Einführung Psychotraumatologie

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2. Was versteht man unter einer „psychischen Traumatisierung“?

3. Bitte erläutern Sie den Begriff der „Kumulativen Traumatisierung“.

4. Skizzieren Sie einige zentrale traumahistorische Konzepte.

5. Wie wahrscheinlich ist die Ausbildung einer PTBS nach a) Vergewaltigung, b) bei Kriegs- und Folteropfern, c) bei Verkehrsunfallopfern? Haben Sie Erklärungen für die individuelle Spannbreite für die Entwicklung einer Traumafolgestörung?

6. Skizzieren Sie das Verlaufsmodell der psychischen Traumatisierung nach Fischer und Riedesser.

7. Welche Schutzfaktoren stehen welchen Risikofaktoren gegenüber, die darüber entscheiden, ob ein Ereignis für eine Person traumatischen Charakter annimmt?

8. Nennen Sie drei Module, die in der Primärprävention psychischer Erkrankungen nach Traumatisierungen eingesetzt werden.

9. Auf welche Weise können Computer-basierte Angebote die konventionelle Stressprävention sinnvoll ergänzen?

10. Welche beiden (neuro-) hormonellen Systeme sind bei einer PTBS vor allem betroffen und wie?

11. Nennen Sie drei Areale des Gehirns, deren Funktion sich nach Traumatisierungen verändert.

2 Diagnostik im Spektrum der Traumafolgestörungen

Das diagnostische Gespräch mit Patienten, die unter Traumafolgestörungen leiden, stellt eine besondere Herausforderung für klinisch und gutachterlich tätige Mitarbeiter in Heilberufen dar. Das traumatische Ereignis hat zu vielfältigen Veränderungen im Denken, Fühlen und Handeln der Betroffenen geführt, deren Erfassung eine umfangreiche klinische Erfahrung erfordert.

So kann beispielsweise ein Erlebnis bei verschiedenen Individuen sehr unterschiedliche und individuell ausgestaltete posttraumatische Reaktionen und Erkrankungen nach sich ziehen.

Um der Komplexität der Erscheinungsformen gerecht zu werden, empfiehlt sich die Ergänzung des fachgerechten diagnostischen Gespräches durch standardisierte diagnostische Interviews und psychometrische Testung (Kap. 2.2).

2.1 Diagnostik und Differenzialdiagnostik

Gefahr von Triggerungen

Die Diagnostik posttraumatischer Erkrankungen steht insbesondere beim Erstkontakt mit Betroffenen vor der Problematik, ggfs. Themen und Ereignisse ansprechen zu müssen, die potenziell zu Triggerungen von Erinnerungen und Symptomatik und damit zu erheblichen Belastungen führen können. Auf diese Gefahr sollte bereits zu Beginn des Gespräches eingegangen und etwaige mögliche Reaktionsweisen besprochen werden, beispielsweise das Einlegen von Pausen oder die Durchführung einer Entspannungstechnik. Eine tiefergehende Exploration von Details traumatischer Situationen sollte wenn möglich erst dann erfolgen, wenn erste Stabilisierungsmaßnahmen erlernt und ein gutes therapeutisches Arbeitsbündnis hergestellt wurden.

Andererseits kann die Beobachtung solcher zum Teil auch vegetativ ausgestalteter Reaktionen ein diagnostisches Merkmal sein, das darauf hinweist, dass eine stärkere traumatische Fehlverarbeitung vorliegt.

klärender Effekt diagnostischer Gespräche

Traumadiagnostische Gespräche beinhalten aber nicht nur ein Belastungspotenzial. Das Erheben und Besprechen traumabezogener Inhalte kann für den Patienten durchaus auch eine ordnende und klärende Wirkung haben, die ihm hilft, seine Symptomatik in einen lebensgeschichtlichen Kontext einzuordnen. Dies wiederum kann zum Abbau von Unsicherheit und Ängsten und damit zu einer Stabilisierung beitragen.

sekundäre Belastungen

Darüber hinaus ist es wichtig, auch sekundäre Belastungen und Komplikationen nach Traumatisierungen zu besprechen. Dazu gehören beispielsweise körperliche Symptome wie Schmerzen, Auswirkungen auf die Lebensführung wie etwa das Sport- und Ernährungsverhalten und die sozialen Kontakte. Diese können einen erheblichen Einfluss auf die Lebensqualität und damit auch die Erkrankungsschwere haben.

