Der wilde Sozialismus

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DIE VERDRÄNGUNG DES REVOLUTIONÄREN GEISTES

Ohne uns im komplexen Verlauf der Französischen Revolution zu verlieren, müssen wir uns an dieser Stelle einige ihrer Hauptkräfte vergegenwärtigen. Zunächst die Bedeutung der Volksorganisationen, der Komitees und Sektionen. Ohne dieses revolutionäre Ferment, diesen Radikalismus der Straße, wäre das politische Leben in den Klubs genauso unvorstellbar gewesen wie die scharfen Konflikte zwischen den Hauptströmungen der Revolution. Auch ein sozialdemokratischer Theoretiker wie Karl Kautsky, der schwerlich zur Unterstützung einer schöpferischen Spontaneität neigte, erkannte ein Jahrhundert später an, dass die wichtigsten Momente der Revolution aus der Erhebung des Volkes und seiner kollektiven Initiative hervorgegangen waren: »die bedeutendsten Beschlüsse der verschiedenen Nationalversammlungen, der Konstituante, der Legislative, des Konvents bestätigten nur, was das Volk bereits getan; in den revolutionären Kämpfen zeigten sich diese Versammlungen haltlos, Direktiven vom Volk empfangend, nicht sie ihm gebend«.17 Geist und Energie der Revolution verlagerten sich ständig, je nachdem, wie sich die Funktion von Organisationen wandelte. Kropotkin zählte zu den Autoren, die diese jeder revolutionären Situation eigene Bewegung plastisch darzustellen vermochten. Im Zusammenwirken von politischem Handeln und den Widersprüchen des revolutionären Prozesses büßten die Volksorganisationen ihre ursprüngliche souveräne Funktion zusehends ein und verwandelten sich in Rädchen der Staatsmaschinerie. So gelang es dem zentralisierten Staat, den Komitees und Sektionen, die das Fundament der revolutionären Kommune bildeten, ihre gesellschaftlichen Funktionen zu nehmen und sie der eigenen Bürokratie zu unterwerfen. Entscheidend für diese Unterordnung unter den Nationalstaat war das große Gewicht, das polizeiliche Aufgaben der sozialen Kontrolle und Repression erlangten, nachdem ausländische Mächte der Revolution den Krieg erklärt hatten. »Der Staat hatte sie verschlungen. Und ihr Tod war der Tod der Revolution«, schrieb Kropotkin über die Sektionen und zitierte Michelets Bemerkung, dass »das öffentliche Leben in Paris vernichtet« worden sei.18 Das Zentrum der Revolution verschob sich daraufhin in die Klubs, was die Auslöschung der Kommune und sodann der radikalen Enragés erleichterte. Die Tatsache, dass die Jakobiner die revolutionäre Kommune 1793 gegen die Montagnards unterstützten, nur um sich ein Jahr später gegen sie zu wenden und die führenden Köpfe der Hébertisten – Chaumette und Hébert – hinzurichten, ist ein weiterer Beleg für das politizistische und insofern opportunistische Wesen dieser Strömung des radikalen Bürgertums.

DIE SACKGASSE DER SOUVERÄNEN AUSNAHME

Nachträglich verwischt in der großen Debatte über den Terror, wurde die Frage der souveränen Ausnahme kurzerhand auf die Vergeltungsmaßnahmen des Volkes, die einzigen direkten Gewaltaktionen, reduziert. Während die gemäßigteren Girondisten jede direkte Ausübung der Souveränität mit Anarchie und Barbarei gleichsetzten, versuchten die Jakobiner die »souveräne Vergeltung« in den institutionalisierten Terror zu kanalisieren. Insofern kann die »institutionalisierte Vergeltung« – die Einrichtung der Revolutionstribunale im Jahr 1793 und der Erlass repressiver Gesetze – als eine zur Eindämmung von Aktionen der direkten Souveränität notwendige Maßnahme gesehen werden: Der Terror des Staates diente dazu, die überschießenden Momente der Volkssouveränität zu neutralisieren.19 Wie Danton sagte: »Seien wir furchterregend, damit das Volk es nicht sein muss.« Damit schien die »Unfähigkeit« des Volkes zur Ausübung seiner Souveränität bestätigt, die nun als Quelle von Exzessen, ja »Terror« galt.

