Der Fluch des Todes

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Der Fluch des Todes
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CHRISTIAN BASS

DER FLUCH DES TODES

KURZGESCHICHTEN

Christian Bass macht das moralische Recht geltend, als Autor dieser Kurzgeschichten identifiziert zu werden.

Ahrensburg. Eine kleine, friedliche Stadt im Norden von Hamburg, in der nie etwas Aufregendes passiert, bis eines Tages ein Ehemann von den Toten zurückkehrt. Will er sich an seiner Mörderin rächen oder hat er einen anderen Beweggrund?

Dieses und weitere ungewöhnliche Ereignisse in und um Schleswig-Holstein herum, vereinen sich in dieser Kurzgeschichtensammlung.

Christian Bass beschert seinen Lesern ein buntes Potpourrie unterschiedlichster Texte aus verschiedenen Schaffensepochen. Tauchen Sie ein in die Gedankenwelt eines Lebemannes, der durchaus in der Lage ist, komplexe Szenen in kurzen Worten prägnant zu beschreiben.

Jede Kurzgeschichte aus diesem Sammelband lädt zum Nachdenken und philosophieren über unsere Gesellschaft ein, offenbart Missstände ohne dabei die Wertschätzung des menschlichen Lebens zu verraten.

Diese Geschichte n sind ein Werk der Fiktion. Namen und Personen sind das Produkt der Phantasie des Autors und jegliche Ähnlichkeit mit realen Personen, lebend oder tot, ist rein zufällig.

MEINE STIMME

Ich bin kein Dichter und kein Denker,

weder bin ich Richter noch ein Lenker,

auch das Volk vermag ich nicht zu sein,

mit meiner Stimme bin ich meist allein.

Doch eines dessen seid stets gewahr,

ich benenne die Dinge, die ich sah!

Ich sprech aus was andere denken,

lasse mich nicht länger von Euch lenken,

bin zu jedem neuen Kampf bereit,

bis Gerechtigkeit wieder ist befreit,

und mag es auch noch Jahre dauern,

ich werde meinen Weg nicht betrauern.

@2011

KURZGESCHICHTEN AUS ZEITMANGEL

In den letzten Wochen habe ich diesen Satz immer wieder bei Autorenvorstellungen in sämtlichen Facebook-Gruppen gelesen.

Abgesehen davon, dass ich persönlich schon einmal nicht verstehe, wie Zeitmangel Einfluss auf den Inhalt einer Geschichte nehmen kann, finde ich diesen Satz allein aus Marketinggründen sehr bedenklich. So heißt dieser Satz nichts anderes als: Ich habe da einen super Roman, aber leider fehlte mir die Zeit, ihn zu schreiben, weswegen ich ihn halt nur in einer kurzen Fassung anbieten kann.

Und eine Kurzfassung heißt faktisch nichts anderes als, das am Inhalt gesparrt wurde. Also haben wir es hier mit einer nicht wirklich ausgereiften Geschichte zu tun, die vermutlich nur auf den Markt gebracht wurde, um schnell Geld damit zu verdienen.

Ich schreibe auch Kurzgeschichten, sogar oftmals noch eine Gattung kürzer, Gedichte. Ich habe neben meiner eigenen Firma, noch einen Haushalt zu führen, da ist Zeit zum Schreiben oftmals gar nicht vorhanden, und wenn es dann doch mal ein paar freie Minuten gibt, verplempere ich diese sogar noch mit dem Schreiben von Blogeinträgen.

Dennoch, ich würde nie behaupten, dass ich Kurzgeschichten und Gedichte nur aus Zeitmangel schreibe, alleine schon, weil es gar nicht stimmt. Wirklich nirgendwo steht geschrieben, wie lange ein Autor an ein und derselben Geschichte schreiben darf.

Jeder Autor sollte wissen, dass jede Geschichte zu ihrer ganz eigenen Zeit kommt, durchaus vergleichbar mit der Geburt eines Kindes, nur dass diese Schwangerschaft keine festgelegte Dauer beträgt.

Ein weiterer, nicht ganz unwichtiger Punkt ist:

Kurzgeschichten sind eine ganz eigene Kunstform, die neben Erzählungen, Novellen und Romanen in der Literatur besteht. Sie ist in ihrer Art mehr oder weniger festen Regeln unterworfen, die man jedoch kaum einhalten kann, wenn man sie als Roman beginnt.

