Mit schwarzen Flügeln

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Mit schwarzen Flügeln
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Daimon Legion

Mit schwarzen Flügeln

Non Serviam

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Zitat

Prolog

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

18

19

20

21

22

23

24

25

26

27

28

29

30

Epilog

Ave atque Vale

Impressum neobooks

Zitat

Denn alle Sünden entspringen dem Ungehorsam.

Als jener hehre Geist,

jener Morgenstern alles Bösen,

aus dem Himmel stürzte,

geschah es,

weil er ein Rebell war.

Das Bildnis des Dorian Gray, Kapitel 16

Oscar Wilde

Prolog

Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort.

Gott erschuf die fruchtbare Erde, die klaren Meere, den flammenden Abgrund, den weißen Himmel und alle funkelnden Sterne am Firmament. Die Glanzlichter gefielen Gott und stolz betrachtete Gott dieses Werk als wahrlich gelungen. Ihr Leuchten erfüllte Gott mit dem Wunsch nach Leben.

Der Geist Gottes schwebte über dem Wasser und hauchte diesem Leben ein. Nixen und Undinen schwammen empor und zeigten sich Gott, doch Gott achtete sie nicht.

Der Geist Gottes schwebte durch die Luft und hauchte dieser Leben ein. Sylphen und Lichtgeister wehten herbei und zeigten sich Gott, doch Gott entschwand ohne einen wohlwollenden Blick.

Der Geist Gottes schwebte über der Erde und hauchte dieser Leben ein. Gnome und Kobolde krochen aus dem Boden und zeigten sich Gott, doch Gott grollte ihnen.

Der Geist Gottes schwebte hin zum Feuer und hauchte diesem Leben ein. Es entstanden scheußlich anzusehende Wesen, die Gottes Auge beleidigten und Gott verbannte sie gleich darauf, niemals ihr feuriges Reich verlassen zu dürfen, fern vom Licht in Finsternis wandelnd.

Gott zürnte der Schöpfung, war doch keine der Kreaturen es würdig, Gottes Diener zu sein und sich an Gottes bloßer Anwesenheit zu erfreuen. Diese abscheulichen Wesen erreichten das Maß an Perfektion und Reinheit nicht, welches Gott forderte.

Doch was tun? Die Elemente waren verbraucht und erwiesen sich als nutzlos. War es das eigene Unvermögen, weshalb das Leben nicht gedeihen wollte? War Gott zu unerfahren in der Erschaffung neuen Seins?

Nein, Gott war – ist – wird immer unfehlbar sein. Das unzureichende Material trug die Schuld. Es lag nicht an Gott, denn Gott war groß und allmächtig.

Gott würde eine Lösung finden, einen Weg für das Leben.

Zu den hellen Sternen sah Gott auf und erhoffte sich eine Inspiration, um das Misslungene neu zu formen.

Plötzlich hatte Gott eine Eingebung.

Die Schönheit der Sterne. Das funkelnde Sternenfeuer. Ein Wesen aus dieser Materie würde wohl Gottes Norm erfüllen.

Gott nahm das Feuer vom prachtvollsten aller Sterne – dem Morgenstern – und hauchte diesem Leben ein. Die weißen Flammen formte sich zu einem Körper, welcher den Sternenglanz widerspiegelte. Etwas derart Anmutiges hatte es nie gegeben und kein weiteres Geschöpf sollte jemals diesen Einen in den Schatten stellen.

Gottes Herz erfüllte sich mit Freude, als das Wunder vollbracht war.

„Mein schöner Engel. Lichtbringer des Himmels. Kind des Morgensterns.

Mein Luzifel.“

Der Knabe rührte seine Glieder und schlug die klaren Augen auf. Er erkannte die Welt, wie Gott sie ihm zu Füßen legte, und spürte alle Macht, die ihm als Ersten seiner Art gebührte.

Er stand vor Gott. Sie zeigte sich ihm in ganzer Herrlichkeit.

1

Wieder diese Vision. Lästig.

Die tief ins Hirn eingepflanzte Erinnerung an eine Zeit vor der Zeit, im Moment der Entstehung, vom blanken Nichts zum Sein.

Als wenn Gott es bitter nötig hätte, ihn jedes Mal, wenn er die Augen schloss, mit der Nase darauf zu stoßen, wie alles seinen Anfang nahm. Er wusste es doch am besten.

