Dann stirb doch selber

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

21. Szene
Magdalena

Natürlich hatte ich Harrys Mutter nicht mehr angerufen. Was sollte ich ihr auch sagen? Es tut mir leid! Ihr sicher auch. Ihr ganz besonders. Aber Marielinde würde sich schon um sie kümmern, die hatte wenigstens den nötigen Abstand. Trotzdem fürchtete ich Bernhards Zorn. Ich wollte auf keinen Fall wieder an seinen Plakaten vorbei laufen.

In meinem Büro waren die Rollos herunter gelassen, die Möbel verstellt und die Pflanzen entfernt. Stattdessen lag ein dezenter weißer Umschlag mit schwarzem Rand auf meinem Schreibtisch. Er enthielt eine Karte, auf der mir alle Kollegen ihr Beileid ausdrückten, und Geld. Unschlüssig betrachtete ich die Karte. Erwarteten sie jetzt, dass ich einen ausgab? Während ich meine Möbel wieder auf ihren angestammten Platz schob, klopfte es an der Tür. Es war Stella.

„Hey, wie geht’s dir heute?“, fragte sie knapp und lächelte mich zweireihig und falsch an.

„Geht schon“, log ich dementsprechend.

„Der Chef möchte einen Ausdruck von den letzten vier Wochen haben, und er sagt, du sollst auch die offenen Außenposten mit einbeziehen!“

Warum schickte mein Chef mit so einer Sache ausgerechnet Stella zu mir, ein Anruf hätte doch genügt? Stella setzte sich auf meine Schreibtischkante und sah mir verunsichert ins Gesicht. Aber vielleicht täuschte ich mich auch. „Frag mich nicht, unser Beauty-Heinz ist heute nämlich nicht sehr gesprächig!“

Ich schwieg, denn Stella war nervig, sie zupfte an ihrem knappen Flatterröckchen herum und griff nach der Karte. „War Juttas Idee.“

Ich nickte, das war typisch für sie!

Dann sah ich sie an: „War sonst noch was?“ Sie wusste genau, dass ich es nicht leiden konnte, wenn jemand auf meinem Schreibtisch saß und zusah, wie ich meine PIN eingab.

„Schon gut, schon gut.“ Abwehrend hob sie die Hände und rutschte von ihrem Platz. „Ich bin ja schon weg!“

Ich wartete, bis die Tür zuknallte, und atmete tief durch. Ausgerechnet jetzt. Hätte Wirtmeir nicht noch ein paar Tage warten können?

Gegen Mittag hatte ich alle Unterlagen beisammen, steckte eine große Aktenklammer dran und trug sie ins Chefzimmer hinüber. Da sich auf mein Klopfen niemand meldete, ging ich einfach hinein. Das Zimmer war leer, das Fenster gekippt, trotzdem hing ein würziger Duft in der Luft. Schnuppernd schaute ich mich um. Auf dem Schreibtisch stand ein Aschenbecher mit einer halb gerauchten Zigarre. Es war ein seltsames Gefühl, allein im Chefbüro zu sein, darum legte ich die Sachen schnell auf den Tisch und wendete mich zum Gehen.

22. Szene
Klara

Es war die Zeit der leeren Ablagen; außer ein paar Kleinigkeiten hatte ich nichts zu tun. Vielleicht sollte ich mir Urlaub nehmen und nach München fahren. Meiner Wohnung täte es bestimmt gut, aber andererseits hatte ich keine große Lust, Christina und ihren Freund zu treffen. Auf meinem Bildschirm baute sich ein komplexes Röhrensystem mit gefangenen Ratten auf. Fasziniert schaute ich in der Vergrößerung zu, wie sie, die Nasen am Boden, nach einem Ausweg suchten. Dabei kam mir die Idee, es ihnen gleichzutun und einfach so lange herumzuschnüffeln, bis ich etwas Brauchbares gefunden hatte.

