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Intersubjektive, relationale und interpersonelle Beiträge zur Entwicklungstheorie des Narzissmus

Seit den 80er-Jahren ist eine Konvergenz zwischen den Auffassungen fast aller wichtigen Schulen der Psychoanalyse zu beobachten. Diese Konvergenz ist begleitet von einer grundlegenden Veränderung in der Theorie, weg von einer monadischen Konzeption der menschlichen Entwicklung und seiner psychischen Strukturen, die eine klar abgegrenzte Wesenheit postuliert, hin zu einer Perspektive, die den Menschen und seine Entwicklung als dyadisches Phänomen beschreibt, das in einem relationalen Feld eingebettet ist. Die Entwicklung distanziert sich von Triebdynamik, intrapsychischen Konflikten und Versagungen und geht über zur Beziehung zwischen Selbst und Anderen, zu Intersubjektivität und Relationalität.

Gemeinsam ist diesen Ansätzen, dass sie den Menschen im Rahmen seiner (frühen und aktuellen) Beziehungen betrachten. Der Begriff der ›Relationalität‹ geht von einem sozialen Kern der conditio humana aus. Das Bewusstsein, die Identität und Subjektivität entstehen erst aus einer affektiven Verbundenheit und einer lebensgeschichtlichen Bezogenheit auf andere Menschen. Das Denken in Beziehungen komplementiert das Denken in intrapsychischen Begriffen oder wie Altmeyer und Thomä es formulieren:

»Die intersubjektive Wende in der Psychoanalyse, die man auch ihren ›relational turn‹ nennt, reflektiert eine wachsende Einsicht in die conditio humana: Der Mensch ist kein Monade – er wird vielmehr in menschliche Beziehungen hineingeboren, gewinnt durch soziale Beziehungen hindurch ein Verhältnis zu sich selbst und zur Welt und bleibt bis ins hohe Alter auf solche Beziehungen angewiesen. Als Mensch werden wir gerade dadurch zu einzigartigen unverwechselbaren Individuen, dass wir unsere ›Beziehungsschicksale‹ verinnerlichen und zum Aufbau unserer psychischen Struktur verwenden. Nur wissen wir von dieser inneren Bezogenheit meist nichts mehr, weil wir uns sonst abhängig fühlen würden: Selbst im Narzissmus schützen wir uns vor jener schmerzlichen Erfahrung von Abhängigkeit, der wir im Bedürfnis nach Anerkennung auf paradoxe Weise unbewusst Tribut zollen.« (Altmeyer u. Thomä 2006a, S. 8)

Die entscheidenden Impulse für diese ›intersubjektive Wende‹ der Psychoanalyse kamen aus zwei verschiedenen Gebieten: aus den intersubjektiven Gedanken der (Sozial-) Philosophie und aus der empirischen Säuglingsforschung.

Der Philosoph Georg Wilhelm Hegel war der erste intersubjektiv argumentierende Psychologe, der diese Dialektik in seiner Phänomenologie des Geistes in seinem berühmten Herr-Knecht-Kapitel beschrieb: »Das Selbstbewusstsein ist an und für sich, indem und dadurch, dass es für ein anderes (Selbstbewusstsein) an und für sich ist; d. h. es ist nur als ein Anerkanntes.« (Hegel 1807, S. 71) Nach Ansicht Hegels gewinnt der Einzelne nur ein Bewusstsein von sich selbst, wenn er sich im Anderen spiegelt und von diesem anerkannt wird; das Selbst erlebt sich zugleich als autonom und abhängig – ein Dilemma, zwischen denen es oszilliert.

Jürgen Habermas wies in seiner modernen sozialphilosophischen Konzeption auf den intersubjektiven Kern des Selbstbewusstseins hin, dass »das im Ich (…) zentrierte Bewusstsein nichts Unmittelbares und schlechthin Innerliches ist. Selbstbewusstsein bildet sich vielmehr über eine symbolisch vermittelte Beziehung zu einem Interaktionspartner auf dem Wege von außen nach innen. Insofern besitzt es einen intersubjektiven Kern« (Habermas 1992, S. 217).

