Marionette des Teufels

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„Rigoletto! Das ist die Oper von Giuseppe Verdi schlechthin. Mit ihr hat er seinen Weltruhm begründet. Eine wunderbare Oper, ein faszinierendes musikalisches Drama. Absurdes Theater. Einfach herrlich!“ Auf Schaffroths Gesicht breitete sich eine begeisterte Röte aus.

„Und um was geht‘s?“

Schaffroth hatte die Treppe erreicht und erzählte, während er langsam hinunterging. „Um einen missgestalteten Opernhelden, der einen Sack hinter sich her schleift, in dem sich, ohne dass er es ahnt, seine sterbende Tochter befindet. Es ist eine typische Dreiecksgeschichte, die den Gesetzen der italienischen Nummernoper entspricht. Ein Tenor liebt einen Sopran, solange bis ein Bariton etwas dagegen hat.“

„Und Frau Weberknecht sang den Sopran?“

„Ja, die Gilda. Ihr Vater, Rigoletto, ist der bucklige Hofnarr des Herzogs von Mantua – ein notorischer Frauenheld, der gehörnte Ehemänner und entsetzte Väter mit beißendem Spott überzieht. Er treibt es so schlimm, dass selbst die Höflinge genug von ihm haben und beschließen, ihm einen Denkzettel zu verpassen. Da kommt ihnen Gilda, die Tochter Rigolettos, die sich der Herzog als neueste Eroberung ausgesucht hat, gerade recht. Rigoletto, der für seinen Herrn eigentlich die Gräfin Ceprano entführen wollte, beteiligt sich unwissentlich an der Entführung der eigenen Tochter. Als er erfährt, dass sie sich in den Herzog verliebt hat, will er sie in Männerkleidung fortschicken und den Herzog von einem Meuchelmörder umbringen lassen. Rigoletto behandelt Gilda, die längst zu einer lebenshungrigen Frau geworden ist, wie ein Kleinkind. Als sie erfährt, dass der Geliebte getötet werden soll, opfert sie sich für ihn, wird tödlich verletzt und landet in dem Sack, den Rigoletto übergeben bekommt. Erst als er die Stimme des Herzogs hört, öffnet er den Sack und entdeckt Gilda darin. Am Ende stirbt seine Tochter in seinen Armen.“

„Das ist ja furchtbar!“

„Das ist die Oper! Übrigens bin ich mir sicher, dass Sie den einen oder anderen Opernhit des Herzogs von Mantua ohnehin kennen.“ Gleich darauf erhob Schaffroth seine Stimme und sang: „La donna è mobile qual piuma al vento, muta d‘accento e di pensiero. Sempre un amabile, leggiadro viso, in pianto o in riso, è menzognero.“

„Aus der Pizzawerbung?“, fragte Franziska fasziniert.

„Aus dem Rigoletto!“, antwortete Schaffroth voller Stolz.

„Ja, sehr schön“, mischte sich Hannes ein wenig unwirsch in die Darbietung ein. „Und wer hat jetzt alles mit Frau Weberknecht zusammengearbeitet?“

„Einen Moment, bitte.“ Der Verwaltungsdirektor räusperte sich, ging zu einem Pult neben dem schwarzen Vorhang, der die Hauptbühne abgrenzte, und drückte einige Knöpfe, bevor er in ein Mikrofon sprach: „Bitte das gesamte Ensemble zu einer Besprechung auf die Bühne.“

Kurz darauf öffnete sich die Tür zur Hinterbühne und etliche Männer und Frauen strömten herein, um sich zwischen den Kulissen niederzulassen. Als Schaffroth den erstaunten Blick der Oberkommissarin sah, erklärte er. „Über das Inspizientenpult werden während der Aufführung Sänger, Chor, Techniker und Kulissen eingerufen. In jedem Raum hängen extra Lautsprecher.“

„Hey, ich bin Carlos.“ Der kräftige junge Mann, der erst jetzt hinzukam, nickte den Kommissaren zu und gesellte sich zu den anderen.

„Carlos singt den Herzog von Mantua“, flüsterte Schaffroth den beiden zu.

„Tenor?“, wollte Hannes wissen.

