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Die Ich-Psychologie

Von einer Ich-Psychologie als eigenständige Ausrichtung innerhalb der Psychoanalyse kann erst seit den Beiträgen von Anna Freud (1936) und insbesondere von Heinz Hartmann (1939) gesprochen werden.20

Hartmann wies darauf hin, dass insbesondere die mangelnde Unterscheidung zwischen dem Ich als System im strukturellen Sinne und dem Ich als Synonym für die eigene Person (Selbst) zur Verwirrung in der Freudschen Narzissmuss-Theorie beigetragen habe. Er unterschied das Ich (ein strukturelles mentales System), das Selbst (die gesamte Person des Individuums, inklusive seines Körpers, seiner psychischen Organisation und ihrer Teile) und die Selbstrepräsentanzen (die unbewussten, vorbewussten und bewussten endopsychischen Repräsentationen des körperlichen und mentalen Selbst im Ich-System) (vgl. Hartmann 1972, S. 261).

Nach Hartmann solle der Begriff Selbst als Bezeichnung der eigenen Person im Gegensatz zum Objekt gelten, der des Ich solle sich demgegenüber auf ein psychisches System im Gegensatz zu anderen Teilstrukturen der Persönlichkeit beziehen. Das Gegenteil von Objektbesetzung sei nicht Ich-Besetzung, sondern Besetzung der eigenen Person, d. h. Selbstbesetzung (vgl. ebd., S. 132). Narzissmus sei nach Hartmann die libidinöse Besetzung des Selbst oder genauer: der Selbstrepräsentanzen im Gegensatz zur Besetzung der Objektrepräsentanzen. Narzissmus lässt sich in allen drei Strukturmerkmalen finden, dem Ich, dem Es und dem Über-Ich, die gemeinsam das Selbst bilden. Darüber hinaus ist bei einer gesunden narzisstischen Entwicklung die Besetzungsenergie desexualisiert und neutralisiert und nicht mehr triebhaft. Das Ich kann seine Autonomie behaupten und besitzt »die Merkmale eines isolierten psychischen Systems« (ebd., S. 135). Wenn diese Neutralisierung der Besetzungsenergie jedoch nicht gelingt, führt dies zu einer Sexualisierung des Ichs und damit zu einer Ich-Schwäche, die dem pathologischen Narzissmus entspricht.

Zu erwähnen ist noch die Warnung von Hartmann vor einer Überschätzung der Rolle der Objektbeziehungen in der Genese des Ichs. Eine wie auch immer geartete Ablehnung der Mutter wird seiner Ansicht nach häufig in geradliniger Kausalbeziehung und ohne Unterschied für nahezu all die verschiedenen Formen späterer pathologischer Entwicklungen und besonders für die Ich-Störungen verantwortlich gemacht. Hartmann macht vielmehr auf die Konflikte innerhalb des Ichs und seiner Funktionen und deren Entwicklung aufmerksam.21

Heute gehören die Theorien der Ich-Psychologie zum festen Bestandteil der Psychoanalyse und sind Ursprung vieler moderner Theorien, die wiederum zur Weiterentwicklung der Ich-Psychologie beigetragen haben. Die Ich-Psychologie kann als eine psychoanalytische Variante der kognitiven Psychologie verstanden werden, die sich mit zumeist bewussten Funktionen auseinandersetzt.

Die Objektbeziehungstheorien

Parallel zu den Entwicklungen durch die Ich-Psychologie und durch die Neofreudianer22 in Amerika war die theoretische Entwicklung in Großbritannien von der Analyse der frühen Objektbeziehungen gekennzeichnet.23 Es vollzog sich eine Verlagerung von den inneren Triebkonflikten hin zu den äußeren Einflüssen realer Beziehungen. Sandor Ferenczi nahm viele Ideen der erst Jahrzehnte später ausgearbeiteten Objektbeziehungstheorie in seinen Schriften vorweg. Einen bedeutenden Stellenwert in seiner Theorie hat die Betonung realer Kindheitserfahrungen in der Ätiologie von psychischen Störungen.