Die neuesten Ergebnisse der empirischen Säuglingsforschung zeigen ein ganz neues Bild der frühkindlichen Welt. Säuglinge initiieren zum großen Teil die Interaktion mit der Mutter und aktivieren deren Reaktionsbereitschaft. Schreien oder unmotiviertes Quengeln haben Aufforderungscharakter und zielen auf differenzierte Antworten. Sie unterscheiden zwischen dem Gesicht der Mutter sowie einem fremden Gesicht und demonstrieren eine selektive Interaktionsbereitschaft, die sich am jeweiligen Objekt orientiert. In den Frühstadien seiner seelischen Entwicklung verfügt der Mensch über ein differenziertes, auf Kommunikation angelegtes System, das in der Lage ist, die äußere Realität zu kategorisieren und mit Sinn zu erfüllen, Interaktionen zu antizipieren und zu steuern. Die moderne Kleinkindforschung hat sogar den Nachweis erbracht, dass nicht erst das Neugeborene, sondern schon der Fötus in einem affektiven Austausch mit seiner Mutter steht. Die Notwendigkeit, mittels affektiver Kommunikation eine Beziehung herzustellen, ist für das Neugeborene überlebensnotwendig. Dazu gehört auch der Bindungsinstinkt, dessen angemessene Entwicklung von der Responsivität und der Feinfühligkeit der erwachsenen Bezugsperson abhängt.31

Durch den Einfluss des Säuglingsforschers und Analytikers Daniel Stern etablierte sich das Konzept der Intersubjektivität in der frühen Kindheitsentwicklung weiter. Stern unterscheidet vier aufeinanderfolgende Stufen des »Selbstempfindens« von vier Stufen der »Bezogenheit«, die jeweils miteinander korrespondieren und in den beiden Varianten eines (abgegrenzten) »self-versus-others« und eines (verbundenen) »self-with-others« vorkommen. Bei der verbundenen Variante hat das Objekt die Rolle eines Vermittlers von affektiven Selbstzuständen, über Prozesse der Spiegelung, der affektiven Einstimmung »attunement« und der sprachlichen Kommunikation als ein »das Selbst spiegelnder Anderer«; Interaktionserfahrungen werden somit in intrapsychische Zustände transformiert.32


Abb. 3: Transformation eines extrapsychischen in einen intrapsychischen Zustand nach Daniel Stern (nach Altmeyer 2000, S. 138)

Nach Stern findet ein Quantensprung in der Entwicklung des Selbstempfindens zwischen dem siebten und neunten Lebensmonat statt, wenn der Säugling entdeckt, dass er ein Seelenleben besitzt und dies auch auf andere Personen zutrifft (Stern 1985, S. 179). Dieses gemeinsame subjektive Erleben wird durch Intersubjektivität möglich. Oder wie Dornes schreibt: »Ich verstehe (unter Intersubjektivität, Anm. d. Verf.) die Beziehung zweier Subjekte, in der die Subjektivität beider, also ihr Denken, Fühlen und/oder ihre nicht-instinkthaften expressiven Äußerungen, Gegenstand wechselseitiger Reaktionen oder Antworten sind.« (Dornes 2002, S. 304)

Die Intersubjektivisten erweitern somit das Konzept der Intersubjektivität über das Stadium der individuellen Genese hinaus und wenden es auf jedes psychologische Feld an, das durch zwei interagierende Erfahrungswelten entsteht, ungeachtet des Entwicklungsniveaus, auf dem diese Welten organisiert sind.

Es seien noch zwei weitere Schulen genannt. Zum einen die Schule der Relationalen Psychoanalyse, die von fünf Mitgliedern des New Yorker William White Institutes gegründet wurde, Stephen Mitchell, Phillip Bromberg, Bernard Friedland, James Fosshage und Emmanuel Ghent. Diese Denkschule verstand sich als eine Art Schirm- oder Dachgruppierung, die unterschiedliche theoretische Strömungen zu integrieren versuchte und deren Sprachrohr die Zeitschrift Psychoanalytic Dialogues wurde. Nach relationaler Vorstellung sind der Geist und die Psyche dyadisch, sozial und interpersonell verfasst.

