Polnisch mit Sahne

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Es hat sich nie wieder jemand über meine Sprachkenntnisse beschwert. Und im Laufe der Jahre lernte ich, auf Polnisch eine normale Konversation zu führen; die Grammatik lassen wir mal außen vor, die ist irre schwer.

Über Ostern fuhren wir in die Eifel, um meinen Vater zu besuchen.

Wer von uns beiden mehr Angst hatte, weiß ich nicht mehr. Aber da mussten wir durch.

Zur allgemeinen Überraschung verstanden sich Bartek und mein Vater auf Anhieb sehr gut. Bartek hatte eine Art, jeden von sich einzunehmen. Man musste sich einfach mit ihm verstehen. Er überrumpelte meinen Herrn Papa bei der Begrüßung gleich mit den Worten: „Hallo Vati, ich freue mich, hier zu sein“. Meinem Vater wurde somit gleich der Wind aus den Segeln genommen und nach ein paar Schnäpschen und mehreren prüfenden Blicken auf meinen nicht vorhandenen Bauch wurde eine lebenslange Freundschaft besiegelt.

So, dieses Problem war also Vergangenheit, die erste Hürde überwunden und meinen Bruder, dessen Meinung mir immer sehr wichtig war, würde ich auch noch beschwichtigen können.

Im Laufe des kommenden Sommers wollte ich meinen Mann dann noch mit meiner restlichen Familie bekannt machen. Wir besuchten meine Kusine und ihren Mann in München. Und da alle Bayern bekanntlich äußerst trinkfest sind, konnte Bartek sich auch dort sogleich gut in diesen Teil der Familie integrieren.

Der Besuch bei meinem Bruder Paul stand als Nächstes auf dem Programm. Vor ihm hatte ich noch mehr Schiss als vor meinem Vater. Ich liebte meinen Bruder wirklich von ganzem Herzen und wir verstanden uns immer sehr gut, trotzdem behandelte er mich sehr lange noch wie ein kleines Kind – o.k., er war schließlich doch 11 Jahre älter als ich -, und somit war er für mich auch so etwas wie eine Autoritätsperson. Aber auch diese Runde ging an Bartek, er eroberte erst Dorotheas Herz und nach einiger Zeit und vielen Gläsern Wodka wurden er und Paul doch Freunde fürs Leben. Irgendwann stellte ich meinen Mann auch meiner Schwester Erika vor und wie hätte es anders sein können, sie verstanden sich prächtig.

Blieb nur noch Barteks Familie übrig. Nicht in 1.000 Jahren konnte ich damals ahnen, welch schreckliche Last, welches Horrorszenario am Ende auf mich zukommen sollte. Heute bin ich schlauer, zu spät!

Auf der Onkologiestation in Basel hatte ich mich mittlerweile auch gut eingelebt. Die Arbeit machte sehr viel Spaß. Das Personal war anders als im Kanton Aargau. Es gab wesentlich mehr ausländische Kollegen und auch die Patienten waren netter und Deutschen gegenüber zugänglicher. Und wieder lernte ich neue Schweizer Worte kennen. Ging man im Aargau zum Frühstück, sagte man zum „znüni“, in Basel hieß es auf einmal „zmörgele“. Witzige Sprache.

Da Helena sich in dem Spital, in dem ich vorher gearbeitet hatte, auch nicht so recht wohlfühlte, konnte ich ihr in Basel auch zu einem neuen Arbeitsplatz verhelfen.

So ging der Sommer ins Land, der Herbst zog ein. Und mit ihm meine Schwiegereltern. Leider bekamen sie eine Ausreisebewilligung für einen 6-wöchigen Besuch bei uns. Es heißt immer, Mädchen verstehen sich nicht mit ihren Schwiegermüttern. Nun gut, ich wollte mit diesem „alten Zopf“ brechen und nahm mir vor, die liebe Schwiegertochter zu sein. Mir war allerdings nicht bewusst, wie lange sechs Wochen sein können.

Mein Schwiegervater war klasse, er trank gern seinen Wodka und gab sich viel Mühe, Konversation mit mir zu machen. Und es war ihm völlig egal, wie schlecht mein Polnisch war. Der gute Wille war da und das zählte schließlich. Er war ein lustiger und fröhlicher Zeitgenosse.

