Von Arsen bis Zielfahndung

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Das Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom

Außerdem gibt es bei Frauen einen seltenen psychischen Defekt, für den die Psychologen den Lügenbaron Münchhausen bemühen. Beim Münchhausen-Syndrom täuschen Menschen Krankheiten vor, um die Aufmerksamkeit der Familie und der Ärzte zu erringen. Beim Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom nehmen Sorgeberechtigte, meist Mütter, ihre Kinder dafür. Sie vergiften sie mit Medikamenten, brechen ihnen die Knochen, behaupten, sie hätten epileptische Anfälle, schleppen sie zu Ärzten und sorgen dafür, dass sie ins Krankenhaus kommen. Im Krankenhaus kümmern sie sich rührend. Doch wenn niemand hinschaut, drücken sie dem Kind den Hals zu oder ein Kissen aufs Gesicht und alarmieren Krankenschwestern und Ärzte. Ein gewisser, nicht genau bekannter Prozentsatz der Kinder (zwischen 5 und 35 Prozent) stirbt an den Misshandlungen.

Nach derzeit geltender Auffassung gehören diese Frauen zu den intelligenteren, haben sich früher selbst verletzt (Borderline), sind oft Krankenschwestern gewesen und suchen jetzt dringend Aufmerksamkeit. Sie finden sie bei Ärzten und Krankenschwestern. Sie erscheinen als aufopferungsvolle und perfekte Mütter.

Das Krankheitsbild gehört zu den gruseligsten und darum reizvollsten Misstrauenserklärungen gegen unsere Mütter. Erfunden hat das Syndrom ein britischer Kindermediziner in den siebziger Jahren. Als Gerichtsgutachter vermutete er in den folgenden Jahrzehnten praktisch hinter jedem plötzlichen Kindstod eine mordende Mutter. Über 300 Mütter wurden verurteilt, bis ein Fehler in der Wahrscheinlichkeitsrechnung des Mediziners die britische Justiz zur Neuauflage der Prozesse zwang und etliche Mütter wieder freigelassen werden mussten. Der Arzt ist zwar inzwischen rehabilitiert und geadelt, aber noch immer hat die Diagnose Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom etwas von Verfolgungswahn. In Deutschland ist sie derzeit bei ­Jugendämtern eine relativ beliebte und unverhältnismäßig oft vorkommende Begründung, um Müttern Kinder wegzunehmen und bei Pflegefamilien in Obhut zu stecken.

Die Erkrankung ist aber eigentlich sehr selten. Nur schätzungsweise ein Kind von einer Million dürfte betroffen sein. Es ist allerdings schwierig, einer solchen Mutter in dem Labyrinth von Lügen auf die Spur zu kommen. In deutschen Krankenhäusern kann man nicht einfach die Krankenzimmer von Kindern mit ihren aufopferungsvollen Müttern mit Kameras überwachen. Es gibt auch bereits erste Krimis, die das Phänomen behandeln, zum Beispiel Spur ins Nichts aus der Serie Hautnah. Die Methode Hill (ZDF, 1.3.2009, original GB).

Das Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom wird auch bei Krankenschwestern diagnostiziert, die Kinder töten. Sie werden von der Umgebung als besonders engagiert, zuverlässig und aufopferungsvoll in ihrem unermüdlichen Einsatz für die Kinder erlebt.

1984 wird in Texas eine Krankenschwester zu 25 Jahren Haft verurteilt, die vermutlich mehr als 30 Kinder mit Suxamethonium, dem künstlichen Kurare, umgebracht hat. Sie war derartig fasziniert davon, Babys nach einem plötzlichen Herzstillstand wiederzubeleben, dass sie begann, ihnen dieses Mittel zu injizieren, um das Glück zu erleben, sie zu retten. Bei ihr wird das Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom diagnostiziert. Ob zu Recht oder zu Unrecht, bleibt dahingestellt.

Neonatizid

Wenn Mütter soeben geborene Kinder töten oder sterben lassen und in Blumentöpfen auf dem Balkon vergraben oder in Mülleimern entsorgen, reagieren wir mit besonderem Unverständnis. Denn heutzutage werden Mütter nichtehelicher Kinder gesellschaftlich nicht angeprangert, nicht einmal geächtet. Es gibt keinen äußeren Grund, ein Neugeborenes zu töten. In China oder Indien dagegen ist das Töten weiblicher Feten oder Neu­geborener eine Art Geburtenkontrolle.

