Love me louder

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Als er durch die Glastür trat, winkte er Oren zu. Der Barista war ebenfalls hauptberuflich am Theater und sprach ständig für Rollen vor. Er war der Einzige, der verstand, warum Will aufgehört hatte. Oren musste ein Baby ernähren, daher brauchte er ebenfalls ein zuverlässiges Einkommen.

»Ich brauche einmal den…« Will wedelte mit der Hand, während er zum Teeregal aufsah.

»Die Seelenruhe–Mischung?« Oren hob fragend eine Braue. Er betrachtete Will von oben bis unten und bemerkte dessen elegante Aufmachung. »Harter Abend?«

»Nicht härter als sonst«, erwiderte Will. Oren warf ihm einen wissenden Blick zu, als er sich daranmachte, den Tee aufzubrühen. Er war es gewesen, der Will die Arbeit als Escort vorgeschlagen hatte. Er hatte selbst für Gotham City gearbeitet, bis die Geschichte mit seiner Freundin ernst geworden war.

»Was ist da überhaupt drin?«, fragte Will, als Oren ihm den Becher reichte.

»Kamille und Sarsaparille«, antwortete er.

»Sarsa… was?«, hakte Will belustigt nach.

Oren lachte. »Etwas, damit dein Arsch zur Ruhe kommt.«

»Klingt perfekt.« Will winkte und ging.

zu Hause angekommen nippte er an seinem Tee, während er auf dem Laptop herumspielte, und schließlich einen Schwulenporno aufrief und den Sound abschaltete. Es war Wochen her, dass er einen One–Night–Stand gehabt hatte oder auch nur einen männlichen Kunden. Er nahm seinen Schwanz in die Hand und rieb sich zu einer Szene mit zwei mittelmäßig wirkenden Typen zum Höhepunkt. Das waren seine Lieblingsszenen, weil sie authentischer rüberkamen. Nicht jeder konnte muskulös und gut aussehend sein. Er würde einen echten Mann jederzeit einem Kerl vorziehen, der das Scheinwerferlicht suchte.

Kapitel Drei

Noah

Zwischen der Arbeit, dem Fitnessstudio und dem Online–Verkaufsförderungskurs, für den er sich vor Kurzem angemeldet hatte, um auf dem Laufenden zu bleiben, hatte Noah den Escortservice beinahe vergessen. Dann, drei Tage später, teilten Will und er wieder die Schicht im Home and Hearth, aber es dauerte bis zum Abend, bevor Noah sich ein Herz fasste.

Als sie den Laden verließen, hielt er Will auf der Straße an. Er zog die Visitenkarte aus der Tasche und reichte sie ihm. »Äh, hallo. Die hast du neulich fallen lassen und ich, hm, wollte sie dir wiedergeben.«

Noah fiel auf, dass Wills Wangen sich sofort verfärbten, bevor er die Schultern straffte und ihm direkt, beinahe trotzig, oder vielleicht mit etwas Stolz, in die Augen sah.

»Ja, okay. Danke«, erwiderte er und steckte die Karte ein.

Er wandte sich zum Gehen, doch Noah folgte ihm den Bürgersteig entlang und fluchte unterdrückt, weil er auf ein längeres Gespräch gehofft hatte. Aber er hätte es besser wissen sollen, so zurückhaltend, wie Will im Allgemeinen auftrat.

»Warte mal«, sagte Noah. Will blieb so abrupt stehen, dass Noah um ihn herumschlingern musste. »Arbeitest du für die?«

Will zog die Augenbrauen zusammen. »Ja, na und? Wenn es dir darum gehen sollte…« Er deutete mit dem Daumen auf das dunkle Home and Hearth. »Es geht sie nichts an, was ich in meiner Freizeit…«

»Nein, das meinte ich nicht«, stammelte Noah. Er hatte Will einen vollkommen falschen Eindruck vermittelt und musste von vorn anfangen oder Will würde vielleicht nie wieder mit ihm reden. Er sprach ja so schon kaum mit ihm. Aber verdammt, die richtigen Worte zu finden, war gelinde gesagt schwierig. »Ich wollte nur…«

Will sah auf seine Füße, dann trat er gegen einen umherliegenden Stein. »Was willst du, Noah?«

»Ich wollte nur wissen, ob… ob das eine gute Agentur ist… weil ich…«

»Suchst du nach einem neuen Job?«, fragte Will mit hochgezogener Augenbraue.

