Management Macht Sinn

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Der Stellvertreter spürte nach und überlegte. Dabei wirkte er sehr angestrengt. Nach einer Weile sagte er: »Ich fühle mich wie gelähmt.«



»Dann will ich einmal versuchen, ob wir einen besseren Platz für Sie finden können«, meinte der Berater und fasste den Repräsentanten leicht an der Schulter. Er führte ihn auf einen Platz zwischen

europäischer Zentrale

 und

italienischer Produktion

 (

Bild 2

). Danach fragte er: »Ist es hier besser, schlechter, gleich oder einfach anders?«



»Eindeutig besser, freier, übersichtlicher, und vor allem habe ich die Kunden jetzt im Blick«, war die Antwort, und der Ausdruck des Repräsentanten wirkte deutlich entspannter.



Der Berater wandte sich danach an die anderen Stellvertreter und fragte: »Für wen macht das einen Unterschied?«



»Ich fühle mich noch schlechter!«, meldete sich unmittelbar die

italienische Produktion

.















            Fü





            Führungsteam (Fokus)









            IP





            italienische Produktion









            IV





            italienische Vertriebsorganisation









            DP





            deutsche Produktion









            AV





            andere Vertriebsorganisationen









            EZ





            europäische Zentrale









            JK





            japanischer Konzern









            Ku





            Kunden










Bild 2: Post-Merger-Integration – Zwischenstand





Der Berater hatte selbst verschieden Optionen für eine Veränderung der Konstellation, aber er wollte sich ganz auf das implizite Wissen – der kollektiven Intelligenz – der aufgestellten Repräsentanten einlassen. Er ging auf den Stellvertreter der

italienischen Produktion

 zu und sagte zu ihm: »Dann suchen Sie sich bitte einen besseren Platz, probieren Sie einfach mehrere Möglichkeiten aus.« Der Repräsentant bewegte sich zuerst etwas zögernd im Raum und sagte dann: »Es zieht mich hin zur

deutschen Produktion

 – das ist schon merkwürdig, denn die waren bislang immer unsere ›Erzfeinde‹, unsere eigentlichen Konkurrenten!«



Doch auch der Vertreter der deutschen Produktion wandte sich spontan der

italienischen Produktion

 zu und meinte: »Mir geht es genauso, ich bin zwar immer noch skeptisch, aber so ist es eindeutig besser.«



Ganz ähnlich – teils indem der Berater den Stellvertretern einen neuen Platz zuwies, teils indem er sie anwies, ihren Impulsen zu folgen und sich einen besseren Platz zu suchen – entwickelte sich in einer Art »Ko-Kreation« eine neue Konstellation, die alle Beteiligten als deutlich besser und energiereicher empfanden.



Damit war die Zeit für eine erste »Zwischenbilanz« gekommen. Der Berater fragte die Stellvertreter, wie sie diese neue Konstellation erlebten.



»Ich wusste sofort, dass mein Platz hier bei den

anderen Vertriebsorganisationen

 ist«, meinte die

italienische Vertriebsorganisation,

 »aber ich dachte nicht, dass es so schwer ist, mich von der

italienischen Produktion

 zu lösen. Es ging erst, als auch das

Führungsteam

 sich entfernt hatte und die

deutsche Produktion

 näher gerückt war.«



»So ist es viel besser und entspannter«, erklärte die

europäische Zentrale,

 »die Repräsentanten für die Produktionsstätten sind mir noch ein bisschen zu weit entfernt.«



»Ich fühle mich hin- und hergerissen«, meinte das

Führungsteam,

 »ich sollte einerseits näher bei der

europäischen Zentrale

 stehen, andererseits braucht mich aber die

italienische Produktion.

«



Der Ausdruck »hin- und hergerissen« ließ den Berater aufhorchen: Er deutete ihn als Signal, dass in der Rolle des

Führungsteams

 zwei gegensätzliche Aspekte vertreten sind: Offensichtlich gab es im System Ambivalenzen.



Solche konträren Tendenzen muss man im Verlauf einer Aufstellung immer auflösen; sie sind möglicherweise ein Hinweis auf Blockaden. Mit Hilfe einer spezifischen Intervention werden Ambivalenzen in ihre gegensätzlichen Positionen ausdifferenziert.



»Dann will ich einen Test versuchen«, meinte der Berater und wandte sich an einen der Manager, die in der Runde saßen. »Vielleicht hat das

Führungsteam

 zwei oder mehrere unterschiedliche Aufgaben, die sich nicht so leicht unter einen Hut bringen lassen. Deshalb wähle ich einen neuen Repräsentanten für den

anderen Teil des Führungsteams

 und stelle ihn neben das

Führungsteam,

 das sich hin- und hergerissen fühlt.«



»Ändert sich etwas?«, fragte der Berater, nachdem er einen Stellvertreter an die Seite des

Führungsteams

 gestellt hatte. Der Repräsentant des

Führungsteams

 verspürte eine Stärkung und zugleich eine deutliche Erleichterung. Der

andere Teil des Führungsteams

 verspürte einen Impuls, sich mehr der

italienischen Produktion

 zuzuwenden.