Die emotionale Ausstattung von Frauen, die so etwas tun, ist dürftig. Sie sind sozial ausgegrenzt, intellektuell minderbemittelt oder schwerst psychisch krank. Ihnen sind die Organe, Behörden und offiziellen Einrichtungen des Staates, einschließlich der Gesundheitssysteme, fremd. Sie sind unfähig, Probleme zu erkennen, anzunehmen und zu lösen, und sie haben wirkungsvolle Strategien, die Realität zu verdrängen und ihr auszuweichen. Meistens sind sie suchtkrank. Eine wirklich vernünftige Erklärung gibt es in der deutschen Gesellschaft für Kindsmord nicht.

Unbemerkte Schwangerschaft

Besonderes Kopfschütteln löst es bei uns aus, wenn solche Frauen erklären, sie hätten ihre Schwangerschaft nicht bemerkt. Das hingegen passiert – zumindest in den ersten Schwangerschaftsmonaten – häufiger, als man denkt. Manche Frauen haben durchaus noch Blutungen, nehmen zunächst auch kaum zu und entwickeln, wenn sie zunehmen, nicht den typischen Babybauch. Um eine Schwangerschaft bis zum Augenblick der Geburt nicht zu bemerken, muss frau nicht unbedingt eine große Verdrängungskünstlerin sein. Wenn sie übergewichtig ist, unregelmäßige Blutungen hatte und der Mutterkuchen im Bauch so liegt, dass sie die Kindsbewegungen nicht oder erst sehr spät spüren kann, dann werden Kindsbewegungen eben als Blähungen gedeutet. Und wenn eine Dicke über Monate einige Kilos zunimmt, wundert sich auch niemand. Die Blutungen, die während dieser Schwangerschaft auftreten, sind dann übrigens keine Regelblutungen mehr, sondern Blutungen infolge der Lage des Mutterkuchens oder Entzündungen.

Triebtäter

Wiederum brauchen wir uns gar nicht um die Motivierung einer Tat zu kümmern, wenn wir eine krankhafte Lust am Töten annehmen. Aber auch Triebtäter sind weder Mordbuben ohne Hemmungen oder Gewissensbisse, noch sind sie die Intelligenzbestien, als die wir sie aus dem Schweigen der Lämmer (Film 1991) kennen. Triebtäter fühlen sich getrieben, sie stehen subjektiv unter Zwang.

Doch auch hier gibt es rational nachvollziehbare Motive. Die Frage ist ja immer: Warum macht einer so was? Wissenschaftler sehen Serienmörder in der Nähe von Spielsüchtigen. Sie sind süchtig nach Mord. Man nennt das auch eine nicht stoffgebundene Abhängigkeit2. Demnach sind es Aktivitäten wie Spielen, Fantasieren oder eben Töten, die den Herzschlag beschleunigen und eine angenehme Erregung schaffen. Krankhafte Spieler oder Serienmörder sind abhängig von diesem Erregungszustand, der mit bestimmten Neurotransmitterausschüttungen im Gehirn einhergeht ( Herrschsucht) und sich auf die Stimmung auswirkt. Das Suchtverhalten entsteht, weil der Süchtige aktiv immer wieder Gefühle von Macht und Kontrolle herstellen will. Er entkommt damit seinen Alltagsgefühlen von Einsamkeit, Ohnmacht und Frustration.

Im Allgemeinen geht man davon aus, dass die Triebtäter aus gestörten Familien kommen: Der Vater fehlte oder war Alkoholiker, die Mutter war gefühlskalt oder bigott, sie wuchsen in einer feindselig-freudlosen Atmosphäre auf und so weiter. Allerdings Vorsicht: Wie viele Menschen sind unter belastenden, freudlosen, feindseligen und sonst wie problematischen Verhältnissen aufgewachsen und doch keine Serienmörder geworden? Und welche Fama baut so ein Täter auf, wenn er merkt, dass die Psychologen, die ihn befragen, zufrieden sind, wenn sie hören, wie sehr er unter Vater und Mutter gelitten hat?

