Medienlinguistik

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Monografien zu Teilbereichen (Auswahl): ■ Hauser & Martin, 2015 analysieren Medien kontrastiv. ■ Machin & Van Leeuwen, 2007 führen ein in die kritische Analyse von „global media discourse“;Montgomery, 2007 in die linguistische Analyse der Sprache von Rundfunkmedien; ■ Conboy, 2010 in die Analyse der Sprache der Zeitung. ■ Hickethier, 2003 gibt eine medienlinguistisch aufgeschlossene „Einführung in die Medienwissenschaft“. ■ Straßner, 2000 beschreibt „journalistische Texte“. ■ Fairclough, 1995 diskutiert die Leistungen journalistischer Massenmedien aus dem Blickwinkel kritischer Diskursanalyse. ■ Fowler, 1991 fokussiert auf Sprache journalistischer Nachrichten. ■ Bell, 1991 untersucht journalistische Textproduktion als gesellschaftlich eingebetteten Prozess. ■ Van Dijk, 1988b erfasst „news as discourse“.

Sammelbände (Auswahl): ■ Bird, 2010b bündelt neue ethnografische Analysen journalistischer Textproduktion. ■ M. Burger, 2008 stellt scharf auf die Schnittstelle von Sprach- und Medienwissenschaft bei der Untersuchung von Mediensprache. ■ Aitchison & Lewis, 2003 stellen Beiträge zu „new media language“ zusammen; ■ Breuer & Korhonen, 2001 zur medienlinguistischen Forschung u.a. in Skandinavien; ■ Möhn, Roß, & Tjarks-Sobhani, 2001 zu einzelnen Ansätzen unterschiedlicher Disziplinen, Sprache in Medien zu untersuchen; ■ Biere & Henne, 1993 zur „Sprache in den Medien nach 1945“; ■ Bucher & Straßner, 1991 zu „Mediensprache, Medienkommunikation, Medienkritik“; ■ Van Dijk, 1985b zu Ansätzen, die über linguistische Diskursanalyse hinausgreifen.

Zeitschriften- und Buchbeiträge (Auswahl): ■ Perrin, 2014, O’Keeffe, 2011, White & Thomson, 2008, Thornborrow, 2006, Cotter, 2001, Bucher, 1999a, und Bucher, 1999b, erklären linguistische Analysen von Medienbeiträgen. ■ Catenaccio, et al., 2011 fordern programmatisch eine „linguistics of news production“. ■ Richardson, 2008 lotet die „research agenda“ im Schnittfeld von Journalismus und Sprache aus. ■ Bell, 2006 fasst Schlüsselwerke medienlinguistischer Forschung knapp zusammen. ■ Muckenhaupt, 1999 umreißt die „Grundlagen der kommunikationsanalytischen Medienwissenschaft“; ■ Von Polenz, 1999 die Geschichte der „Sprache in Massenmedien“; ■ Schrøder, 1994 „media language and communication“; ■ Straßner, 1980 „Sprache in Massenmedien“.

„Das Verhältnis der massendemokratischen Öffentlichkeit’ zu Sprachfragen ist fatalerweise kein Gegenstand der Linguistik. Das liegt daran, dass die Linguistik keine Kommunikationswissenschaft ist und schon gar keine Massenkommunikationswissenschaft. Eigentlich müsste sie das sein – nicht in erster Linie, sondern gleichsam ‚nebenberuflich‘.“

Knobloch, 2003, 103


BMedienlinguistik als linguistische Teildisziplin

Wissenschaft fragt nach dem, was hinter dem Offensichtlichen liegt – zum Beispiel nach der Entstehungsgeschichte hinter einem fertigen Text. So scheint hinter der straffen Forderung „Wir müssen Risiken eingehen“ eine tastende ursprüngliche Formulierung auf (A|1|_1). Was wurde mit der Äußerung von Josep Piqué getan? Wer hat sie bearbeitet? Mit welchem Ziel und welcher möglichen Wirkung? Was davon geschieht immer wieder? Und wie lässt sich dies alles zuverlässig und gültig feststellen und überprüfen? – Wissenschaft fragt kritisch und systematisch (_1).

Wissenschaft: gesellschaftliche Institution, die nach theoretisch begründeten Regeln theoretisches Wissen erzeugt, bereitstellt, überliefert und teils nach außen vermittelt.


■ Seiffert, 2003 zeigt in seiner Einführung in die Wissenschaftstheorie, wie präzise Sprache und präzises Denken beim Aufbau von Wissen zusammenhängen.

