Wintercount - Dämmerung über dem Land der Sioux

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

GALL SPRICHT

Keyaschante träumte so tief, dass Gall ihn wiederholt wach rütteln musste. „Hunka, deine Gedanken sind weit weg. Du hast im Schlaf gesprochen. Komm an diesen Ort zurück. Ich habe dir etwas Kräutersuppe aufgewärmt, sie wird dir gut tun. Trinke sie ruhig aus, das wird deinen Magen beruhigen.“

Gall stellte die dampfende Schüssel neben Keyaschante, setzte sich und sah seinen Hunka an. „Während du deine Suppe trinkst“, sagte Gall, „werde ich dir erzählen, warum ich mich in diesem Teil des Landes befinde, so weit weg von meinem Dorf.“ Ein paar Sekunden verstrichen, in denen er sich überlegte, wie weit er für seine Erklärung ausholen musste. Vielleicht war es das Beste mit der Hunkazeremonie zu beginnen, die nun schon zwölf Winter zurücklag.

Keyaschante nippte an seiner Suppe und wartete. Er wusste, dass Gall über das, was er sagen würde, nachdenken musste. Gall durchbrach die Stille und fuhr fort: „Das erste Mal, als wir uns trafen, hatte sich niemand freiwillig aus deinem Dorf für den Kampf gegen die Blassgesichter gemeldet – wahrscheinlich, weil Chiefeagle einen reichlich abgelegenen Teil des Landes ausgewählt hatte, um dort seine Zelte aufzustellen. Deine Leute kamen nicht so oft in Kontakt mit den Weißen, und waren mit den Betrügereien, mit denen die Weißen unser Land erobern wollen, nicht vertraut. Sie wussten nicht, dass die Bleichen überall um sie herum den Boden umpflügten, dass sie die Büffel töteten und die Indianer auf kleinen Landstrichen zusammenpferchten. Sie wussten nicht, dass die Leute in diesen Reservationen gezwungen sind, sich von so wenig Essen zu ernähren, dass es sie nicht einmal mehr vor Krankheiten bewahren kann.“

Galls Stimme war anfangs dumpf und monoton, doch der Ärger in seiner Stimme wuchs mit jedem Satz. Um seinen Zorn zu dämpfen, erhob er sich schließlich von seinem Platz und lief aufgebracht hin und her. Auf Keyaschante übte dieser tapfere Mann eine merkwürdige Faszination aus. Er sprach mit der Zunge eines Erzählers, und seine Gesten, die jedes gesprochene Wort begleiteten, waren fast wie eine zweite Sprache. Diese Fähigkeiten zwangen jeden, wie gebannt zuzuhören und das zu bewundern, was er zu sagen hatte.

Gall beruhigte sich langsam und setzte sich wieder.

„Die Tage, an denen sich die Familien gegenseitig besuchen können; an denen die Alten sich im Schatten ausruhen und ihren Spaß haben; an denen die Frauen lachen und plaudern und ihre Würfelspiele spielen; oder die Kinder sorglos die Spiele die Erwachsenen nachahmen – diese Tage werden bald vorbei sein. Das mächtige Volk der Sioux wird diese Tage ebenso verlieren, wie seine Vettern im Osten sie bereits verloren haben, wenn sie nicht all ihre kleinen Streitigkeiten vergessen und ihre ganze Kraft vereinen, um gemeinsam gegen die Weißen zu kämpfen.“

Gall machte eine Pause, um sich zu räuspern, dann fuhr er fort: „Ich wurde von Little Crow, einem Häuptling der Santees, gewarnt, weder den Rauch des weißen Mannes zu rauchen, noch das Feuerwasser des weißen Mannes zu trinken oder seine Speisen zu essen. Er hat prophezeit, dass unser Erbe zerstört wird, wenn wir so leben wie der weiße Mann! Der Weiße Mann wird dem Indianer nicht helfen! Stattdessen wird er dem Indianer alles nehmen und ihn nie in Ruhe lassen. Und Little Crow hat mit aufrechter Zunge gesprochen, denn die Pelzjäger haben seine Worte bestätigt!“

Galls Stimme klang nun bitter. „Die schwatzenden, weißen Wilden haben viele Verträge gebrochen. Sie sprechen mit gekrümmter Zunge.“ Er schüttelte sich, als wolle er diese unangenehmen Gedanken loswerden.

