Mit schwarzen Flügeln

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6

Das, was sie zur Vorbereitung ihres ausgeklügelten Konzepts brauchten, war Zeit.

Gegen alle Erwartungen war es sogar Jahwe, die Luzifel diese gewährte, gedacht zur Planung seiner neuen Position. Weil er sein Anwesen in Azilut vorerst räumen musste, um ein bescheidenes Quartier in Sagun zu beziehen, mussten seine Bediensteten versorgt werden, allen voran natürlich Samael.

Schon bei ihrem Gespräch unter vier Augen fiel Luzifel auf: Der Junge war ein perfekter anonymer Intrigant. Er hatte gute Zeugnisse, galt als loyal und tugendhaft. Wenn er nicht freiwillig in seinen Dienst übergegangen wäre, hätte sich jede Abteilung um einen Musterknaben wie ihn gerissen.

Mit dem Gewinn an Zeit ordnete Luzifel an, dass Samael versetzt wurde. Von Sandalphon, der gern seinem Wunsch nachkam, in die Verwaltungsabteilung des Engelsgefängnisses der fünften Sphäre Machon.

Das geschah natürlich nicht ohne Hintergedanken. Alle, die dort einsaßen, hatten einen Groll gegen Gott sowie den Hohen Rat und für seinen Putsch brauchte Luzifel Verbündete.

Weil es aber unmöglich war, jetzt schon einen Massenausbruch zu organisieren, konzentrierten beide Verschwörer sich auf den schlimmsten Kern an dauerhaften Sträflingen.

Samael durchforstete rasch die Akten der Insassen und fand die gefürchteten Todsünden, einen Haufen todbringender Söldner, die dem verfallen waren, was Jahwe selbst als „nicht würdig für einen Engel“ bezeichnete. Die sieben nannten einander Geschwister, da sie wie Luzifel und Michael dem Licht eines gemeinsamen Sternes entsprangen, der gemeinhin als Kriegsstern bezeichnet wurde.

Im Großen Krieg waren sie ganz nützlich gewesen ... Jedenfalls die meisten von ihnen. Man handelte sie als die besten Kämpfer im Diesseits. Nach dem Sieg hatten sie mit ihren Künsten allerdings ausgedient und frönten abartigen Neigungen, jeder auf seine persönliche Art und Weise. Sie entsagten ihren Engelsnamen und wurden von der Weißen Garde gefangen genommen – was nicht ohne Verluste geschah.

Zu ihrem Glück erfolgte die Festnahme auf Metatrons Befehl, weswegen Luzifel hoffte, nicht ganz bei ihnen in Ungnade zu stürzen und sie für seine Sache zu gewinnen.

Mit ihnen in Kontakt zu treten, war jedoch nicht einfach.

Es gab ein kurzes Zeitfenster an dem Tag, wenn Luzifel den siebten Himmel verlassen musste und das würden sie vorsichtig nutzen. Samael würde dafür sorgen, dass niemand ihr Gespräch behelligte.

Eine erste Hürde wäre geschafft.

Luzifel hatte nicht erwartet, dass überhaupt jemand seinen Auszug aus Araboth mitbekam. Doch zu seiner Überraschung verabschiedete die Weiße Garde ihren Anführer – bis auf Weiteres – mit Ehrensalut und Zivilisten bejubelten ihn mit Glückwünschen für seine neue Arbeitsstelle. Sie vermuteten, es sei ein würdevolles Amt, das Gott persönlich nur ihm zugesprochen hätte – was deutlich von ihrem blinden Vertrauen zeugte.

Wenn sie wüssten, dass er zu einer Missgeburt geschickt wurde, die Jahwe ihnen vorzog, wäre es wohl eher zu einem wütenden Mob gekommen, der eine Exekution von ihm verlangte.

Nun ja, wenn sie bald die Wahrheit erfahren, bekämen sie noch früh genug ihre Chance, dachte er grinsend.

Von dem Grigori Ramuel verabschiedete er sich freundschaftlich mit Handschlag, was einige gut Betuchte seltsam fanden und verstohlen tuschelten.

Allerdings waren nicht nur Freunde und Bewunderer anwesend, um Luzifel Glück zu wünschen. Kamael trat ihm entgegen, gerade als er durch die Stadttore Aziluts gehen wollte, und in seiner Begleitung waren Gabriel und Uriel.

Er erinnerte sich an die kürzliche Heimlichtuerei der beiden Erzengel während der Feierlichkeiten in Jahwes Residenz. Gut möglich, dass sie zu diesem Zeitpunkt schon etwas von seiner neuen Position geahnt hatten. Den Ratsmitgliedern war ja der Mensch bekannt und diese feigen Jasager akzeptierten ihn bedingungslos.

