Firmung Jugendlicher im interdisziplinären Diskurs

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In der Arbeit wird die interdisziplinäre Herangehensweise als eine Möglichkeit verstanden, die Kontextualität theologischer Forschung und der Glaubenspraxis der Kirche darzustellen und zu vertiefen. Für pastoraltheologisches Arbeiten soll somit eine Forschungslogik angewandt werden, die es ermöglicht, verschiedene standpunkte in einen Kommunikationsprozess miteinander zu bringen. Hintergrund für dieses Vorgehen ist die pastorale Erfahrung des Verfassers, nach der theologische Argumente im Gespräch mit Jugendlichen häufig ins Leere laufen und ihre kommunikative Valenz nicht mehr entfalten können. Gerade die theonome und die autonome Verfassung des Menschen können hierbei nicht gegeneinander gestellt werden. interdisziplinäre Perspektiven sollen dabei helfen, ein ausgewogenes Zueinander von theologischen Geltungsansprüchen, den Potentialen rituellen Handelns und den religiösen Erfahrungen Jugendlicher zu ermöglichen.

Durch die Auswahl der Ritualtheorien und der empirischen Wissenschaften werden in der Arbeit Potentiale rituellen Handelns und der reflexivdemoskopische charakter jugendlicher Religiosität untersucht. Dadurch sollen einerseits sowohl den Überzeugungen der Firmanden Raum gegeben werden als auch dem Problem, dass Initiation in eine Gemeinschaft in postindustriellen Gesellschaften ein vielschichtiges Phänomen ist und nicht immer erfolgreich durchgeführt wird. Es ist sogar fraglich, ob der Erfolg oder der Misserfolg einer initiation festgestellt werden kann. Auf der anderen seite zeigen Rituale ein erhebliches Potential an kreativen und integrativen Valenzen. Sie für die Zeit der Firmvorbereitung und für den Ritus der Firmung fruchtbar zu machen, ist ein wesentliches Ziel der Arbeit. Gleichzeitig müssen auch die Äußerungen Jugendlicher, die in einer nicht unerheblichen Spannung zu theologischen Geltungsansprüchen stehen, mit berücksichtigt werden. Gerade bei Firmanden handelt es sich dabei um die Aussagen getaufter Christinnen und Christen, die in ihrer Biographie die Entwicklung vom Kindes- zum Erwachsenenalter durchlaufen und die in ihrer persönlichen Religiosität auf der Suche nach Erfahrungen sind.

Ein wesentliches Ziel der Arbeit ist es, mittels der Sachthemen einen interdisziplinären Diskurs zwischen Theologie, Ritualwissenschaften und empirischen Wissenschaften zu ermöglichen. Die erkenntnistheoretischen Standpunkte und die Methoden dieser Wissenschaften sind zwar verschieden. Es existieren aber auch eine große Anzahl an Überschneidungen, wie die Frage nach der Bedeutung des Alltags der Menschen oder der persönlichen Religiosität Jugendlicher.

Aufbau der Arbeit

Damit ergibt sich folgender Aufbau der Arbeit: im ersten Kapitel wird die normative Ausgestaltung der Firmung in den Dokumenten des Zweiten Vatikanischen Konzils und der postkonziliaren synoden in Deutschland dargestellt. Dabei werden die Sachfragen benannt, die für Arbeit zentral werden. Diese sind: Biographie, Gemeinschaft, Gottesbild, Gabe und Aufgabe, Glaubensleben, Kommunikation, Passageritual und Alter. Mit diesen Kriterien soll überprüft werden, was ritualtheoretische und empirische Wissenschaften darauf antworten können und wie mit ihnen das sakrament der Firmung theologisch verantwortet dargestellt werden kann. Bereits die Firmtheologie Thomas von Aquins kann unter dem Ausgangspunkt der Biographie entwickelt werden. Im Fokus steht aber nicht die Geschichte der Firmtheologie, die Manfred Hauke in seiner Habilitationsschrift umfassend dargestellt hat. In diesem Kapitel geht es um die Theologie im 20. und 21. Jahrhundert. Hierbei zeigt sich, dass die Firmtheologie Karl Rahners von dem Ausgangspunkt des Glaubenslebens und Hans Urs von Balthasars Firmtheologie von dem Gesichtspunkt Gabe und Aufgabe her erschlossen werden kann. Ebenso gibt es im 20. und 21. Jahrhundert eine reichhaltige Auseinandersetzung mit der Firmung, die von dem Kriterium Kommunikation aus erschlossen werden kann. Dazu gehören die so genannte kommunikative Theologie aber auch Arbeiten von Patrik Höring und Lothar Lies. Das Kapitel schließt mit einem Ausblick auf die Feier der Konfirmation in den evangelischen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften und der Aufbereitung der Sachfragen für die interdisziplinäre Arbeit im vierten Kapitel.

