Zeitenfülle

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

(4) W. Pannenberg: Dauernde Gegenwart

Von der trinitarisch-lebendigen Einheit Gottes ausgehend, kritisiert Wolfhart Pannenberg die inkommensurable Gegenüberstellung des metaphysischen Zeit–Ewigkeitsdualismus von Gott und Mensch, der Gott auf ein leeres und eigenschaftsloses Wesen der absoluten Ruhe und Bewegungslosigkeit reduziere, so dass dieser mit der zeitlichen Wirklichkeit nicht mehr in Verbindung gebracht werden könne. Pannenberg stellt diesem abstrakten Verständnis den Gott der biblischen Tradition gegenüber, der lebendig handelnd die Einheit der schöpferischen Mannigfaltigkeit selbst ist: »Er ist in seiner ewigen Treue zu sich selbst der Ursprung der Geschichte, durch die er alle Dinge allgegenwärtig umfasst. Nur darum kann er im Unterschied zum Gott der griechischen Philosophen der geschichtlich handelnde Gott sein.«121 Deshalb kann auch die Zeit der Schöpfung und des Menschen keine abstrakte und leere Zeit sein, sondern nur in tiefer Einheit mit der Zeit des lebendigen Gottes verstanden werden. Die innere Verbindung beider Zeitweisen macht Pannenberg im Rahmen seiner dreibändigen »Systematischen Theologie« an drei Momenten fest: Erstens an der Zukünftigkeit Gottes, die die endliche Gegenwart als eschatologische Antizipation der Vollendung verlebendigt; zweitens an der Deutung der Zeit als Dauer, die einmal als geschöpfliche Zeit »zeitüberbrückende Gegenwart«122 und als solche Abbild der Ewigkeit ist, welche als »zeitübergreifende Dauer«123 die Trennung der drei horizontalen Zeitekstasen aufhebt, so dass die Erfahrung der Zeit als Dauer immer auch fragmentarische Erfahrung von Ewigkeit ist; drittens schließlich am Feldgedanken, den Pannenberg zur Beschreibung der Einheit von geschöpflicher und trinitarischer Wirklichkeit heranzieht. Auch wenn es nahe liegt, alle drei Momente als je spezifischen Reflex auf die Perichorese von göttlicher und geschöpflicher Gegenwart zu beziehen, darf dies im Blick auf Pannenbergs eigenes Misstrauen hinsichtlich des Perichoresebegriffes nicht vorschnell geschehen. Pannenbergs Skepsis gegenüber dessen leichtfertiger Verwendung richtet sich gegen die im Verständnis der Perichorese selbst begriffene Unschärfe, die Unterschiedenheit gegenüber der Einheit zu betonen124. Wie noch zu sehen sein wird, setzt diese Kritik voraus, der Perichoresebegriff müsse eine Lösung des Gleichursprünglichkeitsproblems darstellen, verkennt dabei jedoch in Bezug auf dessen formale Unvereinbarkeit von Einheit und Verschiedenheit dessen darin bestehendes reflexives Vermögen, das Konstitutionsproblem theologisch als rational nicht fass- und lösbares Geheimnis zu bewahren.

(5) J. Moltmann: Kommende Gegenwart

Am deutlichsten tritt der Begriff der Perichorese im Denken Jürgen Moltmanns hervor, dessen prozessual-panentheistischer Ansatz die Wirklichkeit als wechselseitige Durchdringung und gegenseitige Transparenz der verschiedenen Lebensbereiche bestimmt: Himmel und Erde, Person und Natur, Geistigkeit und Sinnlichkeit. Moltmann spricht in seiner Eschatologie »Das Kommen Gottes« von der gegenseitigen Durchdringung dieser Dimensionen, die ein wahrhaft neues Weltsystem ergeben, sowie von der wechselseitigen Einwohnung Gottes und der Welt. Die endliche Welt und das endliche Leben haben ungebrochen und unverstellt Teil an der Herrlichkeit und Lebendigkeit des dreieinigen Gottes. Den Umschlagpunkt von Zeit in Ewigkeit, nicht als Abbruch und Neubeginn, sondern als Übergang und Passage gedacht, bezeichnet Moltmann als den »eschatologischen Augenblick«, die Zeit der neuen Schöpfung »als äonische Zeit«. Er spricht direkt von einer »Perichorese zwischen Zeit und Ewigkeit in jenem neuen Aion, so dass man einerseits von ‘ewiger Zeit’ und andererseits von ‘zeiterfüllter Ewigkeit’ sprechen kann.«125 Dementsprechend muss ein chronologisierter Begriff von Zukunft vermieden werden, der der Schöpfung die Neuschöpfung futuristisch gegenüber stellt. Vielmehr geht Moltmann

