Internationale Beziehungen

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Weiterführende Literatur

Krell, Gert (2009), Weltbilder und Weltordnung. Einführung in die Theorie internationaler Beziehungen, 4. Aufl., Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft.

Meyers, Reinhard (1979), Weltpolitik in Grundbegriffen. Ein lehr- und ideengeschichtlicher Grundriß, Düsseldorf: Droste Verlag.

Reus-Smit, Christian/Snidal, Duncan, Hrsg., (2010), The Oxford Handbook of International Relations, Oxford, UK: Oxford University Press.

Schieder, Siegfried/Spindler, Manuela, Hrsg., (2006), Theorien der Internationalen Beziehungen, 2. Aufl., Opladen/Farmington Hills: Verlag Barbara Budrich.

3 | Krieg und Frieden — Verteilungskonkurrenz und -konflikt

Inhalt

Kriege sind wichtige Phänomene Internationaler Beziehungen. In diesem Kapitel werden die Formen von Krieg sowie ihre Hauptursachen erläutert. Dabei wird zwischen zwischenstaatlichen Kriegen und anderen bewaffneten Konflikten unterschieden. Zu Letzteren gehören insbesondere Bürgerkriege und Terrorismus. Schließlich wird erläutert, wie Kriege verhindert oder beendet werden können.

3.1 Friedliche Streitbeilegung oder Krieg?

3.2 Geographische Verteilung von Kriegen

3.3 Kriegsverhinderung und friedliche Konfliktregelung

3.4 »Alte« und »neue« Kriegsformen

In den frühen Morgenstunden des 4. September 2009 erteilte der kommandierende Offizier des deutschen Feldlagers in Kunduz, Afghanistan, Oberst Georg Klein, zwei amerikanischen Jagdbomberpiloten den Befehl, zwei Bomben auf zwei Tanklastzüge abzuwerfen, die in einer Furt in einem Fluss stecken geblieben waren. Oberst Klein sah in den beiden Tanklastzügen, die von Rebellen entführt worden waren, eine Bedrohung des in nur kurzer Entfernung liegenden deutschen Feldlagers und seiner Soldaten. Ihm war nicht bekannt, dass es sich bei den Menschen, die um die Lastwagen herumstanden, um unbeteiligte Zivilisten handelte, die Benzin abließen. Daher trafen die beiden Bomben nicht nur die Entführer und Rebellen, von denen die Bedrohung ausging, sondern auch eine hohe Anzahl unschuldige Zivilisten (Demmer et al. 2010)

In Deutschland löste dieser Angriff großes Entsetzen aus. Wie in einem Brennglas führte diese Episode den Deutschen vor Augen, dass sich ihr Land in einem schrecklichen Krieg befand, in dem auf einen deutschen Befehl hin unschuldige Zivilisten zu Tode kamen. Krieg und Frieden standen wieder auf der Tagesordnung politischer Debatten. Die Frage war nicht nur, warum auch im 21. Jahrhundert noch Kriege z. T. weit ab der Heimat geführt wurden, sondern auch, warum heutzutage vor allem Zivilisten zu den Opfern zählen.

3.1 | Friedliche Streitbeilegung oder Krieg?

Zweck von Kriegen

Einen Krieg zu führen ist von wenigen Ausnahmen abgesehen17 ( Kap. 3.4) kein Selbstzweck. Es werden vielmehr übergeordnete Zielen verfolgt. Krieg ist mit vielen Opfern, Entbehrungen und Kosten verbunden. Die übergeordneten Ziele müssen deshalb so wertvoll sein, dass die Beteiligten bereit sind, Opfer zu bringen und Kosten zu tragen. Sie müssen zu dem Schluss gekommen sein, dass Verhandlungen – die Alternative zum Krieg – nicht zum gewünschten Ziel führt.