Und was den Großrichter anbelangte, zog der nur eine so säuerliche Miene, weil Luzifel es wieder mal geschafft hatte, nicht hinter Schloss und Riegel zu landen. Zwar hätte er dann leichter mit den Todsünden kommunizieren können, wenngleich das wenig nützte.

„Hast du mir etwas zu sagen, oder versuchst du mich so lange angaffen, bis dir die Augen rausfallen?“, spottete der Schwarzkopf über die Silbersträhne.

„Gott ist viel zu nachsichtig mit dir. Sie lässt sich von deinem hübschen Glanz ebenso blenden, wie du all die anderen Unwissenden um dich herum täuschst. Doch merke dir gut, deine Schönheit ist vergänglich und ist sie fort, wird man dein wahres Wesen erkennen. Niemand wird dich mehr beachten. Du stehst dann allein“, faselte Kamael.

Luzifel stöhnte gelangweilt auf. „Wenn du je meine Sicht der Dinge verstanden hast, wirst du deine eigene Dummheit begreifen.“

„Deine Sicht der Dinge!“, höhnte Kamael dreist. „Du bist töricht, Morgenstern!“

„Nein, ich sehe als einziger Engel klar.“ Damit ließ er die Ratsmitglieder stehen, trat aus der Stadt und spannte seine weißen Flügel auf, um zum Fluss zu fliegen.

Diesmal würde es für Charon keinen Sold geben.

Lethe zog sich spiralförmig abwärts durch ein undurchsichtiges weißes Wolkenmeer. Nach einigen Flugminuten erschien der Bootssteg zur sechsten Sphäre blass im dichten Nebel und zog schemenhaft vorbei. Nach etwa der gleichen Zeitspanne tauchte auch der Anlieger zu Machon auf und Luzifel bog ab.

Er schwebte über eine karge Landschaft aus weißem Sand und silbernem Stein hinweg und erblickte bald am flachen Horizont die hochgezogenen Mauern aus Stahl und Dornendraht, die das Gefängnis der Engel umgaben – neben einem tiefen Graben, der alles verzehrendes Feuer und Rauch spuckte.

Nah über dem Luftraum der Festungsanlage fliegend, spürte er, dass die weißen Flügel sich gegen seinen Willen zurückziehen wollten, was ihn zur Landung zwang. Es war göttliche Magie, denn man wollte schließlich gewährleisten, dass kein Insasse unbedacht davonflattern konnte.

Die letzten Meter mussten also zu Fuß gegangen werden. Eine Brücke half bei der Überquerung des fremdartigen Feuergrabens und Luzifel klopfte an das schwere Eisentor.

„Wer da?“, rief eine Stimme dahinter.

„Engelsfürst Morgenstern“, stellte er sich ehrlich und gleichmütig vor.

„Was ist Euer Begehr?“

„Ich möchte zu Samael, dem Malach. Er stand bis vor Kurzem in meinem Dienst. Ich will sehen, dass es ihm an nichts mangelt.“ Das war nicht gelogen und würde keinen Verdacht erregen – vorausgesetzt die Todsünden würden in Zukunft zu ihrem Abkommen schweigen.

Dem Torwächter schien die Antwort zu genügen, denn die Barriere schwang laut ächzend zur Seite.

Luzifel trat ein, in einen schattigen Innenhof, schmucklos und unverziert. Regelrecht trist. Womit waren die Gefangenen gestraft? Mit gähnender Leere? Nun gut, die auf die Ewigkeit gesehen ...

„Ich führe Euch, Fürst Morgenstern“, meinte der wachhabende Engel, der ein stattlicher Kerl war. Hochgewachsen und kräftig wie Michael. Vielleicht gehörte er sogar zu den Mächten.

Sich nicht dagegen sträubend, ging Luzifel mit ihm, durch mehrere Türen und Gänge. Nirgends waren Kerker zu sehen, nur Verwaltungsräume und Unmengen Papierkram. Samael musste hier wohl überaus glücklich sein, liebte er doch diese ganze steife Bürokratie.

Tatsächlich fanden sie den Malach bis zum Hals begraben unter Aktenordnern, Büchern und Schriftstücken. Der weit offene Blick des Engels hatte etwas euphorisch, war jedoch nichts gegen die überschwängliche Freude, als er seinen alten Chef erkannte. Gleich einer gespannten Metallfeder sprang er auf und schüttelte Luzifels Hand. Redete überschwänglich schnell Floskeln der höchsten Verehrung.

