Eine Geschichte des Krieges

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»Ein Parademarsch für Armageddon«

Um die Jahrhundertwende wurde die britische Doktrin des liberalen Autoritarismus in Südafrika auf die Probe gestellt und letztlich bestätigt. Dort kämpften die imperialen Truppen mit einer Burennation, in deren ethnischer Enklave, Witwatersrand, 1886 die größte Goldreserve der Welt gefunden worden war. Als 1899 der Krieg ausbrach, erklärte die britische Regierung, die Afrikaner*innen vor den rassistischen Bur*innen retten und die Rechte der britischen Bürger*innen schützen zu wollen, die im Zentrum der Südafrikanischen Republik lebten und arbeiteten. In Wahrheit ging es Großbritannien nicht nur darum, sich den Zugang zur Goldmine zu sichern, sondern sie auch nicht an Deutschland fallen zu lassen, das nach der zweiten industriellen Revolution zu einem Konkurrenten ersten Ranges aufgestiegen war. Der Krieg sollte innerhalb von drei Monaten beendet sein, doch er dauerte drei Jahre.

Während der ersten Monate erwiesen sich die Burenkommandos, die sich aus 30 000 Farmern und Jägern zusammensetzten, den britischen Kräften als taktisch überlegen: Sie verdankten ihre erdrückende Übermacht ihrer Treffgenauigkeit und ihrem Talent zur Treibjagd. Anfang des Jahres 1900 trat Feldmarschall Lord Frederick Roberts seine Stellung als neuer Oberbefehlshaber der britischen Armee an; ihn begleitete eine ganze Phalanx von Offizieren, die in Kämpfen überall im britischen Weltreich gestählt worden waren. Unter ihnen hinterließ sein Stabschef Horatio Herbert Kitchener die nachhaltigste Wirkung auf südafrikanischem Gebiet. Die heroischen Siege, die er in den Besitzungen des Weltreichs errungen hatte, verschafften ihm einen legendären Ruf. Sein größter Erfolg ging auf die Schlacht von Omdurman im Sudan 1898 zurück, in der er den von Mahdisten (Angehörigen einer religiösen Bewegung zur Einrichtung eines Emirats) getöteten General Gordon gerächt hatte. Die Soldaten Kitcheners – unter ihnen Winston Churchill – hatten zahlenmäßig fast doppelt so starken feindlichen Kräften gegenübergestanden. Doch mit Maschinengewehren und modernen Gewehren ausgestattet, hatten sie ungefähr 10 000 Männer getötet und mehr als 13 000 Männer verwundet, während sie auf ihrer Seite nur 47 getötete Soldaten und 382 Verwundete beklagen mussten. Ein Zeuge der Ereignisse schrieb:

»Es war der letzte Tag des Mahdismus, und der größte. Es gelang ihnen nie heranzukommen, sie weigerten sich aber, davon abzulassen […]. Das war keine Schlacht, sondern eine Hinrichtung […]. Die Leichen lagen nicht in Haufen – Leichen tun das fast nie –, sondern lagen Morgen über Morgen gleichmäßig verteilt. […] Manche lagen ruhig, die Schuhe unter den Kopf gelegt als letztes Kissen; manche knieten, inmitten ihres letzten Gebets unterbrochen. Andere waren in Stücke gerissen …«3

Die Details der Schlacht von Omdurman erreichten ein breites Publikum, und Kitchener bekam von Königin Victoria den Titel »Lord Kitchener von Khartum« verliehen. Jahrzehnte nach seiner Nobilitation fiel sein Schatten noch bis auf die fernen Schlachtfelder des Weltreichs.