»von einem Begriff der Zukunft aus, der es weder erlaubt, dass die ‘weiterlaufende’ Geschichte jede Eschatologie verschlingt, noch dass die stets gegenwärtige Ewigkeit jede Geschichte aufhebt. Das ‘Eschaton’ ist weder das Futur der Zeit noch die zeitlose Ewigkeit, sondern die Zukunft und An-kunft Gottes.«126

Die bestimmenden zeitlichen Koordinaten sind für ihn deshalb der Advent als eschatologische Kategorie und die Kategorie des Novum als dessen geschichtliche Entsprechung127. Wirklichkeit erscheint als dynamisch-offene Gegenwart, in der es »keine fixierbaren Tatbestände und Sachverhalte, sondern nur fließende Übergänge«128 gibt. Diese relationalen Prozesse verweisen auf die Möglichkeit einer trinitarischen Wirklichkeitsdeutung, durch die die perichoretische Einheit von geschöpflicher und göttlicher Wirklichkeit nicht als Sein, sondern als Werden sichtbar wird: Gegenwart der Schöpfung als Advent der Neuschöpfung und Gegenwart der Neuschöpfung als kommende Schöpfung. Dabei wird anhand der eschatologischen Akzentuierung im Denken Moltmanns zu untersuchen sein, inwiefern der in diesem prozessualen Denken verborgenen Gefahr des Pantheismus nur durch eine strenge Rückbindung an den Perichoresebegriff begegnet werden kann.

V Die daraus resultierende These: Christlicher Äon als Perichorese von Chronos, Kairos und Pleroma

Die Beobachtung der technisch rasch vorangetriebenen und durch die Globalisierung derzeit beschleunigten Vergegenwärtigungstendenz in der Erfahrung von und im Umgang mit Zeit hat zu der Frage geführt, ob nicht an den temporalen Strukturen des gegenwärtig zunehmend ins Bewusstsein rückenden Urphänomens Gegenwart selbst etwas ablesbar ist, das ein rein chronologischer Zeitbegriff innerhalb eines positivistischen Weltbildes verweigert: Zeit als jene Entzogenheit, die auf das Geheimnis aller Wirklichkeit verweist. Die daraus abgeleitete theo-logische Relevanz der Frage nach der Zeit konnte von drei Fragerichtungen her bestimmt werden, die je für sich ein spezifisches Interesse an der Frage nach der Zeit markieren: (1) lebensdienlich in der Frage nach einem dem komplexen Phänomen Zeit gerecht werdenden Zeitumgang, der die Zeit nicht nur auf ein messbares Kontinuum reduziert, (2) philosophisch in der Erkenntnis, dass ein rein rationales Erfassen der Zeit hinsichtlich ihrer horizontalen Ekstasen das Fragen nach ihr in umso größere Aporien verstrickt, und (3) theologisch in der Zurückweisung eines metaphysischen Zeit-Ewigkeitsdualismus zugunsten einer Wirklichkeitsdeutung, die den horizontalen Chronos vertikal in die Dynamik der Zeit zwischen Pleroma und Kairos einbindet. Alle drei Perspektiven bündeln sich in der Beobachtung, dass allein im Phänomen der Gegenwart alle Dimensionen der Zeit präsent sind: Gegenwart als das Pleroma der Zeit, das der Einzelne chronologisch immer nur als Ausschnitt und kairologisch als je konkrete Situation erlebt. Die allumfassende Gegenwart (Sempernitas) kann vom Standpunkt des Einzelnen nur fragmentarisch (Nunc) erfasst werden. Chronos, Kairos und Pleroma gründen, bilden und vollenden Gegenwart, so dass in dieser Hinsicht von einer Perichorese der drei Zeit-Weisen gesprochen werden kann. Begleitet von der alle Menschen zu allen Zeiten beunruhigenden Frage nach der möglichen Gestalt einer Existenz über die Todesgrenze hinaus kann die theologische Interpretation der Gegenwart als christlicher Äon zu einem sinnstiftendem Angebot werden, das die derzeitige Vergegenwärtigungstendenz im Zeitumgang positiv aufgreift. Dabei verweist dieses auf die aller Gegenwartserfahrung eigene temporale Spannung, die im Christusereignis als unüberbietbare Verheißung sichtbar geworden ist: Die unentschiedene Offenheit aller von Tod und Vergänglichkeit umgrenzten Temporalität ist geheimnisvoll-entzogener Brennpunkt aller Wirklichkeit, die in Leben, Tod und Auferstehung Jesu Christi als Perichorese von geschöpflich-begrenzter Gegenwart (Alter Äon) und allumfassend-göttlicher Gegenwart (Neuer Äon) offenbar geworden ist. Die abgründige Radikalität von Tod und Vergänglichkeit als unumgängliche Faktizität allen geschöpflichen Lebens ist dadurch zwar nicht gemindert, jedoch in die hoffend-glaubende Perspektive gefasst, dass der Tod Teil des Lebens ist – und nicht umgekehrt.