Definition

Krieg oder bewaffnete Konflikte

Unter Krieg oder bewaffnetem Konflikt versteht man die Anwendung organisierter Gewalt zwischen zwei oder mehr Akteuren. Das Ausmaß der Gewaltanwendung muss eine bestimmte Minimalschwelle überschreiten. Dabei gehen Forscher von sehr verschiedenen Schwellen aus. Skandinavische Politikwissenschaftler legen den Schwellenwert bei 25 Toten pro Jahr, amerikanische bei 1000 Toten pro Jahr fest. Akteure sind entweder Staaten oder organisierte bewaffnete Gruppen unter einem Kommando. Diese Gruppen können gegen eine Regierung, andere Gruppen oder grenzüberschreitend kämpfen (Rudolf 2010).18

Es müssen allerdings noch zwei weitere Bedingungen erfüllt sein: Erstens muss der Nutzen des Krieges größer sein als die zu erbringenden Opfer und die Kosten, die er verursacht; und zweitens müssen Opfer und Kosten geringer sein als der Nutzen aus der Differenz zwischen Kriegserfolg und Verhandlungserfolg (dazu etwas weiter unten mehr). Nur wenn alle beteiligten Parteien diese beiden Bedingungen erfüllt sehen, werden sie sich dafür entscheiden, einen Konflikt durch Krieg und nicht durch Verhandlung lösen zu wollen (Frieden/Lake/Schultz 2012: 84–86).

Räumliche Modelle

Politikwissenschaftler bedienen sich sogenannter räumlicher Modelle (Laver 2014), um herauszufinden, wann sich Krieg für die Akteure »lohnt«, weil Verhandlungen zu einem nachteiligeren Ergebnis führen würden (Frieden/Lake/Schultz 2012: 88–92; Levy 2013: 585–587). Diese vermitteln daher eine Vorstellung davon, unter welchen Bedingungen Akteure Kriege führen oder nicht. Abbildung 3.1 ist ein solches räumliches Modell. In ihm stehen sich zwei Staaten A und B in einem Konflikt über Territorium gegenüber. Dieses räumliche Spektrum zeigt alle möglichen Verteilungen des umstrittenen Gebietes auf die beiden Staaten. In dem mit der Ziffer 1 bezeichneten Szenarium steht ganz links Idealpunkt B und ganz rechts Idealpunkt A. Diese beiden Punkte zeigen an, dass beide Staaten idealerweise das umstrittene Gebiet jeweils selbst erhalten. Es ist jedoch sehr unwahrscheinlich, dass sich in Verhandlungen nur eine der beiden Seiten mit seiner Idealvorstellung durchsetzen kann und das gesamte Gebiet bekommt. Wahrscheinlicher ist ein Kompromiss z. B. an der Trennlinie V (Verhandlungsergebnis). Danach erhält A den weißen Gebietsanteil und B den blauen Anteil.

Abb. 3.1 | Krieg vs. Verhandlung


Quelle: eigene Darstellung nach Frieden/Lake/Schultz (2012: 90).

Kosten-Nutzen-Kalkulation

Das mit der Ziffer 2 gekennzeichnete Szenarium zeigt, welchen Gebietsanteil A erwarten kann, wenn der Konflikt durch Krieg ausgetragen wird (Trennlinie K). Der Vergleich mit Szenarium 1 verdeutlicht, dass im Falle eines Krieges A einen größeren und B einen kleineren Anteil am umstrittenen Gebiet erwarten kann als im Falle von Verhandlungen. Für diesen größeren Gebietsgewinn gegenüber dem Verhandlungsergebnis (V) muss A jedoch erhebliche Kriegskosten und Risiken übernehmen. Und auch auf Staat B kommen diese zu. Wenn man die Kosten vom Gebietsgewinn für A abzieht, ergibt sich ein Netto-Kriegsergebnis (schwarzer Doppelpfeil) für A, das schlechter ist als das Verhandlungsergebnis (V) aus Szenarium 1. Das Netto-Kriegsergebnis von B ist noch weitaus schlechter als das Verhandlungsergebnis.

Aus dieser Kalkulation ergibt sich, dass Krieg sich weder für A noch für B »lohnt« und dass Verhandlungsergebnisse für beide günstiger sind als Krieg. Der hellblaue Pfeil zeigt an, in welchem Raum Verhandlungen für B lohnender sind als Krieg. Darin sind alle Verhandlungslösungen für B eingeschlossen, die besser sind als das Netto-Kriegsergebnis. Der weiße Pfeil zeigt an, in welchem Raum Verhandlungen für A lohnender sind als Krieg. Darin sind alle Verhandlungslösungen für A eingeschlossen, die besser sind als das Netto-Kriegsergebnis. Der dunkelblaue Doppelpfeil umfasst den Raum, indem für beide – Staat A und B – Verhandlungskompromisse besser sind als Krieg. Zum Krieg käme es nur dann, wenn das Verhandlungsergebnis V links oder rechts des dunkelblauen Doppelpfeils läge. Nur unter dieser Bedingung führt Krieg für zumindest einen Staat zu einem besseren Ergebnis als eine Verhandlungslösung.