Für Gall gab es nur zwei Gefühle, die ein Mann gegenüber einem anderen Mann hegen konnte – Liebe oder Hass. Gall hatte sich entschieden, die Weißen zu hassen; nicht etwa wegen ihrer bleichen Haut, sondern weil die meisten, die er kannte oder kennen gelernt hatte, keinerlei Ehre hatten. Es war viel besser, im Kampf von einem feindlichen Indianer getötet zu werden, als eine Niederlage von jenen zu erdulden, die all ihre Versprechen brachen.

Es schüttelte den Mann allein bei dem Gedanken, von diesen herzlosen Weißen besiegt zu werden. Für sein Volk war ein Krieg keine Frage des gegenseitigen Auslöschens, sondern eher eine Mutprobe. Die Büffeljagd auf feindlichem Gebiet, das Stehlen von Pferden und der Kampf zwischen Feinden wurden stets von kleinen Kriegsgruppen durchgeführt; und all dies brachte hohes Ansehen. Die Art, wie der weiße Mann kämpfte, war schlecht!

„Wir haben versucht, den Kampf mit den Eindringlingen zu vermeiden“, erklärte Gall, „bis sie eine Diebesstraße durch unser Land gebaut haben, um an das gelbe Metall zu kommen, das sie hinter dem Powder Fluss gefunden haben. Festungen wurden erbaut, um diese Strecke zu beschützen. Wir haben dieses Unrecht vergolten, indem wir eine Gruppe Blauröcke in der Nähe von Fort Kearney angegriffen und getötet haben.“

Er beugte sich vor und wischte sich über die Augen, als müsste er eine schlechte Erinnerung wegwischen. „Zwei Winter zuvor haben uns die gleichen Blauröcke überrascht und viele unserer Familien ermordet… sogar Säuglinge haben sie nicht verschont. Seit diesem schwarzen Tag bin ich auf dem Kriegspfad! Ich habe bei vielen Kämpfen geholfen, so auch bei Fort Kearney, Wagon Box, der Horseshoe Station und anderen.“

Sein Gesicht glühte vor Wut, und Gall lief umher wie ein eingesperrter Bär. Während er mit einer Hand in Richtung der Black Hills zeigte, fuhr er mit seinen eindringlichen Worten fort. „Die Paha Sapa ist das letzte noch verbliebene Symbol der großen Macht unseres Volkes. Wir können den Weißen nicht erlauben, dass sie diesen heiligen Boden entweihen, indem sie nach dem gelben Metall graben. Diese Berge sind heilig, denn sie sind ein Symbol der Natur selbst! Sie stehen gleichbedeutend für den Großen Geist.“

Still dachte Keyaschante über die Wahrheit nach, die in den Worten von Gall steckte. Seine Gedanken wurden durch Galls letzte Bemerkung unterbrochen. „Hunka, es tut mir leid, dass ich meinen innersten Gedanken erlaubt habe, wie Kriegsbemalung hervorzustechen. Aber ich muss so sprechen, da ich weiß, dass sich unsere Art zu leben am Rande eines Abgrunds befindet, der sich weit auftut, um uns zu verschlingen. Bitte verzeih mir, dass ich vergessen habe, welchen Schmerz du erlitten hast und dass ich dich nicht deine Geschichte erzählen ließ!“

Von Gefühlen überwältigt begann nun Keyaschante zögernd davon zu berichten, wie er und Tscheyesa-win geheiratet und sich auf die Hochzeitsreise begeben hatten. Er wusste noch jede Einzelheit, und seine Beschreibung der weißen Peiniger war sehr genau. Als seine Erzählung an dem Punkt angelangt war, an welchem er Gall getroffen hatte, antworte dieser mit folgenden Worten:

„Keyaschante, du hast Qualen ertragen, welche sonst Männer, die wesentlich älter sind als du, nicht erleiden müssen. Allein wegen dieser Geschehnisse ist dein Herz nun alt, vielleicht auch weise. Dein Herz ist stark, und dir gebührt die höchste Ehre. Du musst tun, was du zu tun hast, und du darfst nichts und niemandem erlauben, sich dir in den Weg zu stellen. Du wirst deinem Gelübde treu bleiben und für das Große Geheimnis den Sonnentanz durchführen.“

