Geheimdienste, Agenten, Spione

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Presseagentur als Coverstory

Trotzdem wird das Südtiroler Agentennetz in der Folge nachhaltig verändert und auf eine ganz neue Ebene gestellt werden. Der Grund dafür ist eigentlich eine Zufallsbekanntschaft. Im Sommer 1948 arbeitet Erich Bertol als Hausmeister im Parkhotel Holzner in Oberbozen am Ritten. Bertol freundet sich dabei mit einem fast gleichaltrigen Gast aus Rom an. Es ist ein Mann, der trotz seiner Jugend auf eine bewegte Vergangenheit zurückblicken kann. Massimo Uffreduzzi, am 6. März 1925 in Rom geboren, ist bereits als Halbwüchsiger ein überzeugter Faschist. Als Oberschüler engagiert er sich in der faschistischen Hochschuljugend GUF (Gruppi Universitari Fascisti). Mit dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Italien schließt er sich dem Partito Fascista Repubblicano (PFR) und nach dem Falls des Faschismus der faschistischen Restrepublik Repubblica di Salò (RSI) an. Mitte September 1943 nimmt Uffreduzzi in Rom Kontakte mit dem SS-Sturmbannführer Karl Theodor Hass (1912–2004) auf, dem Leiter des SD in der italienischen Hauptstadt. Der junge Faschist wird zum Informanten des SD. Als Rom von den Amerikanern befreit wird, flüchtet Massimo Uffreduzzi nach Norditalien. Dabei trifft er in Verona wiederum auf Karl Hass, welcher ihm eine fixe Stelle beim SD anbietet. Als Hass nach Parma versetzt wird und dort die Geheimoperation „Ida“ leitet, den Aufbau eines Spionagenetzwerke, das später als Vorbild der US-amerikanischen „Stay Behind“-Truppen dienen wird, ist Massimo Uffreduzzi mit von der Partie. Von Juli bis Oktober 1944 arbeitet er als Angestellter für den SD in Parma und danach, immer für den SD, bis April 1945 in Venedig. Er baut für die Deutschen ein Netz von Spitzeln und Saboteuren auf und greift dabei vor allem auf Zuträger aus den Reihen der faschistischen Partei und des italienischen Rechtsextremismus zurück. 1943 besucht Uffreduzzi einen Lehrgang für Marineoffiziere in Meran, wo er auch zum Nachrichtendienstler ausgebildet wird. Nach Kriegsende Italiens versteckt sich Uffreduzzi zunächst monatelang in einem Kloster in Rom, wird dann aber am 1. Mai 1946 verhaftet. Zwei Monate später wird er wegen Beihilfe zum Mord an dem jungen italienischen Studenten und Kommunisten Massimo Gizzio und wegen Kollaboration zu 20 Jahren und 8 Monaten verurteilt. Nach rund einem Jahr Gefängnis kommt er aufgrund einer Generalamnestie im Juni 1947 frei.66

Massimo Uffreduzzi beginnt daraufhin ein Studium der Politikwissenschaften an der Universität Rom. Politisch engagiert er sich im neofaschistischen Studentenverband und im neugegründeten Movimento Sociale Italiano (MSI). Schon bald entdeckt der überzeugte Faschist den Journalismus, über rechte Gesinnungsfreunde landet er 1950 schließlich bei der Nachrichtenagentur Telegraph, für die er danach Jahrzehnte lang tätig sein wird, unter anderem auch als Direktor. Heute weiß man, dass diese Agentur sowohl vom amerikanischen als auch vom italienischen Nachrichtendienst mitfinanziert wurde.

Massimo Uffreduzzi wird uns noch mehrmals in diesem Buch begegnen, doch zum ersten Mal in Erscheinung tritt er eben 1948, als er auf Erich Bertol trifft. Bereits beim diesem Treffen am Ritten lädt Uffreduzzi den Südtiroler zu sich nach Rom ein. Ende April 1950 taucht Bertol dann plötzlich tatsächlich bei Uffreduzzi auf. Als dieser ihm seine Presseagentur zeigt, erklärt Bertol, dass auch er unbedingt als Journalist arbeiten möchte. Uffreduzzi stellt Bertol seinem damaligen Chef vor und man wird handelseinig. Der junge Bozner soll als eine Art Korrespondent für die Schwesteragentur Mercury tätig werden. Und so bekommt Bertol wenig später einen offiziellen Presseausweis der Mercury. In einer schriftlichen Sachverhaltsdarstellung erinnert sich Massimo Uffreduzzi drei Jahre später so:

Bertol schickte mir dann auch einige Artikel, aber es war nichts Gescheites dabei. Er war aber sehr großzügig zu mir, er zahlte mir Essen und er lieh mir auch Geld. Später stellte er mir dann auch Gianni Sostero vor als ebenfalls einen, der als Journalist Karriere machen will. Weil er so freundlich war, habe ich auch diesem einen Journalisten-Ausweis der Mercury besorgt.67

Wie wir uns erinnern, ist Gianni Sostero identisch mit Hans Morandell. Morandell alias „Korsičan“ und Erich Bertol als „Sizunk“ sind zu diesem Zeitpunkt längst für den StB tätig und froh über das perfekte Cover, das die Nachrichtenagentur Mercury für sie und ihre Arbeit bildet. Für Journalisten gehören sowohl Auslandaufenthalte als auch hartnäckige Recherchen zum Alltagsgeschäft. Als Mitarbeiter einer Presseagentur können sie jeden ihrer Schritte rechtfertigen, zudem eröffnet ihnen der Presseausweis so manche Tür. Offiziell arbeiten beide ab 1950 zusammen für die römische Nachrichtenagentur. Als Hans Morandell 1952 seinen Pass verlängert, gibt er als Beruf „Korrespondent“ an.68

Doch das Interesse der beiden Südtiroler Agenten gilt auch der Person Massimo Uffreduzzi. Der römische Journalist mit besten Kontakten zu höchsten Militärkreisen wäre der ideale Zuträger für ihr Agentennetz. Morandell und Bertol suchen in den Monaten danach immer wieder den Mann in Rom auf. Es ist „Sizunk“, der Anfang 1951 Uffreduzzi das Angebot macht, dass er mit Nachrichten einiges an Geld verdienen könnte. Bertol sagt ganz offen, dass die Nachrichten für die tschechoslowakische Staatssicherheit bestimmt sind. Uffreduzzi beginnt erste Berichte zu schreiben und erhält im April 1951 von Bertol das erste kleine Honorar. Da „Sizunk“ Uffreduzzi anfänglich nur als Zuträger halten will, dem er für wenig Geld gute Nachrichten abkauft, um diese dann um weit mehr Geld dem StB weiterzuverkaufen, kommen sich Hans Morandell und Uffreduzzi schnell näher. „Korsičan“ erkennt das Potenzial, das der römische Journalist und Rechtsextremist für den StB hat. Im Mai 1951 zahlt „Korsičan“ Uffreduzzi einen Wien-Besuch und wirbt ihn dabei als Zuträger an. Uffreduzzi sagt zu und beginnt erste Berichte über Flughäfen in Jugoslawien, Griechenland und die Türkei, aber auch zu verschiedensten Bereichen im italienischen Heer zu liefern. Massimo Uffreduzzi wiederum hat ein ganzes Heer an Informanten, die ihm und seiner Agentur zuarbeiten. Da er als Journalist auch für militärische Publikationen tätig ist, schafft er es, äußerst schnell zu geheimen und sensiblen Informationen zu kommen. Bereits im Spätsommer 1951 liefert er die Aufmarschpläne und die ersten Befehle zur Grenzsicherung im Kriegsfall an „Korsičan“. Anfang Oktober 1951 übergibt er eine Liste möglicher Informanten aus dem italienischen Generalstab, dem Verteidigungsministerium und dem Obersten Hauptquartier der Alliierten Streitkräfte in Europa, dem „Supreme Headquarters Allied Powers Europe“ (SHAPE) in Paris. Der Tenor des Schreibens: Diese Quellen stünden zur Verfügung, wenn genügend Geld da sei.69 Der StB merkt, dass man hier einen dicken Fisch an der Angel hat. „Korsičan“ erhält den Auftrag, Uffreduzzi in die ČSR zu bringen. Mitte Oktober 1951 ist es soweit. Massimo Uffreduzzi fährt zu Hans Morandell nach Wien. Dieser bringt ihn am 16. Oktober 1951 in Niederösterreich über die Grenze ins tschechische Valtice. Dort wird der römische Journalist zwei Tage lang von zwei StB-Leuten auf Herz und Nieren geprüft. Am 17. Oktober unterschreibt Massimo Uffreduzzi in Valtice eine Verpflichtungserklärung, für den StB zu arbeiten. Es sind wenige handschriftliche Zeilen auf Italienisch:

Ich erkläre hiermit, freiwillig mit dem tschechoslowakischen Geheimdienst zusammenzuarbeiten, und verpflichte mich, die Aufträge zu erfüllen, die ich erhalte.70