In dieser Frage sollten wir nochmals die scharfsinnige Analyse von Karl Kautsky heranziehen, für den der Einsatz von Terror durch das Volk mehr war als eine »Kriegswaffe«, die der Demoralisierung des inneren Feindes und der Mobilisierung gegen den äußeren diente. Sicherlich erzwang der Kriegszustand den Terror. Dieser war aber auch ein Produkt der historischen Situation: »Die Verhältnisse hatten ihnen [den Sansculotten] die Macht in die Hand gespielt, aber die Möglichkeit versagt, dauernde Institutionen zu ihrem eigenen Vorteil zu schaffen. Sie, denen die Machtmittel von ganz Frankreich zu Gebot standen, konnten und wollten sich aber auch nicht willenlos dem Elend unterwerfen, das die rasch sich entwickelnde kapitalistische Wirtschaft über sie brachte, und das der Krieg noch verstärkte; sie mußten es bekämpfen durch gewaltsame Eingriffe in das wirtschaftliche Leben […], ohne ihrem Ziele näher zu kommen. Die Ausbeutung war wie eine Hydra, je mehr Köpfe ihr abgeschlagen wurden, desto mehr wuchsen ihr nach. Ihr zu begegnen, wurden die Sansculotten immer weiter getrieben«.20

Je mehr das Volk gegen das Ancien Régime kämpfte, umso mehr stärkte es die Macht der neuen Ausbeuter, da »die Verhältnisse […] alles unhaltbar machten, was der kapitalistischen Revolution im Wege stand«.21 Kautsky vertritt die These, dass diese Sackgasse eine direkte Ausübung der Souveränität erschwerte, das Volk von jeglichem emanzipatorischen Projekt abbrachte und es im Gegenteil in Richtung Terror trieb.

DIE »GEFÄHRLICHKEIT« DES VOLKES

Die Annahme einer »Gefährlichkeit« des Volkes kam bereits lange vor der Revolution und der Philosophie der Aufklärung auf. Für englische politische Philosophen des ausgehenden 17. Jahrhunderts wie Thomas Hobbes und John Locke konnte das Aufbegehren der Unterdrückten niemals die Legitimität der Regierung und anderer politischer Institutionen infrage stellen, sondern allenfalls in Situationen von Machtmissbrauch geduldet werden. Das bürgerliche politische Denken der Französischen Revolution brach mit dieser Auffassung nicht wirklich und begegnete dem Eingreifen des Volkes mit derselben Vorsicht. Nach dem Thermidor verwandelten sich die arbeitenden Klassen in der Vorstellungswelt der Mächtigen allmählich in gefährliche Klassen, in den bewaffneten Arm der jakobinischen Ideen.

In den 1840er Jahren setzte sich der Gedanke der »gefährlichen Klassen« dann in der bürgerlichen Wahrnehmung von Volksaufständen und Revolutionen durch, bevor er schließlich eine Verfeinerung in den Studien von Gustave Le Bon erfuhr.22 Das Bild des Volkes, des entstehenden Proletariats, musste dem einer Menge von potenziellen Verbrechern oder gar Geistesgestörten, einer desorganisierten, formlosen und wilden Masse angenähert werden, die einer aufgeklärten und bewussten Führung harrte. Bis heute bildet die Furcht vor blinden, barbarischen Akten der »Massen« eine Legitimationsquelle des repräsentativen Systems, das sich als die einzig machbare und verantwortungsvolle Form von Demokratie präsentiert – als Regierung der Fähigen anstelle einer Regierung der Unfähigen, wie Robespierre und seine Freunde meinten. Das jakobinische Modell einer Delegierung der Souveränität an Führer, die die Fähigkeit hätten, im Rahmen des Gesamtinteresses der Nation die Interessen des einfachen Volkes zu vertreten, bildet zusammen mit der Konstruktion eines »Gesellschaftsvertrags« von oben den roten Faden der demokratischen politischen Theorie.

Der Triumph des repräsentativen Systems über die Erfahrungen direkter Volkssouveränität sowie die Gleichschaltung der souveränen Ausnahme vollzogen sich im Verlauf der Revolution weder linear noch ohne Konflikte. Einige der bekanntesten Vertreter der vorherrschenden Geschichtsschreibung sprechen von einer »Tendenz zur Praxis einer direkten Regierung und zur Einführung einer Demokratie des einfachen Volkes«23, die »spontan und nicht als Anwendung eines a priori gegebenen Systems« entstanden sei.24 Anstatt jedoch zu erkennen, dass »sich die direkte Demokratie, praktisch wie logisch, durchaus aus der Volkssouveränität ›ableitet‹«25, wird sie von ihnen häufig als eine Art von politischer Praxis betrachtet, die infantil (im Sinne einer »Kinderkrankheit« à la Lenin), intuitiv und theoretisch inkonsistent gewesen sei – und der wahren, repräsentativen Demokratie weichen musste, die sich auf eine politische Theorie berufen konnte. Wie Kropotkin festhielt, verwies das »Spontane« hier aber sehr wohl auf Ideen, die allerdings nicht aus wissenschaftlichen Denkanstrengungen, sondern aus der Erfahrung und den konkreten Erfordernissen des Augenblicks hervorgingen.