Im Herbst 1900 übernahm Großbritannien unter dem Kommando von Roberts offiziell die Kontrolle über die Burenrepublik; der Krieg trat in seine dritte und letzte Phase ein. Nicht willens, ihre Niederlage einzugestehen, gingen die Buren zu einer Guerillastrategie über, die sich als fürchterlich effektiv erwies. Mit dem Ziel, den Krieg zu einem Ende zu bringen, übernahm Kitchener nun das Oberkommando über die Truppen, und was nun folgte, war nichts anderes als ein Totalangriff auf eine ganze ethnische Gruppe – oder wie der Friedensnobelpreisträger Rudyard Kipling es ausdrückte: »ein Parademarsch für Armageddon«4. Die britische Armee wandte eine neue »Blockhaus-Strategie« an: Die Verwendung von Stacheldrahtzäunen ermöglichte die Einteilung des riesigen Territoriums in kleinere Zonen. Kitchener begann nun mit einer Politik der verbrannten Erde: Die Ernte wurde systematisch in Brand gesteckt und die Erde mit Salz bedeckt, um jede landwirtschaftliche Kultivierung zu unterbinden. Die Truppen besorgten dann den Rest, indem sie die letzten Widerstandsnester aushoben. Kitchener ließ rund 30 000 Kriegsgefangene in alle Ecken des Reiches deportieren, beispielsweise nach Sankt-Helena und nach Ceylon. Die Höfe wurden zerstört, die Brunnen vergiftet. Die Burenfrauen und -kinder sowie die afrikanischen Arbeiter*innen wurden wie Vieh in Konzentrationslager gepfercht. Fünfundvierzig Strafanstalten dieser Art wurden errichtet; 115 000 Bur*innen wurden darin unter entsetzlichsten Bedingungen gefangen gehalten. 30 000 Personen, das heißt ein Viertel der Lagerbevölkerung, starben an Unterernährung oder an endemischen Krankheiten. Darunter waren 22 000 Kinder, das heißt fast die Hälfte der Burenbevölkerung unter 16 Jahren.

Trotz oder wegen dieser »barbarischen Methoden« – in diesen Worten prangerte es der Führer der Liberalen Henry Campbell-Bannerman an – zwang Kitcheners Abnutzungskrieg die Buren zurück an den Verhandlungstisch. Der »Vertrag von Vereeniging« vom Mai 1902 hatte beträchtliche Folgen für das Reich und für die Burenbevölkerung. Großbritannien opferte die paternalistische Schutzpolitik gegenüber den Schwarzen von Südafrika auf dem Altar des wirtschaftlichen Opportunismus und der rassistischen Vorurteile. Im Austausch für den Zugang zu den Goldreserven und für die Garantie, sie ausbeuten zu dürfen, legte der Vertrag das Schicksal der afrikanischen Bevölkerung in die Hände der Buren.

Im 19. Jahrhundert und am Anfang des 20. Jahrhunderts, als Großbritannien, über das Weltreich verteilt, einen »kleinen Krieg« nach dem anderen führte, regten die bei der Behandlung der widerständigen einheimischen Bevölkerung angewandten Praktiken die Militärs zu theoretischen Reflexionen an. Eine gute Illustration bieten die Arbeiten des Absolventen der Royal Military Academy und Veteranen mehrerer Kolonialkriege des 19. Jahrhunderts Oberst Charles E. Callwell, der im 20. Jahrhundert zu einer zentralen Figur in der Aufstandsbekämpfungsforschung wurde. Small Wars. Their Principles and Practice, erstmals 1896 erschienen und von Callwell nach seinem Einsatz als Stabsoffizier und Kommandeur im Burenkrieg auf den neuesten Stand gebracht, diente allen Theoretikern und Praktikern der Aufstandsbekämpfung als Grundlage. Mit seinem erschöpfenden Anspruch bot dieses Werk einen synthetischen Blick auf die zahllosen britischen Militäreinsätze überall im Empire, zog seine Lehren aber unter anderem auch aus den französischen, spanischen, amerikanischen und russischen Militärkampagnen. Durch diese vergleichende Perspektive demonstrierte Callwell, dass der Einsatz von Gewalt über kurze Zeiträume durchaus wirkungsvoll war, und stellte diese Repressionsmaßnahmen als sekundäre Erscheinung dar, die sich mit dem Liberalismus vereinen ließ.

