Elvis - Mein bester Freund

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Doch als ich zurück zum Continental kam, sah ich, dass Elvis nicht mehr auf dem Fahrersitz saß. Stattdessen stand er mit dem Rücken zum Wagen auf der Straße, umgeben von fünf oder sechs Typen, die nicht gerade freundlich wirkten. Ich drängte mich an ihnen vorbei zu Elvis durch.

»Was ist denn hier los, wo liegt das Problem?«, fragte ich einen der Jungs, die am nächsten bei ihm standen. Ich hoffte, dass es immer noch eine Möglichkeit gab, sich aus der Angelegenheit herauszureden, was immer auch vorgefallen sein mochte. Der große Kerl ließ Elvis nicht aus den Augen, während er mir antwortete.

»Ich will mal sehen, wie hart dieser Kinoheld wirklich ist. Er hat meine Frau angebaggert, und dafür versohle ich ihm jetzt den Hintern.«

Ich hatte schon oft beobachtet, wie Typen versuchten, vor Elvis den harten Mann zu spielen, doch diese Kerle hier meinten es todernst. Sie standen um uns herum wie in Habachtstellung. Da bemerkte ich auch, wo wir angehalten hatten – ausgerechnet direkt vor dem USO Club für die Tausenden von Seeleuten und Marinesoldaten der nördlich von Memphis gelegenen Millington Naval Base. Nun waren wir von einer Gruppe wütender Marineinfanteristen umgeben, die Elvis Presley eine Lektion erteilen wollten.

»Einen Augenblick noch«, sagte ich zu dem großen Kerl. »Elvis ist gerade erst aus Hollywood zurückgekehrt. Er hat dort einen neuen Film gedreht. Er war drei Monate nicht in der Stadt – er kann sich gar nicht mit Ihrer Frau getroffen haben.«

Mit Logik schien dem Kerl jedoch nicht beizukommen zu sein.

»Doch, das hat er. Er ist mit meiner Frau ausgegangen, und jetzt will ich mal sehen, wie hart er wirklich ist.«

Ich war nie ein großer Kämpfer gewesen, aber als die Typen nun langsam näher kamen, nahm ich meinen Mut zusammen und ballte die Fäuste. Elvis hatte die ganze Zeit schweigend am Wagen gelehnt, doch nun handelte er blitzschnell. Er griff in die Innentasche seines Sakkos und zog mit einer leichten, eleganten Bewegung eine Pistole hervor. Dann streckte er rasch den Arm aus und zielte dem großen Kerl auf wenige Zentimeter direkt zwischen die Augen.

»Okay, du verdammter Hurensohn«, knurrte er. »Bin gespannt, was du jetzt noch machen willst.«

Der Kerl riss die Augen weit auf und wurde schlagartig ganz blass. Auch seinen Freunden wich die Farbe aus den Gesichtern. Der große Kerl hob langsam die Arme und sprach nun mit einem vollkommen anderen Ton in der Stimme.

»Bitte nicht schießen, Herr Presley. Wir haben doch nur Spaß gemacht. War alles nur Blödsinn. Wir haben es nicht böse gemeint.«

Elvis war nicht in der Stimmung, eine Entschuldigung zu akzeptieren. »Leckt mich!«, sagte er. Er ließ seine Hand bis auf Hüfthöhe sinken, zielte mit der Pistole jedoch weiter auf den großen Kerl.

»GK, steig ins Auto.« Ich sprang hinein, so schnell ich konnte. Elvis ging zur Fahrertür und wandte sich erneut an die Marines. »Der Erste, der sich bewegt, wird von mir erschossen«, sagte er. Elvis stieg ein, und wir drückten auf die Tube. In meinem Seitenspiegel sah ich die Marinesoldaten, die immer noch ganz verwirrt wirkten und sich kaum rührten. Auf einmal merkte ich, wie stark mein Herz schlug und wie flach ich atmete – nur um Haaresbreite waren wir einer wüsten Prügelei mit Soldaten entgangen. Ich sah zu Elvis hinüber, den die ganze Angelegenheit irgendwie unberührt zu lassen schien, gerade so, als gehörte dies zu einem normalen Abend in der Stadt dazu.

»Wo hast du die denn her?«, schrie ich.

»Was meinst du mit ›die‹, GK?«

»Wo um alles in der Welt hast du die Knarre her?«

Er griff abermals in seine Tasche, zog die Pistole hervor und reichte sie mir. Ich zögerte, sie anzufassen, doch er drückte sie mir in die Hand. Sie war viel leichter, als ich erwartet hatte.