Der neue Agent erhält den Decknamen „Hrabec“, was auf Slowakisch „Graf“ heißt. Mit Massimo Uffreduzzi betritt im Gegensatz zu den Südtiroler Agenten ein Vollprofi die Bühne: nachrichtendienstlich ausgebildet und mit Arbeitserfahrung in der SS-Geheimpolizei SD. Schon bei seiner Anwerbung macht Agent „Hrabec“ deshalb unmissverständlich klar, dass er das italienische Informantennetz völlig umbauen und in Zukunft leiten will. Bei seinem ersten Treffen mit den StB-Führungsoffizieren in Valtice gibt er die Namen von 14 Personen an, die ihm als Informanten dienen, dazu jeweils einen Decknamen, unter dem diese kommunizieren sollen. Im Zuge dessen ändert er kurzerhand auch jene Namen ab, die Erich Bertol, Hans Morandell, Franz Flies und Edgar Meininger bisher gebraucht haben. Erich Bertol heißt jetzt „Silvio“, Hans Morandell „Secondo“, Franz Flies „Pietro“, Edgar Meininger „Edi“ und für sich selbst wählt Massimo Uffreduzzi den Namen „Max Primo“.71

Mit der Anwerbung Uffreduzzis verschieben sich die Gleichgewichte innerhalb des gesamten Netzwerks deutlich. „Hrabec“ wird zu einem der wichtigsten Anlaufpunkte der gesamten Truppe. So pilgern ab 1952 auch Edgar Meininger („Pedel“) und Franz Flies („Puzzi“) mehrmals zu ihm nach Rom, um Dokumente abzuholen oder Anweisungen zu übergeben. „Hrabec“ professionalisiert das Netzwerk deutlich. Er legt schon bald einen konkreten Plan vor, Außenstellen der Presseagentur Mercury in Barcelona und Lissabon zu eröffnen. In Barcelona wirbt er mit Salvatore Morelli einen Informanten an, der ihm periodisch militärische Nachrichten aus Spanien schickt. Zudem will Uffreduzzi, dass der StB die Finanzierung der Mercury übernimmt, doch dazu kommt es letztlich nicht. Dabei öffnet die Agenturarbeit so manche Tür: 1951 wird als oberstes Organ der NATO der Nordatlantikrat „North Atlantic Council“ (NAC) geschaffen, der am 24. November 1951 in Rom seine 8. Sitzungssession beginnt. „Hrabec“ gelingt es, sich als Pressevertreter akkreditieren zu lassen. Ende November 1951 übermittelt er dem StB bereits mehrere Berichte, aber auch interne Dokumente aus dem NAC. Bereits im Februar 1952 reist der StB-Agent zum nächsten Treffen des Rates nach Lissabon und auch aus Portugal schickt „Hrabec“ mehrere Berichte an den ČSR-Nachrichtendienst.72

 

Massimo Uffreduzzi alias „Hrabec“: Fotos von seinem Aufenthalt in der Tschechoslowakei.

Der geheime Kodex

Im Herbst 1951 nehmen die Konflikte innerhalb des StB-Netzwerks deutlich zu. Nachdem Erich Bertol alias „Sizunk“ mehrmals Uffreduzzi zugesagte Geldsummen aus Brünn nur teilweise oder gar nicht übergibt, bootet er jenen Mann, der ihn zum StB gebracht hat, kurzerhand aus. „Hrabec“ verlangt, dass er nur mehr über Hans Morandell alias „Korsičan“ mit dem StB kommuniziert. „Sizunk“ soll aus Italien abgezogen werden. Uffreduzzi will ihn für das Netzwerk als Verbindungsmann und Kurier nach Madrid schicken. Bertol lässt sich die Reise zwar bezahlen, doch er kehrt schon bald unverrichteter Dinge nach Bozen zurück. Es ist der endgültige Bruch zwischen „Hrabec“ und „Sizunk“.

