Magdalenes Geheimnis

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Herr Rehnikel trat ins Zimmer. Auf seinem Gesicht stand nichts zu lesen, er war ernst und hielt die Lippen fest geschlossen. Es mochte sein, dass sie ihn am Abend zu hart behandelt hatte. Auf einmal tat es Magdalene leid. Sie hätte ruhig ein bisschen freundlicher zu ihm sein können.

Seine braunen Augen ruhten fest auf ihr. »Ich danke Euch für den Kaffee«, begann sie. »Ich habe noch nie in meinem Leben welchen getrunken.«

Eine Strähne seines von grauen Fäden durchzogenen Haares fiel nach vorn über die hohe Stirn. »Er scheint nicht nach Eurem Geschmack zu sein. Ihr habt ja nur genippt.« Herr Rehnikel zog die Tasse herüber und ging damit zu ihr ans Fenster. Sie nahm sie entgegen. Die Tasse war noch warm, eine Wohltat für ihre eiskalten Finger. »Er schmeckt ein bisschen bitter, nicht wahr?«, urteilte sie zaghaft. Dabei verzog sie unwillkürlich das Gesicht.

Herr Rehnikel lächelte. »Ihr findet ihn scheußlich! Mögt Ihr etwas anderes trinken?«

Magdalene schüttelte den Kopf.

»Ich würde Euch gern noch mehr zeigen. Ihr wart schon im ganzen Haus, habe ich gehört. Den Laden habt Ihr mir zu schnell durchschritten. Der Laden ist mein Ein und Alles. Er war es, mit dem ich hier angefangen habe und ich stehe heute noch so oft darin, wie ich irgend kann.«

Sie nickte vorsichtig. Sie würden an der Küche vorbeikommen. Wahrscheinlich stand Else dort und würde sie sehen. Das war gut. Magdalene brachte das Kind in seine Wiege, dann stiegen sie gemeinsam die Treppe ins Erdgeschoss hinab.

Meister Rehnikel begann noch im Gehen zu erläutern. »Es gibt so viele Spezereien, dass man, um sie alle anzubieten, einen viel größeren Laden bräuchte. Leider sind die Interessenten nicht zahlreich genug. Nicht einmal zum Würzen nutzen die Köche, was ich zu bieten habe, denn alles und jedes wird hier in Salz eingelegt. Die Anwendungsgebiete für Spezereien sind vielfältig. Die neuen Manufakturen und alle Handwerker könnten welche brauchen, ob es Weber oder Schneider, Schmiede oder Köche sind. Die meisten hier wissen nicht, was man alles machen könnte, und es ist zu wenig Geld unter den Leuten, um etwas auszuprobieren. Solange die Stadt verschuldet ist, werden die Leute nicht wohlhabend werden. Deshalb bleibt mir für den Laden bloß das gewöhnliche Geschäft, das, was die Leute und die Handwerker der Umgebung benötigen. Seht.« Er ging die letzte Stufe in den Laden hinunter und wies auf die Regale.

»Was in diesem Raum lagert, sind zu großen Teilen die Gewürze des Orients. Gewürze sind meist Samen von Pflanzen, die aus fernen Ländern stammen. Samen, Früchte, Blätter und Wurzeln sind jene Pflanzenteile, die unter den Spezereien den wichtigsten Platz einnehmen. Darüber hinaus verkaufen wir gewisse Teile und Absonderungen von Tieren sowie Mineralien und andere Dinge aus dem Schoß der Erde. Ich finde die Pflanzen am interessantesten und nützlichsten. Sie wachsen von selber nach, was bei den Mineralien strittig ist. Seht hier!« Er griff in einen kleinen Korb und holte eine Handvoll Pfeffer heraus. Die schwarzen Körner lagen ruhig in seiner Hand. Er zerrieb eins zwischen Daumen und Zeigefinger, ein beißender Geruch stieg auf. Magdalene sog ihn durch die Nase und musste niesen.

