Geheimdienste, Agenten, Spione

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Tragisches Nachspiel

Doch nicht für alle endete die Zusammenarbeit mit dem StB so glimpflich wie für Berger. Erich Bertol arbeitete im Sommer 1953 weiterhin für den StB, nun ist Agent „Sizunk“ vorwiegend in Österreich tätig, da ihn der StB warnte, nach Italien zu fahren. Er würde dort verhaftet werden. Erich Bertol lebt zu dieser Zeit bei seiner österreichischen Verlobten, der Lehrerin Lucia Wittrich im niederösterreichischen Retz direkt an der Grenze zur ČSR. Die beiden bekommen 1953 eine Tochter und werden im August 1955 heiraten.105 Im Herbst 1953 unterbricht der StB aber die Zusammenarbeit mit „Sizunk“. Bertol, der immer noch italienischer Staatsbürger ist, schafft es in Österreich – laut eigener Aussage – nicht, eine geregelte Arbeit zu finden. Weil sein italienischer Pass verfällt, lässt er diesen im Herbst 1953 am italienischen Konsulat in Wien verlängern. Im Dezember desselben Jahres will er nach Bozen fahren und übernachtet dabei in einem Innsbrucker Hotel, wo er allerdings von der österreichischen Polizei festgenommen wird. Der Grund: Seit März 1953 ist Bertols Aufenthaltsgenehmigung in Österreich verfallen. Er wird wegen Verstoßes gegen die Ausländerbestimmungen zu einem Monat Arrest verurteilt. Nach seiner Freilassung wird er der Staatspolizei (Stapo) überstellt, die den Bozner nach Italien ausweisen soll.

Erich Bertol alias „Sizunk“: Foto nach seiner Verhaftung (1956).

Bei seiner Verhaftung hatte die Polizei in einer Aktentasche militärische Landkarten aus Holland und andere Dokumente gefunden, die er für den StB organisiert hatte. Ein Innsbrucker Stapo-Beamter erklärt Bertol, dass die österreichische Polizei über seine Arbeit für die Tschechoslowakei informiert sei und die italienischen Behörden schon sehnsüchtig auf seine Auslieferung warten würden. Er würde in Italien wegen Spionage zu 15 Jahren verurteilt werden. Der Stapo-Beamte macht Bertol daraufhin ein klares Angebot. Er soll auspacken und in Zukunft als Informant der österreichischen Staatspolizei arbeiten, dann würde er freikommen und in Österreich bleiben können. Den Namen des Beamten gibt Bertol drei Jahre später bei den Verhören vor der militärischen Spionageabwehr des StB in Prag mit „Oberpolizeirat Peschel“ an.106 Bertol geht auf das Angebot der Österreicher ein. Sofort erhält er dann auch in Innsbruck eine Aufenthaltsgenehmigung für Österreich und wird auf freien Fuß gesetzt. Peschel begleitet Erich Bertol nach Wien, wo er sich mit zwei Beamten der Stapo trifft, die ihn in eine Wohnung in der Salesianergasse 2/13 bringen. Es handelt sich um Friedrich Jäger und Johann Riedel, beide Beamte in der Abteilung I, Staatspolizei. In der Wohnung nicht unweit vom Sitz der Staatspolizei wird Bertol laut eigenen Angaben verhört. Er gibt bereitwillig Auskunft über seine Arbeit, die illegalen Schleichwege über die Grenze, die toten Briefkästen in Wien und die Aufträge, die er vom StB erhalten habe. Während des Verhörs ist – laut Bertol – auch ein Engländer in der Wohnung anwesend. „Dieser Engländer war vom englischen Nachrichtendienst“, gibt „Sizunk“ später im Verhör in Prag zu Protokoll.107 Nach dem Aufenthalt in Wien kehrt Bertol mit dem Auftrag, sich sofort bei Jäger oder Riedel zu melden, wenn er einen Kontakt zum StB hergestellt habe, nach Retz zurück. Die Stapo-Beamten animieren ihn, auch ohne Einladung in die ČSR zu gehen. Genau das tut „Sizunk“ im Februar 1954 dann auch. Doch sein StB-Führungsoffizier erklärt ihm, dass die Zusammenarbeit mit ihm offiziell unterbrochen sei, und schickt ihn unverrichteter Dinge nach Retz zurück.