„Respekt, Herr Kommissar, Sie kennen sich aus!“

„Ich bin Franziska Steinbacher von der Mordkommission Passau und das ist mein Kollege Johannes Hollermann“, stellte Franziska sie dem Ensemble vor. „Wir ermitteln im Todesfall Sophia Weberknecht und möchten Ihnen gerne ein paar Fragen stellen.“

„Sie ermitteln bei uns? Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass einer von uns Sophia etwas angetan hat?“

„Wir sind Sänger, wir inszenieren einen Mord auf der Bühne, aber doch nicht in echt!“

„Wie ist sie denn eigentlich gestorben?“, fragte schließlich eine der Frauen, die sie schon zu Beginn auf der Bühne gesehen hatten, mit dunkler Stimme. Sie hatte eine sehr weibliche Figur mit üppigen Rundungen, wie Hannes entzückt feststellte.

„Das ist Katharina Eschenbacher, sie singt die Maddalena. Mezzosopran“, flüsterte Schaffroth erneut.

„Sie wurde in ihrer Wohnung erschlagen“, antwortete Franziska ungeachtet seiner Eingaben. Ein Raunen ging durch den Raum und es dauerte, bis sich alle wieder beruhigt hatten.

„Wir müssen davon ausgehen, dass sie ihren Mörder kannte.“ Wieder stieg der Geräuschpegel beachtlich. Die Akustik war wirklich sehr gut.

„Wer von Ihnen hat sie denn näher gekannt? Wer kann mir etwas über ihr Leben erzählen, über ihren Umgang, ihre Freunde? Was hat sie gemacht, wenn sie nicht auf der Bühne stand?

„Geprobt vermutlich“, spekulierte Carlos laut und quittierte seine Aussage mit einem schelmischen Lächeln. Franziska warf schnell einen Blick zu Schaffroth, aber der schien gar nichts sagen zu wollen.

„Nein, wirklich, sie hat ständig geprobt und an sich gearbeitet. Hatte für nichts und niemand Zeit. Wenn überhaupt, dann kannte Sweta sie näher, die hat sie mal nach Krumau eingeladen.“ Es war erneut Carlos, der sich zu einer Aussage hinreißen ließ und dabei ein paar Schritte auf Franziska zuging. „Aber sonst wüsste ich niemanden. Ich bin mir gar nicht sicher, ob Sophia überhaupt Freunde hatte oder brauchte. Ich glaube, die war sich selbst genug.“ Franziska musterte den Sänger: Seine Stimme war wirklich schön und zudem hatte er ein weiches, freundliches Gesicht. So unschuldig, wie es sich für einen Verführer auf der Bühne eben gehörte. Er mochte Ende zwanzig sein. Ob das jetzt auch eine Rolle war, die er ihr vorspielte?

„Was ist denn mit Walter?“, fragte eine zierliche junge Frau in Jogginghosen und knappem T-Shirt, woraufhin sich Carlos erstaunlich schnell zu ihr umdrehte.

„Walter? Bist du verrückt! Der wollte sie doch auch nur für eine schnelle Nummer, wie alle anderen, die er gemalt hat!“

„Wer ist Walter?“ Franziska blickte sich suchend um, aber niemand meldete sich.

„Unser Bühnenbildner. Ein verkannter Künstler.“ Die Stimme der Eschenbacher klang sehr erotisch. „Nein, im Ernst. Zurzeit bereitet er eine Ausstellung vor. Wird bestimmt ganz spektakulär.“

„Ist er denn so gut?“

„Kommt ganz drauf an.“

„Auf was?“ Die junge Kommissarin war sich sicher, dass sie Insiderwissen brauchen würde, um diesen Dialog zu verstehen.

„Ob man auf seine Fantasien steht.“

„Jetzt sag es ihr schon“, mischte sich die junge Frau in der Jogginghose mit kecker Stimme ein und die Eschenbacher ging ein paar Schritte vor, bis sie direkt vor Franziska stand und ihr in einem vertraulichen Ton erklärte. „Er zeichnet 85 Frauenakte. Aber bevor er sich ans Malen macht, geht er mit ihnen ins Bett. Walter sagt, wenn er die Frauen zuerst richtig durchvögelt, dann lassen sie sich anschließend besser zeichnen.“

„Das stimmt so nicht. Walter behauptet, es sei der Flash nach dem gelungenen Höhepunkt, der die Frauen so unwiderstehlich schön machen würde, und die, die es ihm glauben, gehen mit ihm ins Bett.“ Carlos hatte sich zu den beiden Frauen gesellt. „Aber so wie es aussieht, wollte Sophia nicht. Weder aus dem einen noch aus dem anderen Grund. Vielleicht war sie ja frigide?“

Irritiert über diese offene Diffamierung sah Franziska von einem zum anderen.

