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Kapitel Fünf

Noah

Noah fühlte sich bereits ruhiger als vor einer halben Stunde, als er Will auf einmal im selben Starbucks entdeckt hatte. Was zum Teufel war da los? Doch dann hatte er Will sein Herz ausgeschüttet. Es hatte sich herausgestellt, dass man mit Will besser reden konnte, als er es sich vorgestellt hatte. Sobald man seine unbeteiligte Fassade überwunden hatte, die eine Art Verteidigungswall darzustellen schien, ging etwas Beruhigendes von ihm aus, an dem sich Noah mit beiden Händen festhalten wollte.

Sobald sie ausgetrunken hatten, folgte er Will auf den überfüllten Bürgersteig. Dem Mann, der sich gerade einverstanden erklärt hatte, ihn als Escort zu einem Wochenende auf Fire Island zu begleiten. Heilige Scheiße.

»Was hast du heute noch vor?«, fragte er in erster Linie, um überhaupt etwas zu sagen. Aber er war auch ziemlich neugierig auf Wills Leben. Neugieriger als je zuvor.

Will wandte sich zu ihm um und schielte dann auf die Uhr seines Handys. »Ich wollte mir eigentlich Off–Broadway Revive anschauen, bei der ein paar alte Freunde von mir mitwirken.«

Noah wusste nicht, warum ihn das überraschte. »Cool. Ich habe viel Gutes über die Show gehört.«

Plötzlich leuchteten Wills Augen auf. »Hast du, äh, Interesse? Man hat mir zwei Karten zurückgelegt, falls ich einen Freund mitbringen will.«

Noah winkte ab. Er wollte bestimmt nicht, dass sich Will verpflichtet fühlte, von nun an netter zu ihm zu sein, nur weil sie eine Vereinbarung getroffen hatten. »Nein, schon gut. Normalerweise würdest du ja auch nicht mit mir rumhängen, also alles gut.«

Will biss sich auf die Unterlippe. Es sah aus, als überlege er, wie er sich ausdrücken sollte. »Aber… vielleicht sollten wir das? Es könnte uns helfen… natürlicher rüberzukommen.«

Noah sah ihm in die Augen, um herauszufinden, ob er vielleicht nur nett sein wollte. Aber es war ein gutes Argument. Wenn man am kommenden Wochenende den Eindruck bekam, dass sie die Gegenwart des anderen genossen, statt sich nur zu tolerieren, würde das einiges erleichtern. »Ja, in Ordnung. Gute Idee.«

»Dann lassen uns gehen.« Sie liefen zwei Blöcke bis zur U–Bahn, die sie zum Union Square bringen würde. Anfangs fühlte sich ihr Beisammensein merkwürdig an – wie bei zwei Menschen, die wegen eines gemeinsamen Ziels verbunden waren – und Noah dachte darüber nach, einen Rückzieher zu machen. Nur, wie sollte er sich je an Will gewöhnen, wenn er ihn nicht zumindest ein bisschen besser kannte?

Sobald sie wieder auf Straßenniveau waren, schlenderten sie über einen Bauernmarkt auf dem Platz. Die Sonne wärmte Noahs Haut und er dachte, dass sich der Tag doch als recht schön erwies. Er unternahm mal etwas anderes, etwas, das ihn aus seiner Komfortzone herausholte, aber das war nicht schlimm. Genau genommen hatte er sogar Spaß.

»Kommst du an den Wochenenden manchmal her?«, fragte Will und spähte über die Schulter zu einem Gemüsestand.

»Nee, normalerweise besuche ich einen gut sortierten Straßenmarkt, der näher an meiner Wohnung liegt… Jedenfalls wenn mir danach ist, mich durch Unmengen von Leuten zu schieben.«

»Wem sagst du das?«, erwiderte Will. »In der Stadt gibt es natürlich nicht viele Orte, an denen es nicht voll ist.«

»Stimmt. Ich würde am Wochenende abends nicht mal gegen Bezahlung über den Times Square gehen.«

»Es sei denn, es geht um eine Vorstellung«, fügte Will mit einem Funkeln im Blick hinzu.

Das Theater bedeutete ihm etwas und nun waren sie auf dem Weg, sich eine Produktion mit alten Freunden anzuschauen, die offensichtlich Karten für ihn zurückgelegt hatten. War er hauptberuflich am Theater oder hatte er nur Freude an den Produktionen? Noahs Interesse war definitiv geweckt.