»Damit kann ich mich nun der

europäischen Zentrale

 nähern«, erklärte der Stellvertreter des Führungsteams. Die

europäische Zentrale

 war sehr damit einverstanden: »Das ist auch viel besser so!« (

Bild 3

)















            F2





            »anderer Teil« des Führungsteams









            IP





            italienische Produktion









            IV





            italienische Vertriebsorganisation









            DP





            deutsche Produktion









            AV





            andere Vertriebsorganisationen









            EZ





            europäische Zentrale









            JK





            japanischer Konzern









            Ku





            Kunden










Bild 3: Post-Merger-Integration – Schlussbild Führungsteam (Fokus)





Der Berater hatte nun den Eindruck, die aktuelle Konstellation sei in sich stimmig. Zudem war durch die mehrfachen Veränderungen eine Fülle von Informationen ans Licht gekommen. Allerdings wollte er noch ein letztes Mal die Wahrnehmungen jener Repräsentanten abfragen, mit denen er nicht direkt gearbeitet hatte.



»Mir geht es jetzt sehr gut, alles konzentriert sich auf mich«, befanden die

Kunden.

 Und der

japanische Konzern

 erklärte: »Wenn sich das so gut entwickelt, mische ich mich nicht ein. Ich habe mich nicht bewegt, hier geht’s mir gut.«



Damit schloss der Berater die Aufstellung ab: »Vielen Dank! Bitte treten Sie nun ganz bewusst aus Ihrer jeweiligen Rolle heraus. Wir machen eine kurze Pause, und dann werden wir uns im Rahmen eines gemeinsamen Gesprächs im Dialog darüber klar werden, welche Erkenntnisse Sie aus dieser Simulation gewonnen haben und welche Maßnahmen sich daraus ableiten lassen.«



In der ersten Runde des folgenden Dialogs schilderte jeder Manager der Reihe nach, was ihn an der Aufstellung am meisten beeindruckt hatte. Danach erarbeiteten die Beteiligten gemeinsam erste konkrete Schritte.



Die wohl wichtigste Erkenntnis: Ein Schulterschluss (im buchstäblichen Sinn des Wortes) zwischen deutscher und italienischer Produktion stellte eine mögliche und sinnvolle Lösung dar. Für die Manager dieses Unternehmens bedeutete ein solcher Schritt eine wahre »Revolution«. Das Produktionswerk der deutschen Mutterfirma hatten sie bisher immer als Rivalen betrachtet, als den eigentlichen Konkurrenten, der die Produkte mit den besten Margen wegschnappte, aber die schwierigsten Projekte den Italienern überließ. Als Reaktion hielten diese alle Innovationen vor den »Deutschen« so lange wie möglich geheim, um den eigenen Wettbewerbsvorteil nicht preiszugeben. Die Idee einer Zusammenarbeit lag den Managern so fern, dass sie in einer normalen Diskussion wohl kaum zur Sprache gekommen wäre. Zu sehr wäre diese »Kooperation« durch die alte Mentalität geprägt gewesen.



Der Prozess der Aufstellung hatte die Manager beeindruckt – und die Lösungen, die im Verlauf sichtbar wurden, hielten sie für sehr sinnvoll. Der Geschäftsführer und der Produktionsleiter beschlossen gleich danach, zur Mutterfirma ins Ruhrgebiet zu fliegen, um im Hinblick auf die Produktion einen noch auszuarbeitenden Kooperationsvorschlag zu unterbreiten.

 



Ergebnis dieser Annäherung war – so viel sei an dieser Stelle vorweggenommen – ein Plan, noch im selben Jahr mit der Errichtung eines gemeinsamen Produktionswerks in Polen zu beginnen, in das die Herstellung der kostenkritischen Produkte ausgelagert wurde.



Ein weiterer wichtiger Impuls, der sich in der Aufstellung gezeigt hatte, war die Loslösung der italienischen Vertriebsstruktur von der italienischen Produktion und die Annäherung an die übrigen Vertriebsstrukturen des Konzerns. Bisher hatte sich der italienische Vertrieb vorwiegend auf die Vermarktung der im eigenen Lande hergestellten Produkte konzentriert. Die in der Aufstellung ans Licht getretene neue Positionierung wies den Weg zu einer engeren Kooperation mit den Vertriebsstrukturen der anderen Länder. Diese sollte schließlich allen involvierten Partnern zugutekommen, weil dadurch europaweit die gesamte Produktpalette mit vollem Engagement angeboten werden konnte.