3.1.1 | Verteilungskonflikte als Kriegsursache

Gesamt- vs. Partikularinteresse

Von diesen Überlegungen ausgehend kommt zumindest die Schule des Institutionalismus ( Kap. 2.2) zu dem Schluss, dass Krieg immer aus einer Mischung von gemeinsamen Interessen und Einzel- oder sogenannten Partikularinteressen der Akteure hervorgeht. Die gemeinsamen Interessen aller Akteure liegen in der Vermeidung von Opfern, Entbehrungen und Kosten. Die Einzel- oder Partikularinteressen bestehen darin, für sich selbst einen möglichst großen Anteil an einem zu verteilenden Gut (im Beispiel das zu verteilende Territorium) zu erhalten. Krieg kommt nur zustande, wenn die Partikularinteressen das gemeinsame Interesse an der Vermeidung von Opfern und Kosten, die ein Krieg zwangsläufig mit sich bringt, übersteigen. Zur Kriegsvermeidung ist es deshalb ratsam, die gemeinsamen Interessen groß und die Partikularinteressen klein zu halten ( Kap. 3.3).

 

Verteilungsgüter

Einen möglichst großen Anteil an einem zu verteilenden Gut zu bekommen, ist das übergeordnete Ziel, für das Akteure u. U. Krieg riskieren. Dieses Gut kann sehr verschiedene Formen annehmen, z. B.: Territorium im Sinne von Nutzfläche, rohstoffreiche Gebiete oder solche, die unter militärischen Gesichtspunkten wertvolle geographische Stellungen zur Verteidigung sind (z. B. die sogenannten Golanhöhen an der Grenze zwischen Israel und Syrien), oder Stätten mit besonderer Bedeutung für bestimmte Gruppen (z. B. Jerusalem, die heiligen Stätten des Islam in Saudi Arabien oder das Kosovo als »Wiege der serbischen Nation«).

Neben solchen territorialen Gütern können auch bestimmte wertbasierte Politiken ein Gut darstellen, für dessen Verteilungsfolgen Krieg geführt wird. Ein Beispiel für solch eine Politik ist die Diskriminierung bestimmter Minderheiten in einem Land ( Kap. 2.4, Kap. 9). Häufig bekämpfen diese Minderheiten selbst die Diskriminierung oder werden von auswärtigen Staaten oder nichtstaatlichen Akteuren dabei unterstützt. Ebenso kann die Nicht-Einhaltung von international vereinbarten Regeln dazu führen, dass Sanktionen bis hin zur militärischen Gewaltanwendung ausgeführt werden.

Und schließlich kann die Möglichkeit, die internationale Ordnung auch in der Zukunft selbst bestimmen zu wollen, ein wichtiges Gut sein, für das Akteure bereit sind, die Kosten von Krieg zu tragen. In diesem Fall spricht man von sogenannten hegemonialen Kriegen.

Information kompakt

Hegemonialer Krieg

Ein Hegemon ist eine anderen Staaten weit überlegene Macht. Sie legt die Ordnung in internationalen Beziehungen fest, setzt sie ggf. gegen Widerstand durch und trägt die Kosten ihrer Erhaltung. In unregelmäßigen Abständen können jedoch durch Machtgewinn Herausforderer von Hegemonen heranwachsen, die dem internationalen System ihre eigene Ordnung geben wollen. Eine Möglichkeit ist, dass sie versuchen, den bisherigen Hegemon im Krieg zu besiegen und dadurch vom Sockel zu stoßen und selbst Hegemon zu werden. Eine andere Möglichkeit ist, dass der Hegemon seine überlegenen Militärpotentiale nutzt, um einen möglichen Herausforderer zu besiegen, bevor dieser die eigene hegemoniale Stellung ernsthaft bedroht. In beiden Fällen spricht man von hegemonialen Kriegen (Gilpin 1981; Kennedy 1989; Levy 2013: 584).