»Das ist eine Attrappe aus Hollywood, GK. Der Requisiteur in den Paramount Studios hat sie mir gegeben.«

»Mensch, Elvis. Du meinst, diese Typen da haben sich zu Tode erschreckt, obwohl das Ding nur mit Platzpatronen schießt?«

»Es hat seinen Zweck jedenfalls erfüllt, GK«, lachte er.

Bei dem ganzen Trubel mit den Marines hatten wir die Mädchen, die wir auf der Main angesprochen hatten, völlig aus den Augen verloren. Als wir bei Elvis’ Haus am Audubon Drive eingetroffen waren, dauerte es jedoch nicht lange, bis dort ein paar Autos auftauchten. Seine Familie schlief bereits, doch das Haus war so gebaut, dass man im Arbeitszimmer ganz ordentlich Krach machen konnte, ohne jemanden zu wecken. Die Mädchen, allesamt sehr hübsch, kamen also ins Haus, und wir ließen die Party steigen.

Nun mag es vielleicht seltsam erscheinen, eine private nächtliche Party bei Elvis mit einem Haufen hübscher Mädchen als »unschuldig« zu bezeichnen, doch verlief an jenem Abend tatsächlich alles ganz harmlos – trotzdem hatten wir jede Menge Spaß. Es gab keinen harten Alkohol und selbstverständlich auch keine Drogen, nur Pepsi und vielleicht ein paar Zigaretten. Elvis setzte sich ans Klavier und sang einige Lieder – keines von seinen eigenen, nur alte Lieblingsstücke, die er gern spielte. Ein paar der Mädchen stimmten mit ein. Ansonsten ging es Elvis und mir eigentlich nur darum, mit möglichst vielen Mädchen zu flirten (freilich musste ich mich dabei viel mehr anstrengen als er). Einige ließen sich gerne ein wenig necken und küssen, aber es war keine wilde Orgie. An so etwas hatte Elvis kein Interesse, insbesondere nicht, wenn seine Eltern im selben Haus schliefen. Die Mädchen waren entzückt, weil sie glaubten, jede von ihnen hätte nun die Chance, Elvis’ nächste Freundin zu werden. Ich wiederum war mit ein, zwei Telefonnummern und ein paar Küssen vollauf zufrieden. Ich denke, es war einfach eine andere Zeit damals, so dass die Dinge nicht ausuferten. Trotzdem feierten wir in jener Nacht eine großartige Rock’n’Roll-Party.

Als sich der Trubel gegen vier Uhr in der Frühe allmählich legte, klopfte es an der Tür. Ich ging hin, um zu öffnen, und war sehr erleichtert, statt einem weiteren Zug Marinesoldaten ein paar Pressefritzen aus der Stadt zu sehen, die ich gut kannte. Einer der Jungs war ein Reporter, der andere Fotograf. Als ich fragte, was sie hier machten, antwortete der Reporter:

»Naja, GK, so ein Marinesoldat ist auf der Polizeiwache vorstellig geworden und hat einen Haftbefehl erwirkt. Er sagte unter Eid aus, dass Elvis gestern Abend versucht habe, ihn zu töten. Da fragten wir uns, ob uns Elvis vielleicht sagen könnte, was wirklich geschehen ist.«

Elvis war der Presse gegenüber inzwischen recht vorsichtig geworden. Zu oft hatte man ihn unfair behandelt. Diesmal jedoch kam er nach draußen und schien hocherfreut, die gesamte Verkettung von Ereignissen des vergangenen Abends zu erklären, während sich der Reporter aus Memphis Notizen machte.

»Ich wollte wirklich niemanden verletzen«, sagte Elvis. »Ich habe nur versucht, mich selbst zu schützen.«

Der Reporter versicherte, Elvis’ Sicht der Dinge richtig darzustellen, und fragte, ob er ein Foto von ihm und mir in dem Lincoln machen dürfe. Ich war ein wenig überrascht, dass Elvis einwilligte, aber er tat es. Also setzten wir uns in den Wagen und posierten vor der Kamera. Elvis hielt sogar seine Filmpistole in die Luft, mit der er den Soldaten bedroht hatte.

Dieses Bild zierte die Titelseite der nächsten Ausgabe, in der Elvis’ Erlebnis mit den Marinesoldaten Wort für Wort abgedruckt war. Am Tag darauf erreichte die Geschichte die landesweite Presse, und am folgenden Montag, zwei Tage, bevor wir zum geplanten Tourneestart nach Chicago aufbrechen sollten, standen Elvis und ich dem großen Marinesoldaten erneut gegenüber – diesmal in einem Gerichtssaal in Memphis.

