Der Fürstentrust

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Eine neue Gesellschaft würde entstehen. Nicht mehr Prinz Friedrich Karl würde das Sagen haben, sondern ihre beiden reichsten Geldgeber, Christian Kraft Fürst zu Hohenlohe-Öhringen und Max Egon II. Fürst zu Fürstenberg. Hatte die Madeira-Aktiengesellschaft nur Roulettetische auf der Atlantikinsel aufstellen wollen, würde die neue Gesellschaft in Berlin selbst ein gigantischer Roulettetisch sein, der größte, den das Kaiserreich jemals gesehen hatte, mit den höchsten Einsätzen und den spektakulärsten Verlusten, mit den verwegensten und dilettantischsten Spielern und mit dem unfähigsten und skrupellosesten Croupier. Er eröffnete das Spiel am 24. April 1908: »Der in der III. ordentlichen Generalversammlung unserer Gesellschaft gefasste Beschluss, die bisherige Firma Madeira Aktiengesellschaft umzuwandeln in: Handels-Vereinigung Aktiengesellschaft ist heute in das Handelsregister eingetragen worden.« Gezeichnet: Ernst Hofmann.

Noch ehe zum ersten Mal die Kugel rollte, war das Millionen-Spiel berühmt. Man nannte es den Fürstentrust.

ERSTER SPIELER
Christian Kraft

Der Mensch ist, was er hat. Zum Beispiel ein Vermögen von 151 Millionen Mark1 und ein Jahreseinkommen von 7 Millionen Mark; er hat in Oberschlesien mit der Hohenlohe-Werke AG ein Bergbauimperium mit zehntausend Arbeitern und Angestellten sowie eine Residenz in Slawentzitz mit Schloss, Dienerschaft und angeschlossenem Bahnhof, in Javorina in der Hohen Tatra ein Jagdschloss mit 38.000 Hektar Wald – zur Jagd werden Wisente aus Polen, Steinböcke vom Sinai und Hirsche aus dem Kaukasus importiert –, in Franken Schlösser und mehr als fünftausend Hektar Ländereien und in Berlin-Grunewald eine Villa; er hat ein Vollblutgestüt, Automobile und Chauffeure, und er hat sogar, nach kurzem Studium in Bonn, juristische Grundkenntnisse. Er ist einer der größten Zinkproduzenten der Welt, einer der bekanntesten Jäger Deutschlands und Österreich-Ungarns, Vizepräsident des Deutschen Automobilverbandes und Vorsitzender des Berliner Pferderennclubs Union. Er ist Mitglied des preußischen Herrenhauses und des Reichstages. Er ist einer der reichsten Deutschen: Christian Kraft Fürst zu Hohenlohe-Öhringen, Herzog von Ujest.

Seit dem Tod des Vaters, Fürst Hugo, 1897 ist Christian Kraft als ältestes von acht Geschwistern Oberhaupt des fränkischen Adelsgeschlechts. Er wurde am 21. März 1848 in Öhringen geboren, dem Tag, an dem der preußische König Friedrich Wilhelm IV. mit schwarz-rot-goldener Schärpe durch Berlin ritt und scheinheilig »Deutschlands Freiheit, Deutschlands Einigkeit« versprach, drei Tage nachdem seine Soldaten mehr als dreihundert Bürger von den Barrikaden geschossen hatten. Christian Kraft ist also ein Kind der Revolution, ein Revolutionär aber ist er nicht. Wie sein Vater, der Vizepräsident des Reichstages war, beschäftigt er sich zwar mit Politik und ist Abgeordneter der deutschkonservativen Partei, die Bismarck über dessen Tod hinaus treu ergeben ist, doch über die Jahre hat er die Lust daran verloren: »Die Politik wird jetzt so ekelhaft betrieben u. es wird so haarsträubender Blödsinn zu Tage gefördert, dass ich eigentlich gar nicht mehr in den Reichstag gehe.«2 Und wie sein Vater, der 1866 als Generalleutnant an der Schlacht von Königgrätz teilgenommen hatte, war auch Christian Kraft in die Reichsgründungskriege gezogen, hatte aber auf eine militärische Laufbahn verzichtet.