Wissenschaft stellt also Wissen her. Sie gewinnt es, indem sie bestehendes Wissen neu verknüpft oder ihren Gegenstand empirisch, in der Praxis erforscht. Ein solcher Gegenstand ist zum Beispiel der Umgang publizistischer Medien mit Quellenäußerungen. Wissen kann sich auf einen einzigen Fall beziehen oder auf mehrere oder alle denkbaren Fälle. Ziel der wissenschaftlichen Wissensproduktion ist es, Theorien zu entwickeln und zu überprüfen: weitreichend gültige, widerspruchsfreie Beschreibungen, Erklärungen und Begründungen eines klar abgegrenzten Gegenstandes (_2).

Theorie: explizites und intersubjektiv nachvollziehbares, widerspruchsfreies und systematisches Geflecht von Aussagen zu Regelhaftigkeiten eines rekonstruierten Weltausschnitts.


■ So gibt es etwa T. zur Wechselwirkung von Sprache und Gesellschaft. Neuere solche T. (z.B. Larsen-Freeman & Cameron, 2008 oder Sealey & Carter, 2004) besagen, dass Menschen beim Sprachhandeln von sozialen Strukturen bestimmt werden, dass sie aber durch ihr Sprachhandeln selbst wieder gesellschaftliche Strukturen verstärken oder verändern und damit die Handlungsbedingungen weiter ausprägen – etwa die journalistischen Normen zum Umgang mit Quellenäußerungen.

Dazu organisiert sich Wissenschaft in Disziplinen (B|1), mit je eigenen Erkenntnisinteressen (B|2) und passenden Methoden (B|3). Der Platz einer Medienlinguistik in diesem Gefüge ist zu bestimmen (B|4). Zuerst aber eine Aufgabe zum Nachdenken über Wissenschaftstheorie …


Streiflicht WISSENSCHAFTSTHEORIE: Wie man Wissen schafft

Wissenschaft wirkt auf einer Objektebene und einer Metaebene. Auf der Objektebene bestimmt sie ihren Gegenstand, schärft Begriffe mit ausdrücklichen Definitionen, verknüpft diese zu Hypothesen, zu empirisch überprüfbaren Aussagen über den Gegenstand, und ordnet vorläufig gesichertes Wissen zu Theorien, die ihren Gegenstand erklären und Prognosen ermöglichen. Bleibt ein Bündel von Theorien lange Zeit stabil und wichtig, bildet es wissenschaftsgeschichtlich ein Paradigma.

Auf der Metaebene hinterfragt sich Wissenschaft selbst theoretisch, verankert sich politisch, managt ihren Betrieb und verfeinert die Methoden, mit denen sie Wissen erzeugt und weitergibt (_1). ▶ Beschreiben Sie diese Zusammenhänge in eigenen Worten und ▶ vergleichen Sie Ihre Version mit Versionen in der Lösungsdatenbank. >> www.medienlinguistik.net



Wissenschaft mit Objekt- und Metawissen und der Beziehung von Praxis und Theorie


Medienlinguistik im Wissenschaftsbetrieb

Wissenschaft organisiert sich in Disziplinen. Eine Disziplin ist bestimmt über ihren Gegenstand, ihre Fragestellungen und ihre Methoden (_1). Die Linguistik forscht zum Beispiel gesprächsanalytisch (Methode) nach Regelhaftigkeiten (Fragestellung) des Sprachgebrauchs (Gegenstand); dazu zählen etwa Rekontextualisierungen im öffentlichen Diskurs.

Wissenschaftliche Disziplin: gesellschaftliche Institution, die Wissenschaft betreibt zu einem eigenen Gegenstand, mit eigenen Fragestellungen und eigenen Methoden.


■ Roe, 2003 zeigt disziplinäre Reibungsflächen und Bezüge am Beispiel Kommunikationsund Medienwissenschaft. Rampton, 2008 beschreibt Angewandte Linguistik als „disciplinary mixing“.

Die Bedeutung der Disziplin als Organisationsform der Wissenschaft wird deutlich im • Studienangebot, im • Forschungsbetrieb sowie in • Tagungen und • Publikationen als den Brennpunkten fachlicher Diskurse:

 Studienangebot: Ein Fach wie Linguistik bieten Hochschulen weltweit als Studienfach an, was dazu beiträgt, die Fachgemeinschaft zu erneuern und zu erweitern und so die Disziplin zu erhalten und auszubauen.

