Wintercount - Dämmerung über dem Land der Sioux

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MORD

Von der Sehnsucht nach Tscheyesa-win getrieben, durchstreifte Keyaschante die Einsamkeit der Berge und Prärien. Einmal wurde ihm dabei von einer hellhäutigen Frau berichtet, die irgendwo im Norden bei einem Indianerstamm leben sollte. Er folgte dieser Spur, nur um herauszufinden, dass sie ein Halbblut war. Entmutigt, aber noch immer voller Hoffnung, machte er sich in der anderen Richtung auf die Suche.

Das sehnsüchtige Verlangen nach Tscheyesa-win gestattete ihm nicht, sich für längere Zeit auszuruhen. Ehe noch die ersten Sonnenstrahlen die Erde berührten, traf er bereits seine Vorbereitungen für den Tagesmarsch. Wenn er dann den Rücken seines Pferdes bestieg, keimte neue Hoffnung in ihm auf, und jedes mal wieder sagte er: „Heute ist der Tag, an dem ich sie finden werde.“ Keyaschante war so abgelenkt von seiner Suche, dass er die nahenden Zeichen eines frühen Wintereinbruchs übersah. Seine Gedanken beschäftigten sich nur mit Tscheyesa-win – und seine Gedanken schienen ein eigenes Leben zu haben.

Als einsame Gestalt auf dem Rücken seines Pferdes zog er von Lager zu Lager, bis er schließlich das gesamte Gebiet der Teton Sioux westlich des Missouri Fluss durchstreift hatte. In einigen Lagern verweilte er ein oder zwei Tage, um auf die Rückkehr einer Jagdgruppe zu warten, aber nie beteiligte er sich an irgendwelchen Aktivitäten. Manchmal gelang es einigen gutmütigen Frauen, ihn zum Verzehr einer Büffelsuppe oder einem Hasenbratens zu überreden; aber sobald die Krieger wieder zurückgekehrt waren und Keyaschante von ihnen Auskunft erhalten hatte, bestieg er wieder sein Pferd und ritt davon.

Die Frauen und alten Männer – die ihn als „Den Einsamen“ bezeichneten – bemerkten wohl die ersten Anzeichen der Fieberkrankheit in ihm, aber Keyaschante hörte nur die Worte, die er hören wollte: „Wenn wir Tscheyesa-win sehen, dann werden wir Chiefeagle eine Nachricht zukommen lassen. Sei unbesorgt, du wirst sie finden.“

Die Luft war mittlerweile eiskalt geworden, aber die Leidenschaft in seinem Herzen gab Keyaschante die Kraft, dem Eis und dem Wind der ersten Schneestürme, die über die Hochebene fegten, zu trotzen. Es waren die Strapazen der Reise und die entbehrungsreiche Nahrung, die ihn schließlich niederstreckten.

Als das Fieber in ihm aufstieg, verdrängte es den Tumult, der in seiner rastlosen Seele tobte.

Er suchte sich eine geschützte Stelle mit genügend Feuerholz und musste sich eingestehen, dass er nicht mehr die Kraft hatte, seine Suche fortzusetzen. Regungslos lag er acht Nächte in seinen Umhang eingewickelt auf der Erde, fast ohne Nahrung und Wärme, bis das Fieber sich schließlich von selbst ausgetobt hatte.

Er wischte die Spinnweben von seinem Verstand, und als er wieder klar denken konnte, bemerkte er, wie dumm er doch gewesen war, das Land ohne Plan und ohne die geringste Ahnung, wo er hätte suchen können, durchwandert zu haben.

Während all der langen Wochen, in denen er seinen Körper bis an den Rand der Erschöpfung gebracht hatte, hatte er eigentlich nur versucht, seine eigenen Qualen zu vergessen.

Warum war er nicht bei seinem Großvater geblieben, der seiner Hilfe bedurft hätte? Jegliche Nachricht von Tscheyesa-win würde ohnehin auf dem schnellsten Wege seinen Großvater erreichen. Hier, mitten in der Wildnis, konnte er sie eigentlich nur durch puren Zufall finden.

Die Entscheidung war längst getroffen, und Keyaschante machte sich auf den Weg zum Dorf seines Großvaters.