Vor der Kasse war eine kurze Schlange, aber es ging rasch voran. Sobald sie hineingingen, fiel Noah auf, wie klein das Theater war. Typisch für diese Art Produktion.

Off–Broadway–Shows waren nicht gut besucht, solange sie kein überragender Erfolg waren, und Noah fragte sich, ob einer der Gründe die Werbung war. Aber von diesem Stück hatte er bereits gehört: Es hatte in den letzten Monaten einiges an Aufmerksamkeit bekommen. Auch wenn es angesichts des Theaters, in dem offensichtlich weniger als hundert Menschen Platz fanden, vermutlich eher als Off–Off–Broadway–Show angesehen wurde.

Als Noah von allen Menschen auf der Welt ausgerechnet mit Will mittig vor der Bühne Platz nahm – oder sollte er ihn Max nennen? –, war er immer noch erschüttert, dass ihn im Starbucks von allen möglichen Alternativen ausgerechnet sein Kollege erwartet hatte. Wie naiv war es gewesen, davon auszugehen, dass Will seinen richtigen Namen verwendete? Noah hatte sich diesen Tag ganz anders vorgestellt, war aber dennoch angenehm überrascht.

In gewisser Hinsicht war es ein Trost, dass er mit Will auf jemanden gestoßen war, den er bereits kannte, statt auf einen Irren oder potenziellen Serienmörder. Nicht, dass Escort–Agenturen Serienmörder engagierten. Und diese Überlegung brachte Noah auf einmal dazu, den Job aus Wills Blickwinkel zu betrachten. Ob ihm seine Seite des Ganzen ebenso bedrohlich erschien?

Noah wollte ihm reihenweise Fragen stellen, aber bevor er dazu kam, hob sich der Vorhang und das Stück begann. Und es war fesselnd. Unterhaltsam. Noah begriff, warum diese Low–Budget–Produktion so viel Aufmerksamkeit bekam. Er wünschte nur, sie hätte sowohl mehr Besucher als auch Unterstützung. Er wusste, dass Schauspieler hart arbeiteten, aber dennoch einen zweiten Job brauchten, um über die Runden zu kommen. Nun verstand er ein wenig besser, warum.

Als 90 Minuten später das Licht anging, wandte Will sich Noah lächelnd zu. »Hat es dir gefallen?«, fragte er mit verträumtem Blick. Noah hatte den Eindruck, dass ihn das Theaterlicht auf besondere Weise zum Strahlen brachte.

»Es war fantastisch«, antwortete er. »Danke für die Einladung.«

»Klar, gern«, gab Will zurück, stand auf und zog sein Hemd glatt. »Sie liefern eindeutig eine gute Show.«

Plötzlich winkte Will. Der Hauptdarsteller der Vorführung schaute hinter dem Vorhang hervor und deutete auf sie. »Das ist mein Freund. Hast du etwas dagegen, kurz in den Backstage–Bereich zu gehen?«

»Ganz und gar nicht.« Noah war noch nie hinter einer Bühne gewesen und er fand es ziemlich faszinierend, als sie an Kulissen und Beleuchtung entlang durch den engen Flur zu den Garderoben gingen. Ein paar der Bühnenassistenten begrüßten Will oder klopften ihm auf den Rücken, als würden sie ihn gut kennen.

Will klopfte behutsam an die Tür der Hauptgarderobe und als ein Herein ertönte, traten sie ein.

Der Star der Produktion – ein gut aussehender, brünetter Typ mit nettem Lächeln – umarmte Will auf eine Weise, die ein wenig zu innig für eine freundschaftliche Geste zu sein schien. Hatten die beiden eine Vergangenheit?

»Schön dich zu sehen«, sagte der Schauspieler und plötzlich hatte Noah den Eindruck, dass er störte. Also hielt er sich zurück. »Wir vermissen dich hier.«

»Ich vermisse es manchmal auch«, erwiderte Will, als er sich aus der engen Umarmung löste. »Das Stück ist immer noch so großartig wie eh und je.«

Als der Schauspieler Will über die Schulter sah, drehte dieser sich um, als wäre ihm plötzlich wieder eingefallen, dass er Noah mitgenommen hatte. »Len, das ist mein… Kollege Noah.«

Noah trat vor, um ihm die Hand zu schütteln. »Schön dich kennenzulernen. War eine tolle Vorführung.«

»Danke, dass du da warst«, antwortete Len, aber dann glitt sein Blick wieder zu Will. Offenbar hatten sie sich viel zu erzählen. Daher hörte Noah aus einigem Abstand zu, wie sie über Beleuchtung, Kulissen und Schauspieler sprachen, die sie beide kannten. Er sah sich inzwischen in der winzigen Garderobe, die etwas chaotisch und vollgestopft war, um. Er konnte nicht anders, als sich… so vieles zu fragen. Will stellte sich mehr und mehr als Mysterium heraus und Noah war plötzlich froh, dass er die Gelegenheit gehabt hatte, einen Nachmittag mit ihm zu verbringen.