Machte Will sich lustig über ihn? Noahs Gesicht wurde heiß.

»Nein.« Er deutete auf sich. »Ich meine, willst du mich verarschen?«

Es sollte selbstironisch wirken, doch Will schien das nicht zu begreifen. Irgendwie war Noah dankbar für den kurzen Augenblick, in dem Will ihn von oben bis unten musterte. Es erinnerte ihn daran, dass den meisten Menschen seine Narben nicht sofort ins Auge fielen, und es gefiel ihm, mit der breiten Masse zu verschmelzen, wenn es um seinen Körper ging.

Abgesehen davon wäre er auch ohne seine Narben niemals als Escort durchgegangen. Er war bestenfalls Mittelmaß. Weder war er besonders groß noch waren seine Muskeln der Rede wert. Nie war ihm das klarer gewesen als in diesem Moment, in dem er vor Will stand, der groß, sportlich und gut aussehend war und leicht als Laufstegmodel durchgegangen wäre. Und angesichts der Stadt, in der sie lebten, war das gar nicht weit hergeholt.

Will verschränkte die Arme. Offensichtlich wartete er darauf, dass Noah die Sprache wiederfand.

»Ich frage nur, weil ich da diesen Freund habe… Der muss demnächst zu einer Veranstaltung und er überlegt, einen Escort anzuheuern…«

»Einen Freund, ja?«, erwiderte Will. Er versuchte merklich, sein Grinsen zu verbergen. Noah sah zu Boden, unfähig, ihm in die Augen zu sehen. »Es ist eine seriöse Agentur. Ich hatte nie irgendwelche Schwierigkeiten, falls dir das hilft.«

Noah wollte eine Menge Fragen über Sex und Erwartungen stellen, aber er hielt sich zurück. Damit würde er sich verraten. Zudem hatte er nicht den Eindruck, dass Will scharf auf, über mehr als die Basics zu sprechen. Dadurch ging ihm auf, wie wenig er über seinen Kollegen wusste. War dies der Grund, warum Will nie mitkam, wenn einige von ihnen im Chauncey's um die Ecke einen trinken gingen? War er zu beschämt, zu stolz, zu… beschäftigt?

Der Gedanke, dass Will ein Escort war, ließ Noah schaudern. Alleine die Vorstellung, dass er vielleicht sogar heute Abend eine Kundin treffen würde... Bezauberte er sie mit seinem Aussehen, mit Worten oder seinem Körper? Noah war inzwischen mehr als neugierig, doch es ging ihn wirklich nichts an.

»Okay, cool.« Er stieß die Luft aus, froh, dass das Gespräch endlich ins Rollen gekommen war. Er wusste nicht, wie lange er es noch ertragen konnte, sich vor Will verlegen zu winden. »Ehrlich gesagt habe ich mich neulich abends mal auf der Website umgeschaut und gemerkt, dass es einen Bereich für Schwule gibt. Daher dachte ich, das wäre okay für… meinen Freund…«

Gott. Noah stand offen dazu, wer er war. Insofern erzählte er Will vermutlich nichts Neues. Aber der Versuch, sein persönliches Interesse an der Escort–Agentur zu verbergen, war im besten Fall albern.