Melanie Klein, die ebenso wie Michael Balint zu den Schülern Sandor Ferenczis zählt, kann als letzte Vertreterin einer trieb- und konfliktpsychologischen untergründeten Objektbeziehungstheorie gelten, obwohl auch sie schon nicht mehr von sexuell agierenden Objekten im Freudschen Sinne schreibt.24 In der Theorie Kleins leiten die frühesten Erfahrungen des Säuglings beim Stillen und die Nähe zur Mutter eine erste Objektbeziehung ein (vgl. Klein 1962, S. 144). Das Objekt (die Mutter) dient somit vor allem der Triebbefriedigung und als Projektionsfeld. Die erste Objektbeziehung ist laut Klein von Anfang der Entwicklung an mit Verfolgungsängsten verbunden, die aus dem Verlust des intrauterinen Zustands, als Angriff von außen nämlich, gefolgert werden. Klein übernahm die Theorie des Todestriebes von Freud und unterstellte eine von Beginn an wirkende Aggressivität und Destruktivität im Menschen. Die Funktion dieser ersten Objektbeziehung sei es geradezu, das Gefühl des Verlustes und der Verfolgung zu mildern und ihm entgegenzuwirken (ebd. S. 147). Die Wahrnehmung der Mutter (des frühen Objektes) beziehungsweise des Teilobjektes (der Brust) entweder als die stillende oder die versagende Brust führt nach Klein in eine Aufspaltung in ein gutes Objekt, an das sich die oral-libidinösen Strebungen heften, und ein böses Objekt, das als Verursacher von Versagung und Entbehrung oral-destruktive Strebungen auf sich zieht und die konstitutionell vorhandene angeborene Aggression verstärkt. Diese Aggression bewirkt wiederum die Angst vor Rache des bösen Objektes und setzt Abwehrmechanismen wie Idealisierung und Abspaltung in Kraft. Klein legte außerdem mit dem Begriff der projektiven Identifizierung25 den Grundstein für die Erforschung objektbezogener Abwehrvorgänge, die dominieren, wenn Abhängigkeit und Getrenntheit nicht ertragen werden können (vgl. Hinz 2008, S. 524).

Obwohl die Objektbeziehungstheorie stark von Kleins Arbeit beeinflusst ist (Winnicott war bei Klein in Supervision), tendiert diese später in eine andere Richtung (vgl. Schoenhals 2008, S. 519). Michael Balint, Roland Fairbairn und Donald Winnicott wandten sich gegen das dem Freudschen Triebkonzept inhärenten uranfänglichen sexuellen Triebgeschehen und postulierten eine primäre Liebe und Bezogenheit, ja sogar einen uranfänglichen Bindungsinstinkt und eine angeborene Beziehungserwartung (vgl. Mertens 2007, S. 123).

Balint beispielsweise wendet sich gegen eine biologistische, rein triebpsychologische Deskription seelischer Vorgänge, die dazu tendiert, die Liebesbedürftigkeit des Menschen und die Bedeutung seiner Beziehungen zu anderen Menschen aus den Augen zu verlieren. Unter Narzissmus, so schreibt Balint, verstand man bisher zweierlei: »Erstens eine Art Libidounterbringung, nämlich wenn die betreffende Person sich selbst liebt, und zweitens jenes Verhältnis zur Umwelt, in welchem die Person von der Realität gar nicht oder nur ungenügend Kenntnis nimmt, und man hat die narzisstische Liebe, die Selbstliebe, als primär, als angeboren angesehen.« (Balint 1935, S. 69) Diese Schlussfolgerung kritisiert er an einer späteren Stelle vehement: »Meiner Meinung nach ist das nicht richtig. (…) Es zeigt eben die überwältigende Macht der Hypothese, dass die ganze Seele, mithin auch das Es – wie von Natur – ursprünglich nur narzisstisch gedacht werden konnte. Eine Seele, welche keine Beziehung zur Außenwelt unterhält, ist die logisch einfachste Vorstellung, aber folgt daraus, dass diese Form in der Realität auch die ursprünglichste sein muss? Es ist ein naheliegender Trug, welchem nicht nur wir Psychoanalytiker zum Opfer gefallen sind.« (ebd. S. 114)

