Loslassen ... und heilen

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3. Unerforschte Gewässer

Haben Sie vielleicht Angst vorm Fliegen? Vielleicht zieht es Sie eher ans Wasser? Die draufgängerische Kühnheit der Piraten; die Abenteuer salzverkrusteter Erforscher der Meere; der Geruch des Eichendecks unter einem verblichenen Segel, das sich nach neuen Horizonten reckt …

Die Abenteuergeschichten aller Kinder beginnen auf dem offenen Meer ihrer Vorstellungskraft. Keines war Galeerensklave oder schrubbte das Deck. Jedes Kind war in seiner Fantasie der Schiffskapitän.

Es war der Kapitän seines Schicksals, ein Kind des Universums, das voll Tapferkeit den gefährlichen Untiefen, den Sandbänken und den lebensbedrohlichen Riffen trotzte. In treuer Pflichterfüllung, Tag für Tag, legte es im Logbuch gewissenhaft Rechenschaft ab über alle Enttäuschungen und Triumphe.

Der Kapitän war auf Gedeih und Verderb der Macht der Stürme ausgesetzt, die ein Schiff im Nu zerfetzen konnten; der absolute Albtraum, in einer endlosen Flaute verloren zu sein.

Sein Logbuch barg die Geschichte des Schiffs, die Lebensgeschichten der Besatzung; die Herausforderungen, Schwierigkeiten, die Todesfälle und die plötzlichen Momente höchsten Glücks, wenn die Sonne die leuchtend grünen Wellenkämme hascht.

Das war harte, andauernde Arbeit.

Wenn er auch immer wieder mal nicht wusste, wo er auf seiner Reise war, lernte er dennoch zu vertrauen.

In unserer eigenen Geschichte kommt, wenn wir nur gut hinhören, ein wundervoller Tag, an dem unser eigenes Schiff im Hafen einläuft.

Wir hören die Willkommensfanfaren einer neugierigen, neidischen und verschlafenen Menschenmenge; diese Menschen sind nicht imstande, ohne die Sicherheiten einer starren, festgefügten Gesellschaft die Härten des Lebens auszuhalten.

Jetzt ist aber Zeit, sich hier zu Hause zu entspannen. Schlagen Sie Ihr kostbares Logbuch auf und lesen Sie noch einmal seelenruhig die Aufzeichnungen über all die Jahre der Frustration, der Täuschungen, Schwierigkeiten und Triumphe.

Auf einmal stellen Sie wie durch einen Zauber fest, dass Sie die Schatzkarte des Piraten entschlüsseln können. In diesen Kritzeleien und den verlorenen Gedichten Ihres Lebens verbirgt sich ein deutlicher Plan. Den kannten Sie zwar die ganze Zeit, haben ihn aber nie verstanden.

Alle Verwirrung hat sich aufgeklärt. Erstaunt erkennen Sie, dass das eigentlich gar keine Schwierigkeiten waren.

Nur sanfte Schubse vom höchsten Lehrmeister.

Mit einem tiefen Seufzer der Zufriedenheit stellen Sie schließlich fest, dass Sie wirklich zu Hause sind. Der erfolgreiche Seefahrer, der auf rauer See und an fernen Küsten unterwegs war.

Ihre Belohnung besteht darin, sich selbst in den tiefen Meeresströmungen und in den launischen Luftwirbeln zu entdecken.

4. Der Versicherungsvertreter

Erst ein paar unmissverständliche Erfahrungen – so geht es wohl den meisten von uns – ließen mich in der Wirklichkeit aufwachen.

Zwar habe ich das Fliegen nie ganz aufgegeben, aber dann trat noch die Kunst in mein Leben und ich lernte von und litt unter der Einsamkeit des Künstlers: die leere Leinwand, die leere Staffelei, das erste Wort eines Gedichts …

Dennoch machte mich die Arbeit in meinem Studio für Design glücklich. Vielleicht war mein Ego ein wenig zu aufgedreht, doch ich war jung, ich war verheiratet, hatte zwei wundervolle Kinder und ich war mein eigener Chef (– so dachte ich!).

Ich hatte Poster und Siebdrucke zu entwerfen, Zeichentrickfilme für das Fernsehen, einige Porträts zu malen und unzählige Geschichten zu schreiben.

