Eine Geschichte des Krieges

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Dieses Buch hat zum Ziel, seinen Leserinnen und Lesern den nötigen Abstand zu verschaffen. Die heutigen Konflikte werfen zahlreiche Fragen insbesondere ethischer Provenienz auf. Doch sind sie wirklich ohne Präzedenz? Die Frage der Guerillas und Guerillabekämpfung, die seit dem Irak- und dem Afghanistankrieg neu diskutiert wurde, hatte im ganzen 19. und 20. Jahrhundert auf der Tagesordnung gestanden. Die »Einsätze ohne Feindberührung« wurden schon direkt nach dem Ersten Weltkrieg theoretisch behandelt. 1911 malte sich ein französischer Journalist bereits den kommenden Krieg aus: »Zweifellos ist die Zeit nicht mehr fern, da unsere Offiziere vom Eiffelturm aus Brücken sprengen und Minen unter dem Schritt marschierender Bataillone explodieren lassen können. […] In dem Moment wird man Aeroplane sehen […] wie sie ihre Bahnen durch den Himmelsraum ziehen und blindlings auf die Befehle des Sendemastes reagieren.« Dazu kommt noch ein weiteres Risiko, nämlich sich auf eine ausschließlich strategische oder taktische Sicht zurückzuziehen und gewissermaßen aus einer Vogelperspektive, die die menschliche Dimension der Kriegserfahrung stillschweigend übergeht, auf die Geschichte zu blicken. Nichts wäre schließlich schlimmer als eine solche Verleugnung in einer Zeit, in der Drohnenpilot*innen von ihren Büros aus anonyme Ziele abschießen – mit dem gefährlichen Gefühl einer Straffreiheit, verursacht durch Tausende Kilometer Distanz.

Bruno Cabanes ist Inhaber des Donald-G.-&-Mary-A.-Dunn-Lehrstuhls für Kriegsgeschichte an der Ohio State University. Davor lehrte er neun Jahre lang an der Yale University. Er forscht vor allem zur Sozial- und Kulturgeschichte des Ersten Weltkrieges und der direkten Nachkriegszeit und hat darüber zahlreiche Bücher und Aufsätze veröffentlicht – darunter insbesondere La Victoire endeuillée. La sortie de guerre des soldats français (1918–1920) (Paris 2004, Neuauflage »Points Histoire« 2014), The Great War and the Origins of Humanitarianism (1918–1924) (Cambridge 2014) – ausgezeichnet mit dem Paul-Birdsall-Preis der American Historical Association 2016 – und Août 14. La France entre en guerre (Paris 2014).

1James Sheehan, Where have all the Soldiers gone? The Transformation of Modern Europe, Boston u. a. 2008; auf Deutsch erschienen unter dem Titel: Kontinent der Gewalt. Europas langer Weg zum Frieden, München 2008.

2Victor Davis Hanson, The Western Way of War. Infantry Battle in Classical Greece, New York 1989.

3David Bell, The First Total War. Napoleon’s Europe and the Birth of Modern Warfare, London 2007.

4Carl von Clausewitz, Bekenntnisschrift, in: ders., Ausgewählte militärische Schriften, hrsg. v. Gerhard Förster und Dorothea Schmidt, Berlin 1981, S. 213, 215.

5Frank Bauer, Napoleon in Berlin. Preußens Hauptstadt unter französischer Besatzung 1806–1808, Berlin 2006, S. 149.

6Daniel R. Headrick, The Tools of Empire. Technology and European Imperialism in the Nineteenth Century, New York / Oxford 1981, S. 175.

7Ferdinand Foch, Des Principes de la guerre, Paris 2007 [1903].

8Joseph Conrad, Das Herz der Finsternis, Berlin 1933.

9John Dower, War without Mercy. Race and Power in the Pacific War, New York 1986.

10H. G. Wells, Der Luftkrieg, Frankfurt am Main / Berlin / Wien 1983, S. 177.