Wenn die europäischen Truppen gegen eine »unzivilisierte« und »wilde« Bevölkerung in den Krieg zogen, mussten sie laut Callwell andere Regeln zur Anwendung bringen als gegen zivilisierte Armeen. Durch zahlreiche Beispiele gestützt, erachtete Callwell die »moralische Kraft der Zivilisation«5 als Garant der europäischen Überlegenheit; daher die Notwendigkeit, den »wilden«6 Völkern eine »Lektion, die sie auf Jahre hin nicht vergessen werden«7, zu erteilen. Die von ihm zur vollständigen Zerstörung des Gegners vorgeschlagenen Maßnahmen boten nicht nur strategische Vorteile. Er bestand auch auf der »moralischen Wirkung«8, die die Brutalität auf eine »unzivilisierte«9 Bevölkerung habe. Das Interesse an der Anwendung solcher Taktiken erschien ihm so offensichtlich, wie es Kitchener in Südafrika offensichtlich erschien: Ihr »Ziel ist nicht nur, der Gegenseite unmissverständlich zu demonstrieren, wer der Stärkere ist, sondern auch, diejenigen zu bestrafen, die die Waffen erhoben haben«.10 Callwell ließ sich nicht nur von britischen Militärführern, sondern auch von anderen Kommandeuren anregen, beispielsweise von dem Franzosen Thomas-Robert Bugeaud, der in den 1840er Jahren in Algerien extreme Gewaltmaßnahmen ergriffen hatte, oder von dem russischen General Michail Skobelew, genannt der »weiße General«, demzufolge laut Callwell »in Asien derjenige herrscht, der die Bevölkerung unbarmherzig bei der Gurgel packt und sich ihrer Vorstellung einprägt«11.

Die von Callwell angeführte »moralische Wirkung« zeigt das Geschick, mit dem die Militärs die »Bürde des weißen Mannes« (um den Titel eines Gedichts von Kipling aufzunehmen) mit ihren Kampfstrategien verknüpften und dadurch zugleich eine Moral der Gewalt schufen, die die Konflikte des Empire auf der ganzen Welt prägte. Die Normen des Imperialismus der viktorianischen Zeit machten die Repression zu einem notwendigen Mittel zur Aufrechterhaltung der Ordnung, aber auch zur Verbreitung der Zivilisation unter den »zurückgebliebenen Rassen«. Auf dieser binären Sicht von Gut und Schlecht basierend, war der liberale Imperialismus nicht mehr nur der ideologische Versuch einer moralischen Entlastung. Er prägte die Art und Weise, wie Individuum und Nation sich in den Parlamentsdebatten, in den Medien, in der Populärkultur und in Gedenkfeiern ausdrückten. Er durchdrang das Denken und die militärische Praxis Callwells und so mancher seiner Nachfolger in den Kolonialkonflikten: vom höchstrangigen General bis zum einfachen Soldaten.

Irland: Der Rechtsstaat außer Kraft

Die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg war für Großbritannien auch eine Periode um sich greifender antikolonialer Proteste, von Gewalt und Gegengewalt. Krisen brachen in Afrika, in Asien, in Europa, im Nahen Osten und in Lateinamerika aus. Überall nutzten die nationalistischen Eliten die Wut und das Gefühl, alleine gelassen zu werden, die teils der Enttäuschung infolge der utopischen Versprechungen Präsident Wilsons, teils dem vergeblichen Warten auf Belohnungen für Zusammenarbeit während des Krieges entsprangen. Die Russische Revolution ließ sie noch kühner auftreten und eröffnete überdies den Ärmsten neue Horizonte. Es gab Aufständische in Jamaika, Trinidad, British-Honduras, aber auch in Somaliland, Süd-Darfur, Kenia und anderswo. Der Nahe Osten, Irland und Indien verursachten die größten Schwierigkeiten für die Nachkriegs-Koalitionsregierung, und unter den Parlamentariern fand sich laut dem Historiker John Gallagher eine wachsende Mehrheit von Konservativen, »die unerbittlich waren und für die unterlegenen Rassen, die nicht wählen konnten, keine Neigung besaßen«12.