Gegenwärtig sind die USA nahezu unbestritten der Hegemon im internationalen System. Jedoch verweisen einige Autoren sowohl auf eine große Wahrscheinlichkeit als auch einzelne Anzeichen, dass die Volksrepublik China sich anschickt, die USA herauszufordern und in Zukunft selbst Hegemon zu werden (Mearsheimer 2010; Wolf 2012). Sie erwarten daher einen Hegemonialkrieg zwischen den beiden Kontrahenten zunächst um die regionale Vorherrschaft in Asien und möglicherweise später in der Welt. Andere Autoren bestreiten, dass die Volksrepublik China auf absehbare Zeit das Machtpotential besitzt, die hegemoniale Stellung der USA regional oder sogar global herauszufordern (Brooks 2013; Brooks/Wohlforth 2008; 2011; Wohlforth 1999; 2008). Ein hegemonialer Krieg sei deshalb unwahrscheinlich. Über diese Frage wird in Fachzeitschriften Internationaler Beziehungen eine sehr intensive Debatte ausgetragen (Bromley 2011; Glaser 2011; Kupchan 2011; Legro 2011; Schweller 2011; Simms 2011; Voeten 2011). Da hegemoniale Konflikte machtpolitischer Natur sind, befassen sich vor allem Vertreter des Neorealismus ( Kap. 2.1) mit dieser Kriegsform.19

Unteilbarkeit von Gütern

Es sind also zunächst Interessen sowie Kosten-Nutzen-Kalküle der Akteure, die Kriege verursachen. Es gibt aber weitere Ursachen, warum Kriege ausbrechen. Dazu gehört das Problem, ob ein zwischen den Akteuren umstrittenes Gut im Zuge einer Verhandlungslösung überhaupt aufgeteilt werden kann. Manche Güter können aus Sicht der Konfliktparteien nicht einfach geteilt werden, wie man aus den oben angeführten, abstrakten Überlegungen schließen könnte. In solchen Fällen kann es daher schwierig sein, einen für die Betroffenen annehmbaren Kompromiss zu finden (Goddard 2006; Young 1995). Solche Güter sind z. B. die Golanhöhen an der Grenze zwischen Israel und Syrien. Beide Länder stehen auf dem Standpunkt, dass das gesamte Gebiet der Golanhöhen zur Gewährleistung der nationalen Sicherheit unverzichtbar ist. Deshalb geht es in diesem Streit aus Sicht der Beteiligten um alles oder nichts – einen Mittelweg (Aufteilung) gibt es für sie nicht. Andere Beispiele für unteilbare Güter sind vor allem religiös bedeutsame Stätten wie z. B. Jerusalem, das von drei verschiedenen Religionen beansprucht wird. Anhänger dieser Religionen möchten die Herrschaft über diese Stätten nicht anderen überlassen, sondern selbst ausüben. Deshalb sind solche Konflikte nur sehr schwer durch Kompromissfindung auf dem Verhandlungsweg zu lösen. Wie sie friedlich ausgetragen werden könnten, wird in Kap. 3.3 erläutert.

3.1.2 | Interaktionsprobleme als Kriegsursache

Fehlkalkulation

Neben der Verteilung von Gütern können bestimmte Interaktionsprobleme bei Verhandlungen Kriege auslösen. Ein erstes kann daraus resultieren, dass die Akteure bestrebt sind, in Verhandlungen das bestmögliche Ergebnis für sich herauszuschlagen. Zu diesem Zweck werden sie sowohl die Fähigkeiten der beteiligten Akteure ( Kap. 2.1) als auch deren Entschlossenheit und Risikobereitschaft im Falle eines drohenden Krieges abzuschätzen suchen. Es kann deshalb passieren, dass Akteure sich in Verhandlungen verkalkulieren. Denn sie sehen sich widersprüchlichen Anreizen ausgesetzt. Der Anreiz, das bestmögliche Verhandlungsergebnis zu erzielen widerspricht dem Anreiz, keine übermäßigen Kriegsrisiken einzugehen. Ein Beispiel für Krieg als Folge von Fehlkalkulation war die Besetzung Kuwaits durch den Irak im Jahr 1990. Der damalige irakische Herrscher Saddam Hussein rechnete nicht mit den Entschlossenheit einer breiten Koalition von Staaten, die in Verhandlungen die Forderung nach einem vollständigen Rückzug des Irak aus Kuwait stellten. Hussein war dazu nicht bereit und die Staatenkoalition wollte ihm Kuwait nicht überlassen. Es kam zum Golfkrieg, weil das Dilemma zwischen Verhandlungsergebnis und Kriegsrisiko nicht aufgelöst werden konnte (Frieden/Lake/Schultz 2012: 93–96).