DAS IMPERATIVE MANDAT UND DER ANGRIFF AUF DIE VOLKSSOUVERÄNITÄT

Die direkte Ausübung der Volkssouveränität war ein von lebhaften Debatten begleiteter Prozess: Es ging um den Charakter von Delegierung, um die Auswahlkriterien (Einkommen und Geschlecht) für die an der direkten Demokratie praktisch zu beteiligende Bürgerschaft und vor allem um die Abberufung von Abgeordneten durch die Wähler, also die oben erwähnte Frage des imperativen Mandats. Dessen erklärtes Ziel bestand darin, die Gewählten an die Wähler zu binden, was keineswegs selbstverständlich war und Konflikte hervorrief. Sollten die Mandatsträger bei jeder Entscheidung von Neuem vor ihre Wähler treten? Einige Gegner des Prinzips sprachen von utopischen Praktiken, die dem Grundsatz der effektiven Regierung zuwiderliefen, und erklärten beharrlich, man müsse »Anarchie vermeiden«. Das imperative Mandat wurde aber nicht als ein wirklichkeitsfremder Traum gefordert, sondern weil es sich in der Praxis des einfachen Volkes vor und während der Revolution bewährt hatte. Deren spontanes Element zeigte sich genau in einer solchen Wiederaneignung konkreter Erfahrungen des Volkes. Natürlich stieß der von den Enragés geführte Kampf für das imperative Mandat auf den erbitterten Widerstand der anderen großen Strömungen in der Revolution, die sich allerdings häufig zu Zugeständnissen genötigt sahen, weil der Druck von unten für das imperative Mandat stark blieb.26

 

Trotz ihrer unüberwindlichen Gegensätze wendeten sich beide Hauptströmungen, Montagnards wie Girondisten, gegen jegliche Entfaltung von Praktiken der direkten Demokratie. So beispielsweise, als die Enragés und andere Vertreter der Sansculotten angesichts des gravierenden Problems der Lebensmittelversorgung Eingriffe des Staates und vor allem der Volksorganisationen forderten.27 Montagnards und Girondisten verband mehr, als sie trennte – gemeinsam lehnten sie die Forderung der unteren Schichten nach einer Preiskontrolle ab, als deren Fürsprecher die Enragés auftraten. »Es ist nicht möglich«, ließ Marat diese wissen, »dass sich jeder Einzelne von euch unablässig mit Staatsangelegenheiten befasst; das muss den Repräsentanten überlassen bleiben.«28 Robespierre befürchtete unterdessen, dass »ein Übermaß an Demokratie […] die nationale Souveränität zerstört«.29

Wie gezeigt, drückte sich der Konflikt zwischen Gegnern und Verfechtern einer direkten Volkssouveränität konkret im Gegensatz zwischen der Nationalversammlung und der revolutionären Kommune aus, die sich als eine bewegliche Organisation erwies. Sie entstand aus der Versammlung der Pariser Stadtteilsektionen, die ursprünglich schlicht Wahlorgane des Dritten Standes gewesen waren, sich nun aber in eine revolutionäre Bewegung verwandelten und zu offenen Diskussionsklubs wurden. Im Zuge der Revolution stellten sie eine Kraft dar, die Druck auf die Kommune ausübte, in der (bis zum Thermidor) eine näher an der direkten Souveränität angesiedelte »Volksmacht« gesehen wurde – eine gefährliche Macht, bedrohte sie doch das repräsentative System. Um dem Problem auszuweichen, setzte die Nationalversammlung die Kommune durchweg mit der Vergangenheit, dem Mittelalter gleich und machte in ihr die Gefahr eines Zusammenbruchs der Nation aus. Die Form der »Kommune« existierte tatsächlich bereits im 11. Jahrhundert; sie lässt sich bis zur feudalen Gesellschaft und den Freiheiten der Städte zurückverfolgen, in denen der Dritte Stand für seine Interessen eintrat. Die »freie Kommune des Mittelalters« ging der Entstehung von bürgerlichem Staat und Parlament voraus. In der damaligen Epoche war sie der konkrete Ausdruck des Kampfes, den das Bürgertum gegen die Feudalordnung führte, um diese schließlich zu stürzen und durch seine eigene Ordnung zu ersetzen.30 Während der Französischen Revolution veränderte sich jedoch auch der Charakter dieser Organisationsform. Die Kommune bekannte sich nunmehr zum Grundsatz der Einheit der Nation und wendete sich folglich nicht gegen den neuen zentralisierten Staat. Noch radikaler verändert trat sie viele Jahre später erneut auf – 1871.

