Steirerblut

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Bergmann starrte sehnsüchtig auf die Filtermaschine, deren Glaskanne zu fast drei Viertel gefüllt war. »Meinst du, ich kann noch einen Kaffee bekommen?«

»Klar.« Sandra stand auf, nahm ein lilafarbenes Häferl mit Halloween-Motiven aus der Kredenz und füllte es mit Kaffee. Das gute Geschirr wurde, seit sie denken konnte, im Wohnzimmerschrank aufbewahrt. Wie unpraktisch das war, fiel ihr an diesem Morgen zum ersten Mal auf.

»Schwarz, bitte. Mit Zucker.«

»Ich weiß … Ich finde gerade keine andere Tasse«, entschuldigte sie sich und stellte das Häferl und die Zuckerschale vor ihn auf den Tisch.

»Macht doch nichts. Passt irgendwie ins Gesamtbild«, meinte er grinsend.

Wo er recht hat, hat er recht, dachte Sandra.

»Trinkst du denn niemals Kaffee?«, erkundigte er sich, während er sein Getränk zuckerte.

»Ab und zu mal einen Espresso nach dem Essen. Ansonsten trinke ich lieber Tee.«

»Deine Mutter muss mal sehr hübsch gewesen sein.«

»Wenn man auf den herben Typ steht … Und sag jetzt bitte nicht, dass ich ihr ähnlich sehe«, warnte sie ihren Kollegen.

»Na ja, nicht besonders …«

»Danke.«

»Es ist mir schon aufgefallen, dass es zwischen euch gewisse atmosphärische Störungen gibt.«

»Ach ja? Warte mal, bis du Mike erst kennenlernst.«

»So schlimm?«

»Viel schlimmer.«

»Gibt es einen konkreten Grund, warum dein Bruder auf deiner Verdächtigenliste ganz oben steht?«

»Er ist mein Halbbruder. Darauf bestehe ich … Ich traue ihm alles zu.«

»Was hat er dir denn bloß angetan?«

»Darum geht es hier nicht.«

»Sondern?«

»Er manipuliert Menschen, nutzt sie aus, geht über Leichen – nicht in wörtlichem Sinne, hoffe ich zumindest. Doch er kann schon mal gewalttätig werden, wenn er nicht bekommt, was er will.«

»Ist er denn schon einmal in Konflikt mit dem Gesetz geraten?«

»Ein halbes Jahr lang ist er in der Justizanstalt Graz Jakomini eingesessen. Er hat seine Freundinnen misshandelt, ihnen immer wieder Geld abgeknöpft und ihre Kreditkarten benutzt. Ohne ihr Wissen, versteht sich. Ein paarmal ist die Mutter finanziell eingesprungen, nachdem er aufgeflogen ist, damit der feine Herr Sohn ungeschoren davonkommt. Die letzte Freundin hat sich allerdings nicht von ihr bestechen lassen. Sie hat Mike angezeigt, und er wurde wegen Körperverletzung und Betrugs verurteilt. Er hat schon immer lieber Frauen ausgenutzt, anstatt selbst zu arbeiten. Im Moment lebt er wohl von der Sozialhilfe. Und von unserer Mutter, befürchte ich.«

»Mama hält wohl in allen Lebenslagen zu ihrem Sohnemann.«

»Worauf du dich verlassen kannst. Mike darf seit jeher machen, was er will. Hauptsache, es tut ihm hinterher leid und er gelobt Besserung. Das reicht ihr schon. Sie hat jedes Mal tausend Gründe, um ihm zu verzeihen und erwartet das auch von mir. Was meinst du, wie oft ich schon versucht habe, ihr die Augen zu öffnen?«, redete sich Sandra den Frust von der Seele.

»Auweia«, meinte Bergmann und nahm einen Schluck Kaffee.

»Entschuldige, dass ich dich mit meiner Familiengeschichte belästige.«

»Das ist schon okay.«

»Ich …«

»Es tut mir leid«, unterbrach Sandras Mutter die Unterhaltung. »Mike bittet euch, später noch mal zu kommen.«

»Haben Sie ihm denn nicht gesagt, dass die Kriminalpolizei ihn vernehmen möchte?«, fragte Bergmann ungläubig.

»O ja. Das hab ich.«

»Na warte!« Sandra wollte aufspringen, doch Bergmann hielt sie zurück.

»Lass mal«, meinte er beschwichtigend, um sich anschließend wieder der Mutter zuzuwenden: »Ihr Sohn soll um Punkt 14 Uhr in der Inspektion erscheinen, sonst …«

»Sonst lassen wir ihn in Handschellen vorführen«, unterbrach Sandra ihn. Ihre grünen Augen funkelten gefährlich, als sie sich erhob.

