Marionette des Teufels

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Hannes parkte den Dienstwagen im Halteverbot vor dem Verwaltungstrakt des Stadttheaters, klingelte und stieg die Treppenkonstruktion aus Edelstahl hinauf in den zweiten Stock. Als er gerade den schmalen und mit unzähligen Kisten und Regalen vollgestellten Flur zum Büro einschlagen wollte, kam ihm Katharina Eschenbacher entgegen.

„Hallo, Herr Kommissar.“ Sie reichte ihm ihre kühle, feingliedrige Hand und ihre angenehme Stimme schmeichelte und neckte ihn zugleich. „Guten Morgen, Frau Eschenbacher. So früh schon zur Probe?“ Hannes zog seine Hand wieder zurück und versuchte unbeeindruckt zu bleiben, aber die Frau hatte etwas, das es einem Mann verdammt schwer machte.

„Nein, Probe ist erst um zehn, aber ich hatte etwas mit Herrn Schaffroth zu besprechen, wegen unseres Rigolettos.“ Während ihre schönen, vollen Lippen die Worte formten, unterstrichen ihre Hände deren Bedeutung und zogen Hannes in ihren Bann.

„Ah ja. Ich auch.“ Hannes überlegte, ob er sie nicht gleich an Ort und Stelle ausfragen sollte, anstatt sie später ins Büro zu bestellen, fand dann aber, dass es hier ein bisschen arg finster für ein solches Gespräch war.

„Sie wollen zu Schaffroth?“

„Ja.“ Hannes nickte.

„Er hat eine Adressenliste für Sie vorbereitet.“

„Ja, prima.“

„Haben Sie schon mit Walter gesprochen?“

„Nein, wir haben ihn noch nicht getroffen.“

„Er wird im Museum für Moderne Kunst sein und dort seine Ausstellung vorbereiten. Waren Sie dort auch schon?“

„Nein, noch nicht.“ Hannes stieg ihr Parfüm in die Nase. Sie roch genauso verlockend, wie ihre Stimme klang.

„Haben Sie schon mal eines seiner Bilder gesehen?“ Ihr fragender Blick beobachtete ihn genau.

„Ich glaube nicht“, Hannes fühlte sich ein wenig unwohl, während sie ihn unverdrossen ansah.

„Er unterschreibt nur mit seinem Vornamen. Das große „W“ Von Walter sieht aus wie eine volle Frauenbrust, können Sie sich das vorstellen?“ Die Eschenbacher trug an diesem Tag ein T-Shirt, das mehr enthüllte als verbarg und während sie mit den Händen in der Luft ein großes „W“ malte, verfolgte Hannes das Heben und Senken ihrer Brüste und hatte eine sehr angenehme Vorstellung von dem, was sie meinte. Andererseits, wenn dieser Walter auf so etwas stand, dann hatte er sich doch sicher auch an die Eschenbacher herangemacht, vielleicht sogar was mit ihr gehabt? Die Mezzosopranistin schien seine Gedanken zu lesen und lächelte. „Sie wollen jetzt bestimmt wissen, ob ich was mit Walter hatte.“

„Und? Hatten Sie?“

„Sie dürfen raten.“

Wieder lächelte sie dieses anzügliche Lächeln. Es passte zu ihr wie Sahne zu einem großen köstlichen Eisbecher.

„Nein, ich …“, antwortete Hannes zögerlich.

„Bravo!“, entzückt klatschte sie in die Hände und Hannes war sich sicher, dass sie diese Geste schon oft auf der Bühne benutzt hatte. Dabei hatte er eigentlich nur seine Verweigerung, über ein solches Thema eine Meinung abzugeben, kundtun wollen.

„So, ich muss jetzt weiter, aber ich bin mir sicher, den Rest finden Sie schon selbst heraus“, verkündete sie und Hannes nickte. „Bestimmt. Ach, eines hätte ich doch glatt vergessen“, er reichte ihr eine seiner Visitenkarten, „wenn Sie sich bitte heute Nachmittag im Büro melden, wir haben da noch ein paar Fragen.“

Die Eschenbacher sah sich die Visitenkarte genau an, vielleicht nur, weil sie im finsteren Flur fast nichts erkennen konnte. „Johannes Hollermann.“ Sie sah auf: „Sehr gern, Herr Kommissar, wenn Sie Fragen haben, jederzeit!“ Dann lächelte sie zum Abschied.