Das zweite Kapitel handelt von den Potentialen rituellen Handelns. Die Auswahl ritualtheoretischer Beiträge richtet sich danach, sowohl ältere, umfassende Darstellungen von Ritualen zu untersuchen als auch jüngere Ritualtheorien, die der Ausdifferenzierung des Rituals in postindustriellen Gesellschaften Rechnung tragen, um die Relevanz rituellen Handelns zu erklären. Nach jedem Unterkapitel werden die Ergebnisse anhand der Sachfragen gesammelt und überprüft, welche Sachfragen von den Ritualtheorien beantwortet werden können. Dabei fällt nur ein einziges Kriterium heraus, das nicht von den ritualtheoretischen Beiträgen beantwortet werden kann: die Frage nach dem Firmalter. Das hängt damit zusammen, dass die klassischen Ritualtheorien verschiedene Rituale untersuchen, die in unterschiedlichen Gesellschaften zu diversen Altersstufen gefeiert werden und die neueren Ritualtheorien Rituale in postindustriellen Gesellschaften untersuchen, bei denen es keine fest gelegte Altersstufe gibt. Das Kapitel schließt mit der Frage nach der Effektivität der Rituale und einem kurzen Blick auf die Jugendweihe bevor die Sachfragen für die interdisziplinäre Zusammenschau aufgearbeitet werden.

Im dritten Kapitel wird von den gewählten empirischen Studien ausgegangen. Sie wurden so gewählt, dass sowohl akademische als auch kirchliche studien herangezogen werden konnten. Neben diesen Einzelstudien werden auch religionssoziologische und religionspsychologische studien untersucht, die die jugendlichen Religiosität auf umfassende Weise zu beschreiben versuchen. Zusammen mit diesen Studien wird zu Beginn ein Ausblick auf die Religiosität in der Kindheit gegeben, um deutlich zu machen, welche Entwicklungsaufgaben Jugendliche in ihrer Religiosität vor sich haben. Auch in diesem Kapitel ist die sachfrage nach dem Alter schwer zu beantworten, weil die einzelnen empirischen studien unterschiedliche Altersgruppen Jugendlicher befragen. Religionspsychologische und kognitionswissenschaftliche studien werden letztlich herangezogen, eine möglichst umfassende Darstellung jugendlicher Religiosität zu gewährleisten. Den Abschluss bildet wieder die Aufbereitung der Sachthemen.

Im vierten Kapitel werden die einzelnen Sachfragen der Reihe nach behandelt. Hier sollen die interdisziplinären Perspektiven zum Tragen kommen. Besondere Bedeutung erlangt dabei die Frage nach der theonomen und der autonomen Verfassung des Menschen, die in spätmoderner Zeit in neuen Zusammenhängen steht.

1 Vgl. zur Geschichte der Firmung: NEUNHEUSER, Burkhard, Taufe und Firmung. In: SCHMAUS, Michael / GEISELMANN Josef R. / GRILLMEIER, Aloys, Handbuch der Dogmengeschichte. Band IV Sakramente. Faszikel 2. Freiburg 1956 und HAUKE, Manfred, Die Firmung. Geschichtliche Entfaltung und theologischer Sinn. Paderborn 1999.

2 Vgl. PAUL VI, Constitutio Apostolica De Sacramento Confirmationis. Divinae Consortium Naturae. In: ACTA APOSTOLICAE SEDIS 63 (1971), 657-664.

3 Vgl. CIC, can. 889-896.

4 Pontificale Romanum ex decreto Sacrosancti Oecumenici Concilii Vaticani II instauratum auctoritate Pauli PP. VI promulgatum. Ordo Confirmationis. Editio typica. Typis Polyglottis Vaticanis 1973 und Rituale Romanum ex decreto Sacrosancti Oecumenici Concilii Vaticani II instauratum auctoritate Pauli PP. VI promulgatum. Ordo Initiationis Christianae Adultorum. Editio typica. Typis Polyglottis Vaticanis 1972.