 Forschungsbetrieb: Institutionen wie der SCHWEIZERISCHE NATIONALFONDS unterstützen Institutionen wie Hochschulen oder Projektgruppen systematisch in einzelnen Forschungsvorhaben oder ganzen Programmen.

 Tagungen: Anlässe wie die Jahrestagung der deutschen GESELLSCHAFT FÜR ANGEWANDTE LINGUISTIK führen regelmäßig Fachleute zusammen und fördern Diskurse im Fach selbst, mit Nachbarfächern und mit der Praxis.

 Publikationen: In Zeitschriften wie dem JOURNAL OF PRAGMATICS diskutieren Forschende unterschiedlicher fachlicher Herkunft neue Ansätze zum Sprachgebrauch in Anwendungsfeldern wie öffentlicher Kommunikation.

 

Dabei deuten Begriffe wie Angewandte Linguistik und Pragmatics auf Probleme und Grenzen der Disziplin als der klassischen Organisationsform der Wissenschaft: Weil sich Erkenntnisinteressen und Wissen mit der Zeit verändern, sind etablierte Disziplinen für den Wissenschaftsbetrieb oft zu weit (B|1.1) oder zu eng (B|1.2) gefasst.


Disziplinen ausprägen

Mehrere Disziplinen können sich mit dem gleichen Gegenstand befassen. Dazu kurz zurück zum Fall Risiken (A|1): Die Äußerung von Piqué durchlief fünf Stationen einer Produktionskette, bis sie in einer Online-Nachricht des Zürcher TAGES-ANZEIGERS erschien: Piqué sprach Spanisch, ein EU- Dolmetscher simultan dazu Englisch, ein Korrespondent der Nachrichtenagentur Associated Press (AP) griff die Äußerung mit den „Risiken“ auf, AP aktualisierte damit die weltweite Berichterstattung, AP Frankfurt die deutschsprachige, und AP Schweiz übermittelte die Meldung an Schweizer Kunden, etwa den TAGES-ANZEIGER online (_1).



Die intertextuelle Kette von der Äußerung eines Politikers bis zur Wiedergabe in TA ONLINE

Unter ökonomischem Blickwinkel wird in einer solchen Produktionskette Wert geschöpft, unter linguistischem werden sprachliche Äußerungen rekontextualisiert. So befassen sich beide Disziplinen damit, und zwar in der Medienökonomie und der Medienlinguistik – also in Teildisziplinen:

Wissenschaftliche Teildisziplin: Bereich einer wissenschaftlichen Disziplin, der sich in Gegenstand, Fragestellung oder Methoden prägnant und stabil von der Disziplin abhebt.

Aus linguistischer Sicht stellen nichtlinguistische (Teil-)Disziplinen wie die Medienökonomie scharf auf die Umwelt von Sprachgebrauch (B|1.1.1), die Linguistik dagegen auf den Sprachgebrauch selbst (B|1.1.2). Dabei klärt und beantwortet die Angewandte Linguistik auch Fragestellungen und Wissen der beforschten Praxis (B|1.1.3), und die Medienlinguistik konzentriert sich auf den Sprachgebrauch in medialer Umwelt (B|1.1.4).


Nicht-Linguistik

Kommunikation (B|2.1.3|_1) und Medien (B|2.1.3|_2) als ein Thema unter vielen behandeln etwa Soziologie, Politologie, Wirtschafts- und Rechtswissenschaft, Psychologie oder Pädagogik. Viele davon tun dies in eigenen Teildisziplinen, als Mediensoziologie, -ökonomie, -recht, -psychologie oder -pädagogik. Aus linguistischer Sicht thematisieren solche Disziplinen, mit je eigenen Fragestellungen und Methoden, Ausschnitte der vielschichtigen Umwelten des Sprachgebrauchs. So untersucht eben zum Beispiel die Medienökonomie die publizistischen Medien aus wirtschaftlichem Blickwinkel.

Einige Disziplinen konzentrieren sich ganz auf öffentliche oder massenmediale oder journalistische Kommunikation: Kommunikationswissenschaft, Medienwissenschaft, Publizistik, Journalistik. Wie sich diese Disziplinen gegeneinander abgrenzen, darüber wird immer wieder gestritten. Aus linguistischer Sicht jedenfalls beschreiben auch sie gesellschaftliche, organisationale, wirtschaftliche, technologische und andere Aspekte der Umwelten, in denen Medienschaffende ihre Kommunikationsangebote herstellen, ihre Texte produzieren.