»Ja, sie bieten ganz klar auch einen Service für gleichgeschlechtliche Interessen an.« Will kratzte sich abwesend am Kopf, als dächte er über seine Darstellung nach. »Allerdings ist dein Freund vielleicht mit einer ausschließlich auf Schwule spezialisierten Agentur besser dran. Zum Beispiel gibt es da eine namens Queer in the City… Ich glaube, so heißt sie.«

»Oh, ähm, okay… Danke für den Tipp. Ich werde es ihn wissen lassen«, sagte Noah. Er war immer noch nicht in der Lage, Will richtig anzuschauen. »Hey, könntest du bitte nicht…« Seine Stimme brach, als er zum Home and Hearth hinüberschielte. Es lag immer noch so dunkel und verlassen da wie beim letzten Mal, als er sich danach umgesehen hatte.

Will verdrehte die Augen. »Ich weiß, wie man sich diskret verhält, falls du das noch nicht bemerkt hast.«

»Ja… ja klar. Entschuldige.« Verlegen bedankte sich Noah und flüchtete die Straße entlang.

Als er zu Hause ankam, holte er einen Becher Eis aus dem Kühlschrank, dazu ein bisschen Aufschnitt für ein Sandwich. Nachdem er sein Abendessen heruntergeschlungen hatte, setzte er sich mit einem Löffel und dem Becher Cookies N' Cream auf die Couch. Statt das Eis in eine der neuen Schüsseln zu füllen, die er letzte Woche begeistert bei Pottery Barn gekauft hatte, öffnete er die Dose.

Wortlos verfluchte er Will für dessen perfektes Haar, Lippen und Körper. Bestimmt hatte er den Escortservice nicht nötig, um an ein Date zu kommen. Manche Menschen mussten einfach mehr darum kämpfen, vermutete Noah. Manche Menschen trugen auch keine Narben an dreißig Prozent ihres Körpers spazieren.

Plötzlich fühlte er sich schrecklich unwohl, auch wenn er allein in seiner Wohnung war. Er stellte sich Arm in Arm mit einem wunderschönen, unerreichbaren Escort vor und ihm wurde speiübel. Mit den Bauchmuskeln oder ihrem Trainingspensum wollte er gar nicht erst anfangen, da er gerade das Nötigste tat.

Zugegenermaßen entdeckte er seit einer Umstellung seines Trainingsplans ein wenig mehr Masse an seinen Armen und Schultern, vielleicht sogar im Rücken. Dennoch nahm er es lieber auf sich, zehn Blocks weit zu laufen, statt im Fitnessstudio um die Ecke Gewichte zu stemmen, wo die Männer all die heißen Kerle beäugten. Die Geschichte seines Lebens.

Zudem wollte er in der Lage sein, irgendwie eine Verbindung zu einem möglichen Escort aufzubauen, verdammt noch mal. Er hoffte, sie würden angeregte Gespräche führen, über dieselben Dinge lachen und eine gewisse Basis finden, wenn sie schon das ganze Wochenende miteinander verbringen würden. Verflixt, das fühlte sich mehr und mehr nach einer miesen Idee an.

Eine halbe Stunde später entschied Noah dennoch, das Telefon zur Hand zu nehmen und bei Gotham City Escorts anzurufen, statt sie online zu kontaktieren. Und während er mit der netten, geduldigen Dame sprach, die seinen Anruf entgegengenommen hatte, fühlte er sich allmählich besser. Vor lauter Panik hatte er ihr seinen zweiten Vornamen, James, genannt, aber er schätzte, das konnte er dem Escort erklären, sobald sie sich erst einmal unterhielten.

Am Ende des Anrufs hatte er ein ganzes Wochenende mit einem schwulen Begleiter namens Max gebucht. Die Dame fragte, ob sie Max seine E–Mail–Adresse geben solle – die ebenfalls anonym und austauschbar war, wie ihm auffiel –, damit sie vorher die Einzelheiten über die gemeinsam verbrachte Zeit besprechen konnten. Der Preis war happig für jemanden, der vorsichtig mit seinen Ersparnissen umging. Es sei denn natürlich, es ging um Einrichtungsgegenstände. Nur die besten Marken waren gut genug für Produkte, die einen vielleicht ein Leben lang begleiteten.

 

Gott, er klang, als wäre er einer schlechten Dauerwerbesendung entsprungen.

