Internationale Beziehungen

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

3.1.3 | Mangelnde Glaubwürdigkeit und Nicht-Einhaltung als Kriegsursachen

Wenn eine Seite eine getroffene Vereinbarung nicht einhält oder zumindest im Verdacht steht, ein Abkommen nicht einhalten zu wollen oder zu können, spricht man von Glaubwürdigkeits- und Verpflichtungsproblemen, aus denen Kriege entstehen können. Das gegenseitig gegebene Versprechen, in der Zukunft zur Konfliktbeilegung keine Gewalt anzuwenden, muss deshalb auf seine Glaubwürdigkeit geprüft werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn keine neutrale sogenannte dritte Seite bereit oder fähig ist, die Einhaltung des Versprechens wirksam zu garantieren.20 Hierfür sind die zahlreichen Vereinbarungen für Waffenstillstände in Bosnien-Herzegovina ein wichtiges Beispiel. Es gelang den Vereinten Nationen zwar immer wieder, die Konfliktparteien dazu zu bewegen, einem Waffenstillstand zuzustimmen; aber die militärisch schwachen UN-Blauhelmtruppen waren nicht in der Lage, dessen Einhaltung durchzusetzen. Oftmals wurden die Kampfhandlungen nur wenige Stunden nach Abschluss der Vereinbarung fortgesetzt. Es stellt sich also die Frage, unter welchen Bedingungen Konfliktparteien einen hohen Anreiz spüren, getroffene Vereinbarungen zu brechen. Unter solchen Bedingungen sind geschlossene Abkommen dann weder glaubwürdig noch tragfähig.

Zukünftige Machtverteilung

Auf dem Weg zur friedlichen Konfliktregelung muss häufig über Gegenstände verhandelt werden, die sich auf die zukünftige Stärke oder Schwäche der Konfliktparteien auswirken werden. Um bei dieser Art von Verhandlungsgegenständen einvernehmliche Abkommen schließen zu können, müssen die Konfliktparteien ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit und gegenseitigem Vertrauen aufbringen, dass die getroffene Vereinbarung sich in der Zukunft nicht schleichend gegen eine Partei richten wird. Oder es muss sichergestellt werden, dass Parteien aus geschlossenen Abkommen keine einseitigen Vorteile ziehen werden. Auch dazu ist hohes wechselseitiges Vertrauen notwendig, das Konfliktparteien nicht problemlos aufbringen werden. Ein geschlossenes Abkommen kann z. B. vorsehen, dass eine Seite auf den Besitz und den Erwerb bestimmter Waffensysteme verzichtet. Im Gegenzug muss die andere Seite Konzessionen versprechen. Was aber passiert mit diesem Geschäft auf Gegenseitigkeit, nachdem die eine Seite ihre Waffen abgegeben oder vernichtet und somit ihren Teil der Vereinbarung erfüllt hat? Was hält die andere Seite noch davon ab, die Vereinbarung zu brechen und ihren Teil des Geschäfts nicht zu erfüllen? Die Befürchtung von Konfliktparteien, dass ein Abkommen sich in der Zukunft nachteilig auf die Möglichkeit auswirkt, die Gegenseite zur Einhaltung ihrer Konzessionsleistung zu zwingen, ist eine sehr häufige Ursache dafür, dass Konflikte nicht friedlich beigelegt werden können (Frieden/Lake/Schultz 2012: 106–110). Insbesondere die friedliche Beendigung von Bürgerkriegen scheitert maßgeblich an diesem großen Problem ( Kap. 3.4.1).