Colonel Parker war bereits in Chicago, um einige Vorbereitungen zu treffen, doch er rief an und wollte Elvis einige erstklassige Rechtsanwälte zu Seite stellen, damit diese die Angelegenheit regeln würden. Elvis entgegnete, er brauche keine Anwälte – er sagte, er und ich könnten das Ganze schon selbst in die Hand nehmen. Als ich jedoch vor Gericht stand, kam mir der Gedanke, dass dies möglicherweise ein Fehler gewesen sein könnte. Der Marinesoldat war mit einem Anwalt des Marine Corps, einem Marineanwalt und einem Zivilanwalt zu seiner Unterstützung angetreten. Elvis hatte nur mich.

Der Richter indes wollte keine Rechtsanwälte reden hören. Er forderte den Marinesoldaten auf, seine Version der Geschichte selbst zu erzählen, danach bat er Elvis, das Gleiche zu tun. Als er gehört hatte, was die beiden Parteien zu sagen hatten, starrte der Richter eine Zeitlang auf die Unterlagen auf seinem Tisch. Dann blickte er wieder auf. Man konnte fast ein kleines Grinsen auf seinem Gesicht erahnen. Er sah zu dem Soldaten hinüber.

»Wie lange sind Sie denn schon bei der Marineinfanterie?«

»Seit zwei Jahren, Sir.«

»Und sagen sie euch dort nicht, wie echte Pistolen aussehen?«

»Doch, Sir.«

»Nun, offensichtlich hat die Marine in Ihrem Fall versagt. Klage abgewiesen!«

Der Marinesoldat wurde genauso bleich wie an dem Abend, als Elvis die Attrappe auf ihn gerichtet hatte, und seine Anwälte blickten so verblüfft drein wie seine Kameraden. Elvis und ich versuchten, uns das Lachen zu verkneifen, und wechselten kein Wort miteinander, bis wir den Gerichtssaal verlassen hatten. Gerade, als wir uns ein erstes Lächeln gestatteten und darüber zu reden begannen, was wir gerade erlebt hatten, sah ich den großen Marinesoldaten auf uns zukommen. Ich wappnete mich für eine weitere Konfrontation, aber diesmal war der Kerl nicht auf eine Schlägerei aus.

»Herr Presley, es tut mir leid, dass das passieren musste«, sagte er leise.

»Mir ebenfalls«, sagte Elvis. »Aber jetzt ist es ja vorbei. Schwamm drüber.«

»Dann nichts für ungut, Sir. Aber darf ich Sie noch etwas fragen?«

 

»Klar.«

»Nun, ich stamme aus St. Louis und habe erfahren, dass sie dort bald auftreten werden. Meinen Sie, es wäre möglich, dass meine Frau und ich zu dem Konzert kommen könnten? Sie würde bestimmt gerne hinter die Bühne kommen, um Sie kennenzulernen.«

Ich weiß nicht mehr, ob mir tatsächlich die Kinnlade herunterklappte, aber jedenfalls konnte ich nicht fassen, was ich da hörte. Dieser Kerl war drauf und dran gewesen, Elvis zu Brei zu schlagen, weil er glaubte, er mache seiner Frau Avancen – und nun stellte sich heraus, dass er eben diese Frau zu Elvis in die Garderobe schicken wollte.

»OK«, sagte Elvis. »Sie kommen bei dem Konzert in St. Louis einfach an die Sicherheitsabsperrung und fragen nach diesem Mann hier – George Klein. Er kümmert sich dann um Sie.«

Ich bin mir ziemlich sicher, dass Elvis ein paar der nicht druckfähigen Worte dachte, die auch ich dachte, aber er sprach keines davon aus. Stattdessen blieb er über die Maßen höflich und wünschte dem Marinesoldaten noch alles Gute, als wir uns umwandten und das Gericht verließen, vor das uns dieser Mann gebracht hatte.


In den Anfangstagen des Rock’n’Roll existierte »Roadie« noch nicht als Wort oder gar als eigenständiger Beruf. Wenn Elvis auf Tournee ging (und er tourte zwischen seinen Filmen wie verrückt), nahm er ein paar Typen mit, die er kannte und denen er vertraute – Typen, die als Fahrer für ihn arbeiteten, sich um Instrumente und Gepäck kümmerten und ihm notfalls auch ein wenig Personenschutz bieten konnten. Anfangs war Red West die Ein-Mann-Bühnenmannschaft für Elvis, Scotty und Bill. Ich kannte Red noch aus der Humes, wo ich eine Zeitlang in der Jugendliga mit ihm Baseball gespielt hatte. In einem Punkt hatte er sich nicht verändert: Er war einer der härtesten Jungs im Norden von Memphis, wenn nicht in ganz Tennessee. Andererseits konnte er einen aber auch mit seinem Scharfsinn und seinem ausgezeichneten musikalischen Verständnis überraschen. Elvis und er waren sehr eng miteinander befreundet.