Bertol hält weiterhin Kontakt zur Wiener Stapo. Gleichzeitig trifft er sich wieder mit seinem früheren Weggefährten Friedrich Stefaner, der ihm dabei sein Leid klagt. Er sei von den italienischen Behörden des Landes verwiesen worden und müsse sich jetzt in Innsbruck irgendwie durchschlagen. In Wahrheit hat der Bozner StB-Agent „Horalsky“ aber wegen eines kleineren Betrugsdeliktes Südtirol und Italien verlassen und fürchtet eine Haftstrafe, wenn er zurückkommt. Zudem ist Friedrich Stefaner zu diesem Zeitpunkt längst für einen zweiten Nachrichtendienst tätig, die „Organisation Gehlen“ (Org.). Friedrich Stefaner arbeitet in den 1950er-Jahren als bezahlter Informant der Org. In dieser Rolle wurde er auch vom BND übernommen. So ist Stefaner wohl in den 1960er-Jahren in Innsbruck unter dem Decknamen „STAN“ für den deutschen Nachrichtendienst tätig.108

Im Sommer 1954 meldet sich Friedrich Stefaner bei Erich Bertol und lädt diesen nach Innsbruck ein. Beide fahren am nächsten Tag nach Konstanz am Bodensee, wo Stefaner Bertol einen gewissen Herrn „Müller“ vorstellt. Müller ist ein Org.-Mann, der an diesem Tag Bertol für den deutschen Nachrichtendienst anwerben will. Laut der Schilderung Bertols habe der Abgesandte der Org. ihm ein Dossier vorgelegt, in dem die gesamte Arbeit des StB-Netzes rund um „Sizunk“ dokumentiert war, unter anderem mit Aussagen Stefaners. Erich Bertol unterzeichnet am Ende eine Verpflichtungserklärung, doch will er in Wirklichkeit nie für den deutschen Nachrichtendienst tätig geworden sein, sehr wohl aber für die österreichische Staatspolizei. Das Duo Jäger/Riedel lässt nicht locker. Erich Bertol arbeitet nun unter dem Decknamen „Jakob Hansen“ für die Stapo. 1955 wird der Informant in der Wiener Sicherheitsdirektion sogar dem „Chef“ vorgestellt. Die Beschreibung des Treffens und der Person, die Bertol ein Jahr später bei seinen Verhören in Prag wiedergibt, passt perfekt auf den damaligen Leiter der österreichischen Staatspolizei Oswald Peterlunger (1909–1985). Immer wieder versucht „Sizunk“, Kontakt mit dem StB aufzunehmen. So schreibt er unter seinem alten Decknamen „Arnold“ am 25. September 1955 an seinen ehemaligen Führungsoffizier:

Da es Neuigkeiten gibt, ersuche ich Euch, es so zu arrangieren, dass wir uns so schnell wie möglich treffen können. Deshalb bitte ich Euch, ein Treffen zu fixieren. Lasst mich per Post an meine alte Adresse in Retz Tag und Uhrzeit wissen. Es ist überflüssig zu erwähnen, wie wichtig dieses Treffen ist, denn es gibt einige Neuigkeiten, die Euch sicher interessieren.109

Erich Bertol arbeitet im Sommer/Herbst 1955 im Wiener Hotel Wandel und lernt dort einen kanadischen Diplomaten kennen. Er will den StB nun mit diesen Informationen versorgen, doch auch dieses Mal lässt die Antwort aus der ČSR auf sich warten. Erst im Jänner 1956 schreibt ihm sein Führungsoffizier zurück und lädt ihn zu einem Treffen in die ČSR ein. Bertol informiert umgehend seinen Kontaktmann bei der Wiener Stapo. Letztlich kommt es aber erst zu Ostern 1956 zum Treffen. Einmal geht Erich Bertol zwar zum verabredeten Termin illegal über die Grenze, wird dort aber nicht abgeholt. In der Nacht des 13. April 1956 überquert „Sizunk“ erneut die Grenze und wird dann von den StB-Leuten nach Prag gebracht. Dort kommt es zu einer Aussprache und Bertol erhält einige Aufträge. Danach kehrt „Sizunk“ wieder nach Österreich zurück, wo er der Stapo umgehend einen detaillierten Bericht erstattet. Erich Bertol arbeitet zu diesem Zeitpunkt als Elektriker bei den Donaukraftwerken in Persenbeug bei Melk an der Donau. Auch auf Druck der Stapo hält er den Kontakt zum StB aber weiterhin. Mitte Juni schreibt er erneut an den StB:

Da ich mit meiner Arbeit schon fertig bin, möchte ich nachfragen, wann ich heiraten kann. Ich bin soweit bereit. Bitte setzen Sie den Termin an einen Freitag, denn die Zeit ist ja schon bekannt. Der Ort ist immer noch derselbe.110