5 Vgl. VONDEY, Wolfgang, Heribert Mühlen. His Theology and Praxis. A New Profile of the Church. Lanham MD, 2004, 297 ff.

6 MÜHLEN, Heribert, Neue Gestalt des Christseins. In: DERS. (Hrsg.), Geistesgaben heute. Mainz 1982, 33-49, hier 39.

7 MÜHLEN, Die Firmung als sakramentales Zeichen der heilsgeschichtlichen Selbstüberlieferung des Geistes Christi. In: THEOLOGIE UND GLAUBE 57 (1967), 263-286, hier 285.

8 MÜHLEN, Die Erneuerung des christlichen Glaubens. München 1974, 231.

9 BIEMER, Firmung. Theologie und Praxis Pastorale Handreichungen Band 6. Würzburg, 1973, 36.

10 Vgl. BIEMER, Firmung. Theologie und Praxis, 35 ff. Einen ähnlichen Ansatz vertritt Günter Biemer auch in einer späteren Veröffentlichung: Vgl. BIEMER, Symbole des Glaubens leben. Symbole des Lebens glauben. Sakramtenkatechese als Lernprozeß. Taufe. Firmung. Eucharistie. Ostfildern 1999, 179 f.

11 BIEMER, Firmung. Theologie und Praxis, 41.

12 BIEMER, Firmung. Theologie und Praxis, 42.

13 BIEMER, Angesichts der Theodizeefrage Sakramente lehren und lernen. In: LESCH, Karl Josef / SALLER, Margot (Hrsg.), Warum Gott…? Der fragende Mensch vor dem Geheimnis Gottes. Festschrift für Ralph Sauer zum 65. Geburtstag. Vechtaer Beiträge zur Theologie 2. Kevelaer 1993, 169-177, hier 177.

14 Zum Problem der Integration verschiedener theologischer Modelle in eine einheitliche Sichtweise vgl. LUTZ, Christian, Theologie in der Kirche. Eine Untersuchung der methodologischen Grundlagen der Theologie und des Verständnisses der Katholizität der Kirche bei Avery Kardinal Dulles und Leo Kardinal-Scheffczyk. Frankfurt 2009, 43 ff. Hier dargestellt anhand der Modelltheorien Avery Dulles’.

15 AMOUGOU-ATANGANA, Jean, Ein Sakrament des Geistempfangs? Zum Verhältnis von Taufe und Firmung. In: KÜNG, Hans / MOLTMANN, Jürgen (Hrsg.), Ökumenische Forschungen. III Sakramentologische Abteilung. Band 1. Freiburg 1974, 12.

 

16 AMOUGOU-ATANGANA, Jean, Ein Sakrament des Geistempfangs?, 59.

17 AMOUGOU-ATANGANA, Jean, Ein Sakrament des Geistempfangs?, 286.

18 Vgl. SCHWALBACH, Ulrich, Firmung und religiöse Sozialisation. Innsbrucker theologische Studien Band 3. Innsbruck 1979, 36: „Vereinfacht dargestellt, scheint das Problem der Firmung die Gewissensfrage zu stellen, ob die Schrift oder die Tradition ab dem Mittelalter verpflichtender Maßstab für eine heutige Entscheidung sein soll“.

19 Vgl. SCHWALBACH, Ulrich, Firmung und religiöse Sozialisation, 142: „Insgesamt stellt sich der Kirche die Aufgabe, die religiösen Sozialisationsprozesse auf allen Ebenen zu verstärken. Den ersten Ansatzpunkt dafür bietet freilich die Ortsgemeinde“.

20 SCHWALBACH, Ulrich, Firmung und religiöse Sozialisation, 147.

21 Vgl. hierzu im Internet zum Beispiel die Seiten: http://www.glaubensnetz.de oder http://www.firmung-in-kiel.de.

22 Vgl. hierzu das Einleitungskapitel in HILBERATH, Bernd Jochen / SCHARER, Matthias, Wider den feierlichen Kirchenaustritt. Theologisch-praktische Orientierungshilfen. Mainz 22000 (1998).

23 HAUKE, Die Firmung. Geschichtliche Entfaltung und theologischer Sinn. Paderborn 1999.

24 HAUKE, Die Firmung, 9.

25 LANGENBACHER, Jesaja, Firmung als Initiation in Gemeinschaft. Theologie von Firmlingen – eine Herausforderung und Bereicherung für die Lebens- und Glaubenskommunikation in der Kirche. Kommunikative Theologie interdisziplinär Band 13. Berlin 2010.