Aber Noah hatte jahrelang gespart. Genau genommen, seitdem er seinen Eltern gesagt hatte, dass er es in der Stadt allein zu etwas bringen wollte. Daher konnte er guten Gewissens einmal verschwenderisch sein. Alles, was er von dem Typ erwartete, war, dass er vorgab, mit ihm zusammen zu sein, um Himmels willen, dann wäre alles bestens.

Hoffentlich war er ein guter Schauspieler.

***

Zwei Abende später bekam er eine E–Mail von Max – seinem angeblichen Freund für Matts Geburtstagsparty auf Fire Island. Verdammt noch mal, war das jetzt seine Realität? Hatte er wirklich jemanden angeheuert? Schon bald würde sein Kontostand widerspiegeln, ob er sich entschieden hatte, es durchzuziehen.

Seit seiner unangenehmen Unterhaltung mit Will waren sie nicht mehr gemeinsam eingeteilt gewesen. Hoffentlich erkundigte sich Will nicht irgendwann, wie es für seinen Freund gelaufen war. Aber auch wenn Noah ihn nicht gut kannte, hielt er das für unwahrscheinlich. Offenbar zog Will es vor, sich diskret zu verhalten, und in dieser Situation wusste Noah das zu schätzen.

Sein Herzschlag dröhnte ihm in den Ohren, als er die professionell wirkende Nachricht las.

Hallo, James!

Danke, dass Du Dich für Gotham City Escorts entschieden hast. Im Allgemeinen ist es am besten, sich persönlich zu treffen, bevor man jemanden für ein langes Wochenende bucht. Es ist mir wichtig zu verstehen, was Du Dir wünschst, und auch, Dich ein bisschen kennenzulernen, bevor wir so viel Zeit miteinander verbringen.

Außerdem wäre es gut sicherzustellen, dass Du Dich mit mir wohlfühlst und andersherum. Auch, ob ich jemand bin, den Du während eines Wochenendes mit Deinen Freunden an Deiner Seite haben möchtest.

Glaub mir, falls das Gegenteil der Fall sein sollte, ist das nicht ideal, und es wäre eine Schande, falls Du Zweifel hast oder Dich das ganze Wochenende lang nicht wohlfühlst. Natürlich liegt die Entscheidung über ein Treffen vor unserem Arrangement ganz bei Dir. Ein Anruf könnte ebenfalls funktionieren.

Mit den besten Wünschen

Max

Sich im Voraus mit seinem Escort zu treffen, war nichts, worüber Noah auch nur nachgedacht hatte. Doch es hörte sich ganz sicher sinnvoll an. Was, wenn sie wie Feuer und Wasser waren? Für ein paar Stunden mochte das funktionieren, aber ein ganzes Wochenende?

Noah schauderte. Er hatte über die Jahre so einige peinliche Situation mit One–Night–Stands oder Blind Dates erlebt und so etwas wollte er um jeden Preis vermeiden. Nur, dass dieser Typ sowieso nur schauspielern würde, was sich in so vielen Beziehungen falsch anfühlte.

Er drückte auf Antworten und legte die Finger auf die Tastatur.

Hallo, Max

schön, von dir zu hören. Danke für deinen Vorschlag, den ich für eine großartige Idee halte! Ich möchte mir sicher sein, dass du dich sowohl mit mir als auch mit unserer Vereinbarung wohlfühlst. Allein zu solchen Veranstaltungen zu gehen, war immer unangenehm für mich, und es wäre wirklich toll, sich nicht länger wie ein Außenseiter zu fühlen.

Natürlich werde ich das genauer erklären, wenn wir uns treffen. Wie wäre es, wenn wir Samstagmorgen irgendwo in Midtown einen Kaffee trinken gehen? Der Starbucks in der 40. wäre eine gute Wahl für mich, schlag aber gern etwas anderes vor. Ich bin flexibel.

James.