Balint richtet sich somit nicht nur gegen die Existenz eines primären Narzissmus, sondern auch gegen eine Beziehungslosigkeit, d. h. gegen eine monadische Struktur des Infants. Er macht darauf aufmerksam, dass er die Entwicklung von Objektbeziehungen – und das sind für ihn Liebesbeziehungen – und die Entwicklung sexueller Ziele als zwei verschiedene, in sich verschränkte, jedoch nicht a priori parallele Vorgänge versteht. Nach seiner Auffassung gibt es zwei Urformen von Liebe, die aktive und die passive. Bereits das Neugeborene zeige schon das Anliegen eines jeden Menschen, ganz und ohne Gegenleistung geliebt und befriedigt zu werden. Die urtümliche Liebe sei passiv, aber nicht narzisstisch im Sinne Freuds. Passiv müsse sie zwangsläufig sein, da das Kind noch nicht fähig sei, Liebe aktiv zu agieren. Der glückliche Verlauf der Beziehung Mutter-Kind als erste (Objekt-) Liebesbeziehung überhaupt ist daher für Balint »ein Zentrum oder Knotenpunkt, von dem alle späteren Entwicklungen strahlenförmig ausgehen« (ebd. S. 301). Die erste passive Liebesbeziehung präge jede spätere aktive Ich-Du-Beziehung, denn auch in der reiferen Form aktiver Liebe bleibe der wechselseitige Anspruch auf Ausschließung anderer erhalten (vgl. Orlowsky 1992, S. 372). Unsensible Erwachsene könnten jedoch beim Kind körperliche Abwehrformen – Verkrampfungen – ebenso provozieren wie einen Rückzug auf sich selbst, auf narzisstisches Verhalten: »Wenn mich die Welt nicht liebt, [so wie ich geliebt sein will] dann muss ich mich selber lieben.« (Balint 1935, S. 301)

In Balints Modell eines primär objektbezogenen und dem Objekt in primärer Liebe verbundenen Säuglings sind intentionale Übereinstimmungen mit Fromms genuinem, guten, triebbereinigten Selbst auszumachen. Ferner steht Balints Konzept einer aufsteigenden Entwicklung von der primär passiven zur aktiven Objektliebe in der (entwicklungspsychologischen) Tradition des Reifungsgedankens und verabschiedet sich im Gegensatz zu Klein von der Freudschen Vorstellung der Subjektwerdung entlang struktureller Konflikte (vgl. Gast 2006, S. 150).

Fairbairn war es nun, dem der Anschluss der englischen Objektbeziehungstheorie an die amerikanischen Strömungen der Psychoanalyse gelang. Er verband Balints Theorie der primären Objektliebe mit dem Libido-Begriff. Die Libido, so Fairbairn, sei nicht primär am Lustgewinn orientiert, sondern das »wahre libidinöse Bedürfnis liege in der Herstellung befriedigender Objektbeziehungen« (Fairbairn 1952, S. 65).

Fairbairn postuliert, dass das Kleinkind von Anfang an auf die primären Bezugspersonen bezogen ist und über eine realistische Wahrnehmung verfügt; seine innere Welt gestaltet sich als Reaktion auf die Erfahrungen mit den äußeren Beziehungen. Erst die übermäßige Enttäuschung der Bedürfnisse des kleinen Kindes nach Zuwendung und Anerkennung führt zur Ausbildung einer inneren Welt. Es bildet sich eine innerpsychische Struktur (endopsychische Situation) mit einer inneren Spaltung, die allgemein, aber in ihrer Ausprägung je nach Erfahrung und Anlage unterschiedlich stark ist. Die in der äußeren Realität unerfüllten Bedürfnisse und Enttäuschungserlebnisse werden mit den entsprechenden Ich-Anteilen und Objekten abgespalten und verdrängt:

 

– Aus dem ursprünglich ungeteilten Ich wird das libidinöse Ich, das eng mit dem libidinösen Objekt verbunden ist, abgesondert. Im libidinösen Ich sind alle Beziehungserfahrungen mit den unerfüllten Gefühlen und Sehnsüchten nach vollständiger Liebe und paradiesischer Innigkeit lokalisiert.

– Außerdem wird das anti-libidinöse Ich oder der innere Saboteur mit dem zurückweisenden Objekt, das voller Enttäuschungswut und Hass ist, abgespalten und verdrängt.

– Es verbleibt das zentrale Ich, das mit dem Idealobjekt oder besser mit dem akzeptierenden Objekt verbunden ist.