VI. Zum Begriff der Perichorese

Im Hinblick auf die zentrale Stellung, die der Perichoresebegriff innerhalb dieser Untersuchung als Thema, Reflexionsbegriff und Methode einnimmt, ist eine eingehendere Analyse dieses ursprünglich archaischen und bis heute nicht unumstrittenen Begriffes erforderlich.

1. Zur Geschichte des Begriffs der Perichorese

a) Die ursprüngliche Bedeutung

Der Begriff der Perichorese129 ist im allgemeinsten und weitesten Sinn ein Reflexionsbegriff, der die »wechselseitige Durchdringung, Partizipation und Vereinigung unterschiedener und unterschieden bleibender Größen«130 bezeichnet. Bereits in der ursprünglichen griechischen Verwendung des Wortes erschließt sich diese Bedeutung: περιχωρεῖν κύκλῳ ist in der Welt des Tanzes angesiedelt und meint das gegenseitige Umtanzen zweier Tanzpartner – »einer umtanzt den anderen, der andere umtanzt den einen«131. Auch die allgemeinere Verwendung des Verbs περιχωρεῖν bewegt sich in diesem Bedeutungsfeld: »herumgehen«, »herumreichen«, »von einem auf den anderen übergehen«, »das Land einkreisen«, »umringen«132. Als Substantiv findet sich περιχώρησις im 5. Jh. v. Chr. bei Anaxagoras und bedeutet bei ihm: der Wirbel, das Kreisen, die Umdrehung. Dies ermöglicht es ihm, das Gegenüber und gleichzeitige Miteinander gegensätzlicher Polaritäten zum Ausdruck zu bringen, z.B. hell und dunkel, kalt und warm, Geist und Körper133. Die Stoa und der Neuplatonismus beziehen den Perichoresebegriff auf das Verhältnis von Leib und Seele, die sich gegenseitig perichoretisch durchdringen und in dieser Einheit zugleich ihre Verschiedenheit bewahren134.

 

b) Der Eingang in die Theologie: Christologische und trinitarische Perichorese

In die Theologie hat der Ausdruck als terminus technicus verhältnismäßig spät Eingang gefunden. Auch wenn er sich deshalb weder in den biblischen Schriften noch bei den Apostolischen Vätern findet, ist er der Sache nach bereits im Neuen Testament präsent und somit Glaubensüberzeugung und Glaubenslehre von Anfang an. Auf der Grundlage von Joh 10, 30: »Ich und der Vater sind eins« beziehungsweise Joh 10, 38 »Glaubt meinen Werken, damit ihr zur Einsicht gelangt und erkennt, dass der Vater in mir ist und ich im Vater bin« wird die grundlegende Überzeugung zum Ausdruck gebracht, dass die göttlichen Personen ineinander leben 135. Diese Lehre wird in der Väterzeit aufgegriffen und an vielen Stellen, u.a. von Augustinus, wiederholt136.