Dem Wachposten wurde das bald zu viel und er ließ beide allein. Die schlichte Tür wurde nach ihm geschlossen.

Sofort änderte sich der manische Ton in Samaels Stimme ins ernste Sachliche: „Wir nutzen die Wachablösungen, um in die unteren Kerker zu gelangen. Wenn wir schnell sind, schaffen wir das in einem Ruck. Hinaus kommen wir, indem wir die Patrouillengänge abwarten. Natürlich wäre es besser, wenn wir die so schnell es nur geht überzeugen könnten, sonst machen die sich im dritten Himmel Gedanken, wo du bleibst!“

„Von mir aus sag ich denen, ich bin mit dir einen Tee trinken gegangen oder so was ...

Die Kerker sind also unten? Wozu dann dieser Hochbau?“ Er würde nie den Sinn und Nutzen der Justiz und ihrer Bauherren kapieren.

„Die Räume oberhalb sind für die Bequemlichkeit der Wachposten und anderer Sphärenbewohner. Mein Zimmer ist auch dort, aber das ist jetzt nicht wichtig.

Unsere neuen Freunde sind jedenfalls ganz tief unten und du solltest all deinen Charme spielen lassen. Doch wenn nur die Hälfte von den Gerüchten stimmt, die man sich von ihnen und ihrer Wut auf unsere derzeitige Führungsspitze erzählt, dann sind wir gut dran.

Groß vertrauen würde ich denen aber trotz allem nicht.“

„Und wieso?“

„Es sind Söldner! Ist dein Angebot weniger wert, werden sie dir in den Rücken fallen!“

Luzifel klopfte ihm auf die Schulter und seufzte. „Sollten sie das tun, kann ich von Glück reden, wenn ich nachher noch Zeit und Leben habe, um es ihnen heimzuzahlen.

Jetzt los und lass uns nicht weiter schwatzen.“

Samael war so klug, dass er die genauen Abläufe des Schichtwechsels schon am ersten Arbeitstag studiert hatte und jetzt jedes Detail aus dem kleinen Zeh heraus wusste. Keiner bekam sie zu Gesicht, als sie einen stillen Korridor passierten, seitlich eine steile Wendeltreppe abgingen und in einen neuen Gang eintraten.

 

Der Mauerstein veränderte sich mit jedem Treppenweg, den sie betraten und Luzifel fühlte bald ein gewisses Unwohlsein. Es erinnerte irgendwie an den Hades und seine trübe Stimmung. Obgleich es irgendwie noch kälter, nasser, hässlicher wurde. Das Licht der Fackeln glimmte nur noch spärlich, und als er die Wände entlang tastete, berührte er angewidert feuchtes, nach Schimmel stinkendes Moos.

Nein, hier wollte man nicht die Unendlichkeit absitzen.

Wenn ein Gefangener seinen Verstand nicht bereits verloren hatte, würde er sicher hier drinnen wahnsinnig werden. Zusammengekauert würde der abgezehrte Körper in einer Ecke hocken und sich wiegend mit dem letzten Funken Rationalität wünschen, jemand würde ihn töten.

„Ein guter Beweis dafür, was die liebe Jahwe bereit ist, ihren Engeln anzutun, sobald die anfangen, aus der Reihe zu tanzen. Wie siehst du das, Sam?“, lachte Luzifel kalt und sein Atem stieg in kleinen Dunstwölkchen nach oben. „Und die in Azilut denken weiter, alles ist schön und weiß.“

„Sie wissen es nicht anders. Auch ich hab es nicht glauben wollen, bevor ich nicht die Zellen sah. Gott schickt die Untauglichen auf einen quälenden Pfad des Leidens. Die Anstaltsleiter sprechen hierbei von ‘Reinigung’ und ‘Maßregelung’. Ich finde das grausam.“

Samael trat die letzte Stufe hinunter in einen schmalen Flur. Nur eine Fackel brannte hier und die nahm er aus der Halterung, um ihre nächsten Schritte zu beleuchten.

Im schwachen Feuerschein erkannte Luzifel eiserne Gitterstäbe und roch etwas Süßlich-Herbes. Einen ekelerregenden Geruch, den er sonst nur von alten Schlachtfeldern her kannte: Verwesung. Im Schatten der Löcher mussten unzählige Gebeine verrotten.

„Wie viele waren hier?“, fragte er seinen Getreuen.