Solche Aussagen „Kurzgeschichten aus Zeitmangel“ ziehen diese Kunstform der Literatur ins Negative herab, was jedem, der sich ernsthaft mit ihr beschäftigt, ein Dorn im Auge sein sollte. Und auch dem Leser, Ihnen, sollte immer klar sein, dass sich hinter einer solchen Aussage zwangsweise auch mangelhafte Qualität verbergen muss.

Wie sagte Stephen King einmal: Aus einer guten Kurzgeschichte kann kein Roman, und aus einem guten Roman würde niemals eine gute Kurzgeschichte werden.

Ich schreibe Kurzgeschichten, nicht weil ich keine Zeit habe, was Längeres zu schreiben, sondern weil es mir einfach Spaß macht, mich mit dieser Kunstform auseinanderzusetzen. Außerdem bin ich davon überzeugt, dass die Geschichten ihre Länge selbst bestimmen.

Als Leser liebe ich Kurzgeschichten, hin und wieder auch einmal einen Roman, aber am Liebsten halt Novellen und Kurzgeschichten. Nicht aus Zeitmangel, sondern weil mir die Art und Weise, wie die Geschichten aufgebaut sind, einfach besonders zusagt.

Und ich hoffe, Ihnen geht es ebenso.

Ihr

Christian Bass

Herzlich W illkommen

i m L and meiner Kindheit:

Schleswig-Holstein!

DER TEDDY-BÄREN-MORD

Den ganzen Tag hatte es geregnet und es regnet noch immer ununterbrochen, als der schwarze BMW 640i Gran Coupé die einsame Landstraße entlang fuhr. In der nächtlichen Dunkelheit war er kaum auszumachen. Der Fahrer hatte es versäumt, die Scheinwerfer in Betrieb zu nehmen.

Sam Hohlbein war auf dem Weg zu seinem neuen Auftragsgeber, der ihn angeblich überdurchschnittlich bezahlen sollte und nach den ersten Gesprächen sah es auch so aus. Ebenso hatte er bereits eine Anzahlung in Höhe seines üblichen Honorars bereits erhalten. Die gleiche Summe würde er noch einmal erhalten, wenn er sich zur abgesprochenen Zeit am abgesprochenen Ort einfand, sowie nach Abschluss seiner Arbeit.

Um was für einen Auftrag es sich nun genau handelte, dass wusste Sam noch nicht. Selbst Ali Raissah, der ihm diesen Auftrag besorgt hatte, konnte keine näheren Details nennen. Aber vielleicht war das auch besser so, obwohl sich Sam keineswegs vorstellen konnte, in seiner angeschlagenen, finanziellen Situation einen derart gut bezahlten Job abzulehnen.

Bald schon sollte er mehr erfahren.

Doch bis es so weit war, ging er noch einmal alle ihm bekannten Einzelheiten durch, auch wenn sie mehr als dürftig waren. Nach Alis Angaben handelte es sich bei dem Auftraggeber um niemand Geringeres, als um Sir Henry Pelican, einem englischen Grafen, der vor ein paar Jahren nach dem ungeklärten Tod seiner Frau nach Schleswig-Holstein umgesiedelt war. Weswegen wusste nicht einmal die Klatschpresse zu berichten.

In den letzten Jahrzehnten hatte sich Sir Henry Pelican ein kleines Vermögen mit Pferdewetten erwirtschaftet. Laut einigen alten Presseberichten war dieses jedoch nicht auf seriösem Wege geschehen, sondern jemand hatte im Hintergrund diese Rennen manipuliert. Aber sie hatten es ihm nie nachweisen können. Sam vermutete, dass lag durchaus auch daran, dass die Queen dabei ihre Finger im Spiel hatte, weswegen sie ihn auch vor dreizehn Monaten zum Sir geschlagen hatte und ihn so in den Grafenstand erhob.

Und genau damit begann das Rätselhafte um den Grafen, was ihn vermutlich schließendlich nach Deutschland in den Ruhestand trieb. Noch vor seinem Umzug hatte Pelican auf einer Pressekonferenz über die ungewöhnlichen Unfälle in seinem Umfeld geäußert: „In meinem Haus spukt es. Die Morde passieren, weil ich in einem Geisterhaus wohne. Deswegen konnte Scotland Yard bisher auch keine Ergebnisse ermitteln. Die einzigen Mörder, die hier ihr Unwesen treiben, sind Dämonen und andere Ausgeburten der Hölle.“

Beinahe ein Jahr lang hatte er zuvor in den Nachrichten verbracht, da immer wieder Hausangestellte auf merkwürdige Art und Weise ums Leben kamen. Sam hatte der Pressekonferenz damals beigewohnt, weniger, weil er es wollte, als viel eher, weil er sich gerade auf der Flucht befand und in der Menge der Journalisten ein sicheres Versteck fand. Nie hätte er sich erträumen lassen, dem Grafen einmal von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen, und doch sollte es nun dazu kommen. Auch wenn es ihm ein leichtes Unbehagen verschaffte, dass er nicht wusste, weswegen dieser alte Mann nun einen Auftragskiller brauchte.