Vom Sprachgebrauch her nähern sich all jene Disziplinen den (publizistischen) Medien, die sich mit Sprache und Sprachen, mit Zeichen und Texten überhaupt beschäftigen: Die Semiotik etwa untersucht Wechselwirkungen von Zeichensystemen. Sprach- und Kulturraum-gerichtete Disziplinen wie die Germanistik oder die Romanistik untersuchen die jeweilige Sprache in den Medien. Die Literaturwissenschaft stellt Medientexte als Gebrauchstexte neben die Belletristik. Die Sprachdidaktik erkennt Mediensprache als Sozialisationsfaktor. Sprachkritik, Stilistik oder Rhetorik diskutieren Gestalt und Wirkung von Mediensprache, oft ausdrücklich wertend.

Sprache und Sprachgebrauch als Hauptgegenstand umfassend beobachten, beschreiben und erklären aber – das leistet allein die Linguistik.


Linguistik

Zentral mit der Sprache befasst sich die (allgemeine) Linguistik: Sie untersucht im Gegensatz zur Semiotik nur Sprache, und zwar gesprochene, geschriebene oder gebärdete natürliche Sprache. Anders als etwa Germanistik oder Romanistik tut sie dies über die Grenzen der Einzelsprachen hinweg. Sie arbeitet beschreibend, nicht wertend wie die Sprachkritik, und interessiert sich, anders als die Literaturwissenschaft, für Sprache in allen Gebrauchszusammenhängen (_1).

Linguistik: wissenschaftliche Disziplin, die sich befasst mit der Sprache als einer menschlichen Fähigkeit, mit den natürlichen Einzelsprachen und mit dem Sprachgebrauch.


■ Die Bezeichnung Linguistik für Sprachwissenschaft kam auf mit den Arbeiten von De Saussure, 1916. ■ Das Verhältnis von Linguistik und Semiotik diskutiert etwa Peters, 1999.

In drei Forschungsparadigmen hat die Linguistik seit dem frühen 20. Jahrhundert die Sprache erschlossen: zuerst strukturalistisch, als System aus Lauten, Wörtern und Sätzen; dann generativ, als Produkt kognitivindividueller Tätigkeit; dann pragmatisch, als Auslöserin, Begleiterin und Spur menschlicher Tätigkeit in konkreten Umwelten. So haben sich linguistische Teildisziplinen herausgebildet. Sie erfassen heute alle den gleichen Gegenstand, nämlich die Sprache und den Sprachgebrauch. Aber sie nehmen dazu einen je eigenen Blickwinkel ein:

 Teildisziplinen wie Phonologie, Phonetik, Morphologie, Syntax oder Textlinguistik gehen aus von Struktureinheiten der Sprache, etwa von Lauten, Wörtern, Sätzen oder Texten.

 Teildisziplinen wie Semantik, Pragmatik, Psycho- oder Soziolinguistik gehen aus von Funktionen der Sprache, etwa Benennen, Denken, Handeln oder Identitäts- und Gemeinschaftsbildung.

 Teildisziplinen wie Gesprächs-, Schreib-, Diskurs- und Hypermediaforschung gehen aus von Umwelten des Sprachgebrauchs wie Gesprächssituationen oder Hypermedia-Umgebungen.

In allen Teildisziplinen geht es darum, die Regelhaftigkeiten theoretisch zu beschreiben, die für eine bestimmte Sprachgemeinschaft gelten oder sogar universal, für alle Sprachbenutzer.


Angewandte Linguistik

Wie andere wissenschaftliche Fächer auch hat die Linguistik eine angewandte Fachrichtung ausgeprägt: die Angewandte Linguistik. Während die klassischen wissenschaftlichen Fächer ihre Fragen aus theoretischen Überlegungen ableiten, greifen die angewandten Fächer auch Probleme der Praxis auf und tragen zu deren Klärung und Lösung bei.

Angewandte Linguistik befasst sich zum Beispiel mit der Optimierung des Sprachgebrauchs für bestimmte kommunikative Aufgaben. Sie fragt dann etwa nach den Repertoires an Strategien, mit denen individuelle Sprachbenutzer oder Sprachgemeinschaften Gespräche führen oder Äußerungen anderer rekontextualisieren – und nach Verfahren, um diese Repertoires in Lehr- und Lernprozessen zu erweitern (_1).

Angewandte Linguistik: disziplinäre Variante der Linguistik, die sprachbezogene Theorien, Methoden und Erkenntnisse erzeugt und anwendet, um Probleme des Sprachgebrauchs in Anwendungsfeldern zu bearbeiten.


