Stille Tage in Paris

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Ob der Kerl gut im Bett ist? Ich bin mir sicher, dass er die Ateliers in der Rue Jenner kennt, er ist bestimmt einer aus der Filmbranche.

Ob ich ihn ansprechen soll?

Er sieht zu mir herüber, er nimmt den Teller Spaghetti und sein Glas Wein und kommt zu mir herüber, er spricht mich natürlich auf Französisch an, ob der Platz neben mir frei ist, ich antworte auf Französisch mit „Oui, bien sûr.“ Er ist erfreut, dass ich Französisch spreche, und er verwickelt mich in ein Gespräch über Filme und Bücher aus Frankreich, die ich allerdings alle auf Englisch gelesen habe, aber er freut sich, dass ich diese Filme und Literatur kenne.

Was soll’s, ich lasse mich von ihm zu einem Kaffee und einem Tiramisu einladen, es ist klar, dass er mich in die Ateliers in der Rue Jenner begleitet. Wir landen im Bett. Er erzählt mir, dass hier Melville die erste Einstellung von Le samouraï gedreht hat und dass es diesen Ort entweihen würde, wenn wir uns ganz ausziehen würden.

Er zieht die Hose aus, ich ziehe den Rock hoch, er reißt den Schlüpfer auf und wirft ihn weg, wir küssen uns, ich mache die Beine breit, er vögelt mich, wir vögeln auf einem uralten französischen Filmbett, das einmal als Requisit für einen klassischen Gangsterfilm gedient hat. Es ist leidenschaftlicher Sex à la Paris, und ich, die den direkten amerikanischen Sex und den vulgären Landquick und Quack made in Austria kenne, komme ganz auf meine Rechnung. Ich küsse ihn. Er küsst mich. Er versteht etwas vom Küssen, er ist ein Franzose; wer, wenn nicht ein Franzose, kann etwas vom Küssen und vom Sex verstehen?

Und was verstehen die Französinnen vom Sex und vom Küssen?

Keine Ahnung.

Er meint, dass ich meine Sache gut mache.

Welche Sache?

„Den Sex. Das Küssen“, sagt er.

Ich weiß nicht, ob ich das als Kompliment auffassen soll, denn er spricht emotionslos, und ich weiß noch nicht einmal seinen Namen.

Ich stelle mich als Janet vor, 23 Jahre alt, soeben erst aus Klagenfurt, Kärnten, Österreich, nach Paris, Frankreich, übersiedelt.

„Für eine amerikanische Österreicherin sprichst du sehr gut Französisch“, sagt er und verzichtet darauf, seinen Namen zu nennen. Namen spielen in Paris keine Rolle, meint er. Ihm würden „er“ und „sie“, „du“ und „ich“, „Sie“ und „Sie“, „Monsieur“ und „Madame“ oder „Demoiselle“ und so weiter reichen.

Wir schieben noch eine Nummer im Stehen, er versteht wirklich etwas vom Sex. Er spricht nicht. Einzig sein Schwanz kommuniziert mit meinem Geschlecht. Es ist ein erstklassiges sexuelles Erlebnis hier in den uralten Ateliers in der Rue Jenner im 13. Bezirk von Paris.

In der Dunkelheit verlassen wir gemeinsam die Ateliers, um irgendwo zu Abend zu essen. Er kennt sich hier aus. Er wohnt seit Jahrzehnten hier, er weiß, wohin er mit einer jungen Amerikanerin gehen kann, ohne das Stadtgerücht von Paris zu sein.

Ich halte mich an ihn. Er wird mich noch lange durch Paris begleiten.

Aber es wird unser kleines Geheimnis bleiben, ich kenne ja nicht einmal seinen Namen, daher brauche ich auch meinen Eltern nichts von dieser Episode zu erzählen, ein schlechtes Gewissen ist ausgeschlossen, und der Verrückte in Kärnten muss ja nicht alles wissen.

Und was ist, wenn der Verrückte in Kärnten einiges nachgeholfen hat? So wie damals bei meiner Mutter, die er bekanntlich auch mit seinem Sohn Johnny verkuppelt hat?

Nur nicht überlegen und die falschen Schlüsse ziehen. Nach dem Abendessen gehen wir noch einmal ins Kino und sehen uns den neuen Film von Roman Polanski an. J’accuse kann man sich nach sehr viel Sex am Sonntagnachmittag ohne Weiteres sonntagnachts ansehen.

