei des gestrigen Abends. Ich warf einen Blick auf den Digitalwecker auf dem Nachtischchen. Die gelben Ziffern zeigten 6:00 Uhr an. Ich hatte nur vier Stunden geschlafen und schaute im Moment stirnrunzelnd auf den Rücken meiner Freundin. Ihre Haare glitzerten in der Sonne. Ein schwarzes Wellenmuster lief über den Bildschirm des Computers. Langsam zog ich die Decke von den Beinen. Das klang gar nicht gut.

„Was meinst du?“ Es war keine gute Idee gewesen, unter diesen Umständen eine Beziehung einzugehen. Das wurde mir langsam klar.

„Du bist ein Cop, oder?“ Sie drehte sich um und starrte mir ins Gesicht. Ihre Entdeckung traf mich wie ein Schlag in die Magengrube. Doch bevor ich antwortete, hatte sie schon auf die Leertaste des PCs gedrückt. Der Brief, den ich vor einigen Wochen an meinen Schwiegervater geschrieben hatte, tauchte auf dem Bildschirm auf – eine grausame Erinnerung, dass man als Informant Opfer bringen musste. Ich hatte den Versuch unternommen, mich mit meiner Ex wieder zu versöhnen, indem ich ihrem Vater die momentane Situation erklärte. Angesichts der Gefühle, die an mir nagten, war ich unachtsam geworden und hatte Spuren hinterlassen. Scheiße!

„Da steht was von Infiltration einer Gang für das ATF.“ Joanna zog die Augenbrauen zusammen. „Ach, komm schon.“ Ich schluckte, hoffte erstaunt zu wirken. Joanna ließ mich nicht aus den Augen. Sie hielt die Arme vor der Brust verschränkt. Ich kannte sie erst seit zwei Wochen. Sie hatte ein gutes Verhältnis zu Psychos Exfreundin. Im Moment steckte ich tief in der Scheiße. Das elfenhafte Mädchen mit den wunderschön strahlenden Augen stellte einfach zu viele Fragen.

„Ich hab dir doch erzählt, dass ich eine Ausbildung als Anwaltsassistent mache.“

Ungläubig legte sie den Kopf zur Seite.

„Das war nur eine Prüfungsaufgabe“, log ich. „Der Brief bezieht sich auf einen Streitfall, der vor Gericht verhandelt wurde.“

Die große Vene an ihrer Schläfe pulsierte ruhiger. Die Sorgenfalten um die Augen glätteten sich. Doch erst, nachdem sie sich angezogen, die Tasche über die Schulter geworfen und meine Wohnung verlassen hatte, atmete ich beruhigt auf. Ich schob den Riegel vor die Tür, lehnte mich an den kühlen Stahl und dachte besorgt an die Nachwirkungen dieser Entdeckung. Ich wusste, dass Joanna tratschen würde. Und schon bald würde Psycho unangenehme Fragen stellen!

Undercover-Agenten durften die sogenannten „Vorteile“ des Clublebens nicht in Anspruch nehmen. Sie erzählten sich von ihren Biker-Kumpels, die etliche Frauen in verschiedenen Countys flachlegten, von denen keine etwas von der Existenz der anderen ahnte. Warum sollte man sich auch Stress machen? Doch die Enthaltsamkeit hatte nichts mit der vorgespielten Diskretion der Undercover-Männer zu tun. Sie machten sich vielmehr Sorgen mit Blick auf spätere Strafverfahren, da sie im Falle des Herumhurens die Integrität der Ermittlung gefährden würden. Auf gar keinen Fall wollten sie bei einem Verfahren der Anschuldigung ausgesetzt sein, die Alte des Präsidenten befingert oder am Besitz eines anderen Mitglieds genascht zu haben.

Doch als Informant musste man sich mit weniger Beschränkungen herumplagen. Zumindest dachte ich das. Mir war klar gewesen, dass eine neue Freundin auch ein Risiko darstellte, doch diese unerwartete Wendung hatte mich überrascht. Und jetzt stand ich vor einem Problem. Wenn ich ihr plötzlich den Laufpass gäbe, würde sie mit Sicherheit was vermuten. Und wenn ich weiter mir ihr zusammenbliebe, wäre es gut möglich, dass Joanna tiefer grub. Ich entschied mich dafür, letzteres Risiko einzugehen und die Liebelei weiterzuführen.

5 Die Zahl 81 verweist auf die Hells Angels.


Psychos elfjährige Tochter schnippte mit den Fingern in meine Richtung.