„Es wurden viele aus dem Register gestrichen. Sehr viele. Sie töten sich oft gegenseitig. Die, die lebenslänglich einsitzen, sehen im Tod die einzige Chance zur Flucht. Je tiefer die Zelle, umso mehr steigt der Todeswahn. Aber erstaunlicherweise sind die sieben noch immer lebendig. Man sagt, sie würden eher den Tod absorbieren, anstatt dass er sie holt.“

„Ich mag die alle jetzt schon.“

Langsam gingen sie weiter.

Der Schlauch endete in einer schaurigen Katakombe, deren Decke kuppelartig, ja porös auf sie herabschaute. Derbe Risse durchzogen den Stein wie fremdartige Schriften, Eiswasser tropfte von den schwarzen Wänden und kreisrund war die Gruft mit noch gespenstischeren Kerkern umsäumt.

So könnte man sich die Hölle vorstellen, dachte Luzifel und pfiff leise, was in der Leere schallte.

Hier, am Ende eines Daseins, welches niemals mehr das helle Licht der Sonne sehen würde, erklangen Stimmen in der Dunkelheit. Und die schienen recht amüsiert.

„Na, na, na ... Wer traut sich denn da zu uns Abschaum hinunter?“, höhnte eine Männerstimme.

„Wenn das einer mitbekommt, kriegt ihr mächtig Ärger!“, flötete verspielt eine Frau.

Ein zweiter Weibergesang trällerte süß wie schräg ein Liedchen:

„Die kleinen Küken scheuen nicht,

Und zu uns kommen ins Dunkellicht.

Welch schöner Engel, der Morgenstern,

Er leuchtet auch für uns so fern.“

„Danke für diese spontane Einlage“, grinste Luzifel und spähte in den Zellenschatten. „Aber mit kleinen Gedichten verschwendet ihr euer Talent. Hat euch das Gefängnis zu Sängern gemacht oder seid ihr noch immer Krieger?

Ich würde euch gern einen Vorschlag machen, wenn ihr denn daran interessiert seid, wieder Wind in den Flügeln zu spüren.“

Vielstimmiges Gelächter antwortete ihm.

Samael und Luzifel traten näher an die Höhlen heran und der Schein der Fackel erhellte undeutlich die verwahrlosten Gestalten von sieben dreckigen, ausgemergelten Engeln. Ihre Haare wirkten allesamt verfilzt und die Haut zeugte nicht mehr von der göttlichen Makellosigkeit. Die grauen Kleidungsstücke waren armselige Lumpen, welche bloß noch notdürftig zusammenhielten.

Als das Feuer in ihre empfindlichen Augen fiel, verstummten sie ruckartig und zogen sich in die Finsternis zurück wie lichtscheues Ungeziefer.

Luzifel kannte die verstoßenen Grigori aber gut genug von früher, um jedes schäbige Antlitz sofort beim Namen zu wissen. Jedenfalls die Namen, die ihnen einst gegeben waren. Nur existierte nicht mehr viel von Veriel, Foziel, Thorael, Kianael, Sharuel, Luriel und Bartonel.

Die zarte, verführerische Schönheit der schwarz gelockten Venus Lux täuschte über all die Gräuel hinweg, die sie mit ihren Geschwistern zum Vergnügen beging. Dagegen war der sehnige Frozener Ace eher ein Tunichtgut und Faulpelz, der gähnend zusah, während andere arbeiteten. Der Drittjüngste war ein fetter, blondbärtiger Teutone und nannte sich jetzt Tonnar Gul, bekannt für seine Maßlosigkeit. Seine Schwester Kija Su schätze allein die eigene Schönheit, wogegen Chatus Ira, der muskulöse Hüne, den meisten Gefallen an Krieg und Zerstörung fand. Die bleiche Lissa Invi war das zänkischste, neidvollste Weib, was je im Himmel wanderte, und wurde in ihren Taten nur von dem hageren, habgierigen Geizhals und Anführer der Truppe, Barton Ava, übertroffen.

Soviel zur Vorstellung.

Als wären sie unheilvolle Dämonen, hockten die sieben teils fauchend, kichernd oder grollend in der Dunkelheit. Die Flammen ließen ihre Augen gefährlich wild vor Wut glänzen.

„Wir haben nicht die Zeit, um Witze zu reißen, und es ist mir durchaus ernst mit dem Gesagten, also hört mir zu, Todsünden!“, herrschte Luzifel die Verfluchten an.

„Ja, ja, wir hören ...“, maulte Frozener und fuhr sich durch die zerzauste schwarze Mähne, die ständig in sein scharfkantiges Gesicht fiel.