Dazu musste ich mit meinen Kollegen sprechen und alles auch noch so unwichtig Erscheinende zusammentragen. Ich begann meine Liste durchzusehen. Bernhard Kaufmann, der Bruder, will Landrat werden. Das hatten mir Obermüller und Wegerbauer gar nicht erzählt. Also, ich nichts wie hin, um es ihnen unter die Nase zu reiben. Aber die beiden waren beschäftigt. Hatten mal wieder so einen abenteuerdurstigen Halbstarken unter einem Lastwagen rausgekratzt. Auch nicht schön. Aber es war ein klarer Fall von Selbstüberschätzung - der Junge hatte gerade einmal zwei Wochen seinen Führerschein. Schnell machte ich mich aus dem Staub, das sind genau die Dinge, die mich ins Wirtschaftsdezernat getrieben haben.

Der Bruder also ist Jurist, verheiratet, hat zwei Kinder und ist sogar im Wahlkampf grundanständig. Wow! Sein Programm kommt bei den Leuten gut an. Er verspricht die heile Welt, als ob es das irgendwo gäbe. Kurz und gut, er ist ein Langweiler, obwohl das oft die Allerschlimmsten sind. Harrys Leben dagegen schien richtig spannend. Er hatte eine Firma in der Altstadt, einen Waffenschein mit der Lizenz zum Sammeln, und ein Punktekonto in Flensburg, das ich nicht geschenkt haben mochte. Ja, ein verwöhnter Balg aus gutem Hause war er. In Unfälle bisher nicht verwickelt, jedenfalls wurde er nie erwischt; war immer nur zu schnell, Zack - Blitz - und zur Kasse bitte!

Im Geiste sah ich ihn vor mir. Überheblich, selbstgefällig und mit einem Lächeln im Gesicht, immer gut gelaunt. Und so einer wird von der Straße gedrängt und an einen Betonpfeiler gedrückt! Nie im Leben. Den wollte jemand loswerden. Da geh ich jede Wette ein.

Ich stellte Wasser für einen Cappuccino auf. Der Mensch wird ja so genügsam, wenn er keine Küche mehr hat. Und was ist mit solchen Männern, denen die Frauen weglaufen? Wegen irgend so einem Kerl, dem im Leben alles geschenkt wird? Da könnte man doch ausrasten. Vor allem auf dem Land sind die Leute in Glaubenssachen nicht so tolerant. Liebe, Treue, das ist Sache des Glaubens. Wenn er ihr nun aber nicht mehr geglaubt hat, der Ehemann der blonden Beifahrerin? Es war alles hypothetisch, aber so könnte es durchaus gewesen sein. Er hatte eine Mordswut im Bauch, hat die beiden verfolgt und abgedrängt. Er sah rot, wollte sich einfach rächen; und jetzt saß er vielleicht zu Hause und heulte sich die Augen aus dem Kopf, weil er es nicht mehr ungeschehen machen konnte.

„Klara, das ist ausgezeichnet. Mit dieser These findest du den Täter, stellst ihn wegen Totschlag und Fahrerflucht vor Gericht und beweist nebenbei auch noch, dass Harry Kaufmann ein Schwein war, wie alle Männer!“

Eigentlich brauchte ich nur die Beerdigung abzuwarten, und schon konnte ich zuschlagen. Ich schob die Cappuccinotasse zur Seite, nahm mir ein Blatt Papier und begann meine Fallanalyse zu erstellen.

23. Szene
Magdalena

Es war schon nach drei, als ich die Kaffeeküche betrat. Außer Jutta, die wieder mit ihrem Pendel hantierte, war niemand da. Ich nahm mir eine Tasse und fragte sie, ob ich ihr auch einschenken solle. Sie legte ihr Pendel in die linke Hand und umschloss es zärtlich, dann erst kam sie zu mir herüber. „Hast du den Chef heute schon gesehen?“

„Nein“, gab ich zu, obwohl das eigentlich merkwürdig war.