11Marguerite Yourcenar, Liebesläufe. Eine Familiengeschichte, München 2003, S. 247.

12Louis-Ferdinand Céline, Reise ans Ende der Nacht, Reinbek bei Hamburg 2003, S. 20.

13George Orwell, 1984, Berlin 2007, S. 10.

14Henry Kissinger, Detente with the Soviet Union: The Reality of Competition and the Imperative of Cooperation, in: The Department of State Bulletin, Bd. LXXI, Nr. 1842, 14. Oktober 1974, S. 505.

15John Gaddis, The Long Peace. Inquiries into the History of the Cold War, New York u. a. 1987.

16Charles Tilly, The Formation of National States in Western Europe, Princeton 1975, S. 42.

17Edward Luttwak, »Toward Post-Heroic Warfare«, in: Foreign Affairs, Mai / Juni 1995.

18Michael Walzer, Arguing about War, New Haven / London 2004, S. 101.

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Der moderne Krieg

Aus dem Französischen von Daniel Fastner

David A. Bell
Einleitung

»Was ist der moderne Krieg?« Kaum eine andere Frage ist unter Kriegshistoriker*innen so sehr diskutiert worden wie diese. Sie hat freilich etwas Trügerisches: Der Ausdruck »moderner Krieg« unterstellt ja, dass zu allen Zeiten ein als »Krieg« bezeichnetes Phänomen identifiziert und abgegrenzt werden könne, welches beim Überschreiten einer eindeutig bestimmten Schwelle zur »Moderne« einen grundlegenden Wandel erfahren habe. Unter dieser Voraussetzung können dann Chronologie und Natur dieser Veränderung debattiert werden. Hat sich dieser Übergang aber nun im 16. oder 17. Jahrhundert mit der sogenannten militärischen Revolution vollzogen (die mit neuen Infanterie-Taktiken und neuen Befestigungstechniken verbunden ist)? In der Zeit der Französischen Revolution mit der Masseneinberufung? Im 19. Jahrhundert nach der industriellen Revolution? Im 19. und 20. Jahrhundert mit dem »totalen Krieg«? Zu welchem Zeitpunkt wir diese Schwelle auch ansetzen und welches Kriterium wir auch anlegen, in jedem Fall trennen wir dadurch in der Geschichte des Krieges ein »Davor« von einem »Danach«, welches sich implizit bis in unsere Gegenwart erstreckt.

Doch wie die Kapitel des ersten Teils dieses Buches zeigen, liegt der bedeutendste Bruch in der Geschichte des Krieges wahrscheinlich nicht in der Unterscheidung zwischen einer »vormodernen« und einer »modernen« Form. Wir finden ihn stattdessen in dem unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg eingetretenen Umbruch, der eine lange, bis weit vor den Beginn der Moderne zurückreichende Geschichte des Krieges von jenen bewaffneten Konflikten trennt, die wir heute kennen. Ich bin versucht, für die gegenwärtige Epoche leicht ironisch von »postmodernem Krieg« zu sprechen. Zwar hat es über diese Zäsur der Mitte des 20. Jahrhunderts hinweg auch Kontinuitäten gegeben. Dies betrifft aber vor allem die sogenannten sekundären Formen des Krieges.