»Aber Sandra! Mike ist doch dein kleiner Bruder«, echauffierte sich die Mutter.

»Das ist er nur zur Hälfte. Und selbst wenn er es zur Gänze wäre, würde ich nicht davor zurückschrecken.«

»Was redest du nur wieder für einen Unfug? Was soll sich denn dein Kollege von uns denken?«, fragte sie in Richtung Bergmann, der in aller Ruhe seinen Kaffee austrank.

Was die anderen über sie dachten, war wie immer das Wichtigste, ärgerte sich Sandra über die Mutter. Bloß nicht darauf eingehen, beschwor sie sich selbst. Diese Diskussion konnte nur in einem Streit enden.

»Na ja, ich weiß ja, woher du deine Herzlosigkeit hast«, fuhr die Mutter fort, während die Tochter ihre Hände in die Taschen der Lederjacke bohrte.

»Von meinem Vater, so wird es wohl sein. Auf Wiedersehen, Mama.« Endlich stand auch Bergmann auf und folgte Sandra zur Küchentür.

»Kommst du morgen zum Mittagessen?«, rief Helga Feichtinger der Tochter hinterher.

Sandra hätte viel darum gegeben, in diesem Augenblick Nein sagen zu können. Stattdessen hielt sie inne und drehte sich um. Bergmann tat es ihr gleich.

»Du hast es mir versprochen«, setzte die Mutter nach. »Wenn du dich schon zufällig einmal nach Hause verirrst, kannst du dir ruhig ein wenig Zeit für deine alte Mutter nehmen.«

Sandra sah ihr in die Augen. »So alt bist du nun auch wieder nicht.«

»Du kommst also, ja?«

»Ja, Mama. Ich komme.«

Bergmann packte Sandra bei der Schulter und schob sie sanft, aber bestimmt aus der Küche, während er sich über die eigene Schulter hinweg von ihrer Mutter verabschiedete. »Auf Wiedersehen, Frau Feichtinger. Vielen Dank für den Kaffee. Und sorgen Sie bitte dafür, dass Ihr Sohn pünktlich bei uns ist. Sonst müssten wir ihn abholen lassen. Die Adresse kennen Sie ja. Wir finden allein hinaus. Danke.«

Helga Feichtinger folgte den Kriminalbeamten ins Vorzimmer.

»Und was ist mit mir? Wollten Sie mich denn nicht auch noch was fragen?«

»Sie können Ihren Sohn gern begleiten. Dann erledigen wir das in einem.«

»Wir sind um 14 Uhr da. Aber ich schwöre, der Mike hat nichts Böses getan«, hörte Sandra die Mutter noch sagen. Dann fiel die Haustür hinter ihr und Bergmann ins Schloss.

Sandra inhalierte die frische Luft und drückte den Knopf auf der Fernbedienung, der die Türschlösser des Wagens freigab. Am liebsten wäre sie auf der Stelle nach Graz gefahren und hätte St. Raphael ein für alle Mal aus ihrem Gedächtnis gelöscht. Doch leider war da noch der Mordfall, den sie aufzuklären hatten.

»Alles okay?«, fragte Bergmann.

»Ja. Alles bestens.« Sandra blickte in den Rückspiegel und stieg aufs Gaspedal.

Bergmann öffnete das Fenster und steckte die Nase in den kühlen Fahrtwind, um es wenig später wieder zu schließen. »Gegen diesen Dorfmief hilft noch nicht mal die viele frische Luft. Mir ist schlecht.«

»Soll ich stehen bleiben?«

»Nicht nötig. Ich meinte das im übertragenen Sinn.«

»Was glaubst du denn, wie lustig ich es hier finde?«

»Sollen wir den Fall abgeben?«, schlug er vor, »du könntest ja auch befangen sein.«

»Kommt gar nicht infrage. Wir ziehen das durch.« Aus dem Augenwinkel bemerkte Sandra wieder einmal, dass Bergmann sie beobachtete.

»Hast du von dieser hinkenden Riesin eigentlich noch irgendetwas Neues erfahren?«, fragte er.