Um 0 Uhr 30 verlasse ich mit ihm das Kino. Es regnet noch immer, und es ist empfindlich kühl geworden. Wir trinken noch in einer Bar, die er kennt, ein Glas Rotwein und unterhalten uns über die alten Filme von Polanski, die er in Europa gedreht hat, bevor er nach Amerika gegangen ist.

Ekel ist eindeutig sein Favorit, meiner ist Tanz der Vampire, den ich im Original zum ersten Mal in Europa gesehen habe, genau genommen im „Kleinen Kino“ meines Großvaters väterlicherseits, der allgemein nur „der Verrückte“ genannt wird, auch von ihm, einem französischen Schriftsteller und Schauspieler, der von weiß Gott woher den Verrückten im fernen Kärnten kennt.

Nun ist mir klar, dass der Verrückte einmal mehr seine Finger im Spiel hat, es wird mir ein Vergnügen sein, mich durch seine Spielregeln treiben zu lassen.

In den USA habe ich Tanz der Vampire in erster Linie als eine großartige Musicalshow kennengelernt, die TV-Versionen waren alle bis zur Unkenntlichkeit von wem auch immer zusammengeschnitten worden und so verstümmelt, dass ich den Film, als ich ihn in Kärnten im Original mit Untertiteln gesehen habe, nicht mehr erkannt habe, aber auch damals gab es eine Einführung des Verrückten, der uns Filmfreunde von der schweren Schule auf die Sprünge geholfen hat, um was für ein Meisterwerk es sich bei diesem Film handelt.

„Ja, der Verrückte, der geht hier in Paris ab, so einen wie den Verrückten würden wir hier dringend brauchen“, sagt er und bestellt noch zwei Aperol, bevor wir nach Hause gehen.

Ich bin mir sicher, dass der Verrückte weiß, wer er ist, der der keinen Namen nennen will, und ich erliege nicht der Versuchung, ihn zu fragen. Im Gegenteil, ich will mich so lange wie möglich an unsere Vereinbarung halten, dass wir keine Namen nennen werden; auch wenn ich mich sofort als Janet vorgestellt habe, wird er meinen Namen aus seinem aktiven Wortschatz streichen. Und das ist gut so, daran besteht kein Zweifel, dass es besser für uns beide ist, ich habe auch kein Verlangen mehr, ihn nach seinem Namen zu fragen, oder bei anderen Leuten, die ich noch in Paris kennenlernen werde, Erkundigungen nach seinem Namen einzuziehen. Ich bin kein Doulos; ich bin mir sicher, dass auch er kein Doulos ist.

Wir verlassen die Bar kurz vor 2 Uhr nachts, wir trennen uns grußlos. Ich gehe nach links in die Rue Jenner und direkt zu den Studios hinüber. Er geht gerade aus weiter in die regnerische Nacht hinaus, in Richtung Seine-Ufer – habe ich schon erwähnt, dass wir am linken Seine-Ufer unsere geheimnisvolle Beziehung begonnen haben?

Ich gehe online und finde einen Link, den mir der Verrückte geschickt hat: Erstens soll ich mich morgen bei den Cahiers du Cinéma vorstellen, zweitens soll ich mir das Chanson von Alain Souchon anhören, der über den „Rive gauche“ und das Leben in den Vierteln am linken Seine-Ufer in Paris singt.

Ich bedanke mich mit einer kurzen SMS bei meinem Großvater väterlicherseits und gehe noch eine Stunde durch das verregnete Paris im November; im Kopfhörer höre ich alte französische Chansons.

Um 3 Uhr morgens bin ich endlich zu Hause. Soll ich schon zu Bett gehen?

Nein, ich besuche noch einmal das Archiv und öffne den geheimnisvollen Ordner mit dem Drehbuch aus dem Jahr 1967, einem Film aus einem „Kino der Nacht“, einem Film, der fast nur im Dunkeln spielt; ich suche mir eine Frauenrolle und das passende Kleid aus dem Requisitenlager.

Ich probiere das Abendkleid, ein Kleid, das wie für mich geschnitten ist. Es ist klar, dass Selfies von mir gemacht werden müssen, Selfies, die online gestellt werden und über den Atlantik gehen, hinüber in die USA; sie zeigen eine Frau, die ein Franzose für einen französischen Gangsterfilm eingekleidet hat, der wie ein amerikanischer Film funktioniert, von einem französischen Regisseur, der wie ein Amerikaner in Paris gelebt hat.