Noch immer fraß Sams BMW die Landstraße mit viel zu hoher Geschwindigkeit in sich hinein; ebenso wenig wie die Scheinwerfer noch immer nicht die Dunkelheit mit ihren hellen Strahlen durchschnitten. Ihm war durchaus bewusst, dass er so dem einen oder anderen entgegenkommendem Autofahrer auffiel und diese bestimmt irgendwann dies der Polizei meldeten. Aber er blieb nie lange auf einer Straße, um sich darüber sorgen zu machen. Bisher hatten sie ihn noch nie erwischt, obwohl er in beinahe jedem Land wegen Mordes gesucht wurde. Egal, in welchem Land er sich auch gerade aufhielt, sie bemerkten ihn immer erst, wenn er eine Leiche hinterließ.

Sam Hohlbein schaute in den Rückspiegel seines Wagens und was er dort sah, beunruhigte ihn zutiefst. Von hinten – noch kaum erkennbar – näherte sich ein Streifenwagen mit Blaulicht. Der Schock hielt nicht lange an. Wozu hatte er ein Gaspedal und den neusten BMW, wenn nicht, um Peterwagen davonzufahren.

Er beschleunigte auf über 200 Stundenkilometer.

Ein weiterer Blick in den Rückspiegel genügte ihm, um seine Vermutung zu bestätigen: Sie hatten ihn noch nicht entdeckt, zumindest wurde das Blaulicht immer kleiner, bis es ganz aus seinem Blickfeld verschwand. Sofort drosselte er sein Tempo wieder, bis er nur noch knappe hundert fuhr. Es reichte aus, um der Polizei davonzufahren.

 

Nach einer halben Stunde hatte er sein Ziel, die Villa Pelican Manor in der Holsteinischen Schweiz, erreicht.

Es war ein riesiges Grundstück, in dessen Mitte die prunkvolle Villa stand. Einst hatte sie Adolf Kaufmann gehört, bis er sie vollkommen heruntergekommen zu einem Spottpreis an Sir Henry abtrat. Dieser hatte das alte Gebäude von grundauf saniert und umgebaut, sodass da nun ein märchenhaftes, herrliches Schloss stand, welches eher in eine englische Grafschaft passte, als in diese typisch Norddeutsche Kulisse.

Sam Hohlbein vor bis zum schmiedeeisernen Tor vor, ließ sein Fenster herunterfahren und betätigte die Gegensprechanlage, woraufhin eine metallisch, verzerrte Stimme ihn aufforderte, seinen Namen und sein Anliegen zu nennen. Er nannte beides.

Langsam öffnete das Tor sich. Sein Herz begann zu heftig zu pochen, was ein klarer Indiz dafür war, dass er in ein Gebiet eindrang, in dem ihm Gefahr drohte. Eine innere Stimme forderte ihn auf, dass er sofort umkehren sollte, doch wieder einmal verlor seine Vernunft gegen seine Neugierde. Auch wenn er sich noch nicht sicher war, dass er diesen Auftrag tatsächlich annehmen würde, so wollte er ihn sich auf jeden Fall einmal anhören. Dieser Mann interessierte ihn einfach, weniger aus beruflichen Gründen, als viel eher aus einer privaten Neugier heraus.

Sam trat das Gaspedal durch, beschleunigte seinen BMW die kurze, gewundene Auffahrt hinauf, die durch einen kleinen Nadelwald führte, der die Villa von den Blicken vorbeispazierender Gaffer bewahrte, und bremste direkt vor dem breiten Eingang mit quietschenden Reifen ab.

In einem Actionfilm wäre der Held nun aus dem Wagen gesprungen ... Nur dies war kein Actionfilm und Sam Hohlbein war auch alles andere als ein Held. Er blieb noch einen kurzen Moment hinterm Steuer sitzen, damit sein Herz sich beruhigen konnte. Das tat es aber nicht.

Er atmete ein paar Mal tief durch, aber selbst das half nicht.

