Vagos, Mongols und Outlaws

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„Wir wissen, dass du ein Cop bist!“ Bubba, ein dünner, aber muskulöser Blondschopf mit einem Ziegenbärtchen, provozierte mich eines Nachts, als ich vor der Vollversammlung Wache hielt. Er gehörte nicht zu den offiziellen Mitgliedern der Vagos. Psycho kannte ihn jedoch schon seit Jahren und hatte ihm die Abzeichen geschenkt. Er war über und über mit Tattoos bedeckt, glatzköpfig und beängstigend seelenlos; sein Ton regte mich ungeheuer auf. Ich lehnte mich zu ihm rüber, legte den Zeigefinger auf seinen Brustkorb und gelobte, ihm eines Tages ein Messer ins Herz zu rammen, wenn er mich noch mal mit diesem Cop-Scheiß beleidige.

Bubba holte tief Luft. Ich sah einem wohl unvermeidbaren Faustkampf entgegen. Ein Prospect durfte nie so respektlos mit einem „Full-Patcher“ reden. Andere Vagos kamen angelaufen und beobachten interessiert den sich anbahnenden Kampf. Regen hing in der Luft. Ein Blitz erhellte unsere Gesichter. Bubbas scharfgeschnittenes Gesicht zuckte kaum wahrnehmbar, als er meine Drohung verdaute. Adrenalin schoss durch meine Blutbahnen. Ich spürte, dass ich rot wurde. Ich hatte gelernt, die Vagos wie Tiere zu sehen und niemals – niemals – Furcht zu zeigen. Sie hätten das sofort gespürt und die Fäuste auf mich einprasseln lassen.

Bubbas stumpfe Augen begannen plötzlich zu glühen. Dann lachte er mit einem bellenden Ton, schlug mir freundschaftlich auf die Schulter und latschte von dannen.

Rhino – vielleicht versuchte er freundschaftlich zu erscheinen – umarmte mich und griff mir voll in die Eier. Keiner der Vagos hatte das zuvor gemacht. Seine Geste verblüffte mich, und ich holte erst mal kräftig Luft. Nur wenige Minuten zuvor hatte ich den Rekorder im Wagen verstaut. Bis auf diesen einen Tag steckte das Ding fast immer in der Unterhose. Wahrscheinlich war es ein Kribbeln gewesen, eine leise Warnung, die sich in meiner Bauchgegend gemeldet hatte. Einige beschreiben das als Intuition, andere als ein verdammtes Glück. Ich hingegen stellte mir das gerne als eine göttliche Fügung vor. Auf jeden Fall rettete sie mir das Leben. Rhinos Hand umklammerte immer noch meine Eier. Ich sah Erleichterung in seinem Gesicht. Durch die winzige Geste teilte er mir seine generellen Zweifel unbewusst mit. Die ganze Aktion hätte auch anders enden können – in einem Kugelhagel, mit einem Opfer auf dem Gehweg, ohne Chance auf Rettung. Niemals hätte jemand erfahren, was wirklich geschah. Rhino zog die Hand zurück. Ein trockenes Lächeln umspielte seine Lippen. Im Augenblick konnte ich mich in Sicherheit wiegen.

Vielleicht war es aber an der Zeit, mich von Joanna zu trennen.


Als Zielpersonen der Ermittlung hatten die Prospects einen unschlagbaren Vorteil – sie erledigten den Drogenhandel für die Vagos. Als „Mitglied auf Probe“ waren sie jederzeit ersetzbar. Nicht jede Biker-Gang setzte ihre Prospects für Drogendeals ein, doch die Vagos sahen das nicht so eng. Psycho befahl mir, einen „fetten“ Deal mit einem Freund des Clubs abzuziehen, mit dem er früher schon gehandelt hatte. Der Typ hieß Casper und gehörte zur oberen Führungsriege der Nazi Low Riders, einer rassistischen kriminellen Vereinigung. Er erwartete fast 15 Kilo Marihuana und vertraute mir 10.000 Dollar cash an. Psycho musste noch zu einer Verabredung mit dem kanadischen Kartell und verlangte von mir, die Drogen bis zu seiner Rückkehr zu bunkern. Im Falle einer Razzia wäre es obendrein natürlich für ihn auch besser, wenn ich die volle Breitseite abbekäme.