Ab dem Mittelalter und mindestens bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges sprach man in der westlichen Welt von »Krieg« (war, guerre, voyna, etc.) prinzipiell dann, wenn es um eine formalisierte und symmetrische Auseinandersetzung zwischen souveränen Staaten mittels ihrer Streitkräfte ging. Um sich dies zu vergegenwärtigen, genügt ein Blick auf die Definitionen von »Krieg« in alten Wörterbüchern. Entsprechendes lässt sich übrigens auch heute noch finden: Das Oxford English Dictionary etwa erklärt, bei Krieg handle es sich um eine »feindliche Auseinandersetzung mittels bewaffneter Kräfte zwischen Nationen, Staaten oder Herrschern …«1 (um nur den Anfang der Definition zu zitieren). Dasselbe galt in der Vergangenheit und gilt auch heute für die Sprache, die in Verfassungstexten, in Gesetzesparagrafen zur Organisation der Streitkräfte und in den Verfahrensregeln für Kriegserklärungen und Friedensverhandlungen Anwendung findet. Gewiss nennen die Wörterbücher auch sekundäre Formen des Krieges, insbesondere den Bürgerkrieg, den Kolonialkrieg, den Guerillakrieg und stärker umstritten auch den Terrorismus. Diese werden jedoch lediglich als Variationen dargestellt. Das eigentliche Modell des »Krieges« bleibt der Konflikt souveräner Staaten wie bei der Schlacht von Azincourt, der Zweiten Schlacht von Höchstädt, Waterloo, der Schlacht an der Somme, Stalingrad. Trotz zahlreicher Unterschiede haben diese Konflikte gemeinsam, dass sich dabei reguläre und ausgebildete Heere gegenüberstanden, die jeweils vergleichbare Strategien, Taktiken und Bewaffnungen aufboten.

Doch zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist der Krieg, soweit er dieser Definition entspricht, weitgehend verschwunden (besonders wenn man die ausgedehnten Scharmützel nicht hinzuzählt, die ohne massiven Truppeneinsatz stattfinden). In den letzten sechs Jahrzehnten lassen sich die großen, dieser Definition des Krieges entsprechenden Konflikte an zwei Händen abzählen. Darunter fallen der Vietnamkrieg, die arabisch-israelischen Kriege von 1967 und 1973, der Indisch-Pakistanische Krieg von 1971, der Iran-Irak-Krieg 1980–1988, der Zweite Golfkrieg und vielleicht noch bestimmte Konflikte im Gefolge des Zusammenbruchs der Sowjetunion und des Zerfalls Jugoslawiens (zum Beispiel der Bergkarabach-Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan oder der Krieg zwischen Russland und Georgien von 2008). Man könnte unter Umständen noch den 2003 durch die USA und ihre Verbündeten ausgelösten Irakkrieg hinzuzählen, doch dieser Konflikt ging schnell von einer symmetrischen Auseinandersetzung zwischen Armeen zu ausgedehnten Guerillakämpfen über. Selbstverständlich kann jederzeit ein neuer Krieg nach dem klassischen Begriffsverständnis ausbrechen. Doch zu Beginn des 21. Jahrhunderts können Politiker*innen und Kommentator*innen, wenn sie das Wort »Krieg« benutzen, sich dabei ebenso sehr auf den Mord an sechzehn Personen in den Räumen einer Zeitschrift und in einem Pariser Supermarkt sowie einer Polizistin in Montrouge im Januar 2015 beziehen wie auf eine thermonukleare Auseinandersetzung, in der innerhalb eines Augenblicks Millionen von Leben ausgelöscht werden. Wie Jean-Vincent Holeindre in seinem Essay anführt, verwundert daher nicht die Einigkeit unter Spezialist*innen darüber, dass es »nie so wenig Übereinstimmung« über den Begriff gegeben hat wie heute.

 

Wenn es Kontinuitäten zwischen »modernen« und »postmodernen« Kriegen gibt, dann finden sie sich nicht im klassischen Modell der Konfrontation zwischen souveränen Staaten, sondern in den »Variationen«. Wie der Historiker David Armitage kürzlich in seinem Buch Bürgerkrieg. Vom Wesen innerstaatlicher Konflikte bemerkte, sind die meisten der großen bewaffneten Konflikte, die heute ausbrechen, Bürgerkriege, da sie sich innerhalb von Staaten abspielen. Die gegenwärtigen Konflikte in Syrien, auf den Philippinen, im Südsudan und in anderen Ländern entsprechen dieser Definition. In der Weise setzten sich auch die Kolonialkriege in der Dekolonisationsperiode nach 1945 fort, und auch einige Konflikte in der ehemaligen Sowjetunion, Nachfolgerin des russischen Reiches, könnte man hier hinzuzählen (insbesondere Tschetschenien 1994–1996 und 1999–2000). Soweit es den Guerillakrieg betrifft, so bleibt diese Form des Krieges nach dem Vorbild der seit 2001 im Irak und in Afghanistan gegen die Vereinigten Staaten geführten Auseinandersetzungen ebenso weltweit verbreitet wie der Terrorismus.