Eine der ersten Reaktionen bekomme ich von meinem Vater. „Was stehst du in der Requisitenkammer herum, Babe? Such dir einen jungen Fotografen, und lass ein Shooting von dir machen!“

Mom schließt sich der Meinung ihres Mannes an. Natürlich gibt es auch jede Menge Neiderinnen und Neider, aber die bleiben in der Minderheit.

Ich werde als eine Femme fatale identifiziert, als eine Frau in Paris in einem Film, der ausschließlich in der Nacht spielen wird.

Um halb 5 Uhr früh gehe ich schlafen.

3. Lundi, der Anruf

Montag, 7 Uhr 30. Der Anruf aus der Redaktion der Cahiers du Cinéma reißt mich aus dem Schlaf.

„Bonjour et salut, du bist sicher die Biene, die Duane vertritt, während er den Superkapitalisten in London auf den Wecker geht“, sagt eine etwas gereizte männliche Stimme am anderen Ende der Leitung. Der Mann spricht Englisch mit SEHR starkem französischem Akzent.

„Oui, Janet, ich vertrete Duane für West-Film“, antworte ich ganz durch den Wind.

„Alles klar. Duane hat uns vorbereitet, dass du die Enkelin des großen Le Fou bist und dass du einiges draufhast, was die Filmgeschichte und den Journalismus betrifft. Kurz, du bist eine echte Cinéphile, und dir würde es nichts ausmachen, ein paar Pressevorführungen abzuklappern und die Kritiken online zu stellen“, sagt der Typ am anderen Ende der Leitung.

„Ja, klar. Kein Problem. Aber wie komme ich in die Vorstellungen rein?“, frage ich.

„Komm einfach bei den Cahiers du Cinéma vorbei und hol dir deinen Presseausweis ab, aber beeil dich, die erste Vorführung beginnt um 10, und gezeigt wird ein Marvel-Schinken, was Lockeres zum Aufwärmen für la fille américaine. Kurz, ein echter Dreck, bei dem du dich ärgerst bis zur Weißglut, dass du dir um 10 Uhr vormittags so einen Mist ansehen musst. Danach läuft La odisea de los giles aus Argentinien und zum Drüberstreuen Last Christmas, irgendeine Schnulze aus deiner Heimat, den Vereinigten Staaten. Der Verleih hat auch ein paar Stars nach Paris gebracht, die kannst du gleich interviewen, aber geh mit ihnen nicht zu hart ins Gericht, sonst schmeißen sie dich gleich wieder raus.“

 

Der Redakteur der Cahiers du Cinéma, von dem ich nicht einmal seinen Namen weiß, beendet das Gespräch.

Mère baise, ich muss sofort aus dem Bett.

Oh my God, hoffentlich schlafe ich bei dem Mammutprogramm nicht sofort ein, es wäre kein Wunder nach so einer Nacht.

Ich dusche, verzichte auf das Frühstück und eile in die Redaktion der Cahiers du Cinéma.

Ein junger Typ, Marke französischer Wichtigtuer und Cinéphiler der harten Sorte, öffnet die Tür.

„Bist du hier der Chef?“, frage ich.

„Nein.“

„Wer ist hier der Chef?“, frage ich.

„Louis.“

„Und wo ist Louis?“, frage ich.

„In seinem Büro, wo sonst?“, sagt der Cinéphile und mustert mich, wie wenn ich Fleckvieh wäre.

„Das hättest du auch gleich sagen können“, sage ich.

„Stimmt, hätte ich können, aber ich habe es nicht gesagt“, sagt der Idiot.

„Idiot. Sag mir endlich, wo das Büro des Chefs ist, bevor ich hier noch mehr Zeit verplempere“, sage ich.

„Für eine Amerikanerin sprichst du sehr gut Französisch“, sagt der Cinéphile anerkennend und mustert mich noch immer wie das Fleckvieh.

„Sag einmal, willst du mich schlachten?“, frage ich.

„Eher flachlegen, dann habe ich keine Probleme mit den Flics“, sagt der Cinéphile.

„Also so eine Unverschämtheit ist mir auch noch nicht untergekommen, und das in Paris“, mache ich mich wichtig.

„Das Büro ist geradeaus“, sagt der Cinéphile und schickt mich mit einem Klaps auf den Po weiter.

„Das ist ja unerhört. Ich werde mich beschweren“, protestiere ich.

„Mach das beim Chef. Von Louis bekommst du den Presseausweis“, sagt der Cinéphile.

„Wie ist dein Name?“, frage ich.