Auf dem Rückweg gingen sie erneut über den Bauernmarkt, wobei Will verkündete, dass er verhungere. Daher kaufte er Äpfel und Weintrauben, während Noah ihnen knuspriges Brot und Käse besorgte. Anschließend setzten sie sich mit ihrem improvisierten Picknick auf eine Bank.

»Frag ruhig«, sagte Will, nachdem er einen Bissen von seinem Granny Smith genommen hatte. Der Saft rann ihm übers Kinn. »Ich weiß, dass du es willst.«

Noah schnitt mit einem Kunststoffmesser ein Stück Käse für Will ab. »Was meinst du?«

Will deutete in Richtung Theater. »Warum ich aufgehört habe. Warum ich als Escort arbeite. Stimmt's?«

»Na ja, nun, da du es erwähnst…« Noah zuckte mit den Achseln und spürte, dass seine Wangen rot wurden. »Ich hatte den Eindruck, dass Len und du irgendwie eine Geschichte habt. Als wäre er vielleicht dein Ex?«

Will hörte auf zu kauen und fuhr sich übers Kinn. »So offensichtlich, ja?«

»Es war nicht so schwer, darauf zu kommen«, sagte Noah, während er nach einer Traube griff.

»Wir haben uns letztes Jahr getrennt. Es funktionierte einfach nicht zwischen uns und ich hatte sowieso eine Menge Familienscheiß um die Ohren. Zu dem Zeitpunkt habe ich auch entschieden, vom Theater wegzugehen. Ein sauberer Schnitt, ein neuer Anfang«, erzählte Will, und als Noah nur die Brauen hob, fuhr er fort. »Ich verdiene deutlich mehr und was den Laden angeht, habe ich einen geregelteren Schichtplan.«

Noah kaute nickend an einem Stück Brot, während er über Wills Worte nachdachte. »Hast du deinen Traum aufgegeben?«, fragte er schließlich.

Will sog zittrig die Luft ein. »Da bin ich mir noch nicht so sicher. Fürs Erste ist es eine Pause… während ich ein paar andere Sachen in Ordnung bringe.«

 

Sie schwiegen eine Weile, jeder in seinen Gedanken verloren. Noah sah stur geradeaus und beobachtete einen Jongleur, der nah der Straßenecke seine Kunststücke zeigte und vor sich einen Hut für Spenden von Passanten hingelegt hatte.

»Gefällt sie dir wenigstens? Die Arbeit als Escort?« Noah druckste etwas herum, als er fragte, nicht sicher, ob er damit eine Grenze überschritten hatte. Doch sie waren im Café so offen miteinander gewesen, warum also jetzt damit aufhören? Es war wirklich erfrischend. Keine Erwartungen, nur die Wahrheit.

Will zuckte mit den Schultern. »Manchmal. Irgendwie ist das auch Schauspielerei – man spielt eine Rolle. Das hilft mir, andere Teile meines Gehirns zum Schweigen zu bringen.«

Scheiße, an diese Schauspielkiste hatte Noah gar nicht gedacht, aber es ergab Sinn. Sein Bauch verkrampfte sich und er fragte sich, ob Will ihm ebenfalls eine Performance liefern würde.

»Sorgst du dich je um deine Sicherheit?« Die Frage rutschte ihm heraus, bevor er sich bremsen konnte.

Will drehte sich auf seinem Platz zur Seite und zog die Nase kraus. »Hast du vor, mit einem Messer vor mir herumzufuchteln? Mir zu drohen, mich abzustechen, wenn ich dir keinen blase?«

Heilige Scheiße. Noah lief puterrot an und erstickte allein bei der Erwähnung, dass etwas Körperliches zwischen ihnen geschehen könnte, beinahe an einer Weintraube.

»Ich zieh dich nur auf.« Will lachte leise, dann stand er auf und reckte sich. »Ich muss nach Hause. Aber ich gehe mit dir zur U–Bahn-Station.«

Unterwegs warfen sie ihren Abfall fort. Sobald die Treppe hinter ihnen lag, mussten sie in unterschiedliche Richtungen gehen.