Gall räusperte sich kurz, denn hier wurden gerade heilige Worte gesprochen, dann machte er eine leichte Handbewegung:

„Ich habe dem, was du gesagt hast, die größte Aufmerksamkeit geschenkt, doch mir fällt auf, dass ich nichts über den Zustand in ihren Köpfen begreife, nicht einmal über den Tod von Dürrer-Vogel. Mein Magen drehte sich um bei dem Gedanken, dass ein Santee seine eigenen Leute verrät. Vielleicht waren seine Taten ja das Resultat davon, dass er sich mit den Weißen eingelassen hat. Die Gier der Weißen hat sich auf ihn übertragen, und er konnte den rechten Weg nicht mehr erkennen. Anders lässt es sich nicht erklären.“

Gedankenverloren hob Gall die leere Suppenschale auf und drehte sie spielerisch in seinen Händen. Seine eintönige Stimme erweckte den Eindruck, als würde er mit sich selbst sprechen. „Meiner Meinung nach, haben sie dich ausgepeitscht, um deinen Geist in das Reich der Toten zu schicken. Dein Körper sollte den wilden Tieren zum Fraß dienen. Du hattest eine gute Medizin und dein Körper war stark, und so bist du nicht gestorben.“

Gall suchte nach den richtigen Worten, und es entstand eine kurze Pause.

Keyaschante war sichtlich beeindruckt von dessen ergreifender Botschaft.

Gall machte eine beruhigende Handbewegung: „Es ist durchaus möglich, dass Tscheyesa-win noch am Leben ist, aber es kann sein, dass sie als Sklavin verkauft wurde, so wie sie es im Osten getan haben. Wir müssen unsere Ohren offen halten, ob jemand etwas über ihren Verbleib weiß. Geduld wird dir sicherlich schwer fallen, aber wenn du einen kühlen Kopf behältst, wirst du sie finden.“

Viele Minuten verstrichen, in denen kein Wort zwischen den beiden Männern gewechselt wurde, denn sie waren beide in ihren Gedanken versunken. Gall durchbrach das Schweigen und sagte: „Vor zwei Tagen erreichte ich euer Dorf mit einer Nachricht für Chiefeagle. Ich habe mich aus zwei Gründen freiwillig als Überbringer dieser Nachricht gemeldet. Erstens wollte ich die Gelegenheit nicht verpassen, dich in deiner neuen Männlichkeit zu sehen; ich wollte sehen, zu welch talentiertem Mann du herangereift bist. Der zweite Grund war die Nachricht selbst. Als ich die Nachricht von Red Cloud überbrachte, berief Chiefeagle sofort eine Versammlung ein, an der alle Familien des Lagers teilnehmen sollten. Red Cloud hatte die dringende Bitte an alle Sioux gerichtet, dass man sich darüber beraten müsse, ob man die so genannten Schürfrechte in den Black Hills an den weißen Mann verpachten sollte. Die Ältesten entschieden sich dafür, dass das ganze Dorf zu diesen Verhandlungen gehen sollte, da es ohnehin nur so klein ist. Du und Tscheyesa-win wart die Einzigen, die nicht da waren. Sie haben keine Zeit verloren und sind sofort aufgebrochen, und ich bin zurückgeblieben, um eure Rückkehr zu erwarten.“

 

Keyaschante überdachte diese Worte genau, ehe er schließlich fragte: „Warum versuchen diese Fremden, sich uns aufzudrängen? Es ist nicht mehr viel Wild übrig, denn sie haben die meisten Büffel bereits getötet. Es wird wohl dieses gelbe Metall sein, von dem Du erzählt hast, dass ihnen so wichtig ist. Vor ein paar Monden hat uns Red Cloud berichtet, dass es schon so viele Bleichgesichter am anderen Ufer des Vaters aller Flüsse gibt, dass sie sogar übereinander leben müssen. Vielleicht ist das der Grund.“