Anfangs wählten die Sektionen, die an die Stelle der bisherigen Verwaltungsbezirke traten, direkt Vertreter in den revolutionären Stadtrat, die Kommune von Paris. Diese Vertreter unterstanden der Kontrolle durch das Volk und konnten abberufen werden. Mit der von den Jakobinern vorangetriebenen Zentralisierung verwandelten sich die Sektionen jedoch in Organe der Staatsmacht. Das Fanal für diese Zähmung erfolgte 1793, als die Klubs der Frauen verboten wurden. Auch wenn die Doppelherrschaft somit bereits vor dem Sturz der Jakobiner nicht mehr existierte, schritt die Normalisierung des politischen Lebens nach dem Thermidor allerdings weiter voran: Zunächst wurden die Gesellschaften des Volkes, die als Foren der politischen Debatte gedient hatten, und die Versammlungen der Sektionen verboten, schließlich wurde das allgemeine Wahlrecht durch das Zensuswahlrecht ersetzt. Entmachtung sämtlicher Formen einer direkten Ausübung von Volkssouveränität, der Klubs, der Sektionen und der Kommune, Unterdrückung jeder Tendenz zur Doppelherrschaft: So lautete die politische Bilanz der Revolution bis zum Thermidor (Juli 1794). Eine Bilanz, die zusammengefasst im Sieg des repräsentativen parlamentarischen Systems über alle Tendenzen bestand, die, wie zögerlich auch immer, die Einschränkung der direkten Volkssouveränität ablehnten.

SOZIALE FRAGE UND SOUVERÄNITÄT

Die schrittweise Einschränkung der Volkssouveränität ging mit einer Verschlechterung der Lebensbedingungen der Armen einher. Dabei stellte sich die soziale Frage »während der Großen Revolution hauptsächlich in der Form des Problems der Lebensmittelversorgung und […] des Grund und Bodens dar«.31 Sehr schnell drängte sich das Thema der politischen Debatte auf. Die radikalsten Tendenzen der Sansculotten – in Paris Leclerc, Roux, Varlet, in Lyon Chalier und L’Ange sowie generell die Enragés – riefen das Volk unablässig dazu auf, sich seiner Souveränität praktisch zu bemächtigen. Dass sie die direkte Demokratie ins Zentrum ihrer Agitation stellten, war ein direkter Widerhall des Drucks der Straße.32 Was der Revolution ihre Schwungkraft gab und die Ziele der Enragés prägte, das waren die sozialen Zustände und das Aufbegehren der Sansculotten gegen die Kluft zwischen politischer Gleichheit und realer Ungleichheit, ihre Forderung nach einer Umverteilung des Reichtums, die indirekt die Frage des Privateigentums aufwarf, und schließlich die Agrarfrage: »Was die Armen einforderten und durchsetzten, erhoben die Enragés zum Programm.«33 Nur weil die Strömung eine Minderheit blieb, sollte man das emanzipatorische Potenzial ihrer Forderungen nicht unterschätzen. Vielmehr ist Kropotkin zuzustimmen, der bei den Enragés eine zur Verwirklichung drängende Zukunftsvorstellung erkannte: eine »kommunistische Idee«, die sich »während der ganzen Revolution Bahn brechen wollte«.34