„Er hat ziemlich schlechte Laune. Ich hab das Gefühl, dass er unter Druck steht, und wüsste zu gerne warum, du nicht?“

Ich zuckte mit den Schultern. Stella hatte so etwas erwähnt, aber wenn Jutta es nicht wusste, wer dann? Sie war die Seele der Firma, hatte schon beim Seniorchef gearbeitet und miterlebt, wie der junge Wirtmeir den Betrieb übernahm.

„Ich habe das Pendel schon gefragt, aber es will mir keine Antwort geben. Wahrscheinlich bin ich zu aufgeregt und verwirre es“, gestand sie mir freimütig und öffnete vorsichtig die linke Hand.

Ach, Jutta, dachte ich, warum musst du nur immer an so einen Quatsch glauben? Jutta trat vor das kleine Waschbecken und ließ kaltes Wasser über ihre linke Hand laufen.

„Glaubst du, es ist ihm zu heiß geworden?“, spöttelte ich.

„Ich reinige es von negativen Strahlen, die hier überall herumschwirren“, belehrte sie mich, während sie es vorsichtig abtrocknete. Ich trank meinen Kaffee aus und ging. Vielleicht war sie ja morgen besser drauf. „Hat der Chef Probleme zu Hause?“, war die letzte Frage, die ich hörte.

24. Szene
Klara

Obermüller kam herein. Er erzählte, dass der Obduktionsbericht am nächsten Tag mit der Post käme und die Leiche für die Beerdigung am Donnerstag freigegeben sei. Die Familie habe gedrängt, sei ja auch verständlich, schließlich müssten sie den Wahlkampf durchstehen. Also wusste er es doch!

„Wir werden den Fall zu den Akten legen, dann kommen die Angehörigen wenigstens zur Ruhe.“

Obermüller setzte sich auf meinen Besucherstuhl. „Ist das Cappuccino in der Dose!“

„Stell dir vor!“

„Ob du mir wohl einen machst? Ich bin ziemlich am Ende, war kein schöner Anblick. Ich glaube, bei dem Jungen war kein einziger Knochen mehr heil.“ Ich stand auf - ausnahmsweise!

„Er hatte noch nicht einmal die Spur einer Chance!“

„Glaubst du denn, Harry Kaufmann hatte eine Chance?“ Ich rührte in der Tasse und stellte sie ihm auf den kleinen Tisch neben dem Stuhl. „Ich meine, wer hat denn überhaupt eine Chance, wenn es so schlimm kracht!“

Obermüller trank langsam. „Na ja, er hätte zumindest bremsen können, aber der Junge, der war schon platt, bevor er begriff, was eigentlich los war!“

Nachdenklich blieb ich neben dem Wasserkocher stehen. Das stimmte natürlich, bremsen hätte er können. Er schien doch sonst so raffiniert zu sein.

25. Szene
Magdalena

In meinem Briefkasten lagen etliche Briefe. Man schrieb mir von Hoffnung und Gnade und wünschte mir ein schnelles Vergessen. Wollte ich das? Ich las und legte sie achtlos beiseite, als einer meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Er stammte vom Auktionshaus Franziskus in München. Harry und ich waren vor einem Jahr dort gewesen, um an einer Versteigerung teilzunehmen. Harry schwärmte von alten Waffen und hatte schon eine kleine Sammlung im Tresor, und auch für mich war es ein unvergessliches Erlebnis. Vor der Versteigerung hatten wir alte Vorderlader, Steinschlossflinten, Schwarzpulverflaschen, antike Messer, angerostete Degen, an denen noch das Blut vergangener Duelle zu kleben schien, Pistolen und Revolver, Schilde und sogar ein paar echte Ritterrüstungen besichtigt. Ich faltete das Blatt auseinander und wunderte mich!

 

Harry wollte sich von seinen Waffen trennen, so stand es da schwarz auf weiß. Warum? Ich meine, klar, nun konnte er sie ja nicht mehr gebrauchen, es gibt keine Taschen im letzten Hemd, aber laut Brief hatte er sie bereits vor Wochen persönlich hingebracht, und das war mehr als merkwürdig. Die Veranstaltung sollte am Mittwoch, den 28. August stattfinden. Nächste Woche.