Kija zuckte die Schultern. „Haben ja nichts Besseres zu tun.“

„Dann haltet endlich mal das Maul!“, fauchte Barton beide übellaunig an.

„Wer ich bin, scheint ihr ja zu wissen“, sagte Luzifel ruhig und wies dann auf seinen Begleiter. „Das ist Samael, mein Vertrauter. Wir sind Wissende um ein Komplott Gottes gegen die Engel. Um ihre Machenschaften zu vereiteln, haben wir einen Putsch geplant.“

Lissa lachte hoch, dass Glas hätte springen können. „Ihr zwei? Das ist ja niedlich!“

„Nein, nicht nur wir“, sprach Samael inbrünstig. „Viele werden uns folgen, wenn wir Gott entlarvt haben!“

„Doch was wir brauchen, sind starke Verbündete“, setzte Luzifel fort. „Jahwe hat den Hohen Rat, die Weiße Garde, das Hohe Gericht ... Darum wollen wir euch anwerben, damit ihr mit uns gegen diese Feinde seid, sollte der Tag kommen, einen zweiten Großen Krieg im Himmel auszurufen.“

Chatus’ Bärenlache erschallte voller Freude. „Bei so einem Kampf bin ich gern dabei, kleiner Morgenstern! Wir alle haben noch mit dem Rat und Jahwes restlichem Gefolge eine Rechnung offen! Zu lange schon sitzen wir hier fest und mir juckt es in den Knochen!“

„Du machst uns ja hübsche Aussichten, Kleiner, aber wie wollt ihr eure Pläne umsetzen?“, fragte Barton ruhig. „Wie Chatus sagt, wir haben allen Grund, gegen Jahwe zu ziehen. Nur wenn ihr uns jetzt hier rausholt, weiß Gott von eurem Verrat und zu neunt ist eine Revolution schwer, auch für uns.“

„Wie Samael sagte, werden sich viele uns noch anschließen. Und eure Befreiung ist derzeit auch noch gar nicht -“

Luzifel wurde von Tonnar unterbrochen, der ungehalten polterte: „Warum sollten wir ein Wort von deinem Gerede glauben? Du bist doch der Gardeführer!“

„Stimmt, du könntest uns was vormachen“, gurrte Venus und leckte die Lippen. „Warum bist du hier und riskierst, dass man dich mit uns so lose entdeckt?“

„Er ist clever und opfert seinen Pelz nicht leichtfertig. Erst mal checkt er die Lage“, grinste Barton. „Machen wir mit, lässt er uns frei für den Putsch. Lehnen wir ab, streicht er uns aus dem Plan und macht die ganze Szene allein mit Sammy klar. Oder gibt das Unterfangen gleich auf.

Richtig, Herr Fürst?“

„Was hat euch die letzte Option zu beunruhigen, wenn ihr bereit seid, gegen Jahwe und den Rat zu kämpfen?“, entgegnete Luzifel kaltschnäuzig.

Bartons mageres Gesicht verzog sich zu einem Lächeln, dass er im Dämmerschein einem schrecklich grienenden Schädel glich. „Du machst mir Spaß, kleiner Todesstern ... So nennt man dich doch, oder? Man hört hier viele Gerüchte von dir ... Wenige sind so ehrenhaft wie die Gesänge der Heuchler im siebten Himmel.

Nun, dann erkläre uns mal dein tollkühnes Vorhaben. Ich bin vorerst interessiert. Was führt Gott denn so im Schilde, dass ihr Lieblingskind sie verrät? Und wann lässt du uns raus?“

„Haben wir euer Wort?“, fragte Luzifel stoisch.

Murmelnd zogen die Todsünden beratend die Köpfe zusammen. Tonnar schien nicht überzeugt zu sein, aber Chatus wäre für jeden Kampf zu haben.

Stolzierend trat Venus an das Gitter heran. Trotz all der Äonen hier unten, war sie noch immer der kostbarste Rohdiamant, den man sich unter den Engeln vorstellen konnte, und das wusste sie zu nutzen. Weibliche Reize waren ihre tückischen Waffen. Die leidenschaftlichen Lippen formten mit Lust die Sätze: „Wir sind zwar noch etwas misstrauisch, ob du dein Wort hältst, doch was haben wir zu verlieren außer unserem Leben?