„Bleib in meinem Haus“, sagte er beiläufig.

Es fiel mir nicht schwer, Koz zu überzeugen, dass der Deal mein Ansehen bei den Vagos erhöhen würde und ich gleichzeitig uneingeschränkten Zugang zum Hauptquartier des Präsidenten hätte. Psycho hatte mir bisher keine Details verraten. Ich wusste nur, dass er regelmäßig große Mengen Marihuana von Kanada nach Kalifornien schmuggelte und bei den Transaktionen genug Kohle gemacht hatte, um sich drei Tattoo-Shops, ein luxuriöses Wohnwmobil und ein Haus auf einem großen Grundstück leisten zu können.

Koz besorgte mir einen Fotoapparat, denn Psychos Räuberhöhle glich einem Waffenarsenal. Während ich dort Wache hielt, schoss ich Fotos von Waffen neben dem Nachttisch, von einer Ruger-P89-9-Millimeter-Halbautomatik, einer Taurus .380 und einer Schrotflinte, die an der Wand hing. In seinem Schrank standen diverse noch verpackte Gewehre. Auf dem ganzen Boden lagen Ballen von Marihuana, zu Einpfund-Bündeln verschnürt. Ein SKS-Sturmgewehr lehnte an der Tür des Badezimmers.

„Ich traue keinem“, erklärte mir Psycho vor der Abreise und warnte mich vor Gaunern, richtigen „Outlaws“ wie Dollar, einem ehemaligen Vago, der sich zu viele Drogen gepfiffen hatte und vom Club ausgeschlossen worden war. Seitdem handelte es sich bei ihm um ein Sicherheitsproblem.

„Weißt du, was wir mit solchen Burschen machen?“ Dollars Geschichte sollte eine Warnung für mich sein. Er befahl mir, ihn zu kidnappen und in sein Crossroads-Tattoo-Studio zu schleifen, um ihm eine Lektion in Sachen Respekt zu erteilen. Während der Tage bis zu Psychos Rückkehr täuschte ich vor, Dollar, Wicked und Little Man zu jagen, in der Hoffnung, dass Psycho das Interesse an den Burschen verlor …


Ich hatte das Gefühl, dass er mich als seinen Drogenkurier sah, mir genügend vertraute, um mich mehrmals monatlich nach Washington zu schicken, um dort pfundweise Marihuana abzuholen und das Dope nach Kalifornien zu liefern. Doch das logistische Problem bereitete dem ATF Kopfzerbrechen. Koz konnte mir keine Genehmigung garantieren, um grenzüberschreitende Deals abzuwickeln.

Stattdessen vertickte mir dann Psychos Kontakt Casper Gras. Im Gegensatz zu anderen Dealern raubte er mir wirklich den letzten Nerv. Er verfügte über eine wahre Armee von Sympathisanten, die loyal genug waren, um für ihn die Geldangelegenheiten zu regeln. Er war beeindruckende 1,90 Meter groß, brachte über 120 Kilo auf die Waage, trug lange Haare und einen Bart, gekrönt von einem Ziegenbart.

„Ich hab dabei kein gutes Gefühl“, vertraute ich mich Koz an.

„Warum?“

„Möglicherweise raubt er mich aus und bringt mich um die Ecke!“

„Falls er das Feuer eröffnen will, knalle ich ihn ab.“

„Du würdest wohl zu spät kommen. Der hätte mich schon längst in die Grube gebracht“, lachte ich.