Momentan geht die Tendenz dahin, biologisch-genetische Gründe anzunehmen, gegen die weder Gesellschaft noch Individuum etwas ausrichten könnten. Verschiedene Forscher belegen eifrig, dass Sadisten und Sexualmörder überdurchschnittlich oft Anomalien im Gehirn aufweisen, und zwar im rechten Frontallappen (der ist für Werte, Ich-Identifikation und Vorlieben zuständig). Man führt sie auf pränatale oder frühkindliche Schädigungen zurück. Fast 80 Prozent der späteren Sexualmörder haben sich von Kindheit an gegen Sozialkontakte abgeschottet. Vermutlich ging der Rückzug in den Kokon der Empfindlichkeit, Ablehnung und Lustlosigkeit anderen Menschen gegenüber mit negativen Erfahrungen einher, die sie seit der Kindheit angehäuft haben: Als Kinder waren sie durchsetzungsschwach und unfähig, Konflikte auszutragen. Sie neigten und neigen zu abwartendem und leidendem Verhalten und sind leicht gekränkt. Das normale Zusammenleben macht ihnen keine Freude, es stört, ängstigt oder ärgert sie nur.

Aber weder Anomalien im Hirn noch kaltherzige Mütter machen aus einem unglücklichen und durchsetzungsschwachen Kind einen Serienkiller. Es muss auch noch prägende Zufälle geben. Triebtäter berichten oft von einem Schlüsselerlebnis in ihrer Kindheit, das bei ihnen eine angenehm überraschende, sexuell berührende und starke körperliche Reaktion ausgelöst hat: Kribbeln, Erregung, Herzrasen, Schwitzen, Lust. Beispielsweise als sie sahen, wie ein Huhn oder Schwein geschlachtet wurde. Unserer Phantasie als Krimiautorinnen sind da keine Grenzen gesetzt. Es muss sich nur um eine vorsexuelle Erfahrung handeln, die sexuell erlebt wurde und im Lauf des Älterwerdens das Töten, also die Herrschaft über Leben und Tod, mit sexueller Erregung in Verbindung bringt.

Ein Triebtäter entfaltet zwar durchaus Täterintelligenz, um seine Opfer in seine Gewalt zu bringen, aber was ihm an Mitgefühl für seine Opfer fehlt, bringt er auch nicht für andere Personen aus seiner Umgebung auf. Solche Mörder haben grundlegende emotionale und soziale Defizite, auch wenn sie durchaus kommunikatives Geschick besitzen, um ihre Opfer zu über­reden, sich ihnen anzuvertrauen ( Täterprofil).

Bevor es zur ersten Tat kommt, hat so ein Mann sich über Jahre im Kopf ein reiches Arsenal von Fantasien und Bildern geschaffen und sich Hunderte von Malen bestimmte Taten ausgemalt. So beschreibt ein Sexualmörder, der in den sechziger Jahren in einem Luftschutzstollen vier Jungs zu Tode folterte, seine Fantasien folgendermaßen (nix für schwache Nerven!):

»[…] Ich will immer Kerzen mitnehmen, z. B. keine Taschenlampe. Das ist bei mir wie bei manchen Eheleuten, die brauchen rotes Licht, das gibt es. […] Außerdem sieht jemand, der ausgezogen ist, bei Taschenlampenlicht verhältnismäßig unappetitlicher aus als bei Kerzen. Ich würde das Kind ausziehen, mit Gewalt wieder. […] Wenn ich es dann geschlagen hätte, würde ich es hinlegen, schon eher hinschmeißen. Es müsste schon schreien. […] Es wäre mir lieb, wenn das Kind noch nicht so weit entwickelt ist. […] Ich würde auch mal brutal sein, bis es wimmert. Das gehört dazu. […] Dann möchte ich, dass das Kind zappelt. Dann würde ich anfangen zu schneiden …«3

 

Tötungsfantasien haben den Vorteil, dass das Opfer gesichtslos bleibt. Dem Triebtäter geht es nicht um eine Person, sondern um Entmenschlichung. Seine Opfer sind Objekte seiner Allmachtsfantasien. Nicht aus allen Fantasien wird eine Tat. Aber wenn schließlich doch, so ist der Täter plötzlich mit einem Menschen konfrontiert, der sich völlig anders verhält, als er es braucht, und hinterher mit einer Leiche, die stinkt und blutig und eklig ist. Deshalb kann die von ihm als Opfer ausersehene Frau durchaus davonkommen, wenn sie es schafft, Namen und Gesicht zu gewinnen, oder dem Raster widerspricht, bei dem er sich Erfolg erhofft. Auf einen Sexualmord mögen 30 bis 100 Versuche kommen, eine Frau auszutesten und an einen geeigneten Tatort zu locken. Sie kann mit einem Wort, einem Blick die Absicht des Täters zunichtemachen. Sie kann aber genauso gut mit irgend­einer Bewegung ihr Todesurteil besiegeln, falls sie sich dann noch von ihm überreden lässt, die geschützte Kneipe zu verlassen und ihm an einen Ort zu folgen, an dem er mit ihr alleine ist und sich auskennt.