Die Überlegung, wie sich internationale Abkommen oder die wirtschaftliche und technologische Entwicklung auf die Machtverhältnisse von Konfliktparteien auswirken werden, spielt bei der Frage des geeigneten Zeitpunkts für einen Krieg eine weitere wesentliche Rolle. So überlegen Staaten, die sich in Hegemonialkonflikten befinden ( Information kompakt: Hegemonialer Krieg), wann der beste Zeitpunkt für eine kriegerische Auseinandersetzung ist. Nehmen wir wieder das Beispiel USA vs. China. Sehen die USA heute, dass China sich ähnlich dem deutschen Kaiserreich am Ende des 19. Jahrhunderts21 von den wirtschaftlichen und technologischen Trends erheblich mehr profitiert als sie selbst, so geraten sie in die Versuchung, eher früher als später einen Präventivkrieg zu führen (Levy 2013: 583). Für China gilt umgekehrt, einen solchen Krieg möglichst lange hinauszuzögern, um noch lange von den ungleichen Entwicklungstrends profitieren zu können. In diesem konkreten Fall ist aber auch zu berücksichtigen, dass die Tatsache, dass beide über erhebliche Kernwaffenpotentiale verfügen, eine erhebliche Abschreckungswirkung ausübt ( Kap. 3.3).

Definition

Präventivkrieg

Präventivkrieg ist ein bewaffneter Konflikt, der in der Absicht geführt wird, die Gegenseite daran zu hindern, stärker zu werden und diese Stärke zu einem späteren Zeitpunkt zum eigenen Vorteil zu nutzen (Frieden/Lake/ Schultz 2012: 111).

Beispiele

Es gibt jüngere Beispiele für Präventivkriege: Israel bombardierte im Jahr 1981 den irakischen Nuklearreaktor Osirak, weil es befürchtete, dass Irak in Zukunft Kernwaffen in diesem Reaktor produzieren könnte (Braut-Hegghammer 2011).22 Derartige Waffensysteme würden für Israel in der Zukunft zu einem Existenzrisiko werden. Die USA und ihre »Koalition der Willigen« rechtfertigten den Krieg gegen Irak im Jahr 2003 mit der — tatsachenwidrigen — Befürchtung, der Irak verfüge über Massenvernichtungswaffen, die vor den UN-Inspektoren versteckt worden seien.23 Die (zumindest vermuteten) Bemühungen des Iran oder Nordkoreas, sich Kernwaffen anzueignen, lösten Überlegungen und Planungen verschiedener Staaten zu einem Präventivkrieg aus. Wenn es nicht gelingt, diese Befürchtungen durch friedliche Streitbeilegung auszuräumen, wie sie derzeit zwischen Iran und einer P5+ 124 genannten Staatengruppe versucht werden, muss mit einem Präventivkrieg gerechnet werden.

Präemptivkrieg

Schließlich kann die Vereinbarung eines kriegsverhindernden Abkommens daran scheitern, dass die Konfliktparteien sich durch einen Angriff schnell große militärische Vorteile verschaffen könnten. Hohe Anreize zu einem Angriff oder Erstschlag bestehen dann, wenn die Militärtechnik, Strategien oder geographische Gegebenheiten (z. B. die bereits erwähnten Golanhöhen) der angreifenden Seite (kriegs-)entscheidende Vorteile verschaffen. Spitzt sich ein politischer Konflikt unter diesen Bedingungen zu, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Konfliktparteien den Streit nicht friedlich beilegen, sondern einen Präemptivkrieg führen. Der Sechstagekrieg Israels im Jahr 1967 gegen seine Nachbarstaaten ist ein klassisches Beispiel für einen solchen Präemptivkrieg.

Definition

Präemptivkrieg

Ein Präemptivkrieg wird in der Erwartung geführt, dass ein Angriff der Gegenseite unmittelbar bevorsteht. Man will dem Gegner durch einen eigenen Angriff zuvorkommen, weil die Offensive gegenüber der Defensive entscheidende Vorteile verspricht (Frieden/Lake/Schultz 2012: 113). Diese Vorteile entstammen der Militärtechnik, der Militärstrategie oder geographischen Gegebenheiten.