„Vielleicht könnte ich mich in deinem Schrank verstecken?“, bot Koz an.

Keine gute Idee. Drogendealer schauen dort immer zuerst nach. Falls Casper da die Nase reinsteckt, wären wir beide erledigt.

„Vielleicht sollte ich das Haus beobachten, einfach draußen warten und falls was passiert …“

Keiner von Koz’ Vorschlägen ließ sich in der Praxis vernünftig umsetzen. Ein Einsatzteam in der Hinterhand zu haben, klang theoretisch ganz vernünftig, doch praktisch konnte es rasch in die Hose gehen, denn die Jungs zückten zu schnell ihre Waffen. Das ergab nur einen Sinn, wenn der Dealer auf langsame Folter aus war und sich daran aufgeilte. Schließlich traf ich Casper in einem Hinterzimmer, das von der Straße aus nicht einzusehen war. Sicherheitshalber hatte er seinen Bruder Fat Bastard mitgebracht. Jetzt musste ich mich mit zwei von diesen Typen rumschlagen. Keiner sprach ein Wort. Fat Bastard breitete sich auf einem Polsterstuhl aus, wobei sich seine Fettrollen überlappten. Er ähnelte einem Waldschrat, der gerade die Kinder der ganzen Stadt verspeist hatte.

Jedes Mal, wenn ich mit 40 oder 50 Pfund Gras bei Psycho auflief, versteckte er die Drogen im Kofferraum von Bubbas Ford Contour – für den Fall, dass die Cops bei ihm eine Razzia veranstalteten.


Bubba widmete sich mittlerweile Kokaindeals, und nachdem er diverse Verkäufe im Hinterzimmer seines Tattoo-Ladens abgewickelt hatte, stellte er mir die Meth-Quelle des Clubs vor, einen Vago, der zu den Vollversammlungen einige Proben mitbrachte. Der Mann nannte mir seinen Lieferanten, einen mehrfach verurteilten Straftäter namens JB. Schon bald identifizierte ich das komplexe Netzwerk der Vagos-Dealer. Bei jeder Gelegenheit traf ich mich mit Bubba in seinem Laden, übergab ihm Kohle und wartete dann auf Parkplätzen auf weitere Instruktionen. Die Meth-Quelle ließ mir verschlüsselte Nachrichten zukommen: „11th & Main, Rite-Aid, JB.“ Mit bloßliegenden Nerven und einem hämmernden Schädel wählte ich dann die Nummer auf dem Papierfetzen. Eine unheimliche Stimme wies mich an, in Richtung Süden zu fahren, zu einem schäbigen Haus an der Muscatel in Hesperia. Dort angekommen, fuhr ich in eine düstere Einfahrt, stellte den Motor ab und ging den Schotterweg hoch. Meine Stiefel knirschten auf dem feinkörnigen Split. Ich war mir bewusst, dass elf Gramm Koks in meiner Tasche steckten, die ich noch nicht bei Koz abgeliefert hatte. Ich klopfte an. Drinnen schien kein Licht. Es war 22 Uhr. Ein Hund bellte, und ich spürte den kalten Wind auf den Wangen.

Ein Kind öffnete die Tür einen kleinen Spalt weit. Der Junge, er trug ein schmutziges Hemd und fleckige Unterwäsche, gab mir ein Zeichen einzutreten. Schatten huschten durch den Raum. Drogen lagen klumpenweise auf den Matratzen am Boden. In der Dunkelheit hörte ich die Stimme einer Frau und den Schrei eines anderen Kindes. JB tauchte aus dem Zwielicht auf und murmelte etwas Unverständliches zur Begrüßung. Er trug eine .45er an der Hüfte, wirkte durcheinander und zerknautscht wie die dreckigen Kleidungstücke, die hier überall herumlagen. Tattoos schlängelten sich an seinen Armen bis zum Hals hoch. Um das Handgelenk herum hatte er sich ein stilisiertes Stacheldrahtarmband stechen lassen. Das Kind umklammerte sein Bein. Seine eingefallenen,Augen musterten mich mit einem gequälten Ausdruck, als ich JB die Dollarscheine überreichte und er mir dafür zwei Plastiktüten übergab.