Ressourcen erfassen

Um die therapeutische Prognose abzuschätzen, sollten im Zusammenhang mit der Lebensführung auch Ressourcen und Kompetenzen erfasst werden. Dazu gehören beispielsweise die Kompetenz in der Gestaltung und Strukturierung von Arbeit und Freizeit, das soziale Beziehungsverhalten, der Umgang mit Gefühlen, Konflikten, Distanz und Nähe, die Fähigkeit zur Selbstfürsorge, eine positive und wertschätzende Einstellung zu sich selbst, persönliche Wertorientierungen, Stärken und Schwächen. Zum Teil existieren auch für diese Bereiche standardisierte Fragebögen.

Diagnostik im Gutachten-Kontext

Traumafolgestörungen sind besonders häufig Gegenstand von Begutachtungen in verschiedenen Rechtsgebieten (Kap. 6), da sie sich direkt auf schädigende Ereignisse zurückführen lassen und somit die Herstellung eines kausalen Zusammenhangs erleichtern. Im gutachterlichen Kontext sollte ein besonderer Schwerpunkt auf die Einschätzung des traumatischen Charakters des Ereignisses nach den gültigen Klassifikationssystemen (A1-Kriterium, Kap. 2.4) gelegt werden. Die Interpretation von Ereignissen hinsichtlich ihrer Bedrohlichkeit gestaltet sich allerdings in einigen Fällen schwierig und hängt auch vom sozio-kulturellen Hintergrund des Betrachters ab. Dadurch kann es zwischen Patienten bzw. Begutachtungs-Probanden und Behandlern bzw. Gutachtern durchaus zu unterschiedlichen subjektiven Sichtweisen kommen.

Zusätzlich sollten Differenzialdiagnosen sorgfältig beschrieben und im Hinblick auf ihren Anteil an der gesamten Symptomatik abgewogen werden. Beispielsweise kann eine posttraumatische Übererregbarkeit auch Folge einer parallel bestehenden emotional instabilen Persönlichkeitsstörung sein, die dann nicht als Traumafolge entschädigungspflichtig wäre.

Im gutachterlichen Kontext ist auch der Einsatz von Test-Instrumenten zur Diagnosevalidierung sinnvoll. Dabei werden Verfahren angewandt, die Aufschluss über Simulationstendenzen bei dem Probanden geben.


Ein Beispiel für ein solches speziell auf die posttraumatische Belastungsstörung angepasstes Instrument ist der Morel Emotional Numbing Test (MENT) (Morel, 1998). Dabei werden dem Probanden fotografische Porträts von Menschen gezeigt, die verschiedene Gefühlszustände mimisch ausdrücken. Aufgabe ist es, diese Gefühlszustände richtig einzuordnen. Dabei wird dem zu Testenden im Vorfeld suggeriert, dass es bei posttraumatischen Erkrankungen häufiger zu Fehleinschätzungen kommt (was aber nicht den Tatsachen entspricht). Bei ausgeprägter Simulationstendenz wird dann überzufällig häufig eine fehlerhafte Angabe gemacht, um einen hohen Leidensdruck zu demonstrieren. Der Einsatz derartiger Testungen ist aber insbesondere im klinischen Kontext ethisch umstritten.

2.2 Testdiagnostische Verfahren

Zur Erfassung von Traumata und ihren Auswirkungen sind einige psychometrische Verfahren und strukturierte Interviews entwickelt worden. Auch in projektiven Testverfahren wie dem Rorschach-Test wurden Indizes für Traumaerleben gefunden.

Insgesamt lassen sich die Verfahren danach unterscheiden, ob sie traumatische Erlebnisse im gesamten Lebensverlauf erfassen, sich auf bestimmte Lebensabschnitte (z. B. die Kindheit) beschränken oder spezielle traumatische Situationstypen (z. B. sexuellen Missbrauch, Folter) fokussieren.

diagnostische Treffsicherheit

Unter den Gütekriterien sind in der Traumaforschung neben den Maßen für prognostische (d. h. Vorhersagevalidität) und konkurrente (d. h. Übereinstimmungsvalidität) Validität Werte für die Treffsicherheit diagnostischer Urteile (Trauma-Fälle vs. nicht-Trauma-Fälle) von Bedeutung.


Die Sensitivität einer Skala gibt die Treffsicherheit gelingender Zuordnung an (korrekt zugeordnete positive Fälle). Die Spezifität einer Skala hingegen ist das Maß für den zutreffenden Ausschluss von Nicht-Fällen.