„Prospect.“ Sie lutschte an einem Lollipop und deutete auf einen hervorstehenden Nagel auf der Holzterrasse, die ich gerade versiegelt hatte. Schweiß lief mir am Hintern runter. Ich spürte ein schmerzhaftes Pochen im Kopf und hätte das kleine Biest am liebsten ignoriert, doch Psycho war nun mal ihr Vater und ich sein Prospect – und das seit drei Monaten. Als Mitglied „auf Bewährung“ musste ich Psycho bedingungslos gehorchen, auch wenn die Befehle von dieser verzogenen Göre kamen. Sie blinzelte mich an, warf die dunklen Zöpfe hinter die Schulter und legte die Ferse auf das verrostete Geländer.

„Vorsichtig“, flüsterte sie. „Es könnte sich jemand verletzen.“

Ich schnappte mir den Hammer und blickte über den hinteren Teil des Gartens. Psycho kauerte auf einem kleinen, mit vertrocknetem Gras bewachsenen Hügel in der Nähe seines Swimmingpools und kümmerte sich um die Belange des Clubs. Gemeinsam mit Powder, dem Vizepräsidenten, Sonny, der für die Waffen zuständig war, und Spoon, einem weiteren Vollmitglied, berieten sie darüber, Tony „the Barber“ und Knuckles (der Spitzname wurde ihm nach einem Vorfall verpasst, bei dem er einen auf seinen Kopf gerichteten Pistolenlauf wegschlug, wobei sich ein Schuss löste, der seine Fingerknöchel wegpustete) als Prospects aufzunehmen. Die beiden waren jahrelange Freunde, wollten aber erst jetzt in den Club. Terrible hielt einige Meter entfernt Wache.

Psychos Tochter schlug ungeduldig mit dem Fuß auf den Boden. Die Sonne ging unter und malte eine dünne rote Linie am Horizont. Die Zeremonie für Tony und Knuckles dauerte nur wenige Minuten, nach denen Psycho ihnen die Aufnäher überreichte und ihnen die Hände schüttelte. Der Präsident rief Terrible in ihren Kreis, und die beiden unterhielten sich in leisem, gehetztem Ton. Psychos Gesichtsausdruck verfinsterte sich, als wäre ein Schatten auf sein Antlitz gefallen.

Sein kleines Mädchen zog an meiner Weste. „Was willst du schon wieder?“ Ich drückte ihre Hand weg.

Terrible erlöste mich: „Komm schnell, wir müssen fahren.“

Wir steigen in meinen klapprigen Ford Explorer, der an der Straße parkte. Terrible rutschte auf den Beifahrersitz und zündete sich eine Kippe an. Seine Hände zitterten. Er öffnete das Fenster einen Spalt weit und schnippte die Asche auf die Straße. Wir fuhren einige Minuten in totaler Stille, und dann deutete Terrible mit dem Filter der Kippe in meine Richtung. „Ich werd dir mal was erzählen. Eine verdammte Scheiße ist das.“ Sein lauter Ausspruch hallte wie ein böses Omen in meinem Brustkorb wider. Terrible wandte den Blick ab und starrte auf die gottverlassene, dunkle Straße. „Letzte Nacht gab’s einen Mord …“ In dem kleinen Fahrerraum klangen seine Worte wie Pistolenschüsse. Etwas über eine Schießerei im Verbrechermilieu zu erfahren – ja, das war der feuchte Traum jedes Informanten, der für mich allerdings zu einem Albtraum wurde, denn ich hatte keinen Rekorder dabei. Es handelte sich um eine Drogenabzocke. Terrible ratterte die Liste der Täter herunter – Sonny, Rhino und Twist, also der Kassierer und seine Vandalen. Scheiße! Scheiße!! Scheiße!!! Ich wollte ihn in seinem Redefluss stoppen, um gleich alles mitzuschneiden.

„Sonny ist auf die Idee für das Ding gekommen.“ Terry konnte ihn aber von dem Vorhaben abbringen, und so zog sich Sonny zurück. Doch Rhino und Twist, die immer scharf auf Action waren, stürmten in das Haus des Lieferanten und überraschten die wenigen Junkies, die flüchteten. Als Terrible weiter plauderte liefen meine Gedanken Amok – Mist, ich musste das auf Band haben! Er hatte den Raubzug zusammen mit Sonny geplant, doch nicht mitgemacht, da er befürchtete, von der Zielperson erkannt zu werden. Halt doch jetzt mal die Klappe!