Der Vorteil der Spaltung und Verdrängung besteht darin, dass das bedürftige Kind sich schon sehr früh auf seine primären Objekte einstellen und anpassen kann, jedoch zu dem hohen Preis der inneren Spaltung (vgl. derselbe 1952a). Fairbairn betont in diesem Zusammenhang auch die Funktion von Scham, die mit dem Erleben der Beziehung zu einem bösen Objekt regelmäßig verbunden ist. Für ein Kind spielen die Gefühle, die ein Erwachsener ihm gegenüber empfindet, für seine Identifizierung eine wichtige Rolle. Es übernimmt damit auch die Sichtweise der Eltern, wenn diese es als böse oder schmachvoll erleben und es glaubt dann selbst, böse zu sein. Aufgrund seiner Abhängigkeit ist es für ein Kind kaum möglich, sich einzugestehen, dass die Eltern oder andere idealisierte Erwachsene wirklich böse sind. Fairbairns objektbeziehungstheoretischer Ansatz war für die Entwicklung der relationalen Psychoanalyse, also für den beziehungstheoretischen Ansatz innerhalb der psychoanalytischen Theorie, bedeutsam.

Winnicott, der sowohl ein Schüler von Melanie Klein als auch von D. W. R. Fairbairn war, betont ebenfalls die Wichtigkeit von Objektbeziehungen und zeigt ihre Bedeutung für die Selbstentwicklung auf. Er postuliert: »There is no such thing as a baby«, denn immer dort, wo man einen Säugling finde, sei auch die mütterliche Fürsorge. Ohne diese mütterliche Fürsorge oder haltende Umwelt gebe es auch keinen Säugling, der Säugling und die Mutter bilden zusammen eine Einheit (vgl. Winnicott 1974, S. 50). Für Winnicott ist das Gesicht der Mutter in der individuellen Entwicklung der Vorläufer des Spiegels. »Was erblickt das Kind, das der Mutter ins Gesicht schaut? Ich vermute im Allgemeinen das, was es in sich selbst erblickt. Mit anderen Worten: Die Mutter schaut das Kind an, und wie sie schaut, hängt davon ab, was sie selbst erblickt. Diese Dinge werden allzu oft für selbstverständlich gehalten.« (Winnicott 1971, S. 129)26 Besonderes Augenmerk richtete Winnicott auf die Unterscheidung zwischen dem wahren und dem falschen Selbst. Das wahre Selbst ist das Resultat der Beziehung zu einer »hinreichend guten Mutter« (»good enough mother«), die nicht nur die Triebbedürfnisse ihres Säuglings wahrnimmt, sondern auch seine Kreativität anerkennt, seine Grenzen respektiert und ein Gleichgewicht zwischen seinen Illusions- und Desillusionserfahrungen herzustellen weiß. Nach Winnicotts Auffassung ist die Einheit nicht das Kind, sondern eine intersubjektive Entität, die Mutter-Kind-Einheit. »Das wahre Selbst kommt von der Lebendigkeit des Zellgewebes und der Tätigkeit der Körperfunktionen, einschließlich Herz- und Atemtätigkeit.« (Winnicott 1974, S. 193) Auch kann nur das wahre Selbst kreativ sein und sich real fühlen. Während »ein wahres Selbst sich real fühlt, führt die Existenz eines falschen Selbst zu einem Gefühl des Unwirklichen oder einem Gefühl der Nichtigkeit« (ebd.).

Winnicott geht davon aus, dass es in jedem Menschen eine angeborene »natürliche Tendenz zur Gesundheit und zur entwicklungsmäßigen Reife« (Winnicott 1976, S. 130) gibt, die aber nur unter entsprechenden wachstumsfördernden Bedingungen zur Entfaltung kommen kann. Winnicott betrachtet eine seelische Erkrankung nicht als eine pathologische Störung, sondern vorrangig als eine Notlösung für emotionale Konflikte und misslungene Entwicklungsaufgaben (Entwicklungsstagnationen). Seiner Meinung nach ist es für das Individuum normal und gesund, das Selbst gegen spezifisches Umweltversagen durch ein Einfrieren der verfehlten Situation zu verteidigen. Für eine Therapie bedeutet dies, dass eine Entwicklungsbefreiung durch Regression zu den eingefrorenen Lebensprozessen und ihr Auftauen im Sinne einer Aufhebung der Dissoziation oder Auflösung der falschen Selbst-Anteile gelingen muss (vgl. ebd. S. 184 ff.). Die organisierte »Regression auf Abhängigkeit« bezeichnet Winnicott als »untrennbaren Bestandteil der Analyse von Phänomenen der frühesten Kindheit« (vgl. ebd. S. 184 ff.).