Meine Schwiegermutter? Ein Jammerlappen. Immer schlich sie auf leisen Sohlen durch die Gegend und mehr als einmal erschrak ich mich fürchterlich, als sie plötzlich hinter mir stand. Sie lief nur mit jammervollem Gesicht herum, brach bei jeder Gelegenheit in Tränen aus und konnte nicht verstehen, dass ich ihre Sprache nicht verstand. Auch verwöhnte ich ihren „Jungen“ nicht genug und erlaubte mir auch noch, nach einem anstrengenden Arbeitstag müde zu sein.

Naja, wie ich später erfahren habe, konnte sie mich nicht leiden (ich sie aber auch nicht), außerdem war ich sowieso nicht die richtige Frau für ihren „Bartusz“.

Ich muss noch schnell hinzufügen, dass damals alle polnischen Besucher der Meinung waren, die Schweiz sei das Land, in dem Milch und Honig in Litern flossen. Außerdem, der Bancomat gab immer was her. Und wir alle hatten supertolle, große Wohnungen, Farbfernseher, Auto usw. Alles Dinge, die es in Polen damals nicht gab. Also gingen all die lieben Besucher davon aus, dass wir Geld im Überfluss hatten. Sie konnten und wollten nicht verstehen, dass wir fast alle riesige Kredite aufgenommen hatten, um unsere Wohnungen einzurichten. Und diese mussten zurückgezahlt werden. Ach ja, und Steuern mussten wir natürlich auch zahlen.

Ihr könnt euch sicher vorstellen, dass somit ein Schwiegerelternbesuch von 6 Wochen auch an unserem Geldbeutel nagte. Ich verdiente zwar sehr gut als Krankenschwester, doch mein neues Auto (ein neuer Golf, auf den ich mächtig stolz war) musste auch irgendwie abbezahlt werden. Bartek, der in Polen den Abschluss als Elektrofachingenieur gemacht hatte, arbeitete hier bei einer Firma mangels Sprachkenntnisse nur als einfacher Arbeiter.

Meine liebe Schwiegermutter hat das nie begriffen. Sie kaufte auf unsere Kosten ein, als ginge es ums Überleben. Bartek traute sich nicht, sie zu bremsen, schließlich war sie seine Mutter. Er stöhnte mir nur immer die Ohren voll.

Somit war gegen Ende des Besuchs meine Laune verständlicherweise denn auch grenzwertig. Wir stritten nur noch miteinander und ich konnte meine Wut und meinen Zorn vor meinen Schwiegereltern kaum noch zügeln. Demzufolge lief die Schwiegermutter nur noch heulend in der Gegend rum, denn sie konnte ja nicht verstehen, was ich sagte und warum ich sauer war.

Wären damals meine Freunde Charles und Mary nicht gewesen, ich glaube, ich hätte mich von Bartek getrennt oder meiner Schwiegermutter den Hals herumgedreht.

Gott sei Dank gingen auch diese schrecklichen Wochen endlich zu Ende und ich konnte die Fahrt zum Zürcher Flughafen kaum erwarten. Somit gab ich mir wieder ein bisschen Mühe, meine liebenswürdige und freundliche Seite in dieser Schlussphase zum Ausdruck zu bringen.

So gut gelaunt gestimmt steuerten wir denn auch dem Check-In-Schalter entgegen. Doch wir hatten die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Das Abflugdatum stimmte nicht mit dem jenes Tages überein. Nein, sie hatten den Flug nicht verpasst; im Gegenteil, wir waren zwei Tage zu früh am Flughafen! Das hieß im Klartext, Bartek und ich mussten die zwei wieder mit nach Hause nehmen und noch mal zwei Tage ertragen.

Ich probte den Zwergenaufstand! Wurde fast hysterisch! Aber den Flug umzubuchen kam natürlich aus finanziellen Gründen ebenso wenig in Frage, wie die zwei in ein Hotel zu stecken. Das hieß also, in den sauren Apfel beißen, wieder nach Hause fahren und in zwei Tagen nochmals antraben.

Heute weiß ich nicht mehr, wie ich die zusätzlichen Tage überstanden habe. Vermutlich bin ich zu Charles und Mary geflüchtet. Doch alles hat irgendwann mal ein Ende und beim zweiten Anlauf klappte das mit dem Flug dann auch tatsächlich.

Bartek und ich waren wieder allein und ich konnte mein nächstes Ziel ansteuern. Ich wollte endlich schwanger werden. Mittlerweile sah meine Familie auch endlich ein, dass ich nicht die Schwangerschaftsdauer eines Elefanten hatte. Also konnte ich diese Sache in Absprache mit meinem Mann in Angriff nehmen.