Durch Gregor v. Nazianz findet der Begriff der Perichorese Eingang in das theologische Vokabular, wenn er ihn auch noch nicht im strengen Sinn als terminus technicus gebraucht137. Im christologischen Kontext kann Gregor v. Nazianz durch ihn die innige Verbindung der göttlichen und der menschlichen Natur in Jesus Christus zum Ausdruck bringen. In Abwehr monotheletistischer Tendenzen verwendet auch Maximus Confessor den Begriff, indem er ihn zum Vergleich der zwei Naturen in Jesus Christus mit dem Ineinandersein von Leib und Seele sowie Wort und Wortsinn heranzieht. Auch hier kommt Perichorese noch nicht als spezifisch theologische Fachvokabel zur Anwendung138.

Dies ändert sich erst mit Johannes v. Damaskus, der die περιχώρησις bewusst christologisch und trinitätstheologisch139 als terminus technicus einführt. Christologisch wendet er ihn auf die gegenseitige Durchdringung der beiden Naturen in Christus an, wobei er dabei der göttlichen Natur auf Grund ihrer Erhabenheit gegenüber der menschlichen ein größeres Gewicht zuschreibt140. Die erste fachspezifische Verwendung des Perichoresebegriffs im Bereich der Trinitätstheologie durch Johannes offenbart dann zugleich auch die in diesem Begriff selbst mitgegebene grundsätzliche Herausforderung. Wenn Perichorese nämlich als Theologumen für das trinitarische Mit- und Ineinander der göttlichen Personen angewandt wird, so ergeben sich auf den ersten Blick zwei gänzlich einander gegenüberstehende Sichtweisen auf den dreieinen Gott: Auf der einen Seite kann das perichoretische Ineinander der drei göttlichen Personen mehr von der Einheit des göttlichen Seins her gedacht werden, wie es Johannes getan hat. Dieser statischen Sichtweise steht auf der anderen Seite eine eher dynamische gegenüber, die die göttliche Perichorese von den innertrinitarischen Bewegungen und Relationen her denkt141. Der Begriff der Perichorese kann unter dieser Hinsicht wohl gerade deshalb als der »letzte Summenzieher«142 aller trinitätstheologischen Erwägungen bezeichnet werden, weil er als Reflexionsbegriff in dieser letztverbleibenden Spannung das Geheimnis des Grundes und Ursprungs des dreieinen Gottes bewahrt 143. Dieser Umstand wird für den Gang der vorliegenden Untersuchung von wesentlicher Bedeutung sein, weil auch jede außertheologische Anwendung dieses Begriffs vor derselben Herausforderung steht, die Spannung der Frage nach dem Grund und Ursprung eines perichoretisch gedachten Gegenstands in sich zu bewahren und auszuhalten.

c) Die anschließende Rezeption des Begriffs

In der weiteren Rezeption des Perichoresebegriffs durch die mittelalterliche Theologie zeigt sich diese Spannung ganz explizit. Zunächst mit dem lateinischen Wort circumincessio144 übersetzt, gab es ab dem 13. Jh. auch eine zweite Übersetzungsvariante: circuminsessio. Ursprünglich begründet in der in dieser Zeit in Frankreich aufkommenden Sitte, das c wie ein s auszusprechen, deckt gerade diese kleine Differenz die Spannung zwischen den unterschiedlichen Trinitätskonzeptionen auf145. Dem dynamischen Verständnis des Ineinanderlebens und Ineinandergehens der drei göttlichen Personen, ausgedrückt durch circumincessio, steht mit der Übersetzung circuminsessio ein statisches Verständnis der göttlichen Wesenseinheit gegenüber, wobei weder in der ersten Konzeption die Wesenseinigkeit noch in der zweiten das relationale Verhältnis der göttlichen Personen untereinander vernachlässigt wird. Dennoch lässt sich an dieser Entwicklung der unterschiedliche theologische Zugang östlicher und westlicher Theologie ablesen, so dass sich »in der durch den Terminus gemeinten Sache […] die Unterscheidung zwischen der ‘griechischen’ und der ‘lateinischen’ Trinitätskonzeption«146 bewährt.

Nachdem sich das Denken der Perichorese in der Folge sowohl in der Christologie als auch in der Trinitätstheologie zwar etabliert, jedoch keine wesentlichen weiteren Akzente erhalten hatte147, erfährt es in der heutigen Theologie wieder eine neue Renaissance, die sich mit den im Begriff der Perichorese mitgegeben Möglichkeiten beschäftigt, sich gleichzeitig aber auch mit im Begriff liegenden Anfragen und Grenzen kritisch auseinandersetzt. Hervorzuheben ist in besonderer Weise das Bemühen, mit Hilfe des Modells der Perichorese die scheinbar einander gegenüberstehenden traditionellen trinitätstheologischen Konzepte in Richtung einer noch tieferen Einheit zu denken.