»Sascha, bitte … die Zeugin heißt Franziska Edlinger.«

»Und?«

»Franziska war zu Hause und hat geschlafen. Bezeugen kann das allerdings niemand.«

»Glaubst du ihr denn?«

»Ja. Schon.«

»Ich finde diese Frau ziemlich merkwürdig.«

»Hast du in St. Raphael denn schon irgendjemanden getroffen, der nicht merkwürdig ist?«

Bergmann lachte. »Du musst es ja wissen.«

Sandra ging auf seine Bemerkung nicht ein. »Ich frage mich schon die ganze Zeit, wie die Kovacs die Hintertür aufsperren konnte, wenn sie auf der Flucht war. Nackt und panisch, wie sie in dieser Situation gewesen sein muss. Außerdem haben wir keinen Schlüssel am Tatort gefunden. Beide waren im Haus. Einer steckte innen im Schloss ihrer Zimmertür, der andere befand sich bei den Reserveschlüsseln, die Mizzi höchstpersönlich aufbewahrt«, sagte Sandra.

Bergmann kramte einen Schlüsselbund aus der Jackentasche, an dessen Ring ein einfacher Buntbartschlüssel und ein modernerer Zylinderschlüssel hingen. Die eingebrannte Ziffer am hölzernen Anhänger zeigte, dass der Zimmerschlüssel zum Gästezimmer Nummer zwei gehörte. Jenes Zimmer, in dem Eva Kovacs die Nacht vom 14. auf den 15. September verbringen hatte wollen. »Dieser Schlüssel sperrt den Haupteingang und die Hintertür, richtig?«

»Richtig. Mizzi schwört, dass beide Türen abgeschlossen waren, als sie zwischen halb und viertel vor eins zu Bett ging. Sie hat das wie jede Nacht überprüft. Und Michl behauptet, am Morgen nach dem Mord zuerst die vordere, dann die hintere Haustür aufgesperrt zu haben, bevor er Mephisto aus dem Zwinger ließ.«

»Entweder einer der beiden lügt …«, meinte Bergmann, der den Haustürschlüssel noch näher betrachtete.

»Oder jemand anders hat vor der Tat auf- und danach wieder zugesperrt«, ergänzte Sandra.

»Genau. Wer außer den Oberhausers hatte noch einen Haustürschlüssel?«

»Laut Auskunft von Franzi niemand.«

»Bis auf die Hausgäste.«

»Eva Kovacs war zu dem Zeitpunkt aber der einzige Gast«, erinnerte Sandra ihn.

»Das weiß ich. Aber diese Schlüssel kann man doch ohne Weiteres nachmachen lassen. Die Ziffernkombination verrät mir, dass sie nicht kopiergeschützt sind. Gibt es hier in der Nähe einen Schlosser?«

Sandra schüttelte den Kopf. »Schon lange nicht mehr«, sagte sie.

»Dann wird es schwierig werden, herauszufinden, ob Schlüsselkopien angefertigt wurden.«

 

»Beinahe unmöglich, wenn du mich fragst.«

»Es sei denn, wir finden Schlüssel bei jemandem, der nicht Maria oder Michael Oberhauser heißt.«

»Oder Sandra Mohr beziehungsweise Sascha Bergmann.«

»Richtig.«

Sandra parkte den Wagen direkt vor dem Eingang der Polizeiinspektion, gleich hinter dem Streifenwagen der örtlichen Beamten. Am Gang kamen ihnen Max und sein junger Kollege entgegen, dessen Namen Sandra schon wieder entfallen war. Max wich ihrem Blick aus, als sie sich begrüßten. Wie befürchtet, nahm er es ihr also übel, dass sie seinem heftigen Drängen nicht bis zur letzten Konsequenz nachgegeben hatte, folgerte Sandra.

»Leitgeb«, hielt Bergmann die beiden Uniformierten auf. Er kramte noch einmal die Schlüsselbunde der ›Goldenen Gans‹ aus der Jacke und kontrollierte die Ziffern auf den Anhängern, um nicht irrtümlich den eigenen auszuhändigen. Den Reservebund mit dem Schlüssel für das Zimmer der Kovacs behielt er ebenfalls. »Könnten Sie bitte die Sachen des Mordopfers zusammenpacken? Ihr Gepäck wird in etwa zwei Stunden aus dem Gasthof abgeholt. Sie können die Schlüssel dann den Wirtsleuten zurückgeben, sobald Sie mit dem Packen fertig sind.«

»Wird gemacht«, murmelte Max mürrisch und nahm die Schlüssel entgegen, um sie gleich an seinen Kollegen weiterzureichen. »Kümmere du dich bitte darum, Jakob. Ich hab noch was zu erledigen.«

»Nichts, was mit unserem Mordfall zu tun hat, nehme ich an?«, mischte sich Bergmann ein.