»Ich mahle ihn erst vor den Augen der Kunden. Es ist eine frischere Würze, als wenn ich das Pulver lagere, und die Leute können genau sehen, dass ich sie nicht betrüge. Es ist holländischer Pfeffer. Sie bringen ihn zu Schiff aus Malabar. Es sind schöne dicke Körner, nicht wahr?«

Er wartete ihre Antwort nicht ab, sondern holte einen anderen Korb heran. »Nägelein. Sie wachsen auf Bäumen, auf den Molukkischen Inseln, und ich kaufe sie ebenso von den Holländern wie den Pfeffer. Riecht mal«, er streckte ihr eine Handvoll hin. »Bei mir kaufen Apotheker und machen davon gut riechende Medizin. Die Nägelein sollen der Herzstärkung dienlich sein. Oder seht, das hier sind Muskaten-Nüsse, die Kerne einer Frucht, die die Holländer von der Insel Banda in Asien bringen, wo sie dreimal im Jahr geerntet werden. Die besten Nüsse sind jene, die innen rötlich marmoriert sind, außen grau. Wenn sie voll fettiger Flüssigkeit sind, ist das ein gutes Zeichen, dann sind sie frisch. Ich muss diese Dinge genau wissen, wenn ich Waren kaufe. Ich habe Fuhrwerke nach Holland laufen und war schon mehrmals in Hamburg und Amsterdam, um Spezereien zu prüfen, ehe ich sie kaufe. Muskatenöl stelle ich selbst her. Das kaufen die Apotheker, und ich stehe mit meinem Namen für seine Güte. Ihr könnt alle Apotheker in der Stadt fragen, Rehnikels Muskatenöl wird jeder loben. Es soll dick und goldgelb aussehen. Riecht an dieser Flasche: Besitzt das Öl nicht ein herrliches Aroma? Sein Geschmack ist heiß und beißend, so soll es sein.«

»Wie macht man Muskatenöl?«, fragte Magdalene.

»Das ist ganz einfach«, erklärte Herr Rehnikel. »Man zerstößt zuerst die Nüsse grob. Dann dämpft man sie in einem härenen Sieb, wohl bedeckt, und nach einer gewissen Zeit, wenn sie gut erwärmt sind, presst man sie, in ein Tuch eingedreht, zwischen zwei warmen Blechen aus. Hervor rinnt das gewünschte Öl.«

Ganz einfach! Magdalene schnaufte bei seiner Erklärung. Herr Rehnikel zog ein Säckchen von einem Stoß Körbe herunter. Er schüttete grünliche Bohnen heraus, trocken und hüllenlos, und zeigte sie ihr auf seiner Handfläche. »Das ist Kaffee. Aus diesen Körnern ist das Getränk gemacht, das ich Euch bereitet habe.«

»Muss man die Bohnen weichkochen?«, fragte sie.

»Oh nein, da könntet Ihr lange kochen und hättet doch keinen Kaffee. Man röstet sie zuerst, als Nächstes zerstößt man die gerösteten Körner, um sie mit heißem Wasser und diversen Zutaten zu einem Getränk zu verwenden. In Leipzig wird Kaffee öffentlich an Männer ausgeschenkt. Tut mir den Gefallen und urteilt nicht sofort. Ihr nährt sonst das Gerücht, Kaffee wäre den Weibsleuten nicht zuträglich und sie hätten keine Ahnung davon.«

Magdalene zog spöttisch die Nase kraus. »Wozu soll ich etwas trinken, was teuer und ungesund ist und mir nicht schmeckt?«

»Mir hat der Kaffee auch nicht gleich geschmeckt«, er lächelte. »Zuerst dachte ich, er wäre bitter und wertlos, doch meine Meinung hat sich geändert. Wartet die verschiedenen Zubereitungen ab und urteilt erst danach. Was die Gesundheit angeht, kann ich Euch beruhigen. Mit allen Spezereien sagt meine Erfahrung, dass das richtige Maß entscheidet. Man darf Neues nicht gleich verwerfen.«

»Ihr könnt Euch auf mich verlassen«, antwortete sie ruhig, »ich bin weder zimperlich noch böswillig und werde Euch nach bestem Wissen und Gewissen Auskunft über den Kaffee geben.«

Herr Rehnikel warf einen prüfenden Blick auf sie, öffnete den Mund, wie um etwas zu sagen, verzichtete dann doch darauf. Er schüttete die Kaffeekörner zurück in das Säckchen und wandte sich der nächsten Spezerei zu.