Kurz, die Geschichte des »modernen Krieges«, die das vorliegende Werk ab dem 19. Jahrhundert nachzeichnet, muss in zwei unterschiedliche Geschichtslinien aufgeteilt werden, die nichtsdestotrotz miteinander verbunden sind. Die erste umfasst die regulären, symmetrischen Kriege zwischen souveränen Staaten, die vielfältigen Entwicklungen dieser Konflikte im Fortgang jener Periode, die sich von der Französischen Revolution bis zum Zweiten Weltkrieg erstreckt, und schließlich den radikalen Wandel – ja geradezu das Verschwinden – dieses Modells von 1945 bis heute. Die zweite Geschichtslinie umfasst die »Variationen« dieses Kriegsmodells – Bürgerkriege, Kolonialkriege, Guerillakriege und Terrorismus – und ihre eigenen komplexen Transformationen.

Jede dieser beiden Geschichtslinien ist durch zwei verschiedene, aber miteinander verbundene Triebkräfte bestimmt: die Ziele, die die kriegführenden Parteien erreichen wollen, und die Mittel, die sie zu diesem Zweck einsetzen. In diesem Zusammenhang lässt sich der berühmte Ausspruch Clausewitz’ anführen: »Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.«2 Diese Mittel müssen ins richtige Verhältnis zu den politischen Zielen gebracht werden. Man muss sich darüber klar werden, dass die Staaten die Mittel nicht immer mit Augenmaß beurteilen und dass die Ziele, die sie sich setzen, sich infolge des Konflikts selbst verändern können. Besonders wenn die Kämpfe an Intensität zunehmen und die Verluste größer werden, können die Kriegsparteien ihr ursprüngliches Ziel nach oben korrigieren und letztlich zu der Auffassung gelangen, dass die dauerhafte Unterwerfung des Gegners, wenn nötig durch den Sturz seines politischen Regimes, der einzig annehmbare Ausgang des Konflikts sei.

Genau dieser Prozess unkontrollierter Radikalisierung ist es, der die symmetrischen, zwischenstaatlichen Kriege zwischen 1789 und 1945 heimsuchte. Diese Kriege hatten natürlich verschiedene und häufig begrenzte Ziele, seien es territoriale Expansion, nationale Einheit, ökonomische Vorteile oder Kolonialherrschaft. Doch in den meisten Fällen entglitten sie der Kontrolle und wuchsen über eine Gewaltspirale und ein gegenseitiges Überbieten der Ziele und Zerstörungsmittel deutlich über die anfänglichen Streitigkeiten hinaus. Eine solche Spirale kann nur mit dem Untergang einer Seite enden. Es waren die Revolutionskriege und Napoleonischen Kriege, die diesen Radikalisierungsprozess in Gang setzten, indem sie die größten Armeen, die man bis dahin im Westen gekannt hatte, für eine lange Reihe großer Schlachten mobilisierten, die zu beispiellosen Verlusten und einer Verschiebung der Grenzen zwischen den großen europäischen Mächten führten. Der Wiener Kongress von 1814–1815 versuchte, dieser Art von Zerstörungskrieg ein Ende zu setzen, und stellte die Weichen für eine Zusammenarbeit zwischen den Großmächten. Doch der Erste Weltkrieg öffnete von Neuem die Büchse der Pandora, setzte erneut eine Gewaltspirale mit entsetzlichen Verlusten in Gang (fast 10 Millionen Tote allein unter den Kombattanten) und führte zu einer Radikalisierung der Kriegsziele aufseiten der Alliierten, die nicht nur dazu entschlossen waren, die Mittelmächte zu unterwerfen, sondern auch, Mechanismen für einen dauerhaften Frieden zu installieren. Eine vergebliche Mühe: Trotz der im Vertrag von Versailles getroffenen Friedensvereinbarungen und der Schaffung des Völkerbundes brach zwanzig Jahre nach dem Ende der Kämpfe der Zweite Weltkrieg aus.