»O doch. Ich wollte die Stammtischgäste der Tatnacht befragen. Den Sonnleitner Andi, den Wagner Horst und den Löffelhart Sebastian. Das habe ich mit Frau Mohr so vereinbart, bevor Sie hier angekommen sind.«

»Jetzt bin ich aber hier, Leitgeb. Also vergessen Sie’s. Die Kollegin Mohr und ich kümmern uns persönlich um sämtliche Befragungen. Wenn wir Sie brauchen, lassen wir Sie es rechtzeitig wissen. Sie haben doch sicher noch genügend Papierkram abzuarbeiten.«

Max schluckte seine Antwort mit schmalen Lippen hinunter, während Jakob Haltung annahm.

»Aber er könnte uns doch helfen«, sprang Sandra für Max in die Bresche. Er war ein guter Polizist und ein Teamplayer, was für ihre Ermittlungsarbeiten nur von Vorteil sein konnte.

Bergmann sah das offensichtlich anders. »Was der Kollege Leitgeb kann und was nicht, entscheide in diesem Fall ich«, wies er sie in die Schranken.

Sascha Bergmann verstand es wirklich, sich binnen kürzester Zeit unbeliebt zu machen, dachte Sandra. Max war in seiner Ehre gekränkt und würde ihm niemals vergeben. Aber das schien Bergmann herzlich egal zu sein. Wenn er denn überhaupt jemals bemerkte, dass er jemanden verletzte. Dass er sie vor den beiden Polizisten zurechtgewiesen hatte, nahm Sandra nicht persönlich, war sie doch lediglich das Opfer eines Revierkampfes geworden, in den sie sich mit den besten Absichten eingemischt hatte. Es ärgerte sie jedoch gewaltig, dass der ihr vorgesetzte Ermittlungspartner so überheblich war und meinte, auf die wertvolle Unterstützung der einheimischen Kollegen verzichten zu können. Wenn sie nicht gerade jung, blond und weiblich waren, wie Petra Schreiner, vor deren Tür er wenig später innehielt. »Ich check noch mal rasch die Asservaten«, meinte Bergmann.

»Sicher. Und ich versuche inzwischen herauszufinden, an welcher Story die Kovacs zuletzt dran war. Vielleicht hängt der Mord ja doch mit ihrer Arbeit als Journalistin zusammen. Das Clinch-Magazin ist nicht gerade zimperlich, wenn es darum geht, Skandale aufzudecken«, sagte Sandra.

»Also ich weiß nicht … Wir sind ja nicht in Russland oder China, dass die Presse gleich um ihr Leben fürchten muss. Und was hat ihre Vergewaltigung damit zu tun, wenn es denn eine gewesen sein sollte?«

»Einschüchterung, Triebbefriedigung oder einfach nur ein Ablenkungsmanöver? Unwahrscheinlich, ich weiß«, gab sich Sandra selbst die Antwort. »Aber immerhin nicht ganz ausgeschlossen«, fügte sie hinzu und verschwand im Büro.

Nachdem ihr Laptop hochgefahren war, rief Sandra zuerst ihre E-Mails ab. Danach suchte sie die Daten der Clinch-Redaktion und wählte die Nummer der Chefredakteurin. Die weibliche Stimme, der sie sich als Abteilungsinspektorin des Landeskriminalamtes Steiermark, Abteilung Leib und Leben vorstellte, verband sie umgehend mit der Chefredakteurin, die zuallererst ihre Betroffenheit über den grausamen Tod der langjährigen Mitarbeiterin bekundete, wenngleich sie dabei unerwartet sachlich klang.

»Ich habe ein paar Fragen zu der Verstorbenen«, meinte Sandra ohne Umschweife. »Hat Frau Kovacs denn beruflich in der Steiermark zu tun gehabt?«

»Schon möglich, dass Eva auch dort recherchiert hat. Sicher bin ich mir allerdings nicht. Sie hat sehr selbstständig gearbeitet. Ich habe ihr stets vertraut. Sie war eine meiner besten Mitarbeiterinnen«, sagte die Chefredakteurin.

»Woran hat sie denn zuletzt gearbeitet?«

Die Kovacs sei an irgendwelchen betrügerischen Immobiliengeschäften dran gewesen, hinter denen sie ein Korruptionsnetzwerk vermutete, das von Österreich bis nach Osteuropa reichte, erzählte die Chefredakteurin. Angeblich seien Schmiergelder in mehrstelliger Millionenhöhe geflossen. Details kannte die Vorgesetzte jedoch keine.

»Sie wissen also auch nicht, wer in den mutmaßlichen Korruptionsskandal verwickelt sein könnte?«

»Leider nein. Aber Evas Laptop kann Ihnen da sicher weiterhelfen.«

»Und der ist in ihrem Büro?«

»Nein. Sie hatte ihn immer bei sich.«

Aha. Hier war der Laptop aber nicht aufgetaucht. Entweder die Kovacs hatte ihn doch nicht immer dabei gehabt oder jemand hatte ihn verschwinden lassen. Jemand, der nicht wollte, dass etwas an die Öffentlichkeit drang.