 

Das Gespenst des Krieges schwebte drohend über dem britischen Weltreich und verknüpfte unentwirrbar die Unabhängigkeitsforderungen der ägyptischen Partei Saad Zaghlouls mit denen Michael Collins’ und denen der irischen Republikaner*innen. Edwin Montagu, Staatssekretär für Indien, fasste die Beunruhigung vieler Mitglieder der imperialen Regierung folgendermaßen zusammen: »Die Zugeständnisse, zu denen man sich wahrscheinlich in Irland entschließen muss, werden uns davon abschrecken, keine in Ägypten zu machen. Alles, was in Richtung einer völligen Unabhängigkeit Ägyptens unternommen werden könnte, würde Gefahr laufen, die indischen Extremisten zu ermutigen.«13 Die militärischen Strategien, die in einem Kriegskontext im engeren Sinne wie in Irland zwischen 1920 und 1922 oder im Rahmen der Unterdrückung von Aufständen wie in Ägypten, Indien oder später in Mandatspalästina angewandt wurden, waren inspiriert von den um die Jahrhundertwende in Südafrika erarbeiteten und später von Callwell und anderen empfohlenen Strategien. Die starke Hand des liberalen Autoritarismus – in den allgegenwärtigen wie ostentativen Samthandschuh der »moralischen Wirkung« gehüllt – schlug sich nicht nur auf die nationalistischen Politiker, ihre Anhänger*innen und die Aufständischen im Allgemeinen nieder, sondern ebenso auf die Zivilbevölkerung. Die Straßen wurden zu Kriegsgebieten und der Privatbereich zum Schlachtfeld. Wie zur Zeit des Burenkrieges deportierten die britischen Amtsträger die als »Terroristen« bezeichneten mutmaßlichen Anführer in entlegene Regionen des Reiches. Die Hinrichtungen wurden zu etwas Alltäglichem, insbesondere nach dem Osteraufstand in Irland 1916, als fünfzehn mutmaßliche Rädelsführer erschossen wurden.

Durch das Empire zirkulierten jedoch nicht nur die Ideen, Taktiken und Akteure der kolonialen Unterdrückung; von einem Kolonialkrieg zum anderen inspirierten sich die antikolonialen Aufstände auch gegenseitig. So organisierte die Wafd-Partei Saad Zaghluls zum Umsturz des britischen Protektorats in Ägypten und im Sudan eine Kampagne zum zivilen Ungehorsam nach dem Vorbild Mahatma Gandhis in Indien. In Irland ließ sich Michael Collins nach dem berühmten Burengeneral Christiaan De Wet und in Bezug auf dessen Kommandotaktiken »irischer De Wet« nennen. Und als sich Collins und 1500 seiner Kameraden unter Anwendung der Regulation 14B ohne Gerichtsverfahren im Internierungslager Frongoch inhaftiert fanden, verwandelten sie dieses in die »Revolutionsuniversität«, an der der »irische De Wet« und andere Unterricht in revolutionärer Ideologie und Guerillataktiken gaben, unter anderem jene, die in Südafrika angewendet worden waren.