Es ist dieser Kontext zwischen 1789 und 1945, in dem sich die von den souveränen Staaten zur gegenseitigen Bekämpfung eingesetzten Mittel in atemberaubender Geschwindigkeit weiterentwickelten, wie die Kapitel dieses ersten Teils zeigen. Nach den beiden vorangegangenen Jahrhunderten, in denen die Hauptbewaffnung relativ geringe Fortschritte gemacht hatte (handgefertigte Gewehre, Kanonen, Kriegsschiffe aus Holz), tauchten nun Schnelllade-Gewehre mit Zug auf, dann Maschinengewehre, Giftgas, eine Artillerie, die in der Lage war, Explosivgeschosse mit chemischen Kampfstoffen über große Distanzen zu verschießen, Panzer, Schlachtschiffe, Flugzeuge – und schließlich die Atombombe. Dieses neue Arsenal verwandelte nicht nur das Schlachtfeld bis zur Unkenntlichkeit; es führte nachgerade zum Verschwinden der Feldschlacht, in der die Heere auf einem geografisch begrenzten Terrain für die Dauer von maximal zwei oder drei Tagen direkt aufeinandertrafen. Während des Ersten Weltkrieges konnten die »Schlachten« Monate dauern und sich über mehrere Dutzend Kilometer erstrecken. Nach der »Massenaushebung« der französischen Streitkräfte 1793 versuchten die Staaten, ganze Bevölkerungsteile für den Krieg zu mobilisieren, insbesondere indem sie die Wehrpflicht für junge Männer einführten. Darüber hinaus waren sie bestrebt, Kontrolle über die wirtschaftlichen Ressourcen auszuüben, um diese auf die Kriegsbemühungen hin auszurichten (Richard Overy bezeichnet das in seinem Aufsatz als »Kriegsstaat«), und sprachen die Nichtkombattant*innen der »Heimatfront« mit einer zunehmend elaborierten Propaganda an. Schließlich ersannen die Staaten immer raffiniertere Finanzierungsinstrumente, um diese gewaltigen militärischen Unterfangen zu bewältigen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts bedeutete ein Krieg zwischen Großmächten eine derart große Investition an menschlichen, materiellen und finanziellen Ressourcen, dass es unmöglich schien, den Konflikt zu begrenzen und sich mit einigen einfachen Gebietskorrekturen zufriedenzugeben.