Die Erfolgsrate bei der Aufklärung von Serienmorden liegt bei ungefähr 80 Prozent und ist verglichen mit der anderer Tötungsdelikte (über 90 Prozent) geringer.

Teil 2 Der Mord

Krimis sind ein Spiel mit einem ernsten Thema: dem Tod und dem Töten. Das können wir mahnend, sozialkritisch, aufklärerisch oder aber makaber und komödiantisch abhandeln. Von der Spielart unseres Krimis hängt es ab, welche Todesarten wir wählen und wie realistisch wir das Töten und unsere Leichen beschreiben.

Eine Krimkomödie über zukünftige lustige Witwen fällt weniger blutig aus und lässt die Polizei dümmer aussehen als ein Polizeikrimi. Wenn es um die Psyche des Täters geht, verwenden wir viel Zeit auf die Motivierung des Verhaltens und bauen im Ermittler einen klugen Gegenspieler auf. Wenn wir unsere Detektivin durch einen aktionsreichen Thriller jagen wollen, beschränken wir uns auf blutige Mafiamorde mit Schusswaffen und lassen die Täterpsychologie beiseite. In einem Agententhriller greifen wir zu Gift. Und wenn wir eine Rechtsmedizinerin in den Mittelpunkt stellen, schauen wir uns wiederum unsere Leichen ganz genau an.

Einen Menschen in Realität umzubringen ist schwierig und zugleich fürchterlich leicht. Ein Messerstich, eine Schlinge, im Schlaf einem anderen um den Hals gelegt und zugezogen, reicht. Messer und Strick müssen wir nicht mal beschaffen, wir haben sie in unserem Haushalt. Wir müssen nur – schwierig genug – Gewalt anwenden. Und unser eigentliches Problem ist dann das, wovon jeder Krimi handelt, nämlich hinterher nicht mit der Tat in Verbindung gebracht werden zu können.

Ein beliebtes Gesellschaftsspielrätsel lautet: Vier Männer gehen jeden Freitag in die Sauna. Reiner hat immer seinen mp3-Player dabei, Jan bringt ein kühles Getränk in einer Thermosflasche mit, Florian liest ein Männermagazin, auch wenn es im Dampf Wellen schlägt, und Michael schläft immer gleich ein. Eines Freitags wacht Michael nicht mehr auf. Er liegt erstochen auf der Pritsche. Die ­Polizei kommt, kann aber keine Tatwaffe finden. Doch außer den drei Männern war keiner in der Sauna. Es hat auch keiner das Gebäude verlassen. Wer hat Michael erstochen? Antwort: Jan. Er hat in seiner Thermosflasche einen Eiszapfen mitgebracht und ihn ­Michael in die Brust gerammt. Der Eiszapfen ist in der Saunahitze geschmolzen, bis die Polizei kam.

Auf den ersten Blick bestechend, aber wenn wir als Krimiautorinnen anfangen, daran herumzudenken, stellen sich uns einige Fragen: Waren die beiden anderen Männer also Zeugen des Mordes? Oder war Jan zwischendurch allein mit Michael in der Sauna? Doch auch das würden die beiden anderen der Polizei erzählen und Jan geriete in Verdacht, weil er die Gelegenheit hatte. Die Kriminaltechnik würde in der Thermosflasche Wasser finden, dasselbe auch in der Wunde. Die Form der Wunde würde die Rechtsmedizinerin auf eine glatte, runde, sehr nasse Stichwaffe schließen lassen. Und ist so ein Eiszapfen überhaupt spitz und hart genug, um sie einem Mann in die Brust zu stoßen, zwischen den Rippen hindurch ins Herz? Andernfalls wäre er ja nicht tot. Wie halte ich außerdem einen glitschigen Eiszapfen fest genug in den Händen, um damit zuzustoßen? Jan wäre in dem Moment entlarvt, da die Rechtsmedizinerin im Schmelzwasser tief drinnen in der Wunde fremde Hautschuppen findet, deren DNS Jan zugeordnet werden kann.