Im Jahre 1957 war Elvis der erste Rock’n’Roll-Superstar der Welt, und mittlerweile kamen wesentlich mehr Leute mit auf eine Tournee. In seinem Cousin Gene Smith hatte er eine Art »rechte Hand« gefunden. Elvis und Gene waren sich stets sehr nahegestanden – so nahe, dass sie zusammen eine eigene Privatsprache entwickelt hatten, die außer ihnen praktisch keiner verstand. Zwar konnte man Gene nicht unbedingt als klug bezeichnen, aber er war lustig, unkompliziert und eines jener Originale, mit denen sich Elvis immer gerne umgab. Vor allem aber war er hundertprozentig loyal gegenüber Elvis, den er immer »Cuz« nannte.

Zu Elvis’ Gefolge gehörte auch ein kräftiger Typ namens Arthur Hooton, dessen Mutter mit Frau Presley im Saint Joseph-Krankenhaus in Memphis zusammengearbeitet hatte. Arthur war ein ziemlich imposanter Bodyguard, denn er war über 1,85 Meter groß und muss dabei gut 150 Kilo gewogen haben. Er war jedoch freundlich, gutherzig und, verglichen mit jemandem wie Red West, im Grunde seines Herzens ein ziemlich friedlicher Genosse. Ich glaube sogar, Elvis hätte eher zugeschlagen als Arthur. Aber Arthur hatte noch andere Qualitäten: Er war nicht auf den Kopf gefallen und stand voll und ganz zu Elvis. Auf ihn konnte man stets zählen. Dann war da noch Cliff Gleaves, ein Teilzeit-DJ aus Jackson, Tennessee. Auch er gehörte zu Elvis’ engsten Vertrauten und war ebenfalls ein »Reisebegleiter«. Unter den Typen aus Memphis stach Cliff durch seine schicke Kleidung und seine Sprachgewandtheit heraus. Er war jemand, der wie ein Hochstapler aus allem, was er tat, eine großartige Abenteuergeschichte spinnen konnte. Man konnte nie ganz sicher sein, wie viel an Cliffs spannenden, unerhörten Geschichten tatsächlich wahr war, aber es machte immer Spaß, ihm zuzuhören.

Cliff war nach den Dreharbeiten zu Loving You in Los Angeles geblieben, um zu sehen, ob er dort eine eigene Schauspielkarriere auf die Beine stellen könnte (wenngleich er feststellen musste, dass sich die Türen Hollywoods nicht ganz so leicht auftaten, wenn Elvis nicht mit dabei war). Red West war zur Marineinfanterie eingezogen worden und stand nicht zur Verfügung. Elvis brauchte also tatsächlich jemanden, der ihm aushalf, so nett und großzügig es auch gewesen sein mochte, mir eine Stelle als »Reisebegleiter« anzubieten. Ich war froh und stolz, dass ich dieser Jemand sein konnte.

Freilich gab es noch eine andere wichtige Person in Elvis’ Welt, mit der jeder, der diese Welt betrat, zurechtkommen musste: Colonel Tom Parker. Parker war eine undurchsichtige Gestalt – niemand wusste genau, woher er seinen Dienstgrad eigentlich hatte. Sein bisheriges Tätigkeitsfeld umfasste verschiedene Jobs auf den Rummelplätzen des Südens sowie Promotion- und Management-Aufgaben für eine Reihe von Country-Musikern. Auf den Tipp eines seiner Talentsucher hin hatte Parker Elvis ein paar Auftritte im Vorprogramm des Country-Stars Hank Snow verschafft, der damals Geschäftspartner des Colonels war. Als Parker erfuhr, dass die Zuschauer immer noch nach Elvis schrieen, wenn Snow als Star des Abends die Bühne betrat, spürte er, dass hier offenbar etwas Besonderes im Gange war. Ganz zu Anfang war Elvis von seinem Gitarristen Scotty Moore gemanagt worden, dann unterschrieb er bei einem DJ aus Memphis namens Bob Neal. Als Elvis im Laufe des Jahres 1955 immer populärer wurde, kümmerte sich Colonel Parker zunehmend um seine Auftritte, weil er ihn als Klienten gewinnen wollte.