An diesem Punkt kam es zum »Bruch« von 1945, wie ihn Holeindre zu Recht nennt. Nicht die beispiellosen Verluste des Zweiten Weltkrieges (nach einigen Schätzungen bis zu 80 Millionen Tote) haben zu diesem Bruch und zu der darauffolgenden radikalen Veränderung zwischenstaatlicher Kriege geführt, sondern die Kernwaffen. Allerdings war, als die Vereinigten Staaten die beiden ersten Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki abwarfen, unmittelbar keine Zunahme der Zerstörungskraft der höchstentwickelten Streitkräfte des Planeten wahrzunehmen. Den beiden Bomben fielen jeweils weniger Menschen zum Opfer als den konventionellen Fliegerangriffen der amerikanischen Luftwaffe auf Tokio am 9. und 10. Mai 1945. Doch bei diesen Luftangriffen waren 334 Flugzeuge im Einsatz gewesen und fast 7000 Bomben abgeworfen worden – statt einer einzigen! Außerdem erkannte man sehr schnell, dass das destruktive Potenzial der Kernwaffen insbesondere mit der Entwicklung von Wasserstoffbomben, die in ballistische Flugkörper installiert wurden, noch beträchtlich gesteigert werden konnte. Ab Anfang der 1960er Jahre hatten die größten Bomben eine Zerstörungskraft von bis zu 50 Millionen Tonnen TNT. Mit der Beschaffung beeindruckender Arsenale dieser Waffen durch die Vereinigten Staaten und die UdSSR wurde deutlich, dass ein Krieg zwischen Großmächten potenziell zur Zerstörung der gesamten menschlichen Zivilisation führen konnte. Dieser Umstand machte einen solchen Krieg unwahrscheinlich, aber leider nicht unmöglich, wie eine Reihe von Zwischenfällen bezeugt, bei denen die Welt haarscharf an der Katastrophe vorbeischlitterte. Kriege konnten noch zwischen weniger mächtigen Nationen ausbrechen, doch dabei bestand immer das Risiko, dass die nuklearen Supermächte aufgrund der Aufteilung der Welt in zwei entgegengesetzte Blöcke in den Konflikt hineingezogen wurden. Dieses Risiko ist mit dem Ende des Kalten Krieges verschwunden. Doch seitdem hat sich die sogenannte Hypermacht USA nicht gescheut, unterlegene, nicht mit Atomwaffen ausgestattete, aber kriegstreiberische Mächte wie den Irak oder Serbien in den 1990er Jahren militärisch anzugreifen. Heute unterhalten die Vereinigten Staaten zu beträchtlichen Kosten Streitkräfte, die einen konventionellen Krieg gegen eine andere bedeutende Macht oder gegen zwei kleinere Mächte durchführen und schnell gewinnen können.

Der rasche Niedergang der konventionellen Kriege hat einige Spezialisten – insbesondere Steven Pinker in seinem Buch Gewalt. Eine neue Geschichte der Menschheit – zu der Annahme verleitet, die menschliche Gattung habe schlussendlich ihren Geschmack an der Waffengewalt verloren. Nun ist zwar das klassische Modell des Krieges auf dem Rückzug, doch seine Variationen – besonders der Bürgerkrieg, der Guerillakrieg und der Terrorismus – zeigen deutlich weniger Anzeichen eines Rückgangs. Pinker behauptet, bei diesen anderen Konfliktformen gäbe es gleichermaßen eine Abnahme der Gewalt zu verzeichnen, doch kurz nach Erscheinen seines Buchs brach in Syrien ein fürchterlicher Bürgerkrieg aus, der Hunderttausende das Leben gekostet hat und die größte Flüchtlingskrise auslöste, die die Welt seit dem Zweiten Weltkrieg erlebt hat.

Diese verschiedenen Variationen des klassischen Krieges haben mehrere gemeinsame Züge und tendieren heute dazu, sich zu unterschiedlichen Varianten des »asymmetrischen Krieges«, wie er häufig genannt wird, zu vermischen. Wenngleich der Begriff des »Bürgerkrieges« vor allem auf den Konflikt von 1861 bis 1865 zwischen der Union und den Konföderierten in den Vereinigten Staaten oder auch laut David Armitage auf den zwischen Marius’ und Sullas Legionen im antiken Rom verweist, kommt man nicht umhin zuzugestehen, dass seit 1945 nur wenige Bürgerkriege die Form symmetrischer Konflikte zwischen regulären und gut ausgerüsteten Streitkräften angenommen haben. Im Gegenteil handelt es sich durchweg um asymmetrische Konflikte zwischen einem Staat und Rebellen-Guerillas oder sogar zwischen rivalisierenden Guerilla-Banden. Diese Auseinandersetzungen haben sich oftmals direkt aus den Kolonialkriegen entwickelt, so im Fall des langen Bürgerkrieges in Angola, in dem Gruppen, die zuvor die Portugiesen bekämpft hatten, nun über Jahrzehnte gegeneinander Krieg führten. Fast in allen diesen Konflikten kommt es zu Angriffen, die von der Gegenseite als »terroristisch« bezeichnet werden.