Sehr komplizierte Mordmethoden haben, wenn sie funktionieren, allerdings tatsächlich den Vorteil, dass Polizei und Gerichtsmedizin zunächst auf dem Schlauch stehen. Aber sie verlangen auch von den Tätern und ihren Erfinderinnen ein erhebliches Maß an Planung, handwerklichem und technischem Interesse und Geschick.

1989 wird in Hannover die vierte Ehefrau des Elektromechanikers Otto Pillinger tot im Bett gefunden. Für die Polizei ein Routinefall. Allerdings sind Pillinger schon vorher drei Frauen unter seltsamen Umständen verstorben. Die Staatsanwaltschaft ordnet deshalb diesmal die Obduktion der Leiche an. Der Rechtsmediziner findet kleine weißliche kraterförmige Hautveränderungen in den Ellenbeugen und an den Unterschenkeln: Strommarken. Nachdem die Ermittler bereits bei einer anderen unter verdächtigen Umständen verstorbenen Frau von Pillinger Hautveränderungen gefunden hatten, wird jetzt in Richtung Mord ermittelt. Die Frauen waren vermögend. Pillinger hat außerdem ein elektrisches Gerät gebaut, mit dem er den Blutalkoholgehalt messen können wollte. Es ist in einer Zigarrenkiste untergebracht und kann genug Strom durch einen Körper jagen, um damit jemanden zu töten. Seine Frauen waren alle betrunken, als sie starben. Pillinger bestreitet diese und alle anderen Taten und wird erst 1998 in der fünften Auflage des Prozesses zu zehn Jahren Haft verurteilt. Er stirbt noch im selben Jahr im Gefängnis.

Bombenanleitungen und Giftrezepte gibt es inzwischen sicher brauch­bare im Internet, aber wer sie umsetzen will, braucht Zeit und einen Bastelkeller mit Lötkolben, Bunsenbrenner und Apothekerwaage. Und normalerweise funktioniert nichts auf Anhieb. Man muss testen und üben, womöglich am lebenden Objekt, also an Tieren. Dazu gehört ein starker Grundzug an Mitleidlosigkeit, den nicht viele Menschen haben. Außerdem gibt es in der menschlichen Psyche, vor allem bei Frauen, zuweilen eine tiefsitzende Angst vor Erfolg. In dem Moment, wo er zum Greifen nahe ist, greifen sie daneben. Wenn sich Fanny Fuchs über Jahre von ihrem Mann so hat quälen lassen, dass sie meint, ihn töten zu müssen, um sich von ihm zu befreien, dann dürfte sie nicht zu den kaltblütigen Menschentypen gehören. Doch sobald sie halbherzig agiert, schleichen sich Fehler ein, die sich mit denen summieren, die man aus Stress begeht.

Ein normal mitfühlender und sozial integrierter Mensch wird nie einen Mord begehen, ihn vermutlich nicht einmal ernsthaft planen.

Der perfekte Mord

Normal mitfühlende und sozial integrierte Menschen denken aber durchaus gern über Mord nach, zum Beispiel über den perfekten Mord. Sie lesen ja auch gern Krimis oder schreiben sogar welche.

Die Idee des perfekten Mordes ist eine ziemlich akademische Frage, die wir oft akademisch beantworten zu müssen meinen. Um einen perfekten Mord zu bewerkstelligen, greifen wir deshalb vorzugsweise auf den hochintelligenten Oberschüler mit emotionalen Defiziten, kalter Mutter und übermächtigem Vater zurück. Der Junge will zeigen, dass er ein Crack ist, und beschließt, jemanden zu ermorden, um zu beweisen, dass er den perfekten Mord begehen kann. Nur, wem will er es beweisen? Sobald er an Beweis denkt, denkt er sich ein Gegenüber, das davon Kenntnis erhält. Und sobald er darüber redet, hat er sein Projekt vermasselt, denn es gibt einen Zeugen und Entdeckung ist nicht weit.

Wobei wir bereits bei der Definition von perfektem Mord angelangt sind: Es ist das Tötungsdelikt, das nie entdeckt und für das der Täter nicht bestraft wird. Das hingegen ist ganz einfach, kommt vermutlich ziemlich oft vor und benötigt keinen hochintelligenten, akademisch gestimmten Täter, um es zu begehen.

