Bildethik

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2.8 Bildtypen

Der Journalismus lebt im Rahmen der Berichterstattung vom Verkauf der Medienprodukte, den Klicks der Internetnutzer und der „Einschaltquotenmentalität“ (Bourdieu 1998, S. 36.) im Fernsehen. Massenmedien müssen im Rahmen ihrer Berichterstattung neben den für die Rezipienten vorherrschenden Relevanzstrukturen, Bedürfnissen und Wunschvorstellungen zusätzlich die Sehgewohnheiten diverser Publika beachten, um auf dem Medienmarkt bestehen zu können. Dabei werden Bilder so ausgewählt und eingesetzt, dass sie das Interesse und die Aufmerksamkeit der Rezipienten durch die Verwendung unterschiedlicher Bildtypen erreichen. Durch die Aufnahme von Bildeindrücken lässt sich insgesamt eine hohe Aufmerksamkeit generieren. Diese werden ohne große mentale Anstrengungen aufgenommen und verarbeitet. Sie besitzen zusätzlich einen hohen Wiedererkennungswert (vgl. Geise 2011). Gleichwohl können dadurch weitergehende Zusammenhänge zum Gesamtverständnis nicht erfasst werden. Dafür sind weitergehende Informationen erforderlich.

Im Rahmen einer eigenen Untersuchung (Meyer/Ontrup/Schicha 2000a) sind eine Reihe von empirisch anzutreffenden Bildtypen aus der politischen Medienberichterstattung skizziert worden, die im Folgenden in einer überarbeiteten und ergänzten Form noch einmal dargestellt und eingeordnet werden.

Das Erläuterungsbild übernimmt eine unterstützende Funktion gegenüber der verbalen Information, indem es einen Zusammenhang, über den im Text gesprochen wird, visuell verständlich macht. Dabei antwortet es auf Fragen der Zusammenhänge. Die primäre Funktion ist also die didaktische Form der Verständnissicherung. Bilder dieser Art beruhen auf Diagrammen und Trickgrafiken, z. B. bei der Wetterkarte im Fernsehen.

Das Demonstrationsbild ist dem Erläuterungsbild zwar eng verwandt, unterscheidet sich aber dadurch von ihm, dass wesentlich neue Informationen auf der Bildseite liegen, bzw. der Inhalt des Bildes als noch nicht bekannt vorausgesetzt wird. Es antwortet auf die Frage nach der konkreten Ausgestaltung. Dabei handelt es sich vorzugsweise um Realbilder in einem mehr oder weniger illustrativen Verhältnis zum Text. Es geht darum zu zeigen, worüber im Text gesprochen wird.

Unter die Kategorie des Darstellungsbildes fallen in dieser Perspektive stereotypisierte Schnittmusterszenen, die jeder Nachrichtenzuschauer seit Jahrzehnten kennt: Politiker be- oder entsteigen Limousinen oder Flugzeugen, unterzeichnen Verträge, schütteln Hände usw. Politiker sehen sich dabei gerne als Erlöser, indem sie durch eine symbolische Scheinhandlung den Eindruck suggerieren, dass sich die Probleme durch ihren Auftritt tatsächlich lösen ließen. So sollte der Besuch von Bill Clinton bei den amerikanischen Soldaten in Deutschland während des Kosovokrieges die Solidarität des amerikanischen Volkes symbolisieren. Als optisches Signal trug der Präsident eine Bomberjacke, um die Verbundenheit mit der Armee zum Ausdruck zu bringen. Entsprechende Kostümierungen haben die amerikanischen Präsidenten George W. Bush und Donald Trump ebenfalls getragen.