Der Beginn der gesamten Schöpfungsgeschichte, allen voran mit der Erschaffung der ersten Engel, schlicht Erzengel genannt. Mit ihm an der Spitze folgten noch sieben weitere aus dem Sternenfeuer der verschiedensten Himmelskörper und ihre Aufgabe war es gewesen, all die übrigen, niederen Engel zu beseelen.

Oh, und natürlich Gott zu dienen.

Verständlich, denn was sollten die Engel auch sonst anderes tun? Die Rolle der Geflügelten war klar definiert, keiner stellte sie infrage. Also wieso immer dieser Wink mit dem Zaunpfahl?

Die Botschaft sagte stets aus: „Sieh, was du mir verdankst und sei mir auf ewig treu. Denn so, wie ich dich geformt habe, so schnell kann ich dich auch vernichten.“

Unterschwellig könnte er das als Drohung auffassen.

Das Dumme dabei war, dass er wirklich mehr als jeder andere Engel bei Gott in der Kreide stand. Gott verdankte er seinen glorreichen Ruhm, seinen hochrangigen Titel, seine ungewöhnliche Macht und seinen außergewöhnlichen Charme, der jeden anderen – obgleich alle Engel davor sprühten – an die Wand spielte. Kein Zweiter konnte sich mit ihm messen und so war er für den Großteil der Hierarchie unantastbar. Eigentlich hätte ihm – laut Gott – jeder Geflügelte Respekt zollen müssen.

Doch war es nicht verwunderlich, dass eben einige seiner fast gleichgestellten Kollegen ihm den Sonderstand übel nahmen? Gegen kleingeistige Missgunst war er nicht gefeit.

Aber sonst war er Engelsfürst Luzifel Morgenstern, oberste Befehlsgewalt der Weißen Garde, rechte Hand Gottes, Seraph, Ratsmitglied und goldene Eminenz der weißen Stadt Azilut im siebten Himmel Araboth.

Was beneideten ihn die gewöhnlichen Engel der untersten Triade um diesen ansehnlichen Ruf?

Allerdings kam in ihm häufiger der Wunsch auf, er wäre weniger wert. Denn dann würde ihm so manches kleine Geheimnis, das Gott ihm anvertraute, oder was mit seiner Position einherging, schlicht unbekannt bleiben. Unwissenheit war doch gar nicht schlimm. Jedenfalls hätte er sie schon gern gegen die Last auf seinen Schultern eingetauscht.

Seufzend öffnete er die blauen Augen.

Die Pflicht seines Lebens konnte er ja nicht aussperren, nur weil er beschlossen hatte, liegen zu bleiben und zu dösen. Richtiger Schlaf war für einen Engel sowieso ein Unding.

Gott hatte es ja eingerichtet, dass ihre geflügelte Dienerschaft keine Erholung brauchte. Wozu auch, wenn die Sonne im Himmel nie unterging? Immer fleißig, immer emsig bemüht, der holden Gottheit zu Diensten. Springen, wenn man springen sollte und selbst wenn es in einen piesackenden Nadelhaufen ging, musste der Engel stets lieb dabei lächeln und kein Widerwort verlieren.

Auf, auf! Frisch ans Werk!

 

Zu den Teufeln mit der verdammten Motivation. Er kam nicht auf die Beine. Starrte frustriert von der weichen, weiß betuchten Liege auf zur weißen, mit Gold verzierten Stuckdecke.

Sein großzügiges Anwesen in Azilut war eine weitere Kerbe in Gottes Anschlagtafel. Der letzte Rückzugsort von all den Dingen, die sein Gemüt so schwer machten, war auch nichts anderes als ein Mahnmal dafür, dass er – Herr Unantastbar-Überflieger – ein Knecht war. Vom ersten Tag der Existenz an bis in die Äonen der Ewigkeit.

Runde um Runde ...

Mutlos und gelangweilt von seinem goldenen Käfigleben, atmete er tief durch und fragte sich nicht zum ersten Mal, was wohl wäre, wenn er seinen Kopf gegen den weißen Marmorboden schlüge ...

Wie ist das Sterben?

Es wäre zumindest eine Abwechslung.

Und Gott könnte ihm dann auch nichts mehr anhaben, denn das Reich der Toten entzog sich ihrer doch sonst so allgegenwärtigen Macht.

Er musste grinsen. Lachte gar verzweifelt.