Während Großbritannien sein imperiales Militärarsenal aufstockte, entwickelte es in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts seine politischen Werkzeuge zur legalen Aussetzung der Rechtsstaatlichkeit weiter, um Ausnahmemaßnahmen in Kriegszeiten zu erleichtern und zu legitimieren. Während sich in England, Schottland und Wales im 19. Jahrhundert zunehmend eine auf Zustimmung basierende Regierungsweise durchgesetzt hatte, wurde nun eine Reihe von Aufstandsgesetzen, Gesetzen zur Aussetzung des Habeas Corpus und Kriegsgesetzen beschlossen, um die Ordnung in Irland wiederherzustellen. Als sich diese Maßnahmen als unzureichend erwiesen, wurden Zwangsgesetze (Coercion Acts) erlassen, um die Waffenkontrolle und den Einsatz von Sondergerichten zu gewährleisten sowie um Meineid strafrechtlich verfolgen zu können. Zu dieser Zeit erklärte der Verfassungsjurist und -theoretiker Albert Dicey klipp und klar, dass die Zwangsgesetze mit dem Rechtsstaat und dem Ideal bürgerlicher Freiheiten nicht kompatibel waren. Doch letztlich waren diese Gesetze Anstoß zur Ausarbeitung von Gesetzbüchern, die es erlaubten, die Strafgewalt auf Zivilbehörden zu übertragen, welche nun den Notstand ausrufen konnten. Der unterschied sich vom Kriegsrecht, und es war kaum möglich, die Sondervollmachten, mit denen diese Zwangsgesetze die Behörden ausstatteten, vor Gericht anzufechten. Diese Maßnahmen inspirierten auch das Reichsverteidigungsgesetz (Defense of the Realm Act), das während der beiden Weltkriege insbesondere die Aussetzung der Bürgerrechte im Mutterland erlaubte und die Inhaftierung ohne Gerichtsverfahren legalisierte. Im Empire wurden am Ende der beiden Weltkriege unter Berufung auf dieses Gesetz noch strengere Notstandsmaßnahmen verhängt. Die britischen Sicherheitskräfte und das britische Zivilpersonal – die beide nun durch Rechtsbestimmungen geschützt waren, welche faktisch einem intrakonstitutionellen Notstandsrecht gleichkamen – hatten das Recht, verschiedene repressive Maßnahmen zu ergreifen, von der Inhaftierung ohne Gerichtsprozess über Ausgangssperre, Zensur und Zwangsumsiedlung in Dörfer bis hin zur Einführung der Todesstrafe für eine Reihe von Vergehen. Um im Verlauf der Kriege, die häufig euphemistisch als Aufstände oder Notstandssituationen bezeichnet wurden, die Aufständischen zu besiegen und die lokale Zivilbevölkerung zu unterdrücken, gab sich die britische Regierung somit einen Rechtsrahmen zur legalen Aussetzung der Rechtsstaatlichkeit.

Ende der 1930er Jahre konvergierten in Palästina die militärischen Strategien und die Strategien zur Aufrechterhaltung der Ordnung, die im Laufe der vorangegangenen Jahrzehnte ausgearbeitet worden waren, und auch das intrakonstitutionelle Notstandsrecht konnte dort weiter ausgefeilt werden. Um dem sogenannten Arabischen Aufstand ein Ende zu bereiten, griff Großbritannien auf die bereits zu Hause erprobte Politik der Blacks and Tans zurück. Hunderte Mitglieder dieser seit Ende des irischen Unabhängigkeitskrieges 1922 berüchtigten Truppen von Veteranen des Ersten Weltkrieges waren nun nach Palästina entsandt worden. Ihr Kommandeur, Henry Tudor, hatte sich ebenfalls dorthin begeben, um die lokalen Kräfte in paramilitärischen Methoden zu schulen. Als 1936 der Arabische Aufstand ausbrach, zog Großbritannien Charles Tegart hinzu, der die Polizei von Bengalen mit harter Hand geführt hatte und ebenfalls Erfahrung aus dem Irischen Bürgerkrieg besaß. Als sich der Krieg in die Länge zog, wurde auch »Bomber Harris«, der in den 1920er Jahren im Irak Luftbombardement-Taktiken entwickelt hatte, nach Palästina geholt, um dort arabische Dörfer zu zerstören und die Aufständischen und Zivilist*innen aus der Luft mit Terror zu überziehen, während Männer wie Oberst Bernard Montgomery, genannt »Monty«, vom Boden aus den Einsatz des Terrors gegen die Bevölkerung überwachten – das Ausradieren ganzer Dörfer, das Foltern Verdächtiger sowie Gräueltaten aller Art, die zu untersuchen sich die britische Regierung ebenso weigerte wie der Ständige Mandatsausschuss des Völkerbundes. Unter allen, die an den Einsätzen in Palästina teilnahmen, zeichnete sich Harris nicht nur durch einen Status als Elitepilot der Royal Air Force (RAF) aus, die sich zu dieser Zeit voll entwickelte; er war auch Spezialist für Luftherrschaft, das heißt für die Bombardierung der Zivilbevölkerung. Die »moralische Wirkung« der Luftbombardements stellte für ihn einen Glaubensartikel dar. Zur Frage der als aufsässig bezeichneten Araber soll er brutalere Methoden gegen Rebellen gefordert haben, als sie üblicherweise in Friedenszeiten in Anspruch genommen werden. Ihm zufolge sollte eine Bombe von hundert oder zweihundert Kilo auf jedes Dorf, das Protest erhebt, innerhalb von Minuten oder Stunden nach den Protesten geworfen werden, seine Forderung ging bis zur Auslöschung ausgewählter Schlupfwinkel. Im Zweiten Weltkrieg sollte Harris zur RAF-Legende werden, weil er an der Einsatzleitung für die Bombardierungen deutscher Städte beteiligt war.