Gesagt, getan. Pille abgesetzt. Aber schwanger werden war leichter gesagt als getan. Wir übten mittlerweile schon tapfer einige Monate lang, aber nichts passierte. Auf Anraten meines Frauenarztes begann ich, regelmäßig jeden Morgen Temperatur zum Ermitteln des Eisprungs zu messen.

Dieses Protokoll sprach ich denn auch häufig mit meiner Freundin Mary durch, die ja schließlich als Hebamme genügend Erfahrung damit hatte.

Aber es passierte weiterhin nichts. Da ich auch nie eine regelmäßige Periode hatte, konnte mir selbst das sorgsam geführte Protokoll nicht wirklich weiterhelfen.

Damals konnte man einen Schwangerschaftstest nicht wie heute bereits nach zwei überfälligen Tagen machen. Nein, mindestens zwei Wochen Wartezeit musste man einkalkulieren. Selbst dann gab es über eine eventuelle Schwangerschaft noch keine Sicherheit.

Ich glaube, es war kurz vor Weihnachten. Zwei Wochen Wartezeit waren vorbei – wobei das bei meiner unregelmäßigen Periode eigentlich nichts zu sagen hatte. Ich wagte einen erneuten Test und bat das Labor unserer Onkologiestation um Hilfe.

Die Wartezeit bis zum Ergebnis zog sich zwei Stunden hin. Dann endlich, ja, der Test war positiv! Natürlich ohne Gewähr, aber das interessierte mich nicht, das wollte ich nicht wahrhaben. Hurra, ich war endlich schwanger!

Stolz machte ich sofort bei meinem Frauenarzt einen Termin, schließlich wollte ich hundert Prozent sicher sein, bevor ich mich der Welt mitteilte.

Einen Tag später saß ich aufgeregt mit meinem Temperaturprotokoll beim Arzt im Sprechzimmer. Er sah sich dieses in Ruhe an, blickte zu mir und meinte dann mit ernster Miene: „Sie sind nicht schwanger, Sie hatten jetzt und die letzten Monate keinen Eisprung. Eine Schwangerschaft ist demnach völlig ausgeschlossen“.

Ich war platt, das konnte ich nicht glauben, denn irgendwie fühlte ich mich schwanger. Also beschloss ich, noch ein paar Tage abzuwarten und dann mit Mary zu reden. Mary war damals schon eine sehr gute und erfahrene Hebamme. Ich vertraute ihr fast mehr als meinem Arzt und kurz nach Weihnachten erklärte sie sich schließlich nach langem Hin und Her bereit, mich zu untersuchen, obwohl dies in einem frühen Stadium einer Schwangerschaft nicht ganz ungefährlich ist. Es drohte das Risiko einer Fehlgeburt. Ihr Befund viel positiv aus! Ich war wirklich schwanger! Kein Eisprung, aber schwanger! Endlich! Auch Barteks Freude war riesengroß.

 

Bevor ich jedoch meinem Vater die Botschaft über das fünfte Enkelkind überbringen wollte – meine Schwester hatte bereits drei Kinder mein Bruder Paul eines – rief ich bei Dorothea an. Sie sollte als Erste von unserem Nachwuchs erfahren. Nachdem ich sie also überschwänglich von meiner Schwangerschaft in Kenntnis gesetzt hatte, kam kurz und knapp lachend ihr Kommentar: „Hey, gratuliere, aber ich bin auch wieder schwanger!“ Was für eine Überraschung! Ich hatte ja nicht gewusst, dass sie und mein Bruder auch am Üben für das zweite Baby waren.

Nun begann für uns also der Wettlauf um die Geburt. Wir hatten fast am gleichen Tag Termin und wir alle waren uns einig, dass es sehr spannend werden würde. Schlussendlich sollte aber ich dieses Rennen gewinnen. Auch mein Vater freute sich und war nun auch restlos davon überzeugt, dass meine Ehe mit Bartek gutgehen würde.

Nach den anfänglichen Schwierigkeiten, mit denen sich fast alle werdenden Mütter plagen müssen, wie Übelkeit und Heißhunger – ich aß auf einmal für mein Leben gern Marmeladenbrot mit Senf, sauren Heringen und Gurke zum Frühstück –, ging es mir nach den ersten drei Monaten eigentlich recht gut. Mal abgesehen davon, dass ich meinen Mann im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr riechen mochte. Ich konnte sein und auch mein Lieblingsrasierwasser nicht mehr riechen, mir wurde schlecht davon.