„Da sollte niemand über den Jordan gehen“, ergänzte Terrible mit einer leisen Spur des Bedauerns in der Stimme. In den Rücken getroffen, stolperte ihr Opfer auf die Straße und hinterließ eine Blutspur – und stumme Zeugen. Doch was noch schlimmer war – Rhino und Twist verpissten sich hastig vom Tatort, wobei sich ihre Reifen tief in den Boden eindrückten. Eine ideale Spur für die Cops!

„Die haben eine verdammte Visitenkarte zurückgelassen!“ Terrible warf den Kippenstummel aus dem Fenster. Stille breitete sich wieder aus, und ich hätte beinahe das Atmen vergessen.

„Wir müssen den verdammten Scheiß aufräumen“, meinte er nüchtern. Er hatte den ursprünglichen Grund für die Autofahrt vergessen. Ich fuhr zu Twists Haus im Apple Valley. Eiskalt packte mich die Erkenntnis: Twist durfte nicht mit den Vagos in Verbindung gebracht werden, auch wenn er zum Victor-Valley-Chapter gehörte. Ein Mord wirbelte immer eine Menge Staub auf und zog ungewollt große Aufmerksamkeit nach sich. Psycho hatte Terrible befohlen, alle Gegenstände zu entsorgen, die in irgendeiner Weise auf die Vagos hindeuteten, darunter auch die Mordwaffe. Ich parkte auf der Straße, einige Meter von Twists Haus entfernt, und machte den Motor aus. Dunkelheit umhüllte uns. Dienstbeflissen half ich Terrible, ganze Seesäcke voller Klamotten aus der leeren Bude wegzuschleppen – Clubabzeichen, Banner, Flaggen, Hakenkreuzfahnen und handgemachte Holzschnitzereien mit den Insignien des Vagos.

 

Bei der ersten sich mir bietenden Gelegenheit rief ich Koz an.

„Kannst du das auf Band aufzeichnen?“, fragte er mich.

Mir schlug das Herz bis zum Halse. Ich lebte in einer Welt dunkler Gestalten, gekleidet in Leder und Jeans, die einen Pfad der Verwüstung hinter sich zurückließen. Niemals in meinem Leben habe ich mich so einsam gefühlt. Als Informant hatte ich keine Verstärkung und kein Überwachungsteam zur Verfügung, und niemand stand mir zur Seite, der die in meinen Schädel einschlagende Kugel hörte, wenn alles den Bach runterging. Ohne Twists Geständnis hatten die Cops nichts anderes als eine Leiche auf irgendeiner Straße. Nur ich wusste, wer an der Sache beteiligt gewesen war. Doch praktisch gesehen existierte ich nicht. Ich machte einen Undercover-Job in der brutalsten Biker-Gang Kaliforniens. Wie sollte ich einen Killer überführen, den ich kaum kannte? Wie sollte ich ihn zum Reden bringen?

Ich schnappte mir das Aufnahmegerät und verbrachte eine schlaflose Nacht.


Twists Wagen lag in Einzelteile zerlegt in seiner Auffahrt. Das Armaturenbrett ragte aus dem Schmutz hervor, die Sitze waren übereinandergestapelt, und Teile der HiFi-Anlage fanden sich auf einem großen Findling wieder. Wahrscheinlich vermutete er, dass sein Wagen verwanzt war. Ich warf einen kurzen Blick durch die mit einem Fliegengitter bespannte Eingangstür. Weißer Rauch waberte im Eingangsbereich. Ich klopfte an. Wie aus dem Nichts schoss eine Hand aus einer Öffnung im Mauerwerk und richtete eine .22er auf meinen Kopf.

„Jesus, Twist“, keuchte ich erschrocken, kurz davor, auszurasten.

„Was willst du?“, brüllte er mich an. Ich hörte, wie ein Wasserhahn abgestellt wurde. Twist hatte ein Loch in seine Badezimmerwand gestemmt, damit er während des Duschens die Straße im Auge behalten konnte. Er machte mit der nassen Hand das Peace-Zeichen und entschuldigte sich mit einem Grinsen. „Sorry, Mann!“

Twist nickte in Richtung Tür. „Komm schon rein.“ Ich drang in den dichten Drogennebel ein und bemerkte zwei Frauen, die auf der Couch saßen und Meth rauchten. Kaum bekleidet – sie trugen nur Höschen und BH – bliesen die beiden abgewrackten Tussen mir Rauchringe ins Gesicht und starrten mich dabei wie zwei dumme Kühe an. Der ganze Boden war mit Müll und Unrat übersät – leere Pizzakartons, umgefallene Aschenbecher, Drogenzubehör und Rattenscheiße. Ich stapfte durch den Unrat und setzte mich auf den Rand eines Sessels.