„Nicht ich, meine Kollegin“, stellte Hannes klar und wandte sich schnell zum Büro Schaffroths um.

***

„In welchem Verhältnis standen Sie denn zu Frau Weberknecht?“ Franziska beobachtete den Mann, der vor ihr auf dem Boden kniete, sehr genau. Doch obwohl sie ihm eindringlich geschildert hatte, wie Sophia Weberknecht ums Leben gekommen war, schien er nicht beeindruckt und legte weder Hammer noch Nägel weg, sondern beschäftigte sich noch intensiver mit seinen Bildern. Sein Gesicht verriet, soweit Franziska es von der Seite aus sehen konnte, rein gar nichts.

„Warum tun Sie eigentlich so, als wäre Sophia eine Heilige gewesen?“ Endlich blickte der so viel beschäftigte Künstler auf und sah ihr ins Gesicht. Sein Blick traf sie völlig unerwartet. Er hatte ein markantes Kinn und eine imposante schöne Nase. Seine Haare hatte er mit einem Gummiband gebändigt, trotzdem reichten sie ihm bis weit über die Schultern. Sie wirkten gepflegt, wenn auch schon einige silberne Strähnen durch das Schwarz durchschimmerten. Er sah interessant aus, fand Franziska, aber einen Frauenhelden hatte sie sich anders vorgestellt. „Sophia war durch und durch verdorben.“

„Wie kommen Sie zu dieser Behauptung?“

Jetzt endlich legte er sein Handwerkszeug zur Seite, erhob sich und stellte sich direkt vor sie. Er mochte einen Kopf größer als sie sein, außerdem war er sehr durchtrainiert.

„Ach, jetzt lassen Sie mich mal raten. Da hat Ihnen doch tatsächlich so ein munteres Vögelchen Dinge über mich gezwitschert, und trotzdem denken Sie, das müsste alles stimmen?“ Sein Ton war jetzt angriffslustig, aber Franziska hielt seinem Blick stand. Nein, auf so etwas fiel sie nicht herein, so etwas musste er sich fürs Theater aufheben. Sie kam von der Mordkommission. Nachdem sie nicht antwortete, begann er sich zu rechtfertigen. „Hören Sie, ich kenne mich mit Frauen aus. Sie tun häufig so, als wären sie voller Liebreiz, brav, ja fast bieder, aber in ihren Träumen wollen sie es so richtig krachen lassen. Jede Frau hat einen ganz persönlichen Traum. Und viele dieser Träume sind nicht wirklich jugendfrei.“

„Und Frau Weberknecht hatte Ihrer Meinung nach auch so einen nicht jugendfreien Traum? Passt das nicht eher in einen schlechten Porno? Oder zu dem Irrglauben, dass alle Frauen die vergewaltigt werden, das selbst wollten, und im Grunde nur darauf warteten, dass ein Mann vorbeikommt, um es ihnen mal ordentlich zu besorgen?“

Franziska wunderte sich über ihre heftige Reaktion. Nur gut, dass Hannes das nicht mitbekommen hatte und noch immer an den Stellwänden mit den bereits aufgehängten Bildern vorbeiging und irgendetwas zu suchen schien. Walter Froschhammer lächelte sie siegessicher an.

„Pornos, Frau Kommissarin, werden für Männer gemacht, das muss man ganz klar festhalten, und in diesem Punkt gebe ich Ihnen auch völlig recht. Aber auch Frauen möchten angeregt werden. Das müssten Sie doch am besten wissen!“ Er machte eine Pause, doch Franziska ließ sich nicht ein Zweites Mal provozieren. „Frauen brauchen Rollen, Orte, Gefühle mit denen sie umgehen können. Sie müssen sich in eine erregende Situation vollkommen sicher hineinfallen lassen können, dann sind sie auch zu allem bereit.“

Während er das sagte, nahm er ein Bild zur Hand, hielt es in die Höhe und sah es abschätzend an. Es zeigte eine Frau, die sich nackt auf einem Diwan räkelte. Mit nur wenigen Kohlestrichen hatte er die sich Darbietende in mattem Schwarz eingefangen. Sie wirkte sehr entspannt und sehr offen.