Offensive vs. defensive

In der Fachliteratur ist die Frage, welche Vorteile im Sinne von Siegchancen offensive Waffensysteme und Militärstrategien im Verhältnis zu defensiven Waffensystemen und Militärstrategien haben, ausführlich erörtert worden. Während des Kalten Krieges, in dem sich Ost und West militärisch hochgerüstet gegenüberstanden, wurde stark darauf geachtet, dass keine Seite sich durch einen Angriff einen entscheidenden Vorteil verschaffen konnte. Zu diesem Zweck entwickelten z. B. Kernwaffenstaaten die sogenannte Zweitschlagsfähigkeit. Sie bedeutete, dass eine Seite nie in der Lage war, mit einem Angriff das gesamte Kernwaffenarsenal der anderen Seite wirksam zu vernichten. Vielmehr verblieben der verteidigenden Seite nach einem Angriff immer genügend Waffensysteme, um Vergeltung zu üben. Somit verhinderte die Zweitschlagsfähigkeit, dass ein nuklearer Präemptivkrieg einer Seite entscheidende Vorteile verschaffte.

Kriseninstabilität

Politische Krisen geraten dann schnell außer Kontrolle, wenn eine Seite vor der Entscheidung steht, ihre Waffen entweder einzusetzen oder diese durch den Angriff der Gegenseite zu verlieren. In dieser Situation besteht ein hoher Anreiz, einen Präemptivkrieg zu führen. Man bezeichnet diese Situation auch als Kriseninstabilität. Die empirische Forschung hat allerdings ergeben, dass die Zahl der Präemptivkriege gering ist. Seit 1816 können nur drei Kriege diesem Typ zugeordnet werden: Der Erste Weltkrieg, die chinesische Intervention in den Koreakrieg sowie der schon genannte Sechstagekrieg Israels gegen seine Nachbarstaaten (Reiter 1995).

Zwischenfazit

Glaubwürdigkeitsprobleme, Nichteinhaltung und Offensivanreize als Kriegsursache

Kriege können dadurch entstehen, dass Akteure befürchten, sie würden durch die friedliche Lösung eines Konfliktes in der Zukunft benachteiligt, weil sie nicht mehr in der Lage sein werden, die Gegenseite zur Einhaltung der Vereinbarung zu bringen, nachdem sie ihren Teil erfüllt haben. Weiterhin besteht ein Anreiz zur Kriegführung, wenn die wirtschaftliche und/ oder technologische Entwicklung eine Seite längerfristig begünstigt. Die angreifende Seite verspürt dann einen hohen Anreiz zum Präventivkrieg. Schließlich kann eine Konfliktpartei sich zum Krieg entschließen, wenn sie sich im Zuge eines sich zuspitzenden Konfliktes einen entscheidenden militärischen Vorteil vom Angriff verspricht. In diesem Fall spricht man von Präemptivkrieg.

 

3.2 | Geographische Verteilung von Kriegen

Die räumliche Verteilung von Kriegen auf die einzelnen Kontinente ist sehr unausgewogen. Dies geht aus Abbildung 3.2 hervor.

Zwischen 1946 und 2008 fanden die meisten Kriege in Asien und Afrika statt. An dritter Stelle liegt der Mittlere Osten. Die Zahlen kriegerischer Konflikte in Nord- und Südamerika sowie in Europa sind dagegen vergleichsweise gering. In Amerika war ein signifikanter Anstieg von 1970 bis 1990 zu verzeichnen, seither hat die Zahl der Konflikte jedoch stetig abgenommen. In Europa bewirkte das Ende des Kalten Krieges einen erheblichen Anstieg der Kriegstätigkeit in den 1990er Jahren. Doch seither ist auch hier die Anzahl der Kriege erheblich zurückgegangen.

Zusammenwirken von Faktoren

Die Forschung hat ergeben, dass in Asien und (Sub-Sahara-)Afrika mehrere Faktoren zusammenwirken, die zu einer erhöhten Kriegsgefahr führen. Staatliche Institutionen sind schwach ausgeprägt; es gibt große wirtschaftliche und soziale Ungleichheit; die Gesellschaften sind häufig ethnisch und/oder religiös fragmentiert und die gute Verfügbarkeit großer Mengen leicht abbaubarer Rohstoffe ermöglicht die Finanzierung militärischer Gewalt (Rittberger/Kruck/Romund 2010: 377).

Abb. 3.2 | Kriege nach Region


Quelle: eigene Darstellung nach Gleditsch et al. (2002); Uppsala Conflict Data Program (UCDP)/ International Peace Research Institute Oslo (PRIO) (2009); Harbom (2009).