Wartete irgendwo ein spannenderes Abenteuer? Dort, wo sein Geist ursprünglich herkam? Dass Gott seine Seele geformt hatte, bezweifelte er stark. Weit fern von dieser Welt war sein Herz, sein Denken, sein Wille entstanden und vielleicht konnte er durch einen Tod in der jetzigen Realität dieser entfliehen.

Neu anfangen. Ein anderer sein.

Je länger er darüber nachdachte, desto verlockender wurde die Vorstellung. Es gab mehr als diese schäbige Kulisse von Gottes Werk. Viel, viel mehr ...

„Mein Fürst!“

Ich bin nicht da, ich bin nicht da, ich bin nicht da ...

Aber das Klopfen an der goldenen Zimmertür nervte.

Schwerfällig schaffte er es, einen Fuß auf den weißen Parkettboden zu setzen. Das zweite Bein wollte sich nicht bewegen. Dagegen wurde das Hämmern an der Tür fortwährend dringender.

Dem Störenfried rief er lustlos zu: „Du kannst reinkommen, die Tür ist offen.“

„Oh“, kam es peinlich berührt von der anderen Seite. Die glänzende Klinke wurde gedrückt und ein Engel betrat seinen geliebt-verdammten Privatraum. Wer auch sonst?

Hier stand nun also einer dieser niederen Engel, die ihn ja so umschwärmten. Samael war von einem sorgsam behüteten Hain aus nicht zur militärischen Garde gegangen, nein. Stattdessen hatte er seine intellektuellen Fähigkeiten genutzt, um jetzt als sein persönlicher Sekretär und höriger Laufbursche herzuhalten. Und diese Aufgabe erledigte der Blondschopf strebsamer als gefordert.

Suchte Luzifel ein wichtiges Dokument, war Samael sofort zu Stelle und hatte bereits den Stift zur Unterzeichnung parat. Stand in seinem Terminkalender ein wichtiges – oder auch banales – Ereignis, tat Samael alles, damit er diesen Zeitpunkt auch einhielt. Gab es gesellschaftliche oder berufliche Neuigkeiten, flitzte Samael sofort los, um ihn genaustens zu unterrichten.

Der Bursche war scheinbar das Musterbeispiel eines loyalen Idioten. So auch die anderen Geflügelten. Umso mehr fühlte sich da ein eigenständig denkender Geist haushoch verlacht. Ein gutes Leben hatten nur diejenigen, die sich fügten.

Eigentlich konnte er Samael nichts vorwerfen – außer, dass sein Arbeitseifer Luzifel noch mehr in der Falle sitzen ließ.

Freiheit. Einfach mal einen Augenblick nur das machen, wonach ihm selbst der Sinn stand. Tun, was er selbst tun wollte, und dazu zählte auch mal faul sein ...

Ist wohl zu viel verlangt.

„Mein Fürst, es gibt -“

Luzifel hob die Hand, um ihn zu unterbrechen. Doch statt etwas zu sagen, atmete er erneut auf der Liege tief durch, fuhr mit den schlanken Fingern durch sein welliges Haar und schloss die Lider. Genoss die Stille, bevor ein Sturm es wagte, loszubrechen.

„Ähm ... Geht es Euch nicht gut, Herr?“, fragte Samael schließlich leise mit winselndem Blick.

„Wenn gut gehen bedeutet, dass ich fröhlich aufjauchzen soll, nur weil du hier bist, um mir zu sagen, dass ich mal wieder auf Gottes Befehl hin die Drecksarbeit machen darf, dann geht es mir Tatsache nicht gut, kleiner Malach.

Wie nannte Michael mein Denken doch kürzlich?“

Als wenn das eine Frage wäre. Er wusste, was hinter seinem Rücken gewitzelt wurde ...

„Sch-schwermütig?“, stammelte der Engel zögerlich. „Ich glaube nicht, dass Euer Bruder es böse gemeint hat, mein Fürst.“

„Und dennoch hat er recht. Heute kannst du mich vergessen, Sam. Also sag mir, dass du bloß gekommen bist, um zu berichten, dass die Weiße Garde einwandfrei marschiert und ich in nächster Zeit keinen weiteren Fuß nach draußen setzen muss.“

„Ich ... Bedaure Herr, so ist es leider nicht.“

Luzifel seufzte und fragte, nach kurzem, bedächtigem Schweigen und ohne eine Miene zu verziehen, ernster: „Nun, was verdirbt mir meine ohnehin schlechte Laune?