Und wenn man gerade meint, alles läuft reibungslos, dann kommt etwas dazwischen, mit dem man weder einverstanden ist, noch hat man es sich bewusst gewünscht. Ist Ihnen das auch schon aufgefallen?

Nun, zu mir kam Reg Duder, ein untersetzter Mann mit freundlichem Lächeln. Er wollte mir unbedingt eine Versicherung verkaufen. Woher hätte ich wissen sollen, dass er mir erzählen würde, wie ich Parkplätze und andere Sachen bekäme?

„Ich habe jetzt keine Zeit für Sie“, sagte ich , „ich muss unbedingt zur Bank, bevor sie schließt, und es ist um diese Zeit unheimlich schwer, dort einen Parkplatz zu finden.“

„Keine Sorge, ich bringe Sie hin“, erwiderte er in der Hoffnung, mich in der Zwischenzeit zum Abschluss zu überreden.

Schließlich war es nur eine kurze Fahrt zur Bank am Cathedral Square in Christchurch.

Im Auto hörte ich nur mit halbem Ohr zu, als er sagte: „Wenn Sie ein Geschäftsmann sind, sind Sie erst richtig im Geschäft, wenn Sie über Tulip Bescheid wissen; alle erfolgreichen Geschäftsleute kennen Tulip.“

„Hmm, natürlich. Danke.“ Wir suchen dringend einen Parkplatz und er hält dabei eine Religionsstunde ab!

„Tulip kümmert sich um Geschäftsleute“, wiederholte er nachdrücklich, „sie hilft Ihnen, Parkplätze zu finden, sie sorgt dafür, dass Verträge hereinkommen, dass Ihre Mitarbeiter zufrieden sind …“

In der verkehrsreichsten Straße der ganzen Stadt bog er direkt vor der Bank in eine Parklücke und redete immer noch. Eindrucksvoll!

Doch ich blieb skeptisch. Allerdings suchte ich einige Tage später verzweifelt einen Parkplatz und probierte es aus.

Ob Sie es glauben oder nicht, Tulip verhalf mir an diesem Tag und an allen anderen Tagen des Jahres immer zu einem Parkplatz! Nicht nur vor der Bank, sondern auch an anderen Orten.

Sie können es selbst ausprobieren. Ich garantiere Ihnen: Sie werden staunen.

Die Übung funktioniert so: Sie lassen alte Überzeugungen los und gestatten neue Möglichkeiten, indem Sie sich mit den machtvollen Kräften des Universums verbinden, die ganz von alleine angemessene Ergebnisse herbeiführen.

→ „Loslassen“ … was bedeutet das? Leicht gesagt, aber nicht so leicht getan!

Loslassen: Am besten fangen Sie in der allernächsten Umgebung an. Nein, nicht die Partnerin oder den Partner, Freunde und die Familie, sondern all die beruhigenden kleinen Gewohnheiten, die wir entwickelt haben, die aber für ein leichtes und glückliches Leben nicht wesentlich sind.

Hier haben Sie eine Reihe von Vorschlägen, womit Sie anfangen können:

→ Stellen Sie das Bett auf die andere Seite des Zimmers.

→ Ordnen Sie das Besteck in der Schublade neu.

→ Geben Sie allen Tellern und Gläsern einen neuen Platz.

→ Räumen Sie die Bücherregale um, sodass die großen Bücher weit oben und die kleineren unten stehen.

→ Stellen Sie den Fernseher um (in den Keller!).

→ Setzen Sie sich zum Frühstücken an einen anderen Platz – und zum Abendessen nochmals auf einen anderen …

Weil Sie bewusst einwilligen, Ihre Umgebung neu zu ordnen, muss Ihr „Gewohnheits-Gehirn“ aufwachen und tatsächlich hinschauen, was Sie die ganze Zeit über gemacht haben. Es versteht die Botschaft. Etwa so:

„Oh, ach du je, ich habe beim Telefonieren noch nie gern mit dem Rücken zur Tür gesessen. Oh! Und noch etwas, ist es nicht an der Zeit, etwas gegen diese quietschende Tür zu unternehmen?!“ Und so weiter.

Wir können das alles ganz fröhlich machen, denn es kostet nichts und tut nicht weh!

Wenn wir gerade über Veränderungen reden: Ich glaube, mein Verstand ist damals mit mir durchgegangen! Was geschah wohl mit mir, als ich diese Idee der Veränderung so bereitwillig begrüßte?