Weder in der Politik noch beim Militär entwickelt Christian Kraft also besonderen Ehrgeiz. Selbst als er 1894 zum königlichen Oberstkämmerer avancierte – ein Ehrenamt, das ihn immerhin zur ersten Charge am preußischen Hof machte, noch vor dem Ministerpräsidenten, dem Generalfeldmarschall und den Häuptern der fürstlichen Familien3 –, hat ihn das nur wenig beeindruckt. Als es 1899 zu einem Streit mit dem Kaiser kam, legte er das Amt kurzerhand nieder. Schwerer wird ihn die Reaktion Wilhelms II. getroffen haben. Der »nervöse« Kaiser war für seine Schießwut berüchtigt, die Gelegenheit zur Jagd ließ er sich kaum jemals entgehen.4 Aber die Einladung Christian Krafts zur Jagd in Slawentzitz hatte er, wie die Berliner Salonnière Baronin Spitzemberg in ihrem berühmten Tagebuch berichtet, wütend ausgeschlagen, »für die doch der Herzog 16.000 lebende Fasanen hat aufkaufen lassen, die nun ihn fast auffressen, eine Ausgabe von etwa 80.000 M!«5 Das war eine Beleidigung nicht nur des Fürsten, sondern auch des Waidmanns Christian Kraft, dessen »erstklassige Jagderfolge« die europäische Presse feiert: »In der Tatra besitzt Fürst Hohenlohe eines der schönsten Jagdreviere Europas, und hier erbeutete er in der diesjährigen Brunftzeit einen Hirsch, der förmlich an die sagenhaften Gestalten vergangener Jahrhunderte erinnerte. Dieser Riese unter den Cerviden wog nicht weniger als 379 Kilogramm (aufgebrochen 312 Kilogramm), während ein um 100 Kilogramm leichterer Hirsch als Kapitalstück bei uns bezeichnet wurde.«6

Noch populärer als der Jäger ist der Pferderennstallbesitzer Christian Kraft, ein Liebling der Sportseiten der deutschen und österreichischen Presse, die über seine Triumphe ausführlich berichten. Als er sich entschließt, alle Pferde österreichischungarischen Trainern anzuvertrauen, würdigt die Wiener Zeitung Sport und Salon den reichsdeutschen »Sportsman« mit Foto (»Se. Durchlaucht Fürst Christian Kraft zu Hohenlohe-Oehringen«) und einem ausführlichen Artikel: »Jetzt steht die gesamte stattliche Streitmacht, mit welcher der Fürst in diesem Jahre in die Ereignisse unseres und des deutschen Turfs eingreifen wird, in Alag in den Stallungen Charley Planners, zu dessen Hauptpatron der deutsche Grandseigneur geworden ist. Das Lot des Fürsten zählt heuer 16 Köpfe.«7 Zwischen 1903 und 1912 gewinnen 67 Pferde Christian Krafts 76 Rennen auf österreichischen Bahnen und brachten ihm Siegprämien in Höhe von 883.730 Kronen ein.8

Als Jäger und als Sportsmann geht er in die Vollen, in privaten Dingen ist er eher vorsichtig. Er lebt ohne Trauschein mit der zwanzig Jahre jüngeren Gräfin Ottilie Lubraniec-Dambska geb. Brauns zusammen. Die aus dem Bürgertum stammende Geliebte hatte auf Drängen Christian Krafts den buckligen polnischen Grafen Dambski geheiratet, der sich nach der Hochzeit alsbald wieder scheiden lassen und verschwinden musste.9 Aber auch als Gräfin hat Ottilie keine Aussicht, jemals die Frau des Fürsten zu werden – das Gesetz des Fürstlichen Gesamthauses Hohenlohe verbietet es. Als standesgemäß gelten nur Heiraten mit Mitgliedern des hohen Adels, ausnahmsweise auch sonstige fürstliche oder altgräfliche Personen. Ein Regelverstoß würde Christian Kraft Titel und Vermögen kosten. So ist es seinem sechzehn Jahre jüngeren Bruder Prinz Hugo ergangen, der sich seit der Hochzeit mit einer Zirkusreiterin Graf von Hermersberg nennen muss. Auch Christian Krafts wegen Verschwendung entmündigter Cousin Alexander zu Hohenlohe-Öhringen, für den der Fürst die Vormundschaft übernommen hat, ist Opfer des Hausgesetzes geworden: Nach seiner Heirat mit Elsa von Ondarza, der Tochter eines vermögenden Hamburger Kaufmanns, wurde der Prinz zum Freiherrn von Gabelstein herabgestuft.