„Klingt wie der Herzog von Mantua.“

„Ach, Sie haben sich mit Rigoletto beschäftigt?“ Froschhammer stellte das Bild zurück und nahm sich das nächste vor. Auch hier war viel nacktes Fleisch zu sehen. Allerdings handelte es sich um eine Ansicht von hinten, wobei die Schöne einen sehnsüchtigen Blick über die rechte Schulter warf und den Betrachter ansah. Festgehalten war diese Eroberung in leuchtenden Aquarellfarben.

„Gehört zu meinen Ermittlungen.“

Mit einem tiefen Blick sah Froschhammer Franziska in die Augen. „Sophia war eine Frau auf der Suche. Leider ließ sie mich ihr nicht beim Finden helfen.“

„Und da haben Sie sie in ihrer Wohnung besucht, weil sie aber nicht von Ihnen gefunden werden wollte, haben Sie kurzerhand nachgeholfen und sie erschlagen“, hakte Franziska nach, während Froschhammer das nächste Bild in die Hand nahm und es abschätzend in die Höhe hielt.

„Bis ins Mittelalter waren Kohlezeichnungen nur für Skizzen und Vorbereitungen geeignet, weil man sie nicht fixieren konnte, erst danach waren sie eine eigenständige Technik, wobei uns Albrecht Dürer erstmals die meisterhafte Handhabung der Kohlezeichnung zeigte. Wussten Sie das?“

„Nein, das wusste ich nicht. Aber ich weiß auch nicht, was das mit meiner Frage zu tun hat“, schnaubte sie.

„Nichts.“ Ohne sich zu rühren, sah er sie an. „Aber das war auch keine Frage, sondern eine Unterstellung. Glauben Sie wirklich, ich hätte das nötig?“ Sein Blick wurde spöttisch. „Wissen Sie, eigentlich hätte ich das alles gar nicht über Sophia erzählt, das ist für mich Ehrensache, aber Sie haben so nett gefragt und da dachte ich, ich helfe Ihnen mal ein bisschen, damit Sie mehr über Sophia erfahren. Aber einen Mord lasse ich mir nicht anhängen, auch nicht von Ihnen!“ Beim Reden sah Franziska, dass ihm an einem Schneidezahn ein Eckchen fehlte. Vielleicht hatte er von einem gehörnten Ehemann eine Faust ins Gesicht bekommen? Ob er wohl genug Kraft hatte, um eine Frau durch die Wohnung zu tragen?

„Sie haben ein schönes Lächeln“, behauptete Froschhammer, und erst in diesem Moment fiel Franziska auf, dass sie tatsächlich lächelte. Ausgerechnet vor diesem aufgeblasenen Künstler! Verlegen strich sie sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und rief sich zur Ordnung.

„Wo waren Sie in der Nacht vom 8. auf den 9. Oktober?“

„Sie glauben also wirklich, ich hätte etwas mit ihrem Tod zu tun? Aber das ist doch völlig absurd!“

„Das ist Routine. Also?“

„Hören Sie, in fünf Tagen beginnt meine Ausstellung und bis dahin hab ich noch alle Hände voll zu tun.“ Er sah Franziska an, und nachdem sie keine Anstalten machte, sich damit zufrieden zu geben, fügte er hinzu: „Ich war hier.“

 

„Kann das jemand bezeugen?“

„Der Kurator, Maximilian Wertersbach, kam zweimal vorbei. Fragen Sie ihn!“ „Das werde ich.“ Froschhammer nickte.

„Bitte sehr.“ „Ich gebe Ihnen meine Karte, falls Ihnen noch was einfällt. Und halten Sie sich bitte zu meiner Verfügung.“

„Aber gern.“ Froschhammer sah sie mit einem anzüglichen Lächeln an, als hätte sie gesagt, lass uns vögeln.