Als überaus positiver Aspekt sei zu bemerken, dass ich auch von einem auf den anderen Tag einen Ekel auf meine heißgeliebten Zigaretten bekam. Ja, es ist richtig, bis zum Ende des dritten Monats hatte ich unbekümmert weiter geraucht.

Des Weiteren vergrößerte sich zeitweise auch unsere kleine Familie, wir mussten wieder zusammenrücken, denn Barteks Kusine Brigitta und ihr Mann Tomek waren aus Polen geflüchtet und wir mussten sie aufnehmen. Dies stellte sich allerdings nicht als großes Problem heraus, da beide etwa in unserem Alter waren. Sie konnten außerdem beide etwas Englisch und bemühten sich aufrichtig, uns nicht auf die Nerven zu gehen.

Nach zwei oder drei Monaten war auch dieser Spuk vorbei, die beiden fanden aufgrund ihrer sehr guten Ausbildung schnell Arbeit und auch eine kleine Wohnung in unserer Nähe.

Meine Schwangerschaft nahm ihren Lauf. Zwischenzeitlich musste ich noch einen Abstecher nach Mainz machen, denn es war mal wieder Fastnacht und die durfte trotz Schwangerschaft nicht ohne mich stattfinden.

Danach lief erst einmal alles normal weiter. Ich arbeitete weiter und wir begannen, fleißig unser Kinderzimmer einzurichten.

Ab der 20. Schwangerschaftswoche fingen meine Probleme an. Ich bekam Frühwehen und durfte nicht mehr arbeiten. Ab sofort sollte ich das Sofa hüten und viel liegen. Na toll, und das mir, die ich doch immer so hibbelig war. Ruhig liegen und nichts tun war nun wirklich nicht mein Ding. Für mich bedeutete eine Schwangerschaft doch keine Krankheit. Aber mir blieb nichts anderes übrig, wollte ich doch unser Baby nicht gefährden. Da zu dieser Zeit gerade die Fußball-Weltmeisterschaft stattfand, kaufte Bartek für mich einen Videorekorder, damit ich die Spiele, die ich nicht live sehen konnte, auf Video aufnehmen und später anschauen konnte.

Also hatte ich wenigstens für ein paar Wochen Abwechslung. Danach hatten sich die Wehen wieder etwas beruhigt und ich durfte das Sofa verlassen, aber nicht mehr arbeiten gehen.

Die Rumhockerei zu Hause hatte den wesentlichen Nachteil, dass ich essenstechnisch alles Mögliche in mich hineinstopfte. Irgendwie war meine Satt-sein-Grenze etwas verwischt und im Laufe der Monate ging ich auseinander wie ein Hefekuchen. So Ende siebten Monats war ich kugelrund wie eine Tonne. Bartek neckte mich ständig: „Über dich drüber zu springen ist einfacher, als um dich herumzulaufen.“

Zugegeben, ein ganz klein wenig beleidigt war ich ja schon. Allerdings hatte ich Bartek gegenüber den großen Vorteil, dass ich nach der Geburt einen Teil meines Gewichts verlieren würde. Er dagegen, der aus lauter Sympathie auch einiges an Kilos zugelegt hatte, würde diese wohl nicht so schnell wieder loswerden.

Der Geburtstermin rückte immer näher. Dorothea und ich telefonierten fast täglich um zu prüfen, wer wohl als Erster den langersehnten Nachwuchs zur Welt bringen würde.

Aber nichts geschah.

Mary kam fast täglich vorbei, um mich zu untersuchen und zu schauen, ob alles noch in Ordnung sei. Ich war sehr froh zu wissen, dass sie die Geburt leiten würde.

Bartek ließ sich von meiner Nervosität anstecken und erklärte sich nach monatelanger Diskussion auch dazu bereit, mir bei der Geburt beizustehen. Ein Fehler übrigens, Mädels, nehmt eure Männer nicht mit zur Geburt, es sei denn ihr habt einen „Frauenversteher“ zum Mann.

Dann war es eines Nachts doch endlich so weit. Blasensprung, ab ins Krankenhaus, aber keine Wehen.

Ich bekam ein leichtes Schlafmittel gespritzt und sollte mich entspannen. Es könne noch Stunden dauern und später müsse ich fit für die Geburt sein. Bartek wurde heimgeschickt und da lag ich nun, Kreuzschmerzen ohne Ende. Ich war überzeugt, mir würde der Rücken auseinanderbrechen.