In einer seiner Studien über die Französische Revolution erkannte Karl Korsch 1930 einen »Widerspruch, der dieser Revolution und speziell ihrem höchsten Ausdruck, der revolutionären Jakobinerdiktatur anhaftet, darin, daß sie die liberté, égalité, fraternité, die sie in der politischen Sphäre verwirklichen wollte, zugleich in der ökonomischen Sphäre wieder aufhob, indem sie die alte feudale Ausbeutung und Unterdrückung der arbeitenden Massen nur in ihrer Form veränderte, aber in ihrem Wesen beibehielt und in der Folge sogar noch steigerte.«35 Die bürgerlichen Fraktionen, allen voran die Jakobiner, wirkten deshalb ständig darauf hin, die soziale Frage von der der Souveränität abzutrennen; beharrlich erklärten sie, die politische Gleichheit der repräsentativen Demokratie dürfe man nicht mit wirtschaftlicher und sozialer Gleichheit vermengen. Politisch autoritär, neigten die Jakobiner zum Liberalismus, sobald es um den Schutz des Privateigentums ging. Robespierre bekannte dies offen ein, als er sich gegen das Agrargesetz wendete und verlangte, auch dem Reichtum und den Reichen ihren Platz zu lassen, die er lediglich zu mehr Respekt vor den Armen ermahnte: Die »Gleichheit der Güter« sei eine »Schimäre […]. Es gilt viel eher, die Armut ehrbar zu machen, als den Überfluss zu verbieten.«36 Wie Kropotkin bemerkte, beeinflusste die Kraft der kommunistischen Idee allerdings selbst diejenigen, die sie ablehnten, so auch Robespierre: »nur der Überfluss der Lebensmittel dürfe Gegenstand des Handels sein«, gibt Kropotkin ihn wieder, »das Notwendige gehört allen«.37 Kropotkin ging sogar so weit, eine »Überlegenheit« des Kommunismus in der Französischen Revolution über den Sozialismus von 1848 zu postulieren: »Er ging gerade aufs Ziel, indem er sich an die Verteilung der Produkte hielt.«38

Die Untätigkeit, ja Gleichgültigkeit, mit der die ärmeren Klassen den Sturz des »Unbestechlichen« quittierten, lässt sich so interpretieren, dass ihnen die Zweideutigkeit von Robespierres Einstellung aufgegangen war und sie bereits ahnten, dass sie das Spiel verloren hatten. Der Prairialaufstand vom Mai 1795, der Unmut und die Unruhen in den Pariser Vorstädten, die schon immer den Schwerpunkt der revolutionären Bewegung ausgemacht hatten, waren Reaktionen auf die Verschlechterung der Lebensbedingungen, auf Inflation, Arbeitslosigkeit und Hunger – nicht Ausdruck einer Solidarität mit Robespierre und seinen Gefährten. Es war ein Aufbegehren, das eher einen sozialen als politischen Charakter hatte. Und während die jakobinischen Führer sich noch an seine Spitze zu setzen versuchten, um dem Konvent zu trotzen, hatte das Volk bereits keine organisierte Kraft mehr; seine Fähigkeit zur Mobilisierung war erschöpft.39

DIE ERSCHÖPFUNG DER REVOLUTION UND DER VERENGTE WEG DES AVANTGARDISMUS

Alle radikalen Strömungen in der Französischen Revolution haben gerade für die von den Jakobinern abgelehnte Verknüpfung gekämpft: Keine Ausübung der politischen Souveränität ohne wirtschaftliche und soziale Gleichheit. Nach den Enragés und den Hébertisten war es an Babeuf und seinen Freunden, die Revolutionsregierung anzuklagen, sie habe dem Volk seine Souveränität »geraubt«. Babeuf mahnte: »Wo es keine Rechte mehr gibt, gibt es auch keine Pflichten mehr.«40 Über den Feind bemerkte er: »Arbeite viel und iss wenig, sonst wirst du keine Arbeit mehr haben und gar nicht mehr essen. So lautet das barbarische Gesetz, das die Kapitale diktieren.«41