26 LANGENBACHER, Firmung als Initiation in Gemeinschaft, 15.

27 LANGENBACHER, Firmung als Initiation in Gemeinschaft, 22.

28 HÖRING, Patrik C., Firmung. Sakrament zwischen Zuspruch und Anspruch. Eine sakramententheologische Untersuchung in praktisch-theologischer Absicht. Kevelaer 2011, 19.

29 Ebd

30 SIEVERNICH, Michael, Pastoraltheologie, die an der Zeit ist. In: SEDMAK, Clemens (Hrsg.), Was ist gute Theologie? Innsbruck 2003, 225-239, hier 234.

31 SIEVERNICH, Pastoraltheologie, die an der Zeit ist, 235.

32 METTE, Norbert, Art. Interdisziplinarität. In: KASPER, Walter / BAUMGARTNER, Konrad u.a. (Hrsg.), Lexikon für Theologie und Kirche. Band 5. Freiburg 31996, 557-558, hier 557.

33 Vgl. METTE, Norbert / STEINKAMP, Hermann, Sozialwissenschaften und Praktische Theologie. Düsseldorf 1983, 166-168.

34 Vgl. METTE, Art. Interdisziplinarität, 557-558.

35 Vgl. METTE, Art. Interdisziplinarität, 558.

36 FÖRST, Johannes, Empirische Religionsforschung und die Frage nach Gott. Eine theologische Methodologie der Rezeption religionsbezogener Daten. Berlin 2010.

37 Vgl. FÖRST, Empirische Religionsforschung und die Frage nach Gott, 247 ff.

38 Vgl. FÖRST, Empirische Religionsforschung und die Frage nach Gott, 226-230.

39 FÖRST, Empirische Religionsforschung und die Frage nach Gott, 250.

40 Vgl. KRIEGER, David J. / BELLIGER, Andréa, Einführung. In: DIES. (Hrsg.), Ritualtheorien. Ein einführendes Handbuch. Wiesbaden 42008, 7-34, hier 7 f.

41 Vgl. KRIEGER / BELLIGER, Einführung, 7.

42 WULF, Christoph / ZIRFAS, Jörg, Performative Welten. Einführung in die historischen, systematischen und methodischen Dimensionen des Rituals. In: DIES. (Hrsg.), Die Kultur des Rituals. Inszenierungen. Praktiken. Symbole. München 2004, 7-45, hier 7.

43 Vgl. LANG, Bernhard, Ritualwissenschaft in der Theologie. Eine kleine polemische Fehlanzeige. In: ERWÄGEN. WISSEN. ETHIK 23 / 2 (2012), 201-203, hier 201.

44 KRANEMANN, Benedikt, Einführung. Die modernen ritual studies als Herausforderung für die Liturgiewissenschaft. In: DERS. / POST, Paul (Hrsg.), Modern Ritual Studies as a Challenge for Liturgical Studies, Leuven 2009, 9-31, hier 31.

45 KRANEMANN, Einführung, 14.

46 Vgl. Kapitel 2.6 der vorliegenden Arbeit.

47 Vgl. BRÄUNLEIN, Peter J., Zur Aktualität von Victor W. Turner: Einleitung in sein Werk. Wiesbaden 2012, 73.

48 Vgl. SPICKARD, James V., A Guide to Mary Douglas’s Three Versions of Grid/Group Theory. In: SOCIOLOGICAL ANALYSIS 50 / 2 Thematic Issue: A Durkheimian Miscellany (Summer, 1989), 151-170, hier 151.

49 VAN DER VEN, Johannes A., Praktische Theologie und Humanwissenschaften. In: HASLINGER, Herbert u.a. (Hrsg.), Handbuch Praktische Theologie. Band 1 Grundlegungen. Mainz 1999, 267-278, hier 273.

50 BARZ, Heiner, Jugend und Religion. Bemerkungen zum religionssoziologischen Forschungsstand. In: Ethik & Unterricht Themenheft Religion Herbst 2003. Nach Internet: http://www.phil-fak.uni-duesseldorf.de/fileadmin/Redaktion/Istitute/Sozialwissenschaften/BF/Jugend___Religion/Ethik_Unterricht_08-03.pdf (abgerufen am 27. Mai 2013), 11-13.