Unsere Zustimmung hast du so weit, mein schöner Herr Luzifel. Unser Versprechen geben wir dir, wenn du uns gesagt hast, wie du uns freilassen willst. Unsere Treue in der Schlacht sei dir dann gewiss. Und unsere Dankbarkeit kann ich dir später ganz persönlich zeigen ...“

Davon war er überzeugt. Doch das letzte, woran der Engelsfürst derzeit Interesse hatte, war ein weiteres windiges Frauenzimmer, das ihm Ärger machte ...

Samael neben ihm gab einen abschätzigen Laut von sich. In seinen Gedanken hatte er für diese Art Weib eine passende Bezeichnung parat.

Seinem Verbündeten klopfte er zuversichtlich auf die Schulter. Luzifel schritt entschlossen zu Venus, bis nur noch das kalte Zellengatter zwischen ihnen lag. Sein Gesicht war dem ihren sehr nah und ein Knurren unterstrich seinen Zorn, als es sagte: „Deine Dankbarkeit zeigst du mir am besten, indem du jeden Feind niederringst, der sich dir in den Weg stellt. Unterlass deine Spielchen, Mädchen, ich gehe nicht zum Vergnügen ein solches Risiko ein. Spitz die feinen Ohren und unterbreche mich nicht, während ich von einer Zukunft spreche, die frei ist von Gottes Zwängen.“

Dann sah er ihre Geschwister mit festem Blick an. „Merkt euch meinen Namen:

Ich bin Luzifer.“

7

Er verschwand aus Machon, ohne großes Aufsehen zu erregen. Als sie einen ersten Wachposten antrafen, flanierten Samael und er durch den angelegten Glasgarten, der den freien Bewohnern der fünften Sphäre zur Erholung diente.

Der Malach brauchte kein Schauspieltalent, um weiter den begeisterten Anhänger zu mimen.

Von dem Getreuen verabschiedete er sich höflich, ganz neutral, und flog bald wieder den Fluss entlang, um den Steg im Nebel zu erreichen, der ihn nach Sagun führte.

Während dieser Reise dachte er über sein Handeln nach.

Mit dem Anheuern der Todsünden gab es kein Zurück mehr von seinem Weg der Vergeltung und er war mit der Namensänderung einen unsichtbaren Vertrag mit ihnen eingegangen. Er war jetzt Luzifer. Anführer einer Revolution. Höchster Streiter des zweiten Großen Krieges.

Jedenfalls, wenn es nicht anders ging. Es konnte ja durchaus sein, dass Jahwe vernünftig auf seine Forderungen reagierte. Aber irgendwie zweifelte er daran.

Warum klang ihm Luzifer besser in den Ohren, als der Name von Gott? Dieser Anrede lag nur die Änderung eines Buchstabens zugrunde und war im Gegensatz zu den Kosenamen der Todsünden schrecklich einfallslos. Doch ging er ihm schon in Fleisch und Blut über, als hätte er ihn schon immer getragen.

Auch schwammen Bartons Worte in seinen verworrenen Gedanken umher, der, während er an den Fingern abzählte, frech behauptete: „Es scheint so, dass du all unsere Sünden vereinst. Ja, ja ... Du bist stolz, keine Frage. Träge in deinem Dienst für die Garde. Selbstsüchtig in deiner Rache. Zornig ohne Zweifel. Neidisch auf den Menschen. Gierig nach Ruhm. Du willst die Macht Gottes. Wir sind Waisen gegen dich.“

Quatsch, so böse bin ich weiß Gott - äh ... bin ich halt nicht. Er beging die Sünden nicht so wie diese Typen. Ja, er hatte Fehler und die Dämonen wie Engel wussten zu gut von seiner blutigen Seite, jedoch dachte er an andere mit seinem Kreuzzug gegen die höchste aller Kräfte. Er trat für alle Engel ein, oder? Für ihre Unabhängigkeit. Das war doch ein ehrenwertes Ziel.

 

Oder?

„Da seid Ihr ja, Luzifel!“, rief eine Stimme von vorn ihm entgegen und aus dem Nebel schwang sich ein Engel durch die Luft, den er erst genau deuten konnte, als er ihm ganz nah war. Ein schwarzhaariger Krieger mit brauner Haut und klaren Augen.