3.3 | Kriegsverhinderung und friedliche Konfliktregelung

Abschreckung

Wenn man die Ursachen für Kriege kennt, kann man ihnen entgegenwirken und auf diese Weise die friedliche Beilegung von Konflikten begünstigen. Wenn Krieg kein Selbstzweck ist, sondern einem übergeordneten Ziel dient und zugleich nur eine Alternative zu einer friedlichen Streitbeilegung durch Verhandlungen darstellt, werden die Konfliktparteien Kosten und Nutzen sorgfältig abwägen. Konfliktparteien können dann dadurch von einem Krieg abgeschreckt werden, dass man dessen Kosten möglichst weit hochschraubt (Frieden/Lake/Schultz 2012: 118). Denn so erscheinen Kompromisse durch Verhandlungen weit attraktiver als Krieg.

Zweitschlagsfähigkeit

Langer Friede

Während des Kalten Krieges wurde ausgehend von dieser Überlegung den Kernwaffen eine pazifizierende Wirkung zugeschrieben. Die Drohung mit der sogenannten gegenseitigen gesicherten Zerstörung, die durch die Zweitschlagfähigkeit sichergestellt wurde, veranlasste die Entscheidungsträger in Ost und West (Bundy 1988) zu extrem vorsichtigem Verhalten in dem anhaltenden Konflikt (Gaddis 2005; Link 1988). John L. Gaddis argumentierte, dass der sogenannte lange Frieden maßgeblich darauf beruht habe, dass ein Krieg zwischen den beiden Supermächten Sowjetunion und USA auf beiden Seiten inakzeptable Kosten verursacht hätte (Gaddis 1986; 1987). Diese Einsicht sei dem Kristallkugeleffekt von Kernwaffen entsprungen: Wie beim Blick in der Kristallkugel könne unzweideutig festgestellt werden, welch zerstörerische Wirkung von diesen Waffen ausgehe (Carnesale et al. 1983).

Definition

Abschreckung

Die grundsätzliche Überlegung, die Kosten eines Krieges so hoch und seinen Nutzen so gering wie möglich zu machen, wird als Abschreckung bezeichnet. Beruht die Steigerung der Kosten auf Kernwaffen, spricht man von nuklearer Abschreckung.

Internationale Verflechtung

Die Veränderung der Kosten-Nutzen-Kalkulation zugunsten einer friedlichen Streitbeilegung ist jedoch nicht nur durch die drastischen Maßnahmen militärischer Abschreckung möglich, die zudem das Risiko in sich birgt, dass — wie im Ersten Weltkrieg — die handelnden Entscheidungsträger die Kontrolle über die Ereignisse verlieren (Clark 2013; Münkler 2013). Vielmehr kann die arbeitsteilig organisierte Weltwirtschaft eine erhebliche Rolle in der Konfliktvermeidung spielen ( Kap. 5). Durch sie ist es möglich, den Nutzen der friedlichen Streitbeilegung so weit hoch zu schrauben, dass die Kosten-Nutzen-Kalkulation der Konfliktparteien eindeutig gegen Krieg spricht. Die dank wirtschaftlicher Spezialisierung und Arbeitsteilung stark miteinander verflochtenen Akteure können ihren Wohlstand und Lebensstandard nur dann bewahren, wenn sie diese wechselseitige Abhängigkeit nicht durch einen Krieg zerstören. Entsprechend ist der Anreiz für sie hoch, Kriege zu vermeiden (Levy 2013: 591–592).