Nach Tagen fand er das Winterlager schließlich am Ufer eines Flusses und trieb sein Pony einen Abhang hinunter. Freudenrufe hallten ihm entgegen und die Menschen geleiteten ihn zur Behausung der Schwester seines Großvaters. „Hau!“, grüßte er höflich die alte Tante.

„Es ist schön, dich wieder zu sehen. Diesmal musst du aber hier bleiben, bis der böse Geist der Krankheit aus deinem Körper vertrieben wurde“, mahnte die alte Frau mit einem zahnlosen Lächeln.

„Ich bin dankbar, endlich zu Hause zu sein“, gestand der Jüngling. „Inzwischen tut es mir sehr leid, dass ich in meinen Gedanken und Handlungen so egoistisch war. Es ist schlimm, dass ich meinen Großvater verlassen habe, als er mich bei der Ratsversammlung gebraucht hätte.“

Er beobachtete das Gesicht der Frau, dessen Ausdruck sich vor Kummer verzerrte, und Verzweiflungen erfasste ihn, da er annahm, dass sie schlimme Neuigkeiten über das Mädchen erfahren hatte, das sie einst wie ihre eigene Tochter aufgezogen hatte. „Hast du etwas von Tscheyesa-win gehört?“, fragte er mit bangem Herzen.

„Nein, mein Sohn, niemand hat etwas von Tscheyesa-win gehört. Keiner der Stämme hat sie gesehen, aber wir fordern alle auf, weiter nach ihr zu suchen.“

Dinge, die dem Herzen nahe stehen, bedürfen keiner großen Worte, und so wussten sie beide, wie tief dieser Verlust den anderen getroffen hatte.

Mit den Augen einer Mutter bemerkte die alte Frau den hageren Körper und die gelbliche Gesichtsfarbe von Keyaschante.

„Irgendwie hast du dir die Krankheit des weißen Mannes zugezogen. Ich muss darauf bestehen, dass du hier bleibst, bis es dem Medizinmann gelungen ist, die Krankheit aus deinem Inneren zu vertreiben.“

„Es ist nicht die Krankheit des weißen Mannes. Diese Krankheit habe ich mir selbst zu verdanken. Indem ich das Land in allen vier Himmelsrichtungen durchkämmte, habe ich meinen Körper ausgemergelt, bis er völlig geschwächt war – nur, um mich vor meinen eigenen Gedanken zu bewahren. Aber es war der Wille des Heiligen Mysteriums, und Er hat mir gezeigt, dass ich die Erde mit blinden Augen abgesucht habe.“

Sein ureigenes Lächeln kehrte in Keyaschantes Gesicht zurück, als er fragte: „Darf ich mit meinem Großvater sprechen? Er ist von viel größerer Weisheit als ich und ich brauche seinen Rat.“

Bei der Erwähnung von Chiefeagles Namen füllten sich die Augen der alten Frau mit Tränen und mit einem erstickten Schluchzen wandte sie sich ab.

„Zwei volle Monde sind vergangen, seit dein Großvater in das Land der Ahnen gegangen ist“, flüsterte sie mit heiserer Stimme. Keyaschante starrte sie mit großen, ungläubigen Augen an.

„Nein! Nein! Nein!“ Jedes Nein hallte als noch stärkeres Echo zurück, als sein Verstand die volle Bedeutung ihrer Worte erfasste. Unwillig schüttelte er seinen Kopf bei dem Versuch, die Tränen zurückzuhalten, die selbst in dieser familiären Umgebung nicht gestattet waren. Aufgewühlt sprang er auf und stürmte aus dem Zelt. Er musste weggehen, um sich wieder in den Griff zu bekommen, konnte die Anwesenheit eines anderen Menschen nicht ertragen. Was hatte er nur getan, um derartiges Unglück über seinen Großvater zu bringen? Der Gedanke, sich selbst zu opfern, schoss durch seinen Kopf, als er blind vor Tränen aus dem Dorf stolperte.