Auf einmal ging alles ganz schnell. Eine Hebamme untersuchte mich und stellte fest, dass die Geburt nun zügig losging.

Ich hatte wohl meine Wehen im Rücken und nicht im Bauch gehabt. Die wochenlange Schwangerschaftsgymnastik war also umsonst gewesen.

Schnell wurde Mary informiert und Bartek kam auch kurze Zeit später wieder zurück.

So hatte ich mir das alles nicht vorgestellt. Ich fluchte und tobte, ich verdammte die ganze Welt. Ich wollte nach Hause, schwor mir, nie wieder Sex haben zu wollen, schimpfte meinen Mann einen Hurensohn, weil er mir immerzu sagte, ich solle mich nicht so anstellen, so schlimm könne eine Geburt ja wohl nicht sein.

Männer! Ich hätte ihn umbringen können.

Dank meiner wunderbaren Mary hatte ich es nach zwei Stunden – es kam mir viel länger vor – doch endlich geschafft.

Michelle war da!

3. Michelle ist da!

Im Nachhinein kann ich sagen, dass ich durch Mary eine wunderbare und schnelle Geburt hatte. Alles ging glatt, keine Komplikationen.

Danach feierten Bartek, Mary und ich bei einem Glas Sekt die Ankunft des neuen Familienmitglieds. Gerade mal 3.200 Gramm schwer und 49 cm groß. So frisch gewaschen ein richtig niedliches kleines Baby.

Eigentlich wollte ich so schnell wie möglich wieder heim, aber Bartek bestand darauf, mich mindestens drei Tage im Krankenhaus verwöhnen zu lassen. Es war damals nicht üblich, sofort nach der Geburt nach Hause entlassen zu werden.

Also harrte ich die paar Tage aus und kam dann am darauf folgenden Montag endlich heim.

Klar tat mir anfangs noch alles weh und ich musste mich an einen neuen Tagesablauf gewöhnen, der weitgehend von Michelle bestimmt wurde. Doch sie war ein perfektes Bilderbuchbaby, schlief bereits im Alter von sechs Wochen jede Nacht durch und benötigte auch tagsüber kaum Beschäftigung.

Dies kam mir in Anbetracht meines körperlichen Aussehens sehr gelegen. Zu meinem Leidwesen sah ich nämlich nach der Geburt genauso aus wie vorher. Oh Graus! Das hieß, irgendwie 19 Kilo abzuarbeiten. Ich wollte unbedingt so schnell wie möglich meine alte Figur wiederhaben. Ich fand mich hässlich und fett und gutes Aussehen war mir schon immer enorm wichtig.

Also fing ich schon ein paar Tage nach der Geburt auf Marys Anraten hin mit der Rückbildungsgymnastik an, verzichtete auf meine geliebten Süßigkeiten – eine Diät konnte ich wegen des Stillens nicht machen – und ließ keinen Tag Gymnastik aus. Der Erfolg stellte sich dann auch recht schnell ein, zwei Monate später passte ich wieder in all meine alten Jeans.

Natürlich blieb nach der Geburt des ersten Enkelkindes für Barteks Eltern der Besuch nicht aus.

Wieder sechs Wochen der reinste Horror!

Natürlich machte ich nichts richtig, ich war ja auch nur gelernte Kinderkrankenschwester, stillte mein Kind zu den falschen Zeiten, ernährte mich falsch und hatte auch viel zu schnell abgenommen. Leider passte ich nicht mehr in die Nachthemden, die mir meine Schwiegermutter vorsorglich mitgebracht hatte. Größe 46, denn nach der Geburt braucht eine Frau ja nicht mehr schlank zu sein. Dumm nur, dass meine Konfektionsgröße bis heute immer nur 34 bis 36 ist. Egal, die Fummel von ihr haben sich noch gut zum Putzen geeignet.

Auch Michelles Namen musste bemäkelt werden, wie konnten wir unsere Tochter nur Michelle nennen. Das sei schließlich kein polnischer Name. Dort würden alle Mädchennamen mit „a“ und nicht mit „e“ enden. Deshalb wurde aus der armen Michelle flugs eine Michella. Bis heute geht sie die Decke hoch, wenn sie so angesprochen wird, beziehungsweise reagiert nicht auf diesen Namen.