 

Meine Hände zitterten, während ich den Wagen durch die Hintergassen manövrierte. Völlig erschöpft stand mir noch die Übergabe der Drogen vor, die Koz konfiszierte. Um 1 Uhr morgens ließ ich mich aufs Bett fallen. Kurz vor dem Einschlafen schrillte das Telefon.

„Psycho braucht Zigaretten“, blökte Rhino. „Da gibt es einen Shop in Sacramento, den er mag.“


Am nächsten Nachmittag – die Sonne schien unerbittlich vom Himmel herab – musste ich in Lizards Garage Liegestütze machen. Nach dem ersten Dutzend schmerzten die Muskeln. Staub und Schweiß stachen mir in die Augen. Um mich herum hörte ich Gespräche, doch ich sah nur die Stiefel der Biker. Sie bildeten einen Halbkreis um mich herum und rückten immer näher. Ich verfluchte Psycho und seine Freude an dieser Art von Unterhaltung. Vier Monate als Prospect, als sein Sklave, hatten ihre Spuren hinterlassen. Wegen der tagtäglichen Tortur in seinen Diensten und der mitternächtlichen Botengänge fühlten sich die Beine und mein Hintern an, als wären sie aus Pudding.

Als ich meine Arme durchdrückte – mittlerweile war ich bei Nummer 22 angekommen –, warf mir Psycho einen Stofffetzen vors Gesicht. „Du hast 15 Minuten, um ihn anzunähen.“ Das war’s? So einfach? Ich hatte meinen Patch. Keine Fanfaren. Keine Feier. Zu Beginn der Ermittlung hatte ich darauf gehofft, aufzusteigen, ein vollwertiges Mitglied zu werden, doch immer daran geglaubt, ich müsse dafür eine gefährliche Aufgabe meistern, ein Aufnahmeritual, bei dem man eine Straftat begehen oder sich erniedrigen lassen musste. Ich rappelte mich auf und suchte in der Bauchtasche nach einer Nähnadel und Garn. Fünfzehn Minuten, um das Teil anzunähen! Die anderen beobachteten mich aufmerksam, als ich die Nadel durch den dicken Stoff drückte. Mehrere Male stach ich mir in den Finger. Blut tröpfelte auf meine Hand. Dann streifte ich mir die Kutte über und zeigte sie den Bikern voller Stolz.

„Na, wie sieht das aus?“ Meine Frage wurde mit Beifallsrufen und kräftigen Hurras honoriert. Die Vagos schlugen mir freundschaftlich auf die Schulter, schüttelten mir die Hand und drückten mich fest. Plötzlich hörte ich, wie eine Autotür zuschlug. Sonny, wie immer zu spät, marschierte durch die Einfahrt, sein Gesicht gerötet, was einen merkwürdigen Kontrast zu dem gezwirbelten Schnauzer ergab.

„Der ist doch total schief“, blaffte er und riss den Aufnäher von der Kutte.

Er knallte ihn mir mit einem humorvollen Schimmern in den Augen auf die Hand.

„Nochmal!“


Wir trafen uns am selben Abend im Mickey McGee’s, wo die Vagos meine Beförderung feierten. Die irische Bar schien vor Energie überzuschwappen, und ich fühlte mich wie ein Promi, umgeben von Bodyguards und Groupies. Stammgäste gesellten sich zu der Party, gratulierten mir, schüttelten mir vorsichtig die Hand und spendierten ein Bier. Spärlich bekleidete Bräute legten mir den Arm um die Schulter, setzten sich auf meinen Schoß – aufgekratzt wie Aufziehpuppen. Psycho gab mir einen Wangenkuss und drückte mich. Wir waren beide verdammt stolz auf meine Leistung, denn ich konnte mit der Ermittlung weitermachen, und er hatte sich bei seinem Chapter einen zusätzlichen Zacken in der Krone verdient – eine klassische Win-Win-Situation.