Aus beiden Maßen zusammen errechnet sich der Wert für die diagnostische Treffsicherheit einer Skala.

Im deutschen Sprachraum liegen folgende strukturierte Interviews vor:

Diagnostisches Interview bei psychischen Störungen, DIPS (Margraf et al., 2011);

Münchener Composite International Diagnostic Interview, M-CIDI (Wittchen et al., 1996);

PTSD-Modul aus dem Strukturierten Klinischen Interview für DSM-IV, SKID (Wittchen et al., 1997);

Clinician-Administered PTSD Scale, CAPS (Nyberg & Frommberger, 2001).

Im Folgenden werden die gebräuchlichsten Fragebogenverfahren kurz vorgestellt. Wichtig ist, dass in der klinischen Praxis stets relevante Komorbiditäten – auch mit speziellen Skalen – miterfasst werden. Exemplarisch werden am Ende dieses Kapitels einige Instrumente zur Erfassung des allgemeinen psychopathologischen Status aufgeführt.

 

Allgemeine Trauma-Skalen

Impact of Event Scale (IES). Die Skala misst die Einwirkung eines traumatischen Ereignisses im subjektiven Erleben des Betroffenen, und zwar in den Dimensionen Intrusion und Verleugnung / Vermeidung (Horowitz, 1979). Später wurden entsprechend der PTBS-Trias (Flashbacks, Vermeidung, Übererregung) Items zur Dimension Hyperarousal hinzugefügt (Weiss & Marmar, 1997). Die deutsche Version wurde von Maercker und Schützwohl (1998) validiert. Die Probanden werden gebeten, ihr Erleben in Bezug auf das belastende Ereignis innerhalb der letzten 7 Tage zu schildern. In den USA liegen Studien vor, in denen sich die IES als ein Instrument erweist, das für weite Bereiche traumatischen Erlebens Relevanz und Gültigkeit besitzt (Schwarzwald et al., 1987). Für den deutschen Sprachraum liegen mehrere Validierungsstudien vor (neben Maercker & Schützwohl, 1998 z. B. Hütter & Fischer, 1997).

Posttraumatic-Symptom-Scale (PTSS-10). Die PTSS-10 (Raphael et al., 1989) ist ein aus lediglich 10 Fragen bestehender Fragebogen, der nach allgemeineren Traumasymptomen wie u. a. Schlafstörungen, Albträumen, Stimmungsschwankungen, traumabezogenen Ängsten und Schreckhaftigkeit fragt. Diese nicht rein PTSD-spezifischen Symptome lassen sich recht gut mit einer PTSD in Zusammenhang bringen. Der Test wurde von Schade et al. (1998) in die deutsche Sprache übersetzt und an über 3000 Soldaten und Feuerwehrleuten validiert. Allerdings wird in den PTBS-S3-Leitlinien (Flatten et al., 2011) auf die Unspezifität dieser Skala hingewiesen, d. h. sie produziert eine substanzielle Anzahl von falsch Positiven.

Posttraumatic Stress Diagnostic Scale (PDS). Die PDS (Foa, 1995) ist ein aus 49 Items bestehender Fragebogen zur Selbstauskunft. Er erfasst die diagnostischen Kriterien einer PTBS angelehnt an das DSM-IV und setzt sich zusammen aus einem Ereignisteil, in dem das Erleben zwölf verschiedener, potenziell traumatischer Ereignisse (Cluster A) systematisch erfasst wird, und einem zweiten Teil, in dem die Symptome in enger Anlehnung an die DSM-IV-Kriterien (Cluster B, C und D) ermittelt werden. Mithilfe der PDS ist es zusätzlich möglich, das Ausmaß der posttraumatischen Belastungssymptomatik zu quantifizieren, weshalb der Fragebogen auch zu Evaluationszwecken und zum Monitoring eingesetzt werden kann. Die deutsche Übersetzung weist zufriedenstellende Gütekriterien auf (Griesel, Wessa & Flor, 2006).