»Können Sie mir bitte alle Artikel von Frau Kovacs zukommen lassen, die in diesem Jahr im Clinch-Magazin erschienen sind?«

»Selbstverständlich. Ich kann sie Ihnen gerne als pdf-Dateien mailen lassen. Außerdem schicke ich Ihnen ein Passwort, mit dem Sie auf unser elektronisches Archiv zugreifen können.«

»Das wäre großartig.« Sandra gab der Chefredakteurin ihre E-Mail-Adresse und für alle Fälle die Handynummer. »Ist Ihnen in der letzten Zeit irgendetwas an Frau Kovacs aufgefallen? Eine Veränderung vielleicht?«, fuhr sie fort.

Die Chefredakteurin verneinte abermals.

»Hatte sie Feinde? Ist sie jemals bedroht worden?«

»Nicht, dass ich wüsste«, kam es kurz angebunden aus dem Hörer.

»Könnte es jemanden geben, der sich für eine ihrer Enthüllungsstorys rächen wollte?«

»Das glaube ich nicht.«

»Hat es jemals eine gerichtliche Klage wegen einer ihrer Storys gegeben? Eine einstweilige Verfügung vielleicht?«

»Nein. Eva war bekannt dafür, dass sie sehr gründlich recherchierte. Hören Sie mal, ich bin ziemlich in Eile.«

Es war sinnlos, diese Befragung fortzusetzen. Sandra hatte den Eindruck, dass die Frau am anderen Ende der Leitung jegliches Interesse am Leben der Eva Kovacs vermissen ließ. Genauso wie an deren Tod. Ihre Terminplanung schien ihr zurzeit jedenfalls wichtiger zu sein. »Ich muss jetzt dringend in eine Sitzung. Können Sie mich am Nachmittag noch einmal anrufen? Oder besser am Abend«, sagte die Chefredakteurin.

»Nicht nötig. Wenn Ihnen noch etwas einfällt, oder für den Fall, dass Eva Kovacs’ Laptop doch in der Redaktion auftauchen sollte, rufen Sie mich bitte an. Oder verständigen Sie mich umgehend per E-Mail.« Sandra bedankte sich und legte auf. Vielleicht würde sie sich diese Lady zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal von Angesicht zu Angesicht vorknöpfen. Fürs Erste gab es keinen Grund, ihre Aussagen anzuzweifeln. Betrügerische Immobiliengeschäfte und ein Korruptionsnetzwerk, das bis nach Osteuropa reichte, hatte die Chefredakteurin gesagt. Interessant. Ob die Story der Kovacs mit ihrem Ehemann zusammenhing? Als Immobilienentwickler, der in Osteuropa tätig war, musste Paul Kovacs doch über einige Informationen und Kontakte im Osten verfügen, die für seine Frau hilfreich sein konnten, spann Sandra den Faden weiter. Möglicherweise wusste er sogar Näheres über die Hintergründe der geplanten Immobilienstory.

»Und? Hast du was herausgefunden?«, unterbrach Bergmann ihre Überlegungen, als er das Zimmer betrat.

Wahrscheinlich mehr als du bei Petra Schreiner, dachte Sandra und beobachtete, wie er sich auf seinen Drehstuhl fallen ließ. Schon wieder nippte er an einem Kaffee. Der wie vielte war das heute? Mindestens der vierte, zählte Sandra im Geiste nach. Und es war sicher nicht sein letzter.

»Scheiße. Mein Laptop lässt sich nicht mehr hochfahren. Kennst du dich mit diesen Dingern aus?« Bergmann hämmerte auf die Starttaste ein, während Sandra mit ihrem Sessel zu ihm hinüberrollte.

»Lass mal sehen«, sagte sie und versuchte seinen Laptop zu starten. Nichts rührte sich.

»So ein Mist«, schimpfte Bergmann. »Und was mache ich jetzt? Ich nehme nicht an, dass es in diesem Kaff einen Computerexperten gibt.«

Sandra rollte an ihren Platz zurück. »Täusch dich da bloß mal nicht. Max Leitgeb kennt sich sogar sehr gut mit Computern aus. Bloß wird er dir wahrscheinlich was pfeifen, so wie du ihn vorhin behandelt hast.«

»Aber du könntest ihn doch bezirzen. Für dich tut der stramme Max sicher alles.«

Nicht, nachdem ich ihn gestern von der Bettkante gestoßen habe, dachte Sandra. »Frag doch lieber Petra. Die erledigt das sicher sehr gerne für dich.«

Bergmann erhob sich. »Ausgezeichnete Idee …«

»Warte bitte noch einen Augenblick, bevor du dich wieder verkrümelst, und hör mir kurz zu«, meinte Sandra.