Wie den Kapiteln des ersten Teils dieses Buches zu entnehmen ist, bedeutet das Ende des Zweiten Weltkrieges, wenn man sich statt dem Studium der »klassischen« Kriege dem jener »Variationen« zuwendet, keinen echten Bruch mehr. Die Art asymmetrischen Konflikts, die in diesen »Variationen« vorherrscht, entwickelte sich Anfang des 19. Jahrhunderts im Laufe der Napoleonischen Kriege. In jenem Moment, als Napoleon versuchte, den Volksaufstand im besetzten Spanien zu unterdrücken, nahm das Wort »Guerilla« (»kleiner Krieg« auf Spanisch) seine moderne Bedeutung an. Indem sie durch Hinterhalte gegen Detachements und durch Rückzug im Feld einen irregulären Krieg gegen den Okkupanten anstrengten, konnten sich die spanischen Kämpfer gegenüber der größten Landstreitkraft ihrer Zeit erfolgreich behaupten (das ist das berühmte »spanische Geschwür« Napoleons). Das französische Heer wandte zahlreiche Aufstandsbekämpfungstaktiken an – massive Vergeltungsmaßnahmen, Geiselnahme, Rückgriff auf lokale Hilfstruppen –, konnte dem Widerstand aber nicht beikommen. Dieser Konflikt lieferte in der Folge eine Art Modell, das im Laufe der nächsten zwei Jahrhunderte allerorten kopiert wurde: zum Beispiel in Algerien in den 1830er und 1840er Jahren bei den Zusammenstößen der Streitmacht Abd el-Kaders und den französischen Truppen; während des Burenkrieges 1899–1902; in Partisanenkriegen in China während der 1930er und 1940er Jahre; im Vietnamkrieg; und in jüngerer Zeit in den Kriegen im Irak und in Afghanistan. Statt dass die Entwicklung der Atombombe und der Kalte Krieg diesem Konflikttyp ein Ende bereitet hätten, haben sie ihm vielmehr neues Leben eingehaucht. Sich der Gefahr einer direkten Konfrontation bewusst, verfolgten die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion ihre Ziele lieber mittels Stellvertretern, indem sie die paramilitärischen Einheiten anderer Nationen unterstützten – beispielsweise die Truppen des kommunistischen Vietcong in Südvietnam oder die proamerikanischen Contras in Nicaragua. Für die Konflikte nach dem Kalten Krieg muss man festhalten, dass das übermächtige Militär der USA, wenngleich es andere souveräne Staaten, in erster Linie den Irak und Serbien, schnell und entscheidend besiegen konnte, oft von Gruppen und Guerillas, die auf dem Papier deutlich kleiner und schwächer aufgestellt waren, in Schach gehalten wurde.

 

Im Verlauf der langen Periode von 1800 bis heute sind asymmetrische Kriege vor allem mit territorialen Zielen geführt worden: um ein Gebiet zu befreien oder zu einen, es von unerwünschten Minderheiten zu »säubern« oder auch um es zu unterwerfen und zu befrieden. Dennoch können, wie John Lynn in seinem Kapitel zeigt, auch andere Ziele ins Spiel kommen, insbesondere wenn man terroristische Aktivitäten hinzuzählt. Die europäischen Anarchist*innen des 19. und die Dschihadisten des 21. Jahrhunderts sind zwar von radikal verschiedenen Überzeugungen angetrieben, doch sie teilen dieselben unmittelbaren Ziele: spektakuläre Angriffe durchführen, die die Anarchist*innen zu ihrer Zeit als »Propaganda der Tat« beschrieben, mit der ihre Anhänger*innen angesprochen und die politische Ordnung ihrer Feinde geschwächt werden sollten.