Und wen muss ich töten, um sie zu bessern?“

„Im Hades wurde eine Gruppe Dämonen von unseren Spähern gesichtet. Sie sind auf den Weg zum Höllentor. Der Hohe Rat lässt nach Euch schicken, um mit der Garde loszuziehen, die Dämonen zu vernichten, bevor sie das Höllenreich betreten und Satan -“

„Hab keine Lust, lass sie weiterziehen“, wand er sich salopp raus.

Tja ja, die Dämonen. Von Gott verstoßene Kreaturen, die eine dritte, unbekannte Welt bevölkerten. Nach Himmel und Hades war da die Ebene Gehenna, die ihnen eine Zuflucht bot und dort herrschte ein Großdämon namens Satan.

Es war zig Zeitrechnungen her, dass Satan und seine Mannen Gott und die Engel zum Kampf herausforderten. Es kam zu einem Großen Krieg, dessen Auswirkungen bis heute anhalten. Luzifel selbst war es damals gewesen, der Satan schlug und die verhassten Dämonen zum Rückzug zwang. Seitdem gab es nie wieder eine ernstzunehmende Herausforderung für ihn.

Dieser friedlichen Tage wurde er nur noch losgeschickt, um vereinzelte Gruppen anzugreifen, die durch den Hades wanderten, um nach Gehenna zu kommen.

Wie es dort unten aussehen mag? Muss trostlos sein, wenn die Dämonen von da so oft ins gefährliche Grenzland gehen. Ansonsten würde ihn auch interessieren, was seine ewigen Feinde dazu veranlasste, einen noch trostloseren Ort wie den Himmel erobern zu wollen. Vielleicht sollte er einen der armseligen Teufel fragen, ehe er ihm den hässlichen Kopf abschlug ...

„Mein Fürst, wollt Ihr Euch etwa dem Befehl des Hohen Rates widersetzen?“, fragte der junge Engel erschrocken.

Ja, warum denn nicht?

„Sam, ich habe das schon so viele Male durch. Ein paar Dämonen tauchen auf, ich soll sie umbringen. Gegen wen ziehe ich da ins Feld? Die Dämonen haben Satan, fein, aber der ist keine Führungsspitze und seine Soldaten sind einfache Bauern, keine Krieger.

Mein Schwert gegen Spitzhacken, ich habe darauf keinen Bock.“

„Aber eine Gardeeinheit seht schon bereit und -“

Luzifel horchte auf. „Wer hat das denn befohlen?“

„Ratsherr Metatron.“ Samael wirkte etwas geknickt. „Und ich soll Euch sagen, dass, wenn Euch wieder Kopfschmerzen plagen oder Euch sonstige Ausflüchte einfallen, würde man einen anderen an Eurer Stelle schicken und diesmal laufe das Verfahren über Eure Entscheidung zur Befehlsverweigerung direkt vor Gott.“

... Oh, Meta will bei Mutti petzen.

Wütend schnaufte Luzifel durch die Nase aus.

Gott würde sicher nicht sehr streng mit ihm sein, er war schließlich ihr Lieblingskind. Dennoch würde es sehr unangenehm werden und er verspürte den Drang, dem selbstgerechten Anstifter die Gurgel umzudrehen. Was würde die erlauchte Gottheit davon halten?

Dem Befehl folgen oder Ärger kassieren?

„Okay, okay, okay“, murmelte Luzifel missgestimmt und rollte sich von der Liege auf in Sitzpose, die Füße am Boden ausgestreckt. „Sag den Truppen, ich zieh mich um und komme dann runter ...“

„Jawohl, Fürst Morgenstern.“ Samael salutierte artig und verließ den Raum.

Wieder allein fuhr Luzifel abermals mit den Fingern durch das Haar und zerzauste es. Ein wenig Chaos stiften, bevor er sich weiter gestriegelt und gebügelt geben musste. Metatron und Konsorten lästerten sowieso herum, weil seine Mähne nicht der gewünschten Maxime entsprach.

Schließlich sollte der Gardeführer jemand sein, der Ordnungssinn repräsentierte und aufrichtig den Rat und sein Wort unterstützte – statt einem unfolgsamen, lotterhaften Vagabunden, der eher an einen verächtlichen Grigori erinnerte.