Sofort löschte er den Namen am Ende der E–Mail und zog zudem in Erwägung, den Teil mit dem Außenseiter zu entfernen, entschied sich jedoch dagegen. Sobald er sich mit Max traf, würde er ihm seinen richtigen Namen sagen, falls er sich wohl genug mit ihm fühlte. Ihm blieb sowieso nichts anderes übrig. Seine Freunde kannten ihn nur als Noah und sein Escort würde noch sehr viel mehr über ihn erfahren müssen.

Kapitel Vier

Will

Am folgenden Freitag traf sich Will mit einer neuen Kundin, einer älteren Frau, die in ihrem Hotelzimmer nach einem Drink zu viel ein bisschen zudringlich wurde. Sobald er wieder zu Hause war, duschte er lange und heiß und schrubbte sich gründlich ab. Er fühlte sich nicht oft so. Normalerweise zeigte sich seine Kundschaft respektvoll, aber betrunkene Kundinnen waren am schlimmsten. Zumindest hatte er sie lange genug abwehren können, bis sie endgültig eingeschlafen war. Dann hatte er die Tür hinter sich geschlossen und war geflüchtet.

Will nahm kein Blatt vor den Mund – die meisten waren einfach einsam. Sie brauchten lediglich etwas menschliche Nähe, wenn sie sich für eine Nacht ein Hotelzimmer mieteten. Ein paar Mal war es ihm passiert, dass sie zu sehr an ihm hingen, und wenn es dazu kam, schaltete sich die Agentur ein, um die Arbeitsverbindung aufzulösen und seine Identität zu schützen.

Wenn er für abendliche Treffen mit Schwulen gebucht wurde, ging es üblicherweise um Männer, die jenseits der besten Jahre waren. Ihre Tage in den Clubs lagen lange hinter ihnen, Grindr ebenfalls, und sie wollten einfach etwas Gesellschaft in einer Umgebung, in der sie sich sicher fühlten und merkten, dass sie nicht verurteilt wurden.

Viele fragten, ob sie seinen Körper betrachten durften, während sie sich einen runterholten, oder baten um Erlaubnis, ihn berühren zu dürfen. Es war verrückt, wie oft er gefragt wurde, ob sie ihm einen blasen durften. Einige spielten vermutlich nur mit der Fantasie oder wollten sich an die gute alte Zeit erinnern. Vielleicht wollten sie herausfinden, ob sie es noch draufhatten – dafür zu sorgen, dass sich ein anderer Mensch dank ihrer Hände und ihres Munds gut fühlte.

Über diesen Teil ihrer Arbeit sprachen die Escorts normalerweise nicht – es sei denn, es waren ein paar Whiskey im Spiel –, auch wenn es häufiger geschah, als man annehmen mochte.

Daher hatte Will keine Ahnung, was ihn erwartete, als er Samstagmorgen aus der U–Bahn stieg, die Stufen hinaufging, bis er die Straße erreicht hatte, und das Starbucks betrat, um seinen neuesten Kunden kennenzulernen. Er sah sich suchend um, entdeckte jedoch niemanden, der ihm als Kunde wahrscheinlich schien, und er verfluchte sich, dass er vergessen hatte, zumindest nach der Haarfarbe zu fragen. Und da auf der Website der Agentur Fotos verboten waren, um die Privatsphäre der Angestellten zu schützen, würde auch sein Kunde nicht wissen, wie er aussah.

Als er einen Gang entlangschlenderte, um sich umzusehen, stellte er plötzlich verblüfft fest, dass Noah Dixon an einem der Tische saß, den Kopf gesenkt und den Blick fest auf sein Handy gerichtet. Will zog in Erwägung, Scheiß drauf zu sagen und das Starbucks zu verlassen. Doch im selben Moment sah Noah auf und verkrampfte sich, als ihre Blicke sich trafen.

Panisch sah sich Noah um. Sein Blick huschte von links nach rechts, als suche er nach einem Ausweg oder als müsste er in seinem Kopf etwas ausknobeln.

»Was tust du denn hier?«, platzte Will heraus, aber er kannte die Antwort bereits.

Verdammte Scheiße.