1952 kommt es zudem zu einem Führungswechsel der Offiziere der tschechoslowakischen Staatssicherheit, die für die Operation zuständig sind. Nun leiten ein StB-Offizier mit dem Decknamen „Frantiček Sabotka“ und ein weiterer StB-Mann mit dem Decknamen „Jaroslaw Hrazky“ das italienisch-österreichische Netzwerk. Das Duo stellt plötzlich ganz andere Anforderungen an seine Agenten, und es herrschen ab jetzt auch völlig andere, weit strengere Umgangsformen. Das führt im Sommer 1952 zu einem Konflikt. Sowohl Massimo Uffreduzzi als auch Hans Morandell beklagen sich in einem langen Briefwechsel über das Verhalten des StB ihnen gegenüber. „Korsičan“ erklärt in einem geharnischten Schreiben an „Jaroslaw“ Ende Mai 1952, dass er unter diesen Voraussetzungen nicht mehr in die Tschechoslowakei kommen werde. Hans Morandell kategorisch:

Wenn ihr mit diesem Modus Vivendi nicht einverstanden und ihr mit meiner Arbeit nicht mehr zufrieden seid, bin ich zu jedem Zeitpunkt bereit, meine Kündigung einzureichen. Dass wir zu diesem Punkt gekommen sind, ist nur eure Schuld. Macht also mir keine Vorwürfe. Ich jedenfalls habe alles so organisiert, dass unsere Arbeit weitergeht, ohne dass wir uns persönlich treffen müssen.73

„Korsičan“ wird danach demonstrativ einige Monate lang nicht mehr in die ČSR reisen, obwohl der StB alles versucht, um ihn umzustimmen. Ebenso versucht man Massimo Uffreduzzi zu einem weiteren Treffen auf tschechoslowakischem Boden zu bewegen. Am 1. August kündigt „Hrabec“ mit einer Postkarte, die an eine Deckadresse in Pohořelice, einem Dorf 25 Kilometer südlich von Brünn adressiert ist, sein Kommen für den 15. August an. Weil diesmal „Korsičan“ nicht zur Verfügung steht, gibt der StB-Mann „Jaroslaw“ wenig später seinem römischen Agenten genaue schriftliche Anweisungen, wo und wie die Kontaktnahme in Wien erfolgen soll. Das Schreiben erinnert an einen Spionageroman.

Lieber Freund,

Danke Ihnen herzlich für Ihren Kartengruß und bin sehr erfreut, dass Sie mich am 15. August 1952 besuchen werden. Für Ihre Reise gebe ich Ihnen folgende Richtlinien:

Am 15.8.1952 um 17 Uhr warten Sie in Wien II, Praterstraße, vor dem bekannten Teppich- und Vorhängegeschäft „Orient“, es liegt an der linken Seite Richtung Praterstern, wo Sie von meiner Vertrauensperson pünktlich abgeholt werden. Als Erkennungszeichen nehmen Sie in die linke Hand Ihre Aktentasche und in die rechte Tasche Ihres Anzuges, resp. Mantels, geben sie die Zeitschrift „Die Wegwarte“, so dass der Titel gut sichtbar ist.

Meine Vertrauensperson spricht Sie mit: „Guten Abend Herr Primo“ an und Sie antworten: „Es freut mich sehr, dass ich Sie wieder sehe.“ – Und nun wird alles Weitere veranlasst. Ware nehmen Sie keine mit, senden Sie diese wie vereinbart am 14.8.1952.

Bin überzeugt, dass nach unserer Unterredung Ihre und meine Zufriedenheit und Arbeit sich um hundert Prozent erhöht.74

Doch das Treffen findet nicht statt, denn Massimo Uffreduzzi sagt am 12. August per Brief sein Kommen ab. Nach einem angeblichen Burnout dürfe er derzeit nicht reisen und deshalb erhole er sich in Südtirol. Nach wie vor arbeitet „Hrabec“ weiter für den Dienst und schickt gleichzeitig mit dem Brief einen Bericht zu einem NATO-Manöver im Mittelmeer vom 11. bis 14. Juni 1952, an dem sich auch die italienische, griechische und türkische Marine beteiligt. „Jaroslaw“ hatte diesen Bericht zehn Wochen zuvor schriftlich angefordert.