Bergmann sank auf seinen Stuhl zurück. »Du hast also etwas herausgefunden.«

Sandra nickte und erzählte ihm von dem Telefongespräch mit der Chefredakteurin, vom geplanten Artikel über den Immobilienskandal und von ihren Überlegungen im Zusammenhang mit Paul Kovacs.

»Er könnte der Informant seiner Frau gewesen sein«, gab Bergmann ihr recht. »Oder aber der Herr Diplomingenieur hat selbst Schmiergelder bezahlt, um an lukrative Aufträge zu gelangen. Seine Alte wusste davon und wollte ihm ans Bein pinkeln …«

»Mit der Alten meinst du wohl das Mordopfer. Wie überaus pietätvoll von dir«, ermahnte ihn Sandra.

Bergmann ignorierte ihre Bemerkung und sah auf die Uhr über dem Türstock, die neun Uhr siebenundvierzig zeigte. »Ich werde dem Kovacs diese Theorie gleich an den Kopf werfen. Schauen wir mal, wie er darauf reagiert«, meinte er.

»Wenn du richtig liegst, hatte er jedenfalls ein Motiv, seine Frau zu beseitigen. Und ihren Laptop. Der ist nämlich, wie es scheint, spurlos verschwunden.«

»Das ist allerdings ärgerlich.« Bergmann drückte noch einmal auf den Startknopf seines Laptops. Dass der neuerliche Versuch, den Computer hochzufahren, vergeblich war, konnte sie in seinem Gesicht ablesen.

»Meinst du, dass der Kovacs in der Lage ist, seine Frau so brutal zu misshandeln?«, fragte sie.

Bergmann zuckte mit den Schultern. »Was weiß denn ich? Er hat jedenfalls keinen Zeugen für sein angebliches Alibi.«

»Da ist er aber nicht der Einzige. Fast alle Befragten behaupten, zur Tatzeit im Bett gelegen zu sein. Ist ja auch nicht weiter verwunderlich um diese Uhrzeit. Nur Branka, der Bäcker und sein Lehrling haben Alibis, die von Zeugen bestätigt wurden.«

»Wenn der Kovacs da wirklich selbst mit drinhängt, hätte ihn seine Frau mit dem Artikel fertiggemacht«, überlegte Bergmann laut.

»Dann hätte sie aber auch Einiges verloren. Denk nur an ihren Lebensstil, den doch mit großer Wahrscheinlichkeit ihr Mann finanziert hat.«

»Das werden wir gleich herausfinden. Und ihn bei dieser Gelegenheit höflich um eine DNA-Probe bitten. Haben die hier überhaupt ein Speichelkit?«

»Wir sind hier am Land, Sascha. Nicht in der Dritten Welt«, erinnerte sie ihn. Bevor er wieder eine dumme Bemerkung machen konnte, fuhr sie fort: »Die Fotos der Leiche sollten wir von der Wand nehmen. Kein schöner Anblick … ich meine, falls der Kovacs doch unschuldig ist.«

Bergmann steckte den Bleistift in den Spitzer und drehte ihn in seinen Fingern. »Lass sie ruhig da hängen. Blondie richtet uns den Besprechungsraum im ersten Stock für die weiteren Einvernahmen her. Oder dachtest du etwa, ich hätte sie zum Flirten besucht?« Zufrieden legte er Bleistift und Spitzer beiseite.

Dass Sandra genau das angenommen hatte, war ihr vorhin offenbar ins Gesicht geschrieben gewesen. Doch sie hatte nicht vor, dem Kollegen ein weiteres Mal an diesem Morgen ihre Gedanken zu offenbaren. Höchstens, wenn diese beruflich waren.

»Eigentlich war es ja der Kaffeeduft, der mich zu Petra gelockt hat. Denn du hättest mir ja keinen gemacht, oder?«, fragte er und sah zur alten Filtermaschine, die am Fensterbrett verstaubte.

 

»Erstens zählt Kaffee kochen nicht zu meinen Aufgaben, zweitens ist mein Kaffee ungenießbar und drittens hast du selbst zwei gesunde Hände«, stellte sie, so hoffte sie wenigstens, unmissverständlich klar.

Das schrille Läuten des Telefons ersparte ihr seine Antwort. Bergmann hob ab. »Führen Sie ihn nach oben in den Besprechungsraum. Wir kommen gleich rauf.« Grußlos legte er auf und erhob sich.