Mein Vater hätte sich zwar auch einen deutschen Namen gewünscht, hielt sich mit seinen Äußerungen aber zurück und freute sich einfach über das nächste Enkelkind.

Übrigens, Dorothea hatte sich noch sieben Tage Zeit gelassen, um dann endlich Mattias zur Welt zu bringen.

Für Weihnachten hatten wir einen gemeinsamen Urlaub mit unseren Freunden Jazek und seiner Frau Margareta geplant. Wir wollten Skiurlaub in den Schweizer Bergen machen.

Ich freute mich riesig darauf, denn wir hatten keine Hochzeitsreise machen können, und zwei Wochen Urlaub waren doch eine tolle Sache.

Endlich hatte ich mich auch dazu bereit erklärt, Ski fahren zu lernen. Ich hatte zwar panische Angst davor, aber was tut man nicht alles seinem Mann zuliebe. Dieser Versuch ging allerdings komplett in die Hose. Zwei Tage lang gab sich Bartek alle erdenkliche Mühe, mich in die Geheimnisse des Benutzens von einem Paar Ski einzuweihen. Von Ski fahren keine Rede! Danach war seine Geduld zu Ende.

Jazek erklärte sich nun dazu bereit, den Unterricht fortzusetzen. Ebenso erfolglos.

Am vierten Tag dann entschloss ich mich, es mit einem professionellen Skilehrer zu versuchen. Nachdem ich aber immer wieder aus dem Skilift für Kinder purzelte, ich konnte diesen komischen Teller nicht zwischen den Beinen halten, empfahl mir der überaus nette und geduldige Skilehrer, es doch mit Schlittenfahren oder einem anderen Sport zu versuchen.

Soviel zum Thema Skifahren. Ich hab es nie wieder versucht. Die restlichen zwei Wochen verbrachte ich dann lieber mit meiner kleinen Tochter, während die anderen drei die Skipisten unsicher machten.

Im Großen und Ganzen war es ein schöner Urlaub. Für mich, die noch nie richtigen Urlaub gemacht hatte – mit meinen Eltern war ich nie irgendwohin gefahren, dafür war kein Geld da – war es schon ein kleines Erlebnis.

Nach unserer Rückkehr fing ich wieder recht intensiv mit Sport an, denn ich wollte meine gute Figur unbedingt behalten.

Und so ging ich einmal wöchentlich mit Brigittas Mann Tomek zum Schwimmen und noch zusätzlich mit Margareta Squash spielen.

Schnell kursierten im „Polenclan“ die Gerüchte um mein angebliches Verhältnis mit Tomek.

Wenn die alle gewusst hätten, wie sehr wir die gemeinsamen Abende mit Schwimmen und anschließendem Lästern genossen. Es gibt nichts Schöneres, als mit einem Mann richtig abzulästern und sich über die Gerüchteküche zu amüsieren.

Schon zu dieser Zeit kristallisierte sich heraus, dass in dieser großen polnischen Familie jeder mit jedem schlief und auch irgendwann geborene Kinder nicht unbedingt zum richtigen Vater „Papa“ sagten. Mir war das eigentlich immer ziemlich egal, zwischen Bartek und mir herrschte ein unglaublich großes Vertrauensverhältnis, dieses hätte ich nie brechen können.

Irgendwann stand dann auf Drängen beider Großeltern die Taufe von Michelle zur Debatte.

Streng katholisch, wie beide Familien nun mal waren, kam es gar nicht in Frage, ein Kind ungetauft groß werden zu lassen. Diese Frage hatte sich mir nie gestellt, wir waren ja auch nicht kirchlich verheiratet, warum ein Kind taufen? Das Kind sollte später selbst entscheiden, ob es das wollte.

Um des lieben Friedens willen willigte ich dann doch ein und vereinbarte ein Gespräch mit unserem zuständigen Pfarrer. Es stellte sich heraus, dass das nicht so einfach sein sollte. Der Kommentar des Pfarrers, „Wie wollen Sie Ihr Kind im christlichen Glauben erziehen, wenn Sie selbst mit Ihrem Mann nicht verheiratet sind und in wilder Ehe leben?“, zog mir fast den Boden unter den Füßen weg. Was konnte denn mein Kind dafür?

 

Übrigens ist der gleiche Pfarrer ein Jahr später mit der Gemeindekasse abgehauen!

Am liebsten hätte ich die Taufe Taufe sein lassen. Das war natürlich nicht möglich, also redete ich auf den Gottesmann ein und erklärte, dass es noch nicht möglich gewesen wäre, kirchlich zu heiraten, weil wir die Großelternpaare noch nicht hatten zusammenbringen können.