Wir drängten uns durch die feiernde und aufgeputschte Menge nach draußen, um ein wenig Luft zu schnappen. Psycho setzte sich auf die Anhängerkupplung eines Trucks und erzählte mir Geschichten von seiner Aufnahme. Ich tat so, als hörte ich zu, aber in Wahrheit juckte mich das nicht. Ich war hundemüde und sehnte das Ende des Abends herbei. Ich fühlte mich, als hätte ich mehrfach Halloween gefeiert und genügend Süßigkeiten abgestaubt. Es war Zeit, die schwitzige und stinkende Gummimaske abzulegen, mich wieder als ganzer Mensch zu fühlen und endlich zu schlafen.

Doch meine Aufmerksamkeit wurde durch eine Bewegung in der Nähe des Ausgangs erregt. Ein junger Typ, vielleicht 22, stolperte einige Meter von Psycho entfernt durch die Gegend. Er sah verdammt schick aus, viel zu schick für diese Gegend. Auch Psycho bemerkte ihn. Wahrscheinlich hatte der Macker seinen animalischen Instinkt angeregt. Gedanklich gab ich dem Kid einen Arschtritt. Mensch, verpiss dich. Doch er ging geradewegs auf Psycho zu, lallte einige Beleidigungen und blickte ihm direkt in die Augen. Dann warf der Schönling sich noch in die Brust – direkt vor dem Präsidenten. Instinktiv folgte ich dem Clubmotto – Beschütze deine Brüder. Meine Faust kollidierte mit den Schneidezähnen des Jungen, der Aufschlag war so hart, dass sie zerbrachen. Ich fühlte einen stechenden Schmerz in der Hand. Splitter von Porzellan-Veneers steckten in meinen Knöcheln und der Faust. Der Knabe fiel voll auf die Schnauze, kam benommen wieder auf die Füße und entschuldigte sich bei Psycho lispelnd für die Dummheit.

Blut lief an meiner Hand runter, doch der Schmerz ebbte langsam ab.

„Netter Schlag!“ Psycho lachte und zerrte mich in die Kneipe zurück, um mir einen auszugeben. Es wurde immer später, und der Laden leerte sich. Ich fühlte einen pochenden Schmerz in der Pranke. Als ich es schließlich nach Hause schaffte und mich auf die Couch meiner Freundin fallen ließ, war die Hand schon auf die doppelte Größe angeschwollen. Sie sah völlig verformt aus, wie ein Körperteil eines Monsters. Ich schlief schlecht, träumte wirres Zeug und hatte ein Gefühl, als nisteten Insekten in einem Schleimbeutel unter meiner Haut und bissen mich. Am Morgen zeigte das Fieberthermometer 39,5 Grad. Eine rote Linie zog sich von der Hand bis zum Ellbogen hinauf.

„Staphylokokkeninfektion“, klärte mich die Krankenschwester in der Klinik auf und legte mir einen Infusionszugang. Durch das Antiseptikum und den Geruch des Desinfektionsmittels wurde mir übel. Die Notaufnahme war in grelles weißes Licht getaucht. Ich musste blinzeln.

„Irgendwas hat ihn gebissen“, bestätigte meine Freundin die Diagnose mit krächzender Stimme.

„Ein Mensch oder ein Tier?“

Vielleicht war es ein Vampir gewesen?