Frau Presley konnte den Colonel nicht leiden, aber sie und ihr Mann mochten Hank Snow. Nach ein paar persönlichen Besuchen von Snow waren die Presleys denn auch überzeugt, dass ein Vertrag mit Parker und Snow ein wichtiger Schritt in der Karriere ihres Sohnes sei. Die fertig aufgesetzten Verträge lauteten jedoch ausschließlich auf den Namen des Colonels. Hank Snow erzählte mir Jahre später, dass er während einer Tournee von der Vertragsunterzeichnung erfahren habe. Als er sich danach wieder mit dem Colonel traf, wollte er ihm gratulieren: »Hey, wir haben uns diesen Presley geschnappt.« Die Antwort des Colonels war: »Was meinst du mit ›wir‹, Hank?« Snow war ausgebootet worden, und das war das Ende seiner Geschäftsbeziehungen zu Colonel Parker.

Der Colonel war ein typischer Showman alter Schule – ein großartiger Promoter, Organisator und Drahtzieher. Er selbst besaß keinerlei künstlerische Begabung und konnte einen erfolgversprechenden Künstler oder einen potentiellen Hit nicht selbst erkennen – aber er wusste, wie man den Eintrittskarten- und Schallplattenverkauf ankurbelte und die Aufmerksamkeit auf die Dinge lenkte, die er an den Mann oder die Frau bringen wollte. So, wie Elvis als Künstler wegweisend war, war Colonel Parker als Manager des ersten Rock’n’Roll-Superstars der Welt wegweisend. Vieles, was er damals tat, war brillant: Als Elvis sagte, er wolle in Kinofilmen mitspielen, begann der Colonel, bei seinen Konzerten Fragebögen an die Fans zu verteilen. Darauf fanden sich Fragen wie: »Möchten Sie Elvis in einem Spielfilm sehen?« oder: »Wie oft würden sie ins Kino gehen, um einen Spielfilm mit Elvis zu sehen?« Er packte Hunderte dieser Bögen zu Bündeln zusammen und schickte sie an den Hollywood-Filmproduzenten Hal Wallis (Casablanca). Durch diese clevere Idee wurde Elvis zu Probeaufnahmen eingeladen, und Wallis produzierte später viele von Elvis’ Filmen.

Colonel Parker war zwar unumstritten ein Meister, wenn es darum ging, Elvis Geld und Aufmerksamkeit zu verschaffen, doch ging er dabei auch ausgesprochen rücksichtslos vor. Er war ein großer Mann, der sich trotz seines finanziellen Erfolges fast wie ein Landstreicher kleidete, und der unfreundlichste Mensch, dem ich je begegnet war – er schien einen schon anzuschreien, wenn er nur »guten Morgen« sagte. Ob er nun ein »echter« Colonel war oder nicht, schien keine Rolle zu spielen – wenn er einen Raum betrat, übernahm er sofort das Kommando. Es war offenkundig, dass er nicht sonderlich viel von den Typen hielt, die mit Elvis reisten, und er bemühte sich, dass er so wenig wie möglich mit ihnen zu tun hatte. Mich beäugte er etwas weniger misstrauisch – ich glaube, er hielt mich für einigermaßen auf Draht, weil ich einen College-Abschluss und eine eigene Karriere beim Radio vorzuweisen hatte. Als ich die Welt von Elvis Presley zum ersten Mal betrat, war der Colonel aus meiner Sicht jedoch mehr eine Naturgewalt, mit der man rechnen musste, als eine Person, die ich kennenlernen wollte.

Als ich meiner Mutter erzählte, dass ich mit Elvis auf Tournee gehen würde, gab sie mir ohne zu zögern ihren Segen. Sie hatte meine Karriere beim Radio immer unterstützt, obwohl ich nicht sicher bin, ob sie verstand, worin der Reiz meiner heißgeliebten Rock’n’Roll-Platten tatsächlich lag (oder warum sich manch andere Mutter über einige dieser Platten derart aufregte). Ich weiß auch nicht, ob sie den ganzen Trubel um Elvis begriff, doch wusste sie, dass sich mir durch ihn eine ganze Welt neuer Möglichkeiten auftun könnte.