Die in diesen Konflikten eingesetzten militärischen Mittel haben sich seit 1800 deutlich weniger verändert als im Fall der symmetrischen Kriege zwischen souveränen Staaten. Wenngleich Sturmgewehre die alten Gewehre ersetzt haben und chemische Sprengstoffe das Schwarzpulver, so besteht die Bewaffnung, die die Guerillakämpfer*innen, Terrorist*innen und ein Großteil der Kombattant*innen in Bürgerkriegen benutzen, vornehmlich aus kleinen Waffen und vergleichsweise schwachen Sprengstoffen (oft aus nichtindustrieller Fertigung). Zu den eingesetzten Taktiken gehören oft Hinterhalte oder andere Formen von Überraschungsangriffen. Die Kombattant*innen zählen darauf, sich unter der Zivilbevölkerung verstecken zu können. Ihre Gegner*innen wiederum stützen sich auf lokale Hilfstruppen, auf Vergeltungsmaßnahmen gegen die Kombattant*innen, ihre Helfer*innen und sogar die gesamte Bevölkerung sowie auf Zwangsumsiedlungsprogramme – wie den Aufbau von »Wehrdörfern« durch das amerikanische Militär in Vietnam. Beide Lager bemühen sich darum, »Herz und Verstand« der Bevölkerung auf ihre Seite zu ziehen. Trotz der überwältigenden Feuerkraft, über die die Staaten in diesen Konflikten verfügen, erreichen sie oft ihre Ziele nicht. Im napoleonischen Spanien machte sich die Guerilla offen über die französischen Besatzer lustig, die sich, von den befestigten Städten abgesehen, als unfähig erwiesen, das Territorium zu kontrollieren. Wenn die französischen Truppen von einer Stadt zur anderen zogen, »zogen sie Furchen durchs Wasser«, wie man sagte. Dasselbe ließe sich über Großbritannien in Südafrika während des Burenkrieges oder über die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten in Afghanistan sagen.

Diese Erfolge deuten darauf hin, dass die asymmetrischen Kriege leider nicht so bald verschwinden werden. Dass die Kriege zwischen souveränen Staaten selten geworden sind, liegt nicht daran, dass die Menschheit zivilisierter geworden ist (auch wenn dies Pinker missfallen mag); es liegt schlicht daran, dass die Risiken die Vorteile überwiegen. Bei den »kleineren« Formen und Variationen des Krieges fällt das Kalkül anders aus. Die Zunahme humanitärer Einstellungen – oder zumindest die Angst vor Verurteilung durch die öffentliche Meinung – hat die Staaten teilweise von Aufstandsbekämpfungsmethoden abgebracht, die von früheren Generationen ohne größere Gewissensbisse praktiziert wurden, so etwa Geiselnahmen und Hinrichtungen oder massive Vergeltungsmaßnahmen gegen die Zivilbevölkerung. Diese Staaten legen außerdem eine größere Vorsicht hinsichtlich der Sicherheit und des Lebens ihrer eigenen Soldat*innen an den Tag – davon zeugt das Ende des amerikanischen Einsatzes im Libanon, nachdem am 23. Oktober 1983 in Beirut 241 Amerikaner*innen gestorben waren. Doch diese Entwicklungen haben den Guerillas und Aufständischen fraglos ermöglicht, ihre Ziele leichter zu erreichen. Daher können wir damit rechnen, dass diese »Variationen ohne Thema« auch weiterhin den Rahmen des zukünftigen Krieges abstecken.

David Bell ist Sidney and Ruth Lapidus Professor in the Era of North Atlantic Revolutions an der Universität von Princeton. Als Spezialist für die Geschichte Frankreichs im 18. und 19. Jahrhundert gehört zu seinen Veröffentlichungen insbesondere The First Total War. Napoleon’s Europe and the Birth of Warfare As We Know It (Boston 2007).

1Oxford English Dictionary, 2. Aufl., Oxford 2001.

2Carl von Clausewitz, Vom Kriege, Bonn 1980, S. 210.