Keyaschante hatte ein Thema angeschnitten, über das Gall mit viel Beredsamkeit sprechen konnte, und Gall sprach mit aller Würde, die ein derart weiser Häuptling des Rates besaß. „Ein Mann sollte sein Leben in Harmonie mit seinem Volk verbringen! Er muss fähig sein, ihnen mit offenen Armen entgegentreten zu können. Falls er ablehnt, dies zu tun, zeigt er damit, dass eine Wand bösen Willens seinen Verstand durchzieht. Ich bin mit stolzem Herzen unter stolzen Leuten aufgewachsen, und wenn ich durch die Paha Sapa wandere und mich darauf besinne, welche Bedeutung die Berge für uns haben, dann verwandelt sich mein Stolz in ein Wesen aus Demut. Die vollkommene Schönheit um mich herum ist mehr, als meine Worte ausdrücken können. Keine Sprache kann diese heilige Pracht in Worte fassen!“

Mit einem schiefen Grinsen schaute Gall zu seinem Gefährten. „Du musst mir verzeihen, mein Hunka. Ich bin mit meinen Gedanken abgeschweift und habe deine Frage nicht beantwortet. Ich weiß nicht, warum der weiße Mann so fühlt, wie er fühlt. Ich habe deren Farbe bisher nur auf dem Bauch einer Schlange gesehen, die durch das Gras kriecht, aber ich glaube nicht, dass die Farbe der Haut von Belang ist.“

Er lachte ohne Humor und wurde dann wieder ernst.

„Es kommt nur darauf an, was im Geist eines Menschen ist. Eigentlich sehen die Weißen so ähnlich aus wie wir, und sie würdigen das Große Mysterium genauso wie wir, aber im Gegensatz zu uns benutzen sie Häuser, um Ihn zu verehren, und sie benutzen Abbildungen und Figuren von irgendwelchen Leuten. Das ist, was ich nicht verstehen kann.

Der Große Geist, der uns beschützt, hat die Erde erschaffen, warum sollte man also Dinge benutzen, die Er nicht erschaffen hat? Wir huldigen Ihm durch Seine eigenen Schöpfungen, durch die Sonne, die Erde, den Wind, den Donner und den Blitz.“ Galls Worte waren leidenschaftlich, und er sprang auf, um seine Rede mit donnernder Stimme zu beenden. „Die Paha Sapa sind Sein geheiligter Boden und dürfen nicht durch Männer entehrt werden, die in seltsamen Häusern ihre Gebete verrichten.“

Keyaschantes Augen waren vor Ehrfurcht ganz groß, als er Gall beobachtete. In Galls Gegenwart fühlte er sich wie ein kleiner Junge, und so kam es auch, dass er sich in dem fragenden Tonfall eines Kindes an Gall wandte:

„Hast du jemals unter den weißen Leuten gelebt?“

„Nein!“, gab er zurück. „Bei allem, was mir heilig ist, niemals!“ Sein scharfer Tonfall wurde von seiner geballten Faust begleitet, die durch die Luft schwang. „Lange Zeit ehe der Vertrag in Laramie unterzeichnet wurde, lernte ich Pelzhändler und Trapper kennen. Von Zeit zu Zeit lebten sie unter uns, aber sie waren Männer von Ehre, so wie wir. Sie waren gute Menschen, von allen respektiert. Der-mit-Fellen-handelt war einer von ihnen. Hast du von ihm schon mal gehört? Der Mann, den sie Der-mit-Fellenhandelt, den Händler, nennen?“

„Ja, ich habe ihn sogar schon gesehen, als er in unser Dorf kam. Er ist genauso außergewöhnlich, wie die vielen Geschichten, die man über ihn erzählt. Es fällt schwer, an einen weißen Mann zu denken, der genauso ist wie wir.“

„Er ist ein sehr außergewöhnlicher Mann“, unterstrich Gall. „Er ist wie einer der Unseren. Wusstest du, dass er sich in ein Sioux-Mädchen verliebt und sie gemäß unserem Brauch geheiratet hat? Er und seine Frau leben nun dort, wo der Rapid Bach vom Cheyenne Fluss geschluckt wird. Es war Der-mit-Fellen-handelt, der mir viel von der Lebensart des weißen Mannes erzählt hat. Auch Sitting Bull berichtete mir über die Kultur des weißen Mannes.“

Gall kniete nieder, schaukelte dabei sanft mit seinem Oberkörper vor und zurück, und schaute mit ausdrucklosem Gesicht auf den Jungen.