Bevor auf die selbstpsychologischen Konzepte eingegangen wird, soll abschließend die Objektbeziehungstheorie von Otto F. Kernberg dargestellt werden.27

Nach Kernberg besteht eine Objektbeziehung aus drei Teilen: der Selbst-Repräsentanz, der Objekt-Repräsentanz und aus einem Affekt, der beide verbindet. Dabei ist eine Selbst- oder Objekt-Repräsentanz ein teilweises oder vollständiges Bild des Selbst oder des Objekts in der inneren Welt. Den Objekten der Außenwelt, i. d. R. den relevanten Bezugspersonen der frühen Kindheit, entsprechen die Objekt-Repräsentanzen in der inneren Welt. Die Triade aus Selbstrepräsentanz, Objektrepräsentanz und Affekt werden nach Kernberg zu den Bausteinen der psychischen Struktur des Kindes. Die Entwicklung psychischer Strukturen ist somit als Folge und als Ergebnis von Internalisierungsprozessen zu verstehen. Mit der Zeit verschmelzen die verschiedenen Objekt-Repräsentanzen zu einem übergreifenden Objekt-Bild und die verschiedenen Selbstrepräsentanzen zu einem umfassenden und zusammenhängenden Selbstbild. Kernberg definiert dabei das Selbst wie folgt: »Das Selbst ist eine intrapsychische Struktur, die sich aus mannigfachen Selbstrepräsentanzen mitsamt den damit verbundenen Affektdispositionen konstituiert. Selbstrepräsentanzen sind affektiv-kognitive Strukturen, die die Selbstwahrnehmung einer Person in ihren realen Interaktionen mit bedeutsamen Bezugspersonen und in phantasierten Interaktionen mit inneren Repräsentanzen dieser anderen Personen, den sogenannten Objektrepräsentanzen widerspiegeln.« (Kernberg 1980, S. 358)

Die Objektbeziehungstheorie von Kernberg geht somit davon aus, dass die Entwicklung des psychischen Apparats sich durch einen Prozess der Internalisierung von Objektbeziehungen vollzieht. Er vollzieht sich in den ersten drei Lebensjahren und kulminiert im besten Falle in einer stabilen Ich-Identität: »Die normale Persönlichkeit ist in erster Linie gekennzeichnet durch ein integriertes Selbstkonzept und ein integriertes Konzept von wichtigen Bezugspersonen. Sind diese beiden Strukturelemente in einer Persönlichkeit vorhanden, sprechen wir von ›Ich-Identität‹. Erkennbar werden sie an einem inneren Gefühl für Selbstkohärenz und dem damit verbunden äußeren Ausdruck. Ein integriertes Selbstkonzept bildet die grundlegende Voraussetzung für ein normales Selbstwertgefühl, Freude am eigenen Selbst und am Leben.« (Kernberg 2004, S. 22)

Als weitere Strukturmerkmale einer normalen Persönlichkeit nennt Kernberg die aus der Ich-Identität erwachsende Ich-Stärke, ein ausgebildetes und integriertes Über-Ich mit internalisiertem Wertesystem sowie einem angemessenen und befriedigenden Umgang mit libidinösen und aggressiven Impulsen (vgl. ebd. S. 23).

Hinsichtlich der Herkunft von Psychopathologien postuliert Kernberg, dass diese in defizitären Objektbeziehungen, die verinnerlicht wurden, ursächlich begründet sind. Er unterscheidet deutlich zwischen einem gewöhnlichen Narzissmus bei Erwachsenen und einem pathologischen Narzissmus.

Damit soll die Darstellung der Objektbeziehungstheorien als eine Entwicklungstheorie von Narzissmus abgeschlossen werden. Zusammenfassend sei festgehalten, dass in allen Objektbeziehungstheorien die Beziehung im Mittelpunkt der seelischen Entwicklung des Menschen steht – durch sie werden die inneren Strukturen aufgebaut und organisiert. Dabei spielen das Bezogen-Sein und die Erlebnisqualität eine zentrale Rolle für eine gelungene oder eine pathologische Entwicklung der Person.