„Wie sieht er denn aus, dieser Walter?“

„Interesse?“ Die Eschenbacher musterte sie spöttisch.

Franziska errötete, hatte sich jedoch gleich wieder im Griff.

„Nein, aber ich wüsste gern, ob er der letzte Besucher von Sophia Weberknecht gewesen sein könnte. Es liegen Zeugenaussagen vor.“

„Also, im Grunde ist Walter nichts Besonderes. Ich meine, man fragt sich, warum ihm alle Frauen zu Füßen liegen, aber vielleicht gehen Sie einfach mal bei ihm vorbei.“ Schaffroth hatte sich ins Gespräch eingemischt, versuchte die erhitzten Gemüter zu besänftigen und warf jetzt einen Blick auf seine Uhr, „Es könnte durchaus sein, dass Sie ihn draußen in Maierhof in der Werkstatt antreffen. Dort werden unsere Bühnenbilder gemacht und er hat da eine kleine Wohnung.“

„Und Sie haben sich alle supergut mit Frau Weberknecht verstanden?“, wandte sich Franziska wieder an die gesamte Truppe und dachte an das, was sie ihr gegenüber ausgeplaudert hatten. Wer weiß, was sie besprachen, wenn sie allein waren.

„Na ja, natürlich gab es hier und da mal ein paar Unstimmigkeiten, aber deshalb bringt man doch niemand um, oder?“ „Nein, natürlich nicht. Aber Frau Weberknecht ist tot und irgendjemand hat sie umgebracht. Ich gebe Ihnen jetzt meine Karte, vielleicht fällt Ihnen ja noch etwas ein. Dann melden Sie sich bitte bei mir.“

***

„Sag mal, Hannes, kennst du dich etwa mit der Oper aus?“

„Was heißt auskennen? Ich habe mal im Chor gesungen.“

„Wie? Hier im Theater?“

„Nein, im Kirchenchor.“

„Ach, das hast du mir ja gar nicht erzählt. Als Tenor?“

„Das war als Kind.“ „Ach so. Du, die Eschenbacher hat eine tolle Stimme, findest du nicht?“

„Doch, überhaupt scheint das eine tolle Truppe zu sein. Ich fand sie alle sehr sympathisch – impulsiv, aber sehr nett.“

„Ich bin ganz schön gespannt auf diesen Walter.“ Franziska warf einen kurzen Blick auf das Navi und fuhr dann über die Josef-Strauß-Brücke.

„Reizt er dich?“

Ohne darauf einzugehen sagte Franziska: „Wäre doch interessant zu wissen, wer von den Damen diesem vermeintlichen Lüstling erlegen ist. Ich meine, die sprachen immer nur von anderen Frauen, aber wenn er es angeblich auf Sophia Weberknecht abgesehen hatte, dann hat er es ja vielleicht auch bei der Eschenbacher probiert.“

 

„Wir sind hier im Blumenparadies gelandet: Tulpenstraße, Geranienweg …“, zählte Hannes auf, während er bereits nach dem richtigen Gebäude Ausschau hielt.

Franziska sah sich interessiert um. Noch immer kannte sie nicht alle Winkel von Passau.

„Nein, das muss noch weiter vorn sein. Hinter der Tankstelle hat Schaffroth gesagt. Schau, da vorne steht ein Lastwagen vom Theater.“

Franziska kreuzte die Bundesstraße und parkte direkt hinter dem Theaterlastwagen. Nachdem sie die zehn Stufen der Metalltreppe hinaufgestiegen waren, klingelte Hannes an der einzigen Haustür neben der Lkw-Rampe. Aber auch nach mehreren Versuchen wurde ihnen nicht geöffnet.