So kann der Altenpfleger Olaf Däter 2001 in Bremerhaven fünf perfekte Morde begehen, nämlich solche, von denen nur er selbst weiß. Nachdem er wegen Unterschlagung von einem häuslichen Pflegedienst fristlos entlassen worden ist, besucht er innerhalb von zehn Tagen seine ehemaligen Patientinnen, alle über 80 Jahre alt, erstickt sie mit einem Handtuch und raubt sie aus. Die Beute: gerade mal knapp 2500 Euro. Die später herbeigerufenen Ärzte bescheinigen stets einen natürlichen Tod. Danach aber macht der sogenannte Oma-Mörder einen Fehler. Er besucht die sechste alte Dame. Doch sie überlebt seinen Anschlag. 2001 wird Däter zu lebenslanger Haft verurteilt.

In Deutschland werden etwa 1000 Tötungsdelikte pro Jahr entdeckt oder aufgedeckt. Schätzungsweise 2400 bleiben unentdeckt. Dieser Überzeugung sind zumindest einige Gerichtsmediziner aufgrund von Studien, bei denen Leichen nachuntersucht wurden, die als natürliche Todesfälle durchgingen. Der Chef der Rechtsmedizin der Berliner Charité, Michael Tsokos, ist sogar der Überzeugung, dass nur jeder dritte von fremder Hand verschuldete Todesfall aufgedeckt wird. Das gilt vor allem für Alten- und Pflegeheime. Da gebe man beispielsweise aus Zeitmangel Beruhigungsmittel, und es sei eher Zufall, wenn Tötungsdelikte oder Körperverletzungen mit Todesfolge in Altenheimen entdeckt werden (Kölner Stadtanzeiger 4). Nach Ansicht vieler Rechtsmediziner untersuchen Ärzte Tote oft nicht genau genug und kreuzen auf der Todesbescheinigung zu schnell natürlicher Tod an. Vor allem bei alten und kranken Menschen neigt der Hausarzt dazu, einen natürlichen Tod anzunehmen. Zum andern ordnen Staatsanwälte nur zögerlich teure Obduktionen an, und immer mehr gerichtsmedizinische Institute werden geschlossen.

Selbstmord

Fanny Fuchs geht ins Bad, dreht den Wasserhahn auf und versucht sich in der Badewanne mit einem Föhn, dann mit einem elektrischen Thermogürtel, dann mit einem Mixer umzubringen. Es funktioniert nicht. Sie trinkt Campari und schluckt Tabletten, muss erbrechen. Mit einem Steakmesser schneidet sie sich in den Arm. Mit einem Plastiksack über dem Kopf versucht sie sich zu ersticken. Nachmittags erscheint sie nicht zu einem Treffen mit einer Freundin, die die Polizei alarmiert. Die Beamten finden sie in der vollen Badewanne mit blutigen Handgelenken. Sie fragt die Polizisten, warum die elektrischen Geräte nicht funktionieren.

Etwa 150 000 Menschen versuchen sich in Deutschland jedes Jahr umzubringen, und zwar ernsthaft; nur knapp jeder Zehnte schafft es, wobei die Erfolgsquote bei Männern höher ist als bei Frauen. Suizide sind sehr viel häufiger als Tötungsdelikte. In Deutschland sterben jährlich etwa 12 000 Menschen durch eigene Hand. Unter Jugendlichen ist der Freitod nach dem Unfalltod die häufigste Todesursache. Über die häufigsten Arten, sich zu töten, gibt es nur für die Schweiz eine Statistik. Der zufolge erhängt sich ein Viertel der Lebensmüden. Ein knappes weiteres Viertel erschießt sich. Vergiftungen sind ebenfalls noch häufig, gefolgt von Stürzen in die Tiefe. Seltener schon versucht jemand zu ertrinken, stürzt sich vor den Zug, vergiftet sich mit Gasen, schneidet sich die Kehle auf oder ersticht sich (Wikipedia). Die Motive sind so vielfältig, wie es Gründe für Verzweiflung gibt. Oft spielen psychische Erkrankungen wie Psychosen oder aber Depressionen eine Rolle, zuweilen befördert durch falsche Medikamente zur Bekämpfung einer Depression. Antidepressiva beseitigen nämlich Depressionen nicht schlagartig, machen den Depressiven aber zunächst aktiv genug, damit die Entschlusskraft für einen Selbstmord reicht.

Wenn der Notfallarzt einen nicht natürlichen Tod festgestellt hat ( Die Ermittlungen), wird Kommissar Holbein, wenn er gerufen wird, also mit einer Wahrscheinlichkeit von 12 zu 1 einen Selbstmörder vor sich haben.