Meine Karriere als Rock’n’Roll-Reisebegleiter nahm in Chicago ihren Anfang, der ersten Station auf Elvis’ Frühlingstournee. Gene Smith, Arthur Hooton und ich reisten mit Elvis, während die Band – Scotty, Bill, der Schlagzeuger D.J. Fontana und die Gesangsgruppe The Jordanaires – getrennt von uns fuhren. Ich hatte übrigens dann doch ein wenig mehr zu tun, als nur Zeit mit Elvis zu verbringen – zu meinen Aufgaben gehörte es, den neuen Blattgoldanzug zu transportieren, den Colonel Parker bei dem berühmten »Cowboyschneider« Nudie Cohen in Auftrag gegeben hatte. Der Trick war, dass ich ihn in einen ganz normal aussehenden Anzugschoner steckte, damit er keine besondere Aufmerksamkeit erregte, wenn ich ihn vom Zug zum Auto, zum Hotel oder zum Theater trug. Für jedermann sah es so aus, als befänden sich meine eigenen Kleider in dem Sack und kein Anzug aus Gold im Wert von 5000 Dollar. Trotzdem machte es mich stets sehr nervös, dieses Ding herumzutragen, und ich war jedes Mal froh, wenn ich ihn Elvis übergeben konnte. (Ein paar Mal jedoch wurde ich vor der Show von Elvis getrennt und konnte mir beim Sicherheitspersonal nur dadurch Zugang zur Garderobe verschaffen, indem ich den Reißverschluss des Sacks ein wenig öffnete und ein Stückchen seines goldenen Anzuges hervorschimmern ließ.)

Auf dem Weg zum Konzert im Chicagoer International Amphitheater bekam ich einen ersten Vorgeschmack davon, wie verrückt das Leben auf Tournee sein konnte. Der Colonel hatte arrangiert, dass Elvis und ich in zwei nicht gekennzeichneten Wagen der Chicagoer Polizei zum Konzertsaal gefahren wurden. An einer Straßenkreuzung hielt der Fahrer, und der Wagen kam etwa 30 Zentimeter auf dem Fußgängerüberweg zum Stehen. Ein wie ein Saufbruder wirkender Typ, der gerade die Straße überquerte, war darüber so erbost, dass er auf die Motorhaube schlug und schrie: »Fahrt eure verdammte Karre zurück!«

Ehe man sich’s versah, war der Beamte auf dem Beifahrersitz auch schon ausgestiegen und hatte seine Waffe auf den Saufbruder gerichtet. »Mach, dass du wegkommst, du Wichser, oder ich blase dir dein gottverdammtes Gehirn weg«, knurrte er. Der Säufer stammelte ein paar Worte der Entschuldigung und torkelte davon. Elvis und ich sahen uns auf dem Rücksitz nur schweigend an. Ganz ruhig stieg der Polizist zurück ins Auto, drehte sich zu uns um und sagte: »Elvis, wenn Sie nicht dabei gewesen wären, hätte ich ihn erschossen. Aber wir hatten leider keine Zeit, ihn umzupusten, weil wir es rechtzeitig zum Konzert schaffen müssen.« Wir erfuhren nie, ob das nun ein Witz sein sollte oder nicht, aber wir bekamen den Eindruck, dass in Chicago ziemlich raue Sitten herrschten.

Trotzdem gelang es Elvis natürlich, sein Publikum zu begeistern. Ich hatte in Memphis schon häufig erlebt, wie eine Halle bei Rock’n’Roll-Konzerten kochte, aber auf die Hysterie, die losbrach, als er an jenem Abend in seinem Goldanzug die Bühne betrat, war ich nicht vorbereitet. Das gesamte Gebäude schien zu erzittern, und obwohl die Hausbeleuchtung ausgeschaltet war, wurde es durch das Blitzlichtgewitter im Saal plötzlich taghell. Diese Lichtblitze glitzerten auf Elvis’ goldenem Anzug wie ein Stroboskop, ein wirklich phantastischer Anblick. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sich die Stimmung im Saal noch steigern könnte. Außerdem fragte ich mich, wie Elvis wohl damit fertig wurde, im Zentrum von alledem zu stehen – selbst an meinem Platz neben der Bühne war ich so nervös und aufgeregt, dass mir beinahe übel wurde.

Sobald die Musik begann, stieg der Energiepegel aber sogar noch. Die Band war in Höchstform und spielte, als gehörte ihr der ganze Schuppen. Ich hatte Elvis schon zuvor bei Konzerten erlebt, aber ihn von der Seite der Bühne aus zu beobachten, war so, als sähe ich ihn zum ersten Mal. Er ging auf der Bühne vollkommen aus sich heraus, behielt dabei jedoch stets die volle Kontrolle – jede seiner Bewegungen und Gesten war perfekt auf die Musik abgestimmt und diente ausschließlich dazu, die Wirkung seiner Gesangsdarbietung zu verstärken. Ich hatte ihn bislang bei grandiosen Heimspielen gesehen, doch das hier war etwas vollkommen anderes – es war einfach toll.