»Der Kovacs?«, fragte Sandra und klappte die beigefarbene Kartonmappe zu. Obwohl sie mit ihren Ermittlungen noch ziemlich am Anfang standen, hatte die Akte in den vergangenen beiden Tagen bereits einen beachtlichen Umfang erreicht, der sicher noch um Einiges zunehmen würde.

Bergmann bestätigte ihr mit einem Nicken, dass Paul Kovacs soeben eingetroffen war.

Sandra leitete das Telefon zu Petra um und folgte ihm mit der Akte unter dem Arm und dem Aufnahmegerät in der Hand aus dem Büro. Im Treppenhaus kam ihnen auf halbem Weg Jakob entgegen. »Herr Kovacs wartet oben auf Sie, Herr Chefinspektor, Frau Abteilungsinspektorin«, meldete er gehorsam.

»Danke, Herr Inspektor«, antwortete Bergmann übertrieben zackig und griff sich im Vorbeigehen an die Krempe seiner nicht vorhandenen Uniformkappe. Jakob sah ihm verwundert nach, bevor er seinen Weg ins Erdgeschoss fortsetzte.

Als die beiden Kriminalbeamten den Besprechungsraum betraten, stand Paul Kovacs an einem der beiden Fenster und blickte hinaus. Im Umdrehen nahm er die Hände aus den Hosentaschen.

»Guten Tag, Herr Kovacs«, grüßte Sandra und ging auf den etwas über 1,80 Meter großen Mann im schwarzen Anzug zu. »Mein herzliches Beileid«, fügte sie an und streckte ihm die Hand entgegen. »Ich bin Sandra Mohr vom Landeskriminalamt Steiermark, Mordgruppe.«

Paul Kovacs war ein überdurchschnittlich gut aussehender Typ, der locker als Italiener durchging, stellte sie fest. Sein feiner Anzug war ebenso Maßarbeit wie das blütenweiße Hemd und die makellos polierten schwarzen Lederschuhe. Der Mann hatte Stil und einen edlen Geschmack, den er sich offensichtlich auch leisten konnte. Er sah aus, als wäre er einem Hochglanz-Modemagazin entsprungen. Mit Mitte vierzig wirkte er allerdings um einiges reifer als die üblicherweise darin abgebildeten geschniegelten Männermodels. Dennoch fand Sandra Paul Kovacs fürs echte Leben viel zu perfekt.

Er dankte ihr für das Mitgefühl und schüttelte ihre Hand mit festem Druck. Die exklusive Uhr an seinem Handgelenk fiel Sandra sofort auf: Die ›Lange 1‹ von A. Lange & Söhne war unter 12.000 Euro nicht zu bekommen, so viel wusste sie. Aus Schmuck hatte sie sich noch nie viel gemacht, aber schöne Uhren und deren präzise Mechanik faszinierten sie umso mehr. Schade nur, dass sie sich selbst wohl nie einen derart edlen Zeitmesser aus dem deutschen Uhrenmekka Glashütte würde leisten können.

»Grüß Gott, Herr Kovacs«, machte sich nun auch Bergmann bemerkbar und forderte Kovacs auf, sich an den Besprechungstisch zu setzen, dessen hellgraue Resopalplatte zum kühlen Ambiente des Raumes beitrug. Genau wie die leeren Regale, die im selben Grauton gehalten waren, und die obligate weiße Magnettafel an der gegenüberliegenden Wand. Die einzige Dekoration im Raum, außer dem alten Overheadprojektor, war das Tablett mit der Thermoskanne und dem Kaffeegeschirr, das Petra für die Einvernahme vorbereitet hatte. Es war kalt hier drinnen, fand Sandra und nahm fröstelnd neben ihrem Kollegen Platz. Bergmann sah seinem Gegenüber direkt in die Augen, stellte sie verwundert fest, obgleich er ihren Blicken doch stets auswich.

Die grauen Augen des Paul Kovacs erinnerten Sandra an Stahlkugeln. Seine auffallend weißen Zähne mussten gebleicht sein. Er erkundigte sich, ob sie schon einen Verdacht hätten, wer das Verbrechen an seiner Frau begangen haben könnte. Sandra wies ihn darauf hin, dass sie nun, wenn er nichts dagegen hätte, das Aufnahmegerät einschalten würde.

Kovacs willigte mit einer Geste ein, während Bergmann seine Frage beantwortete: »Nun, wenn Sie so direkt fragen, Herr Kovacs: Abseits des Offensichtlichen – damit meine ich eine mögliche Sexualstraftat

mit tödlichem Ausgang durch einen noch unbekannten Täter – denken wir, dass der Mord an Ihrer Frau mit dem Artikel zusammenhängen könnte, an dem sie zuletzt gearbeitet hat.«

»Tatsächlich? Und was war das für ein Artikel?«, fragte Kovacs.