„Willste was?“ Eine der Schlampen kicherte wie blöd. Obwohl ich nun schon seit zwei Jahren clean war, verspürte ich noch die Gier nach dem Teufelszeug. Der Geruch schwebte in der Luft, so verführerisch wie Weihnachtsgebäck. Ich spürte das aufsteigende Verlangen, die Versuchung, die mich fast um den Verstand brachte. Der Rekorder presste sich wie ein Brandeisen an meine Haut. Aber solange die beiden hier rumhockten, würde Twist niemals was von dem Mord ausplaudern. Die zwei waren so voll, dass sie kaum mehr was registrierten – aber dennoch wäre es ihm zu heiß. Meine Augen tränten, und ich rang nach Luft. Am liebsten hätte ich mich verzogen. Undercover zu arbeiten, bedeutete improvisieren zu können. Bundesagenten nahmen an Schulungen teil und erlernten Strategien zur psychologisch geschickten Manipulation anderer, wann und wie man elektronisches Equipment einsetzte, welche Warnhinweise auf Gefahren hindeuten, wie man am besten die Provokation zu einer Straftat ignoriert und wann man sich selbst Drogen reinziehen musste, ganz einfach, um zu überleben. Doch als „kleiner“ Informant hatte ich keine reguläre Schulung durchlaufen. Ich verließ mich auf meinen Urinstinkt. Der Plan war simpel: Ich wollte Twist zur Mittagszeit besuchen, in der Hoffnung, dass er mir einen Happen anbieten würde. Möglicherweise hatte er das „Zeug“ versteckt und kredenzte es mir zum Nachtisch. Allerdings rechnete ich nicht mit Gästen.

„Nein, danke. Ich muss noch arbeiten“, schlug ich das Angebot der Braut aus. Als Psychos Prospect zu knechten, bedeutete gleichzeitig immer, eine gute Ausrede parat zu haben. Der Präsident erwartete von mir, jederzeit nüchtern zu erscheinen.

Twist schlug mir mit dem Handtuch gegen die Beine und legte mir unbeholfen einen Arm um die Schulter. Er hatte die ganze Nacht gesoffen und sich wahrscheinlich noch zusätzliche Drogen reingezogen. Er redete, als wäre er auf Natriumpentothal, dem Wahrheitsserum. Mir lief ein kalter Schauder den Rücken runter, als er sich zwischen die beiden abstoßenden Frauen quetschte und auf einen langen Nachmittag vorbereitete. Die .380er-Pistole lag auf seinem Schoß, ein AK-47-Sturmgewehr lehnte an der Tür zum Schlafzimmer, und Twist rauchte und prahlte von dem Arsenal, das noch in dem Wandschrank lagerte. Nach zwei Stunden dämlicher Gespräche stand ich auf, um die Fliege zu machen.

Twist brachte mich zum Wagen, und ich lud ihn beiläufig zu einem Bier ein, wobei mir klar war, dass er nicht kommen würde. Er lebte zurückgezogen, zufrieden damit, sich in seiner Höhle mit Drogen abzuschießen, viel zu paranoid und unruhig, um anderen zu vertrauen. Mir blieb nur noch ein Versuch: „Alles cool, oder was?“

Er warf mir einen kurzen Blick zu. Unter seinen Augen hatten sich dunkle Ringe gebildet. Im grellen Sonnenlicht wirkte Twists Haut fettig und blass.

„Weißt du von was?“ Unruhig fuchtelte er mit den Händen rum.

„Man hört so dies und das.“ Ich spürte mein Herzklopfen bis in den Schädel hinein. Mir ging die Muffe, und ich schiss mir fast in die Hose. Twist war ein Psychopath, wie er im Buche stand.

„Was willst du wissen?“

„Da ist irgendeine Scheiße abgegangen.“ Ich hoffte, dass meine Stimme nicht vibrierte.

„Die haben nicht den geringsten Verdacht!“ Twist lachte dämonisch. Er verschränkte die Arme vor der Brust. Ein Muskel zitterte an seinem Unterkiefer. Er nahm mich ins Visier, wie ein Insekt, das er gleich zu zerquetschen gedachte.