Glaubwürdigkeit von Drohung

Ein zweites Interaktionsproblem ist, dass die Akteure nie ganz sicher sein können, wie ernst die Botschaften der anderen Seite zu nehmen sind, die in Verhandlungen ausgetauscht werden. Fehlkalkulationen können also nicht nur wie oben dargestellt eine Folge von Fehlern bei der Abschätzung der Entschlossenheit und Risikobereitschaft sein, sondern auch eine Folge mangelnder oder zweideutiger Kommunikation. Wenn eine Seite z. B. ein Ultimatum aufstellt und/oder mit Krieg droht, meint sie das dann ernst? Ist sie bereit, diese Drohung wahr zu machen, oder ist sie ein Bluff? Im Fall einer ernst gemeinten Drohung sollte die andere Seite eine Konzession machen, im Fall eines Bluffs sollte sie standhaft bleiben. Um der anderen Seite die Aufgabe der Kalkulation zu vereinfachen und dadurch Fehlkalkulation zu vermeiden, sollte ein Akteur deshalb möglichst unzweideutige Botschaften aussenden.

Akteure müssen also die Glaubwürdigkeit von in Verhandlungen ausgesprochenen Drohungen einschätzen und nutzen dazu die genannten Maßstäbe ( Information kompakt). Aber deren Anwendung schützt nicht vollständig vor einer Fehleinschätzung. Im genannten Beispiel des Golfkrieges hat der große und für jedermann im Fernsehen sichtbare militärische Aufmarsch der alliierten Koalition Saddam Hussein nicht davon überzeugen können, das Ultimatum ernst zu nehmen und die Besetzung Kuwaits zu beenden. Offenbar hielt er die Drohung mit Krieg für einen Bluff. Derartige Fehleinschätzungen sind eine wichtige Kriegsursache (Frieden/Lake/Schultz 2012: 99–105).

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Wie beurteilen Akteure die Glaubwürdigkeit von Drohungen?

Auf der Grundlage von Erfahrungen haben Akteure die folgenden Maßstäbe herausgebildet, um zu beurteilen, ob die Gegenseite droht oder blufft:

Wird eine Drohung nur verbal geäußert oder durch konkrete und kostenintensive Maßnahmen unterstrichen? Steigern diese Maßnahmen die Fähigkeit, die Drohung wahrzumachen oder nicht?

In welchem Maß verliert die drohende Seite die Möglichkeit, den weiteren Verlauf einer Krise zu steuern, wenn sie eine Drohung ausstößt?

In welchem Maß würde die drohende Seite innenpolitisch ihr Gesicht verlieren, wenn die Drohung sich nur als Bluff herausstellt? In welchem Maß bindet sich die drohende Seite also selbst? Man spricht hier von Selbstfesselung.

Selbstfesselung

Das dritte Interaktionsproblem entsteht dadurch, dass in Verhandlungen gemachte Drohungen nicht ohne Gesichtsverlust zurückgenommen werden können. Vielmehr fesseln sie die Hände der drohenden Seite. Auf diese Weise verringern Drohungen auch die Möglichkeit, den Konflikt auf friedliche Weise zu beenden, denn es werden Erwartungen auch im eigenen Lager geweckt. So kann es sein, dass man die Geister, die man rief, nicht mehr loswird. In diesem Fall spricht man von einem unbeabsichtigten Krieg, weil er aus einer oder sogar einer Serie von Interaktionen heraus entstand, deren Ergebnis — Krieg — nicht beabsichtigt war. Als Beispiel für einen solchen unbeabsichtigten Krieg wird zumeist der Erste Weltkrieg genannt (Clark 2013; Münkler 2013). Aber auch im hier benutzten Beispiel Golfkrieg wird deutlich, dass diese Interaktionsdynamik wirksam war. Denn schon früh hatten sich die britische Premierministerin Margret Thatcher und der amerikanische Präsident George H. Bush öffentlich darauf festgelegt, dass Iraks Besetzung von Kuwait »keinen Bestand haben werde«. Sowohl in den USA als auch in Großbritannien wurden dadurch erhebliche Erwartungen geweckt, dass beide Länder Kuwait militärisch befreien würden, sollte Irak nicht friedlich abziehen. Der Spielraum für einen auszuhandelnden Kompromiss war sehr beschränkt. Zusätzlich stand auch die Glaubwürdigkeit der USA und Großbritanniens in anderen Ländern auf dem Spiel. Wäre die Drohung nur ein Bluff gewesen, wer hätte spätere Drohungen dieser beiden Länder noch ernst genommen?