■ Widdowson, 2000 setzt „applied linguistics“ gegen „linguistics applied“. Die Erste forscht grundsätzlich von den Problemen der Praxis her, die Zweite wendet theoretische Fragestellungen auf die Praxis an. ■ Sealey & Carter, 2004, 18 sehen A.L. systemtheoretisch, also interessiert an Umwelt, Funktion und Struktur von Sprache im Gebrauch. ■ Perry, 2005 führt in die Forschungspraxis von A.L. ein. ■ Knapp, et al., 2011 zeigen die Arbeitsfelder der A.L., auch als mögliche künftige Berufsfelder für Studierende.

So entwickelt die Angewandte Linguistik Teildisziplinen zu Tätigkeitsfeldern, deren Sprachgebrauch gesellschaftlich bedeutsam ist und sich vom Sprachgebrauch in anderen Tätigkeitsfeldern wesentlich unterscheidet. Beispiele solcher Teildisziplinen:

 Die Rechtslinguistik befasst sich mit Sprachgebrauch in der Rechtspraxis, wo Sprache rechtliche Verbindlichkeit herstellt.

 Die Forensische Linguistik befasst sich mit Sprachgebrauch in der Ermittlungs- und Gerichtspraxis, wo Sprache Alibi und Indiz abgeben kann.

 Die Klinische Linguistik befasst sich mit Sprachgebrauch in der Therapie sprachlicher, kommunikativer und damit verwandter Störungen.

 Die Wirtschaftslinguistik befasst sich mit Sprachgebrauch im Betriebsalltag, wo Sprache organisationale Abläufe zur Wertschöpfung steuert.


Medienlinguistik

Auch die medienvermittelte öffentliche Kommunikation stellt ein Tätigkeitsfeld dar, das gesellschaftlich bedeutsam ist und dessen Sprachgebrauch sich vom Sprachgebrauch in anderen Feldern unterscheiden kann (B|1.1.3). Mit diesem Sprachgebrauch im Umfeld von Medien – oder im engeren Sinn von publizistischen Medien (B|2.1.4) – befasst sich die Medienlinguistik (_1).

Medienlinguistik: Teildisziplin der Linguistik, die sich befasst mit dem Zusammenhang von Sprache und Medien.


■ Möhn, et al., 2001 publizieren das erste Buch, das den Begriff Medienlinguistik im Titel trägt. ■ Androutsopoulos, 2003 und Perrin, 2004 beschreiben M. programmatisch. ■ Perrin, 2006a legt den ersten Lexikoneintrag zum Stichwort M. vor. ■ Held & Stöckl, 2010 rufen zur ersten mehrtägigen deutschsprachigen Fachtagung mit Titel Medienlinguistik.

Als Wissenschaft arbeitet Medienlinguistik immer theoriebasiert, als angewandte Wissenschaft geht sie theorie- und praxisgeleitet vor: Theoriegeleitet sucht sie in Daten zum Sprachgebrauch im Umfeld von Medien Antworten auf linguistische oder linguistisch-interdisziplinäre Fragestellungen, praxisgeleitet klärt sie mit linguistischen Werkzeugen Probleme der Medienpraxis – und überprüft damit zugleich die Reichweite der Theorie. Die Wissenschaftsdisziplin und das berufspraktische Fach sind also aufeinander bezogen (_2):



Medienlinguistik als Teildisziplin der Linguistik

So kann Medienlinguistik am Fall von Josep Piqué theoriegeleitet untersuchen, wie Sprachbenutzer mit Äußerungen anderer umgehen, oder sie kann praxisgeleitet forschen nach handhabbaren und kommunikativ zufrieden stellenden Techniken der Redewiedergabe.

 


Disziplingrenzen überwinden

Für konkrete Forschung können wissenschaftliche Disziplinen aber nicht nur zu weit sein (B|1.1), sondern auch zu eng. Fragen nach einer angemessenen Methodik oder nach dem Sprachgebrauch im Umfeld publizistischer Medien zum Beispiel greifen über die Medienlinguistik hinaus. Sie rufen nach Disziplinen-übergreifenden Ansätzen, nach multi-, inter- und transdisziplinärer Forschung (_1).

Multidisziplinär: Forschung, bei der wissenschaftliche Disziplinen zusammenarbeiten, indem sie ihre je eigenen Theorien und Methoden ergänzend einbringen, um gemeinsame Fragestellungen zu verfolgen.