Würdevoll neigte er sein Haupt und sprach dunkel: „Seid gegrüßt, mein Name ist Azrael. Ich komme im Auftrag Anahels. Er schickte mich voraus, um Euch in Empfang zu nehmen. Was hielt Euch auf?“

„Eine private Angelegenheit in Machon. Ich erkläre sie gern deinem Anführer, wenn er sich denn dafür interessiert. Ist Anahel immer so ungeduldig?“

Luzifer schwebte mit einem Flügelschlag um Azrael herum und flog weiter, während der andere ihm folgte und seine Frage beantwortete: „Nein, eigentlich nicht. Aber er herrscht nun mal über Sagun und Gott sitzt ihm im Nacken. Sie wollte informiert werden, wenn Ihr eintrefft.“

Sicher wusste Jahwe längst, dass er bei Samael haltgemacht hatte. Hoffentlich konnte er sie über seine Absichten hinwegtäuschen und hakte nicht mehr nach. Leider kannte er die Ausmaße ihrer angeblichen Allmacht nicht ...

Die Wolken um Lethe herum lockerten sich auf und der Steg kam in Sicht. Die Engel bogen ab und flogen über Land hinweg, das wesentlich gastfreundlicher wirkte als die Einöde im fünften Himmel.

Wenn auch unspektakulärer. Genau wie in Azilut eigentlich, alles schön, alles weiß oder aus Glas, ganz nett halt. Luzifer beachtete kaum, was unter ihm dahinglitt.

Eine gläserne, im Sonnenlicht glänzende Kuppel erweckte dann schließlich seine Neugier und er fragte seinen Begleiter: „Was ist das für ein Ding? Was ist darin?“

„Gott hat das für dieses andere Wesen geschaffen. Es ist ein Garten. Der Garten Eden.“

Aha, ein Garten. Luzifer hob etwas überrascht die Brauen. „Dieses Geschöpf ist wohl recht leicht zu befriedigen, wie?“

Azrael zuckte die Schultern. „Das Urteil überlasse ich Euch.“

Was soll das denn heißen? Es war doch bloß ein Garten. Und wenn dem Menschen glasklare Bäume und weiße Gewächse gefielen, fein, sollte es so sein. Ihn würde das nicht aus den Stiefeln hauen.

„Bist du diesem neuen Wesen bereits begegnet?“

„Nein“, schüttelte Azrael den Kopf, „nicht persönlich jedenfalls. Wir beobachten es, das ist alles. Gott hat uns verboten, mit ihm zu sprechen. Nur Gott darf mit ihm sprechen.

Selbst Euch wird man es nicht erlauben, Luzifel.“

Erzähl das einem anderen, Junge, grinste Luzifer in sich hinein. Jahwe mochte ihren Engeln das Wort verbieten, aber er hatte ihrem Dienst entsagt. Sobald die Gelegenheit kam, würde er die Aufmerksamkeit des Menschen suchen. Eine Unterredung bildete das Kernstück seines Plans.

Um die Kuppel herum siedelte ein Dorf an. Keine aufgedonnerten Bauten wie in der Hauptstadt, eher schlicht und einfach gehalten, ohne viel Gold und Glimmer. Am auffälligsten Haus sanken sie beide zu Boden und Azrael öffnete Luzifer die Tür ins Innere.

Es war eine Art Zentrale des ganzen Areals. An den Wänden hingen Zeichnungen und Aufbaupläne der Kuppelhalle, die sich auch über den mittig stehenden Schreibtisch ergossen. Bücher, Pinsel und Pergamente lagen ebenfalls quer im Raum herum und über die ganze Arbeit beugte sich ein einzelner Engel.

Er zupfte an etwas herum, dass Luzifer erst für eine gewöhnliche weiße Lilie hielt. Wären ihre graziösen Kelchblätter nicht in sattes Rot und ihr Stängel in saftiges Grün gefärbt gewesen. In der Form hatte er noch nie eine Pflanze gesehen.

Farben waren nur sehr hochgestellten Geflügelten erlaubt – jemandem wie Metatron und seinen Bruder. Aber einer Blume?

Der Unbekannte schaute mit verträumtem Blick ab von dem Gewächs und auf zu seinen Besuchern. Das Blondhaar war lang und glatt fiel es von seinem Kopf über die fürstlich weiße Tunika bis zu seinen Hüften. Das weiche Gesicht zeigte keinerlei Mimik.

Azrael verneigte sich vor ihm. „Mein Herr Anahel, ich bringe Euch Luzifel Morgenstern. Er war bereits auf den Weg. Eure Sorge war unbegründet.“

„Ich fühle mich trotzdem besser mit der Gewissheit. Danke dir, Azrael. Du darfst dich entfernen. Ich werde ein paar Worte mit dem Morgenstern bereden müssen“, sagte Anahel im schläfrigen Ton.

Der dunkle Engel nickte und verließ sie ohne Widerworte, die Luzifer bestimmt eingefallen wären, wenn man ihn vom Gespräch ausschließen würde.