»Das wissen Sie nicht?«, fragte Bergmann zurück. Die Männer fixierten einander noch immer mit ihren Blicken.

»Woher sollte ich das denn wissen? Ich habe mich noch nie für das Geschreibsel meiner Frau interessiert.« Kovacs senkte nun den Blick und betrachtete seine perfekt manikürten Fingernägel.

»Warum denn so abfällig? Ihre Frau war eine ziemlich erfolgreiche Aufdeckungsjournalistin«, meinte Sandra. »Sie hat im vergangenen Jahr sogar den Alfred-Worm-Preis für die beste investigative Story gewonnen. Das war Ihnen aber schon bekannt, oder etwa nicht?« Kovacs sah nun Sandra an, und augenblicklich wurde ihr noch kälter.

»Ist sie deshalb in dieses gottverlassene Nest gereist?«, fragte der Witwer zurück.

»Wir hatten gehofft, das könnten Sie uns beantworten«, entgegnete Sandra.

»Nein. Tut mir leid.«

»Plant oder realisiert Ihre Firma zurzeit irgendwelche Bauprojekte hier in der Umgebung?«, fragte Bergmann.

»Der Bau des Einkaufszentrums bei Judenburg ist seit drei Monaten abgeschlossen. Derzeit wird im Grazer Büro an einem Tiefgaragenprojekt für die Landeshauptstadt gearbeitet. Selbiges befindet sich aber noch in der Ausschreibungsphase. Ansonsten arbeiten wir im Moment an kleineren privaten Projekten. Keines davon befindet sich im Bezirk Murau. Warum fragen Sie?«

»Herr Kovacs, Ihre Frau hat für eine Story über einen Korruptionsskandal in der Immobilienbranche recherchiert, der angeblich bis nach Osteuropa reichen soll.«

Bergmann legte eine Pause ein, was Kovacs offensichtlich nervös machte. Er spielte mit seinen Fingern. »Und? Weiter?«, fragte er schließlich ungeduldig.

»Wollen Sie uns weismachen, dass Sie von den Recherchen Ihrer Frau nichts mitbekommen haben? Wir wissen doch, dass Sie als Immobilienentwickler äußerst lukrative Geschäfte – ganz besonders in Osteuropa – machen«, sagte Bergmann.

»Sie glauben doch nicht etwa, dass ich …?«

»Wir sind keine Pfarrer, sondern Polizisten. Vorerst glauben wir einmal gar nichts. Haben Sie etwas dagegen, wenn wir einen Mundhöhlenabstrich und Ihre Fingerabdrücke nehmen, Herr Kovacs?«, fragte Bergmann direkt.

»Wie bitte? Sie denken doch nicht, dass ich meine Frau …? Das reicht. Ich sage nichts mehr ohne meinen Anwalt.« Kovacs lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.

»Das müssen Sie auch nicht. Wenn der richterliche Beschluss erst bei Ihnen eingelangt ist – ich schätze das wird in etwa Anfang bis Mitte nächster Woche der Fall sein – werden Sie um eine DNA-Probe ohnehin nicht herumkommen. Spätestens dann wissen wir ganz genau, ob Sie Ihre Frau zum Schweigen gebracht haben oder nicht.«

Kovacs erhob sich von seinem Stuhl und wurde laut: »Was Sie sich da zusammenreimen, ist unfassbar! Sie haben doch überhaupt keine Beweise!«

»Und Sie haben kein Alibi«, sagte Bergmann umso leiser. Er griff zur Thermoskanne, um sich Kaffee einzuschenken.

»Ich habe ein Alibi für die Tatnacht«, verkündete Kovacs nach einem Moment des Schweigens.

»So plötzlich? Wieso fällt Ihnen das erst jetzt ein?« Bergmann nippte an seinem Kaffee.

»Ich war in jener Nacht mit einer Frau zusammen.«

Sandra klickte auf das obere Ende ihres Kugelschreibers und nahm den Notizblock aus der Akte. »Können Sie uns bitte den vollständigen Namen der Dame nennen? Und in welcher Beziehung Sie zu ihr stehen?«, fragte sie.

»Sie heißt Caroline Schwarz und ist Maklerin. Wir arbeiten schon seit einigen Monaten sehr eng zusammen.«

Sandra schrieb den Namen der genannten Zeugin auf und fragte weiter: »Sie haben also die ganze Nacht gearbeitet?«

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