Nichtsdestotrotz wollte der Himmel eine Maskerade, die er perfekt liefern konnte. Mit einem flinken Satz stand Luzifel gerade und marschierte straffen Schrittes zu dem elfenbeinfarbenen Kleiderschrank hin, um aus seinen geöffneten Flügeltüren eine saubere Uniform zu holen.

Als er den weißen Stoff über seinen makellosen Körper zog, schüttelte er rasch den aufkommenden Ekel ab, der ihm unterschwellig sagte, dass die Gestalt dort im Spiegel nicht zu ihm passen wollte. Es war falsch, was er sah. Irgendwas müsste anders sein. Nur was?

War es bloß das ewige Weiß, was ihm zum Hals raushing?

Oder das alte Lied ...

Schlank und anmutig war jeder Engel auf seine Weise gebaut, doch wie oft machten die Soldaten sich heimlich über seine geringe Körpergröße lustig? Es nervte ihn seit Unzeiten, kein Hüne zu sein, der mit seiner Gestalt Respekt einflößte. Den Gehorsam der Truppe hatte er mit Kraft und einem Hang zur Herzlosigkeit erworben, denn sonst hätte man ihn kaum als Anführer wahrgenommen. Als gewöhnlicher Rekrut wäre er allein wegen seiner Statur unten durch gewesen, aber er war ja Gottes Liebling, ha ha ...

Ich hätte eine Reklamation an Gott.

Aufs Neue trübte das korrekte Bild sein schwarzes Haar. Die göttliche Experimentierfreudigkeit kotzte ihn an. Gut, er war nicht der einzige Engel, der hierbei aus dem Rahmen fiel, jedoch hatte Gott fast allen Geflügelten als Standard blonde oder gar weiße Haare vorgeschrieben. Schwarzhaarige nannte man liebevoll „Ausrutscher“ – nur wagte es niemand, ihm das ins Gesicht zu sagen.

Könnte daran liegen, weil er einmal einen dummdreisten Kritiker bis zur Unkenntlichkeit verprügelt hatte ... Sein Bruder musste ihn aufhalten, den frechen Kläffer nicht zu töten. Seitdem war sein Jähzorn in aller Munde.

Zur Uniform zog er farblich passende Stiefel über. Das Haar wurde tadellos nach hinten weg gekämmt, auch wenn sich die Locken störrisch kringelten. Er reckte das Kreuz gerade, lockerte seine Schultern und nickte die Posse ab.

Vorhang auf, das Stück begann und er hing als Marionette an Fäden.

Am liebsten wäre er tot umgefallen.

Die reinweiße Gardeeinheit empfing ihn beritten mit aller Ehrerbietung. Wenn sie über ihn gespottet hatten, drang davon nichts nach außen.

Man brachte ihm sein Reittier, den geflügelten Schimmel Jaspis. Wohl der vertrauenswürdigste Mitstreiter im gesamten Regiment. Selbst im Krieg war Luzifel auf ihm geritten und der Zosse hatte keinen Augenblick gescheut, als Dämonen sie bedrohten. Unerschrocken preschte der Pegasus durch die Horden von Teufeln und zermalmte alles, was vor seine gewaltigen Hufe kam.

Hingegen seiner Grausamkeit im Kampf war das Tier aber auch äußerst sanftmütig seinem Herrn gegenüber und kuschelte schon mal verspielt, gerade wenn Luzifel mit etwas Leckerem lockte. Besonders gern hatte er die violetten Beeren aus den Haingärten.

So viel Freundschaft und Treue konnte er von den Kriegern nicht erwarten.

Zärtlich tätschelte Luzifel Jaspis’ Hals und schwang sich auf seinen Rücken in den ledernen Sattel.

Schweigend folgte ihm die Garde Richtung Totenreich.

Es regnete. Und das nicht zu knapp. Innerhalb kürzester Zeit waren die Köpfe der Gardisten durchnässt und mit grimmigen Mienen trotteten sie durch das sonst so neblige Gebiet.

Der Hades war eine graue, triste Landschaft. Eine endlos wirkende Aneinanderreihung von kahlen Bergketten, ab und an durchzogen von ausgedehnten, farblosen Graslandschaften – wenn man von dem trüben Wasser des Flusses Lethe mal absah, das sich irgendwann in einem ebensolchen Meer verlor. Ohne Sonne war der Himmel ständig bewölkt und, wenn es nicht gerade wie heute aus Eimern schüttete, sah man allgemein vor Dunst selten die Hand vor Augen.