1 Theologische Grundlegung des Sakramentes der Firmung

Für eine interdisziplinäre Arbeit zur Firmung ist es entscheidend, die theologische Grundlegung des Sakramentes der Firmung darzustellen und zu diskutieren. in diesem Rahmen müssen Sachfragen, Sachthemen beziehungsweise Kriterien herausgefiltert werden, zu denen die Ritualwissenschaften und die empirischen sozialwissenschaften ebenfalls stellung beziehen können. in diesem Kapitel werden deshalb zunächst die Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils, die nachkonziliaren Neuregelungen des Firmritus und die Dokumente der nachkonziliaren synoden in Deutschland untersucht. Die Darstellung legt es nahe, Sachthemen wie Biographie, Gemeinschaft, Gottesbild, Gabe und Aufgabe, Glaubensleben, Kommunikation, Passageritual und Alter zu wählen. Im weiteren Verlauf des ersten Kapitels wird von verschiedenen Perspektiven ausgehend die Theologie der Firmung fokussiert. So geht bereits Thomas von Aquin in seiner Firmtheologie von der menschlichen Biographie aus. Die Firmtheologie Karl Rahners kann unter dem Ausgangspunkt des Glaubenslebens dargestellt werden. Hans Urs von Balthasars Theologie zum christlichen Leben kann unter dem Gesichtspunkt Gabe und Aufgabe entwickelt werden. Im vorletzten schritt werden theologische Entwürfe unter dem Ausgangspunkt Kommunikation gesammelt. Dazu gehören die Darstellungen der kommunikativen Theologie, Patrik C. Hörings Arbeit, die die Firmung als Zu- und Anspruch versteht und die Firmtheologie Lothar Lies’, der die Firmung mittels einer eulogischen Struktur erschließt. Ein weiterer Blick auf die Konfirmation zeigt Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu den Sachfragen zur Firmung auf. Nach jedem Unterkapitel werden die Theologien ausgehend von ihrem Ausgangspunkt hinsichtlich der Sachthemen befragt und die Ergebnisse in einer Tabelle dargestellt. Zum Abschluss des Kapitels werden die Ergebnisse gebündelt und die theologische Binnenlogik der einzelnen Sachfragen dargestellt.

1.1 Normative Ausgestaltung der Firmung in den Dokumenten des Zweiten Vatikanischen Konzils und der postkonziliaren Synoden in Deutschland

Josef Zerndl hat sich mit der Theologie der Firmung in den Dokumenten der Vorbereitungszeit des Zweiten Vatikanischen Konzils und in den Konzilstexten beschäftigt. Nach seiner Analyse ist die Firmung zu verstehen 1) als Teil der christlichen Initiation, die mit der Feier der Taufe beginnt und auf die Feier der Eucharistie hin ausgerichtet ist. Dadurch wird die Firmung 2) zu einem ekklesialen Heilszeichen, weil die Gläubigen tiefer in die Kirche eingegliedert werden und an der Sendung der ganzen Kirche teilnehmen. Die Firmung ist 3) außerdem „im Konzil das besondere Sakrament des Heiligen Geistes, der mit seinen Gaben die Gläubigen für ihre Aufgaben bestärkt und sie an der apostolischen Sendung der ganzen Kirche teilhaben läßt“51. Diese Systematisierung bietet einen einfachen Zugriff auf die Firmtheologie des Zweiten Vatikanischen Konzils. Sie wird deshalb dazu benutzt, um zu überprüfen, welche Kriterien aus theologischer Perspektive in eine interdisziplinäre Auseinandersetzung mit der Firmung eingebracht werden können.