»Ich muss hier entlang.« Will deutete auf das Gleis Richtung Downtown. »Wir sehen uns auf der Arbeit.«

»Klingt gut«, sagte Noah. »Und… danke noch mal.«

Aber seltsamerweise war er noch nicht bereit, sich zu trennen. Was, wenn Will Fragen hatte? Was, wenn sie noch etwas besprechen mussten?

Noah wollte gehen, doch dann blieb er stehen und rief Will über die Schulter zurück. »He, warte mal!« Es war doch wohl normal, ihre Nummern auszutauschen, oder?

Er zog sein Handy hervor und trat dichter an Will heran, damit die anderen Passanten an ihnen vorbeigehen konnten. »Falls sich irgendetwas ändert und du vor dem Wochenende Fragen hast, lass es mich wissen. Ansonsten treffen wir uns an der Penn Station. Dann können wir zusammen nach Long Island fahren.«

»Gute Idee. Es könnte ein bisschen auffällig sein, das auf der Arbeit zu erledigen.«

Nachdem sie rasch ihre Nummern ausgetauscht hatten, gingen sie ihrer Wege. Noah war sowohl für die Wende der Ereignisse als auch für den netten Nachmittag dankbar. Beides war unerwartet gewesen und auf dem Heimweg konnte er nicht anders, als die ganze Zeit über zu pfeifen, während er an das Wochenende auf Fire Island dachte. Vielleicht freute er sich sogar darauf.

Kapitel Sechs

Will

Will fand die Wochen vor der Party auf Fire Island irgendwie surreal. Auch wenn er mehrfach dieselbe Schicht wie Noah hatte, sprachen sie im Verkaufsbereich nicht viel miteinander und sahen sich auch nicht großartig an. Ein paar Mal erwischte er Noah dabei, dass er ihn anstarrte, bevor er schnell wieder wegsah. Aber Will machte sich in dieser Hinsicht ebenfalls schuldig.

Er entdeckte keine weiteren Narben an Noah, besonders, da sein Kragen und Haar die Stellen allzu gut bedeckten, aber er konnte dennoch nicht anders, als ihn näher zu betrachten. Noah war derselbe fröhliche, selbstsichere Verkäufer wie zuvor. Sein Stil unterschied sich von Wills, das war mal sicher, und deshalb hatte Will ihn als ein bisschen fies empfunden. Noah begrüßte Kunden fröhlich, sobald sie Home and Hearth betraten, während Will sich zurückhielt und es den Kunden ermöglichte, erst einmal die Lage zu sondieren, bevor er sich ihnen näherte.

Zweifelsohne war Noah der beste Verkäufer im Team und vermutlich auf der Überholspur Richtung Management unterwegs. Will war mit seinen durchschnittlichen Verkäufen zufrieden – dies war schließlich nicht seine Leidenschaft. Solange er seine Arbeit größtenteils gern erledigte und regelmäßig sein Gehalt bekam, reichte ihm das.

Er war sich nicht sicher, wie ihr gemeinsames Wochenende verlaufen würde und ob er Noah anschließend noch mehr aus dem Weg gehen würde. Warum hatte Will sich überhaupt für die Buchung entschieden? Um Gottes willen, sie waren Kollegen, und in ein paar Tagen würden sie durch eine Überweisung vertraglich aneinander gebunden sein.

Doch Noah hatte an jenem Tag im Café so verwundbar ausgesehen und Will hatte instinktiv das Bedürfnis gehabt, ihm zu helfen. Ihn vielleicht sogar zu beschützen. Aber, um ehrlich zu sein, drehte sich ihm bei der Vorstellung, Noah einen anderen Escort zu empfehlen, der Magen um. Abgesehen davon wurde er dafür bezahlt, ein ganzes Wochenende auf Fire Island zu verbringen, wenn sie Glück hatten, bei perfektem Strandwetter.

Sie hatten sich beide dieselben Tage freigenommen, aber da sie nur selten miteinander zu tun hatten, hatte niemand auch nur mit der Wimper gezuckt. Unabhängig davon war es seit seiner Einstellung das erste Mal gewesen, dass er darum gebeten hatte, seine Schichten anzupassen. Daher war die Geschäftsführerin entspannt damit umgegangen.