Als eine weitere Richtung, die die relationale und intersubjektive Psychoanalyse beeinflusste, sei die Interpersonale Psychoanalyse erwähnt, wie sie von Harry Stuck Sullivan, Erich Fromm, Karen Horney und Clara Thompson vertreten wurde. Die Persönlichkeit (oder das Selbst) ist nach der Auffassung Sullivans keine Struktur, die der Person auferlegt oder eingeprägt wird, sie besteht vielmehr in den Mustern, die das Handeln und Verhalten eines Menschen während seines Zusammenseins mit Anderen bestimmen. Ein Mensch kann daher niemals von der Gesamtheit seiner zwischenmenschlichen Beziehungen isoliert betrachtet werden (vgl. Sullivan 1940, S. 90).

Einen Versuch, all die psychoanalytischen Schulen und interdisziplinären Herausforderungen, insbesondere der Säuglingsforschung, zu integrieren, unternimmt Altmeyer in seinem Modell des Narzissmus zwischen Selbst und Objekt, einer intersubjektiven, relationalen und interpersonellen Neuinterpretation des Narzissmus.33

Für Altmeyer ist Narzissmus nicht einfach Selbstliebe; er kann – so sein Vorschlag – als ein über das Objekt vermittelter Blick auf das Selbst verstanden werden. Narzissmus konstituiert sich für ihn erst über die Spiegelung des Objekts: ohne Zuschauer, ohne Publikum, ohne den anderen, ohne ein reales, internalisiertes oder virtuelles Objekt kein Narzissmus – und auch keine narzisstische Störung. Dieser Spiegel ist für ihn weder glatt noch neutral, ebenso wenig wie das Lächeln oder der Zorn im Blick der Mutter, die als spiegelnde Mutter dem Säugling die erste Ahnung von sich vermittelt. Die anderen sind für Altmeyer der Spiegel, indem der Mensch sein Selbstbild reflexiv erwerben und sein Selbstwertgefühl regulieren kann. »Die anderen sind es, auf deren Anerkennung wir angewiesen sind und von denen wir uns doch unterscheiden müssen, um uns als Individuen zu fühlen. In diesem Übergangsraum zwischen Selbst und Objekt, Phantasie und Wirklichkeit vermittelt der Narzissmus.« Altmeyer siedelt den Narzissmus daher zwischen Selbst und Objekt an und definiert ihn als reflexive, im Spiegel von Objektbeziehungen erworbene Selbstbeziehung (Altmeyer 2006, S. 80).

Die konstitutive Funktion des Objekts äußert sich für ihn ursprünglich in der umfassenden somatotypischen Versorgung des hilflosen Säuglings, wandelt sich allmählich zu einer Spiegelfunktion für das entstehende Selbst und setzt sich in dessen Struktur als identitätsbildendes Gefühl von Einzigartigkeit und individueller Besonderheit fest. Im gelungenen Fall einer ›gesunden‹ narzisstischen Entwicklung ist die internalisierte Fürsorgebeziehung gewissermaßen unsichtbar: Es gehört zur selbstverständlichen seelischen Grundausstattung des Selbst und reguliert die innere Balance leise und unauffällig.

 

Die narzisstische Störung versteht Altmeyer als Bewältigungsversuch, bei dem das Gefühl fehlender intersubjektiver Anerkennung im Zentrum unbewusster Phantasien steht und zu kompensatorischen Erlebnis- und Verhaltensweisen führt. Die Symptome dieser Störung haben für ihn eine reparative Funktion und dienen in vielfältigen Erscheinungsformen dem Versuch, von anderen wahrgenommen und anerkannt zu werden. Die narzisstische Störung zeichnet sich durch ein irritiertes oder fehlendes Grundgefühl intersubjektiver Anerkennung aus (vgl. ebd. S. 90). Das Modell von Altmeyer wird in Abbildung 4. dargestellt.


Abb. 4: Narzissmus zwischen Selbst und Objekt (nach Altmeyer 2006, S. 88)34

Altmeyers Vorschlag läuft daraus hinauf, »auf der Ebene des Unbewussten die intersubjektive Dimension des primären Narzissmus (man könnte auch sagen: die narzisstische Dimension der primären Intersubjektivität) anzuerkennen und metapsychologisch den Antagonismus aufzuheben, der zwischen den beiden Ursprungskonzepten zu herrschen scheint. Der Säugling ist mit seiner Mutter weder ganz verschmolzen noch ganz von ihr abgegrenzt. Er kommt mit vorgebildeten Fähigkeiten auf die Welt, ist aber hilflos und auf die haltende Umwelt existenziell angewiesen, die er zunächst seinem Einflussbereich zurechnet. Identität gewinnt er aus dem Reichtum an Rückmeldung, Echo und Spiegelung, aus einer intimen Beziehung, in der er sich als eigenes Wesen anerkannt fühlt. Im primärnarzisstischen Erleben spiegelt sich ontogenetisch diese besondere Verfassung der conditio humana« (Altmeyer 2006, S. 90).