Interdisziplinär: Forschung, bei der wissenschaftliche Disziplinen zusammenarbeiten, indem sie gemeinsame Fragestellungen verfolgen und zusätzlich gemeinsam Methoden oder Theorien entwickeln.

Transdisziplinär: Forschung, bei der wissenschaftliche Disziplinen mit außerwissenschaftlichen Fächern gemeinsam Wissen erzeugen, um gesellschaftlich relevante Probleme zu lösen.


■ Hoffmann-Riem, et al., 2008 behandeln im „Handbook of transdisciplinary research“ Fragen zur Kooperation wissenschaftlicher und nichtwissenschaftlicher Fächer theoretisch und bezogen auf viele Anwendungsfelder. Sie beschreiben t. Forschung als Zusammenarbeit von Fachleuten aus wissenschaftlichen und berufspraktischen Disziplinen, bei der disziplinäre Denkmuster überwunden und praktische Probleme auf eine gesellschaftlich fruchtbare Art gelöst werden. So erscheint t. Forschung als Forschung über die Praxis, mit der Praxis und für die Praxis. ■ Menz & Gruber, 2001 diskutieren „Interdisziplinarität in der Angewandten Sprachwissenschaft“. ■ Charaudeau, 2008 erklärt die Stärken interdisziplinärer, linguistischkommunikationswissenschaftlicher Medienanalysen.

Hinterfragt Medienlinguistik zum Beispiel ihren Wissenschaftsbetrieb kritisch, nützt ihr multidisziplinäre Zusammenarbeit, etwa mit der Wissenschaftssoziologie oder der Didaktik (B|1.2.1). In interdisziplinärer Zusammenarbeit mit der Kommunikations- und Medienwissenschaft kann sie beispielsweise Mehrmethodenansätze entwickeln, um den gemeinsamen Gegenstand plastischer zu erfassen (B|1.2.2). In transdisziplinärer Zusammenarbeit mit der Medienpraxis erschließen sich ihr etwa deren Berufswissen und Fragen, was zu gemeinsamer, lösungsorientierter Theoriebildung führen kann (B|1.2.3).


Der multidisziplinäre Aspekt

Wie jede wissenschaftliche Fachdisziplin steht die Medienlinguistik in der Pflicht, nicht nur auf der Objektebene zu wirken und ihren Gegenstand zu erforschen, sondern, auf der disziplinären Metaebene, auch über sich selbst nachzudenken – nachzudenken über ihre • Forschungsmethoden, ihre • Wissenschaftsdidaktik, ihr • Wissenschaftsmanagement und ihre

 Wissenschaftspolitik. Dies legt multidisziplinäre Zusammenarbeit nahe:

 Forschungsmethoden: Eine Medienlinguistik, die ihren Gegenstand empirisch erfassen will, braucht geeignete Forschungsmethoden. Wie zum Beispiel kommt sie zu aussagekräftigen Daten zur Textproduktion, ohne die Arbeitsabläufe in der Praxis zu stören und damit die Befunde zu verzerren? – An solchen Fragen arbeiten Disziplinen, die menschliche Tätigkeiten in natürlichen Umwelten erforschen, etwa Anthropologie oder Arbeitssoziologie und -psychologie.

 Wissenschaftsdidaktik: Eine Medienlinguistik, die dazu beitragen will, Probleme der Sprachpraxis zu lösen, braucht auch geeignete Methoden der Wissenstransformation. Wie kann es zum Beispiel gelingen, im komplexen Umfeld einer Redaktion Haltungen, Wissen und Arbeitsmethoden aufzubauen, um die Textproduktionskompetenz zu optimieren? – An solchen Fragen arbeiten Didaktik, Pädagogik, Angewandte Psychologie.

 Wissenschaftsmanagement: Eine Medienlinguistik, die sich auch am praktischen Markt behaupten will, muss diesen Markt verstehen. Wie aber funktioniert zum Beispiel ein Medienmarkt, der auf öffentliche und zugleich auf medienwirtschaftliche Interessen ausgerichtet ist und dessen Berufsfeld sich spät professionalisiert? – An solchen Fragen arbeiten etwa Arbeitssoziologie, Berufsfeldforschung, Medienökonomie.

 Wissenschaftspolitik: Eine Medienlinguistik schließlich, die sich wissenschaftlich behaupten und entfalten will, braucht einen solid verankerten und zugkräftigen Wissenschaftsbetrieb. Wie bilden Disziplinen Profile aus und überwinden disziplinäre Grenzen? Wie sichern sie die Qualität ihrer Grundlagenforschung, angewandten Forschung und Auftragsforschung? – An solchen Fragen arbeiten Wissenschaftstheorie und -soziologie.