»Eine andere und ebenso teure Spezerei ist der Cacao, aus dem ich die Chocolate anfertigen kann. Ich habe noch nicht einmal ein Dutzend Portionen verkauft, es ist noch kein Gewinn damit zu machen gewesen. Wenn aber mehr Geld unter die Leute kommt, wird die Pfännerschaft dem Thalvogt nicht nachstehen wollen und so fort. Diese Bohnen hier kommen aus Nicaragua, einer fernen Provinz. Ich mahle sie und mische sie mit Zucker, Zimt und Vanille. Das kann man mit Sahne zu einem köstlichen Getränk machen; manche nehmen aus Ersparnis Milch. Oder man isst die Chocolate als einen Brei zum Nachtisch. Mancher Koch könnte herrliche Speisen daraus erfinden. Leider ist unsere Stadt nicht reich genug, um solche Blüten hervorzutreiben. Ich habe keine Illusion über die Ausdehnung dieses Geschäfts. Es macht mir einfach Freude, die Dinge zu bewahren.«

Magdalene schaute sich im Laden um und griff wahllos nach einem mit roten Zeichen bemalten Kistchen, das vor ihr stand. »Was ist das hier?« Sie öffnete das Kistchen. Darin lagen mehrere rötliche Bälle von eigenartig glasiger Konsistenz.

»Das ist Drachenblut. Ich habe es von der Insel Porto Santo bezogen, über einen Händler in Frankreich, der es mir in Frankfurt übergeben hat. Es wird aus Bäumen gewonnen, deren Stämme man anritzt und das heraus fließende Gummi auffängt. Es ist wirklich nur von dem Baum Rha und hat nichts mit Blut zu tun als die Farbe. Ich verkaufe es an Färber und Glasmaler und sie versichern mir, es sei die beste rote Farbe, die man bekommen kann. Man braucht wenig davon, deshalb mache ich keinen großen Gewinn damit. Es versetzt mich einfach mit Stolz, eine kleine Menge davon aufzubewahren.« Er ging im Laden umher und zeigte auf das Regal, dem sie die Kiste mit dem Drachenblut entnommen hatte. »Es ist alles geordnet. Dort sind auch alle anderen Gumme, die ich außer dem Drachenblut handele. Ihr findet dort Arabischen Gummi, Englischen Gummi, Gummi von Senega, Tragant, Gummi Lacca, Terpentin, Barras und Theer. Das Englische Gummi zum Beispiel verkaufe ich an den Haarschneider des Thalvogts, der es für dessen Frau benutzt. Sie hat die Löckchen links und rechts der rosigen Wangen dem englischen Gummi zu verdanken.«

Magdalene war neugierig. »Was ist Tragant?«

»Tragant sind diese kleinen Stücklein«, er öffnete eine Dose, »wie Würmer gekrümmt. Hier habe ich schwarzen Tragant, der kommt von der Staude Bocksdorn, die in Syrien wächst. Ich verkaufe ihn an zwei Kürschner in Leipzig.«

Magdalene griff in eine andere Schachtel und zog ein Stöckchen von der Länge und Dicke eines Fingers hervor. Es war rundherum rötlich, hart und durchscheinend; Herr Rehnikel nahm es ihr aus der Hand und hielt es gegen das Licht. »Ein eigenartiger Stoff, nicht wahr?« Sie nickte pflichtschuldig. »Er stammt aus Persien, nennt sich Gummi Lacca, und ich habe sagen hören, dass es Insekten wie unsere Fliegen sind, die ihren Dreck auf kleine Stöckchen, in die Erde geschoben, machen. Gewaschen, getrocknet, ist es das, was wir hier sehen. Ob die Geschichte wahr ist, kann ich nicht sagen. Ich handle damit an Maler und Siegelwachsmacher und sende einiges nach Anhalt und Polen. Und dies hier ist Terpentin«, er hielt eine dunkelbraune Glasflasche hoch, »die Buchdrucker brauchen es zu Farbe. Ich verkaufe auch Schmieden davon. Darauf müsst Ihr achtgeben, denn es kann ein schlimmes Feuer machen. Ich habe einmal Öl daraus destilliert, dabei ist mir ein Gefäß zerbrochen; es wäre mir schlecht bekommen, hätte nicht mein Geselle schnell seinen Mantel auf die Flammen geworfen.« Es war eine der Geschichten, derentwegen ihm die Leute misstrauten. Er lächelte in arglosem Stolz.