So schreibt ihr E. Jüngel im Anschluss an K. Barth148 das Vermögen zu, »die Wesenseinheit Gottes nicht als metaphysische Prämisse für die dann geradezu ‘nachklappende’ trinitarische Selbstunterscheidung, sondern Gottes eines und einziges Sein als ereignisreiche Gemeinschaft gegenseitigen Andersseins zu denken, die ewige Liebe genannt zu werden verdient.«149 Darüber hinaus kann die dualistische Abtrennung der natürlichen Welt von einer supranaturalen Wirklichkeit sowie dem Wirken Gottes von seinem Wesen mit Hilfe des Perichoresebegriffs überwunden und der dreieine Gott als konkretes Ereignis seiner unverfügbaren Zuwendung zu seiner Schöpfung gedacht werden:

»Um von Gottes Wirken angemessen reden zu können, muss vom Wesen dieses Wirkenden die Rede sein. Das Wesen dieses Wirkenden wird nun aber streng von der Offenbarung her gedacht, also nicht als Substanz, sondern als die ‘Einigkeit des Vaters, des Sohnes und des Geistes unter sich’, der ‘ihre Einigkeit nach außen’ entspricht. Diese Einigkeit der Seinsweisen Gottes unter sich als Konkretheit des Seins Gottes zu denken, ist der Sinn der Lehre von der Perichorese. Sie ist der Versuch verantwortlichen Redens von Gott.«150

J. Moltmann führt seine Interpretation von Perichorese in dieselbe Richtung, indem er das Leben des dreieinigen Gottes als einen ewigen »Prozess vollkommener und intensivster Empathie«151 deutet, in dem die drei göttlichen Personen als konkretes Geschehen ihrer ewigen Liebe durch die Eigenschaften, die sie voneinander unterscheidet, sich gegenseitig einwohnen und sich in dieser Weise das ewige Leben mitteilen: »In der Perichoresis wird gerade das, was sie unterscheidet, zu dem, was sie ewig verbindet.«152 Unter dieser Hinsicht schreibt er der Perichoresenlehre das besondere Vermögen zu, jegliches tritheistisches, modalistisches, subordinatianistisches und monadisches Denken zu vermeiden: »Perichoretisch verstanden, bilden die trinitarischen Personen durch sich selbst ihre Einheit im Kreislauf des göttlichen Lebens.«153 Vor diesem Hintergrund bezieht Moltmann, wie im Verlauf der Untersuchung noch ausführlicher zu sehen sein wird, Zeit und Ewigkeit perichoretisch aufeinander.

W. Pannenberg setzt sich dagegen kritisch mit dem Perichoresebegriff auseinander. Er schreibt ihm seinem traditionellen Gebrauch nach nicht die Fähigkeit zu, einen Gottesgedanken zu entwickeln, »welcher nicht nur das Jenseits des göttlichen Wesens und seine Gegenwart in der Welt, sondern auch die ewige Selbstidentität Gottes und die Strittigkeit seiner Wahrheit im Prozess der Geschichte, sowie die Entscheidung über seine Wahrheit durch die Vollendung der Geschichte in der Einheit eines einzigen Gedankens zu umgreifen vermag.«154 Die Ursache hierfür sieht er in einem falschen Wesensbegriff, wonach die drei göttlichen Personen im einen göttlichen Wesen als deren Ursprung gründen, so dass demzufolge das perichoretische Ineinander dieser drei lediglich zweitursächlich dem göttlichen Wesen entspringt. Vielmehr erfordere es »einen Begriff des Wesens, dem die Kategorie der Relation nicht äußerlich ist«155, so dass sich Monarchie des Vaters und Perichorese der drei göttlichen Personen nicht mehr länger gegenüberstehen, denn erst »auf der Basis eines in sich differenzierten Begriffs von der Einheit des göttlichen Wesens lässt sich auch die Vorstellung von den trinitarischen ‘Personen’ abschließend bestimmen.«156