Er lehnte sich mit der Stirn gegen die kalte Rinde eines Baumes und versuchte, die lähmende Trauer zu überwinden. Sein Großvater war tot! Die kalte Luft ließ ihn frieren und schweren Herzens entschloss er sich, zurück zum Lager zu gehen, um einen anderen seiner Verwandten aufzusuchen. Unaufgefordert trat er in das fremde Zelt ein und verlangte in brüsken Worten: „Berichte mir von meinen Großvater. Ich will alles wissen, was geschehen ist. Habe keine Furcht, es mir zu sagen.“

Die Frau in dem Zelt war über diese plötzliche Störung etwas verwundert, fing sich aber schnell wieder, als sie den Enkel von Chiefeagle erkannte.

„Ich werde dir alles erzählen. Aber warum warst du nicht hier, als es geschah?“ Ihre Stimme klang vorwurfsvoll. „Du hättest viel verhindern können, aber du warst weg!“

Der Vorwurf traf Keyaschante bis ins Herz und er senkte betroffen die Augen.

Die Frau sprach nun sanfter und mit mäßigem Tonfall, sie hatte seine Reaktion sehr wohl gesehen.

„Einige der jungen Männer hatten Geister-Wasser von einem vorbeiziehenden Stamm erhalten und wurden dadurch verrückt im Kopf. Sie tranken bis spät in die Nacht und wurden sehr grob. Einige der Familienoberhäupter gingen zu Chiefeagle und beschwerten sich über die Taten der Jüngeren. Das ganze Lager war in Aufruhr. Chiefeagle war sehr verärgert und sprach harte Worte zu den Verrückten.“ Während sie diese Geschichte erzählte, hatte die Frau immer wieder Schwierigkeiten, die Tränen zu unterdrücken, die ihre Stimme erstickten.

„Am nächsten Morgen erschien Chiefeagle nicht und wir dachten, dass er sich nicht gut fühlen würde. Seine Schwester ging in sein Zelt, um zu sehen, ob er noch schliefe. Sie sagte, dass er mit mehr Fellen als üblicherweise bedeckt war und sie hatte angenommen, dass er krank wäre. Später ging sie noch einmal hinein, um ihn zu wecken, und als sie die Felle zurückschlug, fand sie deinen Großvater mit durchschnittener Kehle und herausgerissener Zunge. Deine Tante schrie vor Entsetzen und wir eilten herbei, Wirbelwind-Frau und ich. Als Rote-Feder herausfand, welch entsetzliches Unrecht geschehen war, rief er sofort eine Ratsversammlung ein. Alle Männer waren aufgefordert, dort zu erscheinen und als Zwei-Lanzen und Eiserner-Fuß nicht auftauchten, wussten wir, dass sie die Übeltäter sein mussten! Sie hatten diese Tat aus Rache begangen, weil Chiefeagle sie getadelt hatte. Auch ihre Pferde waren verschwunden und so zeigten die Ältesten des Rates mit dem Finger der Schuld auf sie und schickten die Akitschita aus, um sie zu jagen.“

Keyaschante konnte noch immer nicht begreifen, dass sein Großvater nie wieder zu ihm sprechen würde. Er dachte an die Lanze der Rache, die er nun halten musste, und fragte schroff: „Wurden Zwei-Lanzen und Eiserner-Fuß gefunden und bestraft?“

„Nein! Die Krieger des Hundebundes jagten sie viele Wochen hindurch mit ihren besten Spurenlesern, aber der Regen half den Flüchtenden schließlich zu entkommen.“

Die alte Frau versuchte ihn zu trösten: „Eines Tages wird man sie fangen, und dann müssen sie für ihre Tat bezahlen.“

 

„Ich werde nun die Lanze für meinen Großvater tragen. Es ist ein schlechtes Zeichen, dass unser verehrter und geachteter Anführer von seinen eigenen Leuten umgebracht wurde. Die Verantwortlichen müssen sterben wie Hunde!“

Nun erst verstand er die Prophezeiung seines Großvaters, als er gesagt hatte: „Ich sehe viele unglückliche Jahre auf die Sioux zukommen.“

STARKES-ECHO

Der Hochsommer erschien Keyaschante ganz anders als all die Sommer, die er bereits erlebt hatte. Überall waren die deutlichen Zeichen dieses extrem heißen und trockenen Wetters zu sehen. Das Salbeigras maß nicht einmal die Länge eines Fingers. Die Kirschen hingen nur vereinzelt an den Zweigen und waren noch nicht reif. Die wenigen Büffelkühe in dieser Gegend waren dürr und nicht wohl genährt, wie sie es zu dieser Zeit des Jahres sein sollten.