Als Prospect durfte ich bereits an den Vollversammlungen teilnehmen, bei denen es sich oft um die Vorbereitung für einen Kampf drehte. Als Vollmitglied beschränkten sich meine Befugnisse allerdings nicht mehr nur auf das bloße Zuhören. Die nächste „Schlacht“ war für die jährlich stattfindende Neujahrstour durch die Casinos in Gold Strike und Nevada Landing geplant. Terry der Tramp – der Präsident aller Vagos in den Staaten – hatte den Kriegszustand ausgerufen. Die rivalisierenden Sons of Hell waren sein Ziel. Er erteilte den anderen Chaptern der Vagos in der Gegend, speziell Hemet im San Jacinto Valley in Riverside County, den Befehl, ihren Brüdern zur Seite zu stehen. Jeder, der nicht kämpfen wollte, hatte die Möglichkeit, beim nächsten Treffen abzuhauen. Das bedeutete allerdings eine gehörige Tracht Prügel wegen Feigheit vor dem Feind. Natürlich verzog sich keiner! Sogar die Abhänger, Freunde des Clubs oder Bürohengste wie Spoon, unser „Waffenbeauftragter“, mussten da mitmachen, wenn auch bloß als „Schmieresteher“ oder zur Beobachtung der gegnerischen Gang. Wie Psycho uns erklärte, wollte man die Sons of Hell ein für alle Mal zur Hölle schicken. Ein Exempel musste statuiert werden. Wenn wir alle zu Brei geschlagen hätten, sollten wir ihnen die Aufnäher abreißen und ihre Bikes klauen.

„Passt auf!“ Psycho sprach jetzt mit leiser Stimme. „Bei uns gibt es ein Leck.“6 Psycho berichtete von einer Verkehrskontrolle der verdammten Cops, bei der einige Vagos routinemäßig verhört worden waren. Ein Beamter hatte unbeabsichtigt geplaudert, was von einem „anonymen“ Tipp gequatscht. Daraufhin fuhren einige der Biker in die Mission Bar. Meine Gedanken drehten sich wie in einem Karussell. Wer hatte der Polizei etwas von dem bevorstehenden Massaker erzählt? Hammers Gesicht tauchte vor meinem geistigen Auge auf. Der ehemalige Vago, der zum Spitzel wurde, hatte den Bikern früher Sprengstoff und Waffen verkauft. Niemand vermutete, dass es ein abgekartetes Spiel war. Als das dann herauskam, postete Spoon Hammers Foto augenblicklich auf der Webseite whosarat.com. Doch es reichte Psycho nicht, eine Ratte öffentlich bloßzustellen. Ich wusste, was sie mit solchen Typen machten – und ich war mir ganz sicher, dass ich nicht das Gleiche über mich ergehen lassen wollte.

Psycho giftete: „Einige Brüder versuchen schon, diesen Motherfucker zu finden. Falls du ihn siehst – töte das Schwein.“


Der Feldzug gegen die Sons of Hell wurde dann bis auf Weiteres verschoben.

„Hast du das mit Sonny gehört?“, krächzte Rhinos Stimme am anderen Ende der Leitung.

„Nein.“ Durch die Vorhänge sah ich das fahle Morgenlicht. Hercules öffnete ein Auge. Ich hatte verpennt, und er hatte mir ein schönes, stinkendes Geschenk hinterlassen.

„Er kam gestern Nacht bei einem Motorradunfall ums Leben.“ Rhino keuchte. Das schien ihm wirklich nahezugehen. Vielleicht hatte er ja doch Gefühle? Aber die Trauer schlug schnell in Furcht um, da er darüber spekulierte, dass Sonnys Tod vielleicht mit dem stümperhaften Mordanschlag von Twist in Verbindung stehen könne. Sonny, der größte Methamphetamin-Dealer in Victorville, hatte den Club immer mit genügend Stoff versorgt. In meiner Ermittlung hatte er eine wichtige Rolle gespielt. Für mich bedeutete das einen echt herben Rückschlag.