Eine Antwort auf diese Frage versucht G. Greshake mit seiner trinitätstheologischen Communiotheologie157, die der Spannung zwischen einem vom einheitlichen Wesen Gottes ausgehenden Denken, das von diesem her auf die drei göttlichen Personen schließt, und einem von den drei Personen ausgehenden Denken, das auf das einheitliche Wesen Gottes schließt, dadurch begegnen will, dass er mit der als »Communio« gedachten göttlichen Trinität einen Begriff einführt, der »aus sich selbst heraus die reziproke Vermittlung von Einheit und Vielheit ist158 Die Einheit und die Dreiheit Gottes sind somit nicht mehr gegeneinander gedacht, vielmehr haben die drei göttlichen Personen ihren Selbst-Stand »voneinander, miteinander und aufeinanderhin«159, so dass »jede der drei Personen […] das Ganze des trinitarischen Geschehens auf ihre Weise«160 spiegelt. Greshake betrachtet die Trinitätslehre nicht mehr von der klassischen Konstitutionshermeneutik her, sondern führt gerade hier als Verstehensschlüssel den Perichoresebegriff an, der es ermöglichen soll, den dreieinen Gott korrelativ zu betrachten, das heißt als personale communio, die zugleich communicatio der Liebe ist. Die Frage nach dem Woher der drei göttlichen Personen oder des einheitlichen Wesens Gottes erübrige sich insofern, als Greshake vorschlägt, die ursprünglich-archaische Bedeutung des Perichoresebegriffs auf die communio in Gott zu übertragen, und diese metaphorisch als »als ‘gemeinsame Tänzer’ in dem einen gemeinsamen Tanz der göttl. Liebe«161 zu erfassen. Weil nun aber »unsere geistigen Vollzüge die Wirklichkeit nicht uno eodemque intuitu erfassen, sondern im zeitlichen

 

Nacheinander«162, verweist Greshake auf die dialektische Methode als einzige Möglichkeit, dem Problem der oben genannten Spannung gerecht zu werden.

So »[…] können wir entweder bei der Betrachtung der (communialen) Identität Gottes ansetzen oder bei der personalen Differenzierung, jedoch so, dass wir (1) vom jeweiligen Ansatz aus notwendig auf den anderen Pol zu stoßen haben und (2) den jeweils gewählten ersten Ansatz verlassen müssen, um vom andern her die gegenläufige Bewegung zu durchlaufen. Nur in diesem dialektischen Hin und Her kann die göttliche Communio als Vermittlungsfigur von Identität und Differenz angemessen bedacht werden. Diese Einsicht findet sich schon in einem vielzitierten […] Wort Gregor v. Nazianz: ‘Kaum habe ich begonnen, an die Einheit zu denken, da überflutet mich die Dreiheit (Trinität) mit ihrem Glanz. Kaum habe ich begonnen, an die Dreiheit zu denken, da leuchtet mir die Einheit auf.’«163

Diese kurz skizzierten Spannungsfelder, die sich mit dem Perichoresebegriff verbinden, gilt es im Bewusstsein zu halten, wenn dieser Begriff als Reflexionsbegriff für zeitliche Kategorien angesetzt werden soll164, ist doch die Konstitutionsproblematik in diesem Sinne kein nur spezifisch trinitätstheologisches Problem, sondern vielmehr überall da zu finden, wo es um die Frage nach dem Ursprungsverhältnis akzidentiell und substantiell ineinander verschränkt zu beobachtender Phänomene geht.

d) Die umstrittene Aktualität des Perichoresebegriffs

Neben Greshakes communiotheologischer Interpretation des Perichoresebegriffs unter Rückgriff auf die ursprünglich-archaische Bedeutung des Wortes »Perichorese« dürfen hinsichtlich der aktuellen Auseinandersetzung mit diesem Begriff zwei weitere Ansätze nicht unerwähnt bleiben, die der Perichorese als Reflexionsbegriff entschieden gegensätzliche Bedeutung beimessen, wodurch auch die im Begriff der Perichorese selbst gegebene Grenze deutlich wird.