Schlussendlich nahm er mir das Versprechen ab, schnellstmöglich die Hochzeit nachzuholen, und erklärte sich dann bereit, unser kleines Mädchen in der kommenden Osternacht zu taufen.

Das waren noch fünf Wochen. Das hieß, zügig Einladungen an die Großeltern und Taufpaten schicken. Apropos Taufpaten. Wir hatten beschlossen, meinen Bruder Paul und Barteks Kusine Brigitta als Paten zu benennen.

Zu meinem größten Bedauern bekamen auch meine Schwiegereltern erneut eine Ausreisebewilligung aus Polen. Zu dieser Zeit fing im gesamten Ostblock die ganze „Solidarnosz“- und „Glasnost“-Epoche an.

Es sollte das erste Zusammentreffen unserer beiden Elternpaare werden. Zu unserem Erstaunen verstanden sich die beiden Opas prächtig. Mein Vater konnte aus seiner Kindheit noch ein paar Brocken Polnisch und nach etlichen Schnäpschen sprachen die beiden etwas langsamer, lauter und undeutlicher, hatten aber keine Kommunikationsprobleme mehr. Im Gegensatz zu ihren Frauen. Hera, meines Vaters Frau, zog zwar immer ein langes Gesicht, sagte aber zu den Schnapsorgien nicht viel. Meine Schwiegermutter brach spätestens nach einer Stunde in Tränen aus und verschwand unter dem Vorwand müde zu sein ins Bett.

Naja, so störte sie wenigstens nicht.

Es wurde trotzdem ein tolles Familienfest. Und alle waren glücklich und zufrieden.

Der Einzige, der die feierliche Zeremonie noch zu stören wusste, war mein kleiner Neffe Mattias. Er brüllte die ganze Zeit in der Kirche, sodass Paul dann mehr oder weniger fluchtartig mit dem Baby das Geschehen verließ.

Für den kommenden Sommer plante ich, meine Arbeit wieder aufzunehmen. In der Schweiz gab es damals keinen Mutterschutz und so hatte ich kurz vor der Geburt an meiner Arbeitsstätte kündigen müssen. Doch auf mein Nachfragen hin bot man mir meinen alten Arbeitsplatz gern wieder an.

Zu dieser Zeit war ich bereits seit etwa acht Monaten mit dem Baby daheim. Irgendwann war ich es leid, auf dem Spielplatz mit den anderen Müttern über das Zähnekriegen, Einkaufen, Windeln wechseln und andere blödsinnigen Dinge zu reden. Meine Arbeit fehlte mir!

Ich hatte außer diesen nicht wirklich tiefsinnigen Themen nicht mehr viel zu erzählen, wenn Bartek abends von der Arbeit heim kam. Ich hatte das Gefühl zu verblöden. Bis heute kann ich nicht nachvollziehen, wie frischgebackene Mütter jahrelang in dieser Rolle aufgehen können. Egal, nicht mein Problem.

Ich war und bin immer noch der Meinung, dass eine hundertprozentige Fünfzigprozent-Mutter viel besser ist für ein Kind als eine fünfzigprozentige Hundertprozent-Mutter. Ihr versteht, was ich meine? Lieber weniger daheim und glücklich und zufrieden als immer daheim und unzufrieden und griesgrämig.

Auf jeden Fall war Bartek über meinen Entschluss, wieder zu arbeiten, natürlich nur Teilzeit, überglücklich. Unsere Ehe hatte ziemlich gelitten und auch das zusätzliche Einkommen würde uns guttun.

Zu dieser Zeit fing auch Bartek langsam an, innerhalb seiner Firma Karriere zu machen. Er hatte einen anderen Polen aus der Abteilungsleiterebene kennengelernt und konnte, nachdem seine Diplome ins Deutsche übersetzt und anerkannt wurden, als Sachbearbeiter in derselben Abteilung einsteigen.

Er blühte richtig auf, wenn man das von einem Mann sagen kann, denn als Elektroingenieur in der Werkstatt zu arbeiten war schon etwas frustrierend für ihn. Auch sein Deutsch wurde stetig besser. Nur seinen Akzent behielt er trotz fleißigem Lernen bis zum Schluss bei.