So gehörte die Reorganisation des Vertriebs zu den ersten Maßnahmen, die einige Monate später von der japanischen Zentrale beschlossen wurden. Die Italiener waren zu diesem Zeitpunkt bereits gut darauf vorbereitet und arbeiteten ohne den sonst üblichen Widerstand konstruktiv an der neuen Struktur mit.



Auch die Intervention, das Führungsteam in zwei Untergruppen aufzuteilen, von denen die eine sich der europäischen Zentrale und die andere der italienischen Produktion widmen konnte, nahmen die Manager als wichtige Anregung auf. Sie diskutierten, wie sie die Präsenz in der Zentrale erhöhen könnten, um die italienischen Interessen nachhaltig zu vertreten, ohne dabei die Führung der italienischen Niederlassung zu vernachlässigen. Der Geschäftsführer war bisher stark in das operative Tagesgeschäft involviert. Als Folge der neuen Ausrichtung wurden seine Aufgaben neu gebündelt und ein Teil davon an die Mitglieder des Leitungsteams delegiert.



Schließlich minderte die Aussage des Stellvertreters des japanischen Konzerns, er beobachte die Entwicklung zwar sehr genau, aber doch aus der Ferne, die Ängste vor einer sofortigen Schließung der italienischen Produktion. Die Manager fassten Mut und konnten im Rahmen der auf den »Kick-off« folgenden Workshops mit größerer Zuversicht ihre Zukunftsvisionen entwickeln und entsprechende strategische Maßnahmen beschließen.



Dies also war der Auftakt zu einer sehr erfolgreichen »Post-Merger-Integration«. Die Systemaufstellung hatte einen geradezu überraschenden, radikalen Stimmungswandel bewirkt. Die Manager hatten die Lähmung überwunden, die sie durch ihre Vermutungen über die Folgen der Übernahme befallen hatte. Sie hatten in der Aufstellung ihre Handlungsspielräume ausgelotet und nutzten diese in der Folge geschickt. Es gelang ihnen, im Gesamtsystem des Konzerns eine gute Position zu finden.



Nach weniger als zwei Jahren wurde dem Geschäftsführer der italienischen Filiale die Leitung der gesamten europäischen Produktion übertragen. Mit Stolz berichtete er, die italienische Niederlassung mit ihrem eigenen Werk liefere jetzt Spezialprodukte bis in den Fernen Osten.








Zusammenfassung





Zum besseren Verständnis des Ablaufs rekapitulieren wir nochmals die wichtigsten Schritte der Aufstellung:



Ausgangspunkt war ein klar definiertes Anliegen des beratenen Kunden. Im geschilderten Fall wurde das Beratungsziel, gute Voraussetzungen zu schaffen, um in der Folge eine Strategie entwickeln zu können, die das Überleben des italienischen Unternehmens sicherte, im Vorfeld mit dem Geschäftsführer im Detail vereinbart.



Der Berater folgte einem systemischen Ansatz und richtete sein Augenmerk auch auf relevante Kontextfaktoren und die Interdependenzen zwischen den beteiligten Akteuren. Dadurch lud er die Manager ein, ihren Horizont zu weiten und ihre Situation auch aus einer ganz anderen Perspektive zu betrachten.



Der Berater begegnete dem Problem mit einer lösungsorientierten Haltung. Er setzte voraus, dass sein Kunde über die nötigen Ressourcen verfügte, um eine adäquate Lösung zu finden. Für ihn war selbstverständlich, dass im impliziten Wissen des Teams bereits die Ansätze zur Lösung schlummerten, die es durch geschickte Interventionen nur noch zu wecken galt. Deshalb forderte er während der Aufstellung die Stellvertreter immer wieder auf, ihren Impulsen zu folgen und neue Positionen auszuprobieren.



Um die durch den Firmenzusammenschluss entstandene Komplexität zu handhaben, wählte der Berater eine Systemebene, die relevante Dynamiken aufzuzeigen half. Als Einführung dieser ersten Sequenz nutzte er die Metapher des Fußballspiels: Die Spieler haben sich auf einem Spielfeld zunächst strategisch geschickt zu positionieren, bevor sie mit ihren taktischen Spielzügen erfolgreich werden können.



Erst nach der Definition der Systemebene ließen sich die Aufstellungsform und deren entsprechende Elemente ableiten. Der Berater entschied sich für eine Organisationsaufstellung mit dem Führungsteam als Fokus. Er baute die Aufstellung aus der

Perspektive des Führungsteams

 auf und ließ funktionale Einheiten des Unternehmens und seines Kontextes – und nicht einzelne Personen – aufstellen.