»Oh Gott. Bist du M-Max?«, fragte Noah zitterig, während er Will über seinen Strohhalm hinweg betrachtete. Er schüttelte den Pappbecher in seiner Hand. Offenbar trank er gern Eiskaffee, bemerkte Will abwesend, während er zeitgleich innerlich ein bisschen ausflippte.

»Bist du James?«, gab er mit knirschenden Zähnen zurück. Heilige Scheiße, das konnte nicht wahr sein. »Ich dachte, du erkundigst dich für einen Freund.«

»Du wusstest, dass das wahrscheinlich gelogen war«, antwortete Noah, bevor er auf die Kartonummantelung seines Bechers starrte. Nervös knibbelte er daran herum. »Scheiße… Du kannst einfach gehen. Glaub mir, wir können einfach so tun, als wäre das nie passiert.«

Will nickte und wandte sich dem Eingang zu, um zu verschwinden. Doch für eine Sekunde überkam ihn Mitleid mit Noah. Wie schwer musste es ihm gefallen sein, Will überhaupt anzusprechen, ihm Fragen zu stellen und es dann darauf ankommen zu lassen, einen Escort zu buchen?

Allein zu solchen Veranstaltungen zu gehen, war immer unangenehm für mich, und es wäre wirklich toll, sich nicht länger wie ein Außenseiter zu fühlen.

Will verhielt sich unfair – und das nur, weil er ein paar Vorurteile gegenüber seinem ätzend gut gelaunten Kollegen hatte, der viel zu gut in seinem Job war und vermutlich ein leichteres Leben führte als er selbst. Wenigstens hatte er das geglaubt, bis er das Starbucks betreten hatte.

Er musste zugeben, dass er neulich, als Noah ihn angehalten und ihm Fragen über seine Agentur gestellt hatte, davon ausgegangen war, dass er einfach… neugierig war. Hinterher war er halb besorgt gewesen, ob Noah ihren Kollegen von seiner Arbeit als Escort erzählen würde, und ob er lieber kündigen oder einfach damit leben sollte. Die Möglichkeit, dass Noah die gleiche Angst haben könnte, als Fragesteller enttarnt zu werden, war ihm nicht einmal in den Sinn gekommen. Warum sonst sollte er einen falschen Namen benutzen?

Will seufzte. Dann setzte er sich gegenüber von Noah in die Bank.

Dessen Augen weiteten sich. »Was hast du vor?«

»Dir helfen«, sagte Will achselzuckend. »Vielleicht kann ich dir jemand anderen aus der Agentur vorschlagen, jemanden, den ich dir sehr empfehlen kann. Einen Typ, dem man vertrauen kann.«

Aus irgendeinem Grund schien ihm Letzteres derzeit am wichtigsten zu sein. Er wollte auf keinen Fall, dass Noah schlechte Erfahrungen sammelte. Schließlich hatte Will sich ursprünglich für die Agentur ausgesprochen und er kannte ein paar der anderen Escorts, die sehr respektiert wurden.

»Okay, klar«, antwortete Noah mit einem Blick, in dem sich aufrichtige Dankbarkeit widerzuspiegeln schien. »Danke.« Nach einem weiteren Moment der Verlegenheit beugte er sich nach vorn. »Also… du bist schwul?«

»Bi«, erwiderte Will. »Meistens stehe ich auf Männer, aber es hilft mir, an Jobs zu kommen. Der Agentur gefällt es, dass ich… flexibel bin.«

Noah lief dunkelrot an und Will begriff, dass er ihm gerade ein krasses Bild in den Kopf gemalt hatte.