 

Magdalene stand in der Mitte des Raumes und sah sich um. Von dem farbigen Glasfenster in der Tür her drang ein Lichtschein in das Stübchen. Ein Stübchen, mehr war es nicht, aber es wohnte ein Zauber darin wie von den Märchen, die Anna ihr an lange vergangenen Abenden erzählt hatte, an denen sie zwischen leisem Murmeln von Riesen und Geistern, Helden und schönen Mädchen in den Schlaf dämmerte. Es war das Licht, diese kaum erkennbaren roten und gelben Streifen von der Tür her, die wie ein Fächer in alle Richtungen flossen, in die Regale hinein, über den Tisch, zwischen die Körbe und oben auf die Kisten. Sie griffen nach dem Reichtum dieser Kammer, nach den Gläschen, an denen sie vorüberblitzten, schlängelten sich durch das Flechtwerk der Körbe und rieben sich am Metall der Kisten. Als Patriarch thronte über allem der schwere, würzige Geruch, der, je nachdem, welchem Regal sie sich näherte, eine andere Färbung annahm. Ihr schwindelte vor Verlangen, das Öle und Harze, Kräuter und Körner in ihr erweckten. Es war der Duft von Indien, von Zypern, Amerika, Frankreich und tausend kleinen Inseln, vom Meer und fremdartigen Bäumen, und sie schwebte einen Augenblick wie ein Vogel über einem grünen Hain, aus dem Rha-Bäume zu ihr hinaufwinkten und die Wipfel vor ihr beugten. Eine entrückte, selige Freude grub sich in ihre Mundwinkel und machte ihre Hände weich. Herr Rehnikel sprach weiter von Seifenbaum und Weinstein, Brunellen, Zitronöl, Safran und Zimt. Zauberhafte Wörter glitten über Magdalenes Zunge, als sie ihm nachsprach: Indigo, Magalep, Jalappe. Sie strich mit sanften Händen über die Kannen und Kästen und jedes Material schien, wie sie mit den Fingern darüber fuhr, Wärme und Duft in sie zu leiten. Eine wohlige Gelassenheit ging über sie hin. Als sie sich langsam im Kreis drehte, sprach das Kämmerchen zu ihr: Magdalene, he, Magdalene!, als wäre sie schon tausendmal hier gewesen.

Auf der Treppe hinauf in das große Zimmer mit dem Erkerfenster redete Herr Rehnikel weiter. Magdalene hatte längst aufgegeben, zustimmend zu nicken. Sie sah aus dem Augenwinkel, wie die alte und die junge Magd ihnen nachschauten. Magdalene genoss den Gedanken mit Freude, dass Else jetzt ins Zweifeln gekommen sein mochte. Georg Rehnikel geleitete seine Frau in den Stuhl vorm Fenster und brachte ihr ungefragt einen gemischten Wein. Er redete vom Geschäft, wie er die Waren manchmal erst nach monatelanger Korrespondenz bekam und was er tat, wenn sie verdorben ankamen.

Magdalene erinnerte sich daran, dass sie ihm die gezwungene Ehe mit Bitternis vergelten wollte. Sie wusste nicht mehr genau, warum. Sie wusste nur, dass sie zornig gewesen war.

»Ihr werdet es gut haben bei mir. Glaubt mir, Magdalene, es soll Euch an nichts fehlen. Ich kann Euch mehr bieten als Ihr bei den Bertrams je gesehen habt.«

Magdalene atmete tief ein. Jetzt musste sie heraus mit der Sprache, ehe der Mut sie noch verließ. »Ich verstehe nicht, warum Ihr diesen Handel eingegangen seid. Welche Kröte muss ich schlucken?« Ihre Stimme hatte vor Aufregung einen schneidenden Ton bekommen, sie war rot wie ein Herbstapfel. Herr Rehnikel sah sie von der Seite an. Das Lächeln verschwand wie ein Schatten aus seinem Gesicht. In seine Züge trat die Aufmerksamkeit, mit der er das Mädchen schon bei der Verlobung betrachtet hatte. Er schwieg ein Weilchen.