1.1.1 Firmung ist Teil der christlichen Initiation

In der Konstitution über die Heilige Liturgie Sacrosanctum Concilium wird die Firmung in den Zusammenhang der „christlichen Initiation“52 gestellt. Das Wort Initiation wird allerdings nicht erklärt53. Die Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung hat in der Instruktion zur ordnungsgemäßen Durchführung der Konzilskonstitution über die Liturgie aus dem Jahr 1994 erklärt, Taufe, Firmung und Eucharistie gehörten zur christlichen Initiation, und zwar im Unterschied zu Initiationsriten wie sie in Stammeskulturen praktiziert werden54. In der Konstitution selbst ist Wort Initiation nur ein weiteres Mal zu finden, wenn neben „den Elementen der [christlichen] Initiation“55 in Missionsländern auch Elemente aus dem kulturellen Leben von Stammesvölkern Verwendung finden können, wenn sie dem christlichen Ritus angepasst werden können. Der innere Zusammenhang der christlichen Initiation wird in SC 71 an den Textstellen, die sich mit der Firmung beschäftigen, stark betont. Bei den Ausführungen über Taufe und Eucharistie ist er in dieser Form aber nicht zu finden. Zerndl begründet dies damit, dass der Ritus der Firmung, der vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil rahmenlos und isoliert gestanden habe, in „den Gang der Eucharistiefeier“56 eingeordnet wurde und damit von dieser Feier seine Gestalt her finden sollte. Jesaja Langenbacher weist darauf hin, dass das Wort Initiation in den Texten des Zweiten Vatikanischen Konzils aufgegriffen wurde, um an die Theologie der Alten Kirche anzuschließen57. Wegweisend für die Herausstellung des zusammengehörigen Initiationsritus wäre die liturgische Erneuerung, so Langenbacher im Anschluss an Franz-Josef Nocke58. Auch Günter Koch erklärt, dass in den Texten des Zweiten Vatikanischen Konzils der Begriff Initiation aufgenommen wurde, während er im Neuen Testament kaum eine Rolle spielt, um die Abgrenzung von Initiationen in Mysterienkulte deutlich zu machen59. Bei der theologischen Deutung der Sakramente Taufe und Eucharistie und damit auch der Firmung – besonders seit der Theologie des 4. Jahrhunderts – kam es in der Auseinandersetzung mit den Mysterienkulten auch zu „manche[n] sachlichen und terminologischen Übernahmen“60, so Koch. Dies sei beispielsweise in der französischen Liturgiewissenschaft vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil wieder aufgegriffen worden und habe Eingang in die Texte des Konzils gefunden.

Die Sakramente und damit auch die Firmung haben eine soziale Dimension. Sie dienen zum Aufbau der Kirche, gerade auch in den Einzelgemeinden, die besonders als territorial umschriebene Pfarreien, in gewisser Weise die Gesamtkirche darstellen61. In dieser Zuschreibung von Pfarrei / Gemeinde und Kirche sieht Zerndl auch die Wirkung der Initiationssakramente: „christliche Initiation erschöpft sich nicht in ‚Gemeinde’, aber die Eingliederung in ‚Gemeinde’ ist ein wesentliches Ziel“62. Dieses wird schon aus dem Grund deutlich, dass die Wirksamkeit der Sakramente vom Paschamysterium abhängig gemacht wird. So wird in SC 61 die Wirkung der Sakramente und Sakramentalien aus dem Christusereignis abgeleitet und eigens betont, dass der rechte Gebrauch aller materiellen Dinge auf das Ziel hin ausgerichtet ist, den Menschen zu heiligen und Gott zu loben. Initiation und Firmung müssen also von der „metahistorische[n] Bedeutsamkeit der Person Christi“63 her verstanden werden. Damit einher geht aber auch die Öffnung der Gemeinschaft auf andere Menschen und auf die gesamte Schöpfung hin. Christliche Initiation beinhaltet immer auch eine Sendung, denn die Firmung trägt wie alle Sakramente und wie jedes individuelle menschliche Leben64 dazu bei, „das Leben in seinen verschiedenen Gegebenheiten“65 zu heiligen. Diese biographische Bedeutung der Sakramente stellt die Firmung in die Nähe einer Begleitung oder auch Heiligung der Lebenszeit, in der sie empfangen wird, also zum Beispiel dem Jugendalter. Dies kann eben darin geschehen, dass das Leben Jesu für das persönliche Leben von Christinnen und Christen der Gegenwart Bedeutung erlangt. Deshalb wird die Firmung theologisch sowohl im Pfingstgeschehen verortet sein als auch im Pascha-Mysterium.

 