Mit seiner rechten Hand tastete er nach seinem Herzen; es schlug wild gegen seine Brust. So etwas war ihm in seiner jahrzehntelanger Laufbahn als Killer noch nicht untergekommen. Noch nie zuvor war er derart nervös geworden vor einem Auftrag. Von irgendwoher drohte ihm Gefahr, erhebliche Gefahr, todbringende Gefahr. Die Stimme seiner Vernunft riet ihm eindringlich, mahnend, sofort das Weite zu suchen, schaffte es aber nicht, sich gegen seine Neugier zu behaupten.

Sam Hohlbein fasste sich, öffnete die Wagentür und stieg hastig aus. Hinter sich schlug er sie zu, wollte den BMW mit dem Funkschlüssel verriegeln, entschied sich aber im letzten Moment dann doch dagegen. Kopfschüttelnd – die kühle Nachtluft tat ihm gut – ging er auf das riesige Eingangsportal zu. Direkt daneben wurde eine kleine, halbwegs versteckte Tür geöffnet und ein alter Mann mit schmalen, eingefallenem Gesicht, weißgrauen Haar und im Rollstuhl sitzend tauchte in seinem Blickfeld auf, winkte ihn zu sich heran. Sam erkannte ihn sofort, auch wenn Sir Henry nur noch ein Schatten seiner ehemals imposanten Figur war.

„Kommen Sie herein, Herr Hohlbein!“ forderte dieser ihn auf.

„Nennen Sie mich doch einfach Sam. Für Förmlichkeiten ist in meinem Business keine Zeit.“ Er ging an seinem Auftragsgeber vorbei, betrat die riesige Eingangshalle und blieb erst einmal stehen. Sellten hatte er einen solchen Prunk zu Gesicht bekommen und er musste zugeben, auch wenn ihm das einfache Leben in Plattenbausiedlungen mehr zusagte, dass es schon etwas hatte. Zumindest für eine gewisse Zeit konnte er sich bestimmt ebenfalls an ein solches Leben gewöhnen. Bestimmt sogar, nur halt nicht für immer.

Sir Henry führte den Killer in den kleinen, versteckten Wohnraum, der vom riesigen Speisesaal der Villa abging. Dort verwies er ihn an einen großen, leicht verschlissenen Ledersessel und wartete darauf, dass Sam platznahm, was dieser mit einem höflich dankendem Kopfnicken auch tat.

Sobald er platzgenommen hatte, rollte der Graf seinen Rollstuhl so in Position, dass sich beide gegenüber saßen. Er räusperte sich nach einer Weile, schluckte einmal heftig, dann begann er zu erzählen und ein richtiger Wortschwall platzte aus dem sonst so wortkargen, alten Mann hervor:

„Sie müssen umbedingt einen Mord für mich ausführen. Es ist sehr wichtig für mich, wissen Sie, es geht um mein Leben. Ganz bestimmt sogar. Da will mich jemand aus dem Weg haben. Also ... ich glaube, es ist das Beste, wenn ich Ihnen die ganze Geschichte erzähle, Mister Hohl... ehm Sam. Einverstanden?“

Der Killer nickte nur. Er mochte zwar keine langen Reden, aber wenn ein Auftraggeber ihm eine Geschichte mitzuteilen gedachte, dann musste er sie sich eben anhören. Dafür wurde er schließlich nicht schlecht bezahlt.

„Okay“, fuhr Sir Henry fort, „es begann damals, ein Jahr bevor meine liebe Ehegattin Amalia – selig sei ihre Seele – verstarb. Sie hatte einen Teddybären Tick müssen Sie wissen. Aus mir unbegreiflichen Gründen liebte sie diese Stoffmonster einfach und konnte von ihnen auch nie genug bekommen.

Wir waren gerade in Indien auf Erholungsreise, als sie diese beiden Bären entdeckte. Es muss auf einem Basar in Delhi gewesen sein, ist aber ja eigentlich egal. Auf jedenfall kaufte sie diese beiden Teddys für ihre damals schon riesige Sammlung. Und diese Bären hatten es in sich. Ich konnte es fühlen. Mein Herz raste jedesmal wie wild, wenn ich sie sah. Ich muss Ihnen wohl nicht sagen, dass ich sie vom ersten Tag an gehaßt habe. Und ich habe sie gehasst, wie sonst keinen anderen ihrer Stoffmonster, obwohl einige sehr angsteinflößende darunter waren. Ich habe sie gehasst, weil ich Angst vor ihnen hatte. Richtige Angst. Aber das kennen Sie ja bestimmt.“

Sam Hohlbein nickte erneut. Er verstand dieses Gefühl sehr gut. Aus Angst hassen tut fast jeder einmal in seinem Leben, egal ob es die Angst vor den Fremden oder der eigenen Zukunft ist. Ja, er verstand es nur zu gut.