Liberaler Friede

Aus diesem Grund werden Freihandel und freier Kapitalverkehr ( Kap. 5, Kap. 6) als friedensfördernde Maßnahmen verstanden. In dem Maße wie internationale Abkommen z. B. über Freihandelszonen oder regionale und globale Integration zu wechselseitigen Abhängigkeiten führen, handle es sich auch im Friedensprojekte. Man spricht vom sogenannten »liberalen Frieden« (Anderton/Carter 2001; Barbieri/Levy 1999; Liberman 1993; Morrow 1999; O’Neal/Russett 1999; Rosecrance/Thompson 2003).25 Gerade die Europäische Union gilt als herausragendes Beispiel für eine friedensstiftende Organisation, weil sie durch Spezialisierung und Arbeitsteilung die wechselseitige Abhängigkeit der Mitglieder verstärkt. Mit einer Entscheidung für einen Krieg würde ein derart extremer Schaden an Wohlfahrt und Lebensstandard entstehen, dass diese Option keine attraktive Alternative zur friedlichen Streitbeilegung bietet.26

Verflechtungsgewinner und -verlierer

Gegen diese optimistische Sicht der friedensstiftenden Wirkung wechselseitiger wirtschaftlicher Abhängigkeit ist jedoch eingewandt worden, dass es nicht allein auf die Kosten-Nutzen-Kalkulation im Sinne des Gemeinwohls — also für eine Gesellschaft insgesamt — ankomme. Konfliktparteien richteten ihre Entscheidungen nicht ausschließlich an diesem aus. Vielmehr gebe es Beispiele, in denen es Koalitionen aus Trägern von Partikularinteressen gelungen sei, ihre Positionen gegen die Interessen der überwältigenden Mehrheit durchzusetzen (Müller 2002: 59). Dies bedeutet, dass die Kosten-Nutzen-Kalkulationen eines Gemeinwesens erheblich von denen einzelner Gruppen abweichen können. Unter diesen Bedingungen ist es möglich, dass sich der Nutzen wirtschaftlicher Verflechtung sehr verschieden auf partikulare Interessengruppen auswirkt. Daher sprechen wir heute z. B. von Globalisierungs- oder Verflechtungsgewinnern und Globalisierungs- oder Verflechtungsverlierern. Krieg wird dann selbst bei hoher internationaler Verflechtung wahrscheinlich, wenn Verflechtungsverlierer durch ihn ihre Position durchsetzen können und/oder die Kosten einer Kriegführung hauptsächlich von den ursprünglichen Verflechtungsgewinnern getragen werden müssten.

Beispiel Erster Weltkrieg

Einige Historiker vertraten die These, dass im deutschen Kaiserreich am Vorabend des Ersten Weltkrieges genau dieser ursächliche Zusammenhang wirksam gewesen sei. Eine Koalition aus ostelbischen adligen Landbesitzern einerseits und Industriellen der Stahlindustrie andererseits hätte sich als Verflechtungsverlierer gesehen (Conrad 2006; Puhle 1975; Torp 2010; Wehler 1976; 1985; 1994).27 Unter ihrem Druck sei das Kaiserreich in einen verheerenden Krieg gezogen, dessen Hauptkosten jedoch anderen Gruppen aufgebürdet worden seien (Geiss 1985). Diese Interpretation der Ursachen des Ersten Weltkrieges ist zwar mittlerweile erheblich in Zweifel gezogen und relativiert worden (Münkler 2013: 94–96; Neitzel 2002), sie gehört aber dennoch in die Liste von möglichen Kriegsursachen nicht nur des Ersten Weltkrieges.28

Ursachenkette

Die geschichtswissenschaftliche Fachdebatte sowie neue Gesamtdarstellungen (Clark 2013; Münkler 2013) zu den Ursachen des Ersten Weltkrieges zeigen vor allem eines: Kriege sind ähnlich wie Flugzeugabstürze meist das Ergebnis einer Kette von einzelnen Ursachen,29 von denen jede einzelne für sich genommen nicht zum Krieg geführt hätte. Diese wichtige Erkenntnis kann mit quantitativen Methoden der Forschung, auf denen eine Vielzahl von politikwissenschaftlichen Studien zur Kriegsursachenforschung beruht, nicht so einfach gewonnen werden.

Transparenz

Das neben Abschreckung und Verflechtung dritte Instrument zur Verhinderung von Kriegen ist die Verbesserung der Transparenz in den internationalen Beziehungen. Es zielt vor allem auf die Lösung der Interaktions- und Glaubwürdigkeitsprobleme (Frieden/Lake/Schultz 2012: 118–119). Transparenzfördernde Maßnahmen können in einseitige und wechselseitige unterteilt werden. Einseitige Maßnahmen zur Verhinderung von Fehlkalkulationen, z. B. der militärischen Stärke des Gegners, sind technische Aufklärung und Überwachung etwa durch Satellitentechnologie. Es gehören aber auch Spionage oder Kommunikationsüberwachung dazu, selbst wenn sie moralisch und rechtsstaatlich höchst problematisch sind.