Vom bloßen Darstellungsbild ist das Relationsbild zu unterscheiden, das eine bestimmte Beziehung ausdrückt und dabei erst durch den Zusammenhang mit dem verbalen Text verständlich wird. Die Bilder von Helmut Kohl und Michail Gorbatschow im Juli 1990 beim Spaziergang in Alltagskleidung haben nicht einfach nur zwei hemdsärmelige Herren beim Spaziergang gezeigt, sondern sind zum Symbol für die deutsch-sowjetische Verständigung im Vorfeld der deutschen Wiedervereinigung geworden. Derartige, angeblich private, Treffen gehören inzwischen bereits zum Standardprogramm von Begegnungen, bei denen sich Regierungschefs in einer für die Medien inszenierten betont lockeren Form treffen, bei der dann z. B. auf das Tragen von Krawatten verzichtet wird.

Das Aktionsbild ist umrissen durch ein bestimmtes Milieu, eine bestimmte Situation, aus der eine Handlung hervorgeht, die wiederum die Situation modifiziert. Aktionsbetonte Bilder zeigen einen emotionell interessanten Übergang durch die plötzliche und aktionsreiche Veränderung einer Situation. In diesem Sinne ist das Aktionsbild Teil einer Handlungsfolge, einer Kausalkette mit einer zugrunde liegenden Ursache und einer Folge. Der Dramatisierungseffekt besteht in der Steigerung des unmittelbaren Erlebens und in der Intensivierung des Eindrucks, ein bewegtes emotional interessantes Geschehen zu verfolgen wie Bernhardt und Liebhart (2020, S. 26) konstatieren:

„Wer beispielsweise die Auswirkungen der Klimakrise verständlich machen möchte, tut dies besser mit Bildern von Waldbränden oder Flutkatastrophen als mit Fotos fröhlicher Badegäste in gut besuchten Schwimmbädern.“

Dies können ebenfalls Aufnahmen erreichen, die die Konsequenzen des Klimawandels dokumentieren, sofern etwa rasch schwindende Gletscher gezeigt werden. Derartig beeindruckende Katastrophenfotos können einerseits dazu motivieren, sinnvolle Aktivitäten für den Klimaschutz zu beginnen. Andererseits können sie aber eine Abwehrhaltung (Reaktanz) erzeugen, sofern sich Rezipienten mit diesen visuellen Negativbotschaften nicht auseinandersetzen möchten (vgl. Staud 2016). Obwohl aktionsreiche Bilder den Nimbus der Einzigartigkeit verbreiten sollen, bedienen sie in der Regel konventionelle Schemata. Das visuelle Material hat hier einen hohen Konventionalisierungsgrad bei der Darstellung von Kriegshandlungen, Polizeieinsätzen oder gewalttätigen Ausschreitungen, die sich primär an Nachrichtenfaktoren orientieren, bei denen u.a. Konflikte, Auseinandersetzungen und Kontroversen für die Selektion von Nachrichten dargestellt werden (vgl. Staab 1990, Ruhrmann u.a. 2003).

Eine besonders unterhaltsame und auflockernde Funktion hat das Beziehungsbild. bei dem in Magazin- und Nachrichtensendungen beliebten Prinzip der Doppelmoderation. Hier findet die Zuschaueransprache in einem betont theatralisch inszenierten Rollenspiel statt, bei dem neben dem Moderator noch ein Experte für den Sport im Studio sitzt. Dort werden – speziell bei den privat-kommerziellen Anbietern – so genannte Scherzdialoge geführt, um eine lockere Studioatmosphäre zu suggerieren. Beide Moderatoren werden dann gleichzeitig im Bild für die Zuschauer präsentiert.

Die Wirkung des Emotionsbildes kann durch die Strategie forciert werden, ein Schockbild zu zeigen. Dabei werden etwa die Schrecken des Krieges am eindrucksvollsten durch das Frontalbild eines getöteten Opfers dokumentiert. Es haben sich in diesem Kontext einige Schlüsselbilder herausgebildet, die bei den Rezipienten im Gedächtnis haften geblieben sind. Besonders verwerflich waren die Verbrechen amerikanischer Soldaten an den irakischen Gefangenen, die 2004 im Abu-Ghuraib-Gefängnis bei Bagdad misshandelt wurden. Es wurden Scheinhinrichtungen inszeniert, Stromstöße verabreicht und Hunde auf die teilweise nackten Opfer gehetzt. Diese Misshandlungen des Folterskandals mit den lachenden Tätern wurden weltweit verbreitet. Am 28. April 2004 wurden diese Bilder bei CBS im amerikanischen Fernsehen gezeigt (vgl. Beilenhoff 2007, Leifert 2007, Haller 2008a).