Sterbehilfe

Sterbehilfe ist in Deutschland verboten. Man kann Sterbehilfe leisten, indem man jemanden erschießt oder aufhängt oder auch nur Schlaf­tabletten bereitstellt. Damit aber würde man agieren wie ein Mörder. Der Straftat­bestand ist mindestens: Tötung auf Verlangen.

 

§ 216 StGB:

(1) Ist jemand durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden, so ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(2) Der Versuch ist strafbar.

Sicherlich kommt Sterbehilfe im Verschwiegenen und Verborgenen öfter vor, als wir denken. Wer öffentlich als Sterbehelfer auftritt, muss es allerdings strikt vermeiden, selbst zu töten. Der Sterbewillige muss bis zuletzt die Entscheidung selbst in der Hand behalten. Er muss also den Knopf selbst drücken. Und er darf erwarten, dass das Gift nicht wehtut und der Todeskampf kurz ist.

Der gewaltsame Tod

In einem ordentlichen Krimi muss es mindestens einen Toten geben. Wir müssen also schreibend Hand anlegen und jemanden umbringen. Aber wie machen wir das am besten? Erschießen erscheint uns vielleicht am einfachsten. Das geht schnell und auf Distanz. Der Mörder muss sein Opfer nicht berühren. Er drückt auf den Abzug, und am anderen Ende des Raums stirbt jemand. Da muss der Entschluss zu töten nicht einmal besonders stark ausgeprägt sein. Und trotzdem:

Hundert Mal hat Fanny Fuchs sich vorgestellt, wie sie ihren Mann tötet, und nun endlich zielt sie mit der Pistole auf ihn. Es ist so weit: Wenn sie abdrückt, ist es endgültig aus mit ihm, es ist vorbei, auch für sie. Dann hat sie unwiderruflich ein Menschenleben gekürzt. Hat sie wirklich alle Konsequenzen durchdacht? In ihren Adern explodiert das Adrenalin. Die Pistole wackelt in ihrer Hand. Sie kann nicht schießen.

Wer zum ersten Mal eine Waffe in der Hand hält, ist erstaunt, wie schwer sie ist, und weiß nicht, ob sie geladen, entsichert und durchgeladen ist. Beim Schuss reißt es Hand und Waffe nach oben. Die Kugel trifft zu hoch. Erfahrene Schießstandbetreuer sagen übrigens, dass Frauen besser treffen als Männer, wenn sie auf Schießscheiben feuern. Sie haben mehr Respekt vor der Waffe und hören bei Erklärungen besser zu.

Schusswaffen

Man teilt Schüsse in Fernschuss, Nahschuss und angesetzten Schuss ein. Schon ab einem Meter Entfernung fehlen beim Opfer Pulverschmauch, Pulverversprengungen oder Brandhof. Ansonsten hinterlässt ein Schuss um die Einschusswunde herum kleine schwarze Punkte, je näher desto mehr, entweder in der Haut oder in der Kleidung. Angesetzte Schüsse hinterlassen auf bloßer Haut Stanzmarken durch den Laufmantel oder auch durch Vorholfederführungsstifte oder andere Besonderheiten. Allseits bekannt dürfte die Unterscheidung von Steckschuss und Durchschuss sein. Weniger eindeutig ist die Frage zu beantworten, welches der Löcher das Einschuss- und welches das Ausschussloch ist. Das gelingt eigentlich nur Fachleuten mit Erfahrung. Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, dass die Ausschusswunde immer größer ist als die Einschusswunde. Vor allem beim angesetzten Schuss ist es genau umgekehrt, denn durch die Pulvergase platzt die Einschusswunde auf.

Kleiner Hinwies: Fachleute sprechen auch nicht von aufgesetztem, sondern von angesetztem Schuss.

Schussverletzungen können sehr unscheinbar sein, aber auch schrecklich aussehen. Glatte Durchschüsse erzeugen kleine runde Löcher, sogenannte Schusslücken. Dagegen bewirken angesetzte Schüsse am Kopf enorme Zerstörungen. Sie bringen den Schädel zum Platzen, das Gehirn fliegt umher. Wenn ein Selbstmörder einen Schluck Wasser in den Mund nimmt und dann durch den Mund Richtung Gaumen ins Hirn schießt, dann zerplatzt das Wasser zu Tröpfchen und sprengt den gesamten ­Schädel.