„Ein großer Verlust“, ehrte Psycho den Dealer bei der nächsten Versammlung mit Pathos in der Stimme. Doch die Trauerbekundungen schlugen schnell in finanzielle Überlegungen um. „Einige Leute schulden ihm einen Batzen Geld. Es wird unser Job sein, die Kohle zu kassieren.“ Rhino wurde für die Aufgabe vorgeschlagen.

Bubba, der sich bislang im Hintergrund gehalten hatte, trat einen Schritt nach vorn. Er wirkte noch kaputter als sonst. Mit leiser Stimme drängte er Psycho, nicht so offen zu reden, da „es ja diesen Informanten“ gebe. Doch Psycho ließ sich nicht von Bubbas Paranoia beeindrucken und verriet mir später sogar Sonnys Meth-Quelle, bei der es sich um einen Typen namens Sticky Fingers von der 18th Street Gang handelte, der auch Truck belieferte.

„Ich denke darüber nach, Sonnys Business zu übernehmen, und will den Typen mal fragen, was er davon hält. Was meinst du?“

Irgendjemand musste ja Sonnys Platz einnehmen. Während die Vagos eine Handvoll Erde auf seinen Sarg warfen und die Familienmitglieder echte Tränen vergossen, lauerte Sticky Fingers schon in der Menge. Er wartete auf den richtigen Zeitpunkt, um sich einzubringen und von der Qualität seines Meths zu schwärmen. Ich brauchte dringend eine neue Zielperson, die mir Zugang zum illegalen Drogenhandel verschaffte. Zwei Schritte vorwärts, einer zurück – das war das Muster des Undercover-Tanzes.


Als waschechter Vago konnte ich nun leichter an Drogen gelangen und durfte beim Waffenkauf mitmischen. Ich hatte Psychos Arsenal von abgesägten Schrotflinten, Sturmgewehren und Maschinenpistolen gesehen. Powder, der Vizepräsident des Chapters, bot mir eine gestohlene Automatik an, da er dringend Geld benötigte. Koz besorgte mir die Kohle. Am nächsten Morgen bewaffnete ich mich mit dem Rekorder und fuhr zu Powder. Er hatte sich eine Mietwohnung in Hesperia zugelegt, ein Schlupfloch, das er vornehmlich als Lagerraum nutzte. Ein kleines Belüftungsfenster war von Kugeln durchschlagen worden. Die Vordertür öffnete sich mit einem Quietschen und hing nur noch an einem Scharnier. Powder bedeutete mir einzutreten. Das trübe Nachmittagslicht warf lange Schatten über das zerbrochene und arglos hingeworfene Spielzeug auf dem Boden. Barbiepuppen mit fehlenden Köpfen, Trecker aus Metall, Metallspielzeug zum Bau von kleinen Brücken und Häusern, Baseballschläger und Torwarthandschuhe, die an Plastikarmen von Schaufensterpuppen steckten.

 

„Wir haben eine Spielzeugsammlung veranstaltet“, murmelte Powder. Der bleiche und spindeldürre Kerl verschwand im Nebenzimmer. Ein kalter Luftzug strich über mein Gesicht.

„Und was ist mit dem guten Spielzeug passiert?“, fragte ich und zertrat dabei aus Versehen den Kopf einer Puppe. Allein der Gedanke, dass Biker-Gangs sich für Wohltätigkeitsveranstaltungen oder Kinder interessierten, mutete pervers an. Die brauchten doch nur Geld zur Finanzierung ihrer Drogen- und Waffengeschäfte. Aber wahrscheinlich war das ihre Methode, den Anschein zu erwecken, sich in die reale Welt einzufügen. Ähnlich wie Psychopathen täuschten sie Gefühle vor, verhielten sich so, als tangierten die Bedürfnisse der Kinder sie in irgendeiner Weise.