Nichtregierungsorganisationen (NGOs)

Ferner gilt, dass offene Gesellschaften mit freien Medien auch für gegnerische Konfliktparteien transparenter sind als autoritäre Regime. Hinzu kommen Nichtregierungsorganisationen wie das Londoner International Institute for Strategic Studies (IISS) oder das Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI), die systematisch Informationen über militärische Fähigkeiten von Staaten sammeln und regelmäßig auf den neuesten Stand bringen (International Institute for Strategic Studies 2014; Stockholm International Peace Research Institute 2013). Auf diese Weise helfen sie, Transparenz herzustellen und das Risiko von Fehlkalkulationen zu verringern. Ähnliches gilt für die International Crisis Group, die Krisen- und Konfliktherde überwacht und durch Studien zur Transparenz beiträgt. Allerdings ist nicht auszuschließen, dass einseitige Maßnahmen für mehr Transparenz einer Seite einen Vorteil durch Informationsvorsprung verschaffen. Dies ist der Fall, wenn die erhobenen Informationen nicht frei zugänglich gemacht, sondern geheim gehalten werden. Sie wirken dann eher destabilisierend als stabilisierend.

Wechselseitige Maßnahmen

Neben den einseitigen gibt es, wie bereits erwähnt, die wechselseitigen Maßnahmen. Ein Beispiel ist der Austausch militärischer Fachleute zwischen zwei oder mehreren Ländern; diese sammeln Informationen über militärische Fähigkeiten und schaffen so auf kooperativem Wege Transparenz. Internationale Organisationen entsenden häufig Beobachter zur Einschätzung militärischer Kräfteverhältnisse, die unter den beteiligten Mitgliedstaaten transparent gemacht werden. Die auf diese Weise geschaffene gegenseitige Transparenz ist insbesondere zwischen NATO-Mitgliedstaaten stark institutionalisiert und trägt maßgeblich zur wechselseitigen Vertrauensbildung bei (Tuschhoff 2003; 2014).

Ständige Vertrauensbildung

Schließlich wird Transparenz auch dadurch erzielt, dass die Konfliktparteien im Zuge von Vereinbarungen Gremien schaffen, deren Mitglieder im Falle von Unstimmigkeiten bei der Anwendung der Vereinbarung tagen, um Informationen auszutauschen, Missverständnisse auszuräumen oder praktische Lösungen für konkrete Probleme zu finden. Die sogenannte Standing Consultative Commission (SCC) zwischen den USA und der Sowjetunion gilt als wichtigstes Beispiel für eine stetige Verbesserung von bilateralen Rüstungskontrollvereinbarungen (Caldwell 1985; Graybeal/Krepon 1985).

Unparteiische Dritte

Das vierte Instrument zur Kriegsverhinderung zielt auf die Verringerung von Interaktions- und Glaubwürdigkeitsproblemen in Verhandlungsprozessen. Es soll den Konfliktparteien ermöglichen, Abkommen zu schließen, auf deren wechselseitige Einhaltung sie vertrauen können. Dies wird häufig durch die Hilfe einer neutralen dritten Partei erreicht (Frieden/Lake/Schultz 2012; Rittberger/Zangl/Kruck 2013: 119–120). Die Arbeit der sogenannten UNBlauhelmtruppen ist das wichtigste, wenn auch nicht einzige Beispiel für eine unparteiische dritte Kraft zur Friedenssicherung.

 

UN-Friedensmissionen

Die Forschung hat gezeigt, dass UN-Friedensmissionen erheblich zur Befriedung beitragen. Die Wahrscheinlichkeit, dass vereinbarte Waffenstillstände nach zwischenstaatlichen Kriegen gebrochen wurden, sank um 85 Prozent, wenn UN-Blauhelme eingesetzt wurden. Das Risiko, dass nach Waffenstillständen in innerstaatlichen Konflikten Gewalt wieder ausbricht, sank um 60 Prozent (Fortna 2004a; b; 2008; Fortna/Howard 2008).