»Wir schauen dann«, erklärt Rechtsmedizinerin Dr. Mimi Brockdorf, »an der Hand des Selbstmörders nach den zwei kleinen Punkten innen am Zeigefinger. Sie entstehen, wenn man den Finger übers Korn der Waffe legt, und zwar fest, um sie zu fixieren. Wenn die da sind, ist es zweifelsfrei Selbstmord. Wenn sie nicht da sind, heißt das aber nicht, dass er es nicht selbst getan hat. Aber da haben wir dann ja noch die Schmauchspuren.«

Schmauchspuren

In den Zeiten des guten alten britischen Krimis konnte man einem Toten noch den Revolver in die Hand legen und einen Selbstmord vortäuschen. Das einzige Risiko bestand darin, dass man übersehen hatte, dass der Tote Linkshänder gewesen war.

Heute sind Schmauchspuren an Hand und Kleidern das untrügliche Zeichen, wer geschossen hat. Schmauch setzt sich zusammen aus den Rückständen des Anzündsatzes und der Treibladung der Munitionspatrone. Die winzigen Rußpartikel bleiben über Tage an der Hand des Schützen nachweisbar, denn sie dringen in die Haut ein. Man kann sie auch nicht abwaschen. Handschuhe schützen zwar die Hände, aber nicht die Ärmel vor Schmauchspuren.

Waffenscheine

Eine Schusswaffe ist eine Waffe, die sich ein Mörder erst beschaffen muss, wenn er nicht Sportschütze, Jäger oder Polizist ist. Er muss auch mit ihr umgehen können, er sollte Schießen geübt haben.

Jäger dürfen allerdings genauso wenig wie andere Bürger Handfeuerwaffen führen, es sei denn, sie gehören der Gruppe an, die eine persönliche Bedrohungslage geltend machen kann und einen Waffenschein dafür bekommt. Wer einen Waffenschein hat, darf eine Waffe führen, das heißt, in der Öffentlichkeit (außerhalb »befriedeten Besitztums«) bei sich tragen, allerdings nie bei öffentlichen Veranstaltungen. Wer Sportschütze ist, darf seine Waffe nur im Haus oder dem eigenen Garten oder eben im Schützenverein in die Hand nehmen. Wenn er sie transportiert, darf er sie weder geladen noch überhaupt griffbereit bei sich tragen. Sie muss von ihm entfernt in einer Tasche untergebracht sein.

Auch für Schreckschuss- oder Gaspistolen braucht man seit einigen Jahren den kleinen Waffenschein, wenn man damit aus dem Haus gehen will. Man darf sie draußen aber nicht benutzen (!), es sei denn, in Notwehr. Dann dürfte man sie aber auch ohne kleinen Waffenschein benutzen.

Messer

Also sollte Fanny Fuchs doch lieber das Fleischermesser aus Damaszenerstahl nehmen. Das hat sie schon im Haus. Aber Fanny müsste ihren Mann von vorn attackieren, er würde das Messer abwehren, sie könnte sich selbst verletzen und ihn nicht richtig treffen. Und wo genau befindet sich eigentlich das Herz? Stäche sie hinterrücks zu, würde es noch schwerer, den Punkt zu finden, wo der Stich sofort tödlich wäre, das Herz. Und ihm die Kehle durchschneiden, das würde eine Mordssauerei.

Wer ein Messer nimmt, will Blut sehen, und das will Fanny eigentlich nicht. Auch wegen des Teppichs. Und lachen Sie nicht! Die Blutbeseitigung nach einem Mord mit Klingen ist ein gravierendes Problem, auch wenn einem der Teppich gleichgültig ist. So viel kann man hinterher gar nicht putzen, dass nicht sogar Polizeireporterin Suse mit einfachen Mitteln die kleinsten Mengen Blut noch sichtbar machen könnte, geschweige denn die Polizei ( Blut).

Schnittverletzungen

Bei Schnittverletzungen fließt sehr viel Blut. Die Rechtsmedizin sagt: Das Opfer ist nach außen verblutet.

Polizeireporterin Suse hat eine blutige Leiche gefunden, männlich, nicht mehr jung, aber auch nicht alt. Das meiste Blut ist im Waldboden versickert. Der Tote ist leichenblass, Totenflecken sind kaum welche zu sehen, so ausgeblutet ist er. An der Kehle klafft ein Loch. Mord oder Selbstmord? Das ist hier tatsächlich ernsthaft die Frage.