 

Auf der Bühne ging es dermaßen wild zu, und das Geschrei des Publikums war so laut, dass ich mir, offen gestanden, nicht vorstellen konnte, wie die Band sich selbst noch gut genug hören konnte, um exakt zusammenzuspielen – sie benutzten damals noch sehr kleine Verstärker und hatten noch keine Bühnenmonitore. Jahre später fragte ich D.J. Fontana danach, und er sagte: »Wir waren wahrscheinlich die erste Band, die von einem Arsch dirigiert wurde. Wenn wir nichts mehr hören konnten, beobachteten wir einfach Elvis’ Hintern und orientierten uns an ihm.«

Elvis’ Hinterteil war an jenem Abend in Gold gekleidet. Der Goldplättchen-Stoff hielt einer typischen Elvis-Darbietung jedoch kaum stand. Bei einigen seiner dramatischeren Bühnenbewegungen lösten sich immer wieder Teile des Besatzes. Nach der Show beklagte sich Colonel Parker bei Elvis in der für ihn typischen Sorge darum, was unterm Strich herauskam: »Elvis, jedes Mal, wenn du dich auf die Knie fallen lässt, kostet uns das fünfzig Dollar.« Er schlug vor, Elvis solle es in diesen Hosen etwas ruhiger angehen lassen und beim nächsten Mal nicht so wild herumhüpfen. Das war jedoch gerade so, als bitte man einen Hurrikan stillzusitzen. Nach ein paar weiteren Konzerten mit solch kostenintensiven Bewegungen trennte sich Elvis schließlich von seinen goldenen Hosen und trug nur noch das goldene Jackett zu einer schwarzen Tuchhose.

Nach dem Konzert in Chicago rannten Elvis, Gene, Arthur und ich an der Union Station den Bahnsteig entlang, um den Spätzug nach St. Louis zu erwischen, als wir bemerkten, dass uns einige Typen verfolgten. Das jagte uns einen gewaltigen Schrecken ein, denn Elvis hatte schon häufig Ärger mit eifersüchtigen Kerlen gehabt. Einmal saß ich bei ihm im Auto, als ein Typ ans Fahrerfenster herantrat, Elvis um ein Autogramm bat und dann nach ihm schlug (der Schlag ging zwar daneben, traf aber das Mädchen, das Elvis an jenem Abend ausführte). Wir versuchten daher, noch ein bisschen schneller zu rennen, um den Zug zu erreichen. Da hörten wir, wie eine Stimme rief: »Elvis! Humes High, Abschlussklasse 1953! Albert Teague, Ed Leek und Bobby Bland!«

Wir blieben wie angewurzelt stehen – das waren unsere alten Klassenkameraden. Die Jungs holten uns ein und erzählten uns wenige Augenblicke, bevor wir den Zug besteigen mussten, dass sie nach der Schule allesamt nach Chicago gezogen seien. Sie hatten gehört, dass Elvis in der Stadt gastierte, hatten das Konzert besucht und dann beschlossen, uns abzupassen, was ihnen nun auch gelungen war. Ed Leek ließ Elvis wissen, dass er noch einen wertvollen Gegenstand besaß, den Elvis ihm einmal gegeben hatte – eine Azetatpressung von »My Happiness«, dem allerersten Song, den Elvis beim Memphis Recording Service aufgenommen hatte. Es war eine Aufnahme, für die er noch hatte bezahlen müssen. Elvis hatte Ed die Platte geliehen, damit dieser sie zu Hause seiner Großmutter vorspielen konnte, und sie nie zurückverlangt.

»Behalte sie«, sagte Elvis. »Bewahr sie für mich auf.«

Damit bestieg er den Zug, verließ die Stadt und sah keinen dieser Jungs jemals wieder (Ed Leek allerdings hielt die Azetatpressung in Ehren – ein Stück Musikgeschichte, das Sam Phillips einmal »die Mona Lisa der Aufnahmen« nannte).

In St. Louis bekam ich einen weiteren Eindruck von der Verrücktheit des Rock’n’Roll. Dort wohnten wir in einer Hotelsuite mit drei nebeneinanderliegenden Zimmern – eines für Arthur und mich, eines für Gene und Elvis und dazwischen eines als Aufenthaltsraum. Am Nachmittag vor dem Konzert betraten Gene und ich den Fahrstuhl in der Eingangshalle, als sich eine sehr forsche Reporterin und ein Fotograf zu uns gesellten.