Keyaschante wartete darauf, dass Gall die Worte für etwas finden würde, dass er selbst kaum begriff. Schließlich sprach Gall in einem ruhigen Tonfall:

„Der-mit-Fellen-handelt hat immer mit aufrechter Zunge gesprochen. Du konntest den Worten glauben, die er sagte. In all den Jahren, in denen er mit uns zusammen lebte, hat er nie auch nur ein falsches Wort zu einem unserer Leute gesagt. Immer war er gerecht, und immer hatten wir die gleichen Grundsätze. Einmal hat er mir erzählt, dass sich die Indianer keine Sorgen zu machen brauchten, ihr Land an die Weißen zu verlieren, denn vor vier Wintern hätte der Große Weiße Vater ein Gesetz erlassen! Dieses Gesetz nannte er den ‚Nationalen Indianer Politik Vertrag’, oder zumindest so ähnlich. Doch als ich Der-mit-Fellen-handelt auf all die gebrochenen Verträge ansprach, hat er nicht geantwortet. Er glaubt genauso wie ich, dass das Gekritzel des weißen Mannes auf einem Stück Papier besagt, dass wir Rechte haben, aber Papier kann verbrannt werden, und so wird es bedeutungslos. Ich sagte ihm, dass es sicherlich gut von ihm gemeint war, mich aufmuntern zu wollen, aber dass es nicht leicht sein würde, den Worten des Weißen Vaters Glauben zu schenken, wenn er in schlechtem Glauben handelt.

Wenn Männer mit der Absicht zu uns kommen, einen Vertrag mit uns zu schließen, obwohl sie bereits vorher wissen, dass sie ihn brechen werden - dann ist das verwerflich! Und während sie diese Dinge tun, huldigen sie Gott und nennen seinen Namen! Ich nenne das Gotteslästerung! Ist es unter diesen Umständen nicht verwunderlich, dass wir diese Verträge als nichtig ansehen?“

Keyaschante hob zu sprechen an, ließ sich dann jedoch seine Worte nochmals durch den Kopf zu gehen. Gall schien ebenso sehr mit sich selbst zu reden, wie er zu Keyaschante sprach, so dass sich eine Antwort als überflüssig erwies.

„Red Cloud und die anderen könnten den Weißen die Black Hills ebenso gut gleich übertragen. Sie werden sie sich ohnehin nehmen. Es gibt derer bereits zu viele. Mit Red Cloud zur Ratsversammlung zu gehen, würde mich nur an die vielen gebrochenen Versprechen erinnern und mein Herz würde weinen. Ich weiß, was geschehen wird, friedlich oder nicht, und dieses Wissen macht mich traurig.“

Galls Lippen wurden schmal vor Entschlossenheit, als er zu seiner abschließenden Folgerung ausholte: „Ich für meinen Teil bin bereit, im Kampf zu sterben. Es ist besser, für das zu sterben, woran man glaubt, anstatt gedemütigt auf dem Bauch zu kriechen.“

EIN UNBEFOLGTER RAT

Die Eingangsklappe von Chiefeagles Behausung war geschlossen und verankert worden, denn die Leute sollten wissen, dass sie das Familienoberhaupt und seinen Enkel nicht stören durften. Eine wichtige Besprechung wurde darin abgehalten, denn Keyaschante suchte den Rat eines Älteren, der über mehr Weisheit als er selbst verfügte.

„Deine Ankunft hier hat mich sehr erfreut, mein Sohn, aber das Wissen um Tscheyesa-win betrübt mein Herz. Ich habe dafür gesorgt, dass die anderen Stämme von ihrem Verschwinden benachrichtigt werden. Sie wird gefunden werden. Gib die Hoffnung nicht auf. Wir müssen geduldig und stark sein und darauf warten, dass wir ein Lebenszeichen von ihr erhalten.“

Chiefeagle sprach auf eine Weise, als wolle er die Angst eines Kindes zerstreuen. „Du bist zu mir gekommen, um meinen Rat zu hören und dies werde ich nun versuchen.“

Chiefeagle nahm seine Pfeife aus dem reich mit Perlen verzierten Tabaksbeutel und stopfte sie bedächtig mit indianischem Tabak. Seine Hand zitterte, als er nach einem trockenen Zweig griff und dessen schmaleres Ende in das heiße, niedrig brennende Feuer hielt. Er wartete einen Moment, dann entzündete er den Inhalt der Pfeife. Als der Häuptling einen tiefen Zug nahm und den Rauch in einer großen Wolke entließ, wirkte er auf Keyaschante wie ein alter, müder Mann.