„Eric. Wieso?“

„Damit ich mich über dich beim Chef beschweren kann“, sage ich.

„Dʼaccord, meinen Namen wirst du dir merken müssen“, sagt der Cinéphile.

„Wieso? Eric, der größte Flegel von ganz Frankreich?“, frage ich.

„Nein, der wichtigste Jungfilmer von ganz Frankreich. Salut!“, sagt Eric und haut mir noch einen Klaps auf den Po, aber einen festen.

„Aua! Idiot!“ Ich eile zum Büro des Chefs hinüber, klopfe kurz an und trete ein.

Mein Herz stockt, der Mann von gestern, mit dem ich im Kino war, mit dem ich in den Ateliers Sex hatte, und zwar sehr guten, gibt mir den Presseausweis und tut so, als hätte er mich noch nie gesehen. Ich weiß wirklich nicht, wie ich mich verhalten soll. Soll ich diesem Filou, der am Wochenende nichts Besseres zu tun hat, als jungen Amerikanerinnen in Paris nachzustellen, die natürlich vom Tuten und Blasen, von den Sitten und Umgangsformen in so einer verbotenen Stadt wie Paris keine Ahnung haben, eine runterhauen, aber eine feste, weil dieser Verräter die übelsten Tricks aus der Mottenkiste des alten André Bazin ausgräbt, um mich in die Falle zu locken?

Verdient hätte er sogar zwei Ohrfeigen, aber dann wäre ich meinen Job sicher sofort wieder los, noch bevor ich überhaupt eine Minute Film gesehen hätte.

Monsieur Louis sieht mich an. Was soll ich tun? Soll ich einfach auf alles pfeifen und ihm in der Redaktion der Cahiers du Cinéma eine kleben, dass es sich gewaschen hat?

Natürlich verweigere ich meine Reflexe. Ich stecke einfach den Presseausweis ein.

„Husch, husch. Bist du noch nicht weg? Die fangen auch ohne dich an“, sagt der Idiot, der sich „Louis“ nennt und der angeblich Chefredakteur der wichtigsten Filmzeitschrift Frankreichs ist und der sich erlaubt, mich mit einem kräftigen Klaps auf den Po in die Gänge zu bringen.

Oh my God, ja gibt es denn so etwas? Haben diese verrückten Franzosen noch nie etwas von der #MeToo-Bewegung gehört?

Offensichtlich nicht, denn im Foyer bekomme ich von Eric gleich noch einen hinten drauf, weil ich noch nicht weg bin.

„Na wartet, ihr französischen Imbéciles, wenn mir noch einer auf den Po haut, der fängt eine!“, schreie ich und knalle die Redaktionstür zu, dass es im ganzen Haus zu hören ist.

Ohne weitere Komplikationen mit Personen männlichen Geschlechts erreiche ich das UGC Gobelins.

Dort trauen die Presseleute von Marvel ihren Augen nicht, wen die Cahiers du Cinéma zur Pressevorführung geschickt haben, oder besser, sie können es nicht fassen, dass die Cahiers du Cinéma überhaupt jemanden zu ihrem Film geschickt haben.

Eine PR-Tussi nimmt mir meinen Presseausweis ab und tut so, als wäre ich die Tussi, die gestern Abend die Tageslosung der UGC Gobelins geklaut hat und die jetzt reumütig zurückkommt, um Sühne zu tun.

Sie bittet mich, einen Moment zu warten. Es vergehen nur ein paar Minuten, und die PR-Tussi kommt mit ihrem Boss zurück, der mich von oben bis unten mustert, als wäre ich Fleckvieh.

„Ich habe mit Louis telefoniert, und es geht okay, Sie können den Film sehen. Louis sagt, dass Sie Amerikanerin sind, ich würde mich freuen, Sie am Nachmittag bei der Pressekonferenz von Disney zu sehen“, sagt der PR-Mann und schickt mich in den Saal.

Na gut, ich nehme im vorderen Drittel des Megasaals Platz, wo ich ungestört bin, alle anderen Presseleute sitzen weit hinten. Popcorn und Softdrinks habe ich abgelehnt, was für eine Journalistin der Cahiers du Cinéma standesgemäß ist.

Normalerweise sollte ich den Film in Grund und Boden verreißen, nicht einmal wenn mir einer 10 Euro gibt, würde ich mir so einen Schund ansehen, aber ich halte mich an meinem ersten Tag noch zurück. Der zweite Film aus Argentinien, La odisea de los giles, gefällt mir schon etwas besser, er kann ohne Weiteres mit 4 Sternen rechnen, wenn nicht mit 5. Und dann kommt die Schnulze aus good old Hollywood, der einen verlogenen good old American Dream zum tausendsten Mal wiederkäut.