Kurze Screening-Skala für Posttraumatische Belastungsstörungen nach DSM-IV (PTBS-7). Der Fragebogen (Breslau et al., 1999; deutsche Version Maercker, 2008) erhebt, wie häufig sieben Symptome während des letzten Monats vor dem Hintergrund eines traumatischen Erlebnisses auftraten. Fünf Items beziehen sich auf die DSM-IV-Symptomgruppe Vermeidung und zwei auf die Symptomgruppe erhöhtes Erregungsniveau. Das Antwortformat ist vierstufig (von 0 = überhaupt nicht bis 3 = 5 mal pro Woche / fast immer). Bei der Auswertung wird das Vorhandensein eines Symptoms codiert, wenn es 2 – 4 mal pro Woche oder häufiger auftrat. Für eine PTBS-Diagnose müssen vier oder mehr Symptome mindestens 2 – 4 mal pro Woche vorhanden sein.

Essener Trauma-Inventar (ETI). Das ETI von Tagay und Senf (2014) ist ein Selbstbeurteilungsfragebogen mit 23 Items und erfasst zum einen ein breites Spektrum an traumatischen Ereignissen und zum anderen die beiden posttraumatischen Störungen Akute Belastungsreaktion (ASD) und Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) nach DSM-IV. In der Validierung an einer großen Stichprobe von psychisch und körperlich Kranken sowie gesunden Probanden fanden sich gute Reliabilitätskennwerte. Die 4-Faktoren-Struktur (Intrusion, Vermeidung, Hyperarousal und Dissoziation) konnte gut bestätigt werden (Tagay et al., 2007).

Trauma History Questionnaire (THQ). Der THQ (Green, 1996) ist ein Messinstrument (Checkliste) zur Selbstbeurteilung des Erlebens traumatischer Ereignisse über die Lebensspanne. Der Fragebogen umfasst 24 Items und kann für allgemeine wie klinische Stichproben eingesetzt werden (deutsche Übersetzung Maercker, 2002). Das Antwortformat ist zweistufig (Ja / Nein). Bei Bejahen werden spezifizierende Fragen nach der Häufigkeit der Erlebnisse, dem Alter bei Erleben und einer genaueren Beschreibung des Ereignisses gestellt. Geschlechtsspezifische Normen liegen vor. In einer Reteststudie an 25 Collegestudentinnen ergab sich über einen 2- bis 3-monatigen Zeitraum eine ausreichend gute Stabilität für die meisten der berichteten Ereignisse (Green, 1996). Aufgrund der Beschaffenheit des THQ als Checkliste sind weitere psychometrische Kennwertberechnungen weder sinnvoll noch notwendig. Eine ad-hoc-Erweiterung oder -Kürzung der Itemliste ist Anwendern aus diesem Grund prinzipiell möglich.

Kölner Traumainventar (KTI). Hier handelt es sich um ein deutschsprachiges Instrument, das die vergleichsweise umfassende und detaillierte Erhebung von psychotraumatologischen Risiko- und Belastungsfaktoren bei Mehrfachtraumatisierungen ermöglicht (Fischer, 2000 a). Die Situationsfaktoren der Allgemeinen und Speziellen Psychotraumatologie werden detailliert behandelt. Eine Kurzform und Interview-version ermöglichen eine selektive Abfrage.

Darüber hinaus fokussieren andere Skalen auf bestimmte trauma-assoziierte Symptome.

Dissociative Experience Scale (DES). Dissoziatives Erleben ist lange Zeit über diagnostisch wenig beachtet worden und im Übrigen klinisch nicht leicht zu erfassen. Von daher sind Skalen, die eine erste Abklärung erlauben, für klinische Praxis wie Forschung sehr wertvoll. Die DES von Bernstein und Putnam (1986) und Carlson und Putnam (1993) erfasst die persönlichkeitstypische Neigung zu dissoziativen Erlebnisweisen (Dissoziation als „trait“). Der Fragebogen zu Dissoziativen Symptomen (FDS; Freyberger, Spitzer & Stieglitz, 1999) ist eine ins Deutsche übersetzte Version der DES. Die übersetzte Version wurde um 16 auf 44 Items erweitert. Diese fragen nach weiteren Symptomen, die gemäß der ICD-10 (Dilling et al., 1994) zusätzlich als dissoziative Phänomene eingestuft werden. Ausgehend von diesen Items wurde von den Autoren eine zusätzliche Subskala Konversion definiert.