Das Leben packte mich und überzeugte mich, dass die passende Veränderung darin bestand, Kisten zu „verrücken“, mit Sack und Pack und meiner Familie 2 000 Kilometer weg-, nämlich nach Melbourne in Australien umzuziehen. Dann ging der Spaß erst richtig los.

Bald nach unserer Ankunft beging ich eine Dummheit.

Ich willigte ein, einen Freund in die Spiritualist Church in der A’Becket Street zu begleiten. Damals hatte ich mit Religion nichts am Hut. Ich hatte es redlich mit ihr probiert. In jüngeren Jahren war ich mit zwei Freunden in alle Kirchen gegangen, die wir finden konnten. Doch als ich dort die Antworten, die ich suchte, nicht fand, gab ich auf. Jetzt trottete ich, wie Sie sehen, aus reiner Neugier mit.

Als wir die wenigen Stufen hinaufstiegen, erspähte mich eine zierliche alte Dame mit weißem Haar.

Ohne das geringste Zögern kam sie direkt auf mich zu und sagte: „Sie kommen am Dienstag zu Tulips Geburtstagsfeier.“

Zu sagen, ich war überrascht, wäre untertrieben! Was hätte ich sagen sollen als: „Tulips Geburtstag? Ja, ja, gut, richtig, am Dienstag? In Ordnung.“

Mehr als fünfzig Menschen feierten diesen Abend. Die Party war für eine zwölfjährige Tulip, die allerdings vor vielen Jahrhunderten in Spanien als Hexe auf einem Scheiterhaufen verbrannt worden war, wie sie mir dann erklärten. Warum sie sich entschied, die nächsten paar Jahrtausende herumzuhängen und den Menschen zu helfen, verstand ich nicht so ganz. Doch ich war froh, dass sie das machte.

Also: Können wir das wirklich alles nur als ungewöhnliche Fügung bezeichnen?

Dass zwei verschiedene Personengruppen, die Tausende von Kilometern getrennt voneinander in verschiedenen Ländern leben, an die gleiche Geschichte glaubten? Sie glaubten alle an Tulip. Die eine Gruppe „benutzte“ sie für ihre Geschäfte und die andere für ihre spirituellen Überzeugungen.

Trotz all dieser Hinweise bedrängten mich noch viele Fragen.

Ich wusste, meine eigenen Großeltern (die ich nie gesehen habe) hielten jede Woche mit ihren dreizehn Kindern, darunter natürlich meine Mutter, Séancen ab, beschworen Geister und hingen dem Spiritismus an.

Doch mein Vater war ein strenger Pastor. Konflikte über Konflikte.

 

Wenn die Widerstände aufeinanderprallen, klappt Ihnen die Kinnlade herunter, der Verstand springt auf den Köder an und im nächsten Moment zappeln Sie herum und versuchen, die Vorstellung zu schlucken, dass Sie von nichts eine Ahnung haben; Sie können sie nur samt Angelleine und Bleigewicht verschlingen.

Dann plötzlich stehen Sie mit beiden Beinen auf der Erde. Sie wachen auf. Die Farben werden kräftiger. Es ergreift Sie, wenn Sie beobachten, wie sich eine goldene Narzisse im Frühling öffnet. Sie schauen einem Schmetterling zu und spüren die Freude der Zugvögel, die nach Tausenden von Kilometern zu ihrem Nest zurückkehren; Sie bestaunen die winzige Welt im Mikroskop und die unvorstellbare Herrlichkeit des Universums. Das ist Freiheit.

Wenn wir das erst können, dann lösen sich alle Fragen über die Wirklichkeit vergangener Leben, über Wiedergeburt, Nahtoderfahrungen und das Channeln von Weisheit durch körperlose Außerirdische. Das verschwimmt im Netz der Ungewissheiten. Es spielt für Sie keine Rolle mehr, ob es einen kosmischen Plan gibt oder ob alles vom Zufall abhängt.