Der Idealtyp des Affektbildes ist die Großaufnahme eines Gesichts oder eines anderen Körperteils, das im Detail gezeigt wird, um einen bestimmten Eindruck zu suggerieren. Bilder dieses Typs sind in gewissem Sinne aus dem zeit-räumlichen Zusammenhang eines Geschehens herausgehoben und konzentrieren sich ganz auf eine emotionale Qualität. Sie sind deshalb nicht auf die Großaufnahme beschränkt, sondern schließen unter bestimmten Bedingungen die Naheinstellung ein. Eine Sonderform des Affektbildes ist die Körperdetailaufnahme, die offensichtlich die Absicht verfolgt, Indizien für den emotionalen Zustand oder den Charakter einer Person einzufangen. So wird in politischen Talkshows die Unruhe der am Gespräch beteiligten Protagonisten häufig durch die Kamera eingefangen. Dort ist das nervöse Wackeln mit dem Fuß ebenso zu sehen wie die Schweißperlen auf der Stirn. Durch eine professionell eingesetzte Kameraregie kann es gelingen, einen Politiker entsprechend vorteilhaft und unvorteilhaft wirken zu lassen (vgl. Ontrup/Schicha 2001, Tenscher/Schicha 2002). Bei der Affektzeugenschaft ist die persönliche Betroffenheit der Fotografen als direkte Mitteilung zentral, sofern sie etwa Bilder von zivilgesellschaftlichen Protesten vor Ort machen und somit direkt in das Geschehen eingebunden sind. Es geht hierbei um eine persönliche Betroffenheit, aus der Gefühle von Gemeinschaftlichkeit und Solidarität resultieren können. Schrankweiler (2018) verweist in diesem Zusammenhang auf handygefilmte Amateurvideos von Polizeigewalt in den sozialen Medien. Entsprechende Aussagen in Bild- oder Videoform können durch Zirkulationen im Social Web in Form von Memen verbreitet werden, um die Effekte zu steigern und dadurch politisch wirksam zu werden. Das Teilen dieser Bilder gilt dann als Phänomen memetischer Verbreitung, um eine größtmögliche öffentliche Aufmerksamkeit zu erreichen (vgl. Bernhardt 2020, von Gehlen 2020). Sie treten in satirischer Form bisweilen „bewusst grenzüberschreitend und provokant“ (Grimm/Keber/Zöllner 2019, S. 244) in Erscheinung. Dabei können derartige Bilder bearbeitet und manipuliert werden, um die gewünschte Wirkung zu erreichen.

Das Motivationsbild kann dadurch Aufmerksamkeit erzeugen, dass es sich auf sich selbst bezieht, also autoreflexiv erscheint, indem es die Aufmerksamkeit des Betrachters darauf lenkt, wie es gemacht ist bzw. unter welchen außergewöhnlichen Umständen es entstanden ist. Ungewöhnliche Kameraperspektiven lassen sich dabei auf eine besonders dramatisierende oder psychologisierende Absicht zurückführen. Sie werden bei banalen und unspektakulären Vorgängen eingesetzt, um zusätzliche Reize beim Zuschauer zu wecken, das angebotene Programm zu konsumieren. Konventionelle Handlungen, etwa in Form einer Politikerrede werden dann aus der Froschperspektive gefilmt, um einen visuellen Spannungsbogen aufzubauen.