Vor meiner Arbeitsaufnahme wollte ich noch ein paar Tage Urlaub bei meinem Bruder und seiner Familie machen. Da ich mich Dorothea mal wieder so richtig von Frau zu Frau austauschen wollte, fuhr ich also allein mit Michelle im Schlepptau mit dem Zug Richtung München, wo sie damals kurzzeitig lebten. Paul war auf Geschäftsreise und Bartek sollte uns am darauf folgenden Wochenende wieder abholen.

Ich ahnte damals nicht, dass die folgende Episode, die ich dort erleben sollte, für meinen Bruder der Anfang vom Ende sein sollte. Erst Jahre später erzählte Dorothea mir, dass dieser Zwischenfall zwar der erste, aber nicht der letzte seiner Art gewesen war.

Die ersten Tage so ganz ohne unsere Männer genossen Dorothea und ich in vollen Zügen.

Mit unseren drei Kindern, Katja, die Erstgeborene, war gerade mal zwei Jahre, Mattias und Michelle unternahmen wir viele Ausflüge in die wunderschöne Gegend. Wir alle hatten viel Spaß und abends saßen wir zwei großen Mädels gemütlich beim Wein zusammen und lästerten ausgiebig über unsere Familien.

Dann kam der Tag, an dem Paul heimkommen sollte. Er war noch nicht richtig zur Tür drin; Katja stürmte schon aufgeregt herbei, um ihren Papa zu begrüßen, da brach Paul auch schon bewusstlos zusammen. Nach Dorotheas aufgeregtem Schrei begann ich sofort mit den Reanimationsmaßnahmen, denn er atmete schon nicht mehr. Sie rief schnell den Notarzt und scheuchte dann die zu Tode erschrockene Katja ins Wohnzimmer zu den anderen Kindern zurück.

Der Notarzt kam, stabilisierte meinen Bruder, und ab ging der Transport ins Krankenhaus.

Da Dorothea mit fuhr, blieb mir nichts anderes übrig, als mich um die aufgeregten Kinder zu kümmern, Katja beruhigen, die beiden Babys versorgen. Ich selbst war so erschüttert, mir zitterten die Knie, ich konnte nicht realisieren, was da eben passiert war.

So wie jeder andere wahrscheinlich auch ging ich davon aus, dass mein Bruder durch die anstrengende Geschäftsreise einen Kreislaufkollaps erlitten hatte. Eine andere

Erklärung hatte ich nicht. Damals jedenfalls nicht.

Erst später erzählte Dorothea mir, was wirklich geschehen war. Paul hatte keinen Kreislaufkollaps aufgrund von Stress, nein, er war zusammengebrochen, weil er sturzbetrunken war und eine Alkoholvergiftung hatte.

Noch heute fällt es mir immer noch schwer zu glauben, dass damals alles anfing. Doch Dorothea erzählte mir irgendwann einmal, dass diese Episoden regelmäßig stattfanden und fast zwei Jahrzehnte anhielten, bis Paul schließlich daran starb.

Ein äußerst erfolgreicher Geschäftsmann, zerstört vom Alkohol und doch niemals etwas dazu gelernt.

Meine Hochachtung vor Dorothea, die diese Krankheit so viele Jahre aushielt und sehr lange vor ihren Kindern und der ganzen Familie erfolgreich verheimlichen konnte.

Paul konnte bereits einen Tag später das Krankenhaus wieder verlassen und so hatten wir, nachdem auch Bartek eingetroffen war, noch ein paar gemütliche Tage.

Ich nahm meine Arbeit auf der Onkologiestation in Basel wieder auf, nachdem ich eine gute Kinderbetreuung organisiert hatte. Da ich nur noch freitagnachmittags, nachts Bereitschaftsdienst und samstags Dienst hatte, musste ich Michelle nur freitags in einer Kindertagesstätte

abgeben. Bartek holte sie nach seiner Arbeit wieder ab und

samstags war er sowieso zu Hause. Also alles bestens organisiert. Und geschadet hat es meiner Kleinen auch nicht. Im Gegenteil, sie schien sich bei all den anderen Kindern

pudelwohl zu fühlen.

Es ging uns richtig gut. Unsere Ehe war super, unsere Kleine gedieh prächtig und auch finanziell kam langsam der Aufschwung. Bartek verdiente mittlerweile sehr gut und seine Kompetenz brachte ihm langsam aber sicher erhebliches Ansehen in seiner Firma.

Wir fingen an, über eine Vergrößerung unserer Familie nachzudenken und auch eine großzügigere Wohnung zu suchen.

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