Als sie schon dachte, er hätte nichts dazu zu sagen, begann er gegen das Fenster gerichtet zu sprechen: »Ihr seid verletzt, dass man Euch zu unserer Ehe nicht befragt hat, nicht wahr?«

Im Zimmer war es nicht kalt, dennoch fröstelte Magdalene. Sie rieb die Hände an den Armen, ehe sie antwortete. »Wir sollten ehrlich miteinander sein, wenn wir ein gemeinsames Leben führen wollen. Ich möchte im Bilde sein, warum Ihr ausgerechnet mich geheiratet habt, denn Ihr musstet dafür viel opfern, und zwar zumindest Euren Ruf. Ihr habt Euch freiwillig als Bösewicht hinstellen lassen müssen. Das tut man, wenn man eine Menge dafür erwartet. Welchen Gewinn erhofft Ihr Euch durch die Heirat mit mir?«

Magdalene sah, wie Herr Rehnikel schluckte. In seinem Gesicht arbeitete es, doch der Zornesausbruch, den sie befürchtet hatte, blieb aus. Herr Rehnikel atmete hörbar durch die Nase ein. Seine vor wenigen Minuten noch sanft lächelnden Augen blickten groß und ernst. »Warum glaubt Ihr, dass alles nur ein Handel ist?«

Magdalene war heiß. Auf ihrer Stirn sammelten sich kleine Schweißtröpfchen, die an den Schläfen herabzurinnen drohten. »Was soll es sonst sein?« Magdalene spürte die Sonne in ihrem Gesicht. Der Schein blendete, dass sie die Augen schließen musste. Sie wartete, dass Herr Rehnikel etwas tat. Aber er tat nichts. Er war ein schlauer Kerl, das hatte sie schon bemerkt. Schließlich war sie diejenige, die zu fragen begonnen hatte.

Herr Rehnikel schwieg. Er saß in dem dunklen Stuhl wie hineingegossen, die Arme auf die Lehnen gepresst und mit seinem Leibesumfang den Sitz füllend. Hinter seinen geschlossenen Lippen bewegte sich der Kiefer, die Augen wanderten den Erker hinauf und hinab, ringsherum, als sähe er das Fenster zum ersten Mal. Endlich sah er seine Frau an. »Ist unsere Verbindung nicht das Beste, was uns beiden zustoßen konnte?«

Das war nichts weiter als Überredungskunst. Das zu glauben, fehlten Magdalene die Gründe. Sie blieb still und schüttelte den Kopf.

»Lasst Euch Zeit, Magdalene. Ihr werdet es mit ruhiger Überlegung so sehen wie ich.«

Der Wein hatte sie benommen gemacht. Sie lehnte schwach in ihrem Stuhl und presste bitter die Lippen aufeinander.

»Was glaubt Ihr denn, könnte ich dafür fordern, dass ich Euren Sohn für meinen erkläre und meinen Ruf vor Euren stelle, um Euch zu schützen?« Herr Rehnikel fragte mit einem gespannten Blick, als hätte er ihre Gedanken gelesen. Er hörte nicht auf, Fragen mit Fragen zu beantworten.

Magdalene legte die Hand auf ihren Hals, an die Stelle in der Mitte, wo der Brustkorb eine Kerbe hat, rund wie ein Medaillon, und spürte an ihrer Fingerspitze den Puls. Sie kannte das. Es beruhigte. Sie konnte jetzt ohne Zittern in ihrer Stimme sprechen. »Auf jeden Fall Demut, und dass ich den Mund halte.«

Herr Rehnikel lächelte. In seinen Augenwinkeln erschienen Falten. »So? Da hätte ich mir eine andere aussuchen müssen. Demut gehört nicht zu den Eigenschaften, die Euer Onkel an Euch preist. Im Kirchenbuch ist im Übrigen schon vor drei Wochen eingetragen worden, was seit der Taufe des Kleinen dank der vorausschauenden Weisheit Eures Onkel frei geblieben war: der Vaterseintrag. Der lautet jetzt auf meinen Namen.«

»Warum? Warum damals schon? Da war ich gerade erst zurückgekommen!« Magdalene versuchte ihre Frage in dem gleichen ruhigen Ton zu stellen, den er benutzt hatte, doch es gelang ihr nicht. Die Aufregung färbte ihre Stimme hell.