Peritraumatic Dissociative Experience Questionnaire (PDEQ). Im Unterschied zur DES erhebt der PDEQ dissoziative Erlebnisweisen während der traumatischen Situation (Dissoziation als „state“). Neben der retrospektiven Information über das Situationserleben kann es prognostisch auch als Screening-Instrument für Teilaspekte des PTBS-Risikos verwendet werden. Hohe Werte im PDEQ erwiesen sich in Untersuchungen als ein relativ zuverlässiger prognostischer Indikator für die spätere Ausbildung eines psychotraumatischen Belastungssyndroms (vgl. Fischer et al., 1998). Es existiert auch eine Version für Raterinnen, die aufgrund von Interviews oder Therapieerfahrung eine Fremdeinschätzung abgeben können (Marmar et al., 1997).

Skalen für spezielle psychotraumatische Syndrome

Als Beispiele für situationsspezifische Skalen gelten folgende:

Kölner Risikoindex (KRI). Zur Verhinderung langfristiger psychischer Traumafolgen und im Rahmen einer Frühintervention ist es wichtig, über ein geeignetes Screeninginstrument zur Früherkennung zu verfügen (Kap. 2.5). Aus diesem Anlass wurde der KRI entwickelt, zunächst in seiner ursprünglichen Fassung für die Opfer von Gewalttaten (Fischer, 2000 a). Inzwischen wurde er für unterschiedliche Gruppen von Betroffenen abgewandelt und validiert, wie Opfer von Unfällen, Katastrophen, Banküberfällen und für die Auswirkung militärischer Einsätze. Unter anderem wurde der KRI als Prognoseinstrument in der mittelfristigen Nachsorge nach den Amokläufen z. B. in Emsdetten und Winnenden eingesetzt.

Harvard Trauma Questionnaire (HTQ). Hierbei handelt es sich um ein Instrument zur Erfassung der Folgen von Extremtraumatisierung durch Folter und politische Verfolgung. Wegen seiner transkulturellen Bezüge wurde das Verfahren in fast alle Sprachen der Welt übersetzt. Es existieren verschiedene Versionen, die jeweils kulturspezifisch angepasst wurden. Die deutsche Übersetzung findet sich in Maercker und Bromberger (2005).

DESNOS (Disorder of Extreme Stress Not Otherwise Specified). Der DESNOS von van der Kolk et al. (1996, deutsche Übersetzung Fischer, 2000) ist ursprünglich als Interview konzipiert worden und existiert inzwischen auch als Fragebogenversion. Das Instrument ist zurzeit noch nicht vollständig validiert, sodass die sich ergebenden Daten eher klinisch interpretiert werden sollten. Der DESNOS dient der Stellung einer Zusatzdiagnose zur PTBS: der Diagnose „Disorder of Extreme Stress Not Otherwise Specified“ bzw. „complex posttraumatic stress disorder“ („complex PTSD“) i. S. von Herman (1993), die speziell auf die Opfer schwerer interpersoneller Gewalt zugeschnitten ist.

Childhood Trauma Questionnaire (CTQ). Der CTQ ist ein Selbstbeurteilungsinstrument, das sich eignet, retrospektiv Missbrauch und Vernachlässigung im Kindes- und Jugendalter zu erfassen (Bernstein & Fink, 1998; deutsche Übersetzung Gast et al., 2001). Eingesetzt werden kann der Fragebogen bei Jugendlichen und Erwachsenen ab einem Alter von 12 Jahren. Die Skalen der Kurzversion CTQ-SF umfassen Missbrauch (drei Subskalen: emotional, physisch, sexuell) und Vernachlässigung (zwei Subskalen: emotional und physisch). Zusätzlich ist eine weitere Skala (drei Items) vorgesehen, die Tendenzen misst, kindliche Missbrauchserfahrungen zu bagatellisieren oder zu leugnen.

Skalen zur Erfassung von allgemeiner psychischer Symptombelastung und Komorbidität

Symptom-Checkliste (SCL-90). Die SCL-90 misst die subjektiv empfundene Beeinträchtigung durch körperliche und psychische Symptome einer Person innerhalb eines Zeitraumes von sieben Tagen bis heute. Sie gehört zu den weltweit am häufigsten eingesetzten Selbstbeurteilungsverfahren zur Erfassung der psychischen Belastung. Die 90 Items der neun Skalen beschreiben die Bereiche Aggressivität / Feindseligkeit, Ängstlichkeit, Depressivität, Paranoides Denken, Phobische Angst, Psychotizismus, Somatisierung, Unsicherheit im Sozialkontakt und Zwanghaftigkeit. Drei globale Kennwerte geben Auskunft über das Antwortverhalten bei allen Items. Es liegen aktuelle, bevölkerungsrepräsentative Normen und eine separate Normierung Studierender vor (Franke & Derogatis, 2002). Die SCL-90 existiert auch als Kurzform, dem Brief Symptom Inventory (BSI) (Franke, 2000).