1.1.2 Firmung ist ein ekklesiales Heilszeichen

Die Dogmatische Konstitution Lumen Gentium über die Kirche hat sich folgendermaßen zur Firmung geäußert: „Durch das Sakrament der Firmung werden sie [die Getauften] vollkommener der Kirche verbunden und mit einer besonderen Kraft des Heiligen Geistes ausgestattet. So sind sie in strengerer Weise verpflichtet, den Glauben als wahre Zeugen Christi in Wort und Tat zugleich zu verbreiten und zu verteidigen“66. Diese Wendung findet sich im Zweiten Kapitel über das Volk Gottes und beschreibt das priesterliche Gottesvolk. Der Christ / die Christin wird in der Firmung also mit der Kraft des Heiligen Geistes ausgestattet und so individuell für das Leben gestärkt, gleichzeitig wird er / sie vollkommener mit der Kirche verbunden und so wird die Gemeinschaft, die Kirche, gestärkt. Die Firmung ist also sowohl subjektiv bedeutsam als auch ekklesial. Sie steht mit der Taufe genau an dem Schnittpunkt der Zugehörigkeit des Einzelnen zur Kirche. Firmung ist zunächst einmal eine Gabe und zwar sowohl an den einzelnen Christen als auch an das gesamte priesterliche Gottesvolk. Die Firmung beschreibt aber auch eine Aufgabe. Während alle Getauften die Pflicht haben, ihren Glauben „vor den Menschen zu bekennen“67, sind die Gefirmten in strengerer Weise verpflichtet, Zeugen Christi zu sein und den Glauben in Wort und Tat zu verbreiten und zu verteidigen. Der christologische Begründungszusammenhang der Firmung wird hier mit einer Theologie des Volkes Gottes ergänzt, das in der Firmung eine Stärkung erfährt. Deshalb wird eine komparative Sprechweise zur Erklärung der Firmung herangezogen. Damit tritt auch die Verpflichtung zur missionarischen Tätigkeit für die Gefirmten deutlich in den Vordergrund. Bei der Verbreitung des Glaubens ist allerdings auch seine Verteidigung mit impliziert. Dadurch beinhaltet die Firmung sogar den Auftrag zu apologetischem Wirken. Die Beziehung der Firmung auf die Verbreitung des Glaubens in Wort und Tat und der Einleitungspassus von LG 1168 verweisen obendrein auf ethische Implikationen des Sakramentes der Firmung. Darüber hinaus weist LG 11 neben dem christologischen Bezug der Firmung auch auf die pneumatologische Dimension hin. Neben der ethischen und missionarischen Verpflichtung werden auch spirituelle Aspekte der Zeugenschaft für Christus erwähnt.

Während für Peter Hünermann in LG 11 die einzelnen Christinnen und Christen als „Empfänger der Sakramente im Blickfeld“69 stehen, verweist Josef Zerndl auf die Aussagerichtung von LG 1170: Alle Aussagen beziehen sich auf die Wirkung des Sakramentes der Firmung. Die Entstehungsgeschichte von LG 11 zeige aber zudem, dass ursprünglich ein eigenes prophetisches Betätigungsfeld der Gefirmten angedacht war, das ein Desiderat geblieben ist. Anstelle dessen stünde in der Endfassung der Verpflichtungscharakter im Vordergrund. Entscheidende neue Aspekte in der Firmtheologie seien die Verlagerung des Schwerpunktes von der Verteidigung des Glaubens auf die Ausbreitung des Glaubens, ebenso wie die subjektive und ekklesiale Dimension im Sakrament der Firmung. Auch die Zeugenschaft für Christus in Wort und in Tat habe die bis zum damaligen Zeitpunkt vorherrschende Theologie der Firmung bereichert. Man könne dabei aber nicht von einem eigenen Auftrag an die Gefirmten sprechen, denn die Zugehörigkeit zur Kirche und die Verpflichtung zum Glaubensbekenntnis vor den Menschen ist in der Taufe bereits Grund gelegt71. Bedacht werden müsse ebenso, dass in LG 11 nicht von einer einheitlichen christlichen Initiation gesprochen wird. Die Firmung wird eher komparativ mit der Taufe in Beziehung gestellt, indem erneut von einem mehr die Rede ist. Dieser Komparativ erscheint aber eher als eine Zunahme, ein Wachstum oder eine Steigerung, als eine Herabsetzung der Taufe. Dennoch komme, so Peter Hünermann, das Volk Gottes als ein „in der Öffentlichkeit agierendes Handlungssubjekt [nicht deutlich zum Vorschein. Gesprochen wird] lediglich davon, dass durch die Gläubigen die Einheit des Volkes dargestellt wird“72. Auf dieser Grundlage wird in Herders Theologischem Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil die Passage aus LG 11: Sacramento confirmations perfectius Ecclesiae vinculantur übersetzt mit der deutschen Wendung: „Durch das Sakrament der Firmung werden sie vollkommener an die Kirche gebunden“73. Deutlich wird dadurch ersichtlich, dass Hünermann die Beziehung der Firmung zum „messianischen Charakter des Gottesvolkes“74 vermisst.