Will und Noah mochten im Laden nicht viel miteinander reden, aber jenseits davon lagen die Dinge anders. Sie schrieben sich von Zeit zu Zeit und stellten sich Fragen, die das Wochenende betrafen. Will hatte an dem Nachmittag mit Noah auf dem Union Square Spaß gehabt. Daher fühlte es sich fast natürlich an, sich mit ihm abzusprechen.

Vielleicht waren sie mutiger, wenn sie sich nicht gegenüberstanden.

Also, was soll ich anziehen?, fragte Will eines Abends, als er schon im Bett lag. Wird das eine formelle Angelegenheit?

Nee, die Partys sind normalerweise ziemlich lässig. Die meisten tragen Shorts und Badesachen.

Cool. Und wie sieht es mit den Schlafgelegenheiten aus?

Es folgte eine lange Pause, die in Will die Frage weckte, ob er Noah durcheinandergebracht hatte.

Äh, ich bin mir nicht sicher. Ich habe im Strandhaus immer in demselben Schlafzimmer im ersten Stock übernachtet. Ich vermute, dieses Mal wird es genauso sein. Aber hey, wenn du lieber ins Hotel möchtest oder gern ein eigenes Zimmer hättest, ist das total in Ordnung.

Er konnte fast vor sich sehen, dass Noah ebenso rot anlief wie im Starbucks. Ganz anders, als er sich im Verkauf verhielt.

Keine Sorge! Ich soll so tun, als wären wir zusammen, weißt du noch?

Gott, das ist so dämlich. Es tut mir leid, dass ich dich unter Zugzwang gesetzt habe.

Tief durchatmen. Solange du nicht furchtbar schnarchst: Ich habe schon mit vielen Freunden in einem Bett geschlafen. Das klappt schon.

Zum ersten Mal fragte sich Will ernsthaft, was Noah sich abseits von Gesellschaft von diesem Geschäft wünschte. Er ging stark davon aus, dass es nicht körperlich werden würde, womit er vollkommen einverstanden war. Es war nicht nötig, diese Geschichte komplizierter zu machen, als sie ohnehin schon war, besonders auf der Arbeit.

Abgesehen davon hatte Noah ernsthaft entsetzt gewirkt, als Will ihn auf dem Bauernmarkt aufgezogen hatte.

In Ordnung. Lass es mich nur wissen, wenn sich etwas für dich… merkwürdig oder unangenehm anfühlt.

Wie wäre es, wenn wir den Dingen einfach ihren natürlichen Gang lassen? Denken wir nicht zu viel darüber nach. Und vergiss nicht, ich mache das schon eine Weile und ich bin ziemlich gut darin.

Aufleuchtende Punkte verrieten Will, dass Noah schrieb, aber seine kurze Nachricht passte nicht zu der Zeit, die er dafür benötigt hatte.

Okay… und danke noch mal.

Will schrieb das Noahs Nervenkostüm zu, was vermutlich bedeutete, dass es eine gute Idee wäre, sich noch etwas aneinander zu gewöhnen.

Als der Laden am folgenden Sonntag früher als üblich schloss, gingen Noah und er gleichzeitig hinter Kara, ihrer Managerin, nach draußen. Nachdem sie sich von ihr verabschiedet hatten, wandte Will sich an Noah, der es betont langsam angehen ließ. Vielleicht war er zu derselben Ansicht wie Will gelangt.

»Willst du direkt nach Hause?«, fragte Will.

»Ja, ich wollte mir was zu essen holen und dann meine Wohnung putzen«, sagte Noah. Er rümpfte die Nase, als handele es sich um eine unangenehme Aufgabe, was komplett dem Bild widersprach, das sich Will früher von Noah gemacht hatte. Er hatte sich seine Wohnung immer als makellos sauber und aufgeräumt vorgestellt. Aber das ging wieder zulasten seiner Vorurteile. Abgesehen davon konnte man durchaus ein nettes Zuhause haben und trotzdem nicht gern putzen. Wer hatte schon ernsthaft Spaß daran, eine Toilette zu schrubben?

»Hallo, Jungs«, sprach ihre Kollegin Samantha sie an und erschreckte sie damit. Sie musste in den Bagelladen gegangen sein, um sich den Becher dampfenden Kaffee zu holen, von dem sie gerade trank. Sie sah schuldbewusst von einem zum anderen, als ob sie ihr Gespräch unterbrochen hätte, und wünschte ihnen dann abrupt einen schönen Abend.