Der interdisziplinäre Aspekt

Die Medienlinguistik und die Kommunikations- und Medienwissenschaft (KMW) befassen sich beide mit medialer öffentlicher Kommunikation – mit der Produktion und der Rezeption von Kommunikationsangeboten, mit den Produkten selbst und mit der Umwelt, die diese Kommunikation beeinflusst und durch sie beeinflusst wird. Interdisziplinäre Zusammenarbeit drängt sich hier auf (_1):



Die interdisziplinäre Zusammenarbeit von KMW und Medienlinguistik

Die beiden Disziplinen ergänzen sich in Erkenntnisinteresse und Methode: Die KMW strebt vorwiegend Befunde an, die mit statistischer Wahrscheinlichkeit allgemein gelten. Das bedingt breite Erhebungen mit wenig Aufwand für den einzelnen Fall. Die Medienlinguistik dagegen will Regelhaftigkeiten sprachbasierter Sinnkonstruktion auch an einzelnen Fällen tiefgreifend, präzise und schlüssig nachweisen; dann argumentiert sie für die Relevanz ihrer Befunde statt für statistische Repräsentativität.

Interdisziplinär können KMW und Medienlinguistik zum Beispiel einerseits breit untersuchen, welche politischen Akteure mit welchen Themen in welchen Medienangeboten auftreten – und andererseits an wenigen Texten oder Verstehenssituationen schlüssig nachweisen, dass ein und dieselbe Quellenäußerung je nach Rekontextualisierung gegensätzliche Bedeutungsvorstellungen nahelegt und damit ganz unterschiedliche Wirkungen auslösen kann.


Der transdisziplinäre Aspekt

Wer Sprache benutzt, greift dazu auf geronnene Erfahrung, auf praktisch erworbenes Wissen über Sprache und Sprachgebrauch. Ist dieses Wissen situativ bewusst einsetzbar und gekoppelt an eine Haltung der Aufmerksamkeit für sprachliche Probleme, spricht man von Language Awareness (_1). Transdisziplinäre Medienlinguistik kann die Language Awareness von Medienschaffenden mit wissenschaftlichem Wissen verbinden, um Probleme der Praxis zu erkennen, Lösungen zu entwickeln und die Lösungen in der Praxis zu verankern – Lösungen wie etwa professionell und gesellschaftlich angemessene Praktiken der Rekontextualisierung.

Language Awareness: Bewusstheit und Aufmerksamkeit beim Lösen sprachlicher Probleme in Kommunikationssituationen.


■ Garrett, 2010 fasst den Forschungsstand zu L. konzis für verschiedene Anwendungsfelder zusammen. ■ Ehrensberger-Dow & Perrin, 2009 erforschen die L.A. von Übersetzen; ■ Svalberg, 2007 untersucht die Funktion von L.A. im Sprachenlernen. ■ Perrin, 2001b erforscht L.A. im Journalismus und weist bewusste sprachliche Vorstellungen Medienschaffender nach: Vorstellungen zum Beispiel von sprachlichen Einheiten wie Wörtern, Sätzen und Texten; von berufsspezifischen Text- und Gesprächssorten; von Normen der Rechtschreibung und Aussprache; von der Angemessenheit bestimmter sprachlich-kommunikativer Mittel in bestimmten Situationen; von den Varietäten eigener und benachbarter Tätigkeitsfelder wie der PR oder der Politischen Kommunikation; vom Wandel der Sprache; von Techniken der Textproduktion und Gesprächsführung; von der Sprachkompetenz der Adressaten. ■ Lehr, 2001 schließt von „sprachreflexive[n] Äußerungen“ in Pressetexten auf „alltagsweltliche Vorstellungen von Sprache“ (322). ■ Stenschke, 2005 erfasst in drei Zeitungen die Schlüsselwörter im öffentlichen Diskurs zur deutschen Rechtschreibreform. ■ Spitzmüller, 2005 untersucht in Diskursbeiträgen aus Sprachwissenschaft und Medien Unterschiede zwischen wissenschaftlicher und öffentlicher Einschätzung von Anglizismen.