Die Selbstpsychologie

Die von Heinz Kohut gegründete psychoanalytische Selbstpsychologie entwickelte sich zu einer der wichtigsten Schulen der Psychoanalyse, auch wenn sie von den traditionellen Schulen oft aus gewisser Distanz betrachtet wurde. Kernberg, durchaus ein theoretischer Widersacher Kohuts, schreibt: »Die Selbstpsychologie, die intersubjektiven, die interpersonellen und die relationalen psychoanalytischen Orientierungen bilden zusammen eine bedeutsame Alternative zu der psychoanalytischen Hauptströmung innerhalb der englischsprachigen Gemeinschaft.« (Kernberg 2002, S. 6)

In seinem ersten Buch »Narzissmus« (1971) beschreibt Kohut eine Gruppe von Patienten, die an einer bis dahin unanalysierbaren narzisstischen Persönlichkeit bzw. an Verhaltensstörungen litten. Diese Patienten entwickelten eine archaische Selbstobjektübertragung, die eine Analyse möglich machte und damit die Grundlage bildete, auf der Kohut seine klinischen und theoretischen Überlegungen entwickeln konnte. Die Selbstpsychologie im engeren Sinne war somit zunächst auf eine Gruppe von Patienten beschränkt, deren Psychopathologie primär auf Defizite zurückging.

In der Folgezeit entwickelte sich die Selbstpsychologie weiter. Untersuchungen zu ödipalen Themen lieferten zusätzliches empirisches Material, das in die Konzeptualisierung der ödipalen Selbstobjektübertragung mündete. Diese Ausdehnung auf das gesamte Spektrum neurotischer Störungen führte zu einer beträchtlichen Erweiterung der Selbstpsychologie und fand in Kohuts zweitem wichtigem Werk »Die Heilung des Selbst« (1977) ihren Höhepunkt.

Neben der Entwicklungslinie der Triebe nimmt Kohut eine davon unabhängige an – den Narzissmus mit dem Motivationsprimat des Selbst. Er rehabilitiert den Narzissmus-Begriff und entkleidet ihn seiner pathologischen Konnotation. Die Entwicklung verläuft nicht vom Narzissmus zur Objektbeziehung, sondern vom archaischen zum reifen Narzissmus.

Kohut definiert das Selbst als eine Selbst-Repräsentation und unternimmt keinen weiteren Versuch, dies näher zu umreißen. Er schreibt: »Das Selbst (…) ist, wie alle Realität (…) in seiner Existenz nicht erkennbar. Wir können mit Introspektion und Empathie nicht das Selbst ›per se‹ erreichen; nur seine introspektiv oder empathisch wahrgenommenen psychologischen Manifestationen stehen uns offen.« (Kohut 1971, S. 299) Nach seiner Auffassung entsteht ein kohärentes Selbst durch die spontanen exhibitionistischen Aktivitäten des Säuglings, die bei der Mutter auf Freude und einfühlsame Spiegelung stoßen. »Der Glanz im Auge der Mutter« (ebd. S. 141), wie es Kohut anschaulich nennt, stellt eine Art Spiegelung für das Kind dar, die unerlässlich für seine seelische Entwicklung ist. Die mütterliche Empathie bildet die Basis zur Entwicklung eines gesunden Selbstwertgefühls. Je größer der Empathie-Mangel, desto gravierender ist für Kohut die Schädigung des Selbst. Aus diesem primären Narzissmus entwickeln sich unter dem Einfluss unvermeidbarer Frustrationen zwei narzisstische Konfigurationen: eine grandiose Selbst-Vorstellung (das Größenselbst) und eine idealisierte Eltern-Imago (das Selbst-Objekt). Oder wie es Kohut formuliert – das Gefühl allumfassender Geborgenheit wird »durch die unvermeidliche Begrenzung der mütterlichen Fürsorge gestört. Das kleine Kind ersetzt aber diese vorherige Vollkommenheit (a) durch den Aufbau eines grandiosen und exhibitionistischen Bildes des Selbst: das Größen-Selbst; und (b) indem es die vorherige Vollkommenheit einem bewunderten, allmächtigen (Übergangs-) Selbst-Objekt zuweist«: der idealisierten Eltern-Imago (Kohut 1971, S. 43).