Von Anfang an pocht der neue StB-Führungsoffizier „Frantiček Sabotka“ bei „Korsičan“ und „Hrabec“ immer wieder auf eine ganze besondere Lieferung. Der tschechische Geheimdienst will unbedingt ein Verschlüsselungshandbuch der italienischen Armee in die Hände bekommen, also ein Chiffrierbuch, italienisch „Cifrario“. Mit Verschlüsselungsverfahren kann ein Klartext in einen Geheimtext umgewandelt werden (Verschlüsselung) und umgekehrt der Geheimtext wieder in den Klartext rückgewandelt werden (Entschlüsselung). Der Schlüssel dazu ist ein Kodex, in dem die Algorithmen zur Umwandlung genau aufgelistet sind, eine Art Wörterbuch. Der Schlüssel für die Dechiffrierung ist zugleich der Generalschlüssel zur gesamten geheimen Kommunikation des italienischen Militärs und damit eines der am strengsten gehüteten Geheimnisse überhaupt. Trotzdem scheint es, dass Massimo Uffreduzzi das Chiffrierbuch beschaffen konnte. Ende September 1953 kommt es zur Übergabe, Uffreduzzi fährt dafür nach Wien. Begleitet wird er von Carlo Guida, einem seiner Zuträger und Informanten. Guida, angehender Doktor der Medizin, war 1946 zusammen mit Uffreduzzi für den Mord an dem linken Studenten Gizzio verurteilt worden und saß mit ihm auch in Haft. Am Morgen des 23. September 1952 treffen sie Hans Morandell. Agent „Korsičan“ bricht mit der Lieferung noch am selben Abend von Wien aus in die ČSR auf. Mit im Gepäck: der von „Hrabec“ mitgebrachte „Cifrario Diplomatico-Militare (sistema Mengarini Duca)“. Das Handbuch aus dem Jahr 1951 trägt auf dem Deckblatt die Bezeichnung „Verteidigungsministerium, Generalstab des Heeres“ und die Klassifizierung „Geheim“. Weil Uffreduzzi sagt, dass er den streng geheimen Entschlüsselungskodex wieder zurückbringen müsse, liefert „Korsičan“ das Material sofort in die ČSR, wo das Buch vom StB abfotografiert wird. Im Prager Akt von „Hrabec“ findet sich heute ein Teil dieser Fotos.75 Am frühen Morgen des 25. September ist Morandell dann wieder in Wien. „Korsičan“ bringt nicht nur den Kodex zurück, sondern auch den vereinbarten Geldbetrag: 2,8 Millionen Lire. In einer 15 Seiten langen Sachverhaltsdarstellung, die Massimo Uffreduzzi wenig später verfasst, beschreibt er die Stimmung, trotz der vorherigen Unstimmigkeiten, als absolut euphorisch. Hans Morandell jedoch will aus Italien weg und hat dies bereits vorher angekündigt. Führungsoffizier „Sabotka“ hat ihm einen fixen Auslandposten für den kommunistischen Nachrichtendienst versprochen, die Rede ist von Griechenland. Wenig später geht Morandell für den StB aber für einige Monate nach Chile und Uruguay. „Hrabec“ hingegen will das erhaltene Geld nutzen, um ein Netz auf dem Balkan, in Griechenland und in der Türkei aufzubauen. Sein Plan: Hans Morandell („Korsičan“), Edgar Meininger („Pedel“) und Franz Flies („Puzzi“) sollen das Netz leiten. In der Folge kommt es zu mehreren von Uffreduzzi angeregten Treffen, die später noch eine Rolle spielen werden. Am 7. Oktober 1952 kommt Franz Flies zu „Hrabec“ nach Rom und am 21. November 1952 treffen sich Meininger, Morandell und Flies am Bahnhof in Verona. „Korsičan“ und „Puzzi“ erzählen dabei völlig aufgelöst von ihrer bereits beschriebenen Verhaftung in Hollabrunn. Etwas später, im November/Dezember 1952, treffen sich „Hrabec“ und „Korsičan“ mehrmals in Bozen und Innsbruck. Uffreduzzi händigt Morandell dabei Material aus, das dieser in Wien und in Brünn dem StB übergibt. Im Jänner 1953 steht eigentlich der nächste große Coup an. Agent „Hrabec“ will einen „geheimen Kodex der NATO“ beschaffen, nach Wien und von dort in die ČSR bringen.

Doch dazu kommt es nicht mehr. Denn die ganze Geschichte nimmt eine völlig unerwartete Wendung.

Aktion „Stelio“

Es gibt ein Bild, das die Arbeit der Nachrichtendienste treffend beschreibt. „Meistens nagen mehrere Hunde am selben Knochen“, sagt Silvano Russomanno76, ehemaliger Mitarbeiter des Inlandsgeheimdienstes und Südtirol-Fachmann des italienischen Innenministeriums, der in diesem Buch noch eine tragende Rolle haben wird.77 Es ist ein Satz, der auch in diesem Fall zutrifft, denn am Südtiroler Agentennetzwerk nagen von Beginn an gleich mehrere Hunde. Oder besser gesagt: Nicht nur der tschechoslowakische Nachrichtendienst hat seine Hände im Spiel. Am 30. März 1949 nimmt in Italien offiziell der „Servizio Informazioni Forze Armate“ (SIFAR) seine Arbeit auf. Der neue Nachrichtendienst löst den unter den Faschisten 1927 gegründeten „Servizio Informazioni Militare“ (SIM) ab. Der SIFAR hat sowohl im Inland als auch im Ausland nachrichtendienstliche Zuständigkeiten.