Die Heirat ist vermutlich das Einzige, worauf Gräfin Ottilie an der Seite Christian Krafts verzichtet. Der Luxus, mit dem er sich umgibt, ist so überwältigend, dass der Theologiestudent und künftige Schriftsteller Heinrich Wolfgang Seidel, der einige Monate in der Residenz Slawentzitz lebt, in einem Brief an seine Eltern kaum Worte findet: »Draußen Elend und Schmutz, innen unerhörte Pracht und Verschwendung. Es lässt sich gar nicht beschreiben, welch ein Paradies dieser endlose Park ist und welch ein Glanz über dem Schloss liegt, wenn die Sommersonne scheint. Der Fürst lebt wie Lukull und wahrscheinlich besser als der Kaiser. Nur für den Herrschaftstisch werden oft täglich 30 Hühner gebraucht, nur für ihn sind im letzten Monat 3000 Eier verschwendet worden. Wenn das Feuer in der Küche nicht brennen will, so fliegt ein Pfund Butter hinein. Heute ist ein Mann aus Berlin da, der dem Fürsten die Haare schneidet – wenn das fertig ist, reist er wieder ab, nachdem er sich vorher noch gehörig satt gegessen hat.« Christian Krafts Chauffeur, schreibt Seidel, rühme sich, »schon auf kürzeren Strecken zehn Hunde totgefahren zu haben; und auch sonst gibt es Dinge, über die die Diskretion schweigt. Jedenfalls ein fabelhafter interessanter Ort«.10

Warum sich Christian Kraft mit sechzig Jahren nicht mit der kommoden Existenz als Großgrundbesitzer und Großindustrieller begnügt, sondern die Abenteuer im Leben eines Großspekulanten sucht, ist nicht bekannt. Einige Zeitgenossen vermuten, der Feudalherr wolle beweisen, dass er die Regeln des Kapitalismus so gut beherrsche wie einige besonders erfolgreiche Standesgenossen.11 Andere glauben, dem Fürsten sei langweilig, er habe keine Lust, »nur als Rentier seiner Jagdleidenschaft nachzugehen«.12 Richtig ist jedenfalls die Diagnose, die Christian Kraft eine »starke und allenthalben sehr wenig glückliche Neigung zu umfassender kaufmännischer Betätigung«13 bescheinigt, mit anderen Worten: Er gefällt sich als Unternehmer und als Spekulant, obwohl er in beiden Rollen eher eine traurige Figur macht. Als er 1908 mit seinem Cousin Max Egon in der Berliner Dorotheenstraße den Fürstentrust eröffnet, hat er durch waghalsige Spekulationen bereits einige Millionen verloren.

Immerhin ein Groß-Projekt ist Christian Kraft in jüngster Zeit gelungen. Er hat seinen gesamten industriellen Besitz in eine Aktiengesellschaft, die Hohenlohe-Werke AG, umgewandelt und dafür 1905 eine einmalige Abfindung von 44 Millionen Mark und eine jährliche »ewige Rente« von jährlich drei Millionen Mark erhalten. Für die Seriosität der Aktion hatte der Chef der Berliner Handelsgesellschaft gebürgt, Carl Fürstenberg, einer der reichsten und respektabelsten Bankiers dieser Jahre, der dem Aufsichtsrat der neuen Aktiengesellschaft vorsitzt. Aber andere Geschäfte Christian Krafts waren weder besonders ertragreich noch wirklich seriös.

 

Der Madeira-Coup war nicht sein erster Versuch, mit dem Einsatz erheblicher Mittel auf kürzestem Weg einen gewaltigen Gewinn zu erzielen; andere Projekte waren nur deutlich leiser gescheitert, auch wenn sie ebenfalls Verluste in Millionenhöhe einbrachten. Bereits Ende 1898 hatte Christian Kraft mit Max Schoeller, einem Jülicher Zuckerfabrikanten, in der Kolonie Deutsch-Ostafrika die Kaffeeplantage Sakarre gegründet, wobei Ernte und Dividende eher dürftig blieben.14 Wenige Monate später, Ende Juli 1899, hatten die beiden dann eine Konzession zur Gründung der Gesellschaft Nordwest-Kamerun erhalten, die ihnen erlaubte, die Kautschukbestände eines 90.000 Quadratkilometer großen Gebiets in der deutschen Kolonie zu plündern.15 Als Vorbild diente ihnen die Gründung der deutsch-belgischen Gesellschaft Süd-Kamerun, deren Börsengang im Februar 1899 einen wahren Taumel ausgelöst hatte: Der Spekulationsgewinn der Gründer soll 16 Millionen Mark betragen haben. Der Plan, das lukrative Geschäftsmodell nachzuahmen, scheiterte jedoch, als die Deutsche Bank, die Christian Kraft und Schoeller mit der Ausgabe der Aktien beauftragt hatten, Erkundigungen über das Konzessionsgebiet einholte. Laut Kennern der Gegend sei das Unternehmen »völlig aussichtslos«,16 und so waren die Gründer auf ihren Aktien sitzengeblieben. Christian Kraft hatte zwei Millionen, Max Schoeller eine Million eingezahlt. Als sich Christian Kraft 1905 Madeira zuwandte, war sein Spekulationsobjekt in Afrika faktisch seit einem Jahr bankrott.17