Beck Depressionsinventar (BDI II). Das BDI-II stellt ein Instrument zur Beurteilung der Schwere der Depression bei psychiatrisch diagnostizierten Jugendlichen ab 13 Jahren und Erwachsenen dar (Beck et al., 2013). Zu 21 Symptomen der Depression werden jeweils vier Aussagen vorgegeben, von denen diejenige auszuwählen ist, die am besten beschreibt, wie sich der Beurteiler in den vergangenen beiden Wochen gefühlt hat. Bei zwei Items (Veränderungen der Schlafgewohnheiten und Veränderungen des Appetits) gibt es Vorgaben, die sich sowohl auf die Verminderung als auch auf die Vermehrung von Schlaf und Appetit beziehen. Dabei ist ebenfalls nur eine Aussage auszuwählen.

 

Gesundheitsfragebogen für Patienten (PHQ-D). Der PHQ-D ist ein Instrument, das Screening und Fallidentifikation sowie die Messung des Schweregrades und des Behandlungserfolges der häufigsten psychischen Störungen erleichtern soll (deutsche Version von Löwe et al., 2002). Es handelt sich um einen Selbstauskunftsfragebogen. Die Items zu den einzelnen Störungsbildern wurden bei der Entwicklung des Instrumentes aus den diagnostischen Kriterien des DSM-IV abgeleitet. Die American Psychiatric Association (APA) empfiehlt die Skalen des PHQ für Schweregradmessung von Störungen aus den Bereichen Angst, Depression und Somatisierung.

2.3 Traumatisierung im spezifischen Kontext: Situationstypologie


Das Teilgebiet der Speziellen Psychotraumatologie (Kap. 1.2) handelt von speziellen traumatischen Situationen und Verläufen wie Traumatisierung am Arbeitsplatz (Mobbing), Gewaltkriminalität, sexueller Kindesmissbrauch und andere Kindheitstraumata, Arbeitslosigkeit als psychisches Trauma, lebensbedrohliche Erkrankung als Faktor psychischer Traumatisierung, Vergewaltigung, Holocaust, Folter und Exil. Die Erkenntnisse der Allgemeinen und der Differenziellen Psychotraumatologie werden hier auf Situationstypen bezogen, die situationsspezifische traumatische Reaktionen und Prozesse hervorrufen.

Hier kann nur ein Auszug der infrage kommenden Situationen behandelt werden (eine ausführlichere Darstellung bei Fischer & Riedesser, 2009).

Holocaust

Die Vorgänge des Holocaust sind so unbegreiflich, dass auch heute noch immer typische Gegenübertragungsreaktionen zu beobachten sind, die als Abwehr gegen dieses unfassbare Geschehen gewertet werden müssen.

doubling

Das u. a. von Lifton (1993) beschriebene Phänomen des „doubling“, der Identitätsverdopplung, kann nach Fischer und Riedesser (2009) hier als Beispiel dienen. In Interviews mit KZ-Ärzten zeigte sich, dass diese ihre Anpassung an das mörderische Regime durch Verdoppelung ihrer Persönlichkeit organisiert hatten. So gab es den Dr. Mengele 1, den humanistisch gebildeten, sensiblen, musikalisch interessierten, fürsorglichen Familienvater und den Dr. Mengele 2, den gnadenlosen Lebensvernichter und Experimentator mit Menschenleben. Die Verdoppelung der Persönlichkeit in ein privates und ein sozial organisiertes Selbst löst zahlreiche innere Probleme aus. Dissoziative Phänomene vom Typ des „doubling“ kennzeichnen häufig die Täterpersönlichkeit und führen beim Opfer zu einer kognitiven Verwirrung, die therapeutisch nur durch die Fähigkeit zur „Objektspaltung“ (Fischer, 1990) – die kognitive Leistung, die doppelte Buchführung der Täterpersönlichkeit metakognitiv hinterfragen zu können – überwunden werden kann.