Die babouvistische Strömung wird häufig als unversöhnlicher Gegner des Privateigentums und Vertreter eines Kommunismus in der Verteilung dargestellt. Ihr Programm schließt allerdings eher an die Forderungen an, die die Enragés – oftmals unorganisiert und individuell – dem Nationalkonvent vorgelegt hatten: Erfassung und Beschlagnahmung von Grundnahrungsmitteln, Kampf gegen die Wucherer und Spekulanten, Verstaatlichung des Handels, Terror gegen die Klassen des Ancien Régime, uneingeschränkte Ausübung der Souveränität und der direkten Demokratie sowie Frauenrechte. Die Babouvisten betraten nach der Unterdrückung der Radikalen durch die Jakobiner und nach dem Thermidor die Bühne der Revolution. Sie organisierten sich als unabhängige und abgeschirmte, ja klandestine Strömung. Zitieren wir nochmals Kropotkin, der ihre politischen Vorstellungen in den Gesamtverlauf der Revolution einordnet. Er attestiert Babeuf eine »enge« Auffassung des Kommunismus, die Gestalt annahm, als die Reaktion des Thermidor der aufsteigenden Bewegung der Großen Revolution ein Ende bereitet hatte: »Die Idee, durch die Verschwörung, vermittels einer geheimen Gesellschaft, die sich der Macht bemächtigen sollte, zum Kommunismus zu gelangen […] ist ein Produkt der Erschöpfung – nicht eine Wirkung des aufsteigenden Saftes der Jahre 1789 bis 1793.«42 Babeufs »Aktionsmittel […] brachten die Ideen des Kommunismus auf ein niedrigeres Niveau herunter. Während viele Geister der Zeit einsahen, daß eine Bewegung in der Richtung des Kommunismus das einzige Mittel war, die Errungenschaften der Demokratie zu sichern«.43 Tatsächlich kennzeichnete das politische Projekt der babouvistischen »Gleichen« ein erheblicher Widerspruch, der den Beschränkungen der Epoche geschuldet war. Während sie klar aufzeigten, warum das repräsentative System des Parlamentarismus falsch war und die formelle Gleichheit eine Täuschung bleiben musste, solange es keine wirtschaftliche gab, sahen sich die Babouvisten als eine elitäre Führung, die imstande war, »zum Wohle des Volkes« von oben eine neue Form von Repräsentation durchzusetzen, gestützt auf die Sektionen, Klubs und Volksversammlungen, die sie »Versammlungen der Souveränität« nannten. Ihr Organisationsmodell beruhte insofern gerade auf der Aufgabe der Forderung nach Souveränität und direkter Demokratie: Der Aufstand sollte das Werk der Verschwörung einer kleinen bewussten Minderheit sein, bei dem die Führer sicherstellen, dass die Souveränität des Volkes respektiert wird – eine ausgesprochen dirigistische Vorstellung. Wie Babeufs Gefährte Philippe Buonarroti später erläuterte, sollte ein »Aufstandskomitee die Grundlagen zur sozialen Einteilung« legen, um »die Gleichheit aufrechtzuerhalten«; es sollte »die Dinge so […] leiten, daß das Prinzip der Volkssouveränität niemals verletzt werde«, dass dem Volk »keinerlei Verpflichtung […] ohne seine wirkliche Einwilligung« auferlegt werden könne und »es in seinen Beratungen alle wünschenswerte Reife« mitbringe.44

Das Unternehmen erforderte somit eine provisorische revolutionäre Diktatur, um die Volkssouveränität zu erweitern und »die wahre Demokratie« der zukünftigen kommunistischen Gesellschaft aufzubauen – eine widersprüchliche Konstruktion, in der sich spätere totalitäre Modelle andeuteten. Für die Babouvisten hing die direkte Demokratie zwar unmittelbar mit der Verwirklichung wirtschaftlicher Gleichheit zusammen, beides war aber dem verschwörerischen Handeln einer entschlossenen revolutionären Elite untergeordnet. Das sozialistisch-jakobinische Denken der nachrevolutionären Zeit konnte dieses Projekt mühelos integrieren, und wie gezeigt worden ist, weisen die Vorstellungen von Blanqui, Barbès und später der Ersten Internationale eine direkte Verwandtschaft mit denen von Babeuf und Buonarroti auf.45 Der Form, nicht aber dem Inhalt nach verändert, kehrt diese dirigistische Konzeption später auch in der Staatstheorie der Sozialdemokratie und ihrer radikalen Spielart, des Bolschewismus, wieder. Die Basisorgane sozialer Bewegungen, die Räte oder Sowjets, blieben für solche Strömungen eine »souveräne Ausnahme«, eine Kraft, die die Partei der Wissenden für das Ziel instrumentalisieren konnte, den für den Aufbau des Sozialismus notwendigen Staatsapparat zu übernehmen und umzumodeln.

 

Im Kern war dies ein jakobinisch-avantgardistisches Programm, das eine »Verkoppelung der ›Verfassung von 1793‹ mit den ökonomischen und sozialen Forderungen der Arbeiterklasse« vornahm, wie Korsch 1929 notierte. Nach dieser für die weitere Entwicklung der sozialistischen Bewegung prägenden Konzeption setzt der auf der sozioökonomischen Ebene angesiedelte Kommunismus zunächst die Einführung einer »radikalen Demokratie« jakobinischen Typs voraus – den revolutionären Staat.46 Das Führungsorgan des Aufstands muss die Form der Avantgardepartei annehmen, der revolutionäre Staat einheitlich, zentralisiert, also antiföderalistisch organisiert sein.