(1) Universalität der Perichorese: C. Sorč

Ciril Sorč165 führt den Perichoresebegriff als hermeneutisches Prinzip an, mit dessen Hilfe postmodernen Phänomenen wie Globalisierung, »Konfusionismus«166 und Eklektizismus aus trinitarischer Sichtweise heraus begegnet werden könne. In der Perichorese sieht er »das dialogische Prinzip für die Beschäftigung mit der Postmoderne.«167 Dabei begreift er das postmoderne Pluralitätsparadigma nur dann als hinlänglich verwirklicht, wenn es perichoretisch spezifiziert wird, denn allein »eine Pluralität, die eine Perichoresität einschliesst und zur Trinitarisierung führt, ist annehmbar und fruchtbar.«168 Sorč geht es vor allem im Hinblick auf die Vielfalt pluraler Sinnentwürfe darum, die durch Relativismus oder Fundamentalismus gefährdete Frage nach dem tiefsten Zusammenhang von Gott, Mensch und Welt theologisch verantwortet in ein allumfassendes trinit arisches Verständnis einzubetten. Die dazu herangezogene Perichorese wird für ihn zum universalen Deutungsschlüssel, mit dem er theologische, anthropologische, soziale, historische, ekklesiologische, liturgische und eschatologische Aspekte auf ihren trinitarischen Horizont hin deutet. Damit weitet er den Perichoresebegriff auf nichttheologische Fragestellungen aus, ohne dabei seinen spezifisch theologischen Inhalt aufzugeben. Perichorese wird zum hermeneutischen Prinzip trinitarischer Wirklichkeitsdeutung.

(2) Unzulänglichkeit der Perichorese: M. Mühling

Markus Mühling169 hingegen lehnt den Perichoresebegriff, »der sich gegenwärtig einiger Beliebtheit erfreut«170, als für theologische Spekulationen verzichtbar ab. Als reiner Reflexionsbegriff vermag mit ihm nicht die Einheit und Besonderheit in Gott in einem einheitlichem Konzept zusammengedacht zu werden, weil er entweder von der Einheit im Wesen Gottes her ausgehend dessen wechselseitige Verschiedenheit nur unzulänglich zum Ausdruck bringe oder umgekehrt von der Besonderheit der Personen her die Einheit im Wesen Gottes nicht begründen könne. Mühling verweist auf die im Begriff der Perichorese selbst gegebene Unschärfe, die dem Wesen Gottes eigene Relationalität entweder nur extensional und damit von ihrer Besonderheit her oder nur intensional von ihrer Einheit her beschreiben zu können, so dass im ersten Falle Gottes Wesen unter der Voraussetzung einer Symmetrie der drei göttlichen Personen monistisch reduziert würde, während im zweiten Falle die Unterschiedenheit aufgrund des symmetrischen Ineinsfalls überhaupt nicht in den Blick geriete. Anhand der jüngeren Rezeptionsgeschichte des Begriffes zeigt Mühling auf, dass beide Aspekte gemeinsam vom jeweils nur einseitigen Reflexionsvermögen des Perichoresebegriffes her nicht ausgesagt werden können, insofern er die »reziproke Asymmetrie als Prinzip wechselseitiger Entzogenheit«171 in dem einen und geschiedenen Wesen Gottes nicht wiederzugeben vermag. Deshalb kommt Mühling zu der These, dass

»[d]ie Rede von der Perichorese […] in der trinitarischen Theorie als ganzer verzichtbar [ist], weil sie entweder nicht widerspruchsfrei formulierbar ist oder, wenn sie doch widerspruchsfrei formuliert wird […] nicht das Problem einer Konstitution von Einheit und Besonderheit in einem einheitlichen Konzept löst. Als zusammenfassende Rede für die beiden Aspekte, die je für sich anders zu begründen sind, kann sie zwar jeweils fungieren. Da es sich aber um einen einheitlichen Vorstellungskomplex handelt, dessen Sprache kaum metaphorisch-anschauliches Potential bietet, wäre der Nutzen, wenn überhaupt, nur gering.«172

Dem kann unter der Hinsicht zugestimmt werden, dass mit Hilfe des Perichoresebegriffes in der Tat keine »Lösung« der Trinitätsproblematik herbeigeführt werden kann. Genau damit ist Mühling aber auch zu widersprechen, insofern eine konzeptionelle »Lösung« der Trinitätsfrage selbst weder möglich noch theologisch anzustreben ist. Vielmehr scheint das Reflexionsvermögen des Perichoresebegriffes gerade darin zu liegen, das rational unergründbare Wesen Gottes multiperspektivisch als Geheimnis offen zu halten und damit anzuerkennen, dass die theologische Interpretation des trinitarischen