„Das ist gut so! Es ist dein Vorrecht und es zeigt, dass dein Verstand groß genug ist, das aufzunehmen, was ich dir zu sagen habe. Denke immer daran, dass dein Verstand wie ein Tipi sein sollte. Lass die Klappe am Eingang offen, so dass immer frische Luft hereinkommen kann, um den Rauch der Verwirrung hinauszuwehen.“

Er lehnte sich vor, schaute Keyaschante mit einem stechenden Blick in die Augen; dann nahm er noch einen Zug von der Pfeife, ehe er fortfuhr. „Mein Enkel, du bist von meinem Blut und ich werde die Last, die auf deinen Schultern liegt, mit dir teilen. Du musst bereit sein, deinen tiefen Schmerz mit mir zu teilen und deshalb bist du nun hier.“

Diesmal nahm der alte Mann mehrere Züge aus seiner Pfeife und blickte nachdenklich dem Rauch hinterher, der zur Spitze des Tipis hinaufwirbelte.

Weisheit spricht nicht aus der Hast heraus und so nahm er sich Zeit, um seine nächsten Worte zu bedenken. „Du, mein Junge, musst nun lernen, dass alles, was für uns von Wert ist, nicht unbedingt leicht zu erringen ist, und dass die Qualen des Verstandes und des Herzens das ganze Leben hindurch ertragen werden müssen.“

Es folgte noch ein Zug aus der Pfeife, als müsste er sich vergewissern, dass sie noch brannte. „Keyaschante…. das Oberhaupt aller, das Große Mysterium, hat die Natur in aller Stille für uns erschaffen, so dass wir sie nutzen und beschützen mögen. Aber die Natur zwingt uns auch, gemäß ihren Gesetzen zu leben. Das muss einfach so sein. Deshalb sind wir die Teton Sioux – die Leute, die ihr Lager aufschlagen.“

„In diesem, unserem Leben können wir sagen, dass wir Menschen sind, die sich auf einem Weg befinden! Wenn wir all unsere Leben zu einem einzigen scharfen Gedanken zusammenfassen, dann wirst du wissen, dass wir das Leben nur streifen, ehe wir die ewigen Jagdgründe unserer Vorfahren erreichen!“ Die Worte von Chiefeagle waren langsam und bedächtig.

Für Keyaschante klangen die nächsten Worte, die er hören sollte, mehr nach einem Befehl als nach einem Ratschlag.

„Mein Enkel, bleibe hier und warte auf Tscheyesa-win. Du musst auf ihre Rückkehr warten. Das scheint deine Bestimmung zu sein.“

„Warten?! Hier bleiben und warten?“ Fast schrie Keyaschante diese Worte.

„Hier zu bleiben würde gleichsam bedeuten, an Untätigkeit zu sterben. Lieber sterbe ich, während ich tatsächlich etwas tue.“

Chiefeagle hob seine Hand und bedeutete ihm zu schweigen. „Jawohl, warten! Du musst warten! Falls sie am Leben ist, wird sie zurückkehren. Falls nicht, erinnere dich immer daran, dass dieses Leben nur der Weg zu einem besseren ist.“

Als der alte Mann fortfuhr, sprach er im strengen Tonfall und mit knappen Worten. „Geh hinaus und wandere über die Erde dieses Lagers, bis du über die Dinge nachgedacht hast, die ich dir gesagt habe. Wenn du dir über deine Gedanken klar geworden bist, kehre zurück. Was immer du dann sagen wirst - ich werde zuhören. Aber nun muss ich gehen, um die anderen im Zelt von Red Cloud zu treffen.“

Chiefeagles Leute bewohnten den äußersten nordöstlichen Teil des Lagers. Sie lebten am weitesten vom Ratsfeuer entfernt, da sie die Einladung hierzu als einer der Letzten erhalten hatten.