Rasch wandte sich die junge Kommissarin ab und suchte Hannes, der seinen Rundgang beendet hatte. „Also, dieses Haus hat schon was ganz Besonderes! Und die Bilder erst. Echt spitze!“

„Ja, ich glaube die Ausstellung wird einschlagen wie eine Bombe.“ Der Künstler strahlte die Kommissarin so selbstsicher an, dass diese einfach nichts mehr erwidern konnte.

***

Während Franziska und Hannes auf dem Donaukai entlangfuhren, deutete Hannes mit dem Kopf in Richtung Veste Niederhaus auf der anderen Seite des Flusses. „Da drüben wohnt auch so ein Vogel, wie dieser eben.“

„Ja sag mal, Hannes, du kennst den Besitzer von Niederhaus?“

„Na ja, nicht persönlich, aber der soll auch ein Maler sein.“

„Hat Niederhaus nicht mal diesem Ferdinand Wagner gehört, diesem Historienmaler?“ „Ja, schon, aber das ist lange her. Wobei man sagt, dass es dort wüste Künstlerfeste gegeben hat.“

„Sagt man.“

„Er war Ehrenbürger von Passau und bekannt als Meister des Pinsels. Aber er passte eben nicht ins Gesellschaftsbild der damaligen Zeit.“

„Unser Froschhammer heute scheinbar auch nicht.“

„Ist dir der Schriftzug aufgefallen, mit dem er unterschreibt? Das große „W“ gleicht der Brust einer Frau, originell nicht?“

„Passt zu ihm. Wie hast du das so schnell herausgefunden?“

„Das hat mir Katharina Eschenbacher erklärt.“

„Wann?“

„Heute Morgen im Theater.“

„Das hast du mir ja gar nicht erzählt.“ Franziska fuhr über den Kreisel und ließ die Luitpoldbrücke rechts liegen.

„Nö, ich wollte es mir erst selbst ansehen.“

„Ach, darum hast du so lange gebraucht! Kam dir bei den Porträtierten eigentlich jemand bekannt vor?“

„Du meinst aus dem Theater?“

„Ja, zum Beispiel die Eschenbacher.“

„Katharina Eschenbacher habe ich nicht gefunden, aber ich bin mir sicher, es wird einige Herrschaften in der Stadt geben, die gar nicht erfreut sind über diese Ausstellung.“

„Und dieser Froschhammer ist so eingebildet und glaubt es wird ein Knüller.“

„Da bin ich mir auch ganz sicher.“ Franziska warf ihm einen fragenden Blick zu.

„Na, überleg doch mal. Wenn sich das herumspricht, was die uns im Theater über seine Methoden erzählt haben, dann ist doch die ganze Stadt da. Dann will doch jeder sehen, wen er gemalt und vorher flachgelegt hat.“

„Also bitte, Hannes, geht es auch ein bisschen weniger anzüglich?!“

„Wie war das doch gleich mit dem ordentlich besorgen?“

Franziskas Wangen wurden rot. „Aber das war doch nur wegen seiner Behauptung, dass die Weberknecht durch und durch verdorben war und er wüsste, dass es viele Frauen gern mal ordentlich krachen lassen würden, zumindest in ihren Träumen.“

„Wenn ich das Obermüller erzähle!“

„Untersteh dich! Sonst erzähl ich ihm, dass du voll auf die Eschenbacher abfährst.“ Franziska schüttelte lachend den Kopf. Dann wurde sie wieder ernst.

„Auf jeden Fall haben wir jetzt einen Verdächtigen.“

„Du meinst, der Froschhammer hat sie erschlagen?“

„Er hätte zumindest ein Motiv und außerdem hat er lange Haare.“

„Macht das den Mann jetzt verdächtig?“

„Paula Nowak hat scheinbar ab und zu einen Mann mit langen Haaren in der Nähe der Wohnung gesehen“, erinnerte Franziska.