Einer Eingebung folgend ging ich ins Schlafzimmer, öffnete den Tresor und sah, dass er tatsächlich leer war. Der Brief fiel aus meinen Händen, auch mein geliebter Schmuck war weg. Ein Rubinarmband, das ich von meiner Großmutter geerbt hatte, und eine schlichte goldene Kette, ein Geschenk meines Vaters zum 13. Geburtstag. Meine Mutter hatte sich damals furchtbar aufgeregt, weil mein Vater mir ein so teures Geschenk machte. Sie war der Meinung, ich könne es gar nicht richtig einschätzen. Aber da hatte sie sich geirrt. Außerdem war es die letzte Erinnerung an meinen Vater, danach löste er sich in Nebel auf.

Ich bückte mich und las den Brief noch einmal Zeile für Zeile. Nein, mein Schmuck wurde mit keiner Silbe erwähnt. Also begann ich zu suchen. In unserer Wohnung gab es viele Plätze, an denen sich ein Schmuckkästchen abstellen ließ. Ich musste logisch vorgehen. Durcheinander war ich nur wegen den Waffen. Warum wollte Harry sie hergeben? Er hatte sie geliebt!

Seine Firma war eine tolle Sache. Nachdem er die Regensburger Firma Top Ten verlassen hatte, hätte ich nie geglaubt, dass sie einmal so gut gehen würde. Ich stand vor dem großen Esstisch und schaute auf die massive Platte aus dunklem Nussholz. Hier hatte er auf seinem Notebook die Programme geschrieben, hatte mit verschiedenen Firmen telefoniert und sie beworben, bis er endlich den ersten Auftrag in der Tasche hatte. Den ersten eigenen Auftrag! Und dann war alles ganz schnell gegangen, zu schnell, denn jetzt brauchte er Leute, die ihm halfen. Die Blonde – ja, auch wenn sie blond war, er brauchte sie, sonst hätte er sich kaputt gemacht!

Während ich sämtliche Pullover zur Seite schob, unter jeden Stapel und in jede Jackentasche fasste, gewissenhaft meine Strümpfe aus- und wieder einräumte, in jeder Handtasche nachschaute und sogar hinter den Fernsehschrank kroch, dachte ich voller Mitgefühl an Harry. Er hatte sich so in seine Arbeit hinein gekniet, war allem Anschein nach sogar bereit, seine Waffen zu verkaufen, nur um sein Ziel zu erreichen, wollte hoch und noch höher steigen. „Software ist aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken, und je dümmer die Benutzer sind, desto intelligenter muss das Programm sein!“

Gern hörte ich Harry zu, wenn er erzählte und auch jetzt hätte ich viel darum gegeben, wenn er mir hätte sagen können, wo mein Schmuck geblieben war. Weder zwischen dem Geschirr noch in einem der Töpfe oder der Besteckschublade wurde ich fündig.

Resigniert setzte ich mich in einen Sessel und schloss für lange Zeit die Augen. Der strahlende Tag war einer wolkenlosen Nacht gewichen und mein Magen machte sich angesichts heftiger Vernachlässigung drauf und dran auszuwandern. Mühsam stand ich auf und öffnete den Kühlschrank. Doch nichts von dem, was ich sah, konnte mich wirklich reizen. Immerhin war der Hunger ein tatsächlicher Schmerz, und dann dachte ich doch wieder an Harry, er hatte es hinter sich. Mein Mitgefühl galt mir. Es troff aus allen Nähten und die Versuchung, mit Harrys Pulli im Arm einfach loszuheulen, war groß! Nur satt machte es nicht.