»Welches Zimmer hat Elvis?«, fragte die Dame.

»Keine Ahnung«, entgegnete Gene.

»Sind Sie nicht sein Cousin?« Sie hatte ihre Hausaufgaben gemacht.

»Hm, ja«, sagte Gene.

»Also, welches Zimmer hat er?«

»Weiß nicht.«

»Hier sind fünfzig Dollar für Sie.«

»Elvis hat Zimmer 730«, sagte Gene.

Gene war jedoch ein bisschen durchtriebener, als man auf den ersten Blick vermutete. Er hatte das Geld genommen und ihnen einfach meine Zimmernummer gegeben. Ein paar Minuten später klopfte es also an meiner Tür. Es waren wieder die Reporterin und der Fotograf.

»Wo ist Elvis?«, fragte sie, während sie sich ins Zimmer drängte. Der Fotograf begann, eine Aufnahme nach der anderen zu schießen.

»Hier jedenfalls nicht – und jetzt raus aus meinem Zimmer«, schrie ich.

Die Reporterin sah sich noch ein wenig um, und der Fotograf machte Bilder von meiner Wäsche, doch bald wurde ihnen klar, dass sie Elvis nicht antreffen würden. Sie machten sich davon, schimpfend, weil wir sie um 50 Dollar geprellt hatten.

An jenem Abend im Kiel Auditorium bereiteten wir uns gerade auf das Konzert vor, als ein Bursche vom Sicherheitsdienst hinter die Bühne kam, der nach »George Klein« suchte. Ich gab mich zu erkennen, und er sagte, am Eingang sei jemand, der mich suche. Ich konnte mir nicht denken, wer in St. Louis nach mir fragen sollte, aber ich folgte dem Sicherheitsmann bis zum Eingang. Dort stand tatsächlich dieser große Marinesoldat, der Elvis nach unserem Erlebnis auf der Main Street in Memphis vor Gericht gebracht hatte. Er hatte ein Grinsen im Gesicht und einen Arm um seine Frau gelegt.

»Hallo, Sir«, sagte er. »Erinnern Sie sich an mich?«

»Äh – ja, das tue ich.«

»Nun, besteht die Chance, dass Herr Presley uns ins Konzert hineinlässt?«

»Warum lassen Sie mich das nicht rasch mit Elvis und dem Colonel abklären«, sagte ich zu ihm und ging wieder zurück in den Backstage-Bereich. Als ich Elvis berichtete, wer da stand und um Freikarten bat, explodierte er förmlich.

»Was??«, schrie er so laut, dass ich einen Satz machte. »Der kann mich mal!!«

»Äh, was soll ich ihm denn nun sagen, Elvis?«

»Geh einfach nicht mehr zurück, und sag ihm gar nichts. Lass ihn einfach mit seiner Frau, um die er sich ja solche Sorgen macht, da stehen.«

Elvis war von Natur aus ein netter Bursche, der sich sehr bemühte, auch unter Stress stets freundlich zu bleiben. Aber auch er hatte seine Grenzen, und wenn er wütend wurde, verwandelte er sich in einen kampfeslustigen Tiger, mit dem man sich besser nicht anlegte.

Meine Hauptaufgabe auf der Tournee sollte es sein, Elvis Gesellschaft zu leisten und Konversation mit ihm zu machen, aber ich stellte sehr schnell fest, dass für beides in Wahrheit kaum Zeit blieb. Da Elvis auf früheren Tourneen ein paar kritische Landungen miterlebt hatte, wollte Frau Presley nicht, dass ihr Sohn mit dem Flugzeug von Stadt zu Stadt flog. Und wenn Frau Presley etwas sagte, war ihr Wort zumindest für Elvis Gesetz. In einer Zeit, als man noch keinen Tourbus mieten konnte, reisten wir daher mit der Eisenbahn, in Limousinen und Cadillacs. Wir erreichten eine Stadt, checkten im Hotel ein, gingen zum Konzertsaal, absolvierten den Auftritt, schmissen eine Party im Hotel, verließen die Stadt – und dann begann das Ganze wieder von vorn. Manchmal beklebten wir die Wagenfenster einer Limousine mit Zeitungspapier, um den Rücksitz soweit zu verdunkeln, dass sich Elvis ausstrecken und ein wenig schlafen konnte. Es gab kaum einen Augenblick Freizeit, und ich gewöhnte mich daran, die Städte an ihren Hotelhintereingängen und den Gassen hinter den Konzerthallen zu erkennen.