„Okay, verdächtig. Aber wir sollten vielleicht lieber noch anderen Spuren nachgehen, immerhin hat er ein Alibi.“

Ja, dachte Franziska und immerhin gab es unzählige Männer mit langen Haaren in Passau. Da musste es ja nicht unbedingt dieser Künstler sein.

***

Hauptkommissar Berthold Brauser hatte im Café Greindl längst seinen Stammplatz: an der hinteren Wand, mit Blick auf den Tresen, mit Blick auf die Tür, mit Blick auf alle Gäste im Raum.

Wenn er erst einmal Platz genommen hatte, genügte ein Wink mit der Hand und schon brachte Stefan, ein junger Mann, der sich neben dem Studium ein bisschen Geld mit Servieren verdiente, einen Cappuccino mit allem, was das Herz eines Mannes begehrte, den es nach Koffein lechzte.

„Wie wäre es mit einem Heidelbeerstrudel? Ganz frisch und sehr lecker.“

Brauser schmunzelte amüsiert. „Lecker ist bei euch doch alles.“

„Aber Herr Hauptkommissar, bei Ihrem Job braucht man doch vor allem Standfestigkeit, und die bekommen Sie nicht vom Hungern“, argumentierte Stefan, der glaubte, Brauser wäre auf Diät.

Er nickte zufrieden, das war das Argument, das er immer brauchte und dem er sonst nie widerstehen konnte. Doch heute blieb er standhaft und ließ sich nur einen Cappuccino bringen.

Das Café Greindl hatte es ihm angetan. Hier konnte er ungestört und aus einer völlig anderen Perspektive an den Fall denken, den er gerade bearbeitete.

Der Kommissar wählte seinen Platz immer so aus, dass er möglichst viel von den anderen Gästen sehen konnte. Noch lieber, als an der Rückwand des Cafés, saß er draußen auf der Straße und verfolgte das bunte Treiben. Sah den Touristen zu, die hier vorbei und in Richtung Dom oder Innenstadt gingen. Dabei musterte er einen nach dem anderen und fragte sich, woher sie kamen und was sie taten, wenn sie nicht mit Fotoapparat und Regenschirm eine fremde Stadt besichtigten.

Dabei konnte er sich total verlieren. Das ging so weit, dass er im vergangenen Sommer fast nicht bemerkt hatte, dass eine junge Frau zu ihm an den Tisch gekommen war und ihn fragte, ob sie sich zu ihm setzen durfte. So etwas war ihm noch nie passiert und entsprechend verlegen war er dann auch gewesen. Bis heute wusste er eigentlich nicht, was sie bei ihm gesucht hatte. Aber es war ein sehr netter Nachmittag geworden. Vergessen waren die Touristen und was ihn sonst beschäftigt hatte. Sie hatten viel zusammen gelacht und Brauser hatte sich geschmeichelt gefühlt, denn sie war nicht nur jung gewesen, sie hatte auch sehr gut ausgesehen.

Als er den letzten Milchschaum aus seiner Tasse gelöffelt hatte, kam Stefan erneut an den Tisch, räumte das Geschirr zusammen und stellte es auf die freie Seite, dann setzte er sich auf ein Schwätzchen zu ihm. Es war nicht viel los im Moment.

„Und, Herr Hauptkommissar, gibt’s etwas Neues bei Ihrem Fall?“

„Nein, Stefan, nichts, leider.“ Brauser mochte den jungen Mann. Er trug zwar manchmal dick auf, aber das tat er nur, um ein besseres Trinkgeld zu bekommen. Die Leute werden ja immer geiziger, hatte er mal erzählt. Er war auch so ein Kerl, den er vom Fleck weg adoptiert hätte, genauso wie seine Franziska. Vielleicht sollte er sie mit ihm zusammenbringen. Aber erst, wenn Stefan mit seinem Studium fertig war und das konnte noch ein bisschen dauern, denn er wollte Lehrer werden.

„Ich gehe bald in Rente“, sagte Brauser auf einmal.

„Aber das kann doch nicht sein, lassen die Sie denn schon so früh gehen?“

„Du brauchst mir nicht schmeicheln. Ich bin fast fünfundsechzig.“

Stefan erhob sich, weil zwei ältere Damen das Café betreten hatten. Laut unterhielten sie sich über die Einrichtung.