„Ein Jahr später geschah es dann: Meine liebe Ehegattin Amalia – seelig sei ihre Seele – wurde auf heimtückische Art und Weise ermordet. Und die Mörder wurden nie gefasst, wie Sie ja sicherlich wissen. ... Sie brauchen gar nicht mit dem Kopf zu schütteln, ich weiss, dass Sie mich bereits seit längerem beobachten und verfolgen. Ein Mann in meiner Position bekommt so etwas natürlich mit.“

Nur mit Mühe gelang es Sam den Impuls aufzustehen und sofort das Weite zu suchen, zu unterdrücken. Hier stimmte etwas ganz und gar nicht und das machte ihm Angst.

Natürlich hatte Sir Henry recht und er kannte den Fall und wusste auch, dass damals als Todesursache ein Treppensturz ohne Fremdverschulden genannt wurde. Es kam ihm damals schon merkwürdig vor, wieso eine gesunde Frau in ihren besten Lebensjahren die Treppe herunterfiel. Wie viele andere, hatte auch er darauf spekuliert, dass der Ehemann nicht ganz so unschuldig daran war und es bestimmt nicht lange dauern würde, bis es eine neue Lady Pelican gab. Doch nichts davon passierte.

Und jetzt, wo er dem alten Mann beim Reden zu sah, wusste er, dass dieser mit dem Tod seiner Frau nichts zu tun hatte. Die Liebe und Trauer in seinen Augen konnte nicht gespielt sein; die war echt – da war er sich absolut sicher. Nein, irgendetwas anderes ging hier vor. Irgendetwas unheimliches, das sein Vorstellungsvermögen überschritt.

„Angeblich sei alles nur ein Unfall gewesen, haben die Behörden behauptet, ohne jemals eine andere Möglichkeit in Betracht zu ziehen. Er wollten sie mich zum Mörder meiner Ehegattin Amalia – seelig sei ihre Seele – machen und dann wurde es eben als Unfall dargestellt.“

Sir Henry machte eine kurze Pause, räusperte sich und kramte ein besticktes Taschentuch aus seiner Hemdtasche. Er tupfte sich damit vorsichtig die Augen ab und ließ es dann wieder verschwinden.

„Dabei haben die Mörder mein Anwesen nie verlassen, müssen Sie wissen. Und bis zum heutigen Tag treiben sie ihr Unwesen auf meinem Gelände. Selbst der Umzug von Yorkshire hierher hatte keinen Erfolg, auch wenn es am Anfang so aussah, als wäre ich sie losgeworden. Doch dann standen sie eines nachts plötzlich wieder auf ihrem angestammten Platz in der Vitrine hinter Ihnen, wo sie auch jetzt immer noch stehen, nur darauf warten, auch mein Lebenslicht auszulöschen.“

Das konnte er doch nicht ernst meinen, schoss es Sam durch den Kopf, als er sich umdrehte und zur kleinen Vitrine hinüber sah, das konnte er doch unmöglich selber glauben.

Bis auf zwei kleine, gar nicht einmal so häßlich aussehende Teddybären, die hinter dem milchig, verdreckten Glas darauf warteten, dass jemand sie zärtlich herausnahm, war diese Vitrine leer. Bereits auf dem ersten Blick nahm er wahr, dass sie schon lange nicht mehr geputzt worden war, was die Aussage seines Gegenübers auf eine unheimliche Weise unterstrich: Er schien es tatsächlich zu glauben. Oder irrte er sich da? Und was hatten diese beiden Teddys mit seiner Anwesenheit auf Pelican Manor zu tun?

„Unheimlich, nicht wahr?“

Sam nickte zustimmend. Auch wenn er die beiden Bären weniger unheimlich fand, als seine Anwesenheit hier.