„Weißt du was, wir sollten uns jeden Einzelnen morgen noch einmal in Ruhe vornehmen. Dann sehen wir auch eher, ob die uns nur was vorspielen oder ob wirklich keiner was weiß. Wenn Frau Weberknecht seit einiger Zeit Probleme hatte, dann hat sie doch bestimmt auch mit den anderen darüber geredet und nicht nur mit Schaffroth.“ Franziska nickte. Je länger sie darüber nachdachte, desto wahrscheinlicher schien ihr ihre Idee. „Na, und wenn nicht, dann haben sie ja vielleicht wenigstens etwas gemerkt und wollten das heute einfach nicht sagen. Ich hatte nämlich das Gefühl, da wollte jeder ein bisschen cooler sein als der andere.“

***

Nachdem er die Steinstufen vor dem Haus hinuntergegangen war, blieb Hauptkommissar Brauser für einen Moment am Gartenzaun stehen. Die ganze Zeit schon hatte er sich gefragt, wie die beiden das alles so ruhig aufnehmen konnten, warum sie nicht tobten und mit ihm schimpften. Warum sie nicht gefordert hatten, dass er ihnen ihre Tochter wiederbrachte. Natürlich konnte er das nicht tun, es gab kein Zurück mehr. Brauser warf einen Blick zum Haus, doch es schien wie ausgestorben.

Langsam schlüpfte er in seine Jacke, die er noch immer in der Hand hielt, und dachte dabei an die beiden Alten. Ja, es wäre leichter für ihn gewesen, wenn sie getobt hätten. So aber stand er am Gartenzaun, zog seine Jacke enger an sich und spürte, wie ihre Trauer allmählich auf ihn überging, und es schien ihm auf einmal, als könne er sie nie mehr ablegen.

Mit langsamen Schritten verließ er das Grundstück.

Das Haus lag am Rande des Gewerbegebietes. Alles flach rundherum, sehr ruhig und deshalb für ältere Herrschaften ein idealer Ort. Für eine Heranwachsende dagegen war es viel zu einsam. Kein Wunder, dass sie weg wollte. Kein Wunder, dass sie nicht auch noch als Erwachsene im elterlichen Betrieb bleiben wollte, wie die Eltern erzählt hatten.

Die Straße war schmal, gegenüber standen zwei weitere Häuser. Sie waren kleiner als das Weberknecht’sche Anwesen und schlichter. Links davon schloss eine große Wiese an, auf der Pferde friedlich auf einer Koppel grasten, dahinter begann ein Wald, der über einen gesandeten Weg gut erreichbar schien. Vielleicht hatte eines der Pferde Sophia gehört, überlegte Brauser, schließlich träumten doch alle Mädchen von einem eigenen Pferd. Ohne zu überlegen ging er auf die Häuser zu. Er würde einfach klingeln und fragen, und wenn er Glück hatte, dann hatten die Bewohner sie gekannt und konnten ihm erzählen, warum Sophia so geworden war. Als er vor dem ersten Briefkasten stand, las er den Namen Chr. Sundhofer. Brauser klingelte beherzt, doch als nach dem zweiten Klingeln immer noch niemand öffnete, ging er zur nächsten Haustür, um dort sein Glück zu versuchen. Er wollte gerade auf die Klingel von Familie Horwitz drücken, da öffnete sich die Haustür und ein etwa zweijähriger Junge erschien, gefolgt von einer brünetten jungen Frau in Jeans, Laufschuhen und einem wattierten Anorak. Ihre Hände schoben einen geländegängigen Kinderwagen. Als die junge Frau Brauser entdeckte, rief sie den Jungen zurück und fragte irritiert: „Wer sind Sie?“

Der Kommissar konnte sich beim Anblick des quengelnden Jungen eines Lächelns nicht erwehren. Er zog seinen Ausweis aus der Tasche und stellte sich vor. „Hauptkommissar Berthold Brauser von der Kripo Passau. Ich würde Ihnen gerne ein paar Fragen stellen.“

„Ja, wenn es schnell geht. Ich hab nämlich Max versprochen zum Spielplatz zu gehen und jetzt ist er nicht mehr zu halten.“ Sie sah den Kommissar an, überlegte kurz und forderte dann: „Kommen Sie doch mit!“

Brauser sah auf die Uhr und nickte. Warum auch nicht? Ihm blieb genug Zeit, denn wenn er jetzt zurückfuhr, würde er ohnehin nur im Berufsverkehr stecken.

„Ich bin übrigens Anne Horwitz. Der Spielplatz ist gleich da hinten, am Waldrand.“ Sie deutete auf die Waldlichtung hinter der Pferdekoppel.

Der Sand knirschte unter den großen Gummirädern des Kinderwagens, in dem Philipp, der kleine Bruder von Max, friedlich schlief.