„Habt ihr da was vergessen?“, versuchte ich mehr aus ihm herauszulocken. Staub wehte über meine Schuhe.

„Nichts.“ Twist schaute über meine Schulter auf die menschenleere Straße. „Überhaupt nichts. Wir trugen Handschuhe, Hemden mit langen Ärmeln und Sonnenbrillen. Hey Bruder, das war nicht mein erstes Rodeo. Du weiß, was ich meine?!“ Er machte eine abfällige Handbewegung. Plötzlich spielte er mir die Szene vor, formte die Finger zu einer Pistole, drehte sich zu mir und flüsterte: „Wenn ich mich ums Geschäftliche kümmere, funktioniere ich wie eine gut geölte Maschine.“ Er hielt die Finger an meine Schläfe. „Peng!“

„Nur ein Schuss?“ Vor Aufregung war ich ganz heiser. Hoffentlich konnte der Rekorder seinen Flüsterton gut aufzeichnen. Vielleicht gab es noch Hinweise, von denen die Cops nichts wussten.

„Ja!“ Er pausierte kurz. „Ich habe ihn ein Mal getroffen. Die Kugel ging glatt durchs Herz und traf seine Freundin in den Arm.“

„Sauber. Guter Job.“ Ich nickte. In dem Moment hätte ich verschwinden, dem ATF das aufgenommene Schuldeingeständnis überreichen und die Ermittlung für abgeschlossen erklären können.

Ich hatte für die Behörden den Beweis erbracht, dass die Vagos Drogen und illegale Waffen besaßen und damit handelten – und darüber hinaus nachgewiesen, dass sie für Morde verantwortlich waren, ein brutales Merkmal der Biker-Gangs. Doch mich erfüllte eine Art Verlangen, ein Wunsch, der Gesellschaft zu dienen. Jetzt ging es um mehr als meine Sicherheit, jetzt ging es um Gerechtigkeit.


In den Tagen nach dem Mord verschwand Rhino. Er tauchte erst zwei Wochen später wieder auf und bedrängte mich mit einer verzweifelten Bitte: „Versteck mich.“ Panik brachte seine Stimme zum Kippen, und als ich zögerte, erklärte er mir die näheren Umstände. Ursprünglich war er zu seiner Mutter geflohen, da er glaubte, dort einen sicheren Hafen zu finden. Doch als zwei Detectives von der Mordkommission dort klingelten, um sich mit ihm über Twist zu unterhalten, verzog sich Rhino ins nächstgelegenen Versteck – und das war bei mir. Für ihn schien ich ein sicherer Anlaufpunkt zu sein – keine Überwachung, keine abgefuckten Junkies, keine offensichtlichen Verräter. Um 2 Uhr morgens saß meine Freundin also hellwach auf der Bettkante, zog sich einen kleinen Hautfetzen vom Daumen und beobachtete Rhino, der wie ein panisches Tier durch die Bude rannte, die Jalousien runterzog und uns in ein düsteres Zwielicht hüllte. Ich hatte mich nicht von Joanna getrennt – hoffentlich war das kein Fehler gewesen.

Rhino musterte mich intensiv. In der Dunkelheit vergingen die Stunden zäh. Keiner sprach ein Wort. Momentan hatte ich die Verbindung zu Koz und der Außenwelt verloren und brauchte dringend einen Plan. Mein Apartment war nicht verwanzt. Das ATF hatte sich dagegen entschieden, da mich keine lohnenswerten Zielpersonen besuchten. Wer hätte ahnen können, dass ich den Mitverschwörer eines Mordes beherbergen würde? Gelegentlich stellte ich den Rekorder an, weil ich darauf hoffte, dass Rhino etwas rausrutschte und ich vielleicht ein Geständnis aufzeichnen könnte. Doch er sprach kein Sterbenswort. Gemäß Gangster-Kodex wurden heikle Gespräche nur auf der Straße oder bei einer Autofahrt geführt, wo die Wahrscheinlichkeit einer ungewollten Aufnahme am geringsten war. Die Entscheidung, einen Rekorder bei mir zu tragen, fiel mir schwer, denn das Risiko war nicht einzuschätzen. Ich ließ mich von meiner Intuition leiten. Falls mich ein merkwürdiges Gefühl überkam, hörte ich einfach nur zu und ließ das Teil zu Hause. Doch meist versteckte ich das kleine Ding in der Unterhose.

„Wird er plaudern?“, hatte mich Koz gefragt.