„Kaum dass sie zurück waren, begann alles von Vorne. Als sie anfingen meine Bediensteten zu ermorden, versuchte ich sie loszuwerden. Doch egal was ich tat, es war zwecklos. Sie kamen immer wieder. Ich glaube, um sie loszuwerden, müssen sie zurück zur Hölle geschickt werden. Ganz bestimmt sogar. Auch dies habe ich versucht, wieder erfolglos. Beim Versuch, sie im Garten zu verbrennen, kam mein letzter mir verbliebener Angestellter zu schaden. Diese ... diese Wesen haben ihn zwar am Leben gelassen, dafür mussten ihm beide Beine und Arme amputiert werden. Für ihn und seine Familie wäre es also besser gewesen, sie hätten ihn umgebracht.“

Ebenso für deinen Geldbeutel, alter Mann, dachte Sam ein wenig erleichtert, dass sich nun doch wohl noch alles ganz normal weiterentwickelte.

Von dem Unfall des Butlers hatte er in der Zeitung gelesen. Der Mann muss beim verbrennen des Gartenmülls so unglücklich gestürtzt sein, dass er sich dabei beide Arme und Beine so stark verbrannte, dass die Ärtzte keinen anderen Ausweg sahen, um ihm am Leben zu erhalten, als ihm diese kurzerhand zu amputieren. Ein hartes Schicksal und Sam verstand nur zu gut, wieso Sir Henry ihn nun zu sich bestellt hatte. Er hätte vermutlich nicht anders gehandelt.

„Und nun zu Ihnen, Sam.“ stieß Sir Henry endlich zum Kern der Sache vor. „Durch puren Zufall habe ich erfahren, wer sie wirklich sind. Ich hatte mich immer schon gewundert, wieso sie bei meinen Presseterminen zwar anwesend sind, jedoch nie etwas mitschrieben und auch keine Redaktion sie kannte.“

„Woher ...“

„Nein, lassen Sie mich bitte aussprechen. Woher ich weiß, welcher Berufung sie nachgehen, tut hier nichts zur Sache. Ebensowenig, wie ich sie habe ausfinding machen können. Ich hab da halt so meine Quellen.“

„Okay, lassen wir das.“

„Sie sind meine letzte Chance. Bitte. Bitte übernehmen Sie den Fall. Ich bitte Sie aus tiefstem Herzen, machen sie diesem Spuk ein Ende.“

„Wie hoch sind meine Gewinnchancen?“ wollte Sam Hohlbein wissen, mehr aus Gewohnheit, als das es ihn aufrichtig interessierte. Er hatte seinen Auftraggeber die ganze Zeit über studiert, ganz wie es seiner Routine entsprach. Dabei hatte er festgestellt, dass dieser unter einer panischen Angst litt, dass ihm der Tot seiner Ehegattin Amalia – sellig sei ihre Seele (Sam verdrehte innerlich die Augen bei dem Gedanken) – noch immer sehr nahe ging. Schon immer waren Sam die Gefühle anderer egal gewesen, ebenso wie er noch nie einen Mord aus Mitleid erledigt hatte, doch irgendetwas war hier anders. Auch wenn er nicht sofort zuzusagen gedachte, so war ihm bereits klar, dass er diesen Auftrag annehmen würde. Wieso konnte er selbst nicht wirklich sagen.

„Ich wünschte, ich könnte Ihnen etwas anderes sagen, aber ihre Chancen stehen ... wenn sie so gut sind, wie alle behaupten ... vielleicht bei etwa Fünfzig zu Fünfzig.“ antworte Sir Henry. Er ahnte bereits, dass der Killer den Auftrag abzulehnen gedachte. „Ich weiß, dass Ihre Chancen nicht besonders gut stehen, aber ich bitte Sie trotzdem inständig, Sam, bitte machen Sie dem Spuk ein Ende, ein schön grausames Ende!“ Den letzten Satz spieh er förmlich hinaus.

Sam Hohlbein zögerte einen kurzen Moment, durch den letzten Satz seines Gegenübers leicht verunsichert, doch dann antwortete er schließlich: „Ich werde Ihnen helfen, Sir Pelican.“

Er stand langsam auf und schlenderte gedankenverloren auf die Glasvitrine am Ende des Raumes zu, um sich die beiden ‚Monster‘ einmal aus der Nähe anzuschauen. Sir Henry folgte ihm schweigend in seinem Rollstuhl.

 

Noch immer verstand er nicht, wieso der Graf ihm eine solche unglaubwürdige Geschichte aufgetischt hatte, wo die einfache Wahrheit auch genügt hätte, damit er den Auftrag annahm. Und irgendwie ehrte es Sir Henry auch, dass er das Leid eines Angestellten beenden wollte.