Die Zentrale des SIFAR befindet sich in einer alten Festungsanlage im Forte Braschi in Rom. Die zwei wichtigsten Abteilungen des SIFAR sind das „Ufficio R“ (R steht für „Ricerche“, also Recherche) für die Spionage und Nachrichtenbeschaffung im klassischen Sinn und das „Ufficio D“ (D steht für „Difesa“, also Verteidigung) für die sogenannte Spionageabwehr. Dazu gibt es rund ein Dutzend Büros in ganz Italien auf regionaler Ebene, „Centri C. S.“ genannt, was für „Controspionaggio“, also Spionageabwehr steht. Von diesen hängen wiederum kleinere periphere Außenstellen („Sottocentri“) ab. Für Südtirol ist das SIFAR-Büro Verona mit einer Außenstelle in Bozen zuständig.78

Eine zentrale Aufgabe des neuen italienischen Geheimdienstes ist der Schutz der jungen Republik vor Aktionen und Operationen fremder Mächte und gegnerischer Dienste. Nirgends im Europa der Nachkriegszeit ist die Gefahr eines erstarkenden Kommunismus größer als in Italien, weshalb vor allem die USA von Anfang an als Schutzmacht präsent sind. So verwundert es nicht, dass die 1947 gegründete US-amerikanische „Central Intelligence Agency“ (CIA) Geburtshelferin und Geldgeberin des SIFAR ist. Das Hauptaugenmerk des italienischen Nachrichtendienstes liegt daher bereits Ende der 1940er-Jahre vor allem auf dem Kommunismus und der Arbeit der östlichen Nachrichtendienste. Vor diesem Hintergrund ist verständlich, dass das Treiben des Südtiroler StB-Netzwerks dem italienischen Nachrichtendienst nicht verborgen bleibt. Ganz im Gegenteil. Der SIFAR hat von Anfang an seine Spitzel und Zuträger prominent platziert, denn gleich mehrere der bereits vorgestellten Protagonisten arbeiten gleichzeitig für verschiedene Nachrichtendienste als sogenannte Doppelagenten – allen voran Massimo Uffreduzzi.

Am 10. Oktober 1996 wird der damals 71-jährige Uffreduzzi von der Carabinieri-Sondereinheit Raggruppamento Operativo Speciale (ROS) in Rom verhört. Im Verhör erklärt er:

Ich habe eine wichtige Information an unsere Spionageabwehr weitergeleitet, genauer gesagt an den Major, der unter dem Decknamen „Costa“ operierte und der Leiter der SIFAR-Zentrale in Rom war. Bei dieser Information ging es um die Tatsache, dass ich in meiner Agentur „Telegraph“ von Herrn Erich Bertol kontaktiert wurde, den ich während eines Ferienaufenthaltes in Bozen kennenlernte, weil er dort als Tennislehrer tätig war. Bertol besuchte mich und er machte mir das Angebot, im Nachrichtengeschäft für den tschechoslowakischen Geheimdienst tätig zu werden. Ich fasse hier die Ereignisse etwas zusammen. Ich habe über diesen Anwerbungsversuch sofort General Re, damals Chef des militärischen Geheimdienstes [Giovanni Carlo Re war von 1949 bis 1951 erster Leiter des SIFAR – Anm. d. Autors] informiert. Damals wusste man, dass der KGB versucht, über tschechoslowakische Agenten Spionagenetzwerke in Italien aufzubauen. Deshalb war die Sache auch von größtem Interesse. Re schickte mich zu „Costa“, dessen richtiger Name Eugenio Piccardo war. Mit ihm starteten wir dann eine Operation, um das tschechoslowakische Netz unter Kontrolle zu halten, indem wir Informationen weitergaben, die extra dafür zusammengestellt wurden.79

 

Presseakkreditierung Uffreduzzis für NATO-Treffen: Berichte an den StB geliefert.