Nachdem er sich etwas zu trinken bestellt und ein bisschen Zucker und Sahne hineingerührt hatte, fiel ihm auf, dass Noah nervös mit den Zuckerpäckchen vor ihm spielte. »Erzähl mir von dieser Veranstaltung, für die du einen Escort suchst.«

Noah holte tief Luft. »Mein Freund Tony veranstaltet in seinem Haus auf Fire Island eine riesige Geburtstagsparty für seinen Lebensgefährten Matt. Was Matt aber nicht weiß, ist, dass Tony ihm einen Antrag machen wird.«

»Cool«, sagte Will lächelnd. Das ganze Konzept war ihm fremd. Nicht nur Partys in einem Strandhaus auf Fire Island, sondern auch die Vorstellung eines ausgefallenen Antrags. Es bestätigte Wills Vermutungen über Noahs Lebensstil. Wie aus einem Ethan Allen–Katalog. »Aber wenn diese Party bei deinem Freund stattfindet… Warum brauchst du einen Escort?«

Will fand, dass die Frage gerechtfertigt war, auch wenn es ihn nichts anging. Dennoch nahm er an, dass ihm eine Antwort helfen würde herauszufinden, welcher andere Escort am besten geeignet war. Zudem konnte er nicht anders: Seine Neugier war geweckt. Dies war eine der wenigen Gelegenheiten, bei denen er Noah nicht gut aufgelegt sah, und er war nicht sicher, was genau dafür verantwortlich war.

»Warst du je in den Pines oder in Cherry Grove?«, fragte Noah mit abwesender Miene, als würde er sich an die Zeiten erinnern, die er auf Fire Island verbracht hatte. Die beiden genannten Gegenden waren seit Jahren als Schwulenmagnete im Staat New York bekannt.

Will blinzelte und versuchte sich zu entsinnen, wann er zuletzt dort gewesen war. Es waren nur wenige Male gewesen, denn ein Ausflug auf die Insel stellte für jemanden wie ihn, der wenig Geld und Zeit hatte, praktisch Luxus dar. Es war eine pittoreske Zuflucht aus der Stadt und im Augenblick klang das für ihn verdammt gut. Der August in Manhattan konnte drückend heiß und elend sein, besonders, wenn man auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen war. Außerdem war er seit Jahren nirgendwo hingefahren. »Sicher. Es ist das Paradies für schwule Männer.«

»Vielleicht für solche wie dich«, antwortete Noah unüberhörbar frustriert.

Will zog die Augenbrauen zusammen, während er Noah musterte. Er war sich nicht sicher, ob er sich auf sein Aussehen oder seinen Lebensstil bezog. Aber wenn er raten sollte, würde er von Ersterem ausgehen, denn sein Leben war nichts, das der Rede wert gewesen wäre. Nur sah Noah nicht schlecht aus. Entsprechend war Will nicht sicher, woher seine Gereiztheit stammte. »Ich weiß nicht, ob ich dir folgen kann. Du könntest doch eine Menge…«

 

»Ich kann mir jemanden für eine Nacht suchen, klar. Aber es ist nie…«, begann Noah, unterbrach sich und murmelte schließlich: »Vielleicht für eine Mitleidsnummer.«

»Das ist ein bisschen weit hergeholt, oder?«, gab Will ungläubig zurück. Doch als Noah seinem Blick auswich und den Kiefer anspannte, fiel ihm zu erstem Mal auf, dass er heute ein normales T–Shirt und Jeans trug. Natürlich ordentlich gestärkt, wie frisch aus dem Katalog, aber üblicherweise trug er zur Arbeit ein farbiges Hemd und eine Stoffhose.

Und als Noah sich an der Schulter kratzte, verfing sich Wills Blick an seinem Hals dicht über dem Kragen. Dort wirkte seine Haut dicker und unter dem Ohr schien sie regelrecht aufgeworfen zu sein. Das war Will nie zuvor aufgefallen und auch jetzt konnte er es kaum erkennen, da Noahs dichtes Haar die Stelle verdeckte.

Eine Mitleidsnummer? In seinen Ohren klingelten Alarmglocken, als er erneut vorsichtig zu der Stelle schielte. Doch er wollte nicht dabei ertappt werden, wie er die ledrige Hautpartie an Noahs Hals anstarrte, die bis auf seine Schulter zu reichen schien. Litt Noah an einem Geburtsfehler oder hatte er eine Art Unfall gehabt?