 

Beim Schachtelbild wird der Bildschirm geteilt, so dass zwei miteinander sprechende Personen gleichzeitig zu sehen sind. Bei Interviews und Korrespondentenberichten ersetzen die Redaktionen das bekannte Schuss-Gegenschuss-Prinzip durch einen elektronisch inszenierten Dialog auf dem Bildschirm. Durch diese Technik sind die wechselseitigen mimischen und gestischen Reaktionen der beiden Protagonisten zu den jeweiligen Äußerungen des Gegenübers unmittelbar wahrnehmbar. Diese Technik wird weiterhin bei Videokonferenzen mit mehreren Teilnehmern eingesetzt.

Das Beweisbild hat die Aufgabe, in strittigen Situationen als gerechte Entscheidungshilfe zu dienen, sofern die menschliche Perspektive dies nicht leisten kann. Ein Beispiel hierfür ist der Videobeweis im Sport, der z. B. in der Fußballbundesliga eingesetzt wird. Durch Zeitlupen, Wiederholungen und spezielle Techniken kann geprüft werden, ob der Ball die Torlinie vollständig überquert hat, ein Foul- oder Handspiel vorliegt oder Spieler bei Sanktionen durch eine gelbe oder rote Karte vom Schiedsrichter den Regeln zufolge angemessen sanktioniert worden sind. Obwohl Bildinhalte zusätzlich geprüft und erklärt werden müssen, dienen sie dennoch neben den oft trügerischen Erinnerungen als Zeugenschaft für spezifische Ereignisse.

„Das Erinnerungsvermögen freilich ist of genug vage und wird von Irrtümern (Zuordnung des Erinnerten an die Kategorien Ort und Zeit) getrübt. Deshalb können Bilder, vor allem aber Videos wegen ihrer mechanisch hergestellten sequenziellen Bildaussage häufiger dokumentarischen Charakter erlangen, sofern die reale Authentizität die Aufnahmesituation (Standort, Zeit, Beteiligte) nachgewiesen ist. In solchen Fällen besitzen sie mitunter eine erhöhte informationelle Bedeutung. Sie vermitteln mittels der subjektiven Kameraperspektive des beobachtenden Zeugen, wie sich Dinge (aus Sicht genau dieser Perspektive) im chronologischen Nacheinander zugetragen haben.“ (Haller 2008a, S. 272)

Um spezifische Ereignisse als Erinnerung und Beweismittel zu dokumentieren, können Screenshots von Livestreams, Chatverläufen und Onlinepostings in den sozialen Medien festgehalten werden (vgl. Frosh 2019). Gleichwohl können derartige Aufnahmen verändert und manipuliert werden.

2.9 Bildwahrnehmungen

„Während die Wortnachricht erst durch den ‚Verdauungstrakt’ der kognitiven Informationsverarbeitung gehen muß, nehmen wir Bildnachrichten gleich intravenös auf.“ (Schulz 1996, S. 6)

Die aktuelle Medienrezeption ist zumindest bei den älteren Zuschauern nach wie vor durch das Fernsehen geprägt, dessen Programm oftmals über einen bildorientierten und unterhaltsamen Medienstil verfügt. Gleichwohl werden Bilder nicht mehr ausschließlich über das lineare Fernsehen in Echtzeit rezipiert, sondern zeitversetzt über weitere mobile Endgeräte mit einem digitalen Zugang. Soziale Bildnetzwerke wie die Foto-Sharing-Plattform Instagram sprechen ein breites Spektrum an Nutzern an, die visuelle Inhalte einstellen, anklicken und teilen. Die Gruppe der jugendlichen Rezipienten im Alter von zwölf bis 19 Jahren konzentriert sich primär auf die Internetangebote. Einer repräsentativen Befragung von mehr als 1.000 Personen dieser Zielgruppe im Rahmen der JIM-Studie 2020 (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2020) zufolge steht YouTube mit 57 % auf dem ersten Platz. Den zweiten Platz belegt Whats-App (31 %) vor Netflix (16 %) und Google (14 %).