Okay, der Film ist gar nicht so schlecht, er ist irgendwie zum Heulen, er ist für die ganz kleinen Girlies, die mit ihren Mommies am Wochenende im Kino sind. Ob die Kiddies in Paris und ihre Mommies auch solche Filme lieben? Oder gibt es genug französische Kinderfilme, um von der US-Ware einfach abzulenken?

Frage: Welcher Film wird hier für die Jungs in der Junior High angeboten? Ist das der Marvel-Film, dessen Bilder so mächtig sind, dass jede jugendliche Fantasie plattgewalzt wird, oder ist eine romantische Komödie wie Last Christmas eine Alternative für die französischen Jungs?

Ich werde mich erkundigen müssen.

Und was ist, wenn ich für die Jungs einen von den ganz großen Filmen empfehle? Einen von Jean-Pierre Melville oder einen von Claude Berri? Der alte Mann und das Kind – wäre das nicht der ideale Vorweihnachtsfilm?

Der Verrückte wäre sicher auf meiner Seite, doch der Verrückte ist ein paar Tausend Kilometer weit von mir entfernt und im beschaulichen Kärnten, das ich des großen Filmgeschäfts wegen verlassen musste.

Last Christmas endet. Wir verlassen den Kinosaal und gehen in die Bar des Megaplex-Kinos.

Obacht: Ich bin bisher nicht eingeschlafen!

Die Filmstars sind da. Der PR-Boss begrüßt die Pressevertreter. Niemand stellt eine Frage, außer ich, und das noch im besten West-Coast-Sound.

Ein Raunen geht durch den Saal – wer ist die US-Göre, die keiner kennt und die es wagt, hier das Maul aufzureißen?

Aber die amerikanischen Darsteller freuen sich. Peinlichkeit, verlass mich nicht. West-Film hat den Film produktionstechnisch betreut, zum Glück weiß hier niemand, dass ich Duane kurzfristig vertrete.

Nach Ende der Pressekonferenz zerstreut sich die Meute der Journalisten in die umliegenden Bistros, um ihre Artikel zu den anlaufenden Filmen online zu stellen; ich nütze noch die Gelegenheit und unterhalte mich mit den US-Leuten, die total nett zu mir sind. Der PR-Boss ist sehr angetan von meiner Erscheinung und gibt mir seine Visitenkarte; ich habe natürlich keine bei mir, sage aber unvorsichtigerweise, dass ich in der Rue Jenner Nr. 13 wohne, einem offensichtlich legendären Ort für Filmleute in Paris.

Schließlich gehen auch die Amis, und ich eile in die Ateliers. Ich klopfe die Kritiken ins Notebook und stelle sie online.

Es vergeht keine Stunde, und die Redaktion von den Cahiers du Cinéma ruft mich an, dieses Mal ist es eine Frau.

„Salut, Babe, deine Kurzkritiken sind überdurchschnittlich gut, und von den großen Verleihfirmen wird uns dieses Mal auch keiner den Kopf runterreißen. Dein Interview bringen wir ungekürzt und in der Printausgabe. Willkommen bei den Cahiers du Cinéma, Zuckerpuppe“, sagt die Madame und legt auf.

Ich schnappe nach Luft. Ist denn hier jeder sexistisch drauf? Maskulin wie feminin scheinen hier keine Rolle zu spielen.

Ich überlege kurz und schalte richtig: Masculin – Feminin oder: Die Kinder von Marx und Coca-Cola, nach nicht einmal drei Tagen in Paris bin ich bei Jean-Luc Godard gelandet.

Ich telefoniere mit dem Verrückten im fernen Kärnten, und er gratuliert mir zu meinen Artikeln, die er natürlich bereits kennt.

Ich frage ihn nach der Identität des Chefredakteurs der Cahiers du Cinéma, von dem ich bisher nur seinen Vornamen kenne.

Der Verrückte erzählt, dass Louis sowohl als Schauspieler als auch als Regisseur gearbeitet hat, aber er und seine Generation keine Chance gegen Jean-Luc Godard, Jacques Rivette, Agnès Varda und die anderen aus der Anfangszeit der Nouvelle Vague hatten.