Eigentlich hätten bei Erich Bertol aufgrund der mehrmaligen Nichtbeachtung längst die Alarmglocken läuten müssen. Doch das tun sie nicht. Der StB weiß nämlich längst, dass Agent „Sizunk“ für die Stapo arbeitet. Darüber hinaus vermutet die tschechoslowakische Staatssicherheit, dass Bertol über die österreichische Staatspolizei auch Informationen an den englischen und amerikanischen Nachrichtendienst weiterleitet. In einem langen Bericht analysiert der StB am 17. September 1956 den gesamten Fall. Der Beamte kommt am Ende zu einem klaren Resümee:

Aus den obigen Befunden geht hervor, dass Bertol ein Agent der Österreichischen Polizei und ein Spion ist. Ich schlage daher vor, Bertol in die Tschechoslowakei einzuladen und ihn dort als Agent einer feindlichen Macht zu verhaften.111

Genau dieser Plan wird dann auch umgesetzt. Agent „Sizunk“ soll am 5. Oktober 1956 in die ČSR kommen. Erich Bertol lässt dieses Treffen aber platzen. Als er dann am 12. Oktober 1956 zum nächsten geplanten Treffen kommt, wird er unmittelbar nach dem Überschreiten der Grenze von der militärischen Spionageabwehr des StB verhaftet und nach Prag gebracht. Zwischen dem 14. Oktober und dem 7. Dezember 1956 wird „Sizunk“ über ein Dutzend Mal verhört. Die Verhöre werden auf Deutsch geführt und sowohl auf Deutsch als auch tschechisch protokolliert. Zudem schreibt Erich Bertol in der Untersuchungshaft eine 30 Seiten lange Sachverhaltsdarstellung, in der die gesamte Geschichte des StB-Netzwerks noch einmal aufgearbeitet wird. Im StB-Akt von Erich Bertol sind auch die Vorgaben enthalten, die die Abteilung Spionageabwehr dem Verhörbeamten macht. Dort heißt es unter anderem:

Stellen Sie Bertol während des Verhörs in Aussicht, in der Tschechoslowakischen Republik bleiben und hier eine Familie gründen zu können. Gleichzeitig erklären Sie ihm, dass er unter keinen Umständen nach Österreich zurückkommen kann. Denn dort werde er festgenommen, verurteilt und dann nach Italien ausgeliefert.112

 

Die Taktik geht auf. Erich Bertol plaudert in den Verhören mehr oder weniger alles aus, was er weiß. Besonderes Interesse hat der StB dabei an den Vorgängen und den Personen der Stapo. So legt man Bertol zum Beispiel eine Reihe von Fotos von österreichischen Polizeibeamten vor, die er identifizieren soll. Am 22. März 1957 verurteilt das Landesgericht Prag Erich Bertol zu 15 Jahren Haft wegen Spionage. Der langjährige StB-Agent „Sizunk“ verschwindet in einem Prager Gefängnis. Gut eineinhalb Jahre lang kümmert sich niemand um ihn. Am 21. März 1958 spricht Bertols Ehefrau Lucia bei der italienischen Botschaft in Wien vor und erklärt, dass sie seit 1957 keine Nachricht mehr über den Verbleib ihres Mannes habe. Sie habe nur schriftlich eine Postfachadresse in Prag erhalten. Doch niemand antwortet auf ihre Briefe. Am 25. Juli 1958 antwortet die italienische Botschaft aus Prag: Erich Bertol verbüße in Prag eine 15-jährige Haftstrafe wegen Spionage. Die Nachricht wird auch umgehend dem italienischen Nachrichtendienst SIFAR übermittelt.113

Erich Bertol sitzt sieben Jahre Haftstrafe in Prag ab, bevor ihm die Reststrafe erlassen wird. Am 14. September 1964 wird er dann nach Österreich abgeschoben. Danach verliert sich seine Spur bis zum Tod im Jahr 2004.