Noah musste es ebenfalls aufgefallen sein, denn er rief ihr nach. »Was hast du heute Abend vor?«

Sie drehte sich lächelnd um. »Mich mit meinem Freund in SoHo zum Essen treffen.«

»Viel Spaß«, antwortete Noah, als sie zur U–Bahn lief. Als er sich wieder an Will wandte, stieß er die Luft aus. »Also, was meinst du?«

Vielleicht war das doch eine schlechte Idee. Nur warum sollten sie sich nicht miteinander unterhalten? Sie waren Kollegen, verdammt noch mal. »Ich habe Lust auf Teigtaschen von Veng's. Hast du Lust mitzukommen, damit ich dir weitere Fragen stellen kann? Wir können die A nehmen und von da zur 34. laufen.«

Noah riss die Augen auf und schluckte mühsam. Für den Bruchteil einer Sekunde war Will überzeugt, dass Noah ihn abweisen würde, und er wollte sich schon für den Vorschlag treten.

Dann schielte Noah zur nahen Straßenkreuzung. »Klar. Gehen wir zu Fuß?«

Erleichterung durchflutete Will. »Perfekt.«

Er hatte an diesem Abend nichts vor und seine Mom war mit einem Freund essen gegangen, der sie alle paar Wochen besuchte. Insofern hatte Will ein paar Stunden Zeit, selbst wenn er zu Hause die Toilette hätte putzen können. Aber wie spannend war das schon? Er hatte neben seinen beiden Jobs schon genug zu erledigen und er hasste es, zu viele Abende hintereinander unterwegs zu sein, für den Fall, dass seine Mom in ihrer Wohnung durchdrehte. Es fühlte sich einfach besser an, wenn er vor Ort nach ihr sehen konnte – was dafür sorgte, dass er wegen des Wochenendes auf Fire Island reichlich nervös war. Außerdem: Je mehr er wusste, desto besser.

Sie hielten Small Talk, als sie sich über die volle Straße vom Rockefeller Center entfernten.

»Also, stell mir mal deine Fragen«, sagte Noah, sobald sie zwischen sich etwas mehr Platz auf dem Bürgersteig hatten.

»Magst du mir von deinen Freunden erzählen, die ich nächstes Wochenende kennenlernen werde?«

»Gute Idee.« Sie übersahen beinahe ein Taxi, das über die überlaufene Kreuzung schleuderte, und Will wunderte sich, dass es nicht zu mehr Unfällen kam. »Wie gesagt kenne ich Tony mein ganzes Leben lang. Ein totaler Playboy, bis er Matt kennengelernt hat.«

»Den Mann, dem er den Antrag machen wird?«, fragte Will.

»Genau.« Noah nickte. »Er hat sich Hals über Kopf in ihn verliebt und ich muss zugeben, dass sie perfekt füreinander sind.«

»Cool«, sagte Will. Am Rande fragte er sich, wie viele Beziehungen Noah über die Jahre gehabt hatte; besonders, wenn man überlegte, wie er jetzt über sein Liebesleben sprach. »Also… Deine Freunde werden uns Fragen stellen, wie wir uns kennengelernt haben.«

»Mist. Darüber habe ich gar nicht nachgedacht.« Noah holte ein paarmal kontrolliert Luft, als wollte er sich beruhigen. »Du bist gut hierbei.«

Nun war Will froh, dass er Noah gefragt hatte, ob er ihn begleiten wolle. Er war nervöser, als Will anfangs vermutet hatte.

Er lachte leise. »Es hilft eindeutig, wenn man sich abgesprochen hat. Erst recht, wenn man eine Veranstaltung mit anderen Leuten besucht«, erklärte er. »Wenn es nur um den Kunden und mich geht, ist das natürlich egal.«

Noah strauchelte beim Gehen. »Moment mal, also bist du manchmal auch mit demjenigen allein?«

»Nun, ja«, erwiderte Will behutsam. Es kam ihm vor, als sollte er vorsichtig sein, um Noah mit seinen folgenden Worten nicht abzuschrecken. »Manchmal möchte meine Kundschaft nur… Gesellschaft.«

 

»Ja, okay. Das ergibt Sinn«, sagte Noah. Dann brachten sie schweigend ein oder zwei Blocks hinter sich. Will überlegte, worüber zum Teufel Noah wohl grübelte. Verglich er sich mit Wills anderer Kundschaft oder dachte er über das kommende Wochenende nach?

»Macht dir das zu schaffen?«, fragte Will schließlich. Wahrscheinlich war es besser, offen darüber zu reden.