Mittwoch 21.8.
26. Szene
Magdalena

Der nächste Morgen war drückend. Mein Nachthemd klebte unangenehm an meinem Körper und fühlte sich an, als ob ich durch einen Regenguss gelaufen wäre. Ich zitterte und fror trotz sommerlichen Wetters und hing noch immer in meinem letzten Traum fest, dessen Botschaft ich verzweifelt zu verstehen versuchte. Harry hatte mich hintergangen!

Durch die Vorhänge sah ich das erste Licht des Tages. Es ist alles gut, es ist alles gut! Unbewusst lullte ich mich mit dieser monotonen Phrase ein. Ich zog mein Nachthemd über den Kopf, warf es zu Harrys Kratzbürste und wendete die Decke.

Um acht rief ich in der Firma an und meldete mich krank. Jeder hätte vermutlich Verständnis für meinen Wunsch nach Ruhe gehabt, nur Jutta nicht. Sie bestand darauf, sofort vorbeizukommen und mich ein wenig zu bemuttern. Im ersten Moment sah ich lauter okkulte Auswüchse durch meine Wohnung tanzen, doch dann fühlte ich mich durch ihren Besuch wenigstens dazu gezwungen, nicht andauernd Trübsal zu blasen. Ich stellte mich unter die Dusche, erst heiß, dann kalt, und holte meinen Körper ins Leben zurück.

Noch bevor Jutta klingelte, war der Kaffee fertig. Wir tranken und redeten, über unseren schönen Chef und seine Launen, und darüber, dass er, wie Jutta glaubte, vielleicht etwas mit einem der Mädchen hätte.

Hellhörig schaute ich auf. „Stella?“, fragte ich, ohne zu überlegen, weil sie eigentlich die einzige war, der ich so etwas zutrauen würde.

„Stella?“ Jutta grübelte. „Nein, das glaub ich nicht, obwohl ich von Anfang an wusste, dass Stella nichts als Ärger machen würde!“

Jutta und ihre Befürchtungen. Ich schenkte uns eine zweite Tasse Kaffee ein und schaute sie abwartend an.

„Wie kommst du darauf? Gefällt dir ihre Nase nicht?“

„Ach was“, brummte Jutta, „sie ist die dreizehnte in unserer Abteilung und das bringt nun mal Unglück.

„Jutta, das ist doch Blödsinn!“

Aber so leicht ließ sich Jutta nicht von ihrer Behauptung abbringen. Über den Rand ihrer Brille hinweg sah sie mich ernst und weise an. „Immerhin gab es viele berühmte Männer, die daran glaubten. Napoleon zum Beispiel, zog an einem Dreizehnten in keine Schlacht, und Bismarck unterzeichnete keinen Vertrag, und Heinz Wirtmeir hätte gut daran getan, diese Stella nicht einzustellen, sie ist sein Verderben!“

Stella war ein Problem, weil sie alles hatte. Tolle Haare, ein liebliches Gesicht mit einer Nase wie aus Meissner Porzellan, eine schöne Haut und vor allem eine tolle Figur! Nur war unser Chef viel zu gerissen, sich an eine wie Stella heranzumachen. Die wäre im Stande und würde sich bei seiner Frau beschweren, weil die Knöpfe an seinen Hemden zu groß sind und sie sich immer ihre Fingernägel daran abbricht. Das sagte ich Jutta, und Jutta konnte es nur bestätigen, außerdem würde er sich keinen hausgemachten Skandal in die Firma holen.

„Warum sollte unser Chef überhaupt eine Geliebte haben?“

„Weil ich ihm Karten für diese Sexmesse am kleinen Exerzierplatz samt Liveauftritten besorgen musste, und eines weiß ich ganz sicher, seine Frau würde da niemals mit ihm hingehen!“

Mir gefiel der Gedanke, doch Jutta wechselte das Thema. „Hast du dir für morgen schon alles hergerichtet?“, fragte sie ungemütlich.

„Für morgen?“

„Die Beerdigung, du solltest für diesen Tag gut gerüstet sein!“

Harrys Beerdigung. Ich versuchte nicht daran zu denken. Jutta meinte mit alles hergerichtet meine Kleidung, mein korrektes Auftreten sozusagen, als ob das jemand interessieren würde.