Der relativ hilflose Säugling ist nach Ansicht von Altmeyer zunächst in einem elementaren Sinne von Pflege und Versorgung abhängig. Aber von Geburt an besteht er darauf, Rückmeldungen für seine Lebensäußerungen zu erhalten – und zwar nicht nur auf seine unmittelbaren Existenzbedürfnisse wie Nahrung, Wärme und Sicherheit, sondern auch als Rückmeldungen auf seine Aktivitäten. Er benötigt signifikante Reaktionen seiner Bezugspersonen im Sinne einer Bestätigung, eines Echos oder einer Spiegelung. Dieses Bedürfnis nach Reflexion im Anderen – so Altmeyer – bleibt dem (werdenden) Subjekt lebenslang erhalten. Der Wunsch nach intersubjektiver Anerkennung gehört seiner Meinung nach zu unserer mentalen Grundausstattung (Altmeyer 2010, S. 18).

Dieses Modell des Narzissmus zwischen Selbst und Objekt von Altmeyer soll als grundlegendes entwicklungstheoretisches Modell für dieses Buch gelten, auf das sich die Ausführungen zur Psychotherapie narzisstischer Persönlichkeitsstörungen beziehen sollen und das es in ein Coaching zu integrieren gilt.

5. Zur Behandlung einer narzisstisch gestörten Persönlichkeit

Beim Thema Behandlung einer narzisstisch gestörten Persönlichkeit bzw. einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung ist grundsätzlich zu berücksichtigen, was Johannes Cremerius schon 1979 feststellte. In einer Studie über »Die psychoanalytische Behandlung der Reichen und der Mächtigen« suchte er eine Antwort auf die Frage, warum Patienten in hohen politischen und wirtschaftlichen Machtpositionen sich nur ganz ausnahmsweise einer psychoanalytischen Behandlung unterziehen. Er kommt zu dem Ergebnis, dass es den Reichen und Mächtigen aufgrund ihrer privilegierten Lage und ihres gesellschaftlichen Einflusses möglich ist, ihre Neurosen derart in gesellschaftlich akzeptierten Formen unterzubringen, dass sie nicht als krankhafte Störungen bemerkt werden und sie damit nicht unter ihnen leiden müssen. Der Mächtige lebt seine neurotischen Bedürfnisse ungehindert in der Realität aus; anstatt Leidensdruck zu entwickeln, agiert er.35

Es kann in diesem Abschnitt kein vollständiges Bild der Behandlung einer narzisstisch gestörten Persönlichkeit erarbeitet werden. Vielmehr sollen die Aspekte der Behandlung herausgegriffen werden, die für eine Integration in einen Coaching-Prozess relevant sind.

Die Ausführungen zur Behandlung einer narzisstisch gestörten Persönlichkeit werden sich an den Ausführungen von Kohut und Kernberg und deren Weiterentwicklung in der relationalen und intersubjektiven Psychoanalyse anlehnen, die noch um einige Aspekte aus der humanistischen Psychotherapie, der Bindungstheorie und der Neurobiologie ergänzt werden.

Die Psychoanalyse hat in vielen Jahrzehnten ein fruchtbares und vielfältiges Behandlungswissen über den Umgang z. B. mit Arbeitsbündnis, freier Assoziation, psychoanalytischer Erkenntnishaltung, Übertragung, Gegenübertragung, Widerstand, Durcharbeiten und Beendigung erarbeitet. Mit der Zunahme der sogenannten frühen Störungen, wie z. B. Borderline-Störungen, narzisstischen Persönlichkeitsstörungen und Psychosomatosen, deren defizitäre Erfahrungen bereits in den ersten drei Lebensjahren entstehen, wurde jedoch deutlich, dass in der psychoanalytischen Psychotherapie noch andere Formen der analytischen und kurativen Beziehung als die der Übertragungsdeutung und Einsichtsvermittlung zu berücksichtigen sind (vgl. Mertens 1981, S. 187 ff.). Schon Ferenczi (1932) postulierte, dass es ohne Sympathie des Analytikers für den Patienten keine Heilung geben könne.