Alles war schlecht und aus dem normalen Gefüge dieser Zeit herausgerissen. Die schlechten Zeichen machten selbst vor den alten Männern des Rates nicht halt. Oft schoben sie die Weisheit beiseite und verloren sich in endlosen Streitereien. Diese Streiterei über Nichtigkeiten war etwas, das Keyaschante nicht verstehen konnte, und er begann, das Gezänk der Ältesten zu verabscheuen.

Keyaschante konnte diese Art, wie inzwischen Dinge gehandhabt wurden, nicht mehr ertragen, und verließ zu Fuß das Lager, um wieder frei atmen zu können. Als er mit langen Schritten auf den letzten Ruheplatz seines Großvaters zuging, wurden seine Gedanken zunehmend sorgenvoller. Diese Zeiten konnten einen verrückt machen.

Zeiten der Furcht, die ihre düsteren Wolken wie eine böse Ahnung vorausschickten, lagen deutlich vor ihnen. Er erinnerte sich wehmütig an die Zeiten in seinem Leben, in denen seine Tage einfach und glücklich gewesen waren und nicht durchzogen mit den Gedanken an die weißen Männer. Nun gestaltete sich dieses Leben zunehmend schwieriger, und die alte Lebensweise schien lange vorbei.

Was pflegte Chiefeagle stets zu sagen? „Fremde bringen Unheil.“ Und die Fremden wurden von Tag zu Tag mehr – wie die Blätter an einer Pappel. Wie kann man sich gegen solche Menschen wehren, denen unsere Gedanken und Taten so fremd sind? Wie kann man sich gegen jemanden zur Wehr setzen, der so anders handelt und denkt? Wie kann man gegen Menschen kämpfen, dessen seltsame Handlungen nicht vorhergesehen werden können?

Keyaschante versuchte nicht, eine Antwort auf seine Frage zu erhalten, aber er wusste, dass er seinen Kampf gegen diese aufgezwungenen Gegner, die die Lebensweise der Sioux bedrohten, nicht aufgeben durfte.

Niemand würde einfach dastehen und zusehen, wie das Land bedroht wird, an dem all seine Erinnerungen hängen. Sein Glauben, mit dem er geboren und aufgewachsen war, musste verteidigt werden.

Tief in seinem Innersten wusste er, dass der Weg in die Zukunft lang und bitter sein würde. Er wusste, dass er sich an dieses Leben aus Zwietracht und Spannungen gewöhnen musste.

Er warf einen Blick auf das Totengerüst des alten Häuptlings der Sioux und fand wieder die Balance zwischen Verstand und Geist. In der erhabenen Stille der Prärie fühlte er sich seinem Großvater und dem Großen Mysterium – dem Vater alles Lebendigen – näher als je zuvor.

Langsam wandte sich Keyaschante ab und wollte sich bereits auf den Weg zum Lager machen, da zeichnete sich plötzlich die Gestalt eines kräftigen und breitschultrigen Mannes vor ihm ab. Er stand einfach da und wartete, bis Keyaschante seine Meditation vor Chiefeagles Totengerüst beendet hatte.

Mit einer Geste der Freundschaft schritt der Mann auf ihn zu, wobei sein Köcher locker gegen seinen Oberschenkel schlug. Als er sich näherte, bemerkte Keyaschante die schwarzen Streifen, die sich über die gebogene Nase und die breiten Wangenknochen des Kriegers zogen.

Nachdem sie sich per Handschlag begrüßt hatten, hob der Fremde mit einer tiefen und wohlklingenden Stimme zu sprechen an. „Nachdem ich das Ratsfeuer eurer Ältesten verlassen habe, bin ich zu deinem Zelt gegangen, aber du warst nicht da. Eine alte Frau sagte mir, dass du in diese Richtung gegangen bist. Du läufst mit schnellem Schritt.“

Mit einer Geste der Ehrerbietung zollte der Mann dem Toten auf dem Gerüst seinen Respekt, dann fuhr er fort: „Hier liegt ein großer Mann – einer mit Weisheit und Weitsicht. Seine Fähigkeit, die Wunden unseres Volkes zu heilen, werden wir alle schmerzlich vermissen. Ich spreche von Chiefeagle nicht mit leeren Worten, sondern mit dem innigsten Gefühl meines Herzens.“ Er legte die Hand auf sein Herz und machte das Zeichen zu Ehren von Wakan-Tanka.