Diese Generation von Louis und Jean und den anderen würde sich weiter als Filmkritiker und Buchautoren durchschlagen; sie würden sich in den Cafés und Bistros endlose Debatten über das neue Kino in Frankreich liefern.

Ich sollte mich von dieser Generation fernhalten und mich meiner Generation, den heute Mitzwanzigjährigen, anschließen. Diese Generation sollte ein neues französisches Kino gründen.

Die Generation von Louis, Jean und den anderen hätte es einfach nicht geschafft. Sie hätten keine Chance gehabt, obwohl ihre Filme gut gewesen wären, aber sie haben ein Kino im Schatten gemacht.

4. Die Amerikaner kommen

Louis begrüßt mich in der Redaktion mit den in Frankreich üblichen Küsschen, der Klaps auf den Po bleibt mir erspart. Ich behalte mein Hintergrundwissen über seine missglückte Karriere als Künstler für mich und bleibe charmant, soweit es für ein lautes US-It-Girl von der West Coast möglich ist. Louis ist ungekünstelt charmant, sein Charme ist gekonnt und natürlich.

Louis lobt meine Artikel und gibt mir weitere Aufträge, aber ich muss ablehnen, die Amerikaner werden für Mittwochmittag erwartet.

„Was für Amerikaner?“, fragt er.

„Ich bin Executive Producer von West-Film in Paris und vertrete Duane“, antworte ich.

Louis sagt nichts, er sieht mich nur an. „Gut, ich hätte es mir denken können, aber du machst einen guten Job, es wäre schade, dich als Journalistin für die Cahiers zu verlieren. Melde dich, wenn du wieder Zeit hast“, sagt er.

Ich verspreche es.

Er gibt mir einige Ausgaben der Cahiers mit auf den Weg. „Zeig das den Amis. Die Amis stehen auf die Cahiers, so wie wir auf Variety oder den Hollywood Reporter.“

Ich bedanke mich.

„Wann hast du wieder Zeit?“, fragt er.

„Keine Ahnung. Die Amis drehen eine Woche in Paris“, antworte ich.

„Sie drehen wahrscheinlich die üblichen Szenen, die einfach in einem Film über Paris drinnen sein müssen. Den Montmartre. Den Eiffelturm. Die Champs-Élysées. Am Seine-Ufer“, sagt er.

„Oui. Ich habe eine Aufnahmeliste bekommen. Duane hat noch die Drehgenehmigungen eingeholt. Es wird ein simpler Job für mich werden. Hoffe ich zumindest“, antworte ich.

„Dreht ihr auch in den Ateliers?“, fragt er.

„Nein, nicht, dass ich wüsste. Nur Außenaufnahmen und ein paar Nachtszenen im Quartier Latin, dort, wo Sartre war“, antworte ich.

„Dann bist du falsch. Jean-Paul war in Saint-Germain-des-Prés“, sagt er, er nennt mir die Adresse von Sartres ehemaligem Wohnsitz und ein paar Stammlokale und Bars, in denen er oft mit Simone de Beauvoir und seinem ewigen Nebenbuhler Claude Lanzmann verkehrt hat.

Ich bedanke mich.

„Die Amis sind oberflächlich. Wahrscheinlich interessiert sie das gar nicht. Das Quartier interessiert sie mehr als die Realität. Kennst du das ,La Pagode‘?“

„Qué? Das Kino hat mir schon der Verrückte empfohlen“, antworte ich.

 

„Sehr gut. Dort sind alle wichtigen Klassiker des französischen Kinos erstaufgeführt worden. Das ,Pagode‘ wird den Amis gefallen“, sagt er und entlässt mich mit den üblichen französischen Küsschen.

Ich sehe mich noch einmal nach dem unverschämten Jungfilmer um, doch der ist Baguette einkaufen gegangen.

Mittwochvormittag.

Ich warte vor den West-Studios. Ein Kleinbus mit Fahrer, den Duane noch für mich organisiert hat, parkt vor den West-Studios und hupt, um Aufmerksamkeit zu erregen.

Ich eile über die Straße zum Kleinbus hinüber und öffne die Beifahrertür.

„Salut!“

„Salut! Zum Flughafen Charles de Gaulle, nehme ich an.“

Mir bleibt fast, aber nur fast, das Herz stehen.

Eric, der unmögliche Flegel aus den Cahiers du Cinéma, sitzt am Steuer.

„Moment, Moment, Moment – das ist jetzt wirklich ein schlechter Witz“, sage ich.

„Nein. Ich fahre immer für Duane. Wenn du willst, kannst du ihn anrufen“, sagt Eric und parkt aus.