»Ich denke nicht?«, antwortete Noah, als wäre er sich nicht sicher. »Das sind nur Sachen, über die ich vorher nicht nachgedacht habe. Und abgesehen davon geht's mir im Grunde ja um dasselbe.«

»Stimmt«, entgegnete Will vorsichtig. »Gesellschaft, die dir durch eine unangenehme Situation hilft.«

Eine gewisse Schwere lag zwischen ihnen in der Luft, als sie in die Park Avenue abbogen.

»Wäre es dumm, einfach zu behaupten, dass wir uns auf der Arbeit kennengelernt haben?« Noah schien angestrengt nachzudenken. »Das würde zumindest stimmen.«

Will sah nachdenklich in die Ferne. »Es ist nicht dumm, aber… langweilig. Wenn wir schon eine Show abziehen, können wir auch aufs Ganze gehen.«

Noah fuhr zusammen. »Inwiefern aufs Ganze?«

»Lass mich mal nachdenken.« Will grinste teuflisch. »Vielleicht so eine Schicksalskiste wie in romantischen Komödien. Unsere Blicke sind sich quer durch den Raum begegnet, irgendwie so was. Denn, warum nicht?«

Noah schüttelte den Kopf, als würde die Idee ihn abstoßen, auch wenn Will nur versucht hatte, die Stimmung aufzulockern. »Keine Chance, dass sie uns das abkaufen würden«, spottete er. »Ich würde es jedenfalls nicht.«

»Was? Bist du in deinem Herzen etwa kein Romantiker?«, zog Will ihn auf.

»Verdammt, nein«, antwortete Noah und verdrehte die Augen. »Ich bin unübersehbar Realist.«

»Oh, wie gut ich das verstehe«, stimmte Will ihm zu und klatschte ihn mit der Faust ab.

»Also bleiben wir bei der Arbeitsversion?«, fragte Noah.

»In Ordnung. Ich habe in erster Linie rumgeblödelt.«

»Oh. Verstehe.« Noahs Wangen wurden rot und aus irgendeinem Grund fand Will das süß. »Okay.«

Nachdem sie bei Veng's ihr Essen geholt hatten, gingen sie mit ihrer Tasche über die Straße in einen winzigen Park. Dort setzten sie sich auf eine Bank und aßen.

»Das sind die besten Teigtaschen, die ich je in der ganzen Stadt gegessen habe.«

»Hab's dir ja gesagt«, sagte Will und wischte sich mit einer Serviette den Mund ab. »Danke fürs Mitkommen.«

»Gern geschehen«, gab Noah zurück und lächelte schüchtern, während er sich weitere Sesamsoße nahm.

Sobald sie satt waren, stand Noah auf, um die leeren Verpackungen wegzuwerfen. Wills Handy kündigte eine Nachricht seiner Mutter an. Ich bin zu Hause, Schatz.

Das war sein Signal zum Aufbruch. Er schrieb zurück: Bin bald da.

»Tja, ich gehe besser«, sagte Will im Aufstehen und reckte sich. Er war überraschend enttäuscht. Mit Noah abzuhängen, war eine nette Abwechslung von seiner üblichen Routine gewesen.

»Ja, ich auch«, sagte Noah, als sie zur nächsten U–Bahn–Station liefen. »Schreib mir, falls dir vor dem Wochenende noch irgendetwas einfällt.«

***

Ein paar Abende später verließ Will halbwegs früh das Home and Hearth und nahm auf dem Heimweg Essen aus dem Lieblings–Thairestaurant seiner Mom im East Village mit.

»Hey, Ma«, sagte er, als er durch die Tür kam, und hielt die Tasche hoch. Sie saß auf der Couch und sah sich eine ihrer bevorzugten Reality Shows an, die Hausfrauen verschiedener Städte vorstellte. Sie wirkte ruhig und zufrieden, auch wenn sie noch ihren Morgenmantel trug.

Nachdem sie Will geholfen hatte, die Behälter aus der Tasche zu nehmen, und er Gabeln und Teller aus der Küche geholt, klopfte sie neben sich aufs Polster. »Komm, setz dich zu mir. Zwischen den beiden fängt gleich die Schlammschlacht an.«

Will starrte auf den Bildschirm, der zwei Frauen zeigte, die sich anzuschreien begannen. »Ich weiß nicht, wie du die Streitereien ertragen kannst.«

Seine Mom kicherte. »Manchmal hilft es mir, mich daran zu erinnern, dass mein Leben dagegen ziemlich ruhig ist.«

»Ich verstehe, was du meinst«, antwortete Will und küsste sie auf die Wange. Sein Herz schlug schneller, als ihm aufging, dass dank der letzten Anpassung der Medikamente durch den Psychiater wirklich ein paar ruhigere Monate hinter ihnen lagen. Es hatte ein paar dubiose Abende gegeben, an denen sie nicht ganz sie selbst zu sein schien, aber dann hatte sie sich immer wieder gefangen.