Information kompakt

UN-Blauhelmtruppen

Die Blauhelmtruppen der Vereinten Nationen dienen der Friedenssicherung und werden seit dem Ende des Kalten Krieges immer häufiger eingesetzt. Zudem ist ihr Aufgabenspektrum schrittweise erweitert worden, weil die Erfahrungen gezeigt haben, dass ihre Zuständigkeiten und Eingreifmöglichkeiten bei einem Aufflammen von Feindseligkeiten oft unzureichend waren.

Blauhelmtruppen der sogenannten ersten Generation beschränkten sich darauf, zu überwachen, ob getroffene Vereinbarungen von den Konfliktparteien eingehalten wurden. Sie berichteten dem UN-Generalsekretär und dem Sicherheitsrat, wer wann welche Regelverletzung begangen hatte, konnten jedoch selbst nicht eingreifen.

Die Blauhelmtruppen der zweiten Generation sollten zusätzlich die Schaffung von Friedensbedingungen unterstützen und absichern. Dazu gehörte insbesondere die Entwaffnung und Demobilisierung von Militäreinheiten der Konfliktparteien.

Die UN-Friedenstruppen der dritten Generation kamen auch dann zum Einsatz, wenn kein Abkommen der Konfliktparteien für eine Waffenruhe oder einen nachhaltigen Frieden vorlag. Ausgestattet mit einem »robusten« Mandat sollten sie zunächst ein sicheres Umfeld schaffen, in dem sich Frieden herstellen ließ. Zu diesem Zweck waren sie ermächtigt, robust — mit Waffengewalt — gegen Konfliktparteien vorzugehen.

Bei Friedensmissionen der vierten Generation sind schließlich Aufgaben des Wiederaufbaus von Staat, Gesellschaft, Wirtschaft und Infrastruktur zu den sicherheitspolitischen hinzugekommen (Rittberger/Kruck/Romund 2010: 390–393; Rittberger/Zangl/Kruck 2013: 155–158).

Teilbarkeit umstrittener Güter

Das weiter oben dargelegte Problem der Unteilbarkeit von Gütern kann auf verschiedene Arten und Weisen gelöst werden, so dass es der friedlichen Streitbeilegung nicht grundsätzlich im Weg steht. Die Konfliktparteien können eine gemeinsame oder geteilte Autorität über das strittige Gut vereinbaren, z. B. die gemeinsame Verwaltung von Jerusalem. Wenn dies nicht praktikabel erscheint, bietet sich an, die Autorität bei einer Konfliktpartei zu belassen und der anderen Konfliktpartei dafür Konzessionen an anderer Stelle zu machen, so dass ein Paket geschnürt wird. Schließlich ist es möglich, wie bei Ehescheidungen einen finanziellen Ausgleich für die Konfliktpartei zu schaffen, die ein umstrittenes Gut nicht erhält.

Der aus Abbildung 3.2 ablesbare Rückgang von Kriegen in Amerika und Europa wird vor allem darauf zurückgeführt, dass hier die genannten friedensstiftenden Mechanismen wirken (Rittberger/Kruck/Romund 2010: 372–376). Eine weitere Erklärung wird im sogenannten demokratischen Frieden ( Kap. 5) gesehen.

Zwischenfazit

Maßnahmen der Kriegsverhinderung und Friedenssicherung

Die genannten Kriegsursachen können durch Einwirkung auf das Kosten-Nutzen-Kalkül der Konfliktparteien eingedämmt werden, so dass eine friedliche Streitbeilegung zustande kommt, die anschließend gesichert werden kann. Dazu sind folgende Maßnahmen hilfreich:

Abschreckung,

internationale Verflechtung,

transparenzfördernde Maßnahmen,

Schlichtung oder Durchsetzung durch unparteiische Dritte,

gemeinsame Kontrolle unteilbarer Güter oder Kompensation für Verzicht.