Auch sein Plan, zusammen mit Vetter Max Egon sein Geschäftsfeld nach Asien zu erweitern, kommt nicht recht voran. Mit Tsingtau hatte das deutsche Kaiserreich den schon lange angestrebten Stützpunkt in Ostasien bekommen. Sogleich waren deutsche Kaufleute aufgebrochen, um die Früchte der kaiserlichen Kolonialpolitik zu ernten, genauer: die berühmte Shandong-Seide. 1902 war die Deutsch-Chinesische Seiden-Industrie-Gesellschaft gegründet und eine Fabrik errichtet worden, die zwar hervorragende Seide produzierte, aber keine Gewinne machte. Die Gesellschaft war »von vornherein zu großspurig vorgegangen und musste bald ihren Betrieb einstellen«.18 Aber weil das Unternehmen fortbesteht, sitzen Max Egon und Christian Kraft im Jahr 1908 noch immer im Aufsichtsrat des sogenannten Magnatensyndikats.19

Selbst auf einem vertrauten Geschäftsfeld, dem Kohlebergbau, erleidet er einen Fehlschlag, weil er Betrügern aufsitzt. Auf Anregung seines für die österreichischen Geschäfte zuständigen Direktors Arthur Knöpfelmacher – eines früheren Wechselstubenbetreibers mit »fadenscheiniger Reputation«,20 der einige Jahre zuvor wegen Betrugsverdachts in Untersuchungshaft gesessen hatte und nur durch einen zivilrechtlichen Vergleich eine Verurteilung abwenden konnte21 – hatte er im Jahr 1904 Braunkohlefelder in der Nähe von Budweis (Südböhmen) gekauft. Eingefädelt hatte den Kauf sein Jugendfreund Graf Rudolf Kinsky, ein erfolgloser Spekulant, dessen jüngstes Projekt ein Jahr zuvor mit dem Suizid seines Beraters und seinem eigenen Bankrott geendet hatte, der aber weiterhin »das unbeschränkte Vertrauen des Fürsten«22 besaß. Zusammen mit einem Kaufmann und einem Rechtsanwalt hatte Knöpfelmacher nicht nur den Kauf der Kohlefelder abgewickelt, sondern bei einem Magdeburger Unternehmen Maschinen für zwei Brikettfabriken zum Preis von fünfeinhalb Millionen Mark bestellt. Dafür hatten sie umgehend 800.000 Mark Provision bezogen. Nachdem Christian Kraft bereits 1,5 Millionen Mark gezahlt hatte, stellte sich heraus, dass die Kohlefelder wenig ergiebig, die Fabriken also wertlos waren. Offensichtlich hatten leitende Mitarbeiter Christian Krafts bei der Aktion beide Augen zugedrückt, nachdem sie von Knöpfelmacher und dessen Komplizen geschmiert worden waren.23 Es folgt eine Serie von Prozessen, an deren Ende der Anwalt seine Zulassung24 und Christian Kraft einige Millionen verliert. Von seinem wichtigsten Mitarbeiter aber will sich der Fürst nicht trennen: Arthur Knöpfelmacher bleibt der Hohenlohe-Werke AG auch weiterhin erhalten – ausgerechnet als Finanzdirektor.

Ehe das große Spiel mit dem Fürstentrust beginnt, sind die Einsätze zu entrichten. Christian Kraft verfügt zwar über ein phantastisches Vermögen, kann aber nur zu Teilen darüber frei verfügen; der Rest ist durch ein sogenanntes Fideikommiss gebunden, das heißt, es ist unveräußerlich, um den Familienbesitz vor Zersplitterung zu schützen. Christian Kraft bringt unter anderem eine Reederei ein und eine kleine, in Berlin ansässige Bank mit Filialen in Jerusalem, Jaffa, Gaza, Haifa und Beirut.