Während des Arabischen Aufstands kam es zur massiven Verbreitung dieser Methoden, als die legalen Mittel zur Aussetzung der Rechtsstaatlichkeit zur vollen Reife gelangt waren. Da außerdem die Armee ihre eigenen Regeln hatte, konnte das Kriegsministerium, das für die Landstreitkräfte verantwortlich zeichnete, den Soldaten und Offizieren vor Ort großen Spielraum einräumen, wie sie Gewalt definieren und wann sie sie anwenden wollten. Das Buch des Generalmajors Sir Charles Gwynn Imperial Policing, das auf den Arbeiten Callwells aufbaute, trug seinen Teil zur Verhaltensbildung der britischen Soldaten während der Kolonialkriege bei, die ihnen neben Militäreinsätzen auch Einsätze zur Aufrechterhaltung der Ordnung abverlangten. Die Armeeregeln wurden 1929 in einem Militärrechtshandbuch kodifiziert, dessen relevante Abschnitte, nämlich Notes on Imperial Policing (Hinweise zu den imperialen Polizeiaufgaben) und Duties in the Aid of the Civil Power (Pflichten bei der Unterstützung der Zivilverwaltung), man in einem für Uniformtaschen passenden Format nachdruckte, damit die Soldaten an der Front in Palästina oder anderswo leicht darin nachschlagen konnten. Sie erinnerten daran, dass im Rahmen des Rechts »ein Offizier nur im selben Maße haftbar ist wie ein Zivilist«. Diese Logik galt auch für die Truppen, denn der Soldat war nicht »nur ein Soldat, sondern ebenso ein Bürger und als solcher ebenso sehr dem Zivilrecht wie dem Militärrecht unterworfen«. »Das Vorhandensein eines bewaffneten Aufstands«, hieß es im Handbuch weiter, »rechtfertigt den Einsatz jeder Gewalt im notwendigen Maße, um den Aufstand wirkungsvoll zu bekämpfen und zu bezwingen.« Die Begriffe »Kollektivstrafen«, »Repressalien« und »Züchtigung« waren schwammig definiert; sosehr diese Maßnahmen auch »Unschuldigen schweres Leid zufügen« konnten, sie blieben doch »in letzter Instanz unverzichtbar«.14 Dank dem Verhaltenskodex der Armee und den Ausnahmebestimmungen, die ihnen Rechtsschutz verschafften, konnten die britischen Truppen und lokalen Polizeikräfte quasi uneingeschränkt und ohne Furcht vor juristischer Verfolgung agieren.

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