„Wie lange wohnen Sie schon hier?“, fragte Brauser und sah dabei über die Schulter zurück zum Haus der Familie Horwitz.

„Eigentlich schon immer. Als ich vor vier Jahren geheiratet habe, bin ich einfach geblieben. Man könnte auch sagen: übrig geblieben.“ Sie lachte, weil es ein bisschen resigniert klang. „Mit den Kindern fand ich es praktisch, denn ich muss mir hier nicht so viele Sorgen wegen des Verkehrs machen. Für meinen Mann ist es nicht ganz so gut. Er fährt jeden Morgen eine gute Stunde zur Arbeit, aber noch lohnt es sich.“

Im Laufschritt hatte Max die Lichtung mit dem Spielplatz erreicht und stürmte die Leiter zur Rutschbahn hinauf. Brauser blieb bei diesem Unterfangen fast das Herz stehen, doch seine Mutter schien daran gewöhnt. Außer der Rutschbahn gab es noch ein Spielhäuschen, eine Wippe, zwei Balancierbalken, eine Schaukel mit Gummireifen, einen Streetballkorb und mehrere Bänke. Zu einer davon steuerte Anne Horwitz den Kinderwagen und setzte sich, während sie darauf wartete, dass Brauser ihr folgte.

Doch der Kommissar drehte erst einmal eine Runde und sah sich die Spielgeräte näher an, bevor er sich ebenfalls auf die Bank setzte. Es war alles in einem Topzustand. „Den meisten Kommunen fehlt für so etwas das Geld“, bemerkte er nach einem weiteren Blick.

„Den haben die Weberknechts bauen lassen. Für ihre Tochter Sophia. Sie wuchs als Einzelkind auf und war der ganze Stolz der Eltern. Und damit sie mit anderen zusammenspielen konnte, baute der Vater kurzerhand diesen Spielplatz. Er war immer ein Magnet für Mütter und Kinder aus der ganzen Gegend und er wird jedes Jahr im Frühjahr überholt.“ Brauser holte ein Foto von Sophia aus seiner Jackentasche und hielt es Anne Horwitz entgegen. „Dann kennen Sie Sophia Weberknecht gut?“

„Ja, klar! Wir kennen uns aus dem Sandkasten, waren später zusammen auf dem Gymnasium. Erst seit ich geheiratet habe und die beiden Jungs da sind, sehen wir uns kaum noch. Sie machte Karriere und ich bin Hausfrau. Schade, eigentlich. Es war immer ziemlich praktisch für mich, mit Sophia befreundet zu sein. Warum fragen Sie?“

„Sophia Weberknecht ist tot.“

Die eben noch lächelnde junge Frau schlug beide Hände vor den Mund und sah an Brauser vorbei, um ihm nicht ins Gesicht blicken zu müssen. „Sie ist tot“, flüsterte sie hinter ihren Händen und schüttelte langsam den Kopf. „Wie, ich meine, woran ist sie gestorben?“ Sie blickte dem Kommissar direkt in die Augen.

„Sie wurde in ihrer Wohnung erschlagen.“

„Das ist ja schrecklich!“

Brauser hob bedauernd die Schultern und fragte: „Wann haben Sie sie denn zum letzten Mal gesehen?“

Anne sah zum Sandkasten hinüber, bevor sie antwortete.

„Oh, das ist lange her. Sie kommt ja auch nur noch ganz selten nach Hause und bei ihrem letzten Besuch war ich gerade im Krankenhaus zur Entbindung von Philipp.“

Mit einem schnellen Blick vergewisserte sie sich, dass es dem Baby gut ging, bevor sie sich wieder dem Kommissar zuwandte.

„Warum?“ Sie legte ihren ganzen Schmerz, ihre ganze Fassungslosigkeit in dieses eine Wort.

Brauser schüttelte voller Bedauern seinen Kopf und ließ ihr Zeit, bevor er weiterfragte. „Wie war Sophia? Erzählen Sie mir von ihr.“

„Sophia? Die ist eine richtige Träumerin. Na ja, sie kann sich das ja auch leisten. Ich meine, ihre Eltern haben richtig Kohle, und wenn sie etwas wollte, dann bekam sie das auch. Meistens.“

„Meistens?“

„Ja, wirklich. Außer den Roller, der war ihrem Vater einfach zu gefährlich, und ihre Mutter hat sie ja ohnehin immer gefahren. Tja, seit ich selbst Kinder habe, verstehe ich das auch viel besser.“

„Hatte Sophia viele Freunde?“

„Oh ja, sie war schon immer sehr umschwärmt. Die Jungs lagen ihr zu Füßen, so wie heute die Männer, aber Sophia ist sehr wählerisch.“ Die junge Frau begann auf ihrem linken Daumennagel herumzubeißen und dabei schien sie in Gedanken um Jahre zurückzureisen.