Grünschnäbel mochten nichts Wundersames am Land der Toten finden, aber Luzifel empfand den Tapetenwechsel zumindest etwas erfrischend. Einmal weg von der ganzen Reinheit, der Weißheit des Himmels, dem heiteren Wetter und dem angenehmen Klima.

 

Andere Mysterien eines anderen Gottes sehen.

Der Herrin des Hades’ war er allerdings noch nie begegnet, denn sie pflegte stets nur Konsultationen mit Gott zu halten. Für eine Audienz musste man mindestens genauso wichtig sein. Drunter ging es nicht. Anscheinend war sie eine ziemlich eingebildete Person ...

Dennoch hätte er sie gern einmal gefragt, was das für Leuchtpunkte waren, die um sie alle herumschwebten und ein Geräusch von sich gaben wie hell schellende Silberglocken. Die Luft war erfüllt von ihnen und ihr tausendfaches Klirren übertönte alle platschenden Regentropfen. Früher – als er gerade neu geschaffen und unwissend war – hatte er kindlich versucht, eines zu fangen und mit nach Hause zu nehmen, es wie ein Haustier zu halten. Nur spielten die Funken nicht mit und entschlüpften seinen Fingern ... Gott nahm ihn zornig ins Gespräch, er solle die Toten nicht bestehlen. Seitdem ließ er die Irrlichter glühen und ignorierte ihr schimmerndes Singen.

Ja, ich bleibe ganz artig. Wie befohlen ...

An der Spitze seiner nassen Gefolgschaft Stellung beziehend, spähte Luzifel von einer Steilklippe aus durch den Regenschleier, auf der Suche nach den Dämonen. Obgleich er hoffte, sie nicht im weiten Land zu finden. Vielleicht hatten sie das Höllentor bereits erreicht und er müsste erfolglos heimkehren.

„... weiß doch selber gar nicht, wo er hinreitet ...“, hörte er Reihen hinter sich die Hetzer murmeln. „... hat keinen Biss mehr, will nicht mehr kämpfen ... lässt die Höllenbrut sicher ziehen ... wir sollten den Rat benachrichtigen und uns einen neuen Anführer suchen ... Michael hätte sie bestimmt gefunden und wir könnten endlich raus aus diesem Mistwetter ... Ja, der Hohe Rat sollte uns Michael geben.“

Wegen dem ach-so-feinen Rat seid ihr Trottel hier, schoss es Luzifel wütend durch den Kopf. Stellt euch selber hin und macht es besser, anstatt nur an mir herumzunörgeln.

Für die Du-bist-Schuld-Nummer herzuhalten, hatte er keinen Nerv. Bloß weil einige Engel so neidische Idioten waren, dass sie alles gegen ihn auffuhren, was aufzufahren ging.

Pech für die Teufel. Wenn er sie fand, würde er an ihnen ein Exempel statuieren, wer im Himmel der größte aller Kämpfer war. Ganz sicher nicht sein viel geschätzter Bruder. Und alle Gegenspieler würden das stinkende Dämonenblut in die arroganten Visagen geschmiert bekommen, damit sie nie mehr auf den Gedanken kämen, sich über ihn lustig zu machen.

Zähneknirschend wischte er den Regen von seinen Augen und schärfte die Sicht.

„... hab gehört, er frönt seit Neustem der Trägheit ...“, verlachte ihn leise ein Niemand. „... neigt dazu, den Todsünden zu verfallen ... Vielleicht hockt er bald mit bei denen im Knast ...“

Dort.

Unterhalb einer Hochebene sah er eine Gruppe über die grasige graue Steppe ziehen. Geschätzt waren es um die zweihundert Mann, vielleicht noch fünfzig Köpfe mehr, aber Luzifel wusste erfahrungsgemäß, dass sie auch Kinder und Frauen mit sich führten. Es war mit Sicherheit niemals eine wehrhafte Kriegerelite.

Luzifel zog sein Schwert aus der Scheide. Die Kristallklinge wies glänzend in die Ferne.

Dunkel grollte der Gardeführer seiner Truppe zu: „Macht sie nieder!“,.

Jaspis breitete seine Flügel aus und stürzte mitsamt seinem Reiter den Hang hinab. Kurz bevor die goldenen Eisen das Gras platt trampeln konnten, sprang Luzifel aus dem Sattel und breitete seine eigenen Schwingen aus. Weiß brachen sie aus seinem Rücken hervor und gingen von einem scheinbar geisterhaften in einen physischen Zustand über.