Der Mann mit den vielen Namen

Auch um Hans Morandell wird es ruhiger. Auf einer Zugfahrt zwischen Innsbruck und Wien lernt er seine spätere Frau Anna Gasparik kennen. Die beiden heiraten am 5. Oktober 1955 in Wien. Giovanni Sostero, wie er offiziell heißt, meldet am 16. November 1955 seinen offiziellen Wohnsitz in Bozen ab.114 1956 wird der erste Sohn Marc und wenig später der zweite Sohn Pino geboren. „Er war nie ein Familienmensch, sondern er hat immer sein eigenes Leben geführt“, sagt sein Sohn Marc heute.115 Am 22. Oktober 1959 erhält Hans Morandell, der ja in Italien Gianni Sostero heißt, die österreichische Staatsbürgerschaft. Der StB-Agent arbeitet danach jahrelang als Angestellter des halbstaatlichen italienischen Reisebüros CIT (Compagnia Italiana Turismo) in Wien. Nach einem kurzen Zwischenspiel beim Österreichischen Verkehrsbüro versucht er sich als Mietwagenunternehmer selbstständig zu machen, doch das Abenteuer dauert nicht lange. In den 1970er-Jahren ist er hauptsächlich als Fremdenführer im Schloss Schönbrunn tätig – vorwiegend für Führungen in Spanisch und Italienisch. Bereits um die 50 Jahre alt, holt Hans Georg Sostero, wie er sich inzwischen amtlich nennt, die Lehramtsprüfung nach. Er wird zum Englischlehrer an einer Schule in Wien und kann so als Beamter in Rente gehen. „Er ist zeit seines Lebens sehr viel gereist“, erinnert sich sein Sohn. In den 1960er-Jahren fuhr er auffallend oft in die Tschechoslowakei. „Meine Mutter war überzeugt, dass er dort eine Freundin hat“, sagt Marc Sostero. Einmal ist Anna Sostero samt Sohn ihrem Mann nach Prag sogar nachgefahren, ohne ihn aber zu finden. Vieles spricht dafür, dass die Zusammenarbeit Sosteros mit dem StB auch in diesen Jahren noch weiterging. Als Marc Sostero 16 Jahre alt ist, nimmt ihn sein Vater im Auto nach Rumänien mit. „Nach zwei Tagen hat er Rumänisch gesprochen“, sagt der Sohn heute.116 Sein Vater habe sich mit Sprachen unheimlich leichtgetan. Er beherrschte neben Deutsch und Italienisch Englisch, Französisch, Spanisch, Tschechisch, Serbokroatisch und auch Russisch. Immer wieder arbeitete Sostero deshalb auch als Übersetzer. Laut eigenen Erzählungen soll er auch beim historischen Treffen zwischen John F. Kennedy und Nikita Chruschtschow am 3. und 4. Juni 1961 im Wiener Hotel Imperial als Übersetzer im Einsatz gewesen sein. Als 1987 Sosteros Mutter Hedwig Morandell in Bozen stirbt, erbt er die große Wohnung in der Venedigerstraße. Gianni Sostero lebt deshalb Ende der 1980er-, Anfang der 90er-Jahre für einige Zeit wieder in seiner Geburtsstadt. Am 26. September 2010 stirbt Gianni Sostero in Wien. Seine Geschichte nimmt er mit ins Grab.

Hans Georg Sostero (kurz vor seinem Tod in Wien): Ein Mann mit vielen Gesichtern.

Büro für vertrauliche Angelegenheiten


Gehaltsliste der UAR-Spitzel vom März 1961: Decknamen und monatliche Entschädigung.

Im italienischen Innenministerium wird mit dem „Ufficio Affari Riservati“ (UAR) eine nachrichtendienstliche Struktur geschaffen. In Südtirol operiert das UAR über offizielle und verdeckte Kanäle und arbeitet eng mit amerikanischen Nachrichtendiensten zusammen. Ein streng geheimer Briefwechsel aus der Bozner Quästur macht anschaulich, wie man Spitzel anwirbt und die Lage in Südtirol beobachtet und analysiert. Neben dem UAR sind aber auch noch weitere italienische Dienste streng geheim im Einsatz.

Zwischen 1925 und 1945 ist der „Servizio Informazioni Militare“ (SIM) eine der wichtigen Stützen des Faschismus in Italien. Mit dem 31. Dezember 1945 wird Mussolinis Geheimdienst formal von den Alliierten aufgelöst, woraufhin ein Großteil der SIM-Agenten nun im „Ufficio Informazioni dello Stato Maggiore Generale“ zusammengezogen wird, das in den Nachkriegsjahren zuerst vom amerikanischen „Office of Strategic Services“ (OSS) und später der „Central Intelligence Agency“ (CIA) finanziert und kontrolliert wird. Erst mit dem Beitritt Italiens zur NATO erhält die Republik Italien wieder einen neuen eigenständigen Geheimdienst: Der „Servizio Informazioni Forze Armate“ (SIFAR) nimmt am 30. März 1949 seine Tätigkeit auf.1