Im September 1889 hatte eine Gruppe Hamburger Kaufleute die Deutsche Levante-Linie Aktiengesellschaft gegründet, deren Dampfer den deutschen Handel mit den Häfen an der Küste des östlichen Mittelmeeres beleben sollten. Der Zeitpunkt war günstig. Nicht nur das zur Weltmacht strebende deutsche Kaiserreich begann, sich für das angeschlagene Osmanische Reich zu interessieren, auch deutsche Unternehmen und Banken hatten den Orient als Absatzmarkt entdeckt. Ein Jahr vor der Gründung der Levante-Linie hatte ein Finanzkonsortium unter Führung der Deutschen Bank die Konzession zum Bau und Betrieb der anatolischen Eisenbahn von Istanbul nach Ankara erhalten, der Vorläuferin der Bagdadbahn, die von Südanatolien über Bagdad an die Küste des Persischen Golfs führen sollte. Aber die Erwartungen der Hamburger Geschäftsleute an den Dampferverkehr im Mittelmeer erfüllten sich zunächst nicht. Missernten, Choleraepidemien in Hamburg und in der Levante, niedrige Frachten und mehrere Schiffsverluste verdarben die Bilanzen. Zwischendurch hatte sich die Lage zwar für ein paar Jahre verbessert, so dass Anfang 1900 eine ansehnliche kleine Flotte von zwanzig Dampfern regelmäßig von Hamburg über Antwerpen die Häfen von Malta, Piräus, Smyrna und Konstantinopel anfuhr. Sehr bald aber war die Reederei durch Fehler der Geschäftsführung wieder ins Schlingern geraten. 1907 hatten sich so hohe Verluste aufgetürmt, dass das Unternehmen zusammenzubrechen drohte.

Aber sein Generaldirektor wusste sich zu helfen: Er war nämlich zugleich Direktor der Dampfschiffreederei Union Aktiengesellschaft, und an ihr hatte sich soeben Christian Kraft – zusammen mit dem Hamburger Reeder Robert Loesener – die Dreiviertelmehrheit gesichert. Dessen bewährte Konfidenten Prinz Friedrich Karl und Ernst Hofmann hatten sich bereiterklärt, in den Aufsichtsrat der Levante-Linie einzutreten, und auf einer Generalversammlung im Mai 1907 versprochen, das benötigte Kapital aufzubringen. Die Zusage war dann aber in Vergessenheit geraten, stattdessen war eine »Betriebsgemeinschaft« zwischen der Union und der Levante-Linie vereinbart worden, wonach die Union der Levante-Linie Schiffe zur Verfügung stellen sollte. Und sie sollte ihr ein Darlehen von 1.800.000 Mark gewähren, womit die Schulden der notleidenden Reederei zu begleichen wären. Die Union zahlte allerdings nur einen Teil in bar, der jedoch nicht zur Schuldentilgung verwendet wurde. (Wo das Geld blieb, ist ungeklärt.) Sie stellte auch keine eigenen Schiffe, sondern die einer weiteren Reederei, die für die Levante-Linie aber nutzlos waren. Diese dritte Reederei hieß Seetransport-Gesellschaft, ihr Geschäftsführer war Robert Loesener, ihr Gründer Christian Kraft.

Es folgten Rücktritte von Mitgliedern des Levante-Aufsichtsrats, die Einberufung einer außerordentlichen Generalversammlung der Aktionäre, die den Generaldirektor der Levante-Linie umgehend entließ, und die Einsetzung einer Revisionskommission, die im März 1907 ihren Bericht vorlegte, »der vor allem nachdrücklich rügte, daß Loesener, aber auch Prinz Hohenlohe und Hofmann beim Abschluß des Vertrages mit der Union wegen des Interesses an dieser Gesellschaft nicht als Vertreter der Levante-Linie hätten mitstimmen dürfen und daß vor allem Loeseners Tätigkeit bei diesem Vertragsabschluß seinen Verpflichtungen als Mitglied des Aufsichtsrats widersprochen habe«.25 Daraufhin waren auch Loesener, Prinz Friedrich Karl und Hofmann zurückgetreten. Der neu besetzte Aufsichtsrat hatte auf der nächsten Generalversammlung eine Bilanz vorgelegt, wonach die Levante-Linie einen Verlust von fast drei Millionen Mark zu verzeichnen habe, hatte dafür aber in der Versammlung überraschend keine Zustimmung gefunden. Denn Christian Kraft, sein Bruder Friedrich Karl und Ernst Hofmann hatten unterdessen so viele Aktien gekauft, dass sie auch hier die Stimmenmehrheit hatten. Wieder traten Mitglieder des Aufsichtsrats unter Protest zurück, und ihre Nachfolger zeigten sich den Berechnungen des Hauses Hohenlohe-Öhringen gegenüber deutlich aufgeschlossener. In der neuen Bilanz war der Verlust um eine Million Mark gesunken. Sie wurde nicht veröffentlicht.26