Seinem Beispiel folgend, flogen die anderen Engel ihm nach und bald galoppierte ihre gesamte Herde geflügelter Pferde donnernden Hufes über die Feldmark, während die Soldaten mit gezücktem Silberschwert vom Luftraum her die gegnerische Gruppe anvisierten.

Den Angriff bekamen die Dämonen schnell mit, allerdings zerstreuten sie sich kopflos. Jaspis, als Anführer der Herde, rannte in einen Großteil der Flüchtigen hinein und machte sie dem Erdboden gleich. Seine Eisen zerschmetterten im Nu Knochen und Leiber. Schwarzes Blut tränkte das Land. Grelle Todesschreie hallten über den Hades hinweg.

Mit seinen Mannen griff Luzifel von oben herab die Überlebenden an und ihre Klingen surrten geräuschvoll durch die Luft, dass selbst das Läuten der Glühsterne übertönt wurde. Es dauerte nicht lange, da war von der Dämonenschar nichts mehr übrig.

Sein Schwert zog er getränkt aus dem Körper eines Toten. An seiner reinweißen Uniform blieb kein Schmutz haften, doch Luzifels Gesicht glänzte feucht vom Blut so vieler Opfer. Bebend vor Kampfeswut stand er inmitten all derer, die zu töten er gekommen war. Ein einzelner Monolith im stillen Leichenmeer.

Verdruss machte sich in ihm breit.

Wie erwartet. Bauern, Frauen, Kinder. Man schickte ihn, den Schlächter, gegen wehrloses Vieh. Was hatten sie einem derart tödlichen Streiter entgegenzubringen?

Für diese Art Krieg war er nicht geschaffen. Er war der verhasste Widersacher würdigerer Gegner. Größerer Feinde. Ihn gegen die Schwachen zu schicken – was für eine Verschwendung. War er nur dazu geeignet, Hirten und Greise zu vernichten? Worin lag der Sinn?

Für Ruhm und Ehre? Mit Sicherheit nicht.

Für den Himmel? Für den Rat, der ihm die Drecksarbeit überließ?

Wofür kämpfe ich hier eigentlich?

Warum bin ich hier?

Seine Ohren vernahmen wieder das Klirren der Funken. Sie waren mehr geworden und tanzten um ihn herum, als verfluchten sie seine Schandtat, das Wunder des Lebens nicht zu achten. Ihre leisen Töne klangen wie verzweifelte Stimmen im grauen Äther.

Seufzend drehte er sein Gesicht gen Himmel und ließ die kalten Wassertropfen das Kriegsfeuer löschen. Seine lodernde Wut kühlte aus. Langsam spülte der Regen das Blut von seiner blassen Haut.

Warum bin ich hier?

Warum kommt mir alles so falsch vor?

Warum kann ich nur töten?

Warum bin ich, was ich bin?

Wer bin ich überhaupt?

Die Garde scharrte sich um ihn. Keiner war so blutgetränkt wie er. Mit seinen schönen blauen Augen musterte er grimmig jeden einzelnen Engel, der nur furchtsam auf ihn zurückstarrte. Für sie schien er ebenso ein Dämon zu sein.

Ein Monster.

Ich bin nicht wie ihr.

Wer bin ich?

„Der Todesstern“, wisperte es verschwörerisch hinter ihm.

Luzifel ließ sein Schwert für heute ein letztes Mal niedersausen und brachte den Heuchler mit gezielter Schnelligkeit zum Schweigen. Der ihm unbekannte Gardist schien selber überrascht zu sein, denn er merkte erst, dass sein Hals durchtrennt war, als nur noch gurgelnde Worte des Blutes seinen Mund verließen. Der hohle Schädel kippte vor, zu seinen Füßen in den Schlamm, der leblose Körper fiel nach hinten weg.

Durch die gefletschten Zähne knurrend, strafte Luzifel diese Lästerzunge gnadenlos und grausam wie all jene Teufel, die so unnötig durch ihn sterben mussten.

Elender Rat.

Ihr feiges Pack.

Wutschnaubend peitschte er mit einem Schwung das Rot von der Klinge und verließ das Schlachtfeld. Niemand stellte sich ihm entgegen. Sie hatten Angst vor ihm.

Mit dem Ärmel wischte Luzifel Blut und Regen aus seinem Gesicht.

Todesstern? Ja, der bin ich wohl.