Bei der Behandlung früher Störungen wurden Psychoanalytiker darauf aufmerksam, dass bei diesen Patienten die Voraussetzungen für die Als-ob-Beziehung der Übertragung fehlten oder nur sehr mangelhaft ausgebildet waren. Es fehlten gewisse Ich-Funktionen, um den Analytiker überhaupt als Übertragungsfigur zu erleben und in einem analytischen Als-ob-Raum frühere traumatisierende und konflikthafte Beziehungserfahrungen noch einmal zulassen zu können. Daraus entstand die Überzeugung, dass wichtige Ich-Kompetenzen zuallererst hergestellt oder nachentwickelt werden müssen. Der Analytiker muss sich als sichere Bindungsfigur zur Verfügung stellen, als Spiegel Anerkennung geben, als Sündenbock oder böser Verfolger Projektionen auf sich nehmen, um den Patienten von seinen Introjektionen zu befreien. Diese Patienten benötigen also offenbar noch etwas anderes in der Beziehung zu ihren Analytikern als die Wiederbelebung, Klärung, Durcharbeitung und Veränderung von Übertragungs- und Gegenübertragungskonstellationen in einer virtuellen Welt. Daher dominierte in der psychoanalytischen Behandlungstechnik die Redeweise von den zwei Techniken, einer mütterlichen, eher haltenden und stützenden, und einer väterlichen, überwiegend die Übertragung deutende Technik. Im ersten Fall wird eher an den strukturellen Defiziten gearbeitet, im zweiten Falle bei einer bereits gut entwickelten Struktur an den Übertragungskonflikten. Ferner sind nicht nur die verbal symbolischen Interventionen von Bedeutung, sondern auch die Geschehnisse außerhalb intendierter verbaler Interventionen, die zu einer besonderen Gefühlsintensität bei beiden Beteiligten führen.

Psychodynamik und therapeutischer Umgang bei Kohut und Kernberg

Kohut nennt insgesamt fünf primäre Störungen des Selbst.36 Die ersten drei primären Störungen des Selbst, nämlich die Psychosen, die Borderline-Zustände und die schizoiden und paranoiden Persönlichkeiten sind für ihn im Prinzip nicht analysierbar. Es kann zwar eine Beziehung zwischen Patient und Therapeut hergestellt werden, doch der (potenziell) kranke Sektor des Selbst tritt nicht mit in die begrenzten Übertragungsvereinigungen mit der »Selbstobjekt-Imago« des Analytikers ein, die durch Deutung und Durcharbeiten therapeutisch behandelt werden.

Zwei Formen von primärer Störung des Selbst sind seiner Ansicht nach jedoch analysierbar, die narzisstischen Persönlichkeitsstörungen und die narzisstischen Verhaltensstörungen. Bei diesen beiden Formen der Psychopathologie tritt der erkrankte Sektor des Selbst spontan in begrenzte Übertragungsvereinbarungen mit dem Selbst-Objekt-Analytiker ein und die Durcharbeitungsaktivitäten, die diese Übertragungen betreffen, bilden für ihn das eigentlich Zentrum des analytischen Prozesses (Vgl. Kohut 1977, S. 167).

Wenn der Analytiker bereit ist, sich empathisch auf den Analysanden einzustellen, werden sich nach Kohuts Verständnis narzisstische Übertragungen einstellen. Er war der Ansicht, dass der Patient den Analytiker dazu benutzt, ein Gefühl der Selbstkohäsion aufrechtzuerhalten. Kohut entdeckte bei seiner therapeutischen Arbeit mit narzisstischen Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen drei Arten spezifischer Selbstobjektübertragungen:

– Die Spiegelübertragung

In dieser Selbstobjektübertragung sah Kohut den Versuch des Patienten, den Glanz in den Augen der Mutter zu erhaschen. In seinem Bemühen sich vor dem Analytiker zu produzieren, versucht der Analysand, den Analytiker zu beeindrucken und sich seiner Bewunderung zu versichern.

– Die idealisierende Übertragung

In dieser Selbstobjektübertragung werden dem Analytiker überzogene und nahezu perfekte Qualitäten zugeschrieben, was dem Patienten ein Gefühl der Selbstkohäsion verleiht, in dem er sich im Schatten des idealisierten Objekts bewegt.

– Die Zwillingsübertragung bzw. Alter-Ego-Übertragung

In dieser Selbstobjektübertragung nimmt der Analysand den Analytiker als Zwilling oder Alter-Ego wahr. Das Gefühl von Gleichheit und Brüderlichkeit vermittelt dem Patienten Selbstkohäsion. (vgl. Gabbard 2006, S. 694 f.)

Die Entwicklung einer dieser drei Übertragungsformen – oder aller drei in einer besonderen Reihenfolge – macht die Behandlung primärer Selbstpathologien nach Ansicht Kohuts möglich.

Kohut und Wolf haben die wesentlichen Merkmale primärer und sekundärer Selbststörungen anhand sehr konkreter klinischer Falldarstellungen zusammengefasst. Sie beschreiben verschiedene Selbststörungen, wie zum Beispiel das »unterstimulierte Selbst«, das »fragmentierte Selbst«, das »überstimulierte Selbst« und das »überforderte Selbst« (vgl. Kohut u. Wolf 1978, S. 418 ff.).

Im Rahmen einer psychoanalytischen Charakterkunde entwickelten sie eine Typologie narzisstischer Persönlichkeiten. Die ersten drei dieser fünf Charaktertypen sind in ihren Augen im Alltagsleben häufig anzutreffen und sollten im Allgemeinen nicht als Formen von Psychopathologie angesehen werden, sondern vielmehr als Varianten der normalen menschlichen Persönlichkeit mit ihren Vorzügen und Defekten. Erst die beiden letzten Charaktertypologien werden dem Spektrum des pathologischen Narzissmus zugeordnet.

»Nach Spiegelung hungernde Persönlichkeiten sind begierig nach Selbstobjekten, deren bestätigende und bewundernde Reaktionen ihr ausgehungertes Selbst nähren. Es treibt sie, sich zur Schau zu stellen und die Aufmerksamkeit anderer zu erregen in dem Versuch, ihrem inneren Gefühl von Wertlosigkeit und ihrem Mangel an Selbstwertgefühl entgegenzuwirken.

Nach Idealen hungernde Persönlichkeiten sind ständig auf der Suche nach anderen, die sie wegen ihres Prestiges, ihrer Macht, ihrer Schönheit, Intelligenz oder ihrer moralischen Größe bewundern können. Sie sind nur so lange fähig, sich als wertvoll zu erleben, wie sie sich mit Selbstobjekten in Verbindung zu bringen vermögen, zu denen sie aufblicken können.

Alter-Ego-hungrige Persönlichkeiten brauchen eine Beziehung zu einem Selbstobjekt, das, indem es der Erscheinung, den Meinungen und Werten des Selbst entspricht, die Existenz, die Realität des Selbst bestätigt, (…) Beziehungen, in denen jeder Partner die Gefühle des anderen erlebt, als seien es seine eigenen. (…) Es ist charakteristisch für die meisten dieser Beziehungen, dass sie kurzlebig sind. Wie der nach Spiegelung und Idealen Hungernde neigt auch der Alter-Ego-Hungrige dazu, einen Ersatz nach dem anderen zu suchen.

Nach Verschmelzung hungernde Persönlichkeiten fallen uns durch ihr Bedürfnis auf, ihre Selbstobjekte zu kontrollieren. (…) Weil das Selbst (…) schwer defekt oder geschwächt ist, brauchen sie Selbstobjekte, um die fehlende Selbst-Struktur zu ersetzen. (…) Weil sie den anderen als ihr eigenes Selbst erleben, können sie seine Unabhängigkeit nicht ertragen: Sie sind empfindlich gegen Trennungen von ihm und fordern, ja, erwarten fraglos die beständige Anwesenheit des Selbstobjektes.

Kontaktvermeidende Persönlichkeiten (…) isolieren sich, nicht weil sie kein Interesse an anderen hätten, sondern im Gegenteil deshalb, weil ihr Bedürfnis nach ihnen so intensiv ist. Die Intensität ihres Bedürfnisses führt nicht nur dazu, dass sie sehr empfindlich gegen Zurückweisung sind; (…) sondern auf tieferen und unbewussten Ebenen auch zu der Befürchtung, die Reste ihres Kern-Selbst würden von der ersehnten, allumfassenden Vereinigung verschluckt und zerstört werden.« (ebd. S. 421 f.).

 

Bei der Behandlung insbesondere der letzten beiden Persönlichkeitstypen weisen sie darauf hin, dass trotz der von außen betrachteten großen Unterschiede im Verhalten und Auftreten beider Persönlichkeitstypen, die Störung des Selbst im Grunde die gleiche ist.

In der Behandlung beider Störungen geht es nicht darum, den Patienten zu überreden, die nach außen gezeigten Verhaltensweisen aufzugeben, sondern vielmehr darum, den Patienten mit seinen hinter diesen Verhaltensweisen liegenden archaischen narzisstischen Bedürfnissen in Kontakt zu bringen und damit mehr Empathie für sich selbst zu gewinnen. Eine Beurteilung, Deutung oder Zensur der nach außen gezeigten sehr unterschiedlichen Verhaltensweisen würde vielmehr die Abwehr und die Wand der Scham und Verletzlichkeit verstärken. Außerdem würde die narzisstische Übertragung unterbrochen oder sogar abgebrochen werden.

Wenn dem Analytiker oder Therapeuten das In-Kontakt-Kommen des Patienten mit den hinter den gezeigten Verhaltensweisen liegenden ursprünglichen narzisstischen Bedürfnissen der kindlichen Grandiosität und der idealisierten Eltern-Imago jedoch gelingt, wird sich zunächst zögerlich, aber ganz spontan eine Selbstheilung einstellen, die zu einer normalen Selbstwertregulierung und zu einer normalen Einstellung gegenüber Werten und Idealen führt. Die therapeutischen Prinzipien und Strategien, die sie vertreten, basieren auf ihrem Verständnis der zentralen Psychopathologie als einer Störung des Selbst.

Kernberg erkennt Kohuts Beobachtung spiegelnder und idealisierender Phänomene im analytischen Setting durchaus an, interpretiert diese Entwicklung jedoch in eine andere Richtung. Während Kohut Spiegelung und Idealisierung als Erfüllung normaler Entwicklungsbedürfnisse im Rahmen eines defizitären Entwicklungsstillstandes versteht, betrachtet Kernberg diese Übertragungskonfigurationen als Abwehrstruktur, hinter denen sich Wut, Neid und Verachtung verbergen (vgl. Gabbard 2006, S. 696; Kernberg 2004, S. 77 f.).

Unter der impliziten Annahme, dass eine regressive Übertragungsneurose in der psychoanalytischen Situation die pathogenen unbewussten Impuls-Abwehr-Konfigurationen reproduziert, die das dominante Muster der Psychopathologie eines Patienten bilden, gibt es für Kernberg drei wesentliche Merkmale der psychoanalytischen Methode: die Interpretation, die Übertragungsanalyse und technische Neutralität (vgl. Kernberg 2004, S. 133 ff.).

• Zur Technik der Interpretation gehören das Aufdecken des bewussten und vorbewussten Erlebens des Patienten, das taktvolle Lenken der Aufmerksamkeit auf das verbale und nonverbale Verhalten, die als freie Assoziation geboten werden, und die eigentliche Interpretation der unbewussten Bedeutung dessen, was verdeutlicht und womit der Patient konfrontiert wurde. Die unbewusste Bedeutung im »Hier und Jetzt« ist dabei ein wichtige Brücke zur unbewussten Bedeutung im »Damals und Dort«. Wobei die Klärung, Konfrontation und Interpretation im Hier und Jetzt in den frühen Phasen der Behandlung im Vordergrund stehen und erst in späteren Phasen die unbewusste Vergangenheit des Patienten in den Vordergrund rückt.

• In der Übertragungsanalyse wird eine sich bildende Sequenz von Übertragungsentwicklungen systematisch exploriert. Sie zielt auf die Klärung, Konfrontation und Interpretation unbewusster pathogener internalisierter Objektbeziehungen in der Vergangenheit. Die Übertragungsanalyse bezieht immer auch Entwicklungen außerhalb der Sitzung mit ein, der Schwerpunkt liegt jedoch auf der Analyse der Beziehung zwischen Patient und Analytiker – wobei die Analyse der Gegenübertragung ein entscheidender Bestandteil der therapeutischen Beziehung ist. In der psychoanalytischen Psychotherapie wird die Übertragungsanalyse dadurch modifiziert, dass Übertragungsaktivitäten innerhalb der Sitzungen ständig zu den pathologischen Interaktionen außerhalb der Sitzungen in Bezug gesetzt werden und umgekehrt (Implikationen pathologischer Interaktionen auf die Übertragung).

• Technische Neutralität besagt für Kernberg, dass der Analytiker bei seinen Interpretationen gegenüber dem Über-Ich, dem Es, dem handelnden Ich und der äußeren Realität des Patienten die gleiche Distanz behält. Sie impliziert eine interessierte Objektivität, die eine Betonung der Übertragung erlaubt. Die wichtigste Form der Anwendung des Prinzips der technischen Neutralität und der interessierten Objektivität ist für Kernberg dann realisiert, wenn der Therapeut seine Gegenübertragungsreaktion dazu einsetzt, um die Übertragung besser zu verstehen, nicht aber, um darauf zu reagieren.

Die Behandlungstechniken einer klassischen Psychoanalyse bzw. der psychoanalytischen Psychotherapie müssen nach Ansicht von Kernberg modifiziert oder durch spezifische Therapieansätze ergänzt werden, um mit den besonderen narzisstischen Übertragungs-Gegenübertragungs-Konstellationen angemessen umgehen zu können.

Der wichtigste Aspekt bei der psychoanalytischen Behandlung narzisstischer Persönlichkeiten ist für Kernberg die systematische Analyse des pathologisch grandiosen Selbst, das sich in der Übertragung durchgängig zeigt (vgl. Kernberg 1989, S. 249 f.). Das pathologische grandiose Selbst enthält reale wie auch ideale Selbst- und ideale Objektrepräsentanzen. Abgewertete oder aggressiv determinierte Selbst- und Objektrepräsentanzen werden abgespalten oder dissoziiert, verdrängt oder projiziert. Eltern, die kalt und abweisend, aber dennoch bewundernd sind, fördern diese Entwicklung. Die narzisstische Persönlichkeit entwertet die realen Objekte, nachdem sie sich jene Seiten dieser Objekte, die sie für sich selbst wünscht, einverleibt hat. Die idealen Selbst- und Objektrepräsentanzen, die normalerweise zu Teilen des Über-Ichs würden, werden nach Kernberg in das pathologisch grandiose Selbst integriert. So entsteht ein Über-Ich, das nur aggressiv determinierte Komponenten (die versagenden und bedrohlichen Aspekte der Eltern, die wiederum durch die Projektion eigener aggressiver Impulse des Kindes verzerrt werden) enthält.

Das psychoanalytische Durcharbeiten dieses pathologischen grandiosen Selbst fördert regelmäßig primitive Objektbeziehungen, Konflikte und Abwehrmechanismen zutage (d. h. aktiviert sie in der Übertragung), wie sie für Entwicklungsstadien typisch sind, die zeitlich noch vor dem Erreichen der Objektkonstanz liegen (vgl. Kernberg 2004, S. 79). Diese Übertragungen sind seiner Erfahrung nach immer mit Konflikten aus dem ödipalen Feld verwoben. Das pathologisch grandiose Selbst und seine Übertragung in der psychoanalytischen Situation dient dazu, die dissoziierten, verdrängten oder projizierten Aspekte der Selbst- und Objektrepräsentanzen aus primitiven Objektbeziehungen nicht an die Oberfläche kommen zu lassen. Die Aktivierung des grandiosen Selbst in der psychoanalytischen Situation führt für Kernberg zu einer grundlegenden Distanz, einer emotionalen Unerreichbarkeit und zu einem anhaltenden Fehlen von normalen und realen Aspekten einer menschlichen Beziehung. Diese Aktivierung führt zu einer pathologischen Selbstidealisierung auf Seiten des Patienten, die sich mit einer Projektion derselben auf den Analytiker abwechselt. Es kommt zu dem Eindruck, dass es nur eine ideale, grandiose Person und ein bewunderndes, aber sehr vages Komplementärobjekt im Raum gibt und es zu häufigen Rollenwechseln kommt (vgl. Kernberg 1989, S. 250).

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