Deutlich geradliniger ist die Geschichte der Deutschen Palästina-Bank AG verlaufen, die Christian Kraft ebenfalls in den Fürstentrust einbringt. Als Deutsche Palästina- und Orient-Gesellschaft GmbH 1896 unter anderem von Karl von der Heydt, einem Bankier und entschlossenen Förderer der deutschen Kolonialpolitik, mit dem bescheidenen Stammkapital von 100.000 Mark gegründet, hatte sie sich schon drei Jahre später in eine Aktiengesellschaft verwandelt, ausgestattet mit zunächst 450.000, bald darauf mit einer Million Mark Grundkapital. Zu den Gründern gehörte wiederum von der Heydt, jetzt aber in Gesellschaft von Christian Kraft und Max Schoeller, dem Jülicher Zuckerfabrikanten.27 Der Zweck der Bank war die Förderung des deutschen Handels in der Levante.

Es ist kein Zufall, dass Christian Kraft ausgerechnet 1899 mit einer Bank in den Levante-Handel einsteigen will, schließlich hatte die mit gewaltigem Aufwand inszenierte zweite Orientreise des deutschen Kaisers ein Jahr zuvor weltweit Aufsehen erregt. Abdülhamid II., der tyrannische Sultan des Osmanischen Reiches, hatte den Deutschen angeboten, die anatolische Eisenbahn bis zum Persischen Golf weiterzuführen. Als das bereits erwähnte Bankenkonsortium unter der Führung der Deutschen Bank schon wenige Wochen nach Wilhelms Reise die Vorkonzession für den Bau der Bagdadbahn erhalten hatte, war »der Grundstein für den nunmehr kaum noch aufzuhaltenden Aufstieg des Deutschen Reiches zur wirtschaftlich und politisch dominanten Macht am Goldenen Horn gelegt«.28 Zu dieser Einschätzung kamen auch die anderen europäischen Mächte. Russland fürchtete um seinen Einfluss auf den östlichen Teil Anatoliens und auf die Kaukasusregion. England sah seine strategische Position am Persischen Golf gefährdet. Der Nahe Osten war die Verbindungslinie nach Indien, die »große Schlagader des Empire«.29 Die Bagdadbahn war nicht nur das technisch anspruchsvollste Projekt der deutschen »Weltpolitik«, es war auch, neben dem Flottenbau, das politisch riskanteste. Doch die Gefahr, das Reich durch den Bau der Bahn weiter zu isolieren, erkannte der Kaiser nicht. Er betrachtete das Vorhaben vielmehr als Geniestreich gegen den englischen Rivalen, dessen Schiffe künftig in den Häfen liegen bleiben würden, weil niemand mehr den wochenlangen Transfer durch den Suezkanal nach Asien akzeptieren würde. Wilhelm II. erklärte, die Bagdadbahn »ist meine Bahn!«, und stellte »dieses Ausgangstor für deutsche Arbeit und Industrie«30 unter seinen persönlichen Schutz.

Günstige Aussichten also für den deutschen Levante-Handel, und tatsächlich entwickelte sich die Deutsche Palästina-Bank AG in den ersten Jahren recht ordentlich. Die Dividenden lagen zwischen fünf und sieben Prozent, von Tumulten unter Aktionären und klandestin veränderten Bilanzen wurde nichts bekannt. Die Deutsche Palästina-Bank war eine von damals vier modernen Kommerzbanken Palästinas,31 aber im Reich Christian Krafts war sie ein Zwerg.

Dann aber wird am 24. April 1908 in Berlin das fürstliche »Casino« eröffnet, der Fürstentrust. Schon zwei Monate später, am 18. Juni, beschließt die Generalversammlung der Deutschen Palästina-Bank, das registrierte Kapital der Gesellschaft auf fünf Millionen Mark zu erhöhen und in Hamburg eine Filiale einzurichten. Die Bank wird zwar in Palästina weiterhin Geschäfte machen, aber Christian Kraft hat mit ihr Größeres vor: Die Deutsche Palästina-Bank soll dem Fürstentrust künftig vor allem als Hausbank dienen.

Olete lõpetanud tasuta lõigu lugemise. Kas soovite edasi lugeda?