„Sie haben eben gesagt, dass es recht praktisch für Sie war, mit ihr befreundet zu sein, wie haben Sie das gemeint?“ Sie wollte schon zu einer Antwort ansetzen, als der kleine Max mit viel Geschrei zu ihnen herübergelaufen kam. Anscheinend langweilte ihn das Rutschen.

„Schau mal, Mäxchen, ich hab deinen Eimer dabei!“ Anne Horwitz bückte sich und holte aus dem unteren Ablagekorb des Kinderwagens einen kleinen Eimer mit Schaufel und Sieb. Der Kommissar sah ihm lächelnd hinterher, als er zufrieden davontrottete.

Anne Horwitz fuhr fort. „Sophia ist das einzige Kind der Weberknechts und sie wollte nicht immer so, wie die Eltern. Darum haben sie mich oft mitgenommen, morgens in die Schule, abends zum Essengehen oder ins Kino. Natürlich habe ich mich immer besonders gut benommen.“ Lächelnd strich sie sich eine Strähne ihrer dunklen Haare aus dem Gesicht. „Einmal durfte ich sogar mit in den Urlaub fahren, nach Sirmione, das ist ein kleines mittelalterliches Städtchen auf einer Halbinsel im Gardasee.“ Die junge Mutter blickte in die Ferne, als läge dort der Gardasee und sie könne mit ihrem Willen die Zeit von damals zurückbringen. Brauser fand sie sehr hübsch in diesem Moment. „Die hatten dort sogar ein Thermalbad, so was habe ich vorher noch nie betreten, und unser Zimmer erst! Wir wohnten in einem ganz teuren Hotel, es war der schönste Urlaub meines Lebens. Sophia hat ständig rumgenörgelt, sie kannte es nicht anders.“

„Und dann wollte sie Sängerin werden?“ Brauser dachte an die Bilder, die im Wohnzimmer hingen. Von der Lulu, der Lucia und der Violetta.

„Ja, was sollte sie denn auch sonst machen?“

Diesen Einwurf verstand er nicht. „Wie meinen Sie das?“

„Na ja, wir gingen zusammen aufs Gymnasium, ich lernte mit ihr und half ihr, vor allem in Mathe, was ich konnte. Aber sie begriff es einfach nicht und sie war wohl auch zu faul, weil es ihr keinen Spaß machte. Nur beim Tanzen und Musizieren, da war sie eifrig. Und wenn sie sang. Ihre Mutter ging mit ihr zum Vorsingen, die Chance auf eine Karriere als gefeierter Bühnenstar hat ihren Vater dann schnell überzeugt. Bestimmt hatte er sich insgeheim ausgemalt, mit der schönen Tochter im Blitzlichtgewitter der Journalistenkameras zu stehen, der Stolz in Person. Nach dem Abi hat sie dann in Nürnberg am Meistersingerkonservatorium studiert. Sie hat wirklich Talent und sogar schon einen Preis gewonnen. Aber dafür hat sie auch wie eine Besessene geübt. Ja, dafür schon.“

Während Anne Horwitz den schulischen Werdegang von Sophia Weberknecht schilderte, war der Kommissar stutzig geworden, denn etwas kam ihm seltsam vor, doch das Klingeln seines Handys unterbrach jede weitere Überlegung. Er stand auf und ging einige Schritte davon, bevor er das Gespräch annahm. „Chef, kommen Sie heute noch ins Büro?“

Brauser sah auf seine Uhr. „Warum, gibt’s was Neues?“

„Und ob! Wallensteins Waffe wurde gefunden.“

„Mensch, Hollermann, können Sie sich nicht korrekt ausdrücken? Die Tatwaffe im Mordfall Wallenstein wurde gefunden, so muss das heißen.“

„Ja, Chef, die Tatwaffe im Mordfall Wallenstein wurde gefunden, und es handelt sich um Wallensteins Waffe.“

***