Wesens Gottes wie auch eine trinitiarische Wirklichkeitsdeutung notwendig offen, oszillierend und immerfort unabgeschlossen bleiben müssen. Perichorese ist nie ein rein abstrakt-analytischer Reflexionsbegriff, sondern gerade in seiner Unschärfe Theologumenon, das das Ringen um das Verhältnis von Gott, Mensch und Welt in all seiner Fragwürdigkeit lebendig zu halten hat.

e) Fazit

Die beiden kurz skizzierten Entwürfe machen in ihrer Gegensätzlichkeit auf eine Gefahr aufmerksam, die es bei der »außertrinitarischen« Anwendung des Perichoresebegriffs grundsätzlich im Blick zu behalten gilt. Der Perichoresebegriff bewahrt sein eigentliches Reflexionsvermögen offensichtlich nur unter der Bedingung, dass sein theo-logisches Gründen im Geheimnis des dreifaltigen Gottes mitgedacht wird. Ihn von diesem begrifflichen Wesenskern zu entfernen hieße, ihn auf einen missverständlichen Vereinheitlichungsbegriff zu reduzieren173. Als Reflexionsbegriff muss er deshalb immer auch ein Theologumenon bleiben.

Dies macht es für die vorliegenden Untersuchung unumgänglich, die Einheit von Reflexionsbegriff und Theologumenon zu bewahren. Zeit in ihrer komplexen und perichoretisch vermittelten Struktur soll (und – wie sich noch zeigen wird – kann) vor diesem Hintergrund nicht anders als theo-logisch gedacht werden. Diese theologische Rückbindung ist an den im Anschluss zu erörternden Denkanstößen K. Barths und P. Hünermanns, Zeit perichoretisch beziehungsweise Perichorese zeitlich zu denken, gut zu erkennen, insofern Ausgangspunkt und Ziel ihrer Erwägungen jeweils christologische beziehungsweise trinitätstheologische Fragestellungen sind, die durch die gegenseitige Berührung von Perichorese- und Zeitbegriff vertieft werden sollen. Mit dieser theologischen Verankerung ist der Verständnishorizont aller folgenden Überlegungen abgesteckt, die ihre Mitte in Jesus Christus als demjenigen haben, in dem die wahre Fülle aller Zeiten (Vgl. Eph 1,10) offenbar geworden ist.

2. Zeit und Perichorese: Denkanstöße

a) Zeit perichoretisch gedacht: Der Vorschlag K. Barths

Der Begriff der Perichorese hat sich in der Christologie und der Trinitätstheologie als Möglichkeit erwiesen, das Geheimnis der in Jesus Christus geeinten göttlichen und menschlichen Natur sowie des unvermischten und ungetrennten Ineinanders der drei göttlichen Personen im dreieinen Gott besser zu verstehen. Wenn er vor diesem Hintergrund auch ein spezifisch theologischer Begriff geworden ist, hat er dabei freilich seine ursprüngliche Bedeutung als reiner Reflexionsbegriff nicht verloren. Als solchen greift ihn Karl Barth im vierten Band seiner »Kirchlichen Dogmatik«174 auf, um ihn im Rahmen seiner christologischen Erwägungen mit dem Begriff der Zeit in Berührung zu bringen. Barth analysiert dort »die Einheit der drei Formen, Gestalten oder Stadien des einen Geschehens der Wiederkunft Jesu Christi«175: das geschichtlich bereits geschehene Ereignis seiner Auferstehung, seine bleibende Gegenwart in der Welt durch die Ausgießung des Heiligen Geistes und seine letzte Wiederkunft am Ende aller Zeiten. Barth schlägt vor, diese Einheit Wenn sich Barth hier auch auf das spezifisch christologische Ereignis des Kommens des Herrn und damit auf ein Ereignis bezieht, dem seines göttlichen Ursprungs wegen kein irdisches Ereignis vergleichbar ist, löst er den Begriff der Perichorese doch aus seinem eigentlich christologischen Kontext heraus, um ihn auf chronologisch unterschiedliche Geschehnisse zu beziehen. Indem er den Begriff der Perichorese als Reflexionsbegriff fasst, ist es ihm damit möglich, durch ihn chronologisch verschiedene Ereignisse in ihrer tieferen Einheit als ein einziges Ereignis zu verstehen, dessen Wesen in der gegenseitigen Durchdringung bei gleichzeitigem Getrenntbleiben jener Einzelereignisse besteht177.