In diesen Jahren nach Kriegsende bauen zudem das Innenministerium und die italienische Polizei geheimdienstliche Strukturen und Dienste auf. Gleichzeitig gibt es zwischen 1946 und 1950 innerhalb der italienischen Polizei einen tiefgreifenden Paradigmenwechsel, denn es beginnt der globale Kampf gegen den Kommunismus. Waren nach dem Krieg viele Sympathisanten und Mitglieder des linken Widerstandes in den Polizeidienst eingetreten, kommt es in diesen Jahren zu einer bewussten politischen Säuberungsaktion innerhalb der italienischen Sicherheitskräfte. Im ausbrechenden Kalten Krieg und – auch hier – mit tatkräftiger organisatorischer und finanzieller Mithilfe der amerikanischen Nachrichtendienste werden die politischen Gewichte innerhalb der Polizei eindeutig nach rechts verschoben. An den wichtigsten Schaltstellen des Innenministeriums kommen damit wieder alte Seilschaften an die Macht, die Jahre zuvor in der faschistischen Geheimpolizei „Organizzazione per la Vigilanza e la Repressione dell’Antifascismo“ (OVRA) ihr Handwerk erlernt haben.2 1946 wird im Innenministerium der sogenannte SIS „Servizio Informazioni Speciali“ gegründet. Bei dieser Behörde laufen alle Fäden der „politischen Polizei“ zusammen, also jener Abteilungen in den auf Provinzebene angesiedelten Quästuren (Polizeidirektionen), die sich italienweit um politische Delikte kümmern sollen. Dem SIS ist aber nur eine kurze Lebenszeit beschert, denn 1948 entsteht im Innenministerium die „Divisione Affari Riservati“, besser bekannt unter dem Namen ihres operativen Arms, des „Ufficio Affari Riservati“ (UAR). Erster Leiter dieser Polizeistruktur im Innenministerium wird Gesualdo Barletta, der dem Amt bis 1958 vorsteht.

Barletta arbeitete während des Faschismus für die OVRA, deren Hauptziel die Bekämpfung des Antifaschismus war. Er war Leiter der OVRA-Zone „Lazio-Roma“. Nun holt Barletta Dutzende alte Mitstreiter aus der faschistischen Zeit in den neuen Dienst. Fast alle neuralgischen Stellen im Innenministerium werden so von ehemaligen faschistischen Polizeifunktionären besetzt. Wie eindeutig diese politische Umorientierung ist, macht eine Statistik aus dem Jahr 1960 deutlich. Demnach haben 62 der 64 Präfekten eine Vergangenheit als faschistischer Funktionär, bei den stellvertretenden Präfekten sind es gar 241. Ebenso haben 135 Quästoren und 139 Vizequästoren eine OVRA-Vergangenheit oder waren für den faschistischen Geheimdienst SIM tätig.3 Wie sehr sich diese politische Orientierung auf die Arbeit des UAR auswirkt, zeigt ein Blick ins Herzstück des Dienstes. Das „Casellario Politico Centrale“ geführt von der „Divisione Affari Riservati“ ist sozusagen eine Kartei der subversiven, staatsgefährdenden Elemente. 1961 sind darin 13.716 Personen erfasst, davon sind 12.491 als „Linksextremisten“ gespeichert, 177 Personen als Anarchisten und nur 626 als „Rechtsextremisten“.4

Innenministerium im Palazzo del Viminale: Sitz des „Ufficio Affari Riservati“.

Das UAR hat seinen Sitz im Palazzo del Viminale in Rom direkt im Innenministerium und dort bei der Generaldirektion für öffentliche Sicherheit. Gleichzeitig aber operiert die Division im gesamten Staatsgebiet. 1949 wird an allen Quästuren das „Ufficio Vigilanza Stranieri“ (UVS) eingeführt. Offiziell soll das Büro die Ausländerangelegenheit bearbeiten, in Wirklichkeit ist es eine Struktur, die vor allem in Grenzregionen oder Minderheitengebieten – wie in Südtirol oder Triest – nachrichtendienstlich tätig ist, indem die Beamten nicht nur Ausländer überwachen, sondern auch Spionage und politische Aufklärung im Inneren betreiben. Dafür werben sie Spitzel und Informanten an.