Als Vorläufer der heutigen allgemeinen psychotraumatischen Syndrome kann das KZ-Überlebenden-Syndrom angesehen werden. Als Merkmale des KZ-Überlebenden-Syndroms gelten nach Niederland (1980) und Eitinger (1964) (zit. nach Fischer & Riedesser, 2009):

Merkmale des KZ-Überlebenden-Syndroms

1 Schwere, oft ganz plötzlich einsetzende Erregungs- und Angstzustände.

2 Ein unartikuliertes Gefühl des Andersseins als die, die nicht durch die Hölle von KZ, Ghetto, Arbeitslager und jahrelangem Leben im Versteck gingen.

3 Tiefe Überlebensschuld, d. h. Schuldgefühle desjenigen, der überlebte, gegenüber den ermordeten Angehörigen und Kameraden.

4 Ein Zustand des seelischen Überwältigt- und Verringertseins, der nur schwer zu beschreiben ist und sich in Depressionen, apathischer Zurückgezogenheit, Kontaktmangel, Unfähigkeit zu Freude und Genuss bis zur völligen Starre und geistigen Abstumpfung äußert.

5 Das Bild des „lebendigen Leichnams“, ein von der ständigen Begegnung mit dem Tod geprägtes schattenhaftes, furchtsames, gedrücktes Verhalten.

6 Quälendes Wiedererleben der Schrecken des Lagers, als Hypermnesie bezeichnet, z. B. von Misshandlungen, Ermordung von Angehörigen.

7 Ermüdung, leichte Erschöpfbarkeit, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen.

8 Sexuelle Störungen.

9 Psychosomatische Beschwerden wie Herzbeschwerden, Kopfschmerzen, Schwindel, Schweißausbrüche, Magen- und Darmbeschwerden, Schlaflosigkeit.

10 Psychotische Zustände mit Wahnvorstellungen (Gefühl noch immer im Lager und verfolgt zu sein).

Holocaust-Forscher sprechen von einem „Pakt des Schweigens“ („pact of silence“), der sich zwischen den ehemaligen KZ-Häftlingen und ihrer späteren sozialen Umgebung bildete.

transgenerationale Auswirkung

Die bisherigen Untersuchungen zur transgenerationalen Auswirkung des Holocaust stimmen jedoch darin überein, dass ein solcher Pakt des Schweigens nicht stabil sein kann, sondern zu weiteren, oft belastenden Reinszenierungen des Traumas führt. Verschiedene Konzepte wurden entwickelt, um diese Wiederholungen verständlich zu machen. So betont Kogan (1995) z. B. die Aktivität der Eltern, ihre Kinder in Rollen und Konstellationen der eigenen unverarbeiteten Vergangenheit hineinzudrängen. Das Konzept der transgenerationalen Weitergabe von Traumata macht diese Vorgänge verständlicher (s. u.).

Die psychotherapeutische Arbeit mit Holocaust-Opfern der zweiten und dritten Generation steht vor einigen Herausforderungen. Die eine besteht in einer Verleugnung des historischen Hintergrunds zahlreicher Störungen und Schwierigkeiten, die bei den Opfern des Holocaust von Generation zu Generation weitergegeben werden können. Nur wenn in der Psychotherapie des traumatischen Prozesses der historische Zusammenhang konkret herausgearbeitet wird, kann auch der transgenerationale Wiederholungszwang unterbrochen werden. Die zweite Herausforderung besteht darin, den Opferstatus nicht zu einem so bestimmenden Merkmal zu erheben, dass darunter die Individualität des Patienten verschwindet.

Folter und Exil

Amnesty International hat in den letzten fünf Jahren aus 141 Ländern glaubhafte Berichte über Folter und Misshandlung erhalten. Foltermethoden sind vielfältig, dazu gehören u. a. „Verschwindenlassen“, forciertes Exil sowie systematische Folter, die physisch, psychisch und in einigen Varianten auch pharmakologisch erfolgt.

Dabei ist der physische Nachweis der Folter oft schwierig, da manche Methoden unspezifische Folgen hinterlassen. Besonders an der traumatischen Situation der Folter ist, dass sie wirksame Anpassungsund Bewältigungsmechanismen nicht zulässt. Relativ wirksame Bewältigungsmechanismen sind Derealisierung, Depersonalisierung und dissoziative Reaktionen. Die Opfer der Folter müssen all ihre seelischen Kräfte aufbieten, um im täglichen Leben, zu dem oft die belastenden Erfahrungen des Exils hinzukommen, noch überlebensfähig zu sein. Um funktionsfähig zu bleiben, muss die Foltererfahrung häufig eingekapselt und verdrängt werden.