Allein zu zweit, wies Anahel ihn an, auf einem freien Stuhl Platz zu nehmen.

„Ihr seid bei Gott ziemlich in Ungnade gefallen, Fürst Morgenstern, dass sie Euch zu uns schickt, um unter meinem Befehl zu dienen“, eröffnete der Sphärenleiter das Gespräch.

Luzifer nahm diesen kleinen Stich nicht zu schwer. „Wir hatten verschiedene Ansichten und Ihr wisst ja, dass sie es nicht leiden kann, wenn man ihr widerspricht.

Sprechen wir nicht von meinen Fehlern. Mich interessiert, wie Ihr der Pflanze Farbe gegeben habt!“

Anahel schmunzelte kaum merklich und sah auf die Lilie zurück. „Sehr hübsch, nicht?

Doch Ihr irrt, ich habe dieses Wunder nicht getan. Es war Gott, als sie den Garten Eden schuf. Sie hatte Interesse an etwas Neuem und so gab sie den Gewächsen andere Farben, statt sie so zu belassen, wie wir sie kennen.

Dann erschuf sie den Menschen aus dem lehmigen Boden des Gartens.“

„Aus dem Boden? Hat ihn einfach so wachsen lassen, als sei er auch nur ein Kraut der Erde? Ha, da brennt das Feuer in uns aber heißer, nicht?“, lachte Luzifer herablassend.

Ein Wesen, aus Lehm geformt. Komisch, wo sie doch am Anfang allen Lebens gemeckert hatte, dass der Erde nichts Brauchbares entstieg.

„Man kann von dem Menschen halten, was man will. Dann ist er halt ein Kind des Lehms ...“, lahmte Anahel matt.

Abschätzig schnalzte Luzifer mit der Zunge. „Macht Euch das gar nichts aus? Jahwe erschafft mal so nebenbei ein neues Wesen. Was, wenn sie beschließt, uns dafür zu vernichten?“

„Dann ist es Gottes Wille, dass wir vergehen. Sie hat uns geschaffen, sie kann uns auch vernichten.“

Puh, der Knabe ist mürbe im Hirn, dachte Luzifer. Wieso nahm er das so hin? Ohne einen Funken Ehre oder ein Quäntchen Zorn? Ob sie wieder den Verstand anderer frisiert hatte, um die Kraft der Bewohner Saguns zu brechen?

Vielleicht war Anahel auch bloß müde von der Ewigkeit, dass er sich mit allem, was auf ihn zukam, zufriedengab. Kann sein ...

„Warum will Jahwe nicht, dass wir mit den Menschen sprechen? Hat sie Euch das erklärt?“, fragte der Morgenstern nach einiger Stille.

„Oh, ja, hat sie“, sagte Anahel etwas munterer. „Gott hat den Menschen nach ihrer Perfektion kreiert, doch jeglicher äußere Einfluss, gerade von uns Engeln, könnten das unbefleckte Denken und Handeln dieses Wesens zerstören. Gott befürchtet, ihr neues Geschöpf könnte an der Welt zerbrechen, wenn die Augen des Menschen wirklich zu sehen begännen und sein Verstand wächst.“

Sie will ihn dumm halten, um ihn leichter zu dressieren, wie sie es einst mit den Engeln tat, bis diese selbstständiger wurden. Allmählich empfand Luzifer fast Mitleid für diese erbärmliche Kreatur.

„Also fassen wir zusammen“, beugte er sich etwas vor und sah Anahel fest an. „Der Mensch lebt im Garten Eden unter der Kuppel, in einer bunten kleinen Welt, von der er nicht weiß, dass sie nur ein exorbitanter Käfig ist. Er kennt weder uns Engel, noch hat er je Gott gesehen, richtig?“

„Gott spricht ab und an als Stimme zu ihm“, ergänzte Anahel. „Sie ist seine einzige Freude.“

Sicher sabbert der Mensch Gott noch mehr an als Samael mich, sann Luzifer nach. Was wäre wohl, wenn Jahwe den Menschen verstoßen würde? Die Möglichkeiten, auch diesem Flehenden das Herz zu brechen und ihn von der großen Gottheit abzuwenden, schienen grenzenlos weit gefächert.

Bevor die Kreativität seinen Kopf rauchen ließ, unterbrach Anahel seine Gedankenströme und sagte, dabei recht motivationslos Arme und Hände hebend: „Was reden wir nur von dem Menschen? Worte werden ihm nicht gerecht. Das Beste ist, Ihr schaut ihn Euch selbst an, Luzifel.

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