Kernstück der Intervention war die szenische Arbeit. Die Aufstellung erlaubte den Managern, probehalber wichtige Aspekte ihres neuen Kontextes in ihre persönliche Erfahrung zu bringen. Damit wurde auf besondere Art eine konkrete künftige Situation vorweggenommen. Dass dabei auch die kollektive Intelligenz des Teams mit ins Spiel kam, war eine zusätzliche Bereicherung. Wie bereits David Bohm aufzeigte, ist kollektives Denken machtvoller als individuelles Denken (Bohm 2002, S. 43).



Wichtig war nicht zuletzt auch die

Rückübersetzung von der analogen Sprache der Szene in die logisch-sequenzielle Sprache des Alltags

. Dies geschah zum Teil während der Aufstellung, aber vor allem im anschließenden Dialog. Die Teilnehmer griffen relevante szenische Momente auf und setzten sie in Sprache um, damit sie zur weiteren Entscheidungsfindung genutzt werden konnten.








1.4»Szenisches Protokoll« zur Nutzung kollektiver Intelligenz





Während der letzten Jahre haben mehrere Settings zur Nutzung »kollektiver Intelligenz« in die Prozesse der strategischen Entscheidungsfindung von Organisationen Einzug gehalten: Open Space (Harrison Owen), World Café (Juanita Brown) und Dialog (David Bohm) sind bereits recht verbreitet.



Auch die Systemaufstellung knüpft an die Methoden der Nutzung kollektiver Intelligenz an. Sie bedient sich einerseits – zumindest in ihrer ursprünglichen Gestalt – eines Kollektivs von Akteuren, die für eine bestimmte Thematik gewissermaßen »ein-stehen«, aber sie kreiert auch einen »sozialen« (Kommunikations-)Raum, in dem ein ganz spezifisches Wissen ins Spiel kommt: das

Erfahrungswissen.

 Mit Blick auf soziale Systeme ist darunter ein Wissen zu verstehen, das als eine Art »latente« soziale Sinnstruktur »in den Verhältnissen steckt«, wie Dirk Baecker es formuliert (Baecker 1999, S. 78). Zur Eigenart dieses Wissens gehört, dass es nicht in Sprache gefasst ist.



Die Systemaufstellung macht Situationen nicht nur auf der sprachlichen Ebene transparent. Durch das Medium der repräsentierenden Wahrnehmung macht sie soziale Ereignisse in substanzieller Weise unmittelbar körperlich erfahrbar und vermittelt die emotionalen Qualitäten. Mit der Systemaufstellung ist also eine neue Form von Code verfügbar: Sein besonderes Merkmal ist die leiblich-affektive Dimension. Diese wird dadurch aktiviert, dass die Personen für kurze Zeit in ein Bild hineintreten und zu einem Teil dieses Bildes werden. Die uns vertraute Subjekt-Objekt-Trennung wird für wenige Augenblicke aufgehoben: Die Personen versetzen sich gleichsam in ihren Gegenstand hinein.



In Teilen hat die Systemaufstellung Ähnlichkeit mit den von Ralf Bohnsack als »Verfahren der rekonstruktiven Sozialforschung« bezeichneten Methoden der objektiven Hermeneutik und des narrativen Interviews. Diese Verfahren zielen darauf ab, das »Soziale« unverstellt, das heißt als eine nicht über das einzelne Individuum erschlossene Konstruktion, in Erfahrung zu bringen. Sie und insbesondere das narrative Interview basieren auf der Grundannahme einer »Homologie von Erzähl- und Erfahrungskonstitution« (Heinz Bude). Damit ist gemeint, dass ein Erzähler eine Geschichte so wiedergibt, wie er sie erfahren hat, das heißt, er reproduziert darin seine Erfahrung »in jenen Relevanzen und Fokussierungen, wie sie für seine Identität konstitutiv und somit auch handlungsrelevant für ihn ist« (Bohnsack 1999, S. 57). In der Aufstellungsarbeit geschieht etwas ganz Analoges: In der von Szene zu Szene sich verändernden Anordnung der Repräsentanten findet die Erfahrungswelt eines Klientensystems ihre ganz spezifische Darstellung.





So gesehen lässt sich die Systemaufstellung als szenisches Protokoll eines bestimmten Ereignisses bezeichnen: In einem ko-kreativen Kommunikationsprozess zwischen Repräsentanten und Facilitator wird sukzessive eine funktionale Lösung zu einer konkreten Fragestellung herausgearbeitet. Bei diesem Vorgang werden gerade die »Triebkräfte« expliziert, die einer aufgestellten Situation zu Grunde liegen.

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