Dafür wird die Zeugenschaft für Christus in der Firmung noch einmal besonders bedeutsam, wenn von der Mitarbeit der Laien an der Sendung der Kirche in LG 33 die Rede ist: „Der Apostolat der Laien ist Teilnahme an der Heilssendung der Kirche selbst. Zu diesem Apostolat werden alle vom Herrn selbst durch Taufe und Firmung bestellt“. Durch das Zueinander von Laienapostolat, Heilssendung der Kirche und den nicht genau differenzierten Sakramenten Taufe und Firmung wird die Berufung des christlichen Lebens mit dem Laienapostolat identifiziert. Das bedeutet, dass das Mittun der Laien keine Hilfsarbeit für die Priester ist, sondern aus Taufe und Firmung direkt abgeleitet werden muss: es ist ein Grundcharakter christlicher Existenz75. Über LG 11 hinaus wird damit das Laienapostolat auf eine sakramentale Grundlage gestellt und nicht nur als eine Verpflichtung verstanden, die sich aus Taufe und Firmung heraus ergeben würden. Bemerkenswert ist, dass auf der Grundlage einer eschatologischen Sichtweise der Sakramente auch dem Laienapostolat eine eschatologische Dimension zugesprochen wird, wenn auch nur am Rande76.

Dass die Kirche als allumfassendes Heilssakrament verstanden wird77 und dass die Taufe Christus gleich gestaltet und der Empfang der Eucharistie Anteil am Leib des Herrn ist78, führt zu einer Theologie der Taufe als Begründung der Eingliederung in die Kirche und einer Theologie der Eucharistie als Zielpunkt der Eingliederung. Dies zeigt sich im Besonderen im Dekret Presbyterorum Ordinis. Über Dienst und Leben der Priester 2 und 5. Wenn es „kein Glied [am mystischen Leib Christi gibt], das nicht Anteil an der Sendung des ganzen Leibes hätte [, dann muss jedes Glied] vielmehr Jesus in seinem Herzen heilighalten und durch den Geist der Verkündigung Zeugnis von Jesus ablegen“79. Für Zerndl ist deshalb das gemeinsame Priestertum aller Gläubigen die „Voraussetzung für das Amtspriestertum“80. An eine Beauftragung des Amtspriestertums durch das gemeinsame Priestertum aller Gläubigen sei damit allerdings nicht gedacht. Dadurch, dass das Amtspriestertum nicht aus der Taufe abgeleitet wird, würde PO 2 den Gedanken an eine Weihe des Laien zum Apostolat nicht rechtfertigen: „Firmung kann nicht als eine Art niedere Weihe betrachtet werden; sie gehört theologisch zur Taufe, nicht zum Amt“81. Deshalb absorbiert der sakramentale priesterliche Dienst „Taufe und Firmung nicht, sondern [er] setzt sie voraus“82. Die Befürchtung, das Amtspriestertum vom gemeinsamen Priestertum aller Gläubigen abhängig zu machen, könnte dazu geführt haben, dass man von einem eigenen Betätigungsfeld für Gefirmte Abstand nahm.

1.1.3 Firmung ist das besondere Sakrament des Heiligen Geistes zur apostolischen Sendung

Die eucharistische Gemeinschaft bleibt in den Dokumenten des Zweiten Vatikanischen Konzils nicht auf sich selbst bezogen, sondern ist als solche immer schon eine gesandte. Apostolische Sendung und missionarische Verpflichtung sind damit eine priesterliche Tätigkeit im Dienst aller Getauften und Gefirmten: in Taufe und Firmung sind Christinnen und Christen zum Apostolat gesandt83. Dazu bedient sich das Dekret Apostolicam Actuositatem. Über das Laienapostolat 3 vor allem der drei theologischen Tugenden Glaube, Liebe und Hoffnung und bezieht die Liebe auf die Liebe zu allen Menschen und das Tätigwerden für deren Heil. Zur Durchführung dieses Apostolates schenkt der Heilige Geist den Gläubigen Gnadengaben, Charismen, die im Konzilstext allerdings nicht näher erläutert werden. Es wird lediglich erwähnt, dass der Empfang eines Charismas verpflichtet, sie „in Kirche und Welt zum Wohl der Menschen und zum Aufbau der Kirche zu gebrauchen“84 und dass das Hirtenamt damit beauftragt ist, die Charismen zu prüfen und zu fördern. Entscheidend ist an diesem Text, dass das Apostolat der Getauften und Gefirmten gleich ursprünglich zu verstehen ist wie die Sendung der sakramental geweihten Diakone, Priester und Bischöfe85.