»Denk daran, dieses Wochenende bin ich nicht da.«

Sie schielte ihn von der Seite an. »Sagst du mir noch mal, wo du hinwillst?«

»Zu einer Party auf Fire Island«, antwortete er. »Mit meinem Freund Noah. Er ist ein Kollege von mir.«

»Noah? Warum habe ich nie zuvor von ihm gehört?«

Will versteifte sich bei dieser Frage. »Er ist eine neuere Bekanntschaft.«

»Oh, das ist schön, Schatz. Du arbeitest sowieso zu viel. Eine Auszeit wird dir guttun«, sagte sie, bevor sie über etwas im Fernsehen lachte.

»Jedenfalls fahre ich morgens los«, erinnerte er sie erneut. Dann stand er auf, um ihre Teller abzuräumen.

»Klingt lustig. Und auch so, als könnte es ein bisschen schicker werden. Hast du etwas Nettes anzuziehen?«

»Ja, ich glaube, ich bin versorgt«, erwiderte er, während er gedankenverloren die Teller abwusch. Danach setzte er sich wieder zu ihr, um ihr während der Show ein bisschen Gesellschaft zu leisten.

Er konnte sich nicht erinnern, was er vor der Schlafenszeit sonst noch tat, so sehr war er gedanklich bei den Plänen fürs Wochenende.

Als es Morgen wurde, fühlte sich Will, als hätte er sich die ganze Nacht lang von einer Seite auf die andere gewälzt und die Nervosität war wieder da. In erster Linie, weil er seine Mom allein lassen musste. Er hätte Oren aufsuchen und sich einen Tee holen sollen, aber er hatte zu viel Sorge gehabt, dass er ihm das Herz ausschütten und sich die Sache vielleicht sogar ausreden lassen könnte.

»Denk daran«, sagte er, als seine Mom im Morgenmantel an der Arbeitsplatte stand und sich eine Tasse Kaffee einschenkte. »Du kannst mir immer schreiben oder mich anrufen.«

»Du machst dir zu viele Sorgen«, sagte sie gähnend. Dann tätschelte sie ihm die Wange. »Du bist ein guter Sohn, William. Ich wünschte, du würdest jemand Netten finden, der dich glücklich macht.«

Sein Herz schlug hart in seiner Brust. Manchmal wurde er wütend auf sie, besonders, wenn sie zu sorglos mit ihren Medikamenten umging. Aber verdammt, das Schicksal hatte ihr wirklich miese Karten zugespielt. Sie war ihm immer eine gute Mutter gewesen und selbst wenn sie an Wahnvorstellungen gelitten hatte, hatte sie immer nur sich selbst geschadet. Wenn sie auf der Straße herumlief oder sich in vermeintlichen Bunkern versteckte, weil die Regierung hinter ihr her sei, brachte sie sich selbst in Gefahr. Will hatte dann ständig Angst, dass sie vor ein Auto lief oder jemand wütend genug auf sie werden könnte, um sie zusammenzuschlagen und halb tot liegen zu lassen.

»Du machst mich glücklich. Das ist für den Moment alles, was ich brauche.«

Will verließ die Wohnung und ging ins Erdgeschoss, um an die Tür des Hausmeisters zu klopfen. Das Gebäude gehörte einem älteren Paar, das sich seiner Mom gegenüber sehr anständig verhalten hatte – und solange er ihnen einen kleinen Bonus auf die Miete zahlte, war alles gut. »Ich wollte Sie nur daran erinnern, dass ich das ganze Wochenende weg sein werde.«

Mr. Wilkens lächelte. »Genießen Sie es. Es wird ihr gut gehen. Meine Frau wird ein paarmal nach ihr sehen.«

Will nickte. »Sie haben immer noch meine Nummer…?«

»Ja, natürlich. Abgespeichert in meinem Telefon«, sagte er etwas strenger. »Gehen Sie jetzt. Sie verdienen es, ein wenig Spaß zu haben.«

Um sicherzugehen, reichte Will ihm zusätzlich einen 20er.

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