Ich schäume und rufe Duane an, der genervt ist, weil es irgendwelche Probleme zwischen Maskulin und Feminin in Paris gibt.

„Pass auf, Babe, der Verkehr in Paris ist für ein US-Greenhorn der reinste Horror. Eric kennt sich aus, er ist Filmemacher und bewahrt dich vor dem totalen Nervenzusammenbruch. Also sei lieb und vertrau einfach Eric, der boxt dich und die US-Crew durch Paris“, sagt Duane.

„Well, aber über die ‚Babe‘ sprechen wir noch, ich bin ja keine Göre aus der Junior High mehr“, tobe ich.

„Yes, yes, ganz cool bleiben, Babe, vertrau einfach Eric, der fährt“, sagt Duane so ganz unmöglich chauvinistisch, dass ich gleich einmal ordentlich schreie!

Iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii!

Eric verreißt das Steuer. Nur der Sicherheitsgurt rettet mich davor, auf seinem Schoß zu landen. Duane bricht einfach das Gespräch ab.

„Hé, quoi de neuf?“ (Hey, was ist los?), schimpft Eric.

Die kleine amerikanische Katze faucht und verteilt böse Blicke.

Eric versucht es mit einem Schokoriegel und Kaugummis, ich entscheide mich für den Schokoriegel.

Immerhin, wenn er sich zu benehmen weiß, ist Eric leicht sympathisch. Ich lächle. Er lächelt.

Eric stellt sich vor. Er ist geborener Pariser und natürlich selbst Filmemacher, oder zumindest versucht er, einer zu werden.

Er ist genauso alt wie ich, und auch was Filme betrifft, sind wir auf derselben Wellenlänge, also stimmt gleich die Chemie zwischen uns beiden, Duane hat das beruflich motivierte Date perfekt eingefädelt. Ich schicke Duane eine WhatsApp nach London, mit einem Daumen hoch.

Während der Fahrt zum Flughafen erzählt Eric, dass er ein perfektes Drehbuch und eine Schauspielerin hat, die der großen Brigitte Bardot zum Verwechseln ähnlich sieht. Ihr Problem ist, dass sie leider ziemlich doof ist und das Drehbuch nicht versteht, weil sie eher auf Actionfilme steht und weniger auf Autorenfilme, aber unter seiner Regie würde sich das schon ändern, außerdem wäre auch ich jetzt da, und wenn ich wollte, würde er mir das Drehbuch geben, ja, ich müsste es unbedingt lesen, denn so eine wie ich gehört unbedingt vor die Kamera, genau genommen vor seine Kamera.

Uff, wenn das so weiter geht, bin ich bald der neue Filmstar in Paris.

Wir erreichen den Flughafen, der unter Verkehrsinfarkt leidet. Ohne einen Fahrer wäre es hier unmöglich, etwas zu machen; man müsste das Auto irgendwo im Parkhaus stehen lassen, wenn man überhaupt einen Parkplatz fände.

Ich eile in die Ankunftshalle, um die Amis abzuholen, und halte die Tafel „West-Film“ gut sichtbar hoch. Auf der Ankunftstafel sehe ich, dass das Flugzeug aus New York City pünktlich gelandet ist und ich keine Sekunde zu früh am Flughafen aufgekreuzt bin.

Die Zeit vergeht, und endlich sehe ich fünf Amis, die zielbewusst auf mich zusteuern. Sie freuen sich, von einem US-It-Girl empfangen zu werden, und es gibt die üblichen Küsschen, auch wenn die Zuckerpuppe von der West Coast ist. Die Amis sind total down vom Jetlag und wollen so schnell wie möglich ins Hotel, um ihre Kopfschmerzen loszuwerden, bisher war noch keiner von ihnen in Europa.

Wir fahren in unserem Kleinbus auf die Route des Badauds hinaus und reihen uns auf dem Autobahnkreuz in Richtung Paris ein, auf dem der Verkehr zum Erliegen gekommen ist. Die feuchtkalte Pariser Novemberluft haut die Amis noch einmal nieder, weil in New York City jetzt noch angenehmer Spätherbst ist.

Sie meckern ziemlich herum, weil wir im Verkehrschaos stecken bleiben. Eric spricht kein Wort Englisch, und die Amis kein Wort Französisch, sie fluchen herum, wieso der Fahrer nicht Englisch spricht, was ihrer Meinung nach essenziell für die Aufnahmen wäre, und wir kommen uns gleich in die Haare, weil ich perfekt dolmetschen kann, was der amerikanische Regisseur nicht gelten lassen will, auch wenn er nur von der Second Unit ist, die nichts weiter zu tun hat, als die Außenaufnahmen abzuarbeiten.