»Ich meine, versteh mich nicht falsch…«, sagte Noah, doch Will konnte ihm dank seiner rasenden Gedanken kaum folgen. »Meine Familie hatte vor der Stonewall–Zeit auch Land in den Pines, bevor die Gegend bei Schwulen sogar noch beliebter wurde als Cherry Grove. Dort habe ich Tony kennengelernt und wir haben von unseren Sommern dort immer noch gemeinsame Freunde. Aber das ist lange her und seitdem… Ich würde lieber in der Stadt bleiben und mein eigenes Ding durchziehen. Aber eine Geburtstagsparty mit Antrag? Da kann ich nicht wegbleiben. Es ist zu wichtig, verstehst du?«

Noah hielt inne und wartete darauf, dass Will reagierte, doch ihm wirbelten zu viele Überlegungen durch den Kopf. Daher murmelte er nur etwas Zustimmendes und versuchte zu verarbeiten, was er bisher erfahren hatte. Noah hatte die Sommer mit seiner Familie auf Fire Island verbracht, daher waren sie vermutlich ziemlich wohlhabend. Dennoch arbeitete Noah im Einzelhandel und verdiente kaum mehr als den Mindestlohn. Irgendetwas musste vorgefallen sein. Er war sich nicht sicher, was. Aber aus irgendeinem Grund genoss es Noah nicht mehr, Zeit dort zu verbringen.

Und er ließ anklingen, dass andere Männer nur aus Mitleid mit ihm schliefen. Das spielte sicher auch eine Rolle, warum er einen Escort buchen wollte. Will konnte sich kaum vorstellen, dass dies derselbe gut gelaunte, unausstehliche Kerl sein sollte, mit dem er seit Monaten zusammen arbeitete. Er war das Sinnbild des klassischen Midtown–Typs, hatte jedoch offensichtlich einiges zu verbergen. Und galt das nicht für sie alle?

»Also was meinst du?«, fragte Noah plötzlich und riss ihn damit aus seinen schwerfälligen Gedanken. Er trommelte mit den Fingern auf den Tisch und Will bemerkte, dass er seinen Kaffee bisher kaum angerührt hatte. »Fällt dir jemand ein? Er muss nur so tun, als wäre er mein Date, und ich erwarte nur… na ja, ich weiß noch nicht. Die Details müssten wir noch besprechen. Fürs Erste wäre es schön, nicht allein dort hingehen zu müssen.«

Als Noah ihn über den Tisch hinweg aus seinen tiefblauen Augen offen und ernst anstarrte, ging Will auf, was für ein einfacher Auftrag dieses Wochenende eigentlich war. Wenigstens kannte er Noah bereits. Das wäre leicht verdientes Geld.

»Wie wäre es… Ich meine, wenn dich der Gedanke nicht zu sehr abstößt…« Will schluckte. Wollte er das wirklich vorschlagen? »Wie wäre es, wenn ich doch mit dir nach Fire Island fahren würde?«

Noah schüttelte den Kopf. »Tu das nicht, nur weil du Mitleid mit mir hast. Bitte.«

Will schlug das Herz bis zum Hals, als er Noahs flehenden Blick bemerkte.

Verdammt, er fühlte sich darunter wie der letzte Dreck. Und er konnte sich gut vorstellen, dass Noah bei anderen Gelegenheiten bereits etwas Ähnliches zu seinem Gegenüber gesagt hatte. Aber es ging nicht um Mitleid. Es ging um Mitgefühl. Verständnis. Auch in seinem Leben lief einiges richtig beschissen.

»Natürlich nicht«, sagte er heiser und versuchte, den Klumpen loszuwerden, der sich in seiner Kehle gebildet hatte. »Je mehr ich darüber nachdenke… Es wäre einfach leichter. Weil wir uns schon kennen, und jetzt weiß ich auch ungefähr, was du von deinem Escort brauchst.«

Noah starrte ihn lange an, als versuche er, in seinen Augen zu lesen. Dann langsam… sehr langsam streckte er Will die Hand entgegen. »Okay. Dann sind wir im Geschäft.«

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