Sam hatte bereits weniger ehrhafte Mordaufträge übernommen, als diesen. Meistens spielte sogar Eifersucht oder Jobangst eine Rolle, wieso ein Mensch sterben musste. Dahingegen war dies doch schon fast wieder human. Nein, definitiv kein Grund, ihm eine solche mysteriöse Geschichte aufzutischen. Aber wenn es den alten Mann so angenehmer ist, seine Tat zu rechtfertigen, dann war es eben so.

Aus der Nähe betrachtet konnte er erst so richtig erkennen, wie verdreckt die Glasvitrine tatsächlich war. Sofort beschlich ihn erneut ein sehr ungutes Gefühl, welches er sich immer weniger erklären konnte, ebensowenig wie er eine Ahnung hatte, wieso der Graf glaubte, dass ein körperlich behindertes Opfer seine Chancen auf Erfüllung des Auftrags irgendwie mindern würde. Aber das war ihm am Ende auch egal.

Eine dicke Staubschicht hatte sich auf dem Boden der Vitrine abgesetzt und mittendrin saßen die beiden Teddys. Sofort fiel es ihm auf, ohne dass er es bewusst wahrnahm. Doch es ließ seine Eingeweide schmerzhaft zusammenkrampfen, was in einem kurzen Aufstöhnen endete.

Die beiden Teddys sahen mehr als nur normal aus, wie Teddybären heutzutage eben aussahen. Sie waren weder besonders alt, noch besonders aussergewöhnlich. Ebenso sah er ihnen ihre Herkunft nicht an. Die beiden Bären ähnelten sich, unterschieden sich nur in der Kleidung die sie trugen. Sie waren beide hellbraun, der Eine etwas heller als der Andere, zumindest wirkte es so, aber er konnte es nicht mit Gewissheit sagen.

Der Teddy zu seiner Linken trug einen dunkelblauen Overall, sowie eine französisch-anmutende Mütze. Beides aus Baumwolle gestrickt. Wohingegen der andere Bär ein weißes Leinenhemd trug, auf dem etwas in so kleinen Buchstaben stand, dass Sam sie nicht entziffern konnte. Dazu trug er eine schwarze, offene Lederjacke und eine Fliegermütze, ebenfalls aus schwarzem Leder.

Als Kind hätte er sich bestimmt über sie gefreut, zumindest hätte er im Kindergarten bestimmt mit ihnen angeben können. Jedenfalls machte beide nicht den Eindruck auf ihn, sie seien brandgefährlich und hätten schon Morde hinter sich. Natürlich nicht, schließlich handelte es sich ja auch um zwei Stoffbären und nicht irgendwelche Horrorfilm-Monster. Von denen drohte weder ihm sonst noch irgendwem eine tödliche Gefahr, ganz gewiss nicht.

„Das Aussehen täuscht“, flüsterte Sir Henry neben ihm.

Einen kurzen Moment dachte Sam darüber nach, etwas zu erwiedern, entschied sich dann aber dagegen. Was brachte es, wenn er seinen Auftraggeber direkt oder indirekt der Lüge bezichtete? Jedoch kam er nicht umhin, dem alten Mann einen kurzen, ungläubigen Blick zuzuwerfen. Dabei realisierte er, dass dieser ihm einen Schlüßel hinhielt.

Erst jetzt bemerkte er, dass die Vitrine verschlossen war, daher nahm er den Schlüßel entgegen und schloss vorsichtig – damit er ja keine verwertbaren Abdrücke auf der Staubschicht hinterließ, auch wenn es kaum umgänglich war – die Vitrine auf. Sobald der Schlüßel sich knackend im Schloß herumdrehte, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen und er bereute für einen kurzen Moment diesen Schritt. Doch zur Umkehr war es nun zu spät.

Obwohl die ganze Vitrine mit Staub bedeckt war, die beiden Teddybären waren es nicht. Im Gegenteil, sie wirkten richtig sauber und gepflegt, so als würden sie erst seit wenigen Minuten in diesem Ding eingesperrt sein.

Der Graf musste ihn belogen haben, nach Strich und Faden belogen haben, schoss es dem Killer durch den Kopf. Wieder und wieder immer der gleiche Gedanke. Flucht. Weg hier. Flucht. Doch diese Blöße wollte Sam sich nicht geben. Nein, er hatte diesen Auftrag angenommen und solange es keine klaren Anzeichen – abgesehen von den Hirngespinsten eines alten Mannes – einer Gefahr gab, würde er diesen auch zu Ende bringen. Egal, was es mit dieser eigentümlichen Teddygeschichte auf sich hatte.