„Du meinst, uns Twist auf dem Silbertablett liefern?“ Mittlerweile duzten wir uns.

„Wenn wir ihm einen Deal anbieten?“

Auf gar keinen Fall! Viel zu riskant. Bei dem Gedanken, einen der eigenen Leute zu verpfeifen, würde Rhino möglicherweise zurückschrecken, und das hätte die komplette Ermittlung gefährden können.

„Lass uns fahren!“ Rhinos Augen wirken wie kleine Schlitze, denn es war frühmorgens. „Bring mich zum 7-Eleven.“ Er hatte sich da mit einem Mädchen verabredet, bei dem er sich eine Weile verkriechen wollte. Draußen blieb er kurz auf dem Gehweg stehen, steckte die Hände in die Hosentaschen und blickte über die Schulter auf die leere Gasse. Eine Taube umkreiste den Giebel des Hauses. Rhino setzte sich schwerfällig auf den Beifahrersitz des Ford. Als ich aufs Gas drückte und den Rekorder anschaltete, rasten die Gedanken durch meinen Kopf.

„Twist glaubt, er sei ein waschechter Profi“, versuchte ich eine Unterhaltung anzuleiern, und hoffte, Rhino so zum Reden zu bringen. Er starrte nach vorne und ballte die Fäuste.

„Dieser Arsch hat ’ne Panikattacke gekriegt.“ Jetzt sprudelte es aus ihm heraus. „Das sollte nicht so ablaufen. Wir wollten ihn nur zur Rede stellen, doch einer von den beiden musste ja unbedingt die Kohle behalten, und dann war die Kacke am Dampfen. Du weißt doch, wie diese Junkies drauf sind.“ Er schaute mich mit einem versteinerten Gesichtsausdruck an. „Die waren doch alle voll daneben, hatten sich abgeschossen. Ich war der Einzige mit ’ner klaren Birne. Und dann hat sich dieser blöde Wichser auch noch meine Knarre geschnappt.“


„Ich kann die Knarre für dich verstecken.“

Twist sah mich interessiert an und starrte dann in den Vollmond über uns hinauf, der heute besonders groß wirkte. Wir standen in Nähe der menschenleeren Straße. Er verlagerte sein Gewicht von einem Bein auf das andere. Ich erkannte einen Hauch von Zweifel in seiner Mimik, und er schüttelte den Kopf.

„Nicht nötig.“

 

Mir war ganz schön mulmig. Ich spürte den Rekorder im Schritt, der im Moment nur das Knirschen der Kieselsteine aufzeichnete. Rhino hatte – ohne es zu wissen – meine Mission deutlich erschwert. Während er in meiner Bude abhing und vor Angst fast wahnsinnig wurde, hatte Twist seine Jennings mit dem Perlmuttgriff und der ausgefeilten Seriennummer entsorgt. Ohne konkretes Beweismaterial sah es für die Staatsanwaltschaft schlecht aus.

Doch Diskretion war nicht unbedingt Twists größte Stärke. Er gab mit dem Mord an, gab ständig seine Rolle dabei zum Besten und prahlte, er habe wie eine Maschine funktioniert. Einige Monate später wurde er von Detectives der Mordkommission festgenommen. Bei der Vollstreckung des Durchsuchungsbefehls fanden die Cops einen kleinen Revolver, einige Zeitungsausschnitte über den Mord und verschiedene Gegenstände, die auf die Vagos hinwiesen. Sogar im Knast kriegte Twist sein Drecksmaul nicht zu. Er verlangte ein schnelles Verfahren und steckte seinem Zellengenossen, dass sein Fall bevorzugt behandelt werden müsse, denn er sei ja schließlich ein Killer. Außerdem bestand er auf der Aussage, allein gehandelt zu haben. Außer mir wusste keiner was von Rhinos Komplizenschaft.

Doch Mordverfahren können sich manchmal Jahre hinziehen, und bei einem Fall wie diesem – kein physisches Beweismaterial und nur ein Geständnis im Knast, und das war auch noch gegenüber einem Mitgefangenen gemacht worden – war die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung nicht sehr hoch. Koz hegte Bedenken, dass ein verfrühter Prozess zu nichts führe. Setzte er aber meine Aufnahmen ein, wäre damit die großangelegte Ermittlung des ATF in Gefahr. Das ATF konnte sich weder einen verlorenen Prozess leisten noch meine Enttarnung.

„Scheiß drauf“, wies Koz den leitenden Detective an. „Lasst ihn laufen.“