Eric lotst uns geschickt durch das Verkehrschaos, und nach gut eineinhalb Stunden erreichen wir endlich das Hotel in der Rue Jenner im 13. Arrondissement.

Die Amis fluchen weiter, weil sie lieber in der City wohnen wollten und nicht am Arsch der Welt. Ich bin total beleidigt und stelle die Lumpenhunde an der Rezeption ab, was wieder Diskussionen mit den Franzosen auslöst, die kein Wort Englisch sprechen.

Zwangsläufig muss ich weiter dolmetschen, und es vergeht noch ein gutes halbes Stündchen, bis die Amis endlich in ihren Zimmern untergebracht sind. Ihr Equipment wird in den West-Studios sicher gelagert, was die Amis wissen müssten, aber natürlich ignorieren, denn sechs Stunden später rufen sie aufgebracht an, dass keine Dreharbeiten möglich sind, denn irgendein Arsch hätte das gesamte Equipment geklaut.

Ich bin schon total genervt von der blöden Bande, die sich dümmer anstellt als ein paar kleinkarierte Kärntner Filmstudenten, deren Kleinkariertheit noch von ihrer Provinzialität verschärft wird.

Ich überlege einen Moment, in der Redaktion der Cahiers du Cinéma anzurufen, um zu fragen, ob Louis für ein Schäferstündchen Zeit hätte; jetzt hilft nur noch eine saftige Vögelei, bevor ich völlig überschnappe.

Ich unterdrücke meine sexuellen Gelüste und überlege, ob ich mir nicht Eric für meine unbefriedigte Lust ins Visier nehmen sollte; er ist jünger, und wozu gibt es französische Männer?

Wieso sollte ich mit einem alten Esel vögeln, wenn ein junger, spritziger Filou schon im Haus ist?

Leider funken schon wieder die Amis dazwischen, sie hätten bereits mit Duane telefoniert, dass der Service von West-Film das absolut Letzte wäre, was ihnen zwischen New York City und LA je untergekommen ist.

Duane ruft aus London an, und wir streiten ein gutes Viertelstündchen via WhatsApp herum, dass ich nicht die Dumme für die Schrullen aller Vollidioten von New York City wäre und dass ich endlich mit einem jungen Franzosen vögeln will.

Duane ist mehr als schlecht gelaunt über meine Scherze, obwohl ich meine sexuelle Lust nicht als Scherz verstehe, sondern als einen wichtigen Teil meiner Libido. Duane meint, er würde jetzt jemanden in Paris anrufen, den ich noch nicht kenne, der sofort in die West-Studios kommt, um mir ganz gehörig den Kopf zu waschen, aber gründlich.

Selbstverständlich bin ich bei einem solchen Chauvinismus mehr als beleidigt und heule sicherheitshalber einmal ordentlich.

Duane bleibt nichts anderes übrig, als sich bei mir zu entschuldigen, und telefoniert noch einmal mit den Amis im Hotel, die bereits die Flics gerufen haben.

Ich spreche mit der französischen Polizei und bringe sie dazu, dass wir alle gemeinsam in die West-Studios gehen; dort befinden sich sämtliche technischen Ausrüstungsgegenstände der amerikanischen Crew, und die Flics empfehlen sich, nicht ohne ein begehrliches Auge auf mich geworfen zu haben.

Angenehm stellt die französische Polizei fest, dass ich perfekt Französisch spreche; beide Flics hinterlassen ihre Dienstnummern, falls ich einmal Probleme hätte.

Ich bedanke mich artig, und die Flics ziehen endlich ab.

Die Amis jammern noch immer wegen ihres Jetlags herum. Duane ruft aus London an, und erfreulicherweise können die Amis und ich ihm mitteilen, dass sich das Missverständnis in Luft aufgelöst hat. Ich zicke noch ein bisschen herum, weil Duane vorhin so gemein zu mir gewesen ist, doch Duane lässt sich nicht von meinen Launen zur Verzweiflung bringen – im Gegenteil, er gibt mir sofort Aufträge, was ich mit den Amis zu tun und zu lassen habe und dass ich selbstverständlich mit keinem von den Idioten aus New York City ins Bett springen, sondern sachlich cool die Locations abarbeiten soll.