Er musste sich beruhigen. Verdammt. Das war doch nicht mehr normal. Zweifach Verdammt. Sam hielt inne und atmete einmal tief durch. So etwas war ihm bisher noch nie passiert; er hatte es nicht einmal für möglich gehalten, dass ihm so etwas wiederfahren konnte. Was war nur auf einmal mit ihm los?

Er verstand seine Angst nicht. Eine Gefahr schien hier nicht auf ihn zu warten, ganz gewiss nicht. Konnte es einfach sein, dass Jobmüde wurde? Vermutlich, was anderes konnte es nicht sein. Er schloss seine Augen, nahm sich fest vor, dass dies sein letzter Mord werden würde, dann öffnete er sie wieder.

Der Killer verbannte seine Angst in die hinterste Ecke seines Kopfes und zog die Glastür der Vitrine auf. Er musste einfach einen dieser Stoffwesen wenigstens einmal berühren, bevor er sich erneut an Sir Henry wandte, um die letzten Details des Mordes zu klären.

Er nahm einen der beiden Teddybären heraus. In dem Moment als er ihn berührte, brach ihm der kalte Angstschweiß aus und lief sturzbachartig seinen Rücken hinab. Sein Herz erhöhte die verdoppelte die Schlagzahl und seine Finger begannen zu zittern. Von diesen Kuscheltieren ging eine gewaltige Aura aus; die Aura des Bösens. Die Aura des Todes, des Teufels.

Aber dies war noch nicht einmal das Schlimmste, obwohl sie ihn bereits um seinen Verstand fürchten, sondern die Art, wie sie sich anfühlten. Eigenartig. Genauer konnte er es noch nicht definieren. Sofort ließ er den Teddy wieder los.

„Sir Henry, hatten sie diese beiden Teddys jemals in der Hand?“, presste Sam Hohlbein geschockt hervor.

„Nein“, antwortete dieser, „aber ich weiß, was Sie meinen Sam. Niles, mein Butler, hat mir kurz vor seinem schlimmen ‚Unfall‘ erzählt, dass sich die beiden nicht wie Teddys anfühlten, sondern wie ...“

„... zwei reale Lebewesen.“ vollendete er den Satz. Und genauso fühlten sie sich tatsächlich an. Aber das konnte doch nicht sein; das war einfach unmöglich. Sam hielt kein kuscheliges Stofftier in seiner Hand, sondern ein eigenständiges Lebewesen. Das Fell war nicht kuschelig weich, sondern rauh und struppig. Und er konnte spüren, wie etwas in dem kleinen Körper pulsierte, dennoch ließ nichts darauf schließen, dass der Bär atmete, lebte.

Geschockt starrt der Killer das vermeintliche Stofftier an, nicht in der Lage, diese Erkenntnis zu verarbeiten. So etwas hatte er noch nie erlebt. Das durfte es einfach nicht geben.

Angewiedert wollte er den Bär wieder zurück in die Vitrine stellen, dabei rutschte er ihm aus der Hand und fiel hinab auf den Boden. Sofort konnte er eine kleine, hohe Stimme vernehmen, die sich über den Aufprall beschwerte.

Sam warf einen verwunderten, fragenden Blick auf Sir Henry, suchte nach einer Bestätigung, dass er sich dieses ‚Geräusch‘ nicht nur eingebildetet hatte und fand sie auch in dessem aschfahl gewordenem Gesicht.

Er hatte es sich also nicht eingebildet.

Noch bevor einer von ihnen etwas sagen konnte, stand der kleine Teddy auf und torkelte mit seinen kurzen Beinen auf Sam zu. Instinktiv zog er seine Smith & Wesson und wich ein paar Schritte zurück, um eine bessere Schussbahn zu bekommen.

Doch dazu sollte es nicht mehr kommen. Das lebendige Kuscheltier war schneller, als er vermutete, erreichte sein Hosenbein und kletterte behändig daran hinauf.

Geistesgegenwärtig schüttelte Sam Hohlbein sein Bein so stark wie er konnte. Das Wesen, welches nicht darauf vorbereitet war, verlor seinen Halt und wurde wuchtig in die Zimmerecke geschleudert. Dort blieb es erst einmal regungslos liegen.

Für einen kurzen Moment flammte in Sam die Hoffnung auf, dass er den Teddy damit erledigt hatte.

Geschockt starrten die beiden unterschiedlichen Männer auf den Teddybären, unfähig das Erlebte zu verarbeiten. Sam erholte sich am Schnellsten aus seiner Starre, schüttelte diese ab, hob seine Waffe an, zielte auf den Kopf des Teddys und drückte ab.