„Wir haben diese behalten.“ Powder hängte sich die AK-47 über den Rücken. Er blinzelte mich an, seine blassen blauen Augen eingerahmt von fast weißen Wimpern. Powder ähnelte einem menschlichen Negativ, wirkte unterentwickelt. „Den Rest können wir für Dope verticken.“

Ich nickte in Richtung der Knarre. „Ist die heiß?“

„Da mache ich mir keine Sorgen“, beruhigte er mich. „Ich habe einen Kontaktmann in der Zulassungsstelle für Schusswaffen. Der wird das schon hinbiegen.“

„Er hat die Seriennummer überprüft und ‚korrigiert‘?“

„Ich hab das Ding von einem Typen in Silver Lakes geklaut, für den ich arbeitete.“ Ich zeichnete das Gespräch mit meinem Rekorder auf – unerlaubter Waffenbesitz und dann noch eine gestohlene Knarre! Das war ein hübscher Fang. „Ich versteckte die Waffen in meinem Haus. Den Rest bewahrt meine Mutter für mich auf.“ Ich merkte mir den Hinweis, um später danach zu suchen.

„Funktioniert sie?“

„Na klar“, entgegnete er mit ernster Miene. Ich zählte die Geldscheine des ATF in Powders Hand, was sein Schicksal besiegelte. Neben dem ganzen Spielzeug lagen Teile eines auseinandergebauten Bikes.

„Muss die Karre von Grund auf neu zusammenbauen.“ Powder zuckte mit den Achseln, während er die Kohle nachzählte.

„Wo hast du das Bike her?“ Ich versuchte interessiert zu wirken, aber in Wahrheit brauchte ich ein zweites Geständnis.

„Mein Kumpel hat es bei seiner Versicherung als gestohlen gemeldet, damit er sich die Knete zocken kann. Ich versuche noch einige Teile und einen Rahmen auf dem Schwarzmarkt aufzutreiben, um sie wieder fit zu machen.“

„Ich kann dir dabei helfen“, log ich.


Am Abend trafen wir im Motherlode einen Deputy des San-Bernardino-Sheriffs, mit dem wir einen hoben. Die Vagos zwangen den Besitzer, seinen Laden auch nach der Sperrstunde für sie aufzulassen. Wir parkten dann die Bikes drinnen, denn die meisten waren viel zu besoffen, um eine Heimfahrt zu riskieren.

Tja, und wir wollten sicher sein, dass sie nicht gestohlen würden. Als das Morgenlicht durch die brüchigen Verschläge vor den Fenstern fiel, blickte ich auf die knallrote Birne des Deputys. Sogar im Sitzen machte er eine imponierende Figur. Er hatte eine riesige Wampe, und an seinem Schläfenhaar zeichnete sich das erste Grau ab. Der Deputy war mit einer Frau verheiratet, die im Büro des Sheriffs arbeitete, und beklagte sich über seine verschwendeten Jahre bei der Polizeibehörde, die miese Bezahlung und den unmöglichen Dienstplan. Ich trank erst mein drittes Bier und beobachtete ihn aufmerksam und konzentriert. Zwischen all dem schwarzen Leder, dem glänzenden Chrom und den dreckigen Jeans suchte ich nach Hinweisen, nach einzelnen Aussagen, die ich im Rahmen meiner Ermittlungen verwerten konnte. Doch die Vagos schienen sich eher über den Deputy und seine angeknackste Loyalität zu amüsieren. Sie sahen ihn weniger als Bedrohung denn als Mittel zum Zweck.

„Halt dich von dem fern“, hatte Koz mich gewarnt. „Der gräbt vielleicht was aus, was er gegen dich verwenden kann.“

Als der Deputy im grellen Sonnenlicht nach Hause torkelte, musste ich über unsere Gegensätzlichkeit nachdenken. Jeder von uns trug eine Art Verkleidung und hoffte darauf, dass seine wahre Identität verborgen blieb.

6 Die undichte Stelle war ein Informant namens George, der versucht hatte, die Vagos außerhalb von Riverside County zu infiltrieren.

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