Visuelle Wahrnehmungen können Zusammenhänge leichter fassbar machen. Sie bleiben länger im Gedächtnis haften als gesprochene oder geschriebene Worte. Es entsteht der Eindruck, dass Bilder einen authentischen Ausschnitt der Wirklichkeit wiedergeben, obwohl die Auswahl der Bilder, die Perspektive des Betrachters und die Schnittfolge dazu beitragen, Bearbeitungen zu ermöglichen (vgl. Forster 2003, Grittmann 2003, Schicha 2003 und 2013b, Godulla 2014, Krämer 2019).

Aus einer normativen Perspektive gilt die hohe Glaubwürdigkeit von Bildern bisweilen als problematisch, da bildliche Informationen weit weniger kritisch rezipiert werden als vergleichbare sprachliche Informationen. Es wird bemängelt, dass durch die visuelle Kommunikation keine Argumentationskette herausgebildet wird. So argumentiert Röll (1998, S. 44):

„Wahrnehmungsformen und Kommunikationsgewohnheiten werden zunehmend von der Logik der bildgeprägten Information und Unterhaltung bestimmt. Da der Eindruck und nicht das Argument zählt, wird logisch kausales Denken in den Hintergrund gedrängt. Bildliche (Schein-)Welten treten an die Stelle der interessegeleiteten Weltbilder des diskursiven Zeitalters.“

Dieser Auffassung folgt Leif (2001, S. 9) ebenfalls: „(Inszenierte) Bilder, gut gestylte Stimmungen und überlegt eingesetzte Emotionen verdrängen immer mehr die Argumente oder den redlichen intellektuellen Austausch.“ Die Wahrnehmung wird durch die visuellen Sinneseindrücke beherrscht,

„[…] nicht die Sprache oder das Denken. Geschichte und Zusammenhänge, Erörterungen, Differenzierungen und Begründungen langweilen eher, erscheinen als unbestimmt und problematisch. Sie lenken ab, verscherzen Aufmerksamkeit, vergraulen das Publikum, verderben das Geschäft. Sie passen nicht zum Bildmedium und seinen Möglichkeiten.“ (Meyer 1995, S. 55)

Insgesamt wird der sprachliche Argumentationsstil durch einen bildlichen ergänzt, und die Bilder besitzen nicht mehr nur die Funktion, Sprache oder Texte zu ergänzen oder zu illustrieren. Faktisch werden zentrale Informationen und Emotionen über Bilder transportiert, die unterschiedliche Wirkungen bei den Betrachtern auslösen können.

2.10 Bildwirkungen

Es ist Kroeber-Riel (1993) zufolge davon auszugehen, dass immer mehr Menschen Bildeindrücke zur Grundlage ihrer Überzeugungen machen und die Bildkommunikation einen entscheidenden Beitrag leistet, das Verhalten zu beeinflussen. Einerseits wird Bildern die Eigenschaft zugeschrieben, eine wahrheitsgetreue Abbildung der Wirklichkeit zu bewerkstelligen. Anderseits bestehen Möglichkeiten, Bilder zu inszenieren, zu bearbeiten und zu manipulieren. Dennoch wirkt die bildliche Darstellung in der Regel realistisch. Es gelingt ihr bisweilen stärker, eine emotionale Regung zu erzeugen, als die verbale Codierung von Informationen.

Eine eindimensionale Wirkungsdimension kann bei der Medienrezeption grundsätzlich nicht vorausgesetzt werden. Hall (1980) hat in seinem encoding/decoding-Modell aufgezeigt, dass die Vermittlung von Informationen im Rahmen der Massenkommunikation keinen transparenten Prozess im Verständnis eines stabilen Senders/Empfänger-Modells darstellt. Hall differenziert zwischen drei unterschiedlichen Lesarten eines medialen Produktes:

 Bei der Vorzugslesart (dominant-hegemonic position) wird der durch den Text und die Bilder strukturierte und begrenzte Interpre­tationsspielraum vom Rezipienten weitestgehend übernommen. Insofern erfolgt hier eine Zustimmung hinsichtlich der vorgelegten Inhalte.