„Seit ich in das Land meiner Vorväter gekommen bin, habe ich viele Stimmen von ihm berichten hören, und alle sprachen nur Gutes über ihn. Auch über dich, Keyaschante, spricht man wohlwollend. Du musst dem Vorbild deines Großvaters folgen und seinen Kampf fortsetzen.“

„Du scheinst ein angesehener Mann zu sein und deine Worte sind ein Wohlklang für meine Ohren, aber ich kann mich leider nicht mehr an dich erinnern“, antwortete Keyaschante. „Ich kann dich weder unter meinen Verwandten noch unter meinen Freunden einordnen.“

„Ich hoffe, dass du mir meine Offenheit nicht übel nimmst“, antwortete der Krieger und ein flüchtiges Lächeln huschte über dessen strenge Gesichtszüge.

„Man kennt mich als Starkes-Echo vom Stamm der Guten-Stimmen. Die letzten zwölf Winter habe ich östlich des Großen Flusses verbracht. Dort habe ich die Schule des weißen Mannes besucht. Ich bin erst vor vier Monden zurückgekehrt.“

Er machte eine kurze Pause und machte eine Geste, als würde ihn das in die Vergangenheit führen. „Als ich damals auszog, um nach der Art des Weißen Mannes zu leben, glaubte ich, dass ich dadurch zu etwas Höherem berufen sein würde. Aber als ich versuchte, in ihrer Welt und auf ihre Weise zu leben, wurde mein Leben leer und sinnlos. Ich wurde nicht akzeptiert. Ich war immer nur der Indianer, dem man nicht vertrauen konnte.“

Er hielt inne und rieb sich nachdenklich das Kinn.

„Ich mache sie nicht ausschließlich zu Schuldigen, denn ich selbst war mein größter Widersacher. Der innerste Kern meines Seins bäumte sich auf und war nicht willig, sich zu ändern. Meine Gefühle waren eng verflochten mit meiner Herkunft, meinem Erbe, und deshalb war es mir nicht möglich, für den weißen Mann zu arbeiten. Sie nannten mich einen gebildeten Wilden – einzig, weil ich nicht hinnehmen wollte, wie sie ihr Geld wie einen Gott verehren.“ Er formte diese Worte langsam und bedächtig, und es hatte beinahe den Anschein, als suchte er nach einer Rechtfertigung dafür, dass er als Sioux geboren worden war.

„Vielleicht war es die Verbitterung, die dich, Starkes-Echo, hierher zurückgebracht hat. Vielleicht konntest du dich der weißen Gesellschaft nicht anschließen, weil du einfach nicht so geboren wurdest“ Keyaschantes Äußerung wurde von einem verschmitztem Lächeln begleitet.

„Ja, du hast völlig recht. Da besteht überhaupt gar kein Zweifel. Doch kehrte ich aus zwei persönlichen Gründen hierher zurück. Ich hatte den Bezug dazu verloren, was es bedeutet, in Einklang mit Maka-Ina, unserer Mutter Erde, zu leben. Mein spirituelles Wesen, so wie ich es kannte, war gestorben. Außerdem führte mich die wachsende Sorge um mein Volk hierher zurück. Dort im Osten geraten die Weißen wegen der so genannten Indianerkriege in Panik. Ihr sprechendes Papier schrieb unentwegt von diesen Kriegen, und da ich ein Indianer bin, wuchs meine Bedrängnis. Meine Hautfarbe und meine Herkunft waren nun meine Feinde.