„Fast wie in Wien, sag ich dir und es riecht genauso gut.“ „Grüß Gott, die Damen, was darf‘s denn sein?“

Belustigt beobachtete der Kommissar, wie Stefan sich um die zwei alten Damen kümmerte und sie nach ihren Wünschen fragte, und er hoffte für ihn, dass sich dieses Anbiedern auch hinterher auszahlte. Die zwei mochten sein Alter haben und hatten sich dafür erstaunlich aufgebrezelt. Vielleicht kamen sie gerade vom Friseur, begann er zu spekulieren, und während er das tat, erinnerte er sich wieder an die junge Frau vom Sommer und fragte sich zum hundertsten Mal, was sie von ihm gewollt haben konnte.

***

„Hey, ich bin Carlos.“ Wie bereits am Tag vorher im Theater stellte sich der leidenschaftliche Sänger bei Ramona mit einer tiefen Verbeugung vor. „Ich werde erwartet.“

„Oh, ja ja, ich weiß schon Bescheid. Einen kleinen Moment, bitte!“ Ramona warf beinahe ihren Stuhl um, als sie aufsprang, um diesen eindrucksvollen Besuch bei Franziska anzumelden. Doch die hatte die ganze Begrüßungsszene mit angehört und kam mit einem süffisanten Grinsen in den Vorraum, um den Sänger abzuholen.

„Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten?“, fragte die Sekretärin noch schnell, bevor die beiden in Franziskas Zimmer verschwanden.

„Nein, leider. Ich habe nicht viel Zeit“, rief er über die Schulter. An Franziska gewandt fügte er hinzu: „Wir haben heute eine Aufführung, da ist das jetzt gar nicht günstig.“

„Ja, tut mir Leid, ich mache es auch kurz.“

Carlos nickte ernst.

„Was war Sophia Weberknecht für ein Mensch?“

Der Sänger kratzte sich nachdenklich am Kopf, verzog das Gesicht und zuckte mit den Schultern. „Schwer zu sagen. Sie nahm ihren Beruf sehr ernst, hat dauernd geprobt und war auch wirklich zuverlässig. Aber im Grunde war sie kein Mensch, mit dem man gern allein in einem Raum war, Sie verstehen?“ Seine braunen Augen ruhten abwartend auf Franziska, so als habe er sie gerade gefragt, ob sie eine Nacht mit ihm verbringen wolle.

„Warum denn nicht?“ Franziska dachte an den Anblick der jungen Frau und konnte die Aussage nicht nachvollziehen. Schon gar nicht von einem Mann wie Carlos.

„Ich weiß nicht, sie hatte so eine unterkühlte Art, nichts Herzliches, nichts Einladendes. Sie war einfach … ja, ich glaube, sie war gern allein mit sich.“

„Aber wie konnte sie dann auf der Bühne singen?“

„Ich meine ja nicht, dass sie auf der Bühne so war. So war sie im echten Leben! Zum Beispiel wenn wir einfach nur rumhingen nach einer Probe oder so, und warteten, bis es weiterging. Auf der Bühne war Sophia perfekt.“

„Hatte sie Neider?“ „Neider? Nein, ich glaube nicht. So wie sie wollte keiner sein, also ich zumindest nicht. Das Leben soll doch auch Spaß machen, oder?“

Wieder dieser Blick und dieses Feuer in seinen Augen. Franziska fiel es zunehmend schwerer, sich zu konzentrieren.