Die Vertreter fast aller Stämme der Teton Sioux waren selbst von weit her zu dieser Versammlung herbeigeeilt, denn sie waren von Red Cloud auserwählt worden, um sich mit den Männern der Regierung zu treffen. Oglalas, Hunkpapa, Miniconjou, Sans Arc, Brulé, Blackfoot; alle waren da. Selbst ein paar Yankton und Santees vom östlichen Zweig des Sioux-Volkes waren anwesend, ebenso wie ein paar Cheyenne und Arapaho.

Jeden Abend rief Chiefeagle die Männer seines Stammes zusammen, um ihnen die Einzelheiten mitzuteilen, die an diesem Tag in der Ratsversammlung besprochen worden waren. Noch am ersten Tag versammelten sich alle Mitglieder des Stammes in der Nähe von Chiefeagles Zelt, um seinen Worten zu lauschen. Doch als die Tage sich hinzogen, verloren sie zunehmend ihr Interesse und verließen sich darauf, dass die Ältesten sie informieren würden.

Am späten Nachmittag des siebten Tages kam Chiefeagle mit gesenkten Schultern in sein Zelt. Besorgt und müde ging er zu dem wartenden Keyaschante hinüber. Für Keyaschante schien der Großvater um Jahre gealtert zu sein. Er stand auf, um den alten Mann beim Hinsetzen zu helfen.

Großvater Chiefeagle seufzte und sagte mit belegter Stimme:

 

„All unsere Gespräche sind heute zu einem Ende gelangt. Wir können deren Papier nicht unterschreiben, und sie weigern sich, unseren Standpunkt zu verstehen. Die Weißen haben uns angeboten, unser Land für eine große Summe dessen zu pachten, was sie Geld nennen. Aber Geld bedeutet gar nichts! Die Paha Sapa sind alles.“

Er lehnte sich gegen seine Rückenstütze und begann ärgerlich an dem Büffelfell, auf dem er saß, zu zupfen, „Einige unserer Häuptling sehen das Angebot des weißen Mannes als gut an. Aber ich kann nicht für meine Leute unterschreiben, damit sie auf eine Reservation gehen, wenn ich genau weiß, dass sie innerhalb weniger Winter verhungern würden! Die meisten anderen Häuptlinge sind der gleichen Meinung. Die Weißen sind sehr wütend. Sie denken, dass wir ohne Verstand und selbstsüchtig sind.“

Er seufzte vor Kummer.

„Ich sehe unglückliche Jahre auf die Sioux zukommen. Die weißen Männer werden ihren Ärger die nächsten Jahre an uns auslassen. Wir müssen zu dem Heiligen Mysterium beten und darum bitten, dass uns der weiße Mann eines Tages verstehen wird; dass die Saat ihres Verstandes erwachen und wachsen wird. Ich muss gehen und meine Männer davon in Kenntnis setzen, was besprochen wurde.“

Keyaschante half seinem müden Großvater auf die Beine, legte ihm die Hände auf seine dünnen Schultern und sprach mit großem Bedauern:

„Ich muss dich verlassen, Großvater. Du kannst sehen, dass ich mein Herz auf der Stirn trage, sodass es jeder erkennen kann. Ich fühle mich nun stark genug, um mit meiner Reise zu beginnen und ich habe mich endgültig dazu entschieden. Der einzige Grund, warum ich solange gewartet habe, ist der, dass ich dich bei deinen Verhandlungen mit Red Cloud und den anderen unterstützen wollte. Ich weiß, dass ich an deiner Seite bleiben sollte, aber ich brenne darauf, endlich aufzubrechen.“

Chiefeagle stand mit gesenktem Haupt da, als Keyaschante den Vorhang aus Tierhaut öffnete und dann verharrte, um ein letztes Wort zu sprechen. In diesen schlechten Zeiten, in denen sich alle jungen Krieger versammeln sollten, um die Sioux zu verteidigen, war es Chiefeagle unmöglich, Keyaschantes übereilten Entschluss gutzuheißen.

Doch die Weisheit des Alters konnte der Ungeduld der Jugend keinen Einhalt gebieten, und er unternahm keinen Versuch, seinen impulsiven Enkel aufzuhalten. Sein gleichmütiges Gesicht zeigte keinerlei Gefühlsregungen, doch als Keyaschante seinen Großvater zum letzten Mal anschaute, spiegelte sich in dessen Augen die Trauer seines Herzens wider.