Solches Wissen kann fruchtbar einfließen in die Entwicklung von Fragestellungen, in die Problemfindung und Problemlösung, in die Theoriebildung – vorausgesetzt, Wissenschaft und Praxis verständigen sich. Dazu ist aber eine Kluft zu überwinden: Eine Wissenschaftlern, die mit der Medienpraxis transdisziplinär zusammenarbeiten will, muss zwischen den Berufsverständnissen und Sprachen beider Seiten vermitteln, muss Codes switchen.

Was das bedeutet, können Linguisten vor einem soziolinguistischen Hintergrund leichter einschätzen als Vertreter anderer Disziplinen, die sich ebenfalls für publizistische Medien interessieren. Die Medienlinguistik ist also auch auf der Ebene der Vermittlungssprache zum transdisziplinären Brückenschlag berufen.


Das Erkenntnisinteresse der Medienlinguistik

Es gibt kein Wissen an sich. Erkennen ist gebunden an Standpunkte, Blickwinkel, Begriffe – und damit an Interessen. Erkenntnisinteresse leitet die Forschung, die Theoriebildung, den Wissenschaftsbetrieb (_1).

Erkenntnisunteresse: Ausrichtung des Bewusstseins und der Aufmerksamkeit beim Untersuchen eines Gegenstandes.


■ Ortner & Sitta, 2003, 5 sehen hinter aller Forschung „sowohl ein Erkenntnis- als auch Verwendungsinteresse“. ■ Hirsch Hadorn, et al., 2008, 21 beschreiben wissenschaftliche Tätigkeit als grundsätzlich verbunden mit wirtschaftlichen und politischen Interessen. ■ Fairclough, 2008 verteidigt das E. der Kritischen Diskursanalyse, im Sprachgebrauch Spuren unterdrückender Ideologien zu entdecken und dagegen anzutreten.

Wissenschaft kann also nicht objektiv sein, wohl aber intersubjektiv nachvollziehbar: in ihren Erkenntnisinteressen und ihrem Vorgehen klar und begründet. – Für das Beispiel Rekontextualisierung bedeutet dies:

 Ein Erkenntnisinteresse kann darauf abzielen, Rekontextualisierungen in publizistischen und wissenschaftlichen Kommunikationsangeboten zu vergleichen. Dann wird man feststellen, dass zum Beispiel die „Risiken“- Stelle bei ASSOCIATED PRESS (A|1) wissenschaftliche Zitiernormen verletzen würde: Es fehlen Hinweise auf die Originalsprache, die Veränderung im Wortlaut sowie das originale sprachliche und kommunikative Umfeld.

 Ein Erkenntnisinteresse kann aber auch auf den Sprachgebrauch im Praxisfeld selbst zielen. Dabei könnte sich herausstellen, dass Medienschaffende einen erzählerischen Umgang mit Quellen pflegen. Der wissenschaftlich geprägte Zitatbegriff wäre dieser Wirklichkeit weniger angemessen. Zur Abgrenzung empfiehlt sich dann der berufspraktisch verwendete Begriff des Quotes: Ein Quote erscheint als Redewiedergabe, kann aber auch zugespitzt oder gar erfunden sein (_2).

Quote: Einheit in einem Medienbeitrag, die dargestellt wird als originalnahe Wiedergabe einer Äußerung einer Quelle.


■ Hauser, 2008 vergleicht Q. in Zeitungen aus Australien, Deutschland, Großbritannien und der Schweiz. ■ Marinos, 2001 arbeitet über Authentizität journalistischer Redewiedergabe in der Zeitung; ■ H. Burger, 2001a über das „Zitat in Fernsehnachrichten“.

Zu klären sind also die Grundannahmen zum Gegenstand (B|2.1) und die Fragestellungen (B|2.2) medienlinguistischer Arbeit.


Aufsatz CHOI: Zwei Perspektiven

Lesen Sie den folgenden Abstract von Dongdoo Choi (_1). ▶ Was erfahren Sie ausdrücklich zum Erkenntnisinteresse des Autors?

A Critical Discourse Analysis on Different Representations of the Same Event in the Media […]

The main purpose of this study was to investigate how language in the media is manipulated for ideological purposes to present different representations of the same event. The data used were newspaper articles printed in the Washington Post and China Daily about the air crash incident between the United States and China over the South China Sea on April 1st, 2001. The main focus of this study was analysis of the first articles printed immediately after the episode took place. In addition, articles from the onset to the settlement phase of the incident were also analyzed in order to see how language use in each newspaper changed, reflecting a change in their attitudes towards the episode as the situation was developing. And the probable effects the ways of language use found in the data would have on readers were discussed.