Therapie von Folteropfern

Bei der Therapie von Folteropfern ist darauf zu achten, dass keine Ängste hervorgerufen werden durch ein Setting oder Verhaltensweisen des Beraters / Therapeuten, die an die Folter erinnern können (z. B. durch zufällig sich ähnelnde Positionen zueinander im Raum). Zuhören, sich offen halten auch für die kulturellen Verschiedenheiten, gehört zu den obersten Grundsätzen. Wegen der sprachlichen Verschiedenheit muss bisweilen mit einem Dolmetscher gearbeitet werden (zu dieser besonderen Situation und ihren Herausforderungen siehe z. B. Abdallah-Steinkopff, 1999; Dhawan, 2004; zu den Belastungen und Gefahren sekundärer Traumatisierungen für Dolmetscher siehe z. B. Teegen & Gönnenwein, 2002). Diese können eine wichtige Chance der Kontaktaufnahme zum Patienten sein, da sie dessen kulturelles Umfeld gut kennen und es dem Therapeuten erleichtern können, eine Haltung der Aufgeschlossenheit und Neugier gegenüber neuen Erfahrungen im therapeutischen Prozess einzunehmen und dadurch Missverständnisse zu vermeiden.

Bei der Psychotherapie von Überlebenden der Folter ist die Pharmakotherapie nicht zwingend notwendig; eine Indikation besteht lediglich für den vorübergehenden Einsatz zur Unterstützung und Erleichterung psychotherapeutischer Methoden (Kap. 5.8). Hilfsangebote zur Anpassung der Persönlichkeit an die gegenwärtige Lebenssituation schließen medizinische, sozialtherapeutische und psychologische Maßnahmen ein.

Flüchtlinge

Flüchtlinge sind nicht erst seit den Krisen und Kriegen der Neuzeit eine Herausforderung für bestehende Gesellschaftsordnungen. Diese besteht unter anderem darin, dass Menschen aus verschiedenen Kulturkreisen in mehr oder weniger großer Zahl nicht nur versorgt, sondern auch in bestehende gesellschaftliche Strukturen integriert werden müssen. Neben den interkulturellen Unterschieden spielt dabei auch die Krankheitslast psychischer Symptombilder eine wesentliche Rolle für Integrationsbemühungen.

Im Jahr 2015 waren weltweit 65,3 Millionen Menschen auf der Flucht, 50 % dieser Flüchtlinge weltweit sind Kinder (www.uno-fluechtlingshilfe.de). In den letzten Jahren wurden zudem hunderttausende Asylanträge in den westeuropäischen Staaten gestellt.

Flüchtlinge waren nicht selten sowohl in ihrem Heimatland als auch auf der Flucht vielfältigen belastenden oder traumatisierenden Situationen ausgesetzt. Im Vordergrund stehen dabei sowohl lebensbedrohliche Ereignisse, die mit Kriegshandlungen in den Herkunftsstaaten in Verbindung stehen, aber auch solche, die im Rahmen einer längeren Flucht auftreten können. Triggerungen durch uniformierte Kräfte im Rahmen eines Aufnahmeprozesses im Zielland können dadurch beispielsweise zum Problem werden.

kultursensitive Einfühlung

Für Kontaktpersonen und Helfer im Gastland erfordert der Umgang mit Flüchtlingen ein großes kultursensitives Einfühlungsvermögen, um die Erzählungen und Problematiken richtig einordnen zu können. So hat beispielsweise die Zerstörung von Klöstern für einen religiösen Tibeter einen deutlich höheren Stellenwert als Bedrohungen der eigenen körperlichen Integrität. Für Menschen aus kollektivistischen Kulturen, in denen das Überleben des Einzelnen von familiären beziehungsweise Stammesstrukturen abhängt, kann das Verstoßen-Werden aus diesen Verbünden ein erhebliches traumatogenes Potenzial beinhalten (Assion et al., 2013).

Nicht bei jedem Flüchtling, der solchen Situationen ausgesetzt ist, entstehen psychische Erkrankungen. Die in Studien angegebenen Prävalenzen sind je nach untersuchter Patientel und Methodik sehr unterschiedlich. Offenbar besteht ein Dosis-Wirkungseffekt, abhängig von der Anzahl traumatischer Erlebnisse. Die Zugehörigkeit zu einer ethnischen Minderheit oder zum weiblichen Geschlecht scheint einen zusätzlichen Risikofaktor darzustellen.

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