Auf der Suche nach mehr Verständnis trat ich ihrer Religion bei und besuchte das Haus, in welchem sie ihrem Großen Geist huldigen. Doch auch dort konnte der Hunger in meinem Herzen nicht gestillt werden. Vielleicht, weil ihr Glaube ein Teil ihrer seltsamen Lebensweise ist… ich weiß es nicht. Ich fühlte, dass das Einzige, das mir noch geblieben ist, mein eigener freier Wille tief in meinem Innersten war.“

„Letzteres ist auch der Grund, weshalb ich zurückkehrte – die Sorge um meine eigenen Leute macht mein Herz schwer. Wie Du längst weißt, ist neben unserer althergebrachten Lebensweise noch diese andere Lebensweise entstanden. Wie eine dunkle Wolke breitet sie sich über unser Land aus, schon jetzt kannst Du ihren Atem spüren. Ich weiß, dass die meisten von euch bisher höchstens eine flüchtige Bekanntschaft mit den Ausläufern dieser mächtigen Lebensweise hatten. Ebenso weiß ich, dass meinen Leuten nicht das gleiche Leid zustoßen soll, das der rote Mann im Osten erdulden musste. Ich will nicht, dass sie unterdrückt werden. Ich will auch nicht, dass sie gezwungen werden, sich zu Fuß auf einen Landstrich zu begeben, den sie das Oklahoma–Territorium nennen, ihre Rücken gebeugt unter der Last von viel zu vielen Tragödien, die sich ereignet haben.“

„Keyaschante, du und ich, und auch die anderen müssen die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass wir erobert werden. Sich zu unterwerfen bedeutet, dass man sich ändert. Wir werden einen Weg finden müssen, uns anzupassen.“

„Ich bin froh, diese Dinge von dir zu lernen, Starkes-Echo; vielleicht sollten wir uns tatsächlich mehr mit der Möglichkeit beschäftigen, dass wir besiegt werden und inwieweit sich unsere Leute ändern müssten. Es ist gut, dass du zurückgekommen bist, um uns zu helfen. Wenn wir überleben wollen, so muss sich jeder auf den anderen verlassen können; und die Streitereien unter den Ältesten müssten endlich aufhören!“

Auf dem langen, langsamen Weg zurück zum Dorf nutzte Keyaschante die Stille um nachzudenken. Dieser Mann an seiner Seite hatte einen starken und ehrbaren Charakter. Er war ein guter Freund.

Plötzlich hielt Keyaschante inne und fragte, einer inneren Regung folgend: „Hast Du jemals den Sonnentanz durchgeführt?“ Vollkommen überrascht blickte Starkes-Echo den jüngeren Mann an: „Nein, das habe ich nicht. Warum fragst du?“

„Ich wäre geehrt und erfreut, wenn du beim Sonnentanz mein Freund und Pate sein könntest. Ich habe mein Gelübde diesen Tanz zu tanzen noch immer nicht erfüllt – und mittlerweile ist fast ein Jahr verstrichen, seit ich dieses Versprechen gegeben habe.“

„Die Zeit des Jahres, an dem sich alle Familien zum Sonnentanz treffen, ist längst verstrichen, Keyaschante. Wie kannst du nun vom Sonnentanz sprechen, wo bereits alle Stämme ihr Lager abgebrochen haben und sich bereits auf dem Rückweg zu ihren Gebieten befinden? Erwartest du, dass man Läufer zu den anderen Stämmen schickt, mit der Nachricht, sie mögen zurückkommen, um deinem Sonnentanz beizuwohnen?“

„Das weiß ich, Starkes-Echo. Mein Großvater hat mir erzählt, dass das Gelübde des Sonnentanzes heilig wäre und dass es dann erfüllt werden sollte, wenn zu Beginn des Sommers das Stammestreffen stattfindet. Aber ich war krank und so war es mir nicht möglich, es einzuhalten. Es verletzt den heiligen Geist dieses Tanzes sicherlich nicht, wenn er zu einem späteren Zeitpunkt abgehalten wird; und die übrigen Stämme der Sioux müssen auch nicht zugegen sein. Aber ich habe damals das Gelübde abgelegt, dass ich im folgenden Sommer den Sonnentanz abhalte! Allein das ist wichtig!“

Starkes-Echo unterstützte schließlich sein Vorhaben: „Dann lass uns mit Hoher-Adler darüber sprechen. Falls er zustimmt, sollten wir eiligst die Häuptlinge unterrichten, damit sie die Vorbereitungen treffen können.“

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