Flug Nr. 102: Flugplan, Cockpit-Check und Flugbericht

Fertig zum Abflug

1. Halten Sie Ihr Logbuch und Ihren Lieblingsstift bereit.

2. Vergewissern Sie sich, dass Sie entspannt sind und sich wohlfühlen. Legen Sie in Gedanken den Sicherheitsgurt an.

3. Kopfhörer über die Ohren, damit Sie die Sphärenmusik hören oder die Anordnungen des höheren Selbst.

4. Planen Sie die Flugdauer genau: 20, 30, 50 Minuten.

5. Stellen Sie den Wecker.

6. Versuchen Sie nicht, früher zu landen.

7. Startablauf durchgehen – konzentrieren Sie sich, bevor Sie auf den Startknopf drücken. (Prüfen)

8. Vergewissern Sie sich, dass niemand und nichts Sie stört, während Sie langsam zur Start- und Landebahn rollen. (Prüfen)

9. Bereiten Sie sich auf den Start vor. Starten Sie gegen den Wind. Sie dürfen immer vor allen anderen Flugzeugen starten.

10. Heben Sie den Stift hoch und beginnen Sie zu schreiben.

11. Schreiben Sie das Datum und die genaue Uhrzeit auf.

12. Was ist seit Ihrem letzten Flug passiert?

13. Fällt Ihnen auf, dass andere (Freunde, Familienmitglieder, Partner) sich Ihnen gegenüber anders verhalten?

14. Sind jene alten Tagträume immer noch verlockend?

15. Wie geht es Ihnen mit den Widerständen (siehe Flug 101)? Schreiben Sie eine ausführliche Geschichte über Ihre Schwierigkeiten, neue Ideen aufzunehmen – aber hören Sie nicht auf, wenn Sie meinen, Sie kämen schon irgendwie damit zurecht.

16. Ich möchte nicht …

17. Ich würde liebend gern …

18. Legen Sie das Buch sofort beiseite, wenn der Wecker klingelt, auch wenn Sie mitten im Satz sind. Besser eine abrupte Landung als ein zielloses Dahintreiben. Legen Sie das Logbuch auf Ihren Schoß, schließen Sie die Augen und lauschen Sie auf alle Geräusche um Sie herum. Lassen Sie meine CD Mind Music laufen, um Ihre Gedanken zu erden.

Nehmen Sie viel später, wenn Sie längst wieder in die Flugzeughalle im Hier und Jetzt zurückgekehrt sind, Ihr Logbuch zur Hand und lesen Sie vom ersten bis zum letzten Eintrag. Ergänzen Sie alles, was Ihnen wichtig erscheint, besonders alle körperlichen, emotionalen, spirituellen Veränderungen und die Veränderungen in Ihren Vorstellungen.

5. Das Mantra

Eine ausgefallene Philosophie nützt nicht mehr viel, wenn der Gerichtsvollzieher an die Tür pocht und die Miete eintreibt:

„Ach, Entschuldigung, ich muss eben noch meine tägliche Unterredung mit den Sternenwesen zu Ende führen, dann habe ich Zeit für Sie – nehmen Sie sich doch einfach ein Kissen und meditieren Sie ein, zwei Stunden für das Wohlergehen der Orangenbäume in Kalifornien …“

Nein, ich glaube nicht, dass das so geht.

Um Freude an unserem eigenen Dasein zu haben und um gut für uns zu sorgen, müssen wir Enttäuschungen in den Griff bekommen, auch Ärger, Leiden, das durch Täuschungen und Illusionen entsteht, sowie all die eingebildeten Verletzungen, die wir von der Wiege bis zur Bahre herumschleppen, … alles, was schließlich die Realität ist! Das zauberhafte Leben gelingt uns nur, indem wir kopfüber in das Durcheinander springen, das die meisten von uns vernünftiger Verstand nennen.

Dummerweise gleicht der noch nicht neu geordnete Verstand einem Schwalbenschwarm im Frühling: Alle Vögel flattern am Himmel herum, jeder schießt einzeln herab, steigt wieder auf und schnappt im Flug nach winzigen Leckerbissen. Jedes einzelne Tier gibt sich ganz der Aufgabe hin, sein Nest des letzten Jahres für eine neue Familie zu renovieren. Jedes konzentriert sich auf seine eigenen unmittelbaren Bedürfnisse. Eine übergeordnete gemeinsame Aufgabe ist nicht im Blick. Im Laufe des Sommers verlassen die Jungvögel das Nest und fliegen zum ersten Mal allein.