Bestand von Friedensabkommen

Das vierte Interaktionsproblem entsteht aus der Unsicherheit, ob alle Beteiligten sich an eine ausgehandelte Verhandlungslösung halten werden oder nicht. Denn nur dann können diese Kriege wirksam verhindern. Allein schon die Befürchtung, dass eine Seite eine Vereinbarung mit dem Hintergedanken schließen könnte, sich nicht daran zu halten, verringert die Möglichkeit, dass eine Übereinkunft überhaupt zustande kommt. Die beteiligten Akteure versuchen also einschätzen, ob alle Seiten sich an eine getroffene Vereinbarung halten werden oder nicht. Wenn sie zu dem Schluss kommen, dass eine oder mehr Seiten dies nicht tun werden, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es statt zu einer friedlichen Lösung zu Krieg kommt (Frieden/Lake/Schultz 2012: 105; Levy 2013: 592).

Nicht-Einhaltung

Das fünfte und letzte Interaktionsproblem entspringt der Möglichkeit, dass die Konfliktparteien zwar ein Abkommen zur friedlichen Konfliktlösung schließen, aber zumindest eine Seite das Abkommen nicht erfüllt oder einhält. Wenn es nicht gelingt, die Einhaltung geschlossener Abkommen sicherzustellen, steigt die Wahrscheinlichkeit einer kriegerischen Auseinandersetzung. Die Nicht-Einhaltung internationaler Vereinbarungen selbst kann auf unterschiedlichen Ursachen beruhen ( Information kompakt).

 

Information kompakt

Unter welchen Umständen werden Vereinbarungen nicht eingehalten?

Die Vereinbarung beeinträchtigt die militärischen Fähigkeiten der Beteiligten asymmetrisch. In diesem Fall ist der Anreiz zum Bruch hoch.

Die Vereinbarung ist fragil, wenn sie selbst oder die absehbaren Entwicklungen eine Seite begünstigt, z. B. wenn sie einer Seite die Beschaffung militärischer Fähigkeiten ermöglicht, gegen die die Gegenseite sich nicht wirksam schützen kann. Dieser »Schatten der Zukunft« kann destabilisierend wirken, schafft Anreize, die Vereinbarung später zu brechen.

Die Vereinbarung ist fragil, wenn durch sie erlaubte Technologie einen starken Anreiz zu einem militärischen Erstschlag setzt. Wenn zugelassene Waffensysteme einem Angreifer entscheidende Vorteile gegenüber dem Verteidiger verschaffen, sinkt der Anreiz für beide Seiten, einen verabredeten Frieden oder Waffenstillstand einzuhalten.

Die Vereinbarung ist in der Umsetzung kompliziert und überfordert die Möglichkeiten einer Konfliktpartei.

Einer Konfliktpartei ist es nicht möglich, alle nachgeordneten Akteure wirksam zu kontrollieren und die Einhaltung intern durchzusetzen.

Zwischenfazit

Interaktionsprobleme als Kriegsursachen

Die folgenden Interaktionsprobleme können zu Krieg führen:

Fehleinschätzung der gegnerischen Machtpotentiale, Entschlossenheit und Risikobereitschaft;

Zweideutigkeit oder Unklarheit der ausgesandten Botschaften oder Drohungen;

Selbstfesselung durch ausgestoßene Drohungen, die nicht ohne Glaubwürdigkeitsverlust zurückgenommen werden können;

Zweifel der Konfliktparteien, dass sich die jeweils andere Seite an die getroffene Vereinbarung halten wird;

Nicht-Einhaltung von geschlossenen Vereinbarungen.