 Bei der ausgehandelten Lesart (negotiated position) werden die in einem Beitrag dominierenden Ereignisse von den Rezipienten zwar akzeptiert, jedoch in den eigenen Wissens- und Er­fahrungshorizont und weitergehende Zusammenhänge eingeordnet. Die kodierte Bedeutung wird nicht einfach übernom­men, sondern mit den subjektiven Hintergründen und Erfahrungshorizonten assoziiert. Es liegt demzufolge eine kritischere Haltung als bei der Vorzugslesart vor.

 Bei der oppositionellen Lesart (oppositional code) werden die dargestellten Informationen rundweg abgelehnt und in einem alternativen Bezugsrahmen interpretiert (vgl. weiterführend Winter 1999, Lobinger 2012, Schicha 2021b).

Es wird in diesem Verständnis von einem produktiven Zuschauer (vgl. Winter 2010) ausgegangen, der über eigene Wertmaßstäbe bei der Beurteilung von Medieninhalten verfügt. Diese Vorstellung basiert auf der Modellvorstellung eines aktiven Publikums, das die Botschaft für sich selbst autonom interpretiert und bewertet (vgl. Machart 2008). Dies gilt weiterhin bei der Interpretation von Bildinhalten:

„Die optische Wahrnehmung, das Paradigma des Betrachters auratischer Werke, erfolgt durch thematische Aufmerksamkeit und Kontemplation, Einstellungen, in denen sich der Betrachter sammeln kann und einbringen muss. Seine eigenen Erfahrungen und Wertvorstellungen wie auch seine momentane Befindlichkeit werden mit dem Geschehen abgeglichen. Während der Rezeption bezieht der Betrachter sozusagen permanent und interpretierend Stellung zum Werk.“ (Fischer 2006, S. 201)

Insofern kann es nicht die Bildwirkung geben, da jeder Betrachter über unterschiedliche Haltungen, Bewertungsmaßstäbe und Präferenzen verfügt:

„Individuelle Dispositionen wie Erfahrungen, Vorwissen, kulturelle Prägungen, Sozialisation, Normen, Werte und Überzeugungen spielen nicht nur bei der Herstellung von […] Bildern, sondern auch bei der Entschlüsselung eine wichtige Rolle.“ (Bernhardt/Liebhart 2020, S. 19)

So sind etwa Studien, die die Wirkung von Mediengewalt analysiert haben, zu dem Ergebnis gekommen, dass Gewaltdarstellungen in Abhängigkeit von der dramaturgischen Einbettung sozialverträgliche oder -unverträgliche Effekte erzeugen können. Sie hängen zusätzlich vom sozialen Umfeld, den Einstellungen und Erfahrungen sowie der psychischen Dispositionen des jeweiligen Rezipientenkreises ab (vgl. Grimm 1999). Nach einer weiteren qualitativen Rezeptionsanalyse auf der Basis von Gruppendiskussionen zeigte sich, dass das Spektrum der emotionalen Reaktionen auf Mediengewalt von Angst über Langeweile bis hin zu Vergnügen und Irritation reicht (vgl. Röser 2000). Nach Sichtung der wissenschaftlichen Befunde der Medien-und-Gewalt-Forschung kann insgesamt davon ausgegangen werden, dass auftretende Aggressionen ein Phänomen darstellen, das von zahlreichen Faktoren abhängt und nicht allein durch die Rezeption von Mediengewalt verursacht wird (vgl. Zipfel 2021).

3 Normative Zugänge

Im Gegensatz zur Bildethik, die auf freiwillige Reflexion und Steuerung bei der Beurteilung der angebotenen visuellen Inhalte setzt, hat das Bildrecht auf der Basis verbindlicher Gesetze die Möglichkeit, entsprechende Sanktionen bei Verstößen festzulegen und durchzusetzen. Beide Zugänge orientieren sich an Grundwerten wie dem Schutz der Menschenwürde, der Durchsetzung von Freiheit und Demokratie, dem Postulat von Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit sowie der Einhaltung der Menschenrechte. Als Leitbilder gelten die Förderung des Pluralismus, die Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und Gleichberechtigung (vgl. Losch 2006).