Allmählich richtet sich der bisher zerstreute „Geist“ aller Vögel auf eine einzige Absicht:

Wenn der Winter naht, fliegen sie die enormen Strecken von Stuttgart nach Sydney, von Amsterdam nach Adelaide, von Belgrad nach Brisbane. Um das zu schaffen, müssen sie als eine Einheit unterwegs sein, wie ein Kopf handeln, verbunden und zielgerichtet.

Genau wie die Schwalben im Herbst sind wir selbst mit zig Milliarden Gedanken gesegnet; der Trick besteht darin, dass wir ihnen den Formationsflug beibringen.

Denn wenn man um die halbe Welt fliegen will und nicht größer als eine Handfläche ist, muss man alle seine Absichten und Körperkräfte darauf konzentrieren.

Und das führt uns zu einem der größten Widersprüche des zauberhaften Lebens.

Buckminster Fuller (1895 – 1983, ein amerikanischer Architekt und Erfinder) beschreibt ein Phänomen aus der Natur, das er „Präzession“ nennt; es besagt, dass wichtige Ereignisse oft im rechten Winkel (90 Grad) zur Richtung der wirkenden Kraft geschehen.

Erklären können wir die Präzession am Königreich (eigentlich Königinnenreich) der Bienen. Die Arbeitsbiene richtet ihr ganzes Leben darauf aus, Nektar zu sammeln. Doch daran denkt sie nicht: Während sie mit ihrem Kopf alle möglichen Verrenkungen macht, um das köstliche Zeug tief in der Blüte herauszusaugen, wischt sie den Pollen ab, der an ihrem Hinterteil klebt. Das bedeutet, die Blumen werden bestäubt, was wiederum bedeutet, dass nächstes Jahr wieder Blumen blühen, und so weiter …

Wenn wir uns auf ein einziges Konzept versteifen, um dadurch unsere Träume zu verwirklichen, dann bekommen wir vielleicht den Nektar, doch wir verpassen die Bedeutung des Pollens. Er kreuzt unseren erwünschten Weg sozusagen im rechten Winkel. Wir haben keinen Raum gelassen für diese natürliche Präzession. Wenn wir unsere Ambitionen an der kurzen Leine führen und alle anderen Optionen ausschließen, dann hören wir den Telefonanruf nicht, wenn er aus einer Richtung kommt, aus der wir ihn nicht erwarten. Wenn das Telefon tatsächlich klingelt – und das wird es immer tun –, stellen wir den Anruf meist derart zaghaft und misstrauisch infrage, dass die Natur beim Warten die Geduld verliert und auflegt.

Es ist wirklich so, dass die meisten von uns so konditioniert sind, dass uns der Zauber des Lebens entgeht, die freudige Erkenntnis, dass die Wünsche von uns einfachen Sterblichen immer noch geringer sind als das, was uns alles zugedacht ist!

Die gleiche Gefahr besteht, wenn wir uns zu eng auf unsere Wünsche konzentrieren.

Um das zu vermeiden, empfehle ich eine Jahrtausende alte Methode. Mit ihr können wir den Verstand von diesen zig Milliarden schwirrender Gedanken erlösen, ohne 19 000 Kilometer nach Australien reisen zu müssen, ja, wir müssen uns dafür nicht einmal aus unserem Polstersessel bequemen. Was für ein Glück!

In Esoterikkreisen heißt diese Übung Mantras rezitieren. Ein Mantra ist ein kurzer Spruch, so etwas wie ein Buch in Kurzform für faule Leser. Oder vielleicht eine bequeme Art, wie „Erleuchtete“ Kurzschrift miteinander reden.

Nichts hilft Ihnen besser, sich an etwas zu erinnern, als die Wiederholung. Das ist ganz einfach die Kunst der Gehirnwäsche.

Das hat gar nichts mit Religion zu tun.

Nehmen wir doch mal an, Sie wollen Mantras rezitieren, dann können Sie mit einem ganz bekannten beginnen, dem tibetischen Om Mane Padme Hum. Dieses Beispiel zeigt sehr schön, wie eine endlose Wortwiederholung einen Rhythmus aufbaut, der nach und nach den ganzen Verstand in Anspruch nimmt und ausfüllt.

→ Es steht Ihnen völlig frei, die tibetischen Worte zu verwenden oder, für den Anfang vielleicht noch besser: Suchen Sie sich irgendein Wort, das auf einen Vokal endet; das könnte auch Ihr Name sein. Setzen Sie sich ruhig hin und wiederholen Sie das Wort eine halbe Stunde oder länger.

