Mehr Natur, weniger Chemie

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3. Klinische Studien und Erfahrung

Ich möchte nun klinische Studien und Erfahrungen miteinander vergleichen. Mit klinischen Studien wird die oben erwähnte Evidenz erreicht. Neue Arzneimittel und Behandlungen haben nur eine Chance, von der etablierten Medizin anerkannt und von den Krankenkassen bezahlt zu werden, wenn ihre Wirksamkeit, Sicherheit und Wirtschaftlichkeit mittels wissenschaftlicher Studien nachgewiesen werden können. Diese werden aber immer aufwendiger und sind inzwischen so teuer geworden, dass zumeist nur noch etablierte Pharmafirmen in der Lage sind, große klinische Studien in Auftrag zu geben.

Als die Methode der klinischen Studien noch in den Kinderschuhen steckte, wurde eine Anzahl Patienten ausgewählt, welche an einer bestimmten Krankheit litten. Diese wurden in zwei Gruppen eingeteilt, von denen der einen das zu überprüfenden Medikament verabreicht wurde, das sogenannte Verum. In der anderen Gruppe erhielten die Personen ein wirkungsloses Scheinpräparat, ein sogenanntes Placebo. Sofern in der Ve-rumgruppe die Heilungsrate wesentlich größer war als in der Placebogruppe, galt dies als wissenschaftlicher Wirkungsnachweis. Wenn die betroffenen Patienten nicht wissen, ob sie in der Verum- oder in der Placebogruppe sind, spricht man von einer Blindstudie, und wenn auch die behandelnden Ärzte dies nicht wissen, spricht man von einer Doppelblindstudie. In diesem Fall erfahren nur unabhängige, an der ärztlichen Behandlung nicht beteiligte Fachleute, welche die Resultate auswerten, welche Patienten in der Verum- und welche in der Placebogruppe waren.

Im Verlaufe der Zeit sind die Anforderungen an klinische Studien immer größer geworden, und an einer modernen Studie ist mittlerweile eine beachtliche Zahl von Fachleuten beteiligt. Zuerst erstellen Spezialisten das Studiendesign, also den Plan der Studie, der das Studienziel beschreibt sowie die verschiedenen Etappen der Studie, die zu diesem Ziel führen sollen. Ein wichtiger Teil des Studiendesigns ist die Anzahl der Patienten, welche nach immer komplizierter werdenden Einschluss- und Ausschlussregeln ausgewählt werden. Dann erfolgt die Rekrutierung von Probanden, wie man die Patienten einer Studie nennt. Die Anzahl der benötigten Probanden ist sehr wichtig, damit die Resultate überhaupt aussagekräftig sind, wenn man sie auf die Häufigkeit der in einer bestimmten Bevölkerungszahl auftretenden Krankheitsfälle bezieht. An der eigentlichen Studie nehmen neben den Prüfärzten verschiedene Fachleute teil, welche zum Beispiel die Zufälligkeit der Randomisierung – der Einteilung der Probanden in eine der Studiengruppen unter Verwendung eines Zufallsmechanismus – garantieren und ebenso die Verblindung des Verums und des Placebos. Die so gewonnenen Studienresultate werden wiederum von Fachleuten ausgewertet, die man Biostatistiker nennt. Unabhängige Fachleute durchmustern die Studie nach allfälligen Fehlern, welche die Resultate verfälschen können. Ein solcher Fehler wird Bias genannt.

Eine spezielle Art von Studien stellen Meta-Analysen dar – hier werden in der Fachliteratur publizierte Studien miteinander verglichen und zum Teil neu ausgewertet. Klinische Studien sind wichtig, und ihr Nutzen soll hier in keiner Weise in Frage gestellt werden. Eine Studie mit einem positiven Resultat stellt dem entsprechenden Präparat ein wichtiges Zeugnis für seine Wirksamkeit aus. Publizierte Studien müssen aber kritisch überprüft werden.

Denn gerade auf dem Gebiet der Phytotherapie gibt es Negativstudien – also Studien, die eine bestimmte Wirksamkeit verneinen –, die haarsträubende methodische Fehler aufweisen. Ich werde weiter unten ein solches Beispiel erwähnen. Aber wie soll man mit den vielen pflanzlichen Präparaten umgehen, deren Wirksamkeit bisher nicht oder nur mit älteren Studien ohne moderne Anforderungen überprüft wurde? Ein bisher ungeprüftes oder nicht ausreichend geprüftes Präparat, ob pflanzlicher oder synthetischer Art, sollte keinesfalls als unwirksam bezeichnet werden. «Bisher ungeprüft» heißt nämlich nur, dass bis dato die wissenschaftlichen Daten für eine klare Aussage fehlen, und es ist durchaus möglich, dass bald folgende klinische Studien ein positives Resultat ergeben, also die Wirksamkeit eines Präparates wissenschaftlich untermauern. Die Aussage «unwirksam» darf nur bei Präparaten gemacht werden, welche mit einer Studie, im Idealfall mit mehreren methodisch korrekt durchgeführten klinischen Studien als unwirksam erkannt wurden.

Gibt es Fälle, in denen man auch ohne klinisches Datenmaterial von einem Präparat annehmen darf, dass seine Wirksamkeit bewiesen ist? Meines Erachtens ja: Ich bin davon überzeugt, dass eine langdauernde, volksmedizinische Überlieferung auch eine Art Beweis für die Wirksamkeit von Präparaten sein kann. Solche Überlieferungen müssen aber auf einer langen Tradition beruhen, immer wieder und in verschiedenen Quellen erwähnt worden sein und übereinstimmende Indikationen (Anwendungen) haben. Denn es wäre einfach nicht plausibel, wenn verschiedene Generationen eine Anwendung empfehlen, die gar nicht wirksam ist. Nur hartgesottene Gegner der Phytotherapie sprechen allen Anwendungen ohne eindeutige klinische Wirksamkeitsbeweise ihre Existenzberechtigung ab.

Außerdem gibt es Untersuchungen, die zeigen, dass sich ein nicht zu unterschätzender Anteil des ärztlichen Handelns nicht nur auf klinische Studien stützt. Für die Behandlung im Alltag werden Empfehlungen von sogenannten Opinion Leaders, also z. B. von Universitätsprofessoren und von älteren, erfahrenen Kollegen und Kolleginnen befolgt. Außerdem spielten die in der eigenen Praxis gemachten Erfahrungen eine große Rolle. Und ich persönlich finde, dass solche Quellen auch sehr wichtig und nützlich sind.

Fachleute

In diesem Buch verweise ich immer wieder auf «Fachleute», deren Beratung man in Anspruch nehmen kann und soll. Aber was verstehe ich unter diesem Begriff? Fachleute auf dem Gebiet der Pflanzenheilkunde (Phytotherapie) sind für mich Personen mit professionellen medizinischen Kenntnissen. Dazu gehört auch tiefgreifendes Wissen im Bereich der Phytotherapie. Fachleute, Fachpersonen, müssen sich in der volksmedizinischen Tradition auskennen und fähig sein, wissenschaftliche Studien zu verstehen und zu interpretieren. Für mich ist auch sehr wichtig, dass sie keine Tendenz zur einseitigen Bevorzugung von pflanzlichen Präparaten haben und alle synthetischen Präparate als «nur chemisch» und schlecht bezeichnen. Sicher gehören zu diesen Fachleuten:

• Medizinalpersonen: Pharmazeuten und Pharmazeutinnen sowie Ärzte und Ärztinnen, die sich genügend weitergebildet haben im Bereich der Phytotherapie. Diese Personen dürfen keine einseitige Ausrichtung auf synthetische Präparate haben.

• Weitere Medizinalpersonen wie Zahnärzte und Zahnärztinnen sowie Hebammen. Natürlich können sich auch Tierärzte und Tierärztinnen zu Phytotherapie-Fachleuten entwickeln.

• Drogisten und Drogistinnen sowie Heilpraktiker und Heilpraktikerinnen, welche sich mit der wissenschaftlichen Phytotherapie auseinandersetzen und natürliche Präparate nicht einseitig bevorzugen.

• Personen, welche sich beruflich mit Phytotherapie befassen und sich tiefgreifende Kenntnisse zur Phytotherapie angeeignet haben. Dabei handelt es sich meistens um Personen, welche ein naturwissenschaftliches Studium absolviert haben.

Ein Bekannter von mir ist Eigentümer und Geschäftsführer einer kleinen Phytotherapie-Firma. Ursprünglich hat er Wirtschaftswissenschaften studiert, ist aber durch seine berufliche Tätigkeit im Lauf der Jahre Fachmann geworden. Es ist also auch auf diese Weise möglich, eine Phytotherapie-Fachperson zu werden.

4. Unterschiede zwischen pflanzlichen und synthetischen Arzneimitteln

Synthetische Arzneimittel enthalten meistens nur einen Inhaltsstoff. Der Markenname Voltaren® ist ein Arzneimittel gegen Schmerzen und Entzündungen. Der Inhaltsstoff von Voltaren® ist Diclofenac. Synthetische Arzneimittel können auch zwei, selten drei Inhaltsstoffe bzw. Wirkstoffe enthalten. Jeder Wirkstoff eines synthetischen Arzneimittels hat eine definierte, zumeist genau bekannte Wirkung. Enthält ein Arzneimittel zwei Wirkstoffe, entfalten diese sehr oft eine synergistische Wirkung, steigern also zusammen die Wirksamkeit und können auch beide tiefer dosiert werden. Dies vermindert wiederum das Auftreten von Nebenwirkungen.

Ganz anders verhält es sich bei einem pflanzlichen Arzneimittel. Eine Arzneipflanze enthält immer eine Vielfalt an chemisch ähnlichen, aber auch unterschiedlichen Inhaltsstoffen. Es gibt Arzneipflanzen, in denen Hunderte verschiedener Inhaltsstoffe identifiziert wurden. Gemäß Definition der modernen Phytotherapie stellt die Gesamtheit dieser Inhaltsstoffe den Wirkstoff dar. Anders ausgedrückt: Pflanzliche Arzneimittel haben nicht eine, zwei oder maximal drei definierte Substanzen als Wirkstoff, sondern alle in der Arzneipflanze vorhandenen Inhaltsstoffe sind der Wirkstoff. Es spielt dabei keine Rolle, ob einzelne oder mehrere Inhaltsstoffe dieser Arzneipflanze besonders zur Wirksamkeit beitragen oder ob man darüber noch nichts weiß. Die Gesamtheit der Inhaltstoffe ist das Orchester, das eine harmonische Musik, sprich eine therapeutische Wirksamkeit hervorruft.

Bei der Arzneipflanze Ginkgo biloba, welche die Gehirndurchblutung fördert, hat die Wissenschaft herausgefunden, welche Inhaltsstoffe besonders für die Wirksamkeit verantwortlich sind: dies sind einerseits gewisse Flavonolglykoside, andererseits Terpenlactone. Es gibt aber auch sehr häufig verwendete Arzneipflanzen wie beispielsweise den Baldrian (Valeriana officinalis) oder das Johanniskraut (Hypericum perforatum), bei denen die wirksamkeitsbestimmenden Inhaltsstoffe trotz unzähliger Studien – noch – nicht bekannt sind. Ich persönlich bin der (vielleicht etwas gewagten) Überzeugung, dass dies für viele Arzneipflanzen gilt und auch noch lange gelten wird.

 

Die Suche nach dem einen Wirkstoff entspricht der Denkweise der modernen Pharmakologie, der Wissenschaft, welche die Wirkung von Arzneistoffen untersucht, aber vielleicht nicht der Dualität Mensch–Pflanze. Der Mensch hat, wie oben beschrieben, im Verlaufe seiner Entwicklung gelernt, die Vielfalt der Pflanzen zu nutzen, und er erlebte diese als Ganzes, nicht aufgeschlüsselt nach Hunderten von Inhaltsstoffen. Der Mensch isst auch Getreide und Kartoffeln, nicht einzelne Kohlenhydrate, er ernährt sich von Früchten und nicht von einzelnen der vielen Zuckerverbindungen. Die Mehrheit der Menschen isst auch Fleisch und nicht einzelne Proteine. Und so könnte es sein, dass die Vielstoffgemische, die Arzneipflanzen darstellen, dem Menschen eher entsprechen als Einzelwirkstoffe.

Zwei Tatsachen sprechen dafür: Beim Vergleich von pflanzlichen Arzneimitteln mit synthetischen Präparaten, welche für dieselbe Indikation (Beschwerde) eingesetzt werden, schneiden die pflanzlichen Präparate in Bezug auf die Nebenwirkungen meistens besser ab als ihre synthetischen Konkurrenten. Es gibt viele klinische Studien, welche diese Tatsache bestätigen (2,3). Außerdem besitzen die meisten pflanzlichen Arzneimittel eine viel größere therapeutische Breite als synthetische Präparate. Unter therapeutischer Breite versteht man den Konzentrationsbereich vom Beginn einer therapeutischen bis zum Beginn einer toxischen Wirkung.

5. Pflanzliche Arzneiformen

Ich habe oben kurz beschrieben, wie die Menschen lernten, Arzneipflanzen anzuwenden. Heute gibt es eine ganze Reihe von pflanzlichen Arzneiformen. Die einfachste erhält man durch Trocknen und Mahlen der Arzneipflanze. Das Pulver hat oft einen wenig angenehmen Geschmack und wird deshalb in Kapseln abgefüllt oder mit Hilfe von Klebemitteln zu Tabletten zusammengepresst. Getrocknete und gemahlene Pulver von Arzneipflanzen findet man oft bei traditionellen Heilmethoden wie bei der TCM, der Traditionellen Chinesischen Medizin, oder bei der tibetischen Medizin.

In den westlichen Ländern werden die Inhaltstoffe von Arzneipflanzen sehr häufig extrahiert, das heißt, sie werden der Pflanze mit geeigneten Lösungsmitteln entzogen. Geschieht dies mit heißem Wasser, entsteht ein Tee. Von einer Tinktur spricht man bei einer Extraktion mit Äthanol. Eine Mariendistel-Tinktur ist also eine äthanolische Lösung, in der die Inhaltsstoffe der Mariendistel (Silybum marianum, alter Name: Carduus marianus) gelöst sind. Tee oder Tinkturen können mit getrockneten Arzneipflanzen hergestellt werden. Eine Urtinktur allerdings – die Ausgangstinktur für homöopathische Potenzen, die aber auch als Urtinktur phytotherapeutisch eingesetzt werden kann – muss, wenn immer möglich, mit Frischpflanzen zubereitet werden. Ein Auszug kann auch durch Einlegen der Pflanze in ein Lösungsmittel gemacht werden. Man spricht dann von einer Mazeration. Wird das Pflanzenmaterial in einen säulenartigen Behälter gefüllt und lässt man das Äthanol tropfenweise durch das Pflanzenmaterial fließen, spricht man von einer Perkolation. Eine Tinktur kann also durch Mazeration oder Perkolation gewonnen werden.

In Bezug auf Extraktionsmethoden hat die Forschung in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht. Oft werden Lösungsmittelgemische verwendet. Eine sehr moderne Extraktionsmethode wird mit subkritischer Kohlensäure gemacht. Die Herstellung einer Urtinktur geschieht gewöhnlich mithilfe einer Mazeration. Eine Tinktur und eine Urtinktur von derselben Arzneipflanze sind oft praktisch identisch und unterscheiden sich in Zusammensetzung und Gehalt an Inhaltsstoffen praktisch nicht. Zur Herstellung von homöopathischen Potenzen muss zuerst eine Urtinktur hergestellt werden. Daraus entstehen die Potenzen. Ich schreibe in Zukunft nur von Tinkturen, möchte aber darauf hinweisen, dass jederzeit auch Urtinkturen gemeint sein können. Eine Tinkturenmischung kann also immer auch aus den entsprechenden Urtinkturen hergestellt werden.

Wichtig ist auch die Tatsache, dass man mit unterschiedlichen Lösungsmitteln unterschiedlich wirksame Extrakte erhält. Wenn man mit einem öligen Lösungsmittel Johannisöl gewinnt, steht ein äußerlich anwendbares, wundheilungs- und granulationsförderndes Arzneimittel zur Verfügung. Wird die Extraktion mit Äthanol durchgeführt, entsteht ein Extrakt, der bei innerlicher Anwendung stimmungsaufhellende Eigenschaften besitzt.

Ein weiteres schönes Beispiel ist ein Vergleich aus dem Lebensmittelbereich, und er lässt sich mit Kaffee (Coffea tosta) ziehen. Je nachdem, wie das Pulver mit heißem Wasser in Kontakt gebracht wird, entstehen Getränke mit unterschiedlichen Eigenschaften. Stellt man mit dem Pulver einen Filterkaffee her, enthält dieser viel Koffein und wenig Aroma. Mit einer Espressomaschine erhält man einen Kaffee, der wenig Koffein, aber viel Aroma besitzt. Türkischer Kaffee enthält sowohl viel Koffein als auch viel Aroma. Man erhält also ganz unterschiedliche Produkte, je nachdem, ob man heißes Wasser langsam durch das gemahlene Kaffeepulver laufen lässt, es mit Druck durchs Pulver jagt, oder ob das Pulver in heißem Wasser mazeriert wird.

6. Verschiedene Phytotherapie-Systeme

Im Laufe der Geschichte haben sich verschiedene Phytotherapie-Systeme etabliert, von denen hier nur die westliche Phytotherapie besprochen werden soll. In den letzten Jahren hat die TCM, die Traditionelle Chinesische Medizin, an Bedeutung gewonnen, welche neben ostasiatischen Heilpflanzen weitere Therapieformen wie die Akkupunktur einsetzt. Die vom Philosophen Rudolf Steiner entwickelte anthroposophische Medizin verwendet neben Arzneipflanzen, für deren Anbau spezielle Regeln gelten, auch mineralische Mischungen sowie homöopathische Potenzen. Oft werden Gemische pflanzlicher und mineralischer Anteile, zum Teil homöopathisch potenziert, verwendet.

Im hier vorliegenden Buch wird nur die westliche Phytotherapie vorgestellt; TCM und anthroposophische Medizin werden, abgesehen von kleinen Ausnahmen, nicht berücksichtigt.

WENIGER CHEMIE
so pflanzlich wie möglich
Pflanzliche Anwendungen

7. Nervensystem

8. Atemwege

9. Verdauungstrakt

10. Herz-Kreislauf-System

11. Weibliche Geschlechtsorgane

12. Harnwege

13. Bewegungsapparat

14. Haut

15. Nachlese

16. Schlussfolgerungen

In der Folge werden nun pflanzliche Anwendungen bei verschiedenen Beschwerden beschrieben. Die Aufzählung der in den verschiedenen Kapiteln erwähnten Handelspräparate erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Für eine vollständige Liste aller Präparate verweise ich auf das Phyto-Kompendium «Phytotherapeutika – Pflanzliche Arzneimittel» von Dr. Beatrix Falch, Vizepräsidentin der Schweizerischen Medizinischen Gesellschaft für Phytotherapie (SMGP).1 Weiter erwähne ich nur Präparate, welche allgemein erhältlich sind. Präparate, die nur in speziellen Apotheken-Ketten verkauft werden, finden hier keine Erwähnung.

7. Nervensystem
7.1 Unruhe, Nervosität, Schlaf

Wahrscheinlich traten beim frühen Menschen Unruhe und Nervosität viel weniger häufig auf, als dies in der heutigen Zeit der Fall ist. Die Gründe dafür sind hinreichend bekannt. Das moderne Leben, vor allem in größeren Gemeinden, in denen viel Lärm und Verkehr entsteht, führt bei vielen Menschen zu einer inneren Unruhe. Dazu kommt oft noch eine gehetzte Lebensweise, in der zu wenig stille Ruhephasen vorkommen. Statt sich abends auszuruhen und die heilsame Wirkung der Stille zu erfahren, neigen viele Menschen auch abends zu Aktivitäten, bei denen oft auch laute Musik und grelle Lichter auf sie eindringen.

Lärm und ein hektischer Alltag kamen bei unseren Vorfahren in dieser Form sicher nicht täglich vor. Vielleicht kauten sie nach der Großwildjagd beruhigende Kräuter, nachdem sie, noch gezeichnet vom Kampf mit dem erlegten Mammut, ihre Wunden versorgt, vielleicht einen getöteten Kameraden beerdigt und alle zusammen ein üppiges Mahl genossen hatten.

Obwohl also Unruhe und Nervosität eher zu den modernen Beschwerden zählen dürften, stellt uns die Natur eine ganze Reihe von Pflanzen zur Verfügung, welche das Nervensystem beruhigen können (vgl. Tabelle). Die Schulmedizin behandelt Unruhe, Nervosität und Schlafstörungen sehr oft mit Benzodiazepinen und anderen synthetischen Psychopharmaka. Benzodiazepine haben eine stark beruhigende, angstlösende oder schlaffördernde Wirkung, zum Teil auch eine muskelrelaxierende, d. h. verkrampfte Muskeln können damit wieder gelöst werden. Benzodiazepine wurden in den 1960er- und 1970er-Jahren in die Medizin eingeführt und galten lange als «Wunderdroge». Ihre Wirksamkeit ist unbestritten, und Suizid-Gefährdete können sich mit Benzodiazepinen nicht mehr umbringen – oder zumindest nur, wenn sie genügend Fachwissen besitzen. Mit der früheren Generation von Schlafmitteln, wie zum Beispiel den heute kaum mehr verwendeten Barbituraten, war dies deutlich einfacher: Von diesen Schlafmitteln musste man einfach eine mehrfach überdosierte Menge einnehmen und starb in der Bewusstlosigkeit an Atemstillstand.

Nach einigen Jahren wurde aber die stark abhängig machende Nebenwirkung der Benzodiazepine immer offensichtlicher, und die Medizin verwendet sie heute deutlich vorsichtiger. Als junger Apotheker führte ich noch viele entsprechende Rezepte für Patienten aus, welche mir offen mitteilten, sie brächten ohne die abendliche Einnahme ihrer Benzodiazepin-Tablette nachts kein Auge mehr zu.

Wenn man im Falle einer Schlaflosigkeit oder Unruhe ein pflanzliches Präparat einsetzen möchte, kann man eines der in der Folge aufgelisteten Präparate ausprobieren oder den Arzt bzw. die Ärztin auffordern, ein entsprechendes Präparat zu verschreiben. Jede Arzneipflanze, welche gegen Unruhe wirkt, kann auch schlaffördernd wirken. Hier macht die Dosierung den Unterschied aus. Schon der Arzt Paracelsus (1493/94–1541) hat mit seinem berühmten Satz «Dosis facit venenum» erklärt, dass die Dosis entscheidet, ob ein Stoff Heilwirkung entfaltet – oder giftig wirkt. Und auch im Bereich der Heilwirkung können verschiedene Dosierungen unterschiedlich wirken. Man muss sich aber bewusst sein, dass pflanzliche Präparate nicht die Stärke von Benzodiazepinen erreichen.