„War Sophia in letzter Zeit anders? Ich meine, fiel Ihnen eine Veränderung an ihr auf?“ „Schwer zu sagen. Wissen Sie, die Besetzung ist ja nicht bei jedem Stück gleich.“

„Herr Schaffroth hat für die Rolle der …“ Franziska legte den Bleistift weg und blätterte in ihrem Notizbuch, denn sie suchte nach einem Namen, „Gilda, richtig, eine Zweitbesetzung organisiert. Hat er ihr die Gilda nicht zugetraut?“

Carlos unterdrückte sein Grinsen. „Die Gilda! Ja, komisch nicht? Sophia spielte einen halbnackten männermordenden Vamp oder eine Schwindsüchtige, ohne mit der Wimper zu zucken, aber wenn sie ein liebes Mädchen spielen sollte, das der Vater wie ein Kleinkind beschützt, dann rastete sie aus.“

„Wie meinen Sie das?“

„Caro nome che il mio cor festi primo palpitar“, sang Carlos mit sehr sanfter Stimme. Franziska sah ihn ungläubig an. „Teurer Name, dessen Klang tief mir in die Seele drang! Verstehen Sie das?“

Franziska verstand gar nichts, außer, dass das die schönste Darbietung gewesen war, die sie je gehört hatte.

„Das ist wohl eine der berühmtesten Liebesarien aus Rigoletto und gleichzeitig eine Schlüsselszene. Der bucklige Narr hat seiner Tochter nie seinen Namen genannt, und als sie dann endlich auf den ersten Mann außer ihrem Vater trifft, verliebt sie sich prompt.“

„In Sie, äh, natürlich in den Herzog von Mantua?“

„Richtig! Aber was uns alle umgehauen hat: Als Sophia diesen Satz zum ersten Mal bei der Probe sang, ging sie auf Rigoletto los, schimpfte ihn, er solle sie in Ruhe lassen und nicht immer sagen, was sie tun solle und was nicht, sie sei alt genug, selbst zu entscheiden. Wir waren sprachlos.“

„Wer spielt eigentlich den Rigoletto?“

„Heinz Wagenthaler.“

„Und hat er ihr einen Grund dafür gegeben, so zu reagieren?“ „Nein. Ich meine, das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Zumindest in dem Moment nicht. Es war einfach seltsam.“ Mit einem schnellen Blick auf die Uhr über dem Besprechungstisch beendete Carlos seine Ausführungen.

„Ja, dann“, Franziska machte sich eine Notiz, dass sie Wagenthaler später befragen musste, „haben Sie vielen Dank.“ Sie erhob sich, während es im selben Moment an die Tür klopfte und Ramona den Kopf hereinsteckte. Sie hatte Lippenstift aufgetragen und sich die Haare gebürstet. „Da ist eine Nina Breitmann für Sie.“ Franziska dankte ihr lächelnd. Wenn Besuch kam, zog sie immer das respektvollere Sie vor. „Ah, Nina! Die kann Ihnen bestimmt mehr über Sophia sagen, aber glauben Sie bitte nicht alles, was sie sagt, ja?“

 

„Hätte sie denn einen Grund, jemanden anzuschwärzen?“

„Anschwärzen? Nein, da würde sie andere vorschicken. Sie … ach, lassen Sie sich einfach überraschen.“ Er nickte Franziska zu. „Kann ich dann gehen?“

„Ja. Nein, eine Frage hätte ich noch. Mit welchen Männern hat sich Sophia Weberknecht getroffen?“

„Das wollten Sie ja schon im Theater wissen, aber ich weiß es wirklich nicht. Mit mir jedenfalls nicht.“

„Und, nur der Routine halber, wo waren Sie in der Nacht vom 8. auf den 9. Oktober?“

Carlos kratzte sich am Kopf, dass seine dicken Locken nur so herumwirbelten. „Das war Dienstag auf Mittwoch, richtig?“

„Genau.“

Dann strahlte er übers ganze Gesicht. „Da waren meine Mama und meine Schwester Theresa zu Besuch. Die kommen zweimal im Jahr und schauen nach, ob es dem kleinen Carlos gut geht.“ Er freute sich wie ein kleiner Junge. Ob des vorhandenen Alibis oder des Besuches konnte Franziska nicht heraushören.

„Ja, dann, vielen Dank. Wenn noch was ist, melde ich mich bei Ihnen.“ Franziska brachte ihn zur Tür, wo er von Ramona mit den Worten „Ich liebe die Oper!“ in Empfang genommen und dazu genötigt wurde, ihr ein Autogramm zu geben.

***