Sie werden merken, dass die Bedeutung des Wortes bedeutungslos wird.

Sprechen Sie Ihr Mantra laut aus! Dann passieren zwei kraftvolle Dinge: Der Verstand ist auf nette Weise gezwungen, zu enträtseln, womit Sie ihn gerade füttern, und gleichzeitig kommt Ihnen die Vorstellung Ihrer eigenen Wichtigkeit abhanden. Was ist das wert?

Eines meiner Lieblingsmantras murmelte ein tibetischer Mönch vor sich hin, mit dem ich von Hongkong nach Lhasa reiste. Aus verschiedenen Gründen hatten wir zwei Tage lang nichts Richtiges gegessen. Die letzte Etappe der Reise war die Fahrt vom Flughafen zur Stadt, 90 Kilometer in einem überfüllten Zwölfsitzer-Bus.

Weil ich neben ihm saß, hörte ich ihn ein Mantra flüstern. „Was“, so fragte ich müde, hungrig und ein wenig respektlos, „ist denn das Mantra für heute?“

Mit breitem Lächeln sprach er lauter: „Om lunch. Om lunch. Om lunch.“ Auf Deutsch: Om Mittagessen. Om Mittagessen. Om Mittagessen.

Das Mantra hält unseren Verstand beschäftigt, während das Leben stattfindet.

John Lennon sagte einmal „Leben ist das, was geschieht, während man eifrig andere Pläne schmiedet.“

Es ist nicht wichtig, unbedingt eine vollständige, wissenschaftliche Beschreibung für unseren wirkenden Verstand zu finden. Lassen Sie uns für unsere Zwecke einfach sagen: Er ist der Teil von Ihnen, der Ihnen mitteilt, dass Sie Hunger haben, schwitzen oder frieren, wütend oder gelangweilt sind … oder irgendwelche andere Überlebensmechanismen, die meist ohne unsere bewusste Zustimmung mit uns geschehen. Man könnte sagen, er hat seinen eigenen Kopf und regt sich mächtig auf, wenn Sie ihn bitten, die Klappe zu halten und Ihnen ein wenig Ruhe und Frieden zu lassen.

Es geht darum, den ruhelosen Verstand zu überflügeln. Wir müssen ihn von einer anderen Seite packen.

Wie ein Spion in der Nacht schleichen wir uns am besten an und geben ihm etwas, was seine Aufmerksamkeit ablenkt, während wir zum Kern unserer Wünsche vordringen.

In den folgenden Kapiteln kommen wir auf die Verwendung von Mantras zurück.

Bis dahin ist hier eines, das nicht nur gut ist fürs Gehirn, sondern auch unglaublich nützlich, um Unsicherheit zu überwinden, Selbstzweifel und das ständige Gefühl der Erfolglosigkeit. (Das klingt jetzt aber beinahe wie die Verschreibung eines bekannten Bach-Blüten-Mittels!)

Es lautet:

„Ich tue mein Bestes, so gut ich kann.“

Wenn immer ich das Gefühl habe, etwas nicht so gut gemacht zu haben, wie ich es gern gemacht hätte, sage ich mir: „Ich tue mein Bestes, so gut ich kann“, im Flüsterton (damit mich niemand hört – ich möchte ja nicht, dass man mich für völlig gestört hält!).

Egal, was Sie jetzt dazu sagen, Sie werden Ihren Alltag anders erleben.

Hier ist noch ein Mantra zum Aufschreiben und Üben. Probieren Sie es unbedingt aus:

„Ist das nicht interessant?!“

Beobachten Sie, wie es sofort seine Wirkung entfaltet, wenn Sie einen Streit schlichten wollen oder wenn Sie sich wundern, warum das Pech gerade wieder Sie Unglücksraben ereilt.

„Wie interessant, dass ich auf meinen besten Freund wütend bin.“

„Wie interessant, dass mein Chef nicht sieht, wie wertvoll meine Arbeit für die Firma ist.“

In meinen Seminaren schlage ich den Teilnehmern vor, diese nützliche Übung regelmäßig zu verwenden. Ja, ich habe auch schon oft gesagt, ich hätte gern diesen Spruch „Ist das nicht interessant“ auf meinen Grabstein gemeißelt.