„Du musst auf jeden Fall etwas Schwarzes mit einem möglichst langen Rock anziehen und einen Hut mit Schleier aufsetzen. Hast du so was?“

Natürlich hatte ich schwarze Sachen, was für eine Frage, ich hatte alles, was schwarz, edel und schick war. Harry stand ja auf so was, und ein schwarzes Kostüm hatte ich natürlich auch, obwohl Harry mein schwarzes Kleid, in dem wir uns kennen gelernt hatten, sicher bevorzugen würde.

„Was soll ich mit einem Hut, ich trage nie Hüte, sie passen nicht zu mir!“ Angestrengt versuchte ich mir dabei vorzustellen, dass es sich bei unserem Gespräch um so etwas wie die Reparatur der Gemeinschafts-Waschmaschine im Keller handelte.

„Die schwarzen Sachen schützen dich vor dem Geist des Verstorbenen!“, erklärte Jutta feierlich.

„Du meinst, Harry würde in mich fahren, wenn ich Weiß trage?“ Ich stellte mir das Ganze bildlich vor. Harry und ich in meinem Körper vereint. Nun ja, das wäre vielleicht ein bisschen eng, andererseits hätte ich ihn dann wenigstens bei mir und bräuchte den kratzigen, braunen Pulli nicht mehr.

Dann erzählte sie mir, wieso man am Grab Kerzen aufstellt - sie sollten den Toten vor bösen Geistern schützen -, und dass es Sitte sei, einen Toten mit den Füßen voran aus dem Haus zu tragen, damit er nicht mehr zurückkomme. Ich überlegte angestrengt, ob mein Körper im Falle einer Geistereinnistung wohl männliche Züge annehmen würde und ob ich mich dann künftig rasieren müsste.

27. Szene
Klara

Obermüller kam an diesem Tag etwas später zum Dienst, dafür sah er aber auch wieder besser aus. Vermutlich hatte er seine Betroffenheit im Hemingway´s ertränkt. „Ich nehme alles zurück, der Tote vom Freitag hatte genauso wenig Chancen zu bremsen wie der Junge gestern!“

Verblüfft sah ich ihn an. Obermüller hatte es bisher noch nie geschafft, mich zu verblüffen. „Wie das?“

Er wedelte mit dem Bericht vor meiner Nase herum und ließ ihn dann elegant auf meinen Schreibtisch gleiten.

„Hier!“ Obermüller deutete auf eine Stelle, die gelb markiert war. „Der Kerl war randvoll mit Diazepam.“

Im ersten Moment dachte ich, so einer war dieser Harry Kaufmann also, aber dann fiel mir ein, dass er ja zu einer Verabredung wollte. Obermüller sah, wie ich litt und lächelte schwach. „Du kannst ihn behalten, es ist eine Kopie!“

Ich dankte ihm und begann von vorne zu lesen. Dann rief ich in der Gerichtsmedizin in München an und fragte, wie ich mir das alles vorzustellen hätte.

„Kennen Sie Silvester Stallone?“, fragte der Doktor statt einer Antwort.

„Ja, doch.“ Wer kannte den nicht?

„In einem Interview sagte er einmal: mein Körper ist mein Tempel! Genau so müssen sie sich das bei unserem Freund vorstellen. Er war kerngesund und durchtrainiert, außen und innen ohne Makel!“

„Sie meinen, er war nicht der Typ, der sich ruhig stellte?“

„Zumindest habe ich dafür keinerlei Anhaltspunkte gefunden.“

„Okay, das hab ich verstanden, aber wie ist das mit seinen Händen?“

„Das ist eigentlich ganz einfach. Wir wissen, dass er der Fahrer war, aber seine Hände lagen ganz entspannt in seinem Schoß, als es krachte, und da er auch nicht angegurtet war, flog er ungebremst gegen das Lenkrad!“