In einer späteren Version der Selbstpsychologie bilden diese beiden narzisstischen Konfigurationen die »bi-polare« Struktur des Selbst, mit einem Pol der Strebung (Ambitions) und einem Pol der Werte (Ideals). Dieser Spannungsbogen zwischen Ambitionen und Idealen enthält als strukturellen Zwischenbereich die angeborenen Talente und Fähigkeiten.28 Dies entspricht auch den von Kohut genannten drei grundlegenden Selbstobjekt-Bedürfnissen

 

1. nach Spiegelung (führt nach ausreichender Befriedigung zu Selbstwertgefühl und Selbstrespekt),

2. nach Idealisierung (führt nach wiederholten Erfahrungen beruhigender und beschützender Reaktionen der Eltern zur Fähigkeit der Selbstberuhigung und zum angemessenen Umgang mit aggressiver und libidinöser Erregung),

3. nach Gleichheit und Zugehörigkeit (führt durch wiederholte und entsprechende Reaktionen von wichtigen Bezugspersonen zur Entwicklung von Gemeinschaftsgefühl und Stolz.29

Die psychoanalytische Selbstpsychologie hat aber auch betont, dass das fortgesetzte Bedürfnis nach Selbstobjekt-Beziehungen während des ganzen Lebens normal ist. Auch ein gesunder Erwachsener hat narzisstische Bedürfnisse, dann allerdings in Form reifer Selbstobjekt-Bedürfnisse. In der Sichtweise der Selbstpsychologie sind Selbst-Objekt-Erfahrungen lebenslang notwendig, um das Selbstgefühl aufrechtzuerhalten.

Nach Kohut liegt einer narzisstischen Störung eine Frustration des kleinkindlichen Bedürfnisses nach Zuwendung zugrunde, die schließlich eine Abspaltung des Wunsches nach Zuwendung zur Folge hat. Dies führt zu Grandiosität, extremer Beschäftigung mit dem Selbst und einem Mangel an Interesse und Empathie für andere. Hinter dieser Abwehrfassade liegen Gefühle der Leere und eine Wut, bei der intensiver Neid dominiert. Es besteht dabei für das Individuum die Gefahr einer regressiven Fragmentierung (Zerstückelung), die durch Dissoziation30 und Isolation abgewehrt wird.

Aggression, die sich laut Kohut bei schweren Persönlichkeitsstörungen verstärkt zeigt, ist ein Zerfallsprodukt, das durch die Frustration des elterlichen Empathie Mangels entstanden ist. Narzisstische Wut sieht Kohut als heftige Reaktion auf ein verletztes Selbstwertgefühl.

Einen weiteren wichtigen Gedanken bringt Kohut mit seiner Unterscheidung zwischen dem schuldigen Menschen und dem tragischen Menschen. Während der schuldige Mensch in der frühen Kindheit eher unter einer emotionalen Überstimulierung gelitten hat, wuchs der tragische Mensch in einem gefühlsmäßigen Vakuum auf. Während Schuld der zentrale Affekt ist, der den schuldigen Menschen plagt, kann Scham als derjenige Affekt angesehen werden, der der Erfahrung des defizitären, entleerten Selbst des narzisstischen Patienten zugrunde liegt.

Einen weiteren wichtigen Beitrag in der Betrachtung des Narzissmus leistete Kohut, indem er das Konzept des Narzissmus entmoralisierte. Außerdem werden in seiner Definition die Selbst-Objekt-Beziehungen als Beziehungen erfahren, in denen die Objektwelt lebenslang eine Vielfalt stützende Funktion gewährt. Er vollzieht damit eine Verlagerung von einer Ein-Personen-Psychologie auf eine Zwei- oder Mehr-Personen-Psychologie, die die intrapsychischen Aspekte durch interpersonelle Aspekte ergänzte (vgl. Ornstein 2006, S. 674).

Nicht nur die Entfaltung und Differenzierung der Theorie und Praxis der Selbstpsychologie, sondern auch der Objektbeziehungstheorien sowie interdisziplinäre Beiträge führten zu verschiedenen weiteren Entwicklungen und Gruppierungen, die nachfolgend dargestellt werden sollen.