1957 arbeiten im römischen Zentralsitz 14 Beamte für das UAR, dazu kommen noch ein Außensitz in Mailand und zehn UVS-Büros in den Regionen.5 Italienweit werden in den wichtigsten Städten „Squadre“ (Mannschaften) gebildet. Es sind verdeckte, nicht offizielle Strukturen, die Informationen beschaffen, Spitzel und Agenten führen und Ermittlungen durchführen. Die verschiedenen „Squadre“ werden in der römischen Zentrale durch Zahlen gekennzeichnet. So steht die „Squadra 33“ für Bologna, die „Squadra 23“ für Florenz, „Squadra 51“ für Triest, „Squadra 53“ für Bari, „Squadra 54“ für Mailand und „Squadra 55“ für Turin. In Bozen operierte die „Squadra 26“.6 Angeführt werden diese Gruppen von eigenen verdeckt operierenden Polizeibeamten. Offiziell gehören diese Beamten dem autonomen Regiment des Innenministeriums an, sind aber für Sondereinsätze freigestellt oder formal bereits in Rente. Diese Beamten leben und arbeiten in Privatwohnungen außerhalb der Quästur und halten den Kontakt mit Informanten und Spitzeln, nehmen deren Nachrichten entgegen, übermitteln diese dem UAR nach Rom und sorgen für die Kommunikation mit den Informanten und deren Bezahlung. Der Grund für diese Tarnung ist einfach: Gibt einer der Spitzel oder Informanten Dinge und Aktionen preis, die für die Polizei oder Sicherheitskräfte kompromittierend sein könnten, gibt es keinen direkten Zusammenhang mit offiziellen Stellen. Die Spur endet bei einem Namen, einer Privatwohnung, irgendeiner Adresse.

Ab 1958 sind an die 20 solche verdeckt operierende Beamte tätig, die eine Art Brückenfunktion zwischen der Peripherie und der Zentrale in Rom übernehmen.7 Parallel dazu führen aber auch die Quästuren oder dort vor allem die jeweilige „politische Abteilung“ eigene Informanten und Agenten. Auch diese werden über das UAR bezahlt und dort fließen auch die Informationen zusammen. In einer genauen Auflistung vom 15. März 1961 des UAR-Direktors Ulderico Caputo sind italienweit insgesamt 50 Informanten angeführt, die sich zu dieser Zeit im Dienst befinden. Sie bekommen – je nach Leistung und Wichtigkeit – zwischen 5.000 und 180.000 Lire im Monat bezahlt. Es dürfte kein Zufall sein, dass jene zwei Spitzel, die den größten monatlichen Betrag erhalten, ausgerechnet in Südtirol im Einsatz sind. Insgesamt gibt das UAR im Frühjahr 1961 für die Entlohnung seiner Informanten monatlich 2.093.000 Lire aus.8

Um verdeckt arbeiten zu können, braucht das UAR Adressen, die unverdächtig sind. Deshalb mietet man in Rom und Mailand Postfächer an, die auf falsche Namen laufen. In diesen Postfächern trudeln die Berichte direkt von Informanten oder über die peripheren Verbindungsleute ein, aber auch die Korrespondenz mit ausländischen Nachrichtendiensten. So führt das UAR zwischen 1955 und 1958 in Rom im Postamt Borgo zwei Postfächer: das Postfach 9088 auf den Namen Giuseppe Cassano und das Postfach 9066 auf den Namen Romolo De Felice. Anfang 1959 werden diese Adressen stillgelegt, das UAR mietet im römischen Zentralpostamt zwei neue Postfächer: Das Fach 299 lautet auf den Namen Gino Lampugnani und das Fach 254 auf den Namen Luciano Francesconi. Anfang 1960 wird das Postfach 254 beibehalten, aber die Anschrift geändert. Das Postfach lautet jetzt auf den Namen Angelo Molenti. Diese Deckadresse bleibt bis in die 1980er-Jahre operativ, als es das UAR schon gar nicht mehr gibt und die Post vom 1978 neu geschaffenen Inlandsgeheimdienst „Servizio per le Informazioni e la Sicurezza Democratica“ (SISDE) abgeholt wird. Briefkästen hat das UAR in den 1960er-Jahren auch in Mailand (Postfach 732 lautend auf Maria Moneta) und in Genua (1162 lautend auf Rosa Robbiano). In den Akten finden sich auch genaue Aufstellungen, wer welche Adresse zugewiesen bekommen hat. So stellt man sicher, dass die Berichte der Informanten auch an die richtige Adresse kommen.9 Fortsetzung

 

Aufstellung der UAR-Informanten (März 1961): Ulderico Caputos Südtiroler Zuträger.