»Schreibt es von mir aus dem Charakter eines Händlers zu.« Er lächelte. »Ein Händler muss eine geschlossene Muschel kaufen, wenn er eine Perle sucht. Wir geben damit unserer Kirche, was sie für die Ordnung in unserem Leben braucht.«

Magdalene konnte nicht dermaßen verächtlich schauen, wie ihr zumute war. »Gott können wir nicht betrügen, Herr Rehnikel. Ihr und ich wissen genau, dass Ihr mich noch nie berührt habt. Ich bin nicht die Jungfrau Maria, dass ich von einem Blick schwanger geworden wäre.«

Herr Rehnikel atmete tief ein. »Es sind die Leute, die dieses Spiel brauchen, nicht Gott. Ihr werdet bei mir kein schlechtes Leben führen und Euer Sohn wird Bürger dieser Stadt sein können. Ist diese Heirat nicht ein Akt der Mutterliebe gewesen?«

Magdalene winkte müde ab. »Einen guten Handel für die Kirche, für mich und den Hans und für Euch selbst, das könnt nur Ihr Euch ausgedacht haben, als wahrer Krämer. Seid Ihr denn nie auf den Gedanken gekommen, dass mich schon einer berührt hat und dass ich den im Stich gelassen habe? Wer sagt Euch denn, dass ich nicht dasselbe mit Euch tun werde?«

Ob sie Herrn Rehnikel getroffen hatte, konnte sie nicht sehen. Jedenfalls hörte er auf, sie auf das künftige schöne Leben hinzuweisen. Er stand auf und ging ins Nebenzimmer. Als er wiederkam, trug er ein Buch in der Hand. Es war eine Bibel mit braunem Ledereinband und dicker geprägter Schrift auf dem Deckel. Wegen des besseren Lichts ging er ans Fenster, hielt die Bibel in der Linken und blätterte mit der Rechten. Er war bei Matthäus, suchte offensichtlich eine bestimmte Stelle. Er hob das Buch näher an die Augen und zitierte. »Habt Ihr nicht gelesen, dass der, welcher sie schuf, sie von Anfang an als Mann und Frau schuf und sprach: darum wird ein Mensch Vater und Mutter verlassen und seiner Frau anhängen, und es werden die zwei ein Fleisch sein, dass sie nicht mehr zwei sind, sondern ein Fleisch? Was nun Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden.«

Magdalene konnte sich nicht beherrschen, es entfuhr ihr ein heftiges Nicken. Ihre Fäuste waren geballt, sie atmete dreimal tief. Das war ein wunderbares Mittel, das hatte ihr Bruder ihr beigebracht für die Situationen, wo der Onkel sie nicht weinen sehen sollte. Es funktionierte. »Das ist es doch! Wenn ich also von dem fortgegangen bin, dem ich Treue geschworen habe, habe ich gesündigt!« Sie sprach mit einer schönen klaren Stimme, als wäre das, was sie beschrieb, nicht schlimm.

»Gesündigt?« Herr Rehnikel ließ seine Augen wachsen, sie wurden immer größer. »Dass Ihr das Kind nicht vom Heiligen Geist empfangen habt, kann ich mir schon denken. Es gibt Gründe, nicht wahr? Dafür, dass Ihr nicht zu diesem Mann geht und dafür, dass dieser Mann nicht zu Euch kommt, wer das auch sein mag.« Georg Rehnikel kam vom Fenster zurück und ließ sich in seinen Stuhl fallen. Das Holz knarrte. »Ihr habt die Situation gewiss nicht selbst geschaffen. Ich habe Euch gesehen, als Ihr wiederkamt. So, wie Ihr aussaht, Magdalene, hattet Ihr keine Wahl, als Euch und Euer Kind zu retten. Ihr tragt keine Schuld.«

Magdalene antwortete nicht. Sein Wort stand in diesem Zimmer, es schwang von einer Wand zur anderen. Keine Schuld. Sie musste noch einmal tief einatmen. Herr Rehnikel sah sie besorgt an, als wäre sie krank. Er stand auf und öffnete das Fenster. Frische, tagwarme Luft wehte herein.

»Kehren wir zurück zur Frage, wer von dieser Heirat welchen Vorteil hat«, setzte Herr Rehnikel die Unterhaltung fort. »Ich gebe zu, die Heirat hat durchaus ihre Vorteile für mich. Doch Ihr sollt auch den Euren haben. Nennt mir Eure Bedingungen.«

Er sah sie von oben her an, in seine Mundwinkel setzten sich Falten. Stille schwappte herein. Magdalene ließ eine Zeit verstreichen, in der sie an ihrem Becher nippte, auf die Gefahr hin, dass es ihr den Verstand weiter vernebelte. Ihr Mut wuchs mit der Menge des getrunkenen Weines.

Herr Rehnikel ging im Zimmer umher. Magdalene überlegte, ob das seine Art war, eine starke Aufregung zu verbergen. Er ging hinüber in den anderen Raum. Von hinten sah sie den Schweiß in seinem Nacken glänzen. Der Weinkrug, den er brachte, war neu gefüllt; sie merkte beim ersten Kosten, dass die Mischung dieses Mal stärker geraten war. »Also, was sind Eure Vorstellungen?« Er nötigte seine Frau regelrecht, ihm Forderungen zu stellen.

»Volle Freiheit in finanziellen Dingen: eine feste Summe für den Haushalt. Was übrig bleibt, ist mein. Ich will meine freien Stunden nicht überwacht haben. Zu wem ich gehe und was ich tue, darüber bin ich Euch keine Rechenschaft schuldig. Das ist ebenso meine Sache wie die Art und Weise, wie ich meinen Glauben erfülle. Und wenn ich Hilfe brauche für Dinge, die ich als Frau nicht allein tun kann, will ich nicht zu Begründungen gezwungen sein.«

Er lächelte, auf eine gewisse Weise erleichtert. »Dass ich im Gegenzug absolute Loyalität verlangen muss, ist Euch sicher klar. Es ist wichtig für mich, dass Ihr mich vor den Leuten nicht zum Hanswurst macht.«

Darauf nickte sie. »Das ist noch nicht alles.« Ihre Worte verlangsamten sich. Das war der Wein. »Das Eheleben im Bett, das darf nicht gegen meinen Willen geschehen. Wenn ich Nein sage, lasst mich in Frieden und fasst mich nicht an.« Jetzt sah sie es deutlich. Er war aufgeregt, sehr aufgeregt, auch wenn es den Anschein hatte, als bliebe er ruhig sitzen.

 

Seine Augenlider flatterten. »Ihr seid meine Frau und tut alles, was einer Ehefrau ansteht. Ihr werdet in meinem Schlafzimmer schlafen und an meiner Seite leben.« Er schaute sie gerade an.

»Ja, ich werde bei Euch schlafen. Euer Ruf bleibt heil.« Magdalene verzog den Mund spöttisch. »Schließlich habt Ihr bereits einen prächtigen Sohn gezeugt.«

Er spielte mit seinem Becher, drehte ihn in der Hand, kippte ihn, bis das erste Tröpfchen über den Rand floss. Ganz unedel leckte er es von seinem Finger und hob den Kopf. »Schließen wir einen vollständigen Handel. Wenn wir einmal mit der Ehrlichkeit begonnen haben, will ich wissen, wo Ihr in all den Monaten wart, in denen Euch kein Mensch in Halle gesehen hat. Von wem habt Ihr den Hans empfangen? Und warum ist dieser Mensch nicht gekommen, um nach Euch zu sehen?«

Magdalene schaute ihn eine Weile an und nickte. »Eines Tages werde ich es Euch erzählen. Es ist ein Geheimnis. Das wisst Ihr.«

Sein rundes Gesicht glänzte. Er hielt ihrem Blick stand. Kein Zwinkern. Kein Lächeln. Wenn es der Preis dafür war, dass sie mit ihm in Frieden leben konnte, wollte sie ihm ein paar Brocken von der Wahrheit hinwerfen. Sollte er sehen, was er damit anfing. Er reichte Magdalene die Hand. Es war ein Vertrag, den sie schlossen. Magdalene wusste nicht recht, ob es ein Sieg für sie war.

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