Wenn man diese Aussage genau analysiert, zeigt sich, dass die Erinnerung des ehemaligen StB-Agenten „Hrabec“ recht selektiv ist. In Wirklichkeit haben sich die Vorgänge 46 Jahre zuvor etwas anders abgespielt, was aus den offiziellen SIFAR-Akten jener Aktion hervorgeht, die Uffreduzzi anspricht. Es ist nämlich Praxis, dass jede Operation eines Nachrichtendienstes einen geheimen internen Decknamen erhält, so auch beim SIFAR. Die Aktion, von der Uffreduzzi spricht, heißt „Azione Stelio“.80 Aus dem über 160 Seiten umfassenden streng geheimen Akt geht unter anderem die Rolle hervor, die Uffreduzzi von Anfang an gespielt hat. Demnach standen er und Antonino Jodice, der erste Direktor der Nachrichtenagentur Telegraph, auf der Gehaltsliste des römischen SIFAR-Büros, und zwar bereits bevor Uffreduzzi über Bertol vom StB angeworben wurde, und das Geld für die Gründung der Agentur Mercury, die dem Südtiroler Netzwerk um Hans Morandell als Cover dient, kam auch direkt vom SIFAR. Vor allem aber geht die Anwerbung Uffreduzzis für den StB direkt unter der Regie des italienischen Nachrichtendienstes über die Bühne. Erich Bertol besucht am 20. April 1950 Uffreduzzi in Rom. Am 6. Mai trifft sich Uffreduzzi mit dem SIFAR-Major Eugenio Piccardo und liefert einen detaillierten Bericht über das Treffen und Bertols Angebot ab. Der SIFAR-Offizier notiert im Dienstbericht:

Uffreduzzi hat offen zugegeben, dass er ob seiner nazi-faschistischen Vergangenheit glücklich sei, dem Land einen Dienst erweisen zu können. Er hat versprochen, mit uns nach den Anweisungen zusammenarbeiten, die wir ihm von Fall zu Fall geben. Wir sind so verblieben, dass er sofort unser Büro verständigt, sollte Bertol – so wie ausgemacht – ihn wieder aufsuchen. Ich habe von ihm höchste Geheimhaltung eingefordert, damit die Aktion nicht in Gefahr gebracht wird.81

Massimo Uffreduzzi liefert ab diesem Zeitpunkt periodisch Berichte über das StB-Netzwerk ab. Zudem beschattet der SIFAR Erich Bertol bei jedem seiner Besuche im Rom. Schon bald kennt der italienische Nachrichtendienst alle Mitglieder des gesamten Südtiroler StB-Netzes. Dass man die italienischen Staatsbürger, die für einen ausländischen Nachrichtendienst in Italien Spionage betreiben, nicht umgehend verhaftet, hat mehrere Gründe. Der Hauptgrund: Der SIFAR sieht die Chance, mit Massimo Uffreduzzi einen sogenannten Doppelagenten im StB zu platzieren. Er soll vermeintlich für die ČSR arbeiten und in Wirklichkeit so dem italienischen Nachrichtendienst Informationen über die Ziele, Interessen und Methoden des StB in Italien liefern. Man führt Uffreduzzi deshalb ganz bewusst immer näher an den StB heran. Es ist bekanntlich Hans Morandell alias „Korsičan“, der Anfang Mai 1951 Uffreduzzi in Wien konkret für die tschechoslowakische Staatssicherheit anwirbt. Auch diese Wien-Reise wird vom SIFAR geplant. So schreibt der Leiter des für Südtirol zuständigen SIFAR-Büros Verona Tullio Filippo Recchia an Uffreduzzis Führungsoffizier, den Leiter der römischen SIFAR-Zentrale Eugenio Piccardo, am 12. Mai 1951:

Lieber Pik,

zuallererst meine Glückwünsche für den wirklich glänzenden Ausgang der Reise Uffreduzzis nach Wien. Eine Reise, die nicht ohne Risiko war, letztlich aber mit Fortschritten zu Ende ging, die für die Weiterführung unserer Aktion sehr wichtig sind.82

Aus den Akten geht klar hervor, dass der SIFAR Uffreduzzis Reise im Herbst 1951 in die ČSR und seine Verpflichtung als StB-Agent „Hrabec“ genehmigt hat. „Damit sollte die Zusammenarbeit für uns noch lohnender werden“, schreibt Piccardo in einem seiner Dienstberichte. Obwohl der SIFAR durch Massimo Uffreduzzi Einblick in die Arbeitsweise des StB erhält, fällt die Zwischenbilanz des italienischen Nachrichtendienstes zu seiner Person zwiespältig aus:

Über ein Jahr lang hat er intelligent und loyal gedient. Auch wenn wir ihn öfters ermahnen mussten, weil er Initiativen ergriffen hat, die nicht mit den Vorgaben vereinbar waren, die wir ihm gegeben haben.83

Uffreduzzi merkt spätestens im Sommer 1952, dass er mit der tschechoslowakischen Staatssicherheit viel Geld verdienen kann. Während er vom SIFAR zwar Geldspritzen für seine Agentur Mercury und Spesenvergütungen bekommt, zahlt der StB für die Informationen äußerst gut. Er beginnt deshalb, Informationen – und zwar nicht nur die vom SIFAR freigegebenen – auf eigene Faust und ohne Wissen des italienischen Dienstes an den StB zu liefern und zu verkaufen. Dazu trifft er sich, wie oben beschrieben, im Herbst 1952 mehrmals mit seinen StB-Kollegen, bis sich diese Situation zuspitzt. Im Akt der „Azione Stelio“ findet sich eine genaue Aufstellung der Treffen mit Hans Morandell, Edgar Meininger und Franz Flies sowie der Übergaben von Dokumenten, die Massimo Uffreduzzi am SIFAR vorbei den Tschechoslowaken übermittelte. Der Tropfen, der schließlich das Fass zum Überlaufen bringt, ist die Übergabe des italienischen Chiffrierbuches „Cifrario Diplomatico-Militare (sistema Mengarini Duca)“ an den StB. Die römische SIFAR-Zentrale entscheidet, Massimo Uffreduzzi in die Mangel zu nehmen. Man will ihn unter Druck setzen, indem man ihm androht, ihn wegen Landesverrats und Spionage zu verhaften. Ende Jänner 1953 unterzieht Eugenio Piccardo seinen Informanten einem strengen Verhör. Uffreduzzi bricht zusammen und gesteht, dass er über Monate hinweg ohne Wissen des SIFAR den Tschechoslowaken Informationen und Dokumente geliefert habe. SIFAR-Mann Eugenio Piccardo:

Er wurde verwarnt und es wurde ihm verboten in keinem Fall und aus keinem Grund nicht genehmigte Kontakte mit den Tschechoslowaken und deren Agenten zu unterhalten und genauso wenig Material zu übergeben, das von uns nicht vorab geprüft worden ist. Zudem habe ich von ihm einen vollständigen Bericht verlangt über alle Aktivitäten, die er ohne unser Wissen entfaltet hat. Ich gehe davon aus, dass diese Lektion ihren Sinn erfüllt und Uffreduzzi die Zusammenarbeit ehrlich weiterführen wird.84

Angeblich streng geheimes italienisches Chiffrierbuch: Viel Geld für eine plumpe Fälschung.

Am 3. Februar 1953 übergibt Uffreduzzi dem SIFAR eine zehn Seiten lange Sachverhaltsdarstellung, in der er seine Aktivitäten detailliert nachzeichnet. Dabei beschreibt er auch das, was er bereits im Verhör seinem SIFAR-Führungsoffizier erklärt hatte: Dass der große Coup in Wirklichkeit ein Schwindel ist! Weil es Massimo Uffreduzzi nicht schaffte, ein echtes italienisches Chiffrierbuch zu beschaffen, fabrizierte er kurzerhand eines. Dazu nimmt er einen Verschlüsselungskodex aus dem Jahr 1929, aus dem er einige Seiten entfernt, die allzu sehr an den Faschismus erinnerten. Er entwirft einen neuen Umschlag mit der Aufschrift „segreto“ und „Ministero della Difesa“, sowie die Datierung 1951 und lässt das Konvolut in einer Buchbinderei in Rom neu binden. Gleichzeitig legt Agent „Hrabec“ mehrere interessante Berichte dazu, die den StB etwas ablenken sollten. „Ich hätte mir nie gedacht, dass die Tschechoslowaken den Kodex für echt halten und bezahlen würden“, gibt Uffreduzzi gegenüber dem SIFAR zu Protokoll. Seine Sachverhaltsdarstellung garniert der römische Doppelagent mit einem persönlichen Brief voller Reue an den Direktor des SIFAR.

Auch wenn ich Ihr persönliches Vertrauen und jenes des Dienstes verspielt habe, weil ich nach meinem eigenen Kopf gehandelt habe, so sollen Sie, Herr Direktor, wissen, dass Sie bei den riskantesten Dingen immer auf mich zählen können. […] Gegenüber Sostero [= Hans Morandell alias „Korsičan“ – Anm. d. Autors] habe ich immer das Dienstgeheimnis eingehalten und er hat überhaupt keinen Verdacht, dass ich für die italienische Gegenspionage arbeite. Ebenso die Tschechoslowaken, die glauben, mit mir eine europäische Organisation verpflichtet zu haben. Sie dürsten jetzt nach diesen gefälschten Informationen. Das Ansehen, das ich bei ihnen jetzt habe, ist